Maulwurf. Lorenz Lovis ermittelt - Heidi Troi - E-Book

Maulwurf. Lorenz Lovis ermittelt E-Book

Heidi Troi

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Beschreibung

Sabotage, Korruption und ein Drogenring: Lorenz Lovis ermittelt in seinem vierten Fall Der Schuldenberg seines Erbbauernhofs wird nicht kleiner, die Urlaubsgäste zanken sich Tag und Nacht und die Apfelernte ist anstrengend: Privatdetektiv Lorenz Lovis hat wie immer alle Hände voll zu tun. Sein jüngster Fall führt ihn auf die Bretter, die die Welt bedeuten – als Spitzel mischt er sich unter eine Brixner Laientheatergruppe, deren Kulissen zerstört werden. Zu allem Überfluss wird auch noch sein bester Freund Scatolin vom Polizeidienst suspendiert: Er wird der Korruption im Zusammenhang mit einem Drogenring bezichtigt. Ehrensache, dass Lovis die Ermittlungen aufnimmt – und dabei selbst tiefer und tiefer in den Strudel der Ereignisse gerät. - Schauplatz Brixen: Südtirol-Krimi-Bücher rund um den tollpatschigen Ermittler Lovis - Krimi-Autorin Heidi Troi fängt den Charme ihrer Heimat perfekt ein - Spannender, humorvoller Krimi für den nächsten Urlaub im idyllischen Südtirol - Der "Südtiroler Columbo" (ORF) ermittelt in seinem bisher kniffligsten Fall - Vierter Band der Alpenkrimi-Reihe um Teilzeitbauer und Privatdetektiv Lorenz Lovis Polizeiarbeit, Erntezeit und Bühnenauftritt: Lorenz Lovis im Dauerstress! Von wegen beschauliche Bergwelt: In diesem Regionalkrimi hetzt der Privatdetektiv von einer Verpflichtung zur nächsten. Kaum hat er sein Tagespensum bei der Apfelernte erledigt, ruft auch schon die Theaterprobe. Und dem Drogenring, der die Karriere seines Ex-Kollegen und Freundes Scatolin zu ruinieren droht, will er ja auch noch auf die Schliche kommen. Die Autorin Heidi Troi ist gebürtige Südtirolerin und lebt in Brixen. Dort leitet sie das von ihr gegründete Theaterpädagogische Zentrum. Lovis' vierter Auftrag entführt den Südtiroler Ex-Kommissar in die Welt des Theaters. Ob ihn neben seinem Faible für knifflige Fälle nun auch die Lust packt, selbst zu spielen?

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Seitenzahl: 327

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Heidi Troi

MAULWURFLorenz Lovis ermittelt

Ein Brixen-Krimi

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von der Autorin ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2023

Copyright © 2023 by Heidi Troi

Copyright © Deutsche Erstausgabe 2023 Servus Verlag

bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke

der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die literatur agentur Gudrun Hebel, Berlin.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Courier, Bauer Bodoni

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagmotiv: Altes E-Werk Rundl, Foto © Thomas Troi

Autorenillustration: Claudia Meitert/carolineseidler.com

Printed by CPI books GmbH, Deutschland

ISBN: 978-3-7104-0318-7

eISBN: 978-3-7104-5066-2

INHALT

MITTWOCH: BÜHNE FREI

FREITAG: VORSPIEL

SAMSTAG: ERSTER AKT

SONNTAG: ZWISCHENSPIEL

MONTAG: ZWEITER AKT

DIENSTAG: ZWEITES ZWISCHENSPIEL

MITTWOCH: DRITTER AKT

DONNERSTAG: DER VORHANG FÄLLT

EINE WOCHE SPÄTER: NACHSPIEL

REZEPTE

LIEBE LESERIN! LIEBER LESER!

MITTWOCH

BÜHNE FREI

»Auf die Beine, Chef, braun wirst du auch zwischen den Apfelbäumen.« Paul, der Knecht auf dem Messner Hof, verschränkte die Arme und stellte sich seinem Chef mit grimmiger Miene in die Sonne.

Unwillig öffnete Lovis ein Auge. Den ganzen Tag war er auf den Beinen gewesen und hatte Paul geholfen, alles für die Apfelernte vorzubereiten. Ausgerechnet jetzt kam Paul daher, wo Lovis endlich ein paar Minuten gefunden hatte, um seine Ruhe zu genießen. Eine Ruhe, die er sich nach der Schinderei und der halb durchwachten Nacht redlich verdient hatte, fand er. Es war gerade mal vier Uhr morgens gewesen, als sein Hahn Fernando sich die Lunge aus dem Leib gekräht hatte. Der grantigste aller Gockel trug zu Recht den Namen von Lovis‘ ehemaligem Chef bei der italienischen Staatspolizei – Fernando Botta –, weil er wie dieser immer schlecht gelaunt war und nach allem hackte, was sich ihm in den Weg stellte. Doch in diesem Fall hatte Lovis sogar Verständnis für seinen Hahn. Denn das, was ihn so früh am Morgen dermaßen erzürnt hatte, hatte Lovis selbst immer wieder aus dem Schlaf aufgeschreckt: das ständig von Neuem aufwallende Gezeter aus der Ferienwohnung über seinem Schlafzimmer. Seine derzeitigen Feriengäste, Simba und Jens Wittgens, waren wohl zum Streiten auf den Messner Hof gekommen.

»Chef!« Die Mahnung von Paul wurde drängender.

»Sklaventreiber.«

»Du weißt genau, dass die Äpfel nicht warten. Die sind jetzt reif, und wenn wir nicht anfangen, können wir sie nur noch als Fallobst verkaufen. Da kannst du sie auch gleich auf den Misthaufen kippen. Ich dachte, du willst deinen Schuldenberg endlich abbauen?«

Stöhnend rappelte sich Lovis auf. Der Bernhardiner Barnabas, der bis zu diesem Zeitpunkt zu seinen Füßen gelegen und wie er die Sonne genossen hatte, kam ebenfalls auf die Beine und wedelte erwartungsvoll mit der Rute.

»Nein, Barnabas, es gibt jetzt keinen Spaziergang. Paul ist der Meinung, dass es klüger wäre, mich auf die Äpfel loszulassen.«

Der Knecht schnaubte verächtlich. »In zwei Minuten unten vor dem Stall.« Damit verschwand er hinter das Wohnhaus und ging vermutlich zur Remise, wo der Traktor Jonny – Pauls ganzer Stolz und die letzte Investition von Lovis‘ Onkel Sebastian – stand und auf seinen Einsatz in der Apfelwiese wartete.

»Du hast gehört, Barnabas«, sagte Lovis bedauernd und fuhr dem alten Hofhund über den Kopf. »Der Bauer muss arbeiten.«

Seufzend machte er, dass er in passendes Schuhwerk kam, dann ging er den Kiesweg hinunter zum Vorhof, wo Paul bereits mit ungeduldiger Miene auf dem Führersitz des Traktors thronte.

Wenig später bogen sie zwischen die langen Reihen der Apfelbäume ein. Die Wiese mit Äpfeln der Sorte Gala lag direkt am Feldweg, der zum Messner Hof führte, und die reifen Früchte lachten rotbackig von den Bäumen. Am Ende des Feldes hielt Paul den Traktor an.

Lovis sog die Luft ein, die so typisch für diese Jahreszeit war. Ein leicht fauliger Geruch, der von den ausgedünnten Äpfeln stammte, die unter den Bäumen verrotteten, vermischt mit der Süße der reifen Äpfel. Ein strahlend blauer Sommerhimmel spannte sich über das Talbecken, an dessen Grund die kleine Stadt Brixen lag. Nach Westen hin erhob sich der Radlseeberg, nach Osten hin die Plose, und im Norden lud der Gitschberg zum Wandern ein. Doch Bergluft hatte Lovis in den letzten Wochen zur Genüge geschnuppert, als er zur Sommerfrische auf der Alm gewesen war. Bergluft gewürzt mit zwei furchtbaren Morden. Statt da oben zur Ruhe zu kommen, hatte er notgedrungen ermitteln müssen und sich dabei fast um Kopf und Kragen gebracht – und um seinen besten Freund, den Ispettore Giovanni Scatolin. Lovis verzog das Gesicht bei der Erinnerung an die Missstimmung zwischen ihnen beiden und war beinahe froh, als Paul in dem Moment den Traktor anhielt und leichtfüßig vom Führersitz sprang.

»Hier müssen die Ersten raus.«

Lovis folgte ihm, nicht ganz so leichtfüßig. Zusammen stemmten sie vier Kisten von der Ladefläche, zurrten die anderen wieder fest und fuhren weiter, und so ging das, bis sie alle Kisten abgeladen und auf die Reihen der Apfelbäume verteilt hatten.

»Dann geht’s jetzt ans Werk, würd ich sagen.« Paul schaltete den Motor aus und rieb sich die Hände.

Lovis war weniger enthusiastisch. Achtzehn ewig lange Reihen von Apfelbäumen mussten abgeerntet werden. Er wusste, was das für Rücken und Arme bedeutete …

Paul erriet seine Gedanken. »Schritt für Schritt, Chef. Wie geht doch das Sprichwort: Jede volle Apfelkiste beginnt mit dem ersten Apfel.« Er riss einen vom Baum, hielt ihn Lovis hin und meinte: »Der erste Schritt ist getan. Einer weniger zu klauben.«

Lovis nickte verbissen und sparte es sich, Paul darauf hinzuweisen, wie oft er genau diese Handlung in den nächsten Tagen wiederholen müsste, bis alle Bäume abgeerntet wären … Und dann würde nach einer kurzen Verschnaufpause dieselbe Prozedur von Neuem beginnen, mit den Bäumen, auf denen die Äpfel mit dem wohlklingenden Namen Morgenduft hingen. Er seufzte und machte sich ohne einen Kommentar ans Werk.

Doch Paul hielt ihn noch einmal zurück. »Du erinnerst dich, oder? Drehen, nicht reißen.«

Unwirsch nickte Lovis. Als ob er das jemals vergessen könnte. Zu gut erinnerte er sich daran, wie sein Onkel Sebastian ihn in seinem ersten Sommer auf dem Bauernhof eingewiesen hatte.

»Schaug her, Bua«, hatte Sebastian gesagt. »Du nimmsch in Äpfl mit Somtfinger, kloppsch ihn aufi und nor drahnsch a wian. So.« Er drehte den Apfel ein wenig und löste ihn vom Baum. »Verstondn?«

Lovis hatte eine Grimasse gezogen, selbst nach einem Apfel gegriffen und ihn vom Zweig gerissen.

»Holt! Wos hon i grod gsog, Bua?«

»Drehen.«

»Und warum tuasch des nor net?« Sebastian langte nach dem Zweig, von dem Lovis gerade eben seinen Apfel gerissen hatte. »Schaug amol. Do drunter sein schun die Knoschpm vom nächsten Johr ungleg. Wenn du in Äpfl so norrat oarreisch, konnsch die Ernte im nächsten Johr vergessen. Do wochst koa Blüte mehr.«

Schuldbewusst hatte Lovis genickt und ein zweites Mal einen Apfel grob vom Baum gerissen. Aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, wie sein Onkel bei der wiederholten unsachgemäßen Behandlung zusammenzuckte.

»I glab, es isch besser, du laarsch die Säck von die Orbeiter aus.«

Und so war das Ganze darauf hinausgelaufen, dass Lovis mit den vollen Klaubsäcken zur Großkiste gelaufen war, sie ausgeleert und zu den Pflückern zurückgebracht hatte.

Bei Paul würde er mit dieser Taktik wohl nicht durchkommen. Lovis seufzte beim Gedanken an die elende Schinderei, den Muskelkater, die Rückenschmerzen und alles, was damit einherging, und nahm sich vor, in der Apotheke vorbeizuschauen und sich vorsorglich mit Arnikaeinreibung und allen möglichen Hausmitteln gegen Muskelschmerzen einzudecken.

»Wird das heute noch was?« Paul stand in seinem blauen Overall da wie ein Felsen und musterte seinen Arbeitgeber kritisch.

»Ich muss …«

Ein Hupen unterbrach ihn, und beide wandten ihre Köpfe dem Feldweg zu, über den gerade in diesem Moment ein alter Kleinbus Richtung Messner Hof holperte. Paul erkannte ihn sofort. »Sie sind da!«

Sie, das waren die Erntehelfer aus der Tschechei, die in der Erntezeit von einem Hof zum anderen zogen, um bei der Apfelernte mit anzupacken. Paul und Lovis stiegen auf den Traktor, und sie schafften es, zeitgleich mit den Tschechen am Hof anzukommen. Ächzend und stöhnend kletterte zuerst die flachsblonde Krystina aus dem Wagen. Hinter ihr folgten die braunen Lockenköpfe der Brüder Jan und Jakub, dann schälte sich der bärenhafte Anführer der Gruppe, Pavel, hinter dem Lenkrad hervor.

»Nanu? Ihr seid nur zu viert?«, fragte Paul Pavel, der als einziger der vier Erntehelfer Deutsch sprach.

Pavel hob verlegen die Schultern. »Ondra hat sich das Bein gebrochen. Es tut uns leid. Wir werden doppelt so hart arbeiten.«

Lovis musterte ihn skeptisch. Er wusste, dass die Tschechen fleißige Arbeiter waren, aber irgendwann brauchte selbst der stärkste Mann Ruhe. Zu viert würden sie das Apfelfeld nicht in der Zeit abernten können, die ihnen zur Verfügung stand.

Ein Blick auf Paul verriet ihm, was nun kommen würde, und er behielt recht.

Sein Knecht kratzte sich am Hinterkopf. »Tja, da wird der Chef wohl mehr als gedacht Hand anlegen müssen.«

Lovis wehrte sich. »Ich hab nie etwas anderes vorgehabt.« Nur gehofft hatte er, dass er sich mit irgendeiner Ausrede von der vielen Arbeit würde drücken können, das musste er sich insgeheim eingestehen.

Paul durchschaute ihn. Schmunzelnd meinte er: »Dann ist’s ja gut.« Er wandte sich an die Tschechen. »Wir haben euer Lager schon vorbereitet! Ihr habt doch bestimmt Hunger?«

Pavel übersetzte die Frage und erhielt zustimmendes Gemurmel als Antwort.

»Na, dann hoch mit euch.« Paul deutete Richtung Söller, und die Tschechen, die sich auf dem Messner Hof von den vergangenen Jahren auskannten, trotteten den Kiesweg entlang zum Eingang des Wohnhauses.

Paul sah auf die Uhr. »Viertel nach sechs. Sollen wir sie …«

Lovis hörte nicht mehr hin. »Viertel nach sechs? Verdammt! Ich muss los! Ich hab die Zeit vergessen. Wieso hast du nichts gesagt?«

»Hätte ich was sagen sollen?«

»Ich muss zur Probe!«

»Ist der Domchor nicht in Ferien bis Mariä Himmelfahrt?«

»Es geht ums Intermezzo. Um meinen neuen Fall. Ich soll … Ach, was rede ich da noch herum. Ich muss los. Lasst für mich ein paar Knödel übrig!«

Vor ein paar Tagen hatte ihn die Obfrau einer Brixner Theatergruppe angerufen und mit einem neuen Fall beauftragt. Lovis wusste noch nicht genau, worum es sich handelte. Aber das würde sich spätestens in einer halben Stunde ändern.

Paul lachte. »Darauf solltest du dich lieber nicht verlassen, Chef. Du weißt schon: Vergisst der Bauer auf sein Mahl, isst sein Knecht eben noch einmal.«

Misstrauisch sah Lovis seinen Arbeiter an. »Das hast du eben erfunden.«

Paul hob die Schultern. »Deswegen ist es nicht weniger wahr.« Dann nickte er in die Richtung von Lovis‘ Drahtesel, der immer noch an die Wand gelehnt dastand. »Wolltest du nicht los?«

»Mist!« Lovis riss sich innerlich fluchend von dem Gedanken an Angelikas Speckknödel los und sah zu, dass er in die Gänge kam. Wenig später radelte er auf der wenig befahrenen Hauptstraße Richtung Brixen seinem nächsten Fall entgegen.

Es dauerte nicht lang, und er war in der Altstadt angekommen. Enge, gepflasterte Gassen, an deren Seiten jahrhundertealte Gemäuer aufragten, empfingen ihn. Sie waren gesäumt von mit Geranien geschmückten Erkern und Torbögen, die ins Innere der Häuser führten. Nicht selten lagen dahinter herrliche Gärten, die vor den Augen der Fußgänger verborgen waren. Er radelte die Brunogasse entlang, vorbei an der neuen Bibliothek, und stand endlich vor dem Eingang zur Hofburg, die jahrhundertelang der Sitz der Brixner Bischöfe gewesen war, bevor diese in die Landeshauptstadt umgesiedelt waren. Illustre Gäste wie die Kaiserin Maria Theresia hatten in der Hofburg logiert, Mozart hatte ein Konzert gegeben … Nun war die Hofburg ein Museum und einmal im Jahr – zu Weihnachten – Schauplatz eines kitschigen Lichtspektakels. Sonst war es still um den alten Bischofssitz.

Lovis überquerte die Brücke, unter der Schwäne im Burggraben schwammen, und sah sich um. Die Obfrau hatte gesagt, dass er nicht in die Hofburg musste, sondern direkt davor durch eine kleine Pforte in den Hofburggarten gelangte. Da sah er den mit einer Reißzwecke an eine kleine Holztür gepinnten Zettel. »Zutritt nur für Mitglieder der Theatergruppe Intermezzo«, stand darauf. Lovis schob die Tür zurück und wanderte über einen schmalen Steg direkt am Burggraben entlang bis zu einer steinernen Brücke, hinter der mit verschränkten Armen eine Frau stand. Sie war jung, Anfang dreißig, schätzte Lovis, und ihr glattes braunes Haar fiel ihr bis auf die Hüften. Es musste die Obfrau des Vereins, Marianne Stecher, sein. Und in ihrer Miene stand Tadel.

»Sie sind spät.«

»Ja, ich bitte um Entschuldigung. Meine Erntehelfer sind …«

Doch sie wischte seine Einwände mit einer ungeduldigen Handbewegung einfach weg. »Ich werde mich kurzfassen müssen. In wenigen Minuten kommen die ersten Spieler. Gleich zuerst: Ich möchte, dass Sie sich als neuer Theaterspieler ausgeben. Sie werden eine kleine Rolle bekommen und bei jeder Probe anwesend sein. Ich habe diesbezüglich bereits mit meiner …«

Diesmal war es Lovis, der die Obfrau unterbrach. »Moment! Haben Sie gerade gesagt, dass ich auf die Bühne muss? Als Schauspieler?«

»Spreche ich irgendwie unklar?«

Lovis sah sie ungläubig an. »Ich werde mich ganz sicher nicht auf eine Bühne stellen. Ich … kann das nicht. Absolut nicht. Ich merke mir keinen Text. Ich …« Lovis suchte nach Argumenten. »Ich bin Privatdetektiv. Kein Theaterspieler.«

»Sie müssen nur ein paar Sätze sagen. Das schafft jeder … auch ein Privatdetektiv.«

Lovis hatte nicht wenig Lust, den Fall abzulehnen, aber er wusste, dass das nicht ging. Der Schuldenberg war nach dem Eintreffen der Subventionen für den Ausbau der Ferienwohnungen nur geringfügig geschrumpft. Er konnte es sich nicht leisten, diesen Fall abzulehnen.

»Worum geht es denn überhaupt?«

Die Obfrau nickte zufrieden. »Um Vandalismus. Irgendjemand hat es auf uns abgesehen. Schon dreimal wurden unsere Kulissen demoliert. Requisiten wurden zerstört, die Scheinwerfer …«

»Und die Polizei?«

Marianne Stecher schnaubte verächtlich. »War hier, hat einen Bericht geschrieben und ist wieder verschwunden. Der Beamte hat noch gesagt, dass wir uns nicht allzu viel erhoffen sollen. Es ginge ja um nichts. Und – Überraschung! – bis jetzt haben wir auch noch nichts gehört, was irgendwie darauf schließen würde, dass die Polizei etwas unternommen hat.«

Lovis nickte. Das alte Lied. Polizei und Carabinieri waren unterbesetzt und schafften es kaum, sich um die großen Fälle zu kümmern. Kleindelikte wurden protokolliert und abgeheftet. Die Menschen, die den Schaden hatten, hatten außer einem Haufen Scherereien wenig davon, so einen Vorfall zu melden.

»Wie kommt der Täter in den Garten?«

Wieder schnaubte die Obfrau. »Das ist keine Kunst. Selbst ich kenne die Schlupflöcher in der Mauer.«

Das war auch wieder wahr. In den letzten Jahrzehnten war an der Burgmauer wenig gemacht worden. Warum auch? Es hatten auch nur ein paar Apfelbäume auf dem Gelände gestanden. Dann war der ehemalige fürstbischöfliche Garten in den Besitz der Gemeinde übergegangen und diente – weil sich die Brixner Bevölkerung nicht über seinen Verwendungszweck einigen konnte – als Ort für verschiedenste Veranstaltungen.

»Haben Sie einen Verdacht, wer es sein könnte?«

»Mehrere. Auf der einen Seite gibt es jede Menge Neider, weil wir den Garten besetzen – einige andere Initiativen sind abgelehnt worden und müssen nun mit weniger geeigneten Plätzen vorliebnehmen –, dann gibt es natürlich die Fanatiker, die es nicht gern sehen, dass der Garten überhaupt für Events genutzt wird. Von denen gibt es gleich mehrere Lager …«

»Diejenigen, die daraus ein ›Pomarium‹ machen wollen, und die anderen, die die Fläche für einen Garten der Kunst und Ruhe nutzen wollen, ich weiß.« Selbst an Lovis war die erhitzte Diskussion um den Verwendungszweck für die Grünfläche in der Stadt nicht vorübergegangen.

»Sie vergessen diejenigen, die den Garten versiegeln und zu einem Parkplatz umfunktionieren wollen. Und die anderen, die dort einen Bolzplatz für Stadtkinder machen oder Gemüsebeete für Brixner Bürger anlegen wollen.«

Von der Miene der Obfrau konnte Lovis deutlich ablesen, wie wenig sie von jeder dieser Ideen hielt. »Und Sie glauben, dass sich der Täter in einem dieser Lager findet?« Er bezweifelte stark, dass sich der Hass der emotional aufgeladenen Lager ausgerechnet gegen eine kleine Theatergruppe wandte. Wäre etwas am Rathaus zerstört worden oder am Sitz der »Freunde für ein lebenswerteres Brixen«, wäre das eine andere Sache gewesen, aber so?

Marianne Stecher schüttelte den Kopf. »Eigentlich glaube ich das nicht, nein.« Ihr war deutlich anzumerken, dass sie eigentlich einen ganz anderen Verdacht hegte. Lovis musste nicht lang darüber nachdenken, wo sie den Täter vermutete. Schließlich wollte sie, dass er sich als Theaterspieler einschlich.

»Sie denken, dass der Täter oder die Täter in der Theatergruppe zu finden sind?«

Marianne nickte langsam. »Das ist es, was ich vermute. Die Gruppe ist … nun ja, gespalten. Der alte Vorstand ist zurückgetreten, wir haben übernommen, aber nicht jeder ist mit unserer Führung einverstanden und …« Sie unterbrach sich, denn hinter dem Portal wurden Stimmen laut. »Später mehr. Die Spieler kommen. Also: Sie möchten mitspielen, ich habe Ja gesagt. Alles Weitere besprechen wir bei einem nächsten Treffen, und da kommen Sie bitte pünktlich! Besser gesagt: kommst du pünktlich. Im Theater sind wir alle per Du.«

Lovis konnte gerade noch nicken, da traten die ersten beiden Mitglieder der Theatergruppe diskutierend durch das kleine Tor. Ein älterer Mann mit silbergrauem Haar und ein weiterer, der etwas jünger war.

Der Silberfuchs ergriff gerade lautstark das Wort: »Wir sind zu wenige. Hab ich immer gesagt. Wie sollen wir gleichzeitig auf der Bühne stehen und die Gäste bedienen?«

»Meine Frau hat gefragt, ob es uns ins Hirn geschneit hat«, setzte der Jüngere hinzu. »Ich soll ausrichten, dass sie nicht zur Verfügung steht, um allein Tirtlan zu pitschn. Entweder helfen alle beim Altstadtfest mit, oder wir fahren an dem Wochenende auch in Urlaub.«

Das reichte Lovis, um zu verstehen, worum es in der Diskussion ging: ums Altstadtfest, ein Fest mit jahrzehntelanger Tradition, das von den Brixner Vereinen alle zwei Jahre ausgerichtet wurde. Die ganze Stadt wurde zum Festzelt und quoll vor Besuchern nur so über. Stand reihte sich an Stand, es gab kulinarische Köstlichkeiten und Musik aller Richtungen. Und offensichtlich hatte auch die Theatergruppe Intermezzo beschlossen, ihre Kasse durch einen Stand auf diesem Fest auszurichten und als kulinarische Besonderheit Tirtlan, mit Spinat und Kraut gefüllte frittierte Teigtaschen, anzubieten.

Zwei Frauen traten jetzt durch das Tor. Eine davon, mit einem frechen Kurzhaarschnitt, jammerte: »Können wir nicht …« Der Rest ging in dem Stimmengewirr der Gruppe dahinter unter.

Lovis grinste. So ungefähr hörte es sich an, wenn er morgens in den Hühnerstall ging. Alles gurrte und gackerte durcheinander, kein Huhn hörte zu, jedes Huhn war sicher, das einzige schöne Ei gelegt zu haben.

Langsam füllte sich der Platz vor der Bühne. Kaum jemand nahm Notiz von Lovis, zu sehr waren die Mitglieder des Theatervereins in ihre Diskussionen verstrickt. Er begann sich gerade zu fragen, worauf die Obfrau noch warten wollte, da stieg sie auf die Bühne, stampfte energisch mit dem Fuß auf und brüllte: »Ruhe bitte!«

Die Gesichter wandten sich ihr zu. In einigen erkannte Lovis Unwillen und Skepsis, in anderen stand freundliche Zustimmung. Spätestens bei diesem Anblick bestätigte sich das, was Marianne Stecher kurz zuvor gesagt hatte: Die Gruppe war gespalten. Mit dieser Aussage hatte die Obfrau wohl recht.

Sie atmete durch und setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Bevor wir mit der Probe anfangen: Wir haben einen neuen Mitspieler. Darf ich vorstellen: Lorenz Lovis. Er will es mit uns …«

»Lovis! Du hier? Du wirst doch nicht etwa bei uns …?« Ein Mann mit Glatze löste sich aus der Gruppe der Theaterspieler. Lovis erkannte ihn mit Schrecken als Goggo, der im selben Dorf wie er wohnte und Stammgast bei Schorsch in der Kneipe war. Lovis signalisierte ihm hektisch, dass er ihn nicht verraten sollte. Goggo verstand und reagierte sofort. »… mitspielen?« Goggo strahlte in die Runde. »Das ist mein Nachbar im Dorf. Lorenz Lovis. Patenter Mann.«

Lovis fiel ein Stein vom Herzen. Das fehlte gerade noch, dass er bereits am ersten Abend als Privatdetektiv entlarvt wurde.

Mit neu erwachtem Interesse taxierten ihn die Theaterspieler, manche allerdings auch mit offener Abneigung.

»Schon wieder ein Neuer«, begehrte eine ältere Dame mit Silberhaar auf. Peinlich berührt sah Lovis zu ihr hin. »Und wieder wurden wir nicht gefragt. Langsam frage ich mich, ob das noch ein Verein ist oder ob wir zu einem Spielplatz für ein paar Weiber geworden sind, die sich auf den Schultern ahnungsloser Theaterspieler selbst verwirklichen wollen.«

Ja, da lag definitiv etwas im Argen, und er wusste auch schon, worüber er bei seinem nächsten Bierchen mit Goggo plaudern würde.

Die Silberhaarige holte gerade Luft, und bevor sie sich weiter echauffieren konnte, mischte sich eine andere Frau ins Gespräch, die an Marianne Stechers Seite stand und das Geschehen bisher nur beobachtet hatte. Sie war etwas fülliger, aus ihrem Gesicht strahlte pure Energie. »Seht mal, Leute. Der Lovis schnappt euch überhaupt nichts weg. Er kriegt einen Mini-Auftritt. Er überbringt einmal eine Nachricht, und das war’s. Das tut keinem weh, oder, Rita?«

»Und auch wenn er mehr kriegen würde«, rief die Obfrau dazwischen, »für Diven ist kein Platz im Intermezzo.« Sie fixierte die Silberhaarige, und die beiden Frauen lieferten sich ein Blickduell, von dem Lovis ganz schwindelig wurde.

»Zwischenspiel«, verbesserte die als Rita Angesprochene mit zusammengekniffenen Lippen.

»Bei der letzten Vollversammlung haben wir uns auf den Namen ›Intermezzo‹ geeinigt, weil wir sprachgruppenübergreifend arbeiten möchten.«

»Du möchtest das«, zischte Rita.

»Ich wurde gewählt. Unter anderem von dir.«

»Ein großer Fehler.« Rita machte eine harsche Kopfbewegung und bedeutete der Obfrau damit, dass sie keine Lust auf eine Fortsetzung der Diskussion hatte. »Also, zurück zum Altstadtfest. Wie gedenkst du das zu lösen?«

Die Obfrau sah so aus, als könne sie Urlaub gebrauchen. Mit einem Seufzer und gespielter Geduld meinte sie: »Wir haben doch schon im Herbst beschlossen, beim Altstadtfest mitzumachen, Rita. Und da war ich noch nicht einmal Obfrau, wenn ich dich erinnern darf. Jetzt sind wir fix eingeplant, und dabei bleibt’s. Und ich sage dir ganz ehrlich: Ich habe diese Querelen satt. Ja, wir sind das Kulturpflaster, das sich die Organisatoren auf die Fahnen kleben, und ja, wir werden da nicht Wunder was für große Einnahmen verbuchen können – vor allem, wenn wir abseits aller anderen im Hofburggarten unseren Stand haben –, aber wir werden es genießen, Teil der Gemeinschaft aller Brixner Vereine zu sein.«

Ein paar der Anwesenden nickten zustimmend.

»Und ich sage dir …«, begann die Silberhaarige von Neuem, doch die Obfrau schnitt ihr das Wort ab.

»Noch dazu haben wir diese tolle Location für unser Stück nur gekriegt, weil wir am Altstadtfest teilnehmen. Glaubt ihr, die Gemeinde hätte uns sonst im Hofburggarten eine Bühne aufbauen lassen?«

Ein paar der Umstehenden brummten zustimmend, doch Rita gab noch immer nicht auf. »Das hätten wir sicher auch sonst machen dürfen. Schließlich sind wir ein alteingesessener Verein, und die Gemeinde weiß, was sie an uns hat.«

Höhnisches Gelächter brandete auf, und ein älterer Mann legte Rita seinen Arm um die Schultern. »Rita, die Gemeinde hat noch nie gewusst, was sie an den Vereinen hat. Wenn irgendwo das Feuer auf dem Dach brennt, sind wir ihnen gut genug, aber das Geld schmeißen sie anderen in den Rachen. Auch wenn ich absolut nicht einverstanden bin mit dem, was die Obfrau da entschieden hat – in dieser Sache muss ich mich auf ihre Seite stellen.«

Marianne nickte ihm kurz zu, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Silberhaarige. »Weißt du was, Rita? Und das gilt nicht nur für dich, sondern für alle, die keine Lust auf das Altstadtfest haben: Lasst es.« Sie ließ ihren Blick über die versammelten Theatermenschen schweifen. »Macht einfach nicht mit. Bleibt weg. Ich arbeite lieber mit einem Häuflein von überzeugten Menschen als mit einem Haufen Wankelmütiger. Wir schaffen das ohne euch. Und wenn ich es mit Anita allein machen muss.« Die Obfrau wechselte einen Blick mit der fülligeren Frau, und die signalisierte mit erhobenem Daumen ihre Zustimmung.

Lovis beobachtete Ritas Mimik, an der er bestens ablesen konnte, was sich in ihrem Kopf abspielte. Endlich gab sie sich einen Ruck und nickte unwirsch. »Natürlich mache ich mit. Aber ich stehe nur auf der Bühne. Ich weigere mich, als Kellnerin herumzuhopsen oder Tirtlan zu pitschn. Dass das klar ist.«

»Sonnenklar«, sagte die Obfrau zynisch, und sie sah aus, als müsse sie mit Macht eine weitere Bemerkung hinunterschlucken. »Dann darf ich jetzt weitersprechen?«

Alle Anwesenden nickten. Manche wohlwollend, manche weniger, und die Obfrau begann, ihre Pläne für das Altstadtfest zu erklären. Es dauerte nicht lang, und Lovis schwirrte der Kopf – von den vielen Vorbereitungsarbeiten, den Einwänden der Theaterspieler und den Anforderungen hygienischer, rechtlicher und finanzieller Natur, die an die Teilnehmer des Festes gestellt wurden.

»Na?« Goggo hatte sich unbemerkt an seine Seite gestellt.

»Große Pläne.«

»Zu große Pläne, könnte man auch sagen.«

»Wieso?«

Goggo lachte freudlos auf. »Da muss man nur eins und eins zusammenzählen. Bisher haben sich nur etwa zwölf Leute bereit erklärt zu helfen. Nur zum Vergleich: Bei den großen Ständen helfen auch mal fünfzig. Wir haben zwar keinen großen Stand, aber dafür zusätzlich ein Kulturprogramm … und keine Leute, die es betreuen. Das kann nur in die Hose gehen.«

»Zumindest kommt Geld rein.«

»Das bezweifle ich auch. Unser Stand ist zu weit abgelegen. Da fällt niemand im Vorbeigehen rein, man muss uns schon suchen.«

»Aber das Kulturprogramm wird doch wohl hoffentlich ziehen.« Den Ausführungen der Obfrau hatte Lovis entnommen, dass ein Pantomimekünstler auftreten würde, dazu ein Kabarettist und die Sieger der Witze-Weltmeisterschaft, die vor Kurzem im Sarntal, einem Tal nicht weit von hier, stattgefunden hatte. Die Obfrau hatte sich offensichtlich seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr ins Zeug gelegt, um neben der Aufführung des Intermezzo ein interessantes Kulturprogramm auf die Beine zu stellen, und hatte das mickrige Budget, das die Organisatoren ihr dafür zugestanden hatten, bestmöglich verwendet, um andere Künstler zu gewinnen, die ein buntes Programm für alle Alters- und Sprachgruppen boten.

»Pfft«, machte Goggo verächtlich. »Ich vermute eher, dass die Eltern ihre Kinder bei uns parken werden, damit sie selbst beim Stand der Musikkapelle ein Bier trinken können.«

»Autsch!«

»Oder in der Bibliothek.«

»Also bei dir?« Lovis wusste, dass Goggo von Beruf Bibliothekar in der Brixner Stadtbibliothek war.

»Also bei mir. Ich habe mir schon ein Geschäftsmodell ausgedacht. Die Kinder, die bei mir geparkt werden, müssen ausgelöst werden für … sagen wir mal zehn Euro.«

»Mach zwanzig draus und ich rühre die Werbetrommel auf dem Fest.«

»Deal.« Goggo streckte Lovis die Hand hin und stimmte in dessen Lachen ein.

Dann traf sie der rügende Blick der Obfrau, und die beiden Männer zogen die Köpfe ein. Erst als sie weitersprach, flüsterte Goggo: »Jedenfalls wird das Ganze ein großer Reinfall, wenn du mich fragst. Das Fest ist was für die großen Vereine, die auf die Unterstützung von vielen Mitgliedern zählen können und – was noch wichtiger ist – die auch damit rechnen können, dass all ihre Mitglieder, Freunde und Gönner etwas an ihrem Stand konsumieren und damit das Vereinsbudget aufbessern. Kleine Vereine wie das Intermezzo haben weder die nötige Unterstützung noch ein Stammpublikum, das garantiert, dass das Altstadtfest nicht zum finanziellen Fiasko wird – nicht einmal dann, wenn sie nicht so zerstritten sind wie wir. Und dazu kommt, dass die Festbesucher nicht auf Kultur eingestellt sind, sondern auf Kulinarik. Die Durchführung des Kulturprogramms bindet aber viele Arbeitskräfte, die dann dort fehlen, wo das wirkliche Geld zu verdienen ist: beim Ausschank. Du siehst: ein Teufelskreis.«

Lovis verstand. Doch es war wohl nicht zu rütteln an dem Entschluss, und jetzt – etwas mehr als zwei Wochen vor Beginn des Festes – konnte man auch nicht mehr absagen. Die Programme waren gedruckt, Künstlerverträge abgeschlossen, Ausgaben gemacht worden …

»Na ja, jetzt heißt es: Augen zu und durch«, sagte in dem Moment Goggo laut und zog damit die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich. »Außerdem haben wir jetzt Verstärkung bekommen.« Er zeigte auf Lovis und grinste frech. »Den Wein kriegen wir schon einmal zu einem guten Preis, nicht, Lovis?«

Lovis verzog seine Miene zu einem schiefen Grinsen. Goggo spielte auf den Wein an, den er anbaute: Kerner, einen trockenen Weißwein mit leicht fruchtiger Note, für den sein Nachbar und Lieblingsfeind von Stadler regelmäßig Preise einfuhr. Lovis konnte sich einen richtigen Kellereibetrieb allerdings nicht leisten, und so landeten die Trauben in der Eisacktaler Kellerei, einer Weingenossenschaft, die seine Trauben zu Kerner verarbeitete. Wenn er Wein hätte sponsern sollen, hätte Lovis ihn zuerst selbst für teures Geld von der Genossenschaft abkaufen müssen. Abwehrend hob er die Hände.

»Nein? Ein Versuch war’s wert.« Goggo grinste. »Also kein Wein vom Messner Hof. Aber helfen tust du schon, oder?«

Noch jemand, der seine Hilfe wollte. Lovis unterdrückte ein Seufzen und nickte. »Klar helfe ich«, sagte er stattdessen. »Mitgehangen, mitgefangen.«

»Gut. Nachdem wir das geklärt hätten, könnten wir auch zur Tagesordnung übergehen. Also …« Die Obfrau kramte in ihrer Aktentasche und holte ein paar zusammengeklammerte Zettel heraus, die sie dem älteren Spieler in die Hand drückte und ihm bedeutete, sie an Lovis weiterzugeben. Dann atmete sie einmal durch und setzte ein Lächeln auf. »Unsere Eigenproduktion ist unser Hauptveranstaltungspunkt. Die muss sitzen. Und auch wenn wir beim Altstadtfest nicht viel damit verdienen werden: Die Aufführungen laufen ja danach noch weiter, wir können das Fest also einfach als Gratiswerbung nutzen. Den Lovis haben wir für eine klitzekleine Rolle mit ins Boot geholt. Was genau seine Aufgabe sein wird, erklärt euch Anita.«

Goggo lehnte sich unauffällig zu Lovis herüber und raunte ihm ins Ohr: »Die Obfrau-Stellvertreterin und Regisseurin. Ist das erste Mal, dass sie Regie führt, aber sie macht ihre Sache nicht schlecht.«

Lovis betrachtete das Textbuch, das inzwischen bei ihm angekommen war. »Alpenglühen«, sprang ihm der Titel entgegen und darunter: ein Krimidinner für 8 männliche und 5 weibliche Darsteller.

»Wir spielen ein Krimidinner zum Zuschauen. Wir stellen die Verdächtigen dar, und das Publikum darf raten, wer der Mörder ist«, erklärte Goggo.

»Genau«, bestätigte Anita. »Und wir haben ein Stück gefunden, das perfekt zum Fest passt, auch wenn wir die Proben ab jetzt wirklich ernster nehmen müssen, um noch hinzukommen. Es geht um Folgendes …« Und sie machte sich daran, Lovis in möglichst wenigen Worten den Inhalt des Krimidinners und seine Rolle zu erklären.

Dann sollte die Probe beginnen. Alle legten ihre privaten Gegenstände auf den Stühlen aus Hartplastik ab, die in einer unordentlichen Reihe vor der Bühne standen. Anita erschien mit einem zerfledderten Mantel vor Lovis.

»Der ist für dich.«

»Wofür?«

Sie grinste. »Du spielst einen Obdachlosen, der die ganze Zeit über auf der Bühne ist.«

»Wie … soll ich denn da …« … ermitteln, wollte er sagen, doch gerade rechtzeitig erinnerte er sich, dass er inkognito hier war und womöglich nicht einmal die Stellvertreterin von dem Auftrag ihrer Chefin wusste.

Die Obfrau rettete ihn, indem sie zu ihnen trat und sich in die Unterhaltung mischte. »Du hast eine Minirolle, Lovis, aber du bist tatsächlich die ganze Zeit über auf der Bühne und daher natürlich auch bei jeder Probe dabei.« Sie beugte sich vor und raunte ihm zu: »So kannst du alle im Auge behalten.«

Sie wechselte einen raschen Blick mit ihrer Stellvertreterin. Also wusste Anita über seine wahre Rolle bei diesem Spiel Bescheid.

Lovis nickte den beiden Frauen zu und nahm den Mantel entgegen. »Solange ich keinen Text habe … Auf eine große Rolle habe ich echt keine Lust.«

»Jede Rolle ist so groß, wie du sie spielst.« Goggo zwinkerte Lovis zu, dann wandte er sich ab und erklomm mit einem sportlichen Sprung die Bühne und meinte: »Ich bin bereit. Und du, Lovis?«

»Bereiter werde ich jedenfalls nicht«, murrte Lovis.

Anita zwinkerte ihm zu. »Vielleicht bist du am Ende von dir selbst überrascht.«

Lovis war nicht wirklich überzeugt, doch was blieb ihm anderes übrig? Um in diesem Fall zu ermitteln, musste er eben auf die Bretter, die die Welt bedeuteten – zumindest schienen sie einigen der versammelten Theaterspieler tatsächlich alles zu bedeuten, wenn Lovis auch nicht verstehen konnte, woher der Drang stammte, sich vor anderen zum Affen zu machen. Aber er musste auch nicht alles verstehen.

»Dass du irgendwann unter die Theaterspieler gehst, hätte ich nie gedacht.« Goggo hielt Lovis die Tür zu Schorschs Kneipe auf und ließ ihm den Vortritt. Mit einem Seufzen betrat er den Schankraum. Die Probe hatte bis nach zehn Uhr gedauert, und Lovis war dankbar gewesen, dass ihm Goggo eine Mitfahrgelegenheit angeboten hatte. Er war müde und sehnte sich nach seinem Bett. Außerdem würde er am nächsten Tag sehr früh aufstehen müssen. Die Tschechen hatten mit Paul vereinbart, um halb sechs Uhr morgens mit der Arbeit zu beginnen, um in der größten Mittagshitze eine Pause machen zu können. Hätte Lovis gewusst, dass Goggo darauf bestehen würde, den Abend in der Dorfkneipe ausklingen zu lassen, hätte er die Mitfahrgelegenheit wohl abgelehnt und wäre mit dem Rad durch die Nacht gefahren.

»Ich hätte eher gewettet, du vermeidest es, die Aufmerksamkeit der Leute auf dich zu ziehen.«

»Und du hättest die Wette gewonnen.«

»Welche Wette hätte Goggo gewonnen?«

»Dass der Lovis nie unter die Theaterspieler gehen würde.«

»Und die Wette hättest du gewonnen? Du willst nicht sagen, dass …«

Goggo nickte, vollführte einen Trommelwirbel auf dem Tresen und verkündete: »Tadaaa! Ich präsentiere Lorenz Lovis, das jüngste Mitglied des Intermezzo.«

»Du spielst jetzt Theater?« Schorsch war immer noch fassungslos.

»Ja, und du kannst aufhören mit deinem schlechten Schauspiel. Ich mach’s, weil …«, Lovis senkte die Stimme, »… ich ermittle.« Hier konnte er mit der Wahrheit rausrücken. Mit Goggo hatte er das bereits geklärt und sich gleichzeitig dessen Unterstützung zugesichert, und vor Schorsch blieb ein Geheimnis sowieso nie lange geheim.

Schorsch schnalzte mit der Zunge. »Dass ich das noch erleben darf! Da fällt mir ein …« Er räusperte sich und sprach lauter, damit die Alten am Stammtisch ihn auch hören konnten. »Geht ein Carabiniere ins Theater. Am Ende der Vorstellung erzählt der Komiker auf der Bühne den obligatorischen Carabinieriwitz. Der Carabiniere steht auf und schreit: ›He, ich bin ein Carabiniere!‹ Der Komiker: ›Kein Problem – Ihnen erkläre ich den Witz nachher.‹ Haha.« Schorsch lachte dröhnend, und die Alten am Stammtisch stimmten keckernd mit ein.

Lovis wartete, bis es wieder ruhiger wurde. »Und was hat der Witz mit meiner Entscheidung zu tun?«

»Das erkläre ich dir später.«

Wieder dröhnte der Schankraum vom Gelächter der Stammgäste. Lovis winkte ab. Er kannte die Antwort. Bis vor Kurzem war er bei der italienischen Staatspolizei gewesen, und Schorsch warf Lovis, um ihn zu ärgern, in einen Topf mit den Carabinieri, über die jeder in Italien gern Witze machte. Am liebsten er selbst. Manchmal hatte Lovis das Gefühl, Schorsch würde sich auf seine Besuche in der Kneipe vorbereiten, denn es verging kein Tag, an dem er ihn nicht mit einem neuen Carabinieriwitz begrüßte. Na ja, er gönnte ihm sein Hobby, solange er bei seinem Freund aus Jugendtagen neben diesen abgestandenen Carabinieriwitzen vernünftiges Bier und den neuesten Dorfklatsch serviert bekam.

So ein frisch gezapftes Bier stellte Schorsch jetzt vor ihn hin und meinte: »Theater also?«

Lovis nahm einen Schluck. »Theater also.«

»Und ich wollte ihn gerade darüber informieren, was bei uns im Intermezzo so läuft.« Goggo hob vielsagend seine Augenbrauen. »Oder besser gesagt nicht läuft.«

»Genau.« Froh über den Themenwechsel wandte sich Lovis Goggo zu. »Dann erzähl mal, was da nicht stimmt im Intermezzo.«

»Wo soll ich anfangen? Dass die Gruppe gespalten ist, hast du mitgekriegt?«

Lovis nickte. »Die Obfrau ist noch nicht so lang im Amt, hat aber große Pläne und scheint Entscheidungen zu fällen, ohne die Meinung der Gruppe einzuholen. Was für Entscheidungen sind das übrigens? Da war der eine ältere Herr, der was angedeutet hat.«

»Du meinst den Friedl?«

Lovis zuckte mit den Schultern. Da waren so viele Namen gefallen, kein Mensch konnte erwarten, dass er sich alle merkte. »Es war die Rede davon, dass die Gemeinde die Vereine nicht schätzt und nur dann mit Geld herausrückt, wenn Feuer am Dach ist. Und dann hat er gesagt, dass er nicht einverstanden ist mit dem, was die Obfrau entschieden hat.«

»Genau, das war der Friedl. Und er spielt auf unser Vereinslokal an.« Goggo nahm einen Schluck von seinem Bier. »Die Gemeinde hat uns schon seit Jahren ein Lokal zur Verfügung gestellt. Im Frühjahr hat uns die Gemeindeverwaltung dann gebeten, dass wir es mit dem Mahgreb-Kulturverein teilen. Angeblich, weil die Gemeinde gerade keine anderen Lokale zu vergeben hat.« Goggo hob unbehaglich die Schultern. »Die Marianne war gleich Feuer und Flamme und hat zugesagt. Sie und Anita sind so Multikulti-Flower-Power-Typen, und ich kann’s auch verstehen – zumindest verstehe ich den Gedanken hinter dem Vorgehen der Gemeinde. Schließlich sollen die neuen Mitbürger integriert werden, und wenn man sich ein Lokal teilt, gibt es notgedrungen Berührungspunkte. Aber … nicht jeder freut sich darüber, dass wir das Lokal jetzt zusammen nutzen.«

Lovis vermutete, dass das eine beschönigende Umschreibung für den Alltagsrassismus war, den es auch im idyllischen Südtirol gab.

Doch Goggo erwartete nicht, dass er Stellung bezog. »Egal, ob da jetzt der Kulturverein Mahgreb mit uns das Lokal nutzt oder eine Volkstanzgruppe: Marianne hätte diese Entscheidung nicht im Alleingang fällen dürfen. Das ist der offizielle Vorwurf.«

»Und wie denkst du darüber?«

Goggo schnitt eine Grimasse. »Mir ist es eigentlich egal. Rein objektiv ist es eine sinnvolle Maßnahme. Unser Lokal steht die meiste Zeit leer. Wir nutzen es eigentlich immer nur die zwei Monate vor einer Aufführung und da auch nur dreimal die Woche am Abend. Warum soll also nicht ein anderer Verein darin Platz haben? Und eigentlich hat die Gemeindeverwaltung Marianne das Messer auf die Brust gesetzt. Das darf man auch nicht vergessen.«

»Inwiefern?«

»Na ja, ohne ihr Zugeständnis hätten wir den Hofburggarten wahrscheinlich nicht als Aufführungsort bekommen. Zumindest nicht so exklusiv.«

»Weil auch noch andere den Garten gern nutzen würden?«

»Genau.« Goggo nahm wieder einen Schluck von seinem Bier. »Und da kommst du ins Spiel, vermute ich. Du sollst herausfinden, wer ständig diese Schäden anrichtet, oder?«

»Du denkst, dass es jemand von denen ist?«

»Sonst kommt ja wohl niemand infrage, oder?«

So wie Lovis das verstanden hatte, war das nicht die einzige Option. Im Gegenteil. Die Obfrau hatte ihn vor allem deshalb inkognito eingeschleust, weil sie die Täter in der Gruppe vermutete. Lovis bemühte sich um ein Pokerface, und Goggo verstand auf Anhieb.

»Moment mal! Du sagst mir jetzt nicht, dass du den Täter im Intermezzo suchst? Oder soll ich besser sagen, suchen sollst? Steckt Marianne hinter der Theorie?«

Wieder antwortete Lovis nicht, doch er fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Haut. Er konnte sich vorstellen, wie Goggo es empfinden musste, dass er sich nun praktisch im Fadenkreuz von Lovis‘ Ermittlungen befand – und das, während er ihm Informationen über den Verein lieferte.

»Ooookay, ich weiß jetzt nicht, wie ich das finde«, sagte der Bibliothekar. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er Lovis, während er wohl Revue passieren ließ, ob er sich mit einer seiner unbedacht dahingesagten Äußerungen schon auf die Verdächtigenliste katapultierthatte.

»Sorry«, sagte Lovis.

Goggo schüttelte den Kopf. »Kannst ja nichts dafür, aber …« Er hob die Schultern. »Ich muss das jetzt mal sacken lassen. Sei mir nicht bös, aber die Lust auf ein Bier ist mir vergangen.« Mit einer unbestimmten Geste verabschiedete er sich, und Lovis hoffte, dass er sich mit seinen Fragen nicht einen neuen Feind geschaffen hatte.

»Wieso ist er jetzt weg?« Schorsch tauchte vor Lovis auf, nahm ungefragt dessen Bierglas und hielt es noch einmal unter den Zapfhahn. »Hast ihn vergrault?«