Als Augustinus irrte... - Rolf Wiesenhütter - E-Book

Als Augustinus irrte... E-Book

Rolf Wiesenhütter

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Beschreibung

Augustinus schreibt im Jahr 420 n. Chr. die Enterbungslehre (Substitution) als Kirchengesetz in die "Catholica". Wie kam er zu dieser Auffassung, was lehrt uns die Bibel tatsächlich über die Heilsgeschichte Israels und welche Auswirkungen hat die Substitutionstheorie bis heute auf den Antisemitismus?

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Seitenzahl: 575

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Danke!

Von Herzen habe ich Grund zu danken. Zuallererst meinem Herrn und Heiland, durch den mir das Wesentliche des Themas aufgeschlossen wurde.

Meiner Frau danke ich von Herzen, die mir den notwendigen Freiraum gewährt hat um diese wichtige Arbeit fertigzustellen, und die mir in Rechtschreibung und Formulierungen mit Rat und Tat zur Seite stand.

Vielen Dank auch meinen Weggefährten im Glauben Prediger i.R. Heinz Laarhuis und Falko Wendlandt für ihre sachkundige Begleitung in allen Fragen zu Israel, sowie Dr. Volker Wagner, mit dem ich in vielen Stunden die Verständnisfragen der Thematik diskutieren konnte.

Last not liest mein Dank an Dr. Johannes Lerle, der mir die Interpunktion auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt und damit das vorliegende Standartwerk abgerundet hat.

Dipl. theol. Dr. h.c. PHD Rolf Wiesenhütter

Als Augustinus irrte...

Entstehung der Substitutionstheorie, die Heilsgeschichte Israels und der Antisemitismus

http://www.tredition.de

© 2017 Rolf Wiesenhütter

Umschlag, Illustration: tredition GmbH, Hamburg Rolf Wiesenhütter

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-7539-6

Hardcover:

978-3-7345-7540-2

e-Book:

978-3-7345-7541-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Bibeltexte entstammen, soweit nicht anders angegeben, der „Lutherübersetzung von 1912“ und der „Hoffnung für alle“.

Die Natur hat uns zwar viele Kenntnisse versagt, sie lässt uns über so manches in einer unvermeidlichen Unwissenheit, aber den Irrtum verursacht sie doch nicht. Zu diesem verleitet uns unser eigener Hang, zu urteilen und zu entscheiden auch da, wo wir wegen unserer Begrenztheit zu urteilen und zu entscheiden nicht vermögend sind.

Immanuel Kant * 22.04.1724, † 12.02.1804

Vorwort

Es gibt Irrtümer, die setzen sich fort durch die Menschheitsgeschichte, wie ein roter Faden sich durch ein gutes Buch entwickelt oder die Substanz eines großen Musikstückes bildet. Einer der größten Irrtümer in der Religionsgeschichte besteht darin, dass der Heilsweg des Volkes Israel, der sich eben wie ein roter Faden durch die Bibel im Alten wie im Neuen Testament zieht, von Menschenhand entstellt und verleugnet wurde. Man kann es kaum fassen, aber was Aurelius Augustinus, der im Jahre 354 n.Chr. in Thagaste geboren wurde und im Jahr 430 n.Chr. in Hippo Regius starb, verfasste, gehört bis heute zu den einflussreichsten autobiographischen Texten der Weltliteratur.

„Im Jahre 420 n. Chr. griff Augustinus den bereits im Jahr 160 n. Chr. durch Melito, den Bischof von Sardes, aufgekommenen Begriff des„Gottesmordes“ auf und entwickelte in der Ekklesiologie (Auslegung der Heiligen Schrift) die Theorie der Substitution (Enterbung) des Volkes Israel als auserwähltes Volk Gottes.“1

Erst im Jahr 1940 wurde die Schrift von Melito von Sardes wiederentdeckt, so dass wir heute dem Ausgangspunkt der Überlegungen von Augustinus folgen können. So beschrieb Melito sein Empfinden über den Kreuzestod Jesu wie folgt:

„Welch schlimmes Unrecht, Israel, hast du getan? Du hast den, der dich ehrte, geschändet...Du bereitetest ihm spitze Nägel und falsche Zeugen und Fesseln und Geißeln und Essig und Galle und das Schwert und die Trübsal wie für einen Raubmörder...Getötet hast du den Herrn inmitten Jerusalems! Höret es, alle Geschlechter der Völker und sehet: Unerhörter Mord geschah inmitten Jerusalem in der Stadt des Gesetzes, der Hebräer, der Propheten, in der Stadt, die für gerecht galt! Der die Erde aufhing, ist aufgehängt worden; der die Himmel festmachte, ist festgemacht worden; der das All befestigte, ist am Holz befestigt worden (...) der Gott ist getötet worden; der König Israels ist beseitigt worden von Israels Hand. Oh, welch unerhörter Mord! Oh, welch unerhörtes Unrecht!2

Aus dieser Verzerrung der biblischen Überlieferung formulierte Augustinus ein Dogma für die Ekklesiologie in Bezug auf das Volk Israel und schlussfolgerte: Der Gott des Himmels und der Erde hat das Volk Israel ein für alle Mal von der Auserwählung verworfen. Die Kirche tritt an die Stelle von Israel und ist nun in Stellvertretung von Gott erwählt, die Heilsgeschichte zu vollenden. Das Problem daran ist nur, dass Gottes Wort weder im Alten noch im Neuen Testament diese Festlegung hergibt, so dass wir davon ausgehen müssen, es mit einer frühkirchlich entstandenen Theorie zu tun zu haben, die jeglicher Beweisführung durch Gottes Wort entbehrt. So müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass auch Gelehrte aus der Kirchengeschichte durch menschliches Hinzutun und beschränkte Sicht irren können. Auch wenn die katholische Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine vorsichtige Korrektur in Angriff genommen hat, indem sie erklärt, man könne das Christentum von den jüdischen Wurzeln nicht trennen, so sind die Folgen menschlicher Dogmatisierung verheerend. Verfolgung und Mord an den Juden vollziehen sich seit zweitausend Jahren. In Religion und Politik vollzieht sich der durch die Substitutionstheorie begründete Antisemitismus bis in unsere Tage. In der katholischen wie in der evangelischen Kirche und bis in verzweigte freikirchliche Kreise hat sich die Irrlehre verfestigt und wird mit Überzeugung verkündet: „Wir sind an die Stelle des Volkes Israel getreten und sind nun das von Gott erwählte Volk. Mit uns wird der lebendige Gott das Heilsgeschehen, dass ursprünglich für das Volk Israel vorgesehen war, vollenden.“

Mit diesem Buch wird der Versuch unternommen, die Heilsgeschichte des Volkes Israel vom Beginn bis heute zu erzählen und insbesondere die Wichtigkeit der Erwählung des Volkes Gottes, die niemals aufgekündigt wurde, zu erklären. Dabei muss gleich zu Beginn hervorgehoben werden: Alle Erkenntnis ist Stückwerk! Insofern kann der Autor trotz Gewissenhaftigkeit keine Vollständigkeit garantieren. Wie alle Menschen bin ich auf die Güte Gottes angewiesen, der mir in seiner Barmherzigkeit Erkenntnis durch den Heiligen Geist zuteilwerden lässt, sowie das Vertrauen in die Integrität zum Wort Gottes und zu meinen Lehrern schenkt, die sich mühten, mir den Horizont in Bezug auf Israel in Geschichte und Gegenwart zu eröffnen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhalt

Alphabetisches Inhaltsverzeichnis und Abkürzungen der biblischen Bücher

1. Das Heil, die Heilsgeschichte und der göttliche Heilsplan

1.1 Das Heil

1.2 Die Heilsgeschichte

1.3 Der göttliche Wille und Heilsplan

2. Die Substitutionstheorie (Enterbungslehre)

2.1 Aurelius Augustinus religionsphilosophischer Hintergrund

2.2 Die Darstellung von Augustins „Bekehrung“

2.3 Der Manichäismus

2.4 Von der Zwei–Welten Lehre zum Neuplatonismus

2.5 Augustins Verständnis vom „Haus Gottes“

2.6. Der Einfluss der afrikanischen Kirche

2.6.1 Der Kirchenbegriff Tertullians

2.6.2 Cyprian und Optatus

2.7 Volk und Haus Gottes in Augustinus Lehre

2.8 Fazit

3. Was uns die Bibel über Bekehrung erzählt

4. Segne Israel

5. Vorbemerkungen

5.1 Israels Quellen

5.2 Die Bundesbeziehungen

5.2.1 Wenn die Bibel von einem Bund spricht

5.2.2 Der ewige Blutbund der Hebräer

5.2.3 Der monotheistische Gott

5.2.4 Die Schöpfungsordnung

6. Die Heilsgeschichte Israels im Alten Testament

6.1 Noah, Abraham und Mose

6.2 Der Bundesschluss am Sinai

6.3 Isaak, Jakob und Joseph

6.4 Die Stämme Israels in der Heilsgeschichte

6.5 Die Propheten im Alten Bund – Boten des Gerichts und des Heils

6.5.1 Elija

6.5.2 Amos

6.5.3 Hosea

6.5.4 Jesaja

6.5.5 Jeremia

6.5.6 Ezechiel

6.5.7 Esra, Nehemia und Esther

6.5.8 Joel

6.5.9 Daniel

6.6 Epilog: Israel zwischen Gericht und Heil im Alten Testament

7. Die Heilsgeschichte Israels im Neuen Testament

7.1 Der Neue Bund

7.2 Die Heilsgeschichte Israels in den Evangelien

7.3 Die Heilsgeschichte Israels in den paulinischen Schriften

7.4 Epilog

8. Der Ölbaum in der israelischen Heilsgeschichte

9. Die Heilsgeschichte Israels in den sieben Festen des Messias

9.1 Das Passahfest

9.2 Das Fest der ungesäuerten Brote (Chag HaMazzot)

9.3 Das Fest der Erstlingsfrüchte (Bikkurim)

9.4 Das Pfingstfest (Schawuot)

9.5 Rosch HaSchanah, die Zeit der Umkehr – Teschuwa

9.6 Jom Kippur – Der Versöhnungstag

9.7 Sukkot - das Laubhüttenfest

9.8 Epilog

10. Biblisch – heilsgeschichtliche Studie zum Tempel Gottes

10.1 Die Stiftshütte -- das Heiligtum Gottes in der Wüste

10.2 Der Tempel Salomos

10.3 Der Tempel Serubbabels - das wiederaufgebaute Heiligtum Gottes

10.4 Der Tempel des Leibes Jesu

10.5 Der geistliche Tempel der Gemeinde

10.6 Der Tempel des Hesekiel

10.7 Das himmlische Jerusalem als Tempel (Allerheiligstes)

11. Die Heilsgeschichtliche Stellung Israels in der Endzeit

11.1 Israel, das Endzeitzeichen Nr. 1

11.1.1 Israel in der endzeitlichen Prophetie (Gericht)

11.1.2 Israel in der endzeitlichen Prophetie (Gemeinde)

11.1.3 Jerusalem - erwählt von Gott

11.1.4 Jerusalem - als Heilsgeschichte

11.1.5 Jerusalem - in unseren Tagen

11.1.6 Jerusalem - in der Endzeit

11.1.7 Das neue, himmlische Jerusalem

11.2 Die Sammlung des Hauses Israel

11.3 Israel und die Zukunft unserer Welt

11.4 Die Bekehrung Israels

11.5 Sieben wichtige Vorhersagen für die Endzeit

11.5.1 Gott wird die globale Selbstausrottung der Menschen verhindern

11.5.2 Die jüdische Präsenz im Heiligen Land wird an Bedeutung gewinnen

11.5.3 Die endzeitlichen Könige des Nordens und des Südens

11.5.4 Die endzeitliche Vereinigung europäischer Nationen

11.5.5 Der endzeitliche Aufstieg und Niedergang Israels und Juda`s

11.5.6 Die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt

11.5.7 Die weltweite Kommunikation durch Gottes letzte Zeugen

11.5.8 Conclusion

12. Der Antisemitismus – von Augustinus bis heute

12.1 Zusammenfassung der jüdischen Geschichte

12.2 Israels Wiedergeburt

12.3 2000 Jahre Antisemitismus

12.4 Antisemitismus heute

12.5 Israel und der Islam in der Neuzeit

12.6 Zitate aus dem Koran über das Verhältnis zu Juden und Christen

13. Die Substitutionstheorie in der christlichen Welt

13.1 Der Katholizismus

13.2 Der Protestantismus

13.3 Freikirchen

13.3.1 Die Brüderbewegung

13.3.2 Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten

13.4 Der Antisemitismus bei Calvin

13.5 Der Antisemitismus im Dispensationalismus

13.6 Der Antisemitismus bei Luther

13.7 Der Antisemitismus im Islam

14. Auf ein Wort zum Schluss

Anhang: Literaturverzeichnis

Alphabetisches Inhaltsverzeichnis und Abkürzungen der biblischen Bücher

Am.

Amos

Apg.

Apostelgeschichte

1.Chr.

1. Chronik

2.Chr.

2. Chronik

Dan.

Daniel

Eph.

Epheser

Esra

Esra

Est.

Ester

Gal.

Galater

Hab.

Habakuk

Hag.

Haggai

Hebr.

Hebräer

Hes.

Hesekiel (Ezechiel)

Hiob.

Hiob (Ijob)

Hld.

Hohelied

Hos.

Hosea

Jak.

Jakobus

Jer.

Jeremia

Jes.

Jesaja

Joel

Joel

Joh.

Johannes

1.Joh.

1. Johannes

2.Joh.

2. Johannes

3.Joh.

3. Johannes

Jona

Jona

Jos.

Josua

Jud.

Judas

Klgl.

Klagelieder

1.Kön.

1. Könige

2.Kön.

2. Könige

Kol.

Kolosser

1.Kor.

1. Korinther

2.Kor.

2. Korinther

Luk.

Lukas

Mal.

Maleachi

Mi.

Micha

Mk.

Markus

Matth.

Matthäus

1.Mo.

1. Mose (Genesis)

2.Mo.

2. Mose (Exodus)

3.Mo.

3. Mose (Levitikus)

4.Mo.

4. Mose (Numeri)

5.Mo.

5. Mose (Deuteronomium)

Nah.

Nahum

Neh.

Nehemia

Obd.

Obadja

Offb.

Offenbarung

1.Petr.

1. Petrus

2.Petr.

2. Petrus

Phil.

Philipper

Phlm.

Philemon

Pred.

Prediger (Kohelet)

Ps.

Psalm(en)

Ri.

Richter

Röm.

Römer

Rut.

Ruth

Sach.

Sacharja

1.Sam.

1. Samuel

2.Sam.

2. Samuel

Spr.

Sprüche (Sprichwörter)

1.Thess.

1. Thessalonicher

2.Thess.

2. Thessalonicher

1.Tim.

1. Timotheus

2.Tim.

2. Timotheus

Tit.

Titus

Zef.

Zefanja

In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.

Kolosser 2,3

1. Das Heil, die Heilsgeschichte und der göttliche Heilsplan

1.1 Das Heil

Wir mussten schon Zeiten erleben, in denen Heil gerufen wurde und Unheil geschah. „Heil unserem Führer“ schrien nicht nur Politiker und Militärs, sondern auch Christen der unterschiedlichsten Denominationen. Mit diesem Ausdruck wünschte man dem Herrscher Glück und Segen. Andere sprechen davon, dass dann, wenn jemand ein Unheil glücklich überstanden hat, ihm dieses zum Heil dient. Wir sehen, wichtige Inhalte verkommen zu Wortspielen. Heilmachen, Heilbaden, Heilquellen oder Heilfasten sind geläufige Begriffe. Wenn aber die Bibel von „Heil“ spricht, dann meint sie weder irdisches Glück noch zeitlichen Segen. Diese Dinge sind vergänglich und unvollkommen. Was uns Gottes Wort im Begriff „Heil“ vermittelt, ist das höchste und ewige Glück, welches uns Menschen zuteilwerden kann. Ist in biblischem Sinne das „Heil“ eingetreten, dann haben wir Gemeinschaft mit Gott, wir haben Frieden in der Seele und in unserem Herzen das Bewusstsein, ein Kind Gottes zu sein. Als Jesus zu Zachäus sprach:

„Heute ist deinem Hause Heil widerfahren (…)“(Luk. 19,9)

so bedeutete dies, dass der Erlöser, der die durch die Sünde zerstörte Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott wieder hergestellt hat, sein Heiland geworden war. Insofern ist die richtige Definition von „Heil“ für den Menschen die Tatsache, dass Jesus Christus der Sohn Gottes und selbst Gott, der Herr im Leben eines Menschen geworden ist.

1.2 Die Heilsgeschichte

Das erste Fenster der Heilsgeschichte Gottes wird von den Theologen gerne das „Zeitalter der Unschuld“ genannt. Es ist die Zeit von der Schöpfung und der Erschaffung des Menschen bis hin zu seinem Sündenfall im Garten Eden. Der Mensch wurde von Gott geschaffen und als perfekte Schöpfung in den paradiesischen Garten Eden gesetzt. Er hatte nie etwas Schlechtes, Bösartiges getan – Sünde war ihm völlig fremd! Und so gab es bis zum Sündenfall weder Schuld noch Schuldbewusstsein.

„Daher sagt man, dass diese Epoche das „Zeitalter der Unschuld“ war. 3„Durch das Eintreten eines himmlisch-kosmischen Unheilsereignisses des schirmenden, gesalbten Cherubs, in der Engelwelt und eines irdischen Unheilsereignisses Adams, entstand in unserer Welt die Notwendigkeit eines „Heilsweges“. Diesen Heilsweg hat Gott, der Vater, vor Grundlegung der Welt in Jesus Christus beschlossen und in der Zeit, in SEINEM Sohn, die Grundlage zur Erlösung des ganzen Alls gelegt, bis hin zur Vollendung.“4

Auch das Wort „Geschichte“ wird vielfach in einem doppelten Sinn gebraucht. Man beschreibt damit zum einen das vergangene Geschehen in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, zum anderen aber die Dokumentation der Erforschung und Darstellung beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung. Erwartet werden damit Einsichten in das menschliche Wesen, die unerlässlich sind für das selbstständige Denken und Handeln des Menschen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet „Geschichte“ die Erzählung von Darstellungen von Handlungszusammenhängen. In diesen Definitionen finden wir kein abgeschlossenes Geschichtsbild, sondern Momentaufnahmen und allenfalls vorläufige Wahrheiten. Wer uns Geschichten erzählt, teilt uns entweder das mit, was geschieht, oder das was der Vorstellungswelt des Erzählenden entspringt. Eine offerierte Geschichte muss also nicht zwangsläufig wahr sein. Das unterscheidet die weltlichen Vorstellungen von der biblischen Heilsgeschichte. In ihr finden wir die wahrhaftige Erzählung von Gegebenheiten, die einen Anfang, ihren Fortgang und ihr Ende haben. Wir erfahren also nicht nur die bloßen Vorgänge, sondern auch ihre Ursachen, Wirkungen und Ziele. In der biblischen Geschichte des Heils lernen wir alles kennen, was von Seiten Gottes geschehen ist, wie das Gemeinschaftsverhältnis des Menschen zu Gott ist und was nötig ist, um das von Gott vorgesteckte Ziel zu erreichen. Vertrauen wir auf Gottes Wort, dann erleben wir unsere persönliche Heilsgeschichte, und wir verstehen die komplexen Zusammenhänge, die unser persönliches Heil mit der Geschichte des von Gott vor Grundlegung der Welt erwählten Volkes Israel verbindet. Das Grundlegende dabei ist, dass das heilsgeschichtliche Geschehen nicht planlos verläuft, sondern dass ein Plan dahintersteht, nämlich der Plan Gottes. Und dieser Plan zieht sich zur Verherrlichung Gottes durch die Geschichte hindurch. Wesentlich handelt es sich um einen Geschehenszusammenhang dergestalt, dass Gott durch seine Offenbarung von oben einbricht in die irdisch-sichtbare Realität, dass er Geschichte macht mit dem Menschen, zuerst mit seinem Volk und dann mit seiner Gemeinde. Offenbarungshandeln und Offenbarungsreden Gottes sind hier festzustellen. Es ist wichtig, dass es sich um wirklich geschichtliches Geschehen handelt, keine Übergeschichte, keine abgehobene Sphäre, sondern das Wirken Gottes in der Geschichte. Ferner gibt es das Zusammensein von Kontinuität und Diskontinuität. Es findet sich eine Grundlinie von der Schöpfung bis zur Vollendung des Reiches Gottes. Aber dieser Plan Gottes entfaltet sich nicht etwa in menschlich zu konstruierendem oder vorauszusagendem Ablauf, sondern es gibt Sprünge und Brüche und Überraschungen in dieser Geschichte, weil Gott ein lebendiger und souveräner Herr ist, der nach seinem Plan handelt, nicht nach unseren Vorstellungen. Ein grundlegendes Begriffspaar lautet "Verheißung und Erfüllung". Gott verheißt Entwicklungen, die eintreten werden, und diese finden ihre Erfüllung zu ihrer Zeit. Beispielsweise der Schritt vom alten zum neuen Bund ist solch ein wichtiges Weiterschreiten von Verheißung zu Erfüllung; aber auch heute erleben wir Erfüllungen, etwa im Blick auf Israel und die Endzeitereignisse. Zu beachten ist auch das Zusammenwirken von Universalgeschichte und Heilsgeschichte. Universalgeschichte ist die Weltgeschichte, die – auch ohne zunächst auf geistliche Zusammenhänge zu blicken – sich entfaltet. Heilsgeschichte hingegen ist der Aspekt der Geschichte, der sich speziell auf Gottes Wirken mit seinem Volk, seiner Gemeinde und mit einzelnen Menschen bezieht. In Eph. 1,9f. lesen wir:

"Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss (oikonomia), den er zuvor in Christus gefasst hatte, um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist".

Vom "Ratschluss", vom "Heilsplan" Gottes ist die Rede. Gott hat einen Heilsplan, den er ausführen will. Heilsgeschichte hat es also mit einem Heilsplan zu tun. Sie schreitet fort in der Geschichte. Sie hat ein Endziel, verläuft also nicht zyklisch, sondern teleologisch oder finalistisch, auf ein Ende und Ziel hin ausgerichtet. Heilsgeschichte umfasst daher den progressiven (fortschreitenden) offenbarten Plan Gottes zum Heil der Menschheit und die Ausführung dieses Plans in der menschlichen Geschichte mit dem Endziel, Gott zu verherrlichen. Und dieser Heilsplan ist soteriologisch(Lehre vom vollendeten Heil bzw. der Erlösung des Menschen), theozentrisch (Gott im Zentrum habend) und geschichtlich strukturiert: soteriologisch bezüglich des Heils des Menschen und der Menschheit, soweit sie sich retten und rufen lässt; theozentrisch, indem Gott verherrlicht wird als Endziel dieses Heilsplans; und geschichtlich, weil heilsgeschichtliche Ereignisse in der Geschichte geschehen sind. In 1. Mose 12,1-3 finden sich drei andere Aspekte neben "soteriologisch, geschichtlich und theozentrisch", nämlich "persönlich, national und universal": In Vers 1 geht es um Abram, um den persönlichen Aspekt: Abram soll aus seinem Haus gehen in ein Land, das Gott ihm zeigen will. Der Heilsplan Gottes beginnt mit Abram ganz individuell. Dann heißt es: "Ich will dich zum großen Volk machen". Das ist das Volk Israel, das unmittelbar aus den Lenden Abrahams hervorgeht – der nationale Aspekt. Und schließlich wird gesagt: "In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden", – der universale Aspekt. Wir können sagen, dass es in der Heils- und endgeschichtlichen Entwicklung vier Linien gibt, die parallel auf das Kommen des Herrn zulaufen: die Israellinie, die Gemeindelinie, die Gerichts- oder Verführungslinie und die Missions- oder Evangelisationslinie. Was uns im nachfolgenden interessiert, ist die Israellinie. Sie begann mit der Berufung Abrahams (Gen. 12,1-3). In ihm erwählte sich Gott Israel als Bundesvolk. Im Lauf der Jahrhunderte war jedoch Israel Gott gegenüber immer wieder ungehorsam und hat schließlich Jesus als seinen Messias abgelehnt. Danach wurde ein Teil Israels verstockt, sein Land wurde verwüstet, sein Tempel wurde 70 n. Chr. zerstört und seine Bewohner wurden für fast zwei Jahrtausende in alle Welt zerstreut.

„Erst im 20. Jahrhundert ist wie durch ein Wunder die lange vorher prophezeite (z.B. in Jes. 11,10ff; 43,5 f.; Hes. 36-39; Sach. 8,7 f.; Dan. 12,7) politische Sammlung Israels erfolgt, wobei seine geistliche Erneuerung größtenteils noch aussteht (Röm. 11,25). In den Endzeit-Ereignissen wird Israel eine bedeutende Rolle spielen (vgl. z.B. Jes. 2,24; Sach. 12 u.14; Dan 9,27; Mi 4,1-8).“5

1.3 Der göttliche Wille und Heilsplan

Als Gott die Menschen schuf wollte er, dass sie zunächst auf Erden und dann, wenn sie Jesus als ihren Herrn und Heiland angenommen haben, im Himmel mit ihm in Gemeinschaft leben sollten. In 1. Johannes 5,11-12 wird uns das wie folgt berichtet:

„Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht“.

Die Schrift lehrt auch, dass keine Menge menschlicher Güte, menschlicher Werke, menschlicher Moralität oder religiöser Aktivität die Anerkennung Gottes und den Eintritt in den Himmel erlangen kann. Der moralische Mensch, der religiöse Mensch, ebenso wie der unmoralische und der nicht-religiöse Mensch sitzen alle in demselben Boot. Ihnen fehlt Gottes perfekte Gerechtigkeit. Nachdem der Apostel Paulus den unmoralischen Menschen, den moralischen Menschen und den religiösen Menschen in Römer 1,18-3,8 behandelt, erklärt er, dass sowohl Juden und Griechen der Sünde untertan sind. Paulus schreibt: ,,Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer" (Röm. 3,10). Aber wir dürfen wissen: Gott ist nicht nur perfekte Heiligkeit (eine Heiligkeit, die wir nie durch unsere eigenen gerechten Werke erreichen können), er ist auch perfekte Liebe und voller Güte und Gnade. Aufgrund Seiner Liebe und Seiner Güte hat er uns nicht ohne Hoffnung und ohne eine Antwort gelassen. Das ist die gute Nachricht der Bibel, die Botschaft des Evangeliums. Es ist die Botschaft der Gabe von Gottes einzigem Sohn, der Mensch wurde, ein sündloses Leben führte, für unsere Sünden am Kreuz starb und vom Grab auferstand, um zu zeigen, dass er in Wirklichkeit Gottes Sohn ist, und dass sein Tod als Stellvertreter für uns Gültigkeit erreicht hat. Aufgrund dessen, was Jesus Christus für uns am Kreuz vollbracht hat, sagt die Bibel: ,,Wer den Sohn hat, der hat das Leben"(1. Joh. 5,12). Wir können den Sohn, Jesus Christus, durch einen persönlichen Glauben als unseren Erretter empfangen, indem wir in die Person Christi und in seinen Tod für unsere Sünden Vertrauen haben.

Gott hat also den Menschen zum Heil geschaffen und bestimmt. Alles „Heil“ hat daher den Willen Gottes zum Ausgangspunkt. Wir nennen dies den göttlichen Heilswillen. Und dieser Heilswille enthielt bereits vor Grundlegung der Welt den Plan, dass Gott seinen Sohn geben würde zur Vergebung unserer Schuld. Um diesen Plan durchzuführen wählte Gott die immer fortführende Selbstoffenbarung. Im alten Bund offenbarte er sich Männern wie Noah und Abraham durch persönliche Mitteilung. Dabei ist ganz wichtig, dass Gott sich zuerst dem Volk Israel offenbarte, und zwar durch Mose und Elia. So ist die Heilsgeschichte auch die Geschichte der Offenbarung Gottes an die Menschen. Von Anfang an muss erkannt werden, dass die Geschichte der christlichen Kirche zwar verwandt ist mit der Heilsgeschichte, sie ist aber nicht gleichbedeutend mit ihr. Sie zeigt nur, wie das in der Heilsgeschichte gewordene Heil unter der Einwirkung des Heiligen Geistes von der Kirche verwaltet, ihren Gliedern vermittelt und den Völkern der Erde zugänglich gemacht werden sollte. Obgleich alle Menschen Anteil haben dürfen am Heilsgeschehen Gottes, so gibt es doch einen unübersehbaren Unterschied, den niemand leugnen kann. Jesu Worte in Joh. 4,22 zeigen uns in einem Satz den Unterschied zwischen allen Völkern und Nationen auf der einen Seite und den Juden auf der anderen.

“Ihr wisset nicht, was ihr anbetet. Wir wissen aber, was wir anbeten. DENN DAS HEIL KOMMT VON DEN JUDEN.”

Jesus sagt also gerade heraus: Nur das jüdische Volk kennt Gott und Sein Heil. Andere Völker beten einen ihnen unbekannten Gott an – und sie sind alle Heiden in biblischem Sprachgebrauch, d. h. „Nicht-Juden“. Von keinem anderen Volk ist gesagt: “Das Heil kommt von ihnen”. Dies ist ein Unikat in der Weltgeschichte und muss den Juden eine andere Rolle vor allen anderen Nationen in der Geschichte geben. Die Juden sind anders, weil Gott sie auserwählt hat, sein Demonstrationsvolk und Missionsvolk für die übrigen Völker zu sein. Es ist nämlich auch nicht von irgendeinem anderen Volk gesagt:

„In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden”. (1. Mo. 12,3.)

Der Apostel Paulus deutet dasselbe an, wenn er sagt:

“Was haben denn die Juden für einen Vorzug? – Sehr viel und auf jegliche Weise. Zum ersten ist ihnen anvertraut, was Gott geredet hat“. (Röm. 3,1-3)

Wir beobachten, dass Jesus und Paulus in diesen Worten von den Juden als Nation sprachen. Nach der scharfen Kritik Jesu an den blinden und korrupten Theologen seiner Zeit hätten wir erwarten können, dass er gesagt hätte: „Das Heil kommt von mir.“ Oder „von dem echten, geistigen Kern Israels“. Es steht aber: „Das Heil kommt von den Juden“.6 Wie also könnte der lebendige Gott das Volk Israel verwerfen? Eine solche Verwerfung würde zwangsläufig bedeuten, dass auch der Heilsplan Gottes verworfen wäre, weil dieser untrennbar mit dem Volk Israel verbunden ist. Wir wären alle unwiederbringlich verloren, unsere Frömmigkeit wäre nichts nütze.

Sehet zu, dass euch nicht jemand beraube mittelst der Philosophie und leeren Truges nach menschlicher Überlieferung, nach den Elementen der Welt und nicht nach Christus.

Kolosser 2,8

2. Die Substitutionstheorie (Enterbungslehre)

2.1 Aurelius Augustins religionsphilosophischer Hintergrund

Das Kirchenverständnis von Augustinus entstand nicht aus dem Nichts. Es ist auch nicht einer persönlichen Abneigung gegen Israel geschuldet. Vielmehr kam Augustinus durch die Erziehung und Ausbildung in seiner Jugend zu diesem fatalen Entschluss, dass das auserwählte Volk Israel von Gott ein für alle Mal verworfen sein würde.

„Bereits als der Jünger Johannes im Jahr 101 n.Chr. starb, gab es in der jungen christlichen Gemeinde erste Abweichungen vom Wort Gottes. Johannes war übrigens der einzige der 12 Apostel, der eines natürlichen Todes starb.“7

Die Religionsphilosophen befleißigten sich bereits, ihr menschliches Verstehen und Wissen über das Erleben und Hören dessen, was Jesus und die Apostel verkündigten, über das Reden und Handeln des lebendigen Gottes zu stellen.

„So sprach man dem Philosophen Augustinus zunächst ein tiefes Verhältnis zur entstandenen christlichen Kirche ab und ordnete seiner Sichtweise den Makel reiner Vergeistigung zu.“8

2.2 Die Darstellung von Augustinus „Bekehrung“

Augustinus hat uns mehrere Darstellungen seines Bekehrungsweges hinterlassen. Zu wichtig war es ihm, der Welt mitzuteilen, was die große beglückende Wendung seines Lebens geworden war. Augustinus sagt in seinen Bekenntnissen:

„Im Verlauf des herkömmlichen Studiums stieß ich auf ein Buch eines gewissen Cicero, dessen Sprache im Gegensatz zu seinem Charakter nahezu ausnahmslos bewundert wird. Dieses Buch aber - es trägt den Titel Hortensius - enthält eine Aufforderung zur Philosophie. Es war dieses Buch, das meinen Sinn veränderte, gerade dir, Herr, meine Gebete zukehrte und mein Wünschen und Verlangen anders werden ließ. Plötzlich war all meine eitle Erwartung für mich ohne Wert, und mit unglaublicher Inbrunst begehrte ich nach der unsterblichen Weisheit; ich begann mich aufzurichten und zu dir zurückzukehren“. Cicero Hortensius bekehrte Augustinus also zunächst einmal zur Philosophie, zur Suche nach der Weisheit.“ 9 Er sagt weiter:

„So studierte ich damals, in meiner leicht verführbaren Jugend, die Lehrbücher der Beredsamkeit, in der ich glänzen wollte, verlockt von dem tadelnswerten und verwerflichen Ziele, menschlicher Eitelkeit zu frönen. Dieses Buch gab meiner ganzen Sinnesart eine andere Richtung, lenkte meine Gebete hin zu dir, o Herr, und änderte meines Wünschens und Sehnens Inhalt. Plötzlich sanken mir alle eitlen Hoffnungen in nichts zusammen; mit unglaublicher innerer Glut verlangte ich nach unsterblicher Weisheit, und schon begann ich mich zu erheben, um zu dir zurückzukehren. Nicht um auf Kosten meiner Mutter meine Gewandtheit im Stile zu schärfen - ich war neunzehn Jahre alt, der Vater mir vor zwei Jahren gestorben -, also nicht um meine Sprachfertigkeit zu vervollkommnen, las ich immer und immer dieses Buch; nicht seine Form, sondern sein Inhalt fesselte mich derartig“.10

Aus dem Buch Hortensius entwickelte Augustinus zunächst den manichäischen Rationalismus. In der „Confessiones“ findet sich die Erzählung seiner Bekehrung. Hier findet sich das Material, um den inneren Vorgang auf dem Weg Augustins zum Christen tum und zur Kirche sichtbar werden zu lassen. Sein innerer Sinngehalt war die Bekehrung zur konkreten Ecclesia (Gemeinde). Er erklärt: „Ich fing an aufzuwachen und meinte, die Weisheit als Ziel des Lebens zu verstehen“. 11 Allerdings führte die weltliche Philosophie zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten. So verstand er den Begriff der geistlichen Substanz nicht, ebenso das Problem des Bösen und die Inhalte der alttestamentlichen Schriften in denen er eine seiner gereinigten philosophischen Begriffen zuwiderlaufende „anthropomorphistische“ 12 Gottesauffassung zu finden meinte. Er sah darin eine mit seinem Weisheitsideal nicht verträgliche moralische Haltung. Sein eigentlich umstürzendes „Bekehrungserlebnis“ aber war seine Begegnung mit dem Neuplatonismus, von dem er meinte, dies hätte ihm die geistige Substanz vermittelt, die ihm die Schau zum göttlichen Licht selbst, zum Genuss der göttlichen Speise, führen würde. „Das „Deus erat verbum“ (Übers. Das Wort ward Gott) fand Augustinus nach eigener Aussage in den platonischen Schriften.“13 So ist das Ziel seiner Bekehrung tatsächlich die vollendete reine Philosophie. Dennoch bleibt Augustinus nicht bei den Platonikern stehen, sondern er greift zur Heiligen Schrift. Als Grund dafür gibt er an, dass seine Mutter, die tief im christlichen Glauben stand, ihn lehrte, dass eine Weisheit ohne Christus keine vollendete Weisheit sein konnte. Allerdings befand sich Augustinus immer wieder in dem „hermeneutischen“14 Konflikt, dass der höchsten philosophischen Reinheit nun die alleinige religiöse Verehrung zukommen sollte. „Bekehrung“ bedeutete letztlich für Augustinus, dass durch Zusammenfallen von Metaphysik und Religion das Antlitz des lebendigen Gottes gezeichnet werden könne.

„Der Neuplatonismus wurde als Beleg gewertet, dass man zur Schau der wahren Wirklichkeit nur gelangen könne, indem man zuvor einen Reinigungsprozess durchlaufe, der die Schlacken der Sinnenwelt abstreift und stufenweise höher führt, in die wahre Wirklichkeit hinein. Und dieses Privileg gehöre den Philosophen.“

2.3„Der Manichäismus“15

„Der Manichäismus, eine vom Perser Mani (gest. 276 n. Chr.) gegründete synkretistische Religion, in der Elemente des Buddhismus, des Zoroastrismus und des Christentums zusammengefasst sind, war eines der einflussreichsten Systeme gnostischer Prägung. Noch bis zum 5. Jahrhundert auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reiches als eine der stärksten Konkurrenten des Christentums existent, war auch der Kirchenvater Augustinus (354-430) selbst in jungen Jahren Anhänger dieser Religion gewesen.“16

Die manichäische Mythologie geht davon aus, dass die ewig getrennt nebeneinander existierenden Prinzipien Gut (Licht) und Böse (Finsternis oder Hyle (griechisch: Materie)), ausgelöst durch den Neid der Finsternis, in einen Kampf miteinander treten. Dabei wird durch ihren Konflikt ein mehrstufiger, komplexer und mit großer Symbolik beschriebener Prozess der Weltentstehung ausgelöst, in dem beide Prinzipien vermischt vorkommen. Die Welt ist ein Gebilde aus dämonischen Bestandteilen und den „Lichtfunken“, deren Wiederaufstieg zur himmlischen Heimat das Böse verhindern will. „Der Gläubige muss durch Erkenntnis des Urgrundes seiner Seele, ihrer Herkunft vom Lichtgott her, die ihm durch einen Erlösergeist (den „Glanz-Jesus“) vermittelt wird, aus der materiellen Welt befreit werden, damit beide Prinzipien wieder auf ewig voneinander geschieden wären.“17

Wichtigster Aspekt der Lehre ist die dualistische Teilung des Universums in die Reiche des Guten und des Bösen. Der Weg zur Erlösung führt über die Erkenntnis des Lichtreiches, die Propheten wie Buddha, Jesus und - in letzter Instanz - Mani vermitteln. Mit diesem Wissen vermag die menschliche Seele die Begierden zu überwinden und ins Reich Gottes emporzusteigen. Die Manichäer teilten sich selbst in zwei Klassen, die dem Grad ihrer spirituellen Entwicklung entsprachen. Die Auserwählten lebten streng zölibatär und vegetarisch, sie tranken keinen Alkohol, arbeiteten nicht und widmeten sich ausschließlich dem Gebet; Laien erreichten diese Stufe der Vollkommenheit nicht. „In den Jahrhunderten nach Manis Tod verbreitete sich seine Lehre auch im Römischen Reich, vor allem in Nordafrika. Augustinus hing dem Manichäismus neun Jahre lang an, bevor er sich dem Christentum zuwandte.“18

2.4 Von der Zwei–Welten Lehre zum Neuplatonismus

Nach dem Zusammenbruch der manichäischen Überzeugung von Augustinus bekam er grundsätzliche akademische Zweifel. Das tiefe Wissen um seine eigenen Irrgänge und dem Bewusstsein, auch nach dem großen Erleuchtungserlebnis keineswegs im Besitz der Wahrheit zu sein, vollzog sich in ihm eine entscheidende Wendung, dem grundsätzlichen Zweifel an die Akademiker. Denn diese vertraten die Meinung, dass es sowohl Weise gäbe, zugleich aber behaupteten sie: Niemanden gibt es, der etwas weiß. Die Auffassung von Augustinus dagegen war: „Wenn es Weise gibt, dann wissen sie auch etwas, nämlich die Weisheit, deren Besitz sie ja gerade weise macht. Das Problem dabei war nur die quälende Frage: Gibt es nun wirklich Menschen, die weise sind?“19 Von nun an war das Denken Augustins zweigeteilt. Einerseits betrachtete er nun zunächst das abstrakte Problem, um erst anschließend die Tatsachenfrage zu stellen. Und er kam zu dem Ergebnis: Die abstrakte Forderung und die konkrete Wirklichkeit sind im Widerspruch zueinander! Folglich ordnete er den abstrakten Denkvorgang des Menschen als unanfechtbar ein, und der Fehler liegt im konkreten Menschen. An diesem Punkt müsse die Philosophie scheitern, die Hilfe müsse woanders herkommen, die er nun in der Religion sah. „Um zur Weisheit, zu echtem Wissen, um in die Wahrheit zu kommen, müsse sich der Mensch also von Gott auf den Weg des heilenden Glaubens führen lassen. Darin sah er den Widerspruch gerechtfertigt und zugleich gelöst: Es gibt Weisheit, die echte Einsicht vermittelt, und zugleich gibt es diese Einsicht nur über die Demut des Glaubens. Damit war aber die Auseinandersetzung mit den Akademikern nicht beendet. Er gibt diesen in einem tieferen Sinn sogar Recht. Erklärbar ist dies nur durch die Formulierung von Augustins Lehre von den zwei Welten.“20 Im Manichäismus sah Augustinus nur die eine Welt konkreter Greifbarkeit, nun aber durchquert sein Denken der Unterschied von Gut und Böse, Licht und Finsternis, Gott und Teufel etc. Er beschäftigte sich mit der Lektüre der Neuplatoniker, und so öffnete sich für ihn ein ganz neues Bild. Die ganze Welt stellte plötzlich nur die eine Hälfte der Wahrheit dar, sie war letztlich nicht mehr als der schwache Abglanz einer anderen Welt der wahren Wirklichkeit, die ungreifbar für unsere Sinne, aber lebendige Gegenwart in unserem Geist sei. Ein wahrer Enthusiasmus entstand, als Augustin den „neuplatonistischen Dualismus21 als „Wahrheit“ entdeckte, den er nun mehr und mehr in den biblischen Dualismus umformte. Im Denken von Augustinus vollzog sich ein religiöser Anstrich, der letztlich wieder nur auf das menschliche Denken zurückzuführen war, während Geistliches geistlich verstanden werden muss. So ist auch religiöse Philosophie (Übers. Liebe zur Weisheit) nicht mehr als das, was das menschliche Denken erfassen kann. Die Folge des von Augustinus festgestellten Dualismus war nun, dass sich das Gewicht des Bösen einseitig auf die Seite des Leiblichen verlagerte, während das Gute im Geistlichen angesiedelt wurde. „In diesem Wandel zeigt sich der Weg Augustins, der nun zu einem immer mehr historischen Verständnis des Christentums führte. Die konkret historische Gestalt des Christlichen ist aber nichts anderes als – die Kirche.“22 Augustinus begann nun sein Denken dahingehend auszuweiten, dass er den Gegensatz des Metaphysischen (Übernatürlichen) ins das Historische (vergangenes Geschehen) zu übertragen versuchte. Er schreibt nun sein Hauptwerk, das zweiundzwanzig Bände umfasst und den Titel „Civitas dei“ (lat. Der Gottesstaat) trägt. „In diesem wahrlich monströsen Werk versucht Augustinus zu begründen, wie die in der Gnade Gottes stehende Gemeinschaft (Kirche), die in der Liebe zu Gott begründet und zum Heil prädestiniert ist, dem „Civitas terrena“ (dem Erdenstaat), also der Gemeinschaft derjenigen gegenüberzustellen ist, die in Selbstliebe befangen, von Gott abgewandt leben.“ 23 In genau dieser Auseinandersetzung kommt er schließlich zu dem Urteil, dass er das „Regnum Christi“ (das Reich Gottes) in der Kirche erblickt.

In einer überlieferten Schrift Augustins, die einen Dialog zwischen ihm und seinem Sohn Adeodatus enthält und den Titel „De Magistro“ (lat. Der Meister) hat, erklärt er nun, dass die philosophischen Begriffe „sensibile“ (sinnvoll) und „integillibile“(verständlich) den Formulierungen aus der Heiligen Schrift „carnale“ (fleischlich) und „spirituale“ (geistlich) gleichzusetzen seien. „Fleischlich zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang, sich selbst zu leben, während der geistliche Mensch sich auf Gottes Wort hin ausrichtet. Aus dieser Einsicht stellt er nun geschichtliche Heilszustände gegeneinander. Damit ist der Manichäismus pass`e und Augustinus hat sich zum Neuplatoniker entwickelt. Je mehr ihm nun die Übertragung von Gegensätzen gelingt, umso mehr gelingt für ihn die Annäherung an das Weltverständnis der Bibel.“24

Für Augustinus entstehen nun in seiner Zwei – Reiche – Lehre neue Bedenken, die geprägt sind vom Skeptizismus (Zweifel). Denn der Zweifel ist unter den Platonikern zuhause. Die menschlich – philosophische Denkweise ließ plötzlich nicht mehr zu, dass es erträglich sein solle, dass die Erde unter den Sünden gebeugt und die Menschen fleischlich gesinnt waren. Dadurch entstand die These von der Schatten- und Bildwelt unseres täglichen Daseins, die keine Wahrheit, sondern nur Wahrscheinlichkeit und kein Wissen, sondern nur Meinungen zulässt. Insofern bestanden nun wieder die Argumente der Akademiker zu Recht, welche die Funktion innehatten, eine allzu tiefe Sicherheit in der diesseitigen Welt anzufechten und zugleich ihr „heilig gehütetes Wissen“ um die jenseitige Wirklichkeit zu erhalten. Die Wahrheit wurde gekennzeichnet als „Mysterium“, sie blieb also verhüllt und damit unzugänglich für die Vielzahl der Menschen. Das war die derzeit große Aufgabe, die von den Philosophen zu erfüllen war. Nur, das nützte niemandem. Augustinus wird sich später korrigieren, denn mit der Tatsache des Skeptizismus wurde eine Unheilssituation umrissen, die aus sich heraus das christliche Glaubensheil fordert. Indem Augustinus das Problem der Akademiker begreift, das darin besteht, dass er die tiefe Hilflosigkeit des suchenden Menschen sieht, erkennt er, dass allein die Unterwerfung unter die führende Hand Gottes den Menschen vorwärts bringen kann. Damit wird für ihn die ganze Niedrigkeit des Glaubens sichtbar. Aber wozu dies alles? Augustinus erkennt: Es gibt für Gott keinen anderen Weg zur Errettung des Menschen. Denn der Mensch ist nirgendwo anders anzutreffen als in der völligen Verlorenheit. Gott kann ihn nur finden, indem er ihm bis in die Tiefen seiner Schwachheit nachgeht. Der Weckruf zu den Menschen lautete nun folgerichtig: Der rechte Weg kann nur so gefunden werden, dass man sich der Autorität Gottes anvertrauen muss, weil auf die eigene Vernunft kein Verlass ist.

„Wir sehen also, der menschliche Verstand, der durch die Philosophie versucht zu erklären, was den Menschen in Herkunft und Zukunft ausmacht, ist immerhin imstande, Teilwahrheiten aufzuspüren. Damals wie heute liegt allerdings das Problem in der Umsetzung. Dieselbe menschliche Denkfähigkeit, die uns eben noch den Blick für die Wahrheit ermöglichte, erweist sich bereits einen Augenblick später als Hindernis zum Heil, das aus den Juden kommt und das in Jesus Christus ewige Gültigkeit hat. Denn anstatt sich in Demut vor dem lebendigen Gott zu beugen und das Erlösungswerk von Golgatha, gewirkt durch Jesus Christus, dankbar anzunehmen, verleitet die philosophische Bildung Augustinus in einen fatalen Irrtum, der ihn dahin bringt, das Bild „einer mütterlichen Kirche“ zu entwickeln, in der allein die Autorität Christi lebendige Gegenwart bleibt.“25 Seine nun aufkeimende Liebe zur „Mutter Kirche“ ist auf sein Verständnis seines ausschließlichen Autoritätsgedankens zurückzuführen, nachdem er die Erlösungsfähigkeit als Alleinstellungsmerkmal der Kirche zuschreibt, die aus seiner Sicht katholisch ist. Diese grandios falsche Erkenntnis, die mit der Erlösungsordnung im Wort Gottes nichts gemein hat, wendet den Blick weg vom Lamm, das die Sünden der Welt getragen hat, hin zu einer menschlich erdachten Kirche, ohne die das Heil nicht zu erlangen ist. Damit ist der Eckpfeiler gesetzt, der schließlich im Jahr 420n.Chr. zur Dogmatisierung der Substitution führt, die das Heil von den Juden hin zur katholischen Kirche manifestiert.

2.5 Augustins Verständnis vom „Haus Gottes“

Schon in den Frühschriften verwendet Augustinus den Begriff „Haus Gottes“ für das konkrete Gebäude der Kirche. Bedeutend ist, dass er in diesem Zusammenhang zugleich die Frage nach einem „Gebetswort“ stellt und damit die Frage nach dem kultischen Tun im Gottesdienst. Das Gespräch mit Gott bedingt in seiner Vorstellung engste Verbindung mit dem sichtbaren Kirchenraum als Vollzugsstätte. In der Kirche oder wie man es damals nannte im Tempel, wurde das Opfer der Gerechtigkeit dargebracht, dort sollte das Gebet geschehen. Der Sinn des Kirchenkultes lag also darin, die Menschen zur inneren Gottesverehrung hinzuführen. Aber der Kult war nur der eine Gehalt des Tempelgedankens. Damit verbunden war zugleich der Gedanke der Einwohnung Gottes. Wo der Tempel ist, da ist die Gegenwart Gottes. Augustinus verstand dies allerdings lediglich als geistige Innewohnung im Menschen. Das war für ihn der Gedanke, dass Gott als Raumgegenwart zu erfassen wäre. Immerhin hatte er aber begriffen: Gott wohnt durch den Glauben in uns, der sichtbaren Gemeinde. Nun tun sich aber zwei weitere Fragen auf: Wie verhält es sich mit den Bedeutungen von „Dilectio“ (Liebe) und „Unitas“ (Einheit)? Augustinus nimmt eine Parallelisierung des Liebesgebotes vor, indem er festlegt, dass allein die Liebe zu Gott gefordert wird, die für ihn das höchste Gut war. „Das Wort von Jesus, das die Gottes- und Nächstenliebe miteinander verbindet, wird nicht zu Ende gedacht. Die Liebe hat im Vollendungsbereich der menschlichen Gemeinschaft ihre Geltung verloren, denn Augustinus sieht ausschließlich die rein ideale Beziehung von Gott und Seele. Von einer Gemeinschaft der Heiligen ist noch keine Rede.“26 Daraus ergibt sich aber nun die Frage nach der Einheit der Christen. Hier kommt ihm wieder Platons Philosophie zu Hilfe, auf deren Grundlage Augustinus das Problem aufgreift. Es musste ein Überstieg von der Gedankenwelt in den Raum der Realität stattfinden. Er ordnet also die Einheit allein dem Sein der menschlichen Seele zu. Als Mitte der Seele sieht er die „Ratio“, der er sowohl das Verknüpfen wie das Unterscheiden zuordnet. Aufgrund der Verderbtheit des Menschen erkennt er nun: Die Seele braucht Reinigung. Diese Reinigung sieht er allerdings als „Prozess der Logik“ des inneren Menschen, der begreift, dass etwas von außen an ihm haftet und doch nicht ursprünglich zu ihm gehört. Hier muss nun ein Widerspruch aufgelöst werden. Wie kann der Mensch einerseits „ratio“ sein, als immer unvergänglich, und andererseits der Vergänglichkeit, also dem Tod unterworfen? Die Antwort sieht er darin, dass er die Sterblichkeit als Uneigentlich versteht und der Reinigungsprozess die Aufgabe hat, den Menschen vom Sterblichen zu lösen und zum Unsterblichen zu führen. Die philosophische Auffassung Augustins bestand nun darin, dass alle Dinge einer Form von Einheit bedürfen. „Damit ein Stein Stein ist, sind alle seine Teile ebenso wie seine ganze Natur in eins gefügt. Was geschieht mit einem Baum, wenn er aufhört, eins zu sein? Wie ist es mit den Gliedern, Eingeweiden und sonstigen Bestandteilen eines Tieres? „Es bestand kein Zweifel: Wenn die Einheit zerrissen wird, dann ist es mit dem Tier zu Ende. Das Prinzip der Einheit durchzieht also alle Stufen der Ratio als eine geheime Kraft, die alles trägt. Endlich greift sie dann in den Raum der menschlichen Gemeinschaft und der menschlichen Liebe, deren inneren Sinn er als letztes Ziel versteht. Sie wird zum tragenden Grund allen menschlichen Zusammenseins von Menschen überhaupt“.27

Damit ist der zweite Baustein gelegt, der klarstellt, dass durch Ungehorsam und Gottesmord die Einheit gebrochen und damit gestorben ist. Aus diesen Gedankengebäuden wird Augustinus schließlich die endgültige Verwerfung Israels (Substitution) schließen, denn zerstörte Einheit bringt den ewigen Tod.

2.6. Der Einfluss der afrikanischen Kirche

„Im Jahr 391 n.Chr. entstand für Augustinus eine völlig neue Lage. Inzwischen war er zum katholischen Priester geweiht und er kam in den Konflikt, dass er bemerkte, noch nie in dieser Kirchlichkeit gestanden zu haben. Bisher hatte ihn nach der gegenständlichen Seite hin nur die allgemeingültige, geschichtslose Wahrheit der Philosophie beschäftigt. Das Wort der Offenbarung verstand er als rein formale Bedeutung der Heilungsmacht für den sündigen Menschen.“28 Nun aber plötzlich sah er sich mit den Inhalten der Offenbarung in ihrer Eigenbedeutung konfrontiert. Dadurch bekam er zunächst ein völlig neues Verständnis von der Heiligen Schrift. Gleichzeitig sah er sich in eine be reits festgefügte kirchliche Tradition eingebunden, die dem Verständnis der Schrift bereits eine feste Richtung vorschrieb. Er sah sich zur Auseinandersetzung mit der Tradition gezwungen. Daher wies er auf die „donatistische“29 Gefahr der afrikanischen Kirche hin. „Optatus von Mileve“30, „Cyprian“31 und „Tertullian“32 waren seine Lehrer im Theologiestudium, durch die er entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung seines Kirchenbildes gewann. Ich gehe daher im Folgenden auf die Grundaussagen dieser Lehrer ein.

2.6.1Der Kirchenbegriff Tertullians

Tertullian war der erste große bekannte Apologet. Er wurde um 160n.Chr. in Karthago, dem heutigen Vorort von Tunis in Tunesien geboren und starb 220n.Chr. auch dort. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Verbreitung und Verteidigung des Christentums, dabei bekämpfte er das Heidentum ebenso wie die Gnosis. Zudem vertrat er einen rigorosen ethischen Standpunkt und setzte sich für strenge Kirchendisziplin ein. Tertullian übte nachhaltigen Einfluss auf die späteren Kirchenlenker aus, insbesondere auf Cyprianus. Viele seiner Werke wurden in die Sammlung der Schriften der Kirchenväter aufgenommen. Mehr als 30 seiner Werke sind erhalten geblieben. Das bedeutendste, „Apologeticus”, schrieb er um 197 n. Chr. Tertullian war der erste Lehrer der Kirche, der auf Lateinisch schrieb. Seine Begriffe prägten die Kirchensprache, so das von ihm eingeführte Wort „trinitas” für die Dreieinigkeit Gottes. Als erster formulierte er eine Theologie, die prägend für die Auffassungen der Frühkirche wurde. Er äußerte sich zu den Sakramenten und zum Wesen der Trinität. Da ihm keine Vorbilder zur Verfügung standen, entwickelte er eine Terminologie, die er aus vielen Quellen ableitete, insbesondere aus dem Griechischen und der römischen Rechtssprache. „Oft zitiert ist die berühmte Formel „credo, quia absurdum (est)” („Ich glaube, weil es absurd ist”). Tatsächlich formulierte Tertullian im „Liber de carne Christi”(„Buch über die Fleischwerdung Christi”) noch schärfer: „crucifixus est dei filius … et mortuus est dei filius; prorsus credibile est, quia ineptum est et sepultus resurrexit; vertum est, guia impossibile est.” („Gottes Sohn ist gekreuzigt … Und sterblich ist Gottes Sohn; völlig glaubhaft ist das, weil es unpassend (abgeschmackt, töricht) ist. Und der Leichnam ist auferstanden; das ist wahr, weil es unmöglich ist.“)33

Mit gewaltigem Pathos schreibt Tertullian in seinem „montanistischen“34 Werk über die Schamhaftigkeit wider die Sünde der Unzucht. Diese Sünde verstand er dahingehend, dass sie mitten in das eigene Selbst hinein traf, und er formulierte, sie sei ein Angriff auf ein Vorbehaltsgut Gottes, denn Gott gehört der Leib. „Der Leib des Menschen trägt das Bild Gottes, er ist die Gottesebenbildlichkeit, von der die ersten Blätter der Schrift reden. Mit dieser Erkenntnis weist Tertullian als afrikanischer Denker der frühen Kirche auf den hin, der Gott ist und zugleich Mensch wurde. Was in der Schöpfung im Lehmgebilde Ausdruck fand, war der Gedanke an den Christus, der da Mensch werden sollte: Lehm und Fleisch, Wort Gottes – einstmals Erdenstaub.“35 So stand Jesus, der Christus bei Tertullian im Blickfeld der Schöpfungsordnung, die er mit der Erlösungs- und Heilsordnung verknüpfte. Für ihn war klar: Wenn der Menschenleib mit Christi Leib in gleicher Gestalt ist, dann kann der Gott, der im Bild Christi sein eigenes Abbild erkennt und anerkennt, nicht ein Feind Christi, sondern nur der Gott Jesu Christi selber sein. Und nun richtet er die Frage an die Gnostiker: Wenn das Böse nicht real – seiend ist, was ist es dann? Sofort gibt er die Antwort: Es gibt nicht ein Fleisch der Sünde, sondern die Sünde des Fleisches. Nicht die Materie ist Sünde, sondern die Natur. In dieser Aussage birgt sich die ganze Theologie der Heilsgeschichte, die sich später als Theologie der Kirche erweist. Weil aber, wie unsere vorhergehenden Philosophen, auch Tertullian Theologisches und Philosophisches miteinander vermischt, kommt er nun zu Schlussfolgerungen, die noch heute Praxis der katholischen Kirche sind, z.B. die Heilsnotwenigkeit der Taufe (Taufwiedergeburtslehre), der Eucharistie (Abendmahl) oder der Verehrung des Christusgewandes. Für unsere Frage nach der Entstehung der Substitution sind diese Themen ohne Relevanz, daher werden sie an dieser Stelle nicht weiter thematisiert. Wohl aber maßgebend für die Verwerfung Israels ist das von hierher abgeleitete Dogma des Gottesmordes. Hiermit wird uns der dritte Baustein zur Substitutionstheorie geliefert.

2.6.2Cyprian und Optatus

Zwei weitere Persönlichkeiten prägen das Denken von Augustinus nachhaltig. „Cyprian“36 , im Gegensatz zu Tertullian und Augustinus nur in geringem Maße Theologe, überliefert uns den Glauben, wie ihn die afrikanischen Christen im dritten Jahrhundert verstanden. Es handelt sich um ein nüchternes und greifbares Kirchenbild, das aber wiederum an den gnostizistischen Dualismus anknüpft. Aus seiner Sicht besteht die Kirche, die den Leib Christi bildet, aus zwei konkreten Elementen, nämlich dem des Bischofs, dem Presbyter, Diakone und niederer Klerus zugeordnet sind. „Das zweite ist die „Plebs“ (die Masse ungebildeter, niedrig und gemein denkender, roher Menschen).“37 Wenn also Cyprian vom Volk redet, so ist damit nie die ganze Kirche gemeint, sondern eben jene Gruppe in der Kirche, diejenigen, die in einer übergeordneten Instanz stehen, die Bischöfe. Sein Dogma: Die Kirche ist im Bischof. So ist seine vorherrschende Auffassung. Sie ist auch der Grundgehalt zweier Begriffe, die schon Tertullian geprägt hat: Fraternitas (Brüderlichkeit) und Mater (Mutter). Cyprian formt den Begriff der „mater ecclesia“ als Ausdruck der Amtskirche überhaupt, der die Mutterwürde zukommt. Die Mutter besteht nicht in den Getauften, sondern sie steht ihnen gegenüber als die Kirche. Dem entgegengesetzt steht die Kirche als Brüdergemeinde. Das sind diejenigen, die unter dem Bischof stehen, jedoch ohne die Plebs. So ist die katholische Kirche eigentlich dreigeteilt; Bischof, Brüder und Volk. Daraus zieht Cyprian eine wahrhaft polemische Schlussfolgerung, bezogen auf die Frömmigkeit außerhalb der katholischen Kirche. Er nannte dies die falsche Praxis der „Sonderkirchen“. „Wahre biblische Einheit kann es nur in der Kirche geben, der einzig sichtbaren katholischen Kirche.“38 Und um die Notwendigkeit dieser einen Kirche zu begründen, zieht Cyprian verschiedene Vergleiche, indem er erklärt: „Nur in der einen Arche Noah gab es ein Entrinnen vor dem Untergang; in einem Haus wurde gemeinsam das Passamahl gegessen, nur wer in dem einen Haus der Rahab war wurde gerettet; nur in einem Haus verkehrt die Braut Christi“.39 Mit diesen Bildern will er nichts anderes erklären als die Einheit der Kirche. So fasst er dann zusammen: „Gott ist einer und Christus ist einer und einer ist die Kirche und der Glaube ist einer und eines ist das Kirchenvolk, durch das Bindemittel der Eintracht zur festgefügten Leibeseinheit zusammengeschlossen“.40 Aus diesem Verständnis der Kirche heraus entstand ein bestimmtes Verhältnis des Alten Testamentes. Cyprian zeichnet sozusagen den Weg der göttlichen Heilsökonomie vom Alten zum Neuen Testament. „Nach seiner Auffassung trennt kein innerer Wesensunterschied die Testamente, sondern das alte Volk Gottes wird abgelöst von einem neuen, nachdem es aufgehört hat, in jener Gerechtigkeit und Heiligkeit zu leben, die ihm zuvor den Stempel der Gottzugehörigkeit aufgedrückt hatte.“41 Augustinus wird diese Gedankengänge verinnerlichen und später auch auf die Beziehung zu Juden und Kirche anwenden. Hiermit haben wir den vierten Baustein auf dem Weg zur Substitutionstheorie gefunden.

Darüber hinaus kommt Cyprian zu einer weiteren bemerkenswerten Auffassung, die auf die letztlich philosophisch– menschliche Denkweise zurückgeführt werden muss. Zum ersten Mal wird an dieser Stelle verständlich, warum Paulus betonte, dass leere Philosophie (ohne den Geist Gottes) zu nichts nütze sei. (Kol. 2,8) Cyprian beschäftigt sich mit den Hintergründen der Eucharistie und sucht dabei nach Schriftbegründungen für den Wein. Dabei stößt er auf das Opfer des Melchisedek, und er unterscheidet drei Elemente. Zunächst sieht er die Person Melchisedek selbst, die nach Angabe des Wortes Gottes Vorbild des Hohepriesters Jesus Christus ist. Als zweites sieht er die Opfergaben Brot und Wein, also seinen Leib und sein Blut, und schließlich die Segnung Abrahams durch Melchisedek. Aus diesen Elementen zieht Cyprian nun eine abstruse Schlussfolgerung: „Da die Glaubenssöhne Abrahams Heiden waren, ist hiermit das Volk der Heiden als neue Gottesgemeinde an die Stelle des Judenvolkes getreten. Noch klarer wird ihm das beim Studium der Hochzeit zu Kana. Dass der Wein ausging, deutete er als ein Bild für das Versagen des bisherigen Gottesvolkes der Juden. Weil aber Christus Wasser in Wein verwandelte, stellte dies die Umgestaltung der Heidenvölker zum Gottesvolk dar. Denn Wasser ist das Bild der Völker, die nun von Christus gerufen werden.“42 In dieser Darstellung offenbart sich nicht nur das Verständnis für die katholische Liturgiepraxis, vielmehr finden wir erstmalig den Gedanken der Verwerfung Israels als fünften Baustein auf dem Weg zur Substitutionstheorie, wie sie Augustinus schließlich dogmatisch festschrieb.

Auch das „Vater unser“ muss bei Cyprian herhalten, um seine These zu stützen. So schreibt er: „Wenn der Theologe über das Wort „Vater“ nachdenkt, dann muss man das „unser“ hervorheben. Ein „Wir“ ist es also, dass zu Gott Vater sagt. Ein „Wir“ von Söhnen Gottes, denn wer zu Gott Vater sagen kann, muss selbst Sohn sein. Wenn aber nun die Gemeinschaft der Glaubenden es ist, die dieses „Wir“ darstellt, dann ist sie es zugleich, die Gemeinschaft der Kinder Gottes ist. Und genau darin wird die alte Familiengemeinde Gottes abgelöst, das Volk der Juden.“43 Cyprian weist also dem einfachen Beten des Gebetes, dass uns Christus lehrte einen heilsgeschichtlichen Standort zu. Dahinter steckt die Auffassung, dass es eine konkret greifbare Wirklichkeit braucht: das „Wir“ der Gottessöhne.

Zu den Schriften von Cyprian kommen die Schriften von „Optatus von Mileve“44 hinzu, die Augustins Denkweise prägen. Optatus war der erste katholische Bischof, der in die literarische Polemik mit dem „Donatismus“ eintrat, der in der damaligen Zeit das entscheidende Problem der afrikanischen Kirche war. Zurzeit von Optatus hatte es Abspaltungen von der Kirche gegeben, Laiengruppen, geführt von Presbytern (Ältesten der Gemeinde, Priestern), hatten sich zu Gegenbischöfen aufgeworfen. Was in Afrika vorlag, war nicht eine Abspaltung einer Minderheit von ihrem rechtmäßigen hierarchischen Haupt, sondern das Gegenüber zweier Kirchen mit voller Hierarchie. Die donatistische Kirche weihte ihre eigenen Bischöfe und war zahlenmäßig etwa gleichstark wie die katholische Kirche damals in Afrika. Also war die Frage: Wo ist die wahre Kirche? Darauf gab „Parmenian“45, der die Donatisten anführte, eine Antwort, in der er auf die Brautausstattung hinwies, die der Herr seiner wahren Braut – und nur dieser – zurückgelassen hatte. Sechs Morgengaben, durch deren Besitz die wahre Kirche sich auszuweisen hat. Optatus greift die Frage auf und beantwortet sie. „Als erste Morgengabe nennt er die „Cathedra unica“ (die einzige Kirche) des einzigen Bischofstuhles. Er meint damit die Kirche Petri zu Rom.“46 Demnach ist die einzig wahre Kirche weltweit die, die vom Petrusstuhl in Rom aus regiert wird. Daher wird nun von Optatus die Einheit der gesamten Kirche beschworen. Und Rom ist nun sozusagen die Messlatte, wie es um die Gemeinschaft mit der Gesamtkirche steht. Es wird als ein Kirchenbegriff vorausgesetzt, der „Catholica“, der weltumspannenden Kirche der Einheit. Der Vorwurf an die Donatisten besteht nun darin, dass sie die Kirche Jesu Christi, die auf der ganzen Erde die eine Einheit der Christenheit repräsentiert, einschränken wollen auf den Teil Afrikas, in dem sie leben. Damit würden sie sich im Widerspruch zum Wort Gottes befinden, dass dem Herrn alle Völker zum Erbe verheißt und eine Herrschaft bis an die Grenzen der Erde. Die wahre Kirche ist Weltkirche und Völkerkirche. Die anderen Morgengaben können hier vernachlässigt werden, allerdings mit dem Hinweis, dass mit diesen Morgengaben die Einführung von Kirchengesetzen (Dogmen) begann.

„Plötzlich war die „Catholica“ eine Kirche des Gesetzes. Und diese Gesetze wurden ungeniert neben Gottes Wort gestellt, so dass die Begegnung mit der Wahrheit Gottes nun gebunden ist an die historisch greifbaren Gesetze. Die Bestimmung der Rechtssatzung obliegt dem Manne (dafür wird Gott vereinnahmt), während es der Frau zufällt, Ja zu sagen!“47

Die Gemeinde hat sich also der Kirche zu unterwerfen, und auch Optatus kommt zu der Erkenntnis, dass die „Catholica“ die Juden als Brautgemeinde abgelöst hat. Damit haben wir den sechsten Baustein auf dem Weg zur Verwerfung Israels, der schließlich Augustinus bewegt, die Substitutionstheorie in der „Catholica“ als Gesetz zu verankern. Wir haben nun die philosophischen und theologischen Überlegungen beieinander, welche die Wurzeln der Substitution bilden und Augustinus bewegen, die Substitutionstheorie als Kirchengesetz für die katholische Kirche zu verankern.

2.7 Volk und Haus Gottes in Augustinus Lehre

Wir sehen also in dem vorher Beschriebenen, dass man mit Philosophie allerlei Fragen aufwerfen kann. Tatsächlich werden solche Fragen auch beantwortet. Nur, bei den Ergebnissen kann man selbst bei den größten Denkern, Wissenschaftlern und Philosophen nicht erwarten, dass die zutage geförderten Thesen der Wahrheit entsprechen. Gerade, wenn es um das Wort Gottes geht, kann der menschliche Verstand der Wahrheit im Weg stehen. Würden wir dem Wort Gottes einfach vertrauensvoll folgen, dann müsste uns klar sein, dass nur der Heilige Geist in alle Wahrheit leiten kann.

Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.(Johannes 16, Vers 13)

Die von mir zitierten Persönlichkeiten waren kluge Menschen ihrer Zeit, die das Denken der Menschen damals ebenso beeinflussten wie die Philosophen es in unserer Zeit auch tun. Nur, damals waren die Menschen wesentlich näher am biblischen Geschehen. Das Leben Jesu war für sie viel greifbarer und nachvollziehbarer als wir das heute erleben. Und dennoch muss man – fast beschämend – einräumen, dass bereits in kürzester Zeit nach dem Tod des letzten Apostels Jesu der Mensch damit begann, das Wort Gottes eigenwillig und besserwisserisch zu interpretieren. Wenn wir das Leben Augustins betrachten, dann müssen wir zu dem Schluss kommen: Der Mensch glaubt das, was man ihn lehrt. Wenn man es aber den Beröern nicht gleichtut, läuft man Gefahr, „geistliches Gammelfleisch“ zu erhalten. Das Thema „Gammelfleisch“ ist in den letzten Monaten und Jahren in den Medien in großem Umfang diskutiert worden. Auch im geistlichen Bereich stellt man immer wieder fest, dass „Gammelfleisch“ im Umlauf ist – zum Schaden für jeden Christen. Oft kann man diese schlechte geistliche Nahrung mit bloßem Auge überhaupt nicht von guter Nahrung unterscheiden. Doch Gott hat uns eine „Entscheidungshilfe“ an die Hand gegeben – sein Wort. Die Beröer geben uns darin ein gutes Beispiel. Wir lesen von Ihnen, dass sie „mit aller Bereitwilligkeit das Wort aufnahmen, indem sie täglich die Schriften untersuchten, ob dies sich also verhielte.“ Sie prüften anhand des Wortes Gottes, ob die Botschaft, die Paulus brachte, in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes war. Nur so konnten sie erkennen, ob der Apostel Paulus ihnen „Gammelfleisch“ vorsetzte, oder die Wahrheit. Der Apostel Paulus schreibt den jungen Thessalonichern: „Weissagungen verachtet nicht; prüft aber alles, das Gute haltet fest.“ (1. Thess. 5,20.21) Das gilt ebenso für uns. Dabei geht es nicht darum, alles mit einem Kritikgeist zu durchleuchten und auf Biegen und Brechen eine Schwachstelle zu finden, sondern darum, mit Hilfe des Geistes Gottes und anhand des Wortes Gottes zu prüfen, ob das Gesagte oder Geschriebene nach Gottes Gedanken ist. Erkennen wir dann, dass dem so ist, so sind wir aufgefordert, das Gute festzuhalten. So wie im natürlichen Leben Menschen mit verdorbenen Lebensmitteln versuchen, betrügerisch Gewinn zu machen, so versucht Satan ganz massiv, geistlich verdorbene Nahrung in Umlauf zu bringen. Und leider gelingt es ihm in großem Umfang. Umso mehr müssen wir dem Wort folgen, das Johannes in seinem ersten Brief schreibt:

„Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen“. (1. Joh. 4,1)

Die darauf folgenden Verse sind eine gute Hilfestellung, um die falschen Lehren zu erkennen:

„Hieran erkennet ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist aus Gott; und jeder Geist, der nicht Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist nicht aus Gott“.(1. Joh. 4,2.3)

Nur mit Hilfe des Wortes Gottes und durch die Unterweisung des Geistes Gottes können wir erkennen, ob uns „Gammelfleisch“ oder die göttliche Wahrheit gebracht wird. Das Wort Gottes ist die Richtschnur, die wir an jede Lehre anlegen sollten, aber nicht mit Menschenverstand, sondern unter Gebet und der Leitung des Geistes Gottes, der uns „in die ganze Wahrheit leiten“ will (Joh. 16,13). Wir sehen, Augustinus hat studiert. Die großen Lehrer seiner Zeit machten die Vorgaben, und Augustinus zieht seine Schlüsse daraus. Er kommt zu der Erkenntnis: „Das Bürgerrecht in der Kirche setzt eine innere Zugehörigkeit zu diesem Volk voraus. Daher sagt er zuerst: „Miscendi estis hodie numero populorum“ (Wir müssen die Reihe verschiedener Menschen zusammenführen). Er hat dabei die Trennungslinie zwischen der Catholica und dem Donatismus vor Augen.“48 „Diese Trennung macht ihm bewusst, dass die Einheit der Gläubigen nicht nach örtlichem Zusammensein bestimmt sein kann, sondern die sakramental - rechtliche Zugehörigkeit Voraussetzung ist.“ 49 Indem Augustinus die Zugehörigkeit zum Leib Christi zu einem Sakrament macht, nicht aber die persönliche Hinwendung des einzelnen Christen als Voraussetzung ansieht, unterläuft ihm hier der erste große religionsphilosophische Denkfehler. Die Einheit der ganzen Weltkirche ist aber für Augustinus kennzeichnend. Und so formuliert er für diese Weltkirche den Glaubenssatz: „In sanctam ecclesiam“ (Die heilige Kirche sind wir!)

„Alle auf dem ganzen Erdenkreis – wird doch vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang der Name des Herrn gepriesen – alle zusammen: das ist die katholische Kirche, unsere Mutter, die wahre Gattin jenes Bräutigams.“50

Diese Weltkirche braucht Verantwortungsträger und so formuliert Augustinus diesbezüglich aufgrund der Schriften von Parmenian: Vom Bischof wird persönliche Heiligkeit gefordert. Dabei bezieht er sich auf die Bibelstellen 2.Mo. 19,22:

„Die Priester, die zum HERRN nahen, sollen sich heiligen, dass sie der HERR nicht zerschmettere.“2. Mo. 30,20.21: „Wenn sie in die Hütte des Stifts gehen oder zum Altar, dass sie dienen, ein Feuer anzuzünden dem HERRN, auf dass sie nicht sterben.“

Er übernimmt hier die Aussage von Parmenian, der den Priester als Mittler zwischen Gott und Volk ansieht und als priesterlichen Fürbitter für das Volk.

„Wenn er daher selbst befleckt ist, befleckt sein Opfer die ganze Gemeinde und sein Gebet wird als Gebet eines Sünders nicht erhört.“51

Allerdings befindet sich Augustinus hier in einem inneren Konflikt, da er erkennt, dass sich die Hoffnung des Volkes nicht auf Menschen gründen kann. Der eigentliche Mittler zwischen Gott und Mensch könne nur Jesus Christus sein. Diesen richtigen Gedanken schränkt er aber sogleich wieder ein, indem er festlegt: „Die Gemeinschaft, die Jesus leitet, ist unsere himmlische Mutter Jerusalem. Zur Begründung gibt er drei Antworten:

1. Der Ritus des alttestamentlichen Versöhnungstages bildet auf der Ebene der Sinnenwelt die wahre Versöhnungstat Jesu vor.

2. Der auferstandene Mensch und Hohepriester Christus tritt in die innere Geheimniswelt Gottes ein, entsprechend dem Eintritt des alttestamentlichen Hohepriesters in das Allerheiligste, die gesamte Kirche Christi entspricht dem außen harrenden Volk. .Hier ist der Priester allein Christus, die gesamte Kirche steht ihm gegenüber als Volk. Wir haben es also mit „pneumatischen“52 Wirklichkeiten zu tun: Mit dem vom Geist gewirkten Christus und mit dem neuen geistgewirkten Gottesvolk.

3.