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Die koreanische Musikstudentin Gloria soll eigentlich mit einem strengen, tiefgläubigen Landsmann verheiratet werden. Bevor es jedoch so weit ist, erliegt auch sie der magischen Sogwirkung ihres Violinenlehrers. Buz ist ein großer Künstler auf der Violine und ein einzigartiger Pädagoge, der sich wie kein Zweiter darauf versteht, aus Stroh Gold zu spinnen.
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Seitenzahl: 234
Veröffentlichungsjahr: 2021
Für meine liebe Freundin Veronika,
und im Gedenken an unseren
wunderbaren geliebten Vater
Wolfram König
(1938 – 2019)
Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.
„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ so denkt sie.
Und drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.
Erzählt werden Geschichten aus ihrem Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.
Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.
Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis Hier die engste Familie vorweg:
Opa, (*1909) Opa mütterlicherseits in Österreich
Oma Ella (*1913) Omi väterlicherseits in Hessen
Buz, mein Papa (*1938)
Rehlein, meine Mutter (*1939)
Ming, mein Bruder (*1964)
Orte der Handlung:
Ofenbach, ein kleines Dorf in Niederösterreich.
Dort lebt der Opa, und nachdem im Jahre 1999 die Omi Mobbl heimgeholt worden war, zog Rehlein zu ihrem geliebten Vater, um ihm den Haushalt zu führen.
Aurich, Hauptstadt von Ostfriesland und Hauptsitz von unserem großen Musikfestival „Musikalischer Somemr in Ostfriesland“.
Vorwissen:
Im Jahre 2001 holte der fleißige Ming in, der zu dieser Zeit beim Opa lebte, sein Abitur nach, so daß er tagsüber nach Art eines Arbeitnehmers oftmals aushäusig war.
Rehlein hatte sich ebenfalls vorläufig in Ofenbach installiert, um für den Opa dazusein.
In Ostfriesland bewegte man sich in Siebenmeilenstiefeln auf den “Musikalischen Sommer” zu.
Mehrere Damen hatten ein Auge auf Dauerstrohwitwer Buz geworfen.
Mai 2001
Dienstag, 1. Mai
Mittwoch, 2. Mai
Donnerstag, 3. Mai
Freitag, 4. Mai
Samstag, 5. Mai
Sonntag, 6. Mai
Montag, 7. Mai
Dienstag, 8. Mai
Mittwoch, 9. Mai
Donnerstag, 10. Mai
Freitag, 11. Mai
Samstag, 12. Mai
Sonntag, 13. Mai
Montag, 14. Mai
Dienstag, 15. Mai
Mittwoch, 16. Mai
Donnerstag, 17. Mai
Freitag, 18. Mai
Samstag, 19. Mai
Sonntag, 20. Mai
Montag, 21. Mai
Dienstag, 22. Mai
Mittwoch, 23. Mai
Donnerstag, 24. Mai
Freitag, 25. Mai
Samstag, 26. Mai
Sonntag, 27. Mai
Montag, 28. Mai
Dienstag, 29. Mai
Mittwoch, 30. Mai
Donnerstag, 31. Mai
Juni 2001
Freitag, 1. Juni
Samstag, 2. Juni
Sonntag, 3. Juni
Pfingstmontag, 4. Juni
Dienstag, 5. Juni
Mittwoch, 6. Juni
Donnerstag, 7. Juni
Freitag, 8. Juni
Samstag, 9. Juni
Sonntag, 10. Juni
Montag, 11. Juni
Dienstag, 12. Juni
Mittwoch, 13. Juni
Donnerstag, 14. Juni
Freitag, 15. Juni
Samstag, 16. Juni
Sonntag, 17. Juni
Montag, 18. Juni
Dienstag, 19. Juni
Mittwoch, 20. Juni
Donnerstag, 21. Juni
Freitag, 22. Juni
Samstag, 23. Juni
Sonntag, 24. Juni
Montag, 25. Juni
Dienstag, 26. Juni
Mittwoch, 27. Juni
Donnerstag, 28. Juni
Freitag, 29. Juni
Samstag, 30. Juni
Juli 2001
Sonntag, 1. Juli
Montag, 2. Juli
Dienstag, 3. Juli
Mittwoch, 4. Juli
Donnerstag, 5. Juli
Freitag, 6. Juli
Samstag, 7. Juli
Sonntag, 8. Juli
Montag, 9. Juli
Dienstag, 10. Juli
Mittwoch, 11. Juli
Donnerstag, 12. Juli
Freitag, 13. Juli
Samstag, 14. Juli
Sonntag, 15. Juli
Montag, 16. Juli
Dienstag, 17. Juli
Mittwoch, 18. Juli
Donnerstag, 19. Juli
Freitag, 20. Juli
Samstag, 21. Juli
Sonntag, 22. Juli
Montag, 23. Juli
Dienstag, 24. Juli
Mittwoch 25. Juli
Donnerstag, 26. Juli
Freitag, 27. Juli
Samstag, 28. Juli
Sonntag, 29. Juli
Montag, 30. Juli
Dienstag, 31. Juli
Ofenbach/Niederösterreich
Sagenhaft schön und warm
Der Opa war guter Dinge und machte einen Reim:
Die Mütze, die auf dem Kopf mir sitzt, ist durchgeschwitzt, aber noch immer nütz.
Und als ich die Chaconne von Bach übte, sah ich, wie sich Opas dünne Spinnenbeine unter dem Tisch anmutig zum Rhythmus der Musik bewegten.
Bedingt durch Opas Gehuste und Gepruste setzte ich die Violinstudien dann allerdings oben in Mings sonnendurchflutetem Ashram fort, und schaute dazu auf das Cello an der Wand, das kaum je bespielt wird, da die Zeit eines Schülers an allen Ecken und Enden zu zwicken scheint?!
Um dieses füllige, sinnliche, in lockender Pose an die Wand gelehnte Instrument regelmäßig zu bespielen, müßte Ming seine ehemalige Flamme, die Dorli in Wien anrufen und wöchentliche Cellostunden vereinbaren. Doch die Dorli hat keine Zeit für Ming.
Buz feiert seinen heutigen 63. Geburtstag bei der Omi in Grebenstein. Wir riefen ihn an, und Rehlein nannte den Jubilatoren gar, wenn auch in nettem Tonfall: „Altes Haus!“
Ich erzählte Buz, daß es in manchen Familien Brauch sei, sich zum Geburtstag so viele Gäste einzuladen, wie man Jahre alt wird. Doch ob in Omis enge Wohnung überhaupt 63 Gäste passen?
Diese Gedanken schwenkte ich etwas näher her, nämlich zum Opa hin, der soeben geräuschvoll auf seinen alten abgewetzten Pantoffeln durch den Flur schlurfte, und man frägt sich, wie das wohl so wäre, wenn sich der Opa im November gleich 92 Gäste laden dürfe? Ob sich überhaupt noch so viele feierfreudige Weggenossen fänden?
Ofenbach – Metten (Bayern)
Herrlich warm und schön!
Ich erhob mich in einen so wunderschönen Sonnentag hinein. Die Sonne schien ihre Schwingen auszubreiten, in die hineinzuschmiegen ich herzlich eingeladen schien, doch der Abschiedsschmerz nagte an mir, und gepackt für die Reise war auch noch nichts.
Ming hatte in der Nacht gar nicht schlafen können, dieweil ihn ein abscheulicher Würgerfilm über einen Herrn mit Namen John Christie so schockiert und bedrückt hat, und nun sprachen wir darüber, daß der Christie nach dem Urteilsspruch gegen seinen Nachbarn Tim Evans, der zu Unrecht zum Tode durch den Strang verurteilt worden war, in hemmungsloses Weinen ausbrach.
Ein schmerzhafter Bandscheibenvorfall machte ihm zudem die letzten Jahre seines Lebens zur Hölle.
Dies geschah in den vierziger Jahren in London, und somit sprach man nun darüber, wie anstrengend das Leben früher war, als man morgens immer die Nachthäfen die Treppe hinabzutragen pflegte.
Die Omi Mobbl mußte einst sieben Nachthäfen in den Keller tragen: An jedem Finger ein Griff, und unterwegs auf der Treppe wurde sie hinzu allzu oft vom Nachbarn angebaggert und begrabscht.
Rehlein meinte, ich könne Ming doch mit nach Passau nehmen, wo immerhin eine 21-jährige Dame namens Luisa auf ihn warten würde, und ich malte mir aus, wie Ming in Passau bei der Luisa alles vergäße.
Nach einer Weile würde er verwundert fragen: „Schuuule?“
so, wie der junge Onkel Eberhard einstmals gefragt hatte: „Uschi??“ als er seine alte Jugendliebe zugunsten einer neueren und frischeren Liebe ein wenig verdrängt hatte, wie der Psychiater vielleicht sagen würde?
Lustvoll versenkte ich mich in meinen Erzählungen in Vergangenheiten lang vor meiner Geburt, und beschwor alte Szenen herbei, die in einem unwirklich wirkenden sepiagetönten Sonnenlicht wie in einem alten Film vor uns aufschienen:
Die Liebe zwischen der Uschi und dem jungen Eberhard schien unauflösbar und für die Ewigkeit konzipiert, und als der Eberhard in die Ferien fahren mußte, schenkte ihm die Uschi ein Handkettchen mit der Gravur „Uschi“.
Da war Rehlein im Nachhinein froh, daß Mings Exe, die „Dame Gerswind“, - wie sie einst von Omi Mobbl mit hohngespitzten Lippen benannt zu werden pflegte - nicht zu dererlei Geschmacklosigkeit tendierte.
„Die Gerswind hat dafür verlangt, daß Ming sich auf die eine Pobacke „Gers“ und auf die andere „Wind“ drauf tätowieren ließ!“ ließ wiederum ich mich zu einem gewagten Späßlein hinreißen.
Doch schon beim „G“ hörte man Ming unter dieser schmerzhaften Prozedur ächzen und stöhnen, und beim „E“ krieselte es bereits leicht in der Beziehung.
Und so einigte sich Ming mit dem Tätowierer darauf, daß ein „Gerda“ ausreichen würde.
„Muß man sich eben eine Frau namens „Gerda“ suchen“, dachte der Schmerzgebeutelte ergeben.
„So heißt meine Frau!“ sagte der Tätowierer, und ich malte ein lustiges Bild zu diesem Szenarium.
Doch all diese Geschichten nutzte ich letztendlich doch nur dafür, mich in die Vergangenheit zu verkriechen, da mir die Gegenwart Grind bereitet.
Abschiede greifen mir immer schlimmer ans Herz, und bewegt und diffus begann ich nun damit, mich am Opa herum zu verabschieden, und machte mir große Sorgen, der Opa könne verdörren wie eine Pflanze, wenn ich weg bin, da er, um ganz artgerecht gehalten zu werden, doch eine vierköpfige Familie braucht – uns!
Am Abend in Bayern:
In einem Telefonhäusel in Metten telefonierte ich meine ganze Telefonkarte leer.
Von Ming erfuhr ich, daß der Opa heute suchend im Garten herumgelaufen sei.
„Opa, was suchst Du denn da??“ habe Ming gefragt.
„Weiß i nimmer!“ --- darüber lachte der Opa.
Doch Ming glaubt, er suchte mich.
Ich begab mich in die Wirtsstube, um mir einen petersiliengeschmückten Käseteller zu ordern, und am Tresen ging es heiß her, da die verhärmte Wirtin einen Streit-um-III artigen Konflikt mit einer aufgebrachten Kundin aus der Gästeschar ausfechten mußte, die eine Scherbe von einem Bierglaserl geschluckt hatte, und nun darauf wartete innerlich zu verbluten – während die Wirtin selber der Meinung war, man hätte seinem Leben zuliebe wohl etwas besser Obacht geben sollen?
Doch nun war´s zu spät, um diesen Ratschlag zu beherzigen.
Metten - Nürnberg
Meist Schön sonnig.
Abends jedoch etwas grimmig bewölkt
In der schäbigen Wirtsstube bediente heut ein verhärmtes Fräulein in einem verwaschenen Dirndl.
Über das Frühstück könnten böse Zungen zwar ausrufen: „Ein Knastfrühstück!“ doch mir gefiel´s.
Es gab Graubrot mit Käse und Marmelade – genau wie im Knast.
In der Zeitung las ich über die mörderische Jessica, eine Tochter aus angenehmem Hause (Altbau, Katze), die ihren Freund Olli (23) zu einer abscheulichen Tat angestiftet hatte: Den 9-jährigen Sedat zu ermorden. (Man glaubt´s kaum!)
Ich blätterte weiter und las, daß ein bekannter Regisseur sich dazu aufgerafft hatte, einen Film über Vera Brühne zu drehen, und Vera Brühne hatte sich schon so darauf gefreut, ihre Unschuld endlich per Film beweisen zu können. Doch kurz bevor der Film fertig wurde, starb sie!
Interessant fand ich, daß ihre Tochter Silvia an Zungenkrebs starb – dieweil sie nämlich ihre Zunge nicht im Zaum halten konnte, und ihre alte Mutter vor Gericht so schwer belastet hat!
Ich besuchte meine liebe Freundin Veronika in Nürnberg.
Bestürzt erfuhr ich, daß Herr Herberger, der neue Uralte an der Seite ihrer Schwester Franziska – ein Komponist und ehemaliger Kollege Buzens im Orchester - seit zirka einer Woche im Spital liegt, weil er so schwach geworden sei.
Beim Üben erfand ich für mich im Stillen einen Schüttelreim, den man aber leider nur im engsten Verwandtenkreise aufsagen darf:
Er meint, nach diesem Wein fürz ich, stets ganz besonders feinwürzig
Leider reißt nun auch bei meinem Konzertbogen ein Haar nach dem anderen.
Doch den Kritiker wird´s freuen, weil ihm gleich eine passende Überschrift einfallen wird, wenn er das sieht: „Geigerin ließ Haare“.
Als ich später mal ins Wohnzimmer trat, kauerte die Veronika, die ich doch im Bette wähnte, in der Ecke und quälte sich mit einem Pflichttelefonat mit ihrer Mutti ab. Dankbar reichte die Veronika den Hörer an mich weiter, da ich bekannt dafür bin, so gerne mit Seniorinnen zu plaudern, und Mutti Himstedts Stimme hörte sich ganz aufgeregt und verspannt an.
Ich erfuhr Folgendes:
Ihr unehelicher greiser Schwiegersohn Herr Herberger wurde mit Verdurstungs- und Verhungerungs-bzw. Vertrocknungserscheinungen ins Spital eingeliefert!
Seine dumme Helferin frägt immer bloß, wann er essen möchte, und ein so alter Mann kann doch auf eine so allgemein gestellte Frage gar keine gescheite Antwort geben!
„Hä?“ sagt er vielleicht auf Opa-Art und trichtert grämlich sein welkes Ohr?
So öffnet sie ihm eine Dose Schwarzwurzeln und stellt sie ihm einfach so auf den Tisch.
Die Franziska radelt in ihrer knapp bemessenen Mittagspause immer hin, und läuft bzw. wackelt mit dem alten Mann spazieren, damit er in Bewegung bleibt und frische Luft bekommt.
Doch manchmal wird´s nun auch der verliebten Franziska ein wenig viel.
Neulich erwischte sie die eine böse Tochter von Herrn Herberger, die in den Finanzpapieren ihres alten Vaters herumwühlte, und spitz auf ein baldiges Erbe zu sein scheint.
Und falls Herr Herberger die Franziska vielleicht in seinem Testament bedacht haben sollte, so ist´s genau dies, was die bösen Töchter nämlich befürchten.
Manchmal scheint Herr Herberger die Franziska mit seiner anderen bösen Tochter aus Kanada zu verwechseln?
„Ach, nun bist Du doch noch gekommen, mein Kind!“ sagt er mit leicht verklärtem Ausdruck.
Zur Mittagsstund besuchten Veronika und ich die Burg und setzten uns in den Biergarten.
Ich erzählte von Ming in der Schule, und scherzte, daß Rehlein und Opa ständig zum Elternsprechtag müssen.
Bald jedoch wurde die Rede auf andere Themen gelenkt, und wir sprachen über den aufdringlichen rumänischen Straßengeiger, der sich einfach an die gutmütige Veronika drangeheftet hat. Es handelt sich um einen Herrn mit einer Geigentrompete, der jedem Nürnberger ein Begriff sein dürfte. (Einem höchst seltenen und eindrucksvollen Instrument, das sich sowohl als Geige als auch als Tröte nutzen lässt.) Ständig bebettelt er die seelengute Veronika, und manchmal ruft er mitten in der Nacht an.
Er hat sich an die Veronika als guten Geist in seinem Leben einfach drangehängt.
Die Veronika erzählte, er habe erzählt, daß er vielleicht ins Gefängnis müsse, weil er so viele Schulden bei der Zahnärztin gemacht habe, und wenn er dann ins Gefängnis muß, so will er sich das Leben nehmen.
Und so gab es drei bis vier Orte, wo man ihn wähnen konnte: Im Gefängnis, im Kühlhaus, auf dem Friedhof oder aber seinem Stammplatz auf der Straße.
Und da sah man ihn auch wenig später: Inmitten einer Musikantengruppe aus dem Banat auf der Nürnberger Straße.
Die Veronika bekam einen Handkuß und auf dem Geigenkasten stand, zu lesen: „Aus dem Banat!“
Dies wäre doch etwas für den Opa gewesen, denn als Bub war der Opa mal im Banat, und heut als Greis, läßt er keine Gelegenheit aus, zu erzählen, daß er sich als Bub im Banat mit den Schweinen im Dreck gesuhlt habe, und dies habe ihm überhaupt nicht geschadet – im Gegenteil!
Gleich nach dem wirklich formvollendeten Handkuß bebarmte der Straßenmusikant die Veronika damit, daß er neue Saiten bräuche, und die gutmütige Veronika versprach, ihm einige zu besorgen und vorbeizubringen.
Nürnberg - Fulda
In Nürnberg sonnig.
In Fulda z.T. grimmig bewölkt und zuweilen doch auch sonnig
Zum Frühstück erzählte ich der Veronika von Frau Kettler, die der Meinung ist, daß zu ihrer Beerdigung womöglich überhaupt niemand kommt, und der polnische Hilfsgeistliche alleine vor sich hinfrömmeln muß? Und bei diesem unschönen Gedanken wird ihr zuweilen unfroh und klamm zumute.
Wenn der Hilfsgeistliche dann sieht, daß ihm niemand zuhört, zappelt er noch ein bißchen mit der Weihrauchrassel und macht sich auf listig polnische Art rasch vom Gottesacker? Es wäre ein schaler Abschied aus dem Leben – ähnelnd jenem aus der Musikhochschule Trossingen, der sie bereits vor einigen Jahren für immer den Rücken gekehrt hatte.
Beim Erzählen wehte mich eine leise Trostlosigkeit an, und ich frug mich, warum Beerdigungen wohl immer am Vormittag stattfinden müssen, wenn die Tage noch mühsamer scheinen als am Abend, an dem man zumindest am Horizont die Ziellinie sieht?
Doch dann widmete ich mich wieder meinem Gegenüber, der Veronika.
Wir sprachen darüber, wie die Veronika ständig mit der Mutter aneinanderschrammt, und ich frug gespannt, ob´s wohl schon mal vorgekommen sei, daß die Veronika bei einem Besuch bei ihren Eltern vorzeitig wutschnaubend abgereist ist?
Auch dies sei schon einmal vorgekommen, doch die Veronika bereute es bald, und ich frug mich, ob sie sich damals wohl wenigstens von ihrem milden Papa verabschiedet habe, und sah es bei diesem Gedanken plastisch vor mir, wie die Veronika schüchtern an der Tür seines Arbeitszimmers anpochte…
Die Gespräche modulierten an den Eltern vorbei zum Beruflichen hin:
Der neue französische Dirigent hatte sich für ein Werk von Schönberg acht freiwillige Geiger gewünscht, die auch tüchtig üben, doch bisher hat sich niemand gemeldet.
Ich reiste nach Fulda, und die Aura von Fulda taugt mir so gut, daß ich am liebsten dorthin auf den Andreasberg gezogen wäre.
Der Pfarrer Auersperg hat ja genug Geld, und es freut ihn sicherlich, wenn eine Geigerin bei ihm wohnt?
Platz gibt es auch reichlich.
Für Mahlzeiten und Unterkunft ist gesorgt, und sonst muß ich eben schauen, was ich so brauche, und wie ich´s mir beschaffe? Hi und da spiele ich auf Beerdigungen, oder aber am Sonntag im Gottesdienst und bekomme ein bis zwei Lappen Taschengeld zur freien Verjubelung.
Damit hole ich mir dann vielleicht mal ein Eis an der angrenzenden Tankstelle. Und zu diesen Gedanken schien mir das Leben leicht und angenehm.
Ich hielt ein Picknick auf dem Friedhof ab.
Es herrschte ein Vogelkonzert, und zwei Damen unterhielten sich auf solch lose Weise, als befände man sich im Fitnesstudio.
Ein Verstorbener hieß/heißt „Hans Maul“, und wenn man´s nuschelig ausspricht – „der Name bitte?“ „Hans Maul!“ so klingt´s direkt ein wenig ungehobelt.
Ich lief zur Kirche zurück und stellte mir unterwegs vor, wie ich hierher zöge und mich an der Musikschule Fulda anmelde: Ich sage einfach, ich sei jetzt nach Fulda gezogen und habe immer sehr gerne Geige gespielt. „In meiner letzten Musikschule durfte ich sogar im Orchester mitspielen!“ berichte ich stolz.
Und in der ersten Stunde geht der Geigenlehrerin vor Staunen der Hut hoch, daß ich Händels F-Dur Sonate so großartig spiele. Formvollendet, so daß man dererlei auch in der Royal Albert Hall in London anbieten könnte.
„Ich hatte einen ganz tollen Lehrer!“ brüste ich mich, „Herrn König!“
Dann begrüßte ich Herrn Auersperg, der sehr nett war, allerdings in Eile und Aufregung stak, dieweil er in wenigen Minuten im Radio reden mußte.
In seiner Freizeit betreibt Pfarrer Auersperg einen Kassettenversand. Er bespricht Kassetten mit wohlüberlegten Frömmigkeiten, und die Überschriften lauten einheitlich: „Die Heiligen werden kommen“. Nun aber dachte ich: „Die Eiligen werden kommen!“
Fulda - Gudensberg
Kalt. Dunkel bewölkt. Schließlich Regen
Für Herrn Auersperg und seine Hausnonne Veronika-Marie beginnt der Tag allmorgendlich bereits um 5 Uhr 10.
Um 21:45 geht das Licht im Wohnzimmer automatisch aus um zu symbolisieren: Zapfenstreich!
Ab ins Bett!
Am Morgen machen sie sich schön und gehen auf den Markt. Die Nonne mit dem aufgeworfenen Näschen (zirka 55 Jahre alt) ist eine süße Frau!
Aufgeweckt, lustig und griffig, und mir am Frühstückstische schenkte sie so nett Kaffee ein.
Ein zartes Windspiel verbreitete Sphärenmusik.
Auf dem riesengroßen Tisch, von dem wir drei nur ein winziges Eck einnahmen, standen die appetitlich aufgeschnittenen frischen und noch ofenwarmen Mohnbrötchen, und die schöne rote Marmelade haben Herr und Nonne gemeinschaftlich gemacht.
Einen Fernseher oder eine Spülmaschine besitzen sie in ihrem so überaus gemütlichen Heim indes nicht.
Gudensberg am Nachmittag.
Ein Schild wies auf die Synagoge hin, so daß ich sie schon in sicheren Händen glaubte. Doch ich wanderte und wanderte und wanderte und wunderte mich schließlich, warum ich sie wohl doch nicht finde? D.h. ich sah sie zwar durch die Häuser schimmern, doch dann fand ich sie doch nicht…komisch.
Schließlich aber fand ich sie doch – und dort fand am Abend mein Konzert statt.
Übernachtet habe ich in einem schlichten Hotel.
Gudensberg – Grebenstein
Unauffällige Wetterlage
Das Dumme ist:
Besuche ich die Oma, so fühle ich mich immer so getrieben.
Stehe ich auf, so denke ich: „Ich hätte längst aufgestanden sein sollen!“
Frühstücke ich, so denke ich: „Ich hätte längst ausgefrühstückt haben sollen!“ und in meinem Gemüt brauen sich bereits düstre Vorwurfsworte zusammen, die ich vielleicht zu hören bekomme?
„Du kommst spät, Mädchen!“
Ich bringe irgendeine besänftigende Ausrede.
„Ach, ist doch nicht wahr!“
…
„biddö??“
Gegen zehn Uhr traf ich in Grebenstein ein, und rief die Omi von jener Zelle am Fuße des Burgbergs aus an.
„Oh, ich freue mich, ich freue mich!“ sagte die Omi ganz multipel und so bezaubernd, und von diesen schönen Worten liebte ich die Omi unglaublich, und bestürmte auch augenblicklich die Wohnung, die sich nur wenige Schritte entfernt befindet.
Die Omi sah sehr gut aus, meinte aber, daß sie jetzt altersschwach sei, und es mit ihr zuende ginge. Von diesen Worten füllten sich meine Augen mit Tränen.
Eine Karte von der Tante Uta (etwas ärmlich vom Inhalt her, da sich in „Grüßen“ erschöpfend) lag auf dem Tische herum, und ich fürchte, die Uta lernt es in diesem irdischen Leben wohl nimmer, daß wir jetzt fünfstellige Postleitzahlen haben?
Mit anderen Worten: Diese zur Stund noch unbedankte Karte wurde vor sehr langer Zeit verfasst.
Ich brühte Tee auf, und zu diesem Genuß sprachen wir über Buzens Exe Hilde, mit der die Omi hin und wieder telefoniert.
Ich erfuhr, daß Hildes Mann Omar wegen mangelndem Fleiß und mangelnder Begabung aus der Schule verwiesen wurde, und die Hilde im Rahmen eines wüsten Ehezwists auf die Insel Juist geflüchtet sei.
Nach einer Weile war sie dann aber wieder daheim in ihrem symbolischen Pisspott (wüst ausgedrückt) in Stuttgart, und man muß sich leider eingestehen, daß die Hilde ihr Leben mit 36 Jahren in eine Sackgasse hineinmanövriert hat.
Der abiturlose Omar kann jetzt vielleicht noch als Würstelverkäufer oder allenfalls Bimmelbimbo in der Eisenbahn tätig werden.
Die Hilde sieht es nicht so gern, wenn der Omar „verbotene Liebe“, oder so einen Unsinn anschaut.
Sie möchte, daß er Heine liest und Beethoven hört.
Ich erzählte der Omi, wie die Hilde einst 95 Mark für ein Konzert mit Arkardij Wolodoss gespart hat. An jedem Tag, an dem sie nicht genörgelt hat, legte sie einen zehn Mark Schein zurück, und an jedem Tag, wo sie doch genörgelt hat, zog sie fünf Mark wieder ab.
Ich schlug der Omi vor, alle drei Monate zu einem anderen ihrer vier Kinder zu ziehen, und zu vereinbaren, daß jenes Kind, bei dem sie ihr Leben aushaucht alles erbt. So würden die Kinder immer angestrengt neun Monate lang den Daumen für sie drücken, daß dies nicht passiere.
Geballt grau und herb
Die Omi Ella erzählte, daß sie in der Nacht ganz traurig geworden sei, weil sie mir gestern noch so einen Wortwirbel bzgl. dessen gemacht hat, daß ich selbstständig werden müsse.
Doch ich konnte das Ellalein beruhigen, weil ich es ihr nicht krumm genommen hatte, und wirklich sehr gerne selbstständig würde.
Dann besuchte ich die Edith, jene Dame, die im Hause gegenüber lebt, und sich schon immer sehr um unsere Omi gekümmert habe.
Schon beim Klingeln stand ich in wehmütiger Vorfreude da, und umso erfreuter war ich, daß Edith und ich uns so herzlich mit einer ganz dicken Umarmung und sogar einem Doppelkuss begrüßten.
Auf der Straße wackelte ein alter Mann herbei, und die Edith frug ihn, wie´s wohl der „Helga“ geht?
Doch es lag schon zum Greifen in der Luft, wie´s ihr geht: nämlich sehr, sehr schlecht…und der Unglückspegel in dem kleinen Städtchen Grebenstein ist leider hoch – so, wie in allen übrigen Orten der Welt auch. Schmerzlich wird man überall daran erinnert, daß man hier nicht im Paradies ist.
Die Edith hatte gerade die Maler da, und bat mich dennoch in die Stube mit dem Ölgemälde an der Wand, das gewiss nicht jedermanns Geschmack ist: Ein sich schlängelnder Bach im Herbstwald. Ich blieb jedoch nicht lange, und nachdem zuende erörtert worden war, an welcher Stelle seines Lebenspfades man zur Stund wohl angelangt, bzw. vorbeitrippelt, verabschiedete ich mich wieder, und auf dem kurzen Heimweg überlegte ich, daß ich der Edith gerne ein ganz schönes Geschenk kaufen würde. Z.B. eine Dauerwurst, damit sie ganz lang an mich denken kann?
Daheim bei uns hatte sich die Helferin Frau Wyss soeben um Omis Morgentoilette gekümmert, und nachdem sie die Omi auf den Holzstuhl am Tisch gesetzt hatte, befand sie sich in gedämpfter Weiterwalzstellung, schien jedoch vorläufig durch Omis Plappereien noch lose an den Tisch gebunden.
Froh und dankbar, daß ich da bin, wollte Frau Wyss die Zeit für den Garten nutzen, aber auch diese Arbeit ist ihr keine Freude, sondern bloß mehr eine Last. Das Leben für die welkende und gilbende 60-jährige Frau Wyss hat aufgehört schön zu sein.
Beim Frühstück sprachen Omi und ich über den Kanzler Schröder.
Der Schröder, ein Mann von schnellen und zügigen Entschlüssen sucht sich immer augenblicklich eine Neue, wenn nach eineinhalb Jahren die hormongespeiste Verliebtheit nachläßt.
Als geradeaus agierender Politiker schenkt er seiner Noch-Ehefrau auch augenblicklich reinen Wein ein, so daß sie ihm im Grunde nicht zürnen darf, da er sie ja nicht belogen hat.
Ihm dann zu zürnen, hieße, der Natur zu zürnen, und wenn die Doris nach der Eröffnung, daß es eine Neue an seiner Seite gibt vielleicht schreit, heult und flucht, so sagt der Kanzler: „Doris, reiß dich bitte zusammen. Sonst verliere ich auch noch das letzte bißchen Achtung vor dir das noch da ist!“
Wieder stocherte ich in uralten Erinnerungen herum, versank in die Jahre 1910/1911 und dachte an Omis Brüderchen Heinrich, das nicht einmal zwei Jahre alt wurde, und wie es wohl gekommen wäre, und wie er wohl heut wär, und ob er überhaupt noch leben würde, und konnte es, wie schon so oft, nicht fassen!
Ihre Mama habe wegen dem großen, unfaßbaren Verlust immer sehr viel geweint, berichtete die Omi.
Zwar habe man sich so gut es eben ging mit dem kleinen Ellalein getröstet, aber ersetzen konnte einem den kleinen Heinrich natürlich niemand.
Auf dem Tisch lag die Zeitung, und die Omi interessiert sich eigentlich nur noch für die Trauerfälle, über die an manchen Tagen vereinzelt zu lesen ist. Man interessiert sich dafür, wie alt der Verblichene geworden, und wie tief die Trauer ist.
Heut jedoch las man etwas Erfreuliches:
Habe heute mein Ein-Zimmer Apartment im Bauch meiner Mama gekündigt um künftig „live“ dabei zu sein Celine 55 cm 3550 g
Eine Unlogik sondersgleichen, denn was ist mit der Kündigungsfrist?
Anhand dieser Geburtsanzeige beplapperte ich die Oma über die Wiedergeburt.
Man schwimmt durch die Lethe, alles ist wie weg gewischt, weil das ganze Leben ja nur ein kleiner, im Grunde unwichtiger Tag im Sumpf der Unendlichkeit war. Man streift seine alternde Hülle ab, und ist sofort in Form eines rosig-appetitlichen Bündels, über das man sich entzückt in die Wiege hinabbeugt, wieder da.
Wildfremde Leute werden plötzlich wichtig und interessant, weil´s ja die neuen leiblichen Eltern sind.
Im Rewe:
An der Kasse plärrte ein zirka dreijähriges Mädchen mit einer lustigen Zipfelmütze so häßlich.
Es hatte einen Ball gekauft bekommen, und sollte ihn an der Kasse doch nur kurz vorführen. Doch es veranstaltete ein derart ungezogenes Spektakel, und mochte nicht einmal aufhören, als es den Ball zurückbekommen hat.
Die Omi sang so süß, als sie so tapfer ihre 3 – 6 Runden um den Tisch herumwackelte.
Dann las ich der Oma aus einem schlanken und fesselnden Buch vor: „Psycho“, und die Omi sagte nach jedem Satz interessiert „Aaah“ und „Ooooh!“
Hernach schauten wir „Brisant“:
Seit heute sitzt jenes mörderische Pärchen in Duisburg vor Gericht, das im Januar so grausam den kleinen Sedat ermordet hat.
Der Richter würde am liebsten kurzen Prozess machen und die beiden in die Psychiatrische stopfen.
Der verrückte Oliver (23) frug gar: „Sagen Sie mir: War das richtig was ich getan habe?“
Grebenstein - Aurich
Sonnig
Gewissenhaft putzte ich Omis Gebiss, und als ich es in die Schlafstube zurücktrug, hupfte mir der Unterkiefer auf den Boden, und wäre beinah zerbrochen.
Schaudernd erzählte ich dies der Oma, die soeben von Frau Wyss fachkundig für den Tag zurechtgesattelt wurde, und das kleine Klappergestell, das jetzt auf dem Bette saß, wurde ganz aufgeregt davon.
„Oh Gott! Wahrhaftig? Ist es kaputt?“
„Nein, nein!“
Mit Schaudern mußte ich darüber nachdenken, wie es wohl gekommen wäre, wenn´s tatsächlich in der Mitte entzweigebrochen wäre?
Die Omi würde nur so dasitzen und wie eine defekte Schallplatte in eine totale Lebenssackgasse hineingeraten: „Ooohgottogottogottogott…“
Und ich wäre ganz hilflos!
Am Anfang des Tages war mir die Omi ein wenig rappelig erschienen.
Auf freiwilliger Basis marschierte sie sechsmal um den Tisch herum, und über die unpersönliche Automatenstimme die immer sagt: „Sicherheitsuhr zurückgestellt!“ meinte sie, die Dame sei heut nicht so gut gestimmt.
Hernach erzählte ich der Omi von meinem Großvetter, dem kleinen Florian, und von seinem weithergereisten Opa Rainer, der für ein Foto den Arm um das schmale Burschenschulterblatt gelegt hat.
Hernach reiste der Rainer nach Kanada zurück, und meldete sich, wie schon vorauszuahnen war, nie wieder.
Ich reiste weiter.