Schmiss und Wessen 4 - Gudrun Leyendecker - E-Book

Schmiss und Wessen 4 E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Ein Krimi, der Bonn 1969 in festlichem Licht und gefährlichen Schatten zeigt. Bonn erstrahlt im vorweihnachtlichen Glanz, doch hinter den geschmückten Fassaden regt sich Unruhe. Als ein Mord die feine Gesellschaft erschüttert, beginnt für Kommissar Mauser und die Privatdetektivin Sarah Wessen eine heikle Jagd nach der Wahrheit – begleitet von Schmiss, dem klarsichtigen Hund, der mit scharfem Witz erzählt. Die Spur führt in Salons voller Eitelkeit, alter Rivalitäten und kaum verheilter Wunden. Während Kerzen brennen und Radios Weihnachtslieder spielen, erkennt Schmiss, was die Menschen gerne übersehen. Zwischen festlicher Atmosphäre und aufziehender Gefahr entfaltet sich ein Krimi voller Spannung, Humor und zeitgeschichtlicher Tiefe. Die besondere Perspektive des tierischen Erzählers verleiht dieser Geschichte Wärme, Charme und einen Hauch Melancholie. Ein Roman über Wahrheit, Loyalität und das, was bleibt, wenn der Glanz verblasst – und ein Fall, der seine Leser*innen bis zur letzten Seite fesselt.

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Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 115 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsangabe:

Schmiss und Wessen ermitteln wieder einmal in einem Mordfall in Bonn. Im Dezember 1969 wird die Kioskbesitzerin Theresia Küpper ermordet aufgefunden. Ist es ein Raubmord oder gibt es ein anderes Tatmotiv? Der Hund Schmiss hilft nicht nur beim Ermitteln, sondern erzählt auf seine humorvolle Art und Weise, wie die Teamarbeit aussieht.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 1

Ich sag’s gleich, wie’s ist: Ich hatte keine Lust, an diesem Tag ins Büro zu gehen.

Regen prasselte an die Fensterscheiben, der Wind pfiff durch die Ritzen, und Bonn sah aus wie ein schlecht gelaunter Dackel. Mein Frauchen Sarah war natürlich bester Laune – sie pfiff, als sie mir die Leine umlegte. Immer dann, wenn ich schlechte Laune habe, pfeift sie. Menschen sind seltsam.

Im Kommissariat roch es wie immer nach einer Mischung aus Zigaretten, Aktenstaub und Mausers Filterkaffee, den man eher als chemisches Experiment denn als Getränk bezeichnen konnte. Kommissar

Mauser saß an seinem Schreibtisch, als wir hereinkamen, und blätterte in einem Bericht. Sein grauer Trenchcoat hing über der Stuhllehne, der Hut lag auf dem Aktenschrank, und auf seinem Gesicht lag die übliche Mischung aus Müdigkeit und Melancholie – also normaler Dienstzustand.

„Aha, Fräulein Wessen“, brummte er, als Sarah sich setzte. „Und der Hund natürlich auch wieder mit vollem Einsatz.“

Ich setzte mich würdevoll auf meinen Platz – den Fußabtreter. Würde ist schließlich eine Frage der Haltung.

„Guten Morgen, Herr Kommissar“, sagte Sarah. „Was gibt’s Neues?“

„Eine tote Frau“, sagte Mauser trocken.

„Theresia Küpper, Kioskbesitzerin.

Ecke Römerstraße, Nähe Adenauerallee. Heute früh gefunden. Erst hieß es Raubmord, aber bisher fehlt noch jedes klare Motiv.“ Er seufzte.

„Die Spurensicherung war schnell vor Ort“, fuhr Mauser fort. „Keine Kampfspuren. Sie saß wohl an ihrem Platz, als sie starb. Ist vom Stuhl auf den Boden gefallen. Sah zunächst nach Herzversagen aus. Die Pathologie prüft das gerade. Übrigens, ein Kunde der gerade bei ihr einkaufen wollte, hat sie gefunden und uns sofort verständigt. Herr Meier glaubt, dass es ein Raubmord gewesen ist, denn die Kasse stand offen und war leer. Deswegen vermute ich, dass sich der Täter bereichern wollte. “

Sarah nickte und zog ihr Notizbuch aus der Tasche. „Sie war eine nette Frau. Ich hab’ manchmal bei ihr eine Illustrierte gekauft. Und Leckerlis für den Hund.“ Ich blickte unschuldig an die Decke. Nur zur Tarnung natürlich.

„Wenn es ein Raubmord war, dann hatte es der Täter nur auf das Geld abgesehen.“, sagte Mauser. „Die Zigaretten und alles andere scheinen ihn nicht interessiert zu haben. Bis jetzt sieht es so aus, als würde da nicht viel fehlen.“

„Vielleicht war der Täter ein Nichtraucher“, überlegte Sarah. „Oder er wollte draußen auf der Straße nicht auffallen, schließlich war der Kiosk geöffnet und dort gibt es genügend Passanten, die dem Täter begegnen konnten.“

Gerade da klopfte es an der Tür. Ein junger Kollege steckte den Kopf herein

– Hemd zerknittert, Gesicht müde.

„Chef? Die Pathologie hat angerufen. Die Todesursache steht fest.“ Mauser hob eine Augenbraue. „Na los, überraschen Sie mich.“

„Vergiftung. Im Mageninhalt war Koffein – und eine ordentliche Portion Digitalis. Im Kaffee.“

„Gift?“ fragte Sarah leise.

„Gift“, bestätigte der Kollege. „Jemand hat’s ihr ins Getränk gemischt. Ihre Kaffeetasse hatten wir zum Glück mitgenommen. Auch da konnten wir Giftspuren entdecken.“

Mauser schwieg einen Moment, dann stellte er seine eigene Tasse demonstrativ ab. „Na wunderbar. Ab jetzt trink’ ich Tee.“

„Das war also kein Herzversagen“, sagte Sarah.

„Nein. Jemand hat nachgeholfen. Und zwar mit Sachverstand“, brummte Mauser. „Digitalis kriegt man nicht einfach so. Das ist ein Herzmedikament – in der richtigen Dosis nü tzlich, in der falschen tödlich.“

Er stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus auf den grauen Hof. „Frau Küpper war beliebt. Kannte jeden in der Nachbarschaft. Hat Zigaretten, Brötchen und Neuigkeiten verkauft. Wer vergiftet so eine Frau?“

Sarah überlegte. „Jemand, der die Möglichkeit hatte, ihr das Gift in die Tasse zu tun, ohne dass sie es merkte. Vielleicht war sie doch nicht so nett, wie wir denken. Offenbar wissen wir doch noch nicht alles über sie.“

„Genau das dachte ich mir auch.“ Mauser drehte sich um. „Fräulein Wessen – ich möchte, dass Sie sich das Kiosk ansehen. Treffen Sie sich dort mit der Nachbarin, einer gewissen Iris Töpfer. Sie hat oft im Laden ausgeholfen und kennt die Küpper gut. Vielleicht weiß sie etwas mehr über das Leben dieser Frau.“

„Und was ist mit Ihnen?“ fragte Sarah interessiert.

„Ich bleibe hier und versuche herauszufinden, woher das Digitalis stammt. Vielleicht kommt es aus einer Apotheke, vielleicht aus einem Medizinschrank. Oder von jemandem, der zu viel Krimis liest.“

„Das tun Sie doch auch“, meinte Sarah schmunzelnd. Mauser lächelte dünn. „Ich hab keinen Hund, der mich warnt, wenn der Kaffee tödlich schmeckt.“

Ich wedelte. Das sollte wohl ein verstecktes Lob für mich sein.

Sarah steckte ihr Notizbuch ein. „Also gut. Ich sehe mir den Tatort an, rede mit Frau Töpfer. Vielleicht hat sie ja eine Ahnung und kann mir sagen, wer etwas gegen Frau Küpper hatte“

„Tun Sie das“, sagte Mauser. „Und Fräulein Wessen?“

„Ja?“

„Trinken Sie dort nichts, was nach Kaffee aussieht.“

Ich bellte zustimmend. Besser war das. *

Kapitel 2

Ich sag’s euch, ich hab ja schon viele Menschen getroffen – die meisten rochen nach Sorgen, ein paar nach Hoffnung, aber die Frau Töpfer roch eindeutig nach Plauderei. Kaum waren wir am Kiosk angekommen, da kam sie auch schon heraus, ein freundliches Lächeln im Gesicht und ein Schal, der aussah, als hätte er schon viele Geschichten gehört.

„Na, Sie müssen Frau Wessen sein!“, rief sie. „Ich bin die Iris. Und das ist ja der berühmte Hund!“ Ich wedelte höflich. Berühmt, ja, das war ich gern.

„Wir können ruhig ‚du‘ sagen“, meinte sie gleich und klopfte Sarah freundschaftlich auf den Arm. Mein Frauchen zögerte kurz – sie hat ja diesen professionellen Ton, wenn’s ums Ermitteln geht – aber ich sah, wie sie nickte.

Ich wusste: Wenn Menschen „du“ sagen, kommt bald die Wahrheit ans Licht. Oder wenigstens der Klatsch.

Der Kiosk war klein, aber vollgestopft wie ein Adventskalender. Zigaretten, Schnapsfläschchen, Illustrierte, Gummibärchen, bunte Lutscher, ein paar traurige Topfpflanzen und ganz hinten eine Lottoannahmestelle, bei der man seine Hoffnung gegen ein paar Mark eintauschen konnte. Und über der Uhr hing auf einem hölzernen Schild in geschwungenen Buchstaben:

„Bei mir können Sie Ihr Glück kaufen!“

Ich fand das äußerst mutig. Glück kann man nicht kaufen – höchstens anknabbern, wenn’s in Leckerli-Form kommt.

„Das war ihr Spruch“, erklärte Iris stolz. „Hat sie sich selbst ausgedacht! Sie hat ihn sogar auf ein Handtuch sticken lassen. Das hängt da hinten in dem winzigen Klo.“

Sie deutete in Richtung einer Tür, die aussah, als würde sie jeden Moment beleidigt zufallen. Ich beschloss, das mit dem Handtuch einfach zu glauben und keinen weiteren Augenschein zu nehmen.

Sarah betrachtete den kleinen Verkaufsraum sehr aufmerksam – und ich sah mich natürlich auch um. Ich schnüffelte an den Stellen, wo andere nicht hinschauten: am Fuß des Verkaufstischs, beim Stuhl, auf dem Frau Küpper zuletzt gesessen haben musste, und am Boden, wo der Geruch von altem Kaffee noch immer in der Luft lag.

Ich sag euch, das war kein gewöhnlicher Kaffee. Da war was Bitteres drin. Nicht Zucker – eher … Misstrauen.

„Gefunden hat sie ein Kunde“, erzählte Iris weiter, während Sarah sich Notizen machte. „Er wollte nur eine Zeitung kaufen. Dann hat er die Rettung gerufen, und ich bin gleich rüber. Da war’s aber schon zu spät.“ Sarah sah auf. „Und wo ist dieser Kunde jetzt?“

„Mit den Beamten im Kommissariat.

Die wollten ein Protokoll aufnehmen.“

Ich schnupperte unterdessen an einem Körbchen mit Hustenbonbons.

Zuckerfreie – wie traurig.

Menschen bestrafen sich wirklich gern selbst.

„Hast du sonst jemanden gesehen?“, fragte Sarah.

Iris schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Aber...“ – sie senkte die Stimme ein bisschen – „... sie hatte immer dieses rote Notizbuch. Kennst du das?“

Sarah runzelte die Stirn. „Ein Notizbuch? Wozu?“

„Da schrieb sie die Namen ihrer Kunden rein.“

„Aller Kunden?“ fragte Sarah ungläubig. „Etwa von jedem, der Zigaretten gekauft hat?“

Iris lachte leise. „Nein, nein, nicht von denen. Nur von denen, die was... anderes wollten.“

„Anderes?“ Sarahs Stirn legte sich in Falten.

„Na, die kamen nicht wegen Zigaretten oder Losen. Sondern wegen ihrer Zukunft.“

Ich hob den Kopf. Zukunft?

Ich dachte immer, Menschen wollten Wurst.

„Sie war nämlich Kartenlegerin“, erklärte Iris stolz, als hätte sie gerade ein Staatsgeheimnis verraten. „Im kleinen Hinterzimmer. Ganz diskret, versteht sich. Da hat sie den Leuten die Karten gelegt – und die Namen fein säuberlich in das rote Büchlein geschrieben. Das müsste hier irgendwo noch liegen.“

Sarah sah sich nachdenklich um. „Das erklärt, warum sie so viele Stammkunden hatte...“

„Und warum sie mehr wusste, als gut für sie war“, fügte Iris hinzu.

Ich dachte:

Na klar, wenn man Menschen ihre Zukunft erzählt, erzählen sie einem zuerst ihre Vergangenheit. Und die ist meistens das gefährlichste Kapitel.

Sarah nickte langsam, während sie den Blick über die Regale schweifen ließ. Ich wedelte leicht mit dem Schwanz. Ich wusste: Das rote Buch würde sicher bald auftauchen – und dann würde es spannend.

Und vielleicht, ganz vielleicht, gäbe es ja dort einen Hinweis auf jemanden, der kein Glück kaufen, sondern Rache servieren wollte.

*

Kapitel 3

Manchmal, meine Freunde, kann ich nur den Kopf schütteln – beziehungsweise die Ohren.

Menschen haben eine ganz eigene Art, Dinge zu verstecken. Wenn ich was verstecke, dann buddle ich’s ein oder schieb’s unter Sofakissen. Aber die Frau Küpper – die hatte Stil.

Sie hat’s auf die Toilette gelegt. Unter den Vorrat an Toilettenpapierrollen. Da muss man erst mal draufkommen.

Aber der Reihe nach.

Sarah war wieder voll im Ermittlermodus – dieser Blick, bei dem sie die Stirn so leicht runzelt, dass ich sofort weiß: gleich riecht’s nach Arbeit.

„Als die kriminaltechnische Untersuchung hier war, wussten die ja noch nicht, wonach sie suchen sollten“, erklärte sie Frau Töpfer. Ich nickte zustimmend – so weit das mit einem Hundehals geht.

„Zu dem Zeitpunkt wusste man ja noch nicht, dass sie vergiftet worden war. Oder dass sie hier... einen Nebenjob hatte.“

„Na ja“, meinte Iris und rückte ihren Schal zurecht, „Jeder wusste das nicht. Aber Theresia war eine Frau mit vielen Talenten. Und Geheimnissen.“

„Ich nenne das Beschäftigungstherapie“, murmelte ich. „Menschen können einfach nicht stillsitzen, ohne sich Ärger einzuhandeln.“

Wir suchten also. Sarah durchforstete Regale, Schubladen, sogar den Mülleimer – ich übernahm den Boden. Einer muss ja den gründlichen Teil machen. Iris sah sich in dem kleinen Hinterzimmer um, in dem wohl die berühmten Karten gelegt worden waren.

Da standen tatsächlich noch ein paar Teelichter, eine alte Tischdecke mit goldenen Sternen und ein kleiner Zettel mit der Aufschrift: „Montag, 14 Uhr: Hannelore G.“

Ich dachte: Wer sich so kryptisch Notizen macht, braucht sich über Missverständnisse nicht zu wundern.

Und dann rief Sarah: „Da ist es!“ Ich sprang auf, fast hätte ich die Zigarettenwand umgerempelt.

Sie stand in der kleinen Toilette und hielt ein kleines rotes Büchlein in der Hand. Es war ein bisschen zerknittert, aber eindeutig etwas, das man gut verstecken musste.

„Unter den Toilettenpapierstapeln“, erklärte sie kopfschüttelnd.

„Vermutlich hatte der Mörder keine Zeit, danach zu suchen – wegen des Publikumsverkehrs.“ Ich bellte leise. „Oder weil Menschen in Notlagen selten an Hygieneartikel denken.“

Sarah blätterte vorsichtig durch die Seiten, und ich beobachtete sie. Ich kann ja keine Buchstaben lesen – aber ich kann Gesichter lesen. Und ihr Gesicht sagte: Das hier ist etwas Besonderes.

„Sie hat alle Vornamen mit Terminen notiert“, murmelte Sarah, „aber für die Nachnamen steht nur ein Buchstabe. Vermutlich der Anfangsbuchstabe.“

„So war sie eben“, sagte Iris. „Diskret, aber nicht unordentlich.“

Sarah nickte langsam.

„Und dieser Name hier?“ Sie zeigte auf das Titelblatt. „‚Manila‘?“

„Ja“, sagte Iris, und ihre Augen wurden ein bisschen weich. „So nannte sie sich, wenn sie Karten legte. Sie hatte den Traum, irgendwann mal nach Manila zu reisen. Daher der Name.“

„War sie jemals dort?“

„Nein“, antwortete Iris lächelnd. „Aber sie hat es jedes Jahr bis an die Mosel geschafft. Das war sozusagen ihr persönliches Manila.“

Ich musste gähnen. Menschen! Träumen von fernen Ländern und landen dann doch wieder zwischen Moselwein und Zigarettenregalen. Aber immerhin – sie träumen.

Sarah sah noch einmal in das kleine Büchlein, als könnte es ihr gleich die ganze Wahrheit zuflüstern.

„Diese Liste ist Gold wert“, sagte sie nachdenklich. „Jeder dieser Vornamen könnte ein Hinweis sein.“

„Vielleicht auch mehrere“, meinte Iris, die langsam wieder redseliger wurde.

„Sie hatte eine Menge Kundschaft. Und nicht nur neugierige Hausfrauen. Da waren auch... wichtigere Leute dabei.“

Ich spitzte die Ohren. Wichtige Leute? Das klang nach

Politik, Geld oder Ärger – oder nach allem drei zusammen.

Sarah notierte sich etwas und fragte:

„Weißt du noch, wer regelmäßig bei ihr war?“

„Ein paar Namen fallen mir bestimmt wieder ein“, überlegte Iris. „Aber nicht alle. Es waren so viele... und manche Kunden wollten lieber nicht, dass man sie erkennt.“

Ich setzte mich hin und blickte zu meinem Frauchen auf. Das war wieder einer dieser Fälle, bei denen ich wusste: Das rote Büchlein würde uns noch eine Menge Geschichten erzählen – und vermutlich würden die meisten davon nach Ärger stinken.

*

Kapitel 4

Wenn man lange genug in diesem Beruf ist – und ich meine natürlich den

Ermittlerberuf auf vier Pfoten – dann weiß man: Es sind immer die kleinen Sätze, die wichtig sind.

Und diesmal kam so einer von Frau Töpfer.

„Dann glaubst du also nicht, dass es ein Raubmord war?“ fragte sie und legte den Kopf schief.

„Ich, ehrlich gesagt, auch nicht.“

Ich sah zu Sarah. Sie hatte gerade die Stirn in Falten gelegt, und das bedeutete, dass in ihrem Kopf die Zahnräder der Logik schon wieder ordentlich ratterten.

„Ein Dieb hätte sicher die Kasse eilig geplündert“, erklärte sie ruhig.

„Vielleicht mit einer Maske vor dem Gesicht, hätte Frau Küpper mit einem Messer bedroht oder zur Herausgabe des Geldes gezwungen. Aber niemand träufelt Gift in eine Kaffeetasse und wartet geduldig, bis jemand tot vom Stuhl sinkt.“

Ich nickte. Das wäre auch für mich ein seltsamer Überfall. Wer so was plant, hat keine Eile – der will jemandem etwas heimzahlen.

„Das ist absolut untypisch“, fuhr Sarah fort. „Das passt eher zu einem Racheakt. Vielleicht wollte der Täter nur, dass man an einen Raubmord glaubt.“

Ich dachte: Menschen sind schon komisch. Wenn sie sich rachen wollen, tun sie’s auf die langsamste, komplizierteste Art, die man sich vorstellen kann. Wir Hunde würden einfach bellen und beißen – viel ehrlicher.

Iris nickte bedächtig. „Dann ist also das kleine rote Buch so wichtig. Sollen wir einfach mal nachschauen, was drinsteht?“ Sarah schloss es fest in der Hand. „Das können wir später immer noch. Aber vielleicht kennst du ein paar Stammkunden. Hat sie mit dir über ihre Kundschaft gesprochen?“

„Selten“, erklärte Iris. „Wenn sie von einem Fall erzählte, verriet sie keine Namen. Nur ein paar kenne ich, weil diese Leute aus der Nähe sind. Da wäre zum Beispiel eine Frau Schlüter, die kam immer mit einem Wehwehchen und dachte jedes Mal, sie müsste daran sterben. Die hatte natürlich immer gute Karten.“

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

Ein Hypochonder mit Glückskarten – das nenn ich mal Lebensoptimismus.

Sarah überlegte laut: „Vermutlich bleibt mir nur eine Möglichkeit. Ich werde mit Schmiss hierbleiben und schauen, wer zu den Terminen kommt. Sicherlich hatte sie noch einiges offenstehen.“

„Im Prinzip ist das nicht schlecht“, meinte Iris. „Du wirst Leute kennenlernen, die dir was über Theresia erzählen können. Aber der Mörder – der kommt bestimmt nicht wieder.“

Ich dachte: Wahrscheinlich nicht. Aber manchmal haben Mörder das Bedürfnis, ihr Werk noch mal zu bewundern.

Menschen sind sentimental, selbst beim Verbrechen.

Sarah runzelte die Stirn. „Ich muss sowieso erst abwarten, ob das Häuschen freigegeben wird. Vielleicht schickt Mauser die Kriminaltechniker noch einmal her. Das werde ich abwarten müssen. Auf jeden Fall sollte die Presse noch nichts berichten.“

„Und bis dahin sag ich dir, was ich über die Kunden weiß“, schlug Iris vor. Ich spitzte schon die Ohren – als plötzlich die Türglocke bimmelte.

Ein Herr mit Hut und Mantel trat ein. Es roch nach kaltem Tabak und Zeitungspapier – eine Kombination, die man in Bonn an jeder Ecke findet. „Guten Tag“, sagte er freundlich. „Ich wollte nur meine Zeitung abholen. Die Frau Küpper hat mir immer eine zurückgelegt, sonst ist sie mittags immer ausverkauft.“

Ich war fast ein bisschen enttäuscht. Kein Verbrecher, kein Hinweis – nur ein Stammkunde mit Lesegewohnheit. Aber Sarah hatte diesen Blick, der sagte: Man weiß ja nie.

„Sie haben wohl noch nicht gehört...“, begann sie vorsichtig. Er hob die Brauen. „Was denn?“

„Frau Küpper ist... gestorben“, sagte Sarah leise, „es war ein gewaltsamer Tod.“ Er erstarrte. „Wie bitte? Ermordet? Das kann ich gar nicht glauben!“

Ich schnüffelte an seinem Mantel – kein Angstgeruch, nur ehrliche Bestürzung. Das war ein ehrlicher Mann. Einer, der sich über den Tod eines Menschen wirklich wunderte.

„Ich habe sie zwar nur flüchtig gekannt“, sagte er, „aber sie war immer freundlich, immer hilfsbereit. So eine – die jedem ein gutes Wort mitgibt. Unvorstellbar, dass jemand ihr was antut.“

Sarah nickte mitfühlend. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was helfen könnte – wer sie besucht hat, ob jemand auffällig war – melden Sie sich bitte.“ Er versprach es, nahm seine Zeitung, und beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal um, als wollte er sicherstellen, dass das alles kein Irrtum war.

Die Türglocke bimmelte ein zweites Mal, dann war es still. Nur der Geruch von Druckerschwärze blieb in der Luft hängen.

Sarah blickte nachdenklich zur Kasse. „Das war kein Zufall, Schmiss. Ich bin sicher, dass noch mehr Leute auftauchen werden, die ‚nur mal kurz‘ vorbeischauen.“

Ich legte mich hin und schniefte zufrieden.

Dann soll’s so sein, dachte ich. Ich hab ein gutes Gespür für Menschen, die lügen – und für solche, die zu viel wissen.

Und wenn’s nach mir ging, konnte dieser Kiosk ruhig noch ein paar Tage geöffnet bleiben.

Denn zwischen Zeitung, Zigaretten und Zukunftskarten – da verstecken sich manchmal die besten Geschichten.

*

Kapitel 5

Gerade hatte Iris angefangen, von dieser Frau Schlüter zu erzählen – der mit den vielen Wehwehchen, die offenbar mehr Vertrauen in Karten als in Ärzte setzte – da ging die Tür auf, und ich roch ihn schon, bevor ich ihn sah:

Kommissar Mauser.

Ein Mix aus Pfeifentabak, Bürostaub und der unerschütterlichen Überzeugung, dass Logik alles erklären kann.

„Na, meine Damen?“ brummte er. „Schon was Neues in unserer Lotto-, Zigaretten- und Pressezentrale?“

Sarah richtete sich auf. „Allerdings, Chef. Wir haben herausgefunden, dass Frau Küpper hier nicht nur Zeitungen verkauft hat. Sie war auch als Kartenlegerin tätig – unter dem Namen Manila.“

Ich schwöre, Mauser hat selten so geguckt. Erst zog sich seine Stirn in Falten, dann hob er die Brauen so weit, dass sie fast unter der Mütze verschwanden.

„Kartenlegerin?“ wiederholte er langsam. „Also... Hokuspokus mit Spielkarten?“

„Kipperkarten“, korrigierte Sarah.

„Aha. Also edlerer Hokuspokus.“

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Mauser glaubte nur an zwei Dinge: Aktenordner und belegbare Beweise. Alles andere fiel für ihn in die Kategorie „Sonntagsbeilage der Lokalzeitung“.

„Ich nehme an, ihre Kundschaft bestand aus armen, verirrten Seelen,“ murmelte er. „Einsamen Witwen, hysterischen Hausfrauen, vielleicht noch einem unglücklichen Liebhaber mit zu viel Phantasie.“

Aber da reckte Iris Töpfer stolz das Kinn.

„Ach, Herr Kommissar“, sagte sie, „da täuschen Sie sich gewaltig. Da waren Leute dabei, die Sie überraschen würden. Politiker, Ärzte, Künstler – und, ja, sogar ein Kriminalkommissar.“