Altenpflege mit Herz - Sascha Sandhorst - E-Book

Altenpflege mit Herz E-Book

Sascha Sandhorst

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Beschreibung

Die Pflege von Menschen, die auf diese angewiesen sind, ist einer der wichtigsten Dienstleistungsbereiche in unserer Gesellschaft, da die Familien heutzutage kaum mehr in der Lage sind, dies für ihre betroffenen Angehörigen zu leisten. Umso wichtiger zu wissen, dass diejenigen, die sich um einen selbst oder die lieben Verwandten kümmern, dies mitunter genauso liebevoll tun, wir man sich das wünscht. Sascha Sandhorst ist so ein leidenschaftlicher Pfleger und stellt dem Leser anhand seiner eigenen Biografie den Pflegeberuf vor. Dabei gewährt er Einblicke hinter die Kulissen, die für Angehörige und Betroffene sehr hilfreich sein können, zeigt die schönen Seiten dieses Berufes und gibt Berufsanfängern, Wiedereinsteigern aber auch gestandenen Kollegen Tipps und Fallbeispiele, mit den von ihm angewandten Problemlösungsstrategien.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Sascha Sandhorst

Altenpflege

mit Herz

Ganz im Sinne des Betroffenen

Copyright: © 2015 Sascha Sandhorst

Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Der aufregende und steinige Weg in den Pflegeberuf

Eine kräftige Portion unvorhersehbares Glück

Eine Reise durch den stationären Pflegeablauf bis ins kleinste Detail

Praxisorientiertes Beispiel: Herr Hinnerks will nicht in die Beschäftigungstherapie. – Wie gehe ich damit um?

Praxisorientiertes Beispiel: Frau Barber Kuhlmann verweigert jegliche Körperpflege und Pflegehandlungen seitens des Personals

Unerwarteter Lob und Tadel zugleich

Über eine wundervolle Begegnung zum beruflichen Aufstieg

Mein Einsatz als Pflegedienstleitung

Die Entwicklung von Überlastung und Krankheit

Mit alter Stärke zurück im Pflegeberuf

Schlusswort

Vorwort

Ich kenne Sascha Sandhorst seit rund fünfundzwanzig Jahren und habe seine persönliche und besonders auch seine berufliche Entwicklung direkt miterlebt. Nun hat er diesen Werdegang niedergeschrieben und herausgekommen ist dieses ehrliche Buch, das bei mir großen Respekt hervorruft.

Ich erinnere mich gut an sein Ringen um die richtige Berufswahl, denn eine Facharbeiterstelle bei Volkswagen aufzugeben, heißt in Ostfriesland auf einen Lottogewinn zu verzichten. Aber er hat richtig entschieden: In der Altenpflege konnte Sascha seine Charakteranlagen und seinen Fähigkeiten in einen Beruf einbringen, der ihm Zufriedenheit, Erfüllung und Spaß verschaffte.

Aber einfach war dieser Weg nicht, den Sascha Sandhorst mit großem zeitlichen Engagement, mit hoher Lernbereitschaft, mit ganz viel Ehrgeiz, kurz: mit all seinen Kräften und seiner ganzen Passion gegangen ist. Das wird in den Schilderungen des Pflegealltags deutlich. Sascha Sandhorst schildert eindrucksvoll, wie viel Kenntnisse und Fähigkeiten heute zum Pflegeberuf gehören. Aber auch das macht noch keinen guten Pfleger aus. Dazu müssen Zuverlässigkeit und Geduld kommen und die Fähigkeit, den anvertrauten Menschen mit Einfühlungsvermögen und Empathie zu begegnen. Die in diesem Buch dargestellten Fallbeispiele zeigen, dass Sascha Sandhorst all diese Eigenschaften hat und damit vielen alten Menschen Lebensmut und Lebensfreude, die sie schon verloren hatten, wieder zurückgegeben hat.

Was das Buch zu etwas ganz Besonderem macht, ist die Offenheit, mit der Sascha Sandhorst schildert, dass man auf einem Berufsweg auch scheitern kann. Als sein Einsatz und sein Ehrgeiz ihn in Leitungsaufgaben führten, haben ihn weniger die Vorgesetzten als er sich selbst überfordert. Es spricht für ihn, dass er dies rechtzeitig erkannt hat, bevor das innere Feuer für den Traumberuf Pflege erloschen war. Und er entschied wieder richtig: Er gab die Leitungsfunktionen auf und kehrte zurück an die Basis der Pflege. Hier kann er nun sein Wissen, das er ständig erweitert, seine großen Erfahrungen und vor allem seine ungebrochene Fähigkeit zum Mitfühlen, Mitleiden und Miterleben wieder voll zur Geltung bringen. Er ist ein Pfleger, den man sich wünscht, wenn das Leben sich dem Ende nähert, wenn der Körper nicht mehr mitmacht, wenn man sich einsam und verlassen fühlt.

Walter Theuerkauf

Einführung

In diesem Buch beschreibt Sascha Sandhorst, verpackt in einigen spannenden und humorvollen Kurzgeschichten, humorvoll und zuweilen mit kleinen lustigen Anekdoten seinen beruflichen Werdegang in der Pflegebranche. Er berichtet wie er, aus einer kleinen VW-Arbeiterfamilie entwachsen, gegen große Widerstände über einen zweiten Bildungsweg in den Bereich der Gesundheitsbranche wechselte, sich dort etablierte und vom Altenpfleger bis zur Pflegedienstleitung und zum stellvertretenden Heimleiter aufstieg. Er beschreibt alle Höhen und Tiefen die er erlebt hat und mit denen er sich auseinandersetzen musste, gewährt seinen Leserinnen und Lesern tiefe Einblicke in das Berufsgeschehen eines Altenpflegers und legt seine Aufgaben und Tätigkeiten im Stationsablauf bis ins kleinste Detail offen. Er zeigt Wege, wie er sich mit recht einfachen empathischen Mitteln und Validation in die Gefühlswelt des Betroffenen hineinversetzt, um somit im Einklang einen gemeinsamen Zugang zu ihnen zu erreichen. Gerade diese empathische Pflege im demenziellen Pflegebereich ist von entscheidender Bedeutung und eine Grundvoraussetzung, um diese Menschen in Bezug auf ihre biografischen Gewohnheiten und Erlebnisse aktivierend und fördernd zu betreuen.

Anhand einiger Beispiele schildert der Autor Schritt für Schritt, wie er die aktivierende und fördernde Prozesspflege in seiner alltäglichen Arbeit am Betroffenen umsetzte. Er entdeckte diese besondere Gabe bei sich und stellte schon zu Beginn seines Berufslebens als Altenpfleger fest, dass er in der Lage war, sich in die Situation des Betroffenen hineinzuversetzen. Wohlbemerkt eine Gabe, die längst nicht jede Pflegeperson besitzt. Entgegen der Anfangszeit als Altenpfleger änderte er seine Sichtweise und sein Handeln am Betroffenen, indem er sich von veralteten Betriebsstrukturen und der ursprünglichen funktionellen Pflege befreite und sich stets an den neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen der Pflege orientierte. Er tauchte in die Gefühls- und Gedankenwelt der Betroffenen ein und führte somit die Pflege aus Sicht der Heimbewohner durch. Diese wurden in jegliche Veränderungen ihres Umfelds mit einbezogen und haben die Neuerungen angenommen und mitgestaltet.

Sascha Sandhorst gibt Anregungen und praktische Tipps, wie Sie sich aus der Sichtweise des Pflegenden Ihren Arbeitstag annehmlich zurechtrücken und mit einem guten Gewissen Ihren Feierabend genießen können.

Dieses Buch erzählt detailliert, wie der Autor auf diesem Weg seinen ehemaligen Stationsleiter und späteren Mentor Hermann Ulferts kennenlernte, der ihn auf seinem gesamten beruflichen Weg begleitet und gefördert hat. Über die Dienstjahre entwickelte sich eine Freundschaft, von der beide bis zum heutigen Tag profitieren.

Sascha Sandhorst möchte seine Leser an den unvergleichlichen Erfahrungen und Erlebnissen, die er erfahren hat, teilhaben lassen und schafft somit Platz und Raum für neue Anregungen und Mut, das zu erreichen und umzusetzen, was man gerne möchte. Er hatte sich einst vorgenommen, eine Veränderung in seinem Leben herbeizuführen, sich einen wohlbedachten Weg erarbeitet und diesen konsequent und mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln umgesetzt. Hierbei war er auf die Mithilfe von Menschen und aus seinem Umfeld angewiesen, die ihn freundlich unterstützen. Der Autor weiß bis heute nicht, wie er sich dafür bei ihnen bedanken kann. Er handelte stets nach dem Motto: Wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich irgendwo eine neue.

Dies ist kein alten- und krankenpflegerisches Fachlehrbuch. Sehr wohl aber werden mit diesem Buch bedienstete Pflege- und Betreuungspersonen aus ambulanten, stationären oder teilstationären Bereichen und Pflegeeinrichtungen angesprochen sowie Menschen und Interessierte aller Altersklassen und Gruppierungen, die sich auf spannende Art und Weise von den Geschehnissen im Pflegealltag inspirieren lassen wollen. Sie haben hiermit die Gelegenheit, einmal einen etwas genaueren Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Das Buch beruht auf der Biografie des Autors. Zusätzlich wurde jedoch an einigen Stellen eine kleine Portion Fantasie eingebaut. Die praxisorientierten Pflegebeispiele und die darin geschilderte Durchführung der Pflege, Behandlungspflege- und Betreuung der Bewohner haben so nie in den Pflegeeinrichtungen stattgefunden und sind frei erfunden, dennoch aber als Orientierung sehr praxisnah und üblich. Die Namen der Bewohner in den beschriebenen Einrichtungen sowie von Personal und Schülern sind, bis auf Hermann Ulferts, ebenfalls frei erfunden.

Das Buch soll Auszubildende, Berufseinsteiger und Interessierte inspirieren und begeistern, den wundervollen und spannenden Pflegeberuf mit Begeisterung und Freude auszuüben. Der Leser erhält interessante und wertvolle Tipps anhand von erlebten praktischen Beispielen, wie man sich den Pflegealltag schon durch kleine Veränderungen erheblich erleichtern kann.

Man bekommt im Berufsleben nur sehr wenig Gelegenheiten, in denen man seinem Leben eine richtungsweisende Veränderung geben kann. Entscheidend ist in diesem Augenblick, das Richtige zu sagen.

Hermann Ulferts

Es ist egal, was für eine Arbeit man ausführt. Entscheidend ist, dass diese einen glücklich macht und zufriedenstellt.

Sascha Sandhorst

Der aufregende und steinige Weg in den Pflegeberuf

Auf der Suche nach Lust und Freude an der täglichen Arbeit

Schon in meiner frühen Jugendzeit fing ich an, mir Gedanken um meine spätere berufliche Zukunft zu machen: Werde ich mich später einmal ernähren können und wird es mir gut gehen? Fast täglich kreisten diese Gedanken auch während meiner Schulzeit in der neunten und zehnten Klasse der Realschule in Norden um mich herum. Es war die Zeit, in der das Arbeitsamt Norden eine erste Berufsbildungsinformationsveranstaltung für uns in der Schulklasse durchgeführt hatte und ich anfing meine ersten Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle zu schreiben. In meinem Herzen wollte ich Polizeivollzugsbeamter werden. Nach einem misslungenen Einstellungstest wurde ich aber von diesem Gedanken schnell wieder abgebracht. Für den ältesten Sohn einer VW-geprägten Familie war ja zudem alles ganz klar. Ohne einmal über den Tellerrand hinaus zu schauen hieß es von meinen Eltern: »Der Junge geht auf VW.«

So ist es dann auch gekommen. Bestärkt von Vaters eisernem Willen, mich bei VW unterzubringen, und Mutters gutem Zureden, was für ein tolles Leben und welch gesicherte Zukunft auf mich als VW-Arbeiter warten würde, bewarb ich mich Ende des neunten Schuljahres um einen Ausbildungsplatz beim Volkswagenwerk in Emden und wurde nach Bestehen des Einstellungstestes zum 01.09.1987 als Auszubildender zum Industriemechaniker in der Fachrichtung Produktionstechnik im Betrieb angenommen. Bis zum heutigen Tag stelle ich mir die Frage, wie ich den Einstellungstest eigentlich geschafft habe. Dieser bestand zum größten Teil aus Ankreuzfragen, eben ein typischer Multiple-Choice-Test, in die ich mich nicht großartig hineingedacht habe, meinem Kugelschreiber freien Lauf ließ und somit die richtigen Antworten wie auf einem Lotterieschein erraten habe. Ich hatte Glück, wie bei einem Sechser im Lotto, denn ich habe wohl alle Kreuze an die richtigen Stellen gesetzt und war von da an der ganze Stolz der Familie.

Die Ausbildungswerkstatt lag damals noch etwas abgelegen vom Hauptwerk in der alten Polsterei, Halle 10. Das neue Ausbildungszentrum auf dem Werksgelände war zu dieser Zeit gerade im Baubeginn. Während unserer breit gefächerten handwerklichen Ausbildung tat ich mich nicht großartig hervor, sprang einfach irgendwie mit aufs Boot und ließ mich durch die Zeit treiben. Die erlernten Schweißtechniken interessierten mich nicht wirklich und schon gar nicht, wie eine elektropneumatische Schaltung nach Vorgabe erstellt und geschaltet werden musste. Ich setzte die Vorgaben dennoch um und entsprach den Anforderungen mehr oder weniger gut bis zufriedenstellend.

Während eines sechswöchigen Betriebspraktikums wurde ich in der damaligen Halle 2 in der Seitenteilfertigung eingesetzt. In dieser Abteilung wurden die Seitenteile der Autos zusammengeschweißt. Die Anlage bestand aus einer rechteckigen Trommel, an der von zwei Seiten produktiv im Fließbandakkord gefertigt wurde. Auf der einen Seite standen die sogenannten Einleger, die die Seitenteile mit Spannzylindern unter Zeitdruck einlegten und von Hand befestigten, und auf der anderen Seite waren die Roboter in Reih und Glied aufgestellt, die die Seitenteile dann mit ihren Schweißzangen zusammenschweißten. War dieser Arbeitsgang abgeschlossen, drehte sich die Trommel um hundertachtzig Grad und der Arbeitsgang begann von Neuem. Die Verzahnung der Arbeitsvorgänge von Mensch und Roboter in dieser Abteilung, hinterließ einen bleibenden Eindruck bei mir. Ich kam sehr schnell zu dem Entschluss, dass ich diese Arbeit auf Augenhöhe von Trommel und Roboter nicht bis zu meiner Rente durchführen wollte.

Während der Ausbildung nahmen wir auch an einer fünftägigen Seminarreise nach Osterholz-Schambeck in der Nähe von Bremen teil. Ich teilte meinem Meister mit, dass ich mich gleich für den zweiten Abend nach Programmablauf des Seminartages für mehrere Stunden abmelden würde, da ich mich für ein Probetraining der A-1-Junioren von SV Werder Bremen angemeldet hatte. Im Herzen war ich leidenschaftlicher Fußballer. Überraschenderweise bot mein Meister mir an, mich zu begleiten und organisierte die Zugfahrt für uns. In diesem Training trat ich nicht besonders gut in Erscheinung und bekam leider keine weitere Einladung zu einem erneuten Training beim SV Werder Bremen. Enttäuscht fuhren wir mit dem Zug zurück zur Seminarunterkunft. Im Zug kam es dann so wie es kommen musste: Bei der Fahrkartenkontrolle stellte ich fest, dass ich ganz vergessen hatte eine Fahrkarte für die Rückfahrt zu lösen. Der Schaffner verlangte den Betrag für die Fahrkarte, welchen ich nicht bar dabei hatte. Mein Meister legte diesen Betrag also für mich aus. Das Geld sah er nicht wieder, hatte aber anscheinend auch kein großes Verlangen danach, denn er hat mich nie wieder darauf angesprochen und ich habe es schlicht vergessen. Ich muss mich jetzt wohl langsam mal darum kümmern …

Während des Seminars wurden wir unter anderem auch im Rahmen einer Gruppenarbeit danach gefragt, wie wir uns unsere Zukunft in zehn Jahren vorstellten. Ich kann mich noch genau daran erinnern, was ich damals gesagt habe: »In zehn Jahren möchte ich eine Familie mit Kindern, ein eigenes Haus und eine gesicherte Arbeitsstelle haben, die mir Freude bereitet und mich erfüllt.« Diese Aussagen wurden auf Video aufgenommen und jeder Teilnehmer sollte sich nach Ablauf der Zeit dieses Video noch einmal anschauen und nachvollziehen, ob er seine Lebensziele erreicht hat. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass da bei mir ordentlich etwas aus dem Lot geraten würde.

So würgte ich mich mehr oder weniger durch die dreieinhalbjährige Ausbildungszeit durch. Je näher die Abschlussprüfungen zum Facharbeiterbrief rückten, desto tiefer sank meine Motivation. Irgendwann war es dann so weit und die Prüfungstermine wurden uns mitgeteilt.

Der Tag der Wahrheit nahte. In der praktischen Prüfung mussten wir ein metallisches Fertigungsstück nach Vorgabe anfertigen. Dafür bekam ich die Note 2. Vor der theoretischen Prüfung hatte ich schon wochenlang ordentlich Prüfungsangst, zumal ich mich ja überhaupt nicht auf die Prüfungsaufgaben vorbereitete, denn ich hatte mich kurzerhand dazu entschlossen, nicht an der Prüfung teilzunehmen – ich hatte mich bereits heimlich zu einem Grundlehrgang für die Fußballtrainer-B-Lizenz in der Sportschule in Barsinghausen angemeldet.

Dieser Lehrgang dauerte eine Woche. Mein kurzfristiges Ziel war es, die Trainer B-Lizenz zu absolvieren und dann direkt weiter mit meinem damaligen Ford Fiesta, meinem ersten Auto, nach Berlin zu fahren, um dort einen Neuanfang zu wagen. Einfach alles hinter mir lassen. Doch die Wirklichkeit holte mich flott wieder ein, denn ich hatte kaum Geld in der Tasche und auch keine Unterkunft, lediglich ein paar Berliner Verwandte, zu denen der Kontakt aber nicht so groß war, dass ich mich dort hätte einnisten können. Meine Eltern haben dann schließlich irgendwie anhand meiner Unterlagen herausbekommen, dass ich in der Sportschule Barsinghausen weilte, und mich dort ohne Vorankündigung besucht. Sie baten mich zurückzukommen und die Prüfung abzuschließen. Ich habe damals gesagt, dass ich mir das überlegen würde. Sie hatten aber gleichzeitig auch das erste Mal die Gewissheit, dass ich mich bei VW einfach nicht wohlfühlte und vor allem in der Metallbranche wohl nicht glücklich würde. Trotz der Mühe meiner Eltern, mich zu einer Rückkehr zu bewegen, war ich insgeheim immer noch der festen Überzeugung, keinen Fuß mehr ins VW-Werk setzen zu wollen. Ich musste das Kapitel VW beenden.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass es eines schönen Abends plötzlich und unerwartet an meine Zimmertür in der Sportschule klopfte. Völlig überraschend stand dort ein Mann mit dunklem Anzug, Slips und Kragen vor meiner Tür und bat mich um ein Gespräch. Es war kein anderer als der damalige Leiter der Ausbildungswerkstatt. Schwer beeindruckt von seinen Bemühungen mich umzustimmen, damit ich die Ausbildung sauber zu Ende führte, setzte ich meine Ausbildung am darauf folgenden Montag fort. Es musste irgendwie so kommen, denn er hatte Persönlichkeit und wusste genau, wie man jemanden ins Gewissen redete. Ich hatte auf der anderen Seite auch in jungen Jahren schon immer Respekt für die Leute, die in der Rangordnung über mir standen und ihren beruflichen Weg nach oben gemeistert hatten.

Bei meiner Rückkehr war bereits alles geregelt und einen Ersatztermin für die theoretische Prüfung bei der Handelskammer in Emden wurde mir auch gleich mitgeteilt. Ich habe mir quasi den gesamten Stoff von dreieinhalb Jahren in nur zwei Wochen reingezogen, die Prüfung noch mit einer guten vier bestanden und erhielt bei der Verabschiedung vom Ausbildungsleiter die Facharbeiterurkunde in die Hand gedrückt. Irgendwie war ich doch ein wenig froh und stolz, dass sich in dieser Hinsicht noch alles zum Guten gewendet hatte.

Nach der Übergabe des Facharbeiterbriefes ging es dann für mich am nächsten Montag mit der Arbeit im Emder VW-Werk los. Zur damaligen Zeit wurden alle VW-Lehrlinge mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Bei VW ist es auch heute noch in der Regel üblich, dass die Auszubildenden nach ihrer Lehrzeit als Fachkräfte zunächst direkt am Montageband eingesetzt werden. Die Wartezeit auf eine Stelle als Anlagenführer bei VW lag schon 1990 bei durchschnittlich sieben Jahren. Nach einem kurzen Arbeitseinsatz an einer Kabelfertigungsmaschine für elektrische Kabeladapter wurde ich dann auf meinem endgültigen Arbeitsplatz in der Halle 2, in der Abteilung Einbau von Sonnenblenden und Autolichter, eingesetzt.

Ich hielt noch fünf qualvolle Monate durch und ließ mich in dieser Zeit häufiger krankschreiben. Ohne Lust und Freude an meinen täglichen Aufgaben und völlig demotiviert ließ ich mich zum 01.08.1990 zunächst für ein Jahr befristet, aufgrund einer schulischen Fortbildung in Vollzeitform, vom Beschäftigungsverhältnis bei VW zurückstellen. Ich war nicht mehr bereit als gelernte Fachkraft Hilfstätigkeiten am Fließband durchzuführen. Ich wollte Verantwortung übernehmen und gefördert werden.

Durch den Besuch der Klasse 12 an der Fachhochschule Technik in Norden sah ich die Chance, die Fachhochschulreife zu erlangen, um dann im Anschluss vielleicht Maschinenbau zu studieren. Während dieser Zeit kristallisierte sich dann gerade in den Hauptfächern Technik und Mathematik heraus, dass mein technischer Sachverstand und mein Vorstellungsvermögen von technischen Zusammenhängen bei Weitem nicht ausreichten, um eine berufliche Laufbahn als Maschinenbauingenieur einzuschlagen. Ich verließ die Schule drei Wochen vor Schuljahresende ohne den gewünschten Abschluss. Ein weiterer Dämpfer in meiner jungen Berufskarriere.

Nun stand ich vor der Frage, wie geht es weitergehen und was soll ich nun machen sollte. Ich hatte keine Perspektive und konnte zunächst auch mit niemandem aus meiner Familie über diese für mich unbefriedigende Situation, die mich quälte und beschäftigte, sprechen. Meine Eltern unterstützten mich in dieser Hinsicht nicht. Sie lebten ihr gewöhnliches Alltagsgeschehen auf dem ländlichen Dorf, ziemlich zurückgezogen, aber dennoch glücklich und zufrieden, aus. Alles was neu war stieß zunächst auf Ablehnung und wurde erst einmal aus der Distanz betrachtet. Neuerungen jeglicher Art konnten einfach nicht immer nur gut sein. Für sie war ich zu diesem Zeitpunkt das schwarze Schaf in der Familie. Mein Vater war so sauer, dass er sage und schreibe drei Monate kaum mit mir redete. Ich war aus ihrer Sicht einfach derjenige, der aus der Reihe tanzte, aneckte, unbequem war und Schwierigkeiten machte. Derjenige, der sich gerade seine ganze Zukunft versaut hatte und dem traditionellen Familienbild nicht entsprach.

Über die Sommerferien saß ich Tag für Tag in meinem Jugendzimmer und überlegte mir, was ich tun konnte, um meinen beruflichen Werdegang fortzusetzen, schließlich wollte ich nicht mein Leben lang von Arbeitslosengeld und Sozialleistungen abhängig sein. Da waren ein paar gute und herausragende Fähigkeiten, die in mir steckten und auf die ich aufbauen konnte. Ich war seinerzeit schon seit zwei Jahren ein bewährter und recht erfolgreicher Fußballjugendtrainer beim FC Norden und bekam von einigen erfahrenen Trainern und Vereinsfunktionären das Lob zugesprochen, ein sehr lehrreiches und leistungsorientiertes Fußballtraining für die zukünftigen Norder Nachwuchsspieler zu gestalten. Mein damaliger AJugend-Trainer sagte einmal zu mir, dass sich kontinuierliche und beständige Arbeit im Fußballsport auszahle und auch eine länger anhaltende Erfolgsaussicht habe, als ein Hochpuschen einer Fußballmannschaft in möglichst kurzer Zeit mit anschließendem freiem Fall nach unten. Ich habe meine Einsatzbereiche und Positionen nach einem anstehenden Wechsel, auch aus Rücksicht und Verantwortung für alle Beteiligten und meine direkten Nachfolger, immer in einem gut funktionierenden und ordentlichen Zustand verlassen, sodass nahtlos an meine Arbeit angeknüpft werden konnte. Ich habe sozusagen niemals Schutt und Asche hinterlassen, wie man zu sagen pflegt. Dies schlug sich auch in achtbaren Ergebnissen in Wettkampfspielen der von mir trainierten Mannschaften nieder. Ich habe das Talent, Fußballmannschaften mit Spielern unterschiedlichster Biografien und Herkunft zusammenzustellen, die Spieler in diesem Mannschaftsgefüge erfolgreich zu trainieren und sie fußballerisch und persönlich weiterzuentwickeln. Ich habe vor meinen Mannschaften motivierende Teambesprechungen durchgeführt und sie für den leidensvollen Kampf und Einsatz im Spiel begeistert. Außerdem habe ich einen gesunden Ehrgeiz und enorme Willenskraft. Ich habe gefühlt und auch gemerkt, dass ich Fähigkeiten in mir hatte, mit denen ich in der Lage war etwas zu bewirken.

Eines schönen Abends, nach Beendigung unseres wöchentlichen Jugendtrainings, klingelte ich beim damaligen Platzwart der städtischen Sportanlage, der gleichzeitig auch Fußballobmann beim FC Norden war, und erläuterte ihm, dass ich auf der Suche nach der richtigen Karriere in eine Sackgasse geraten war. Ich bat ihm darum, etwas für mich zu tun. Überraschenderweise sagte er zu mir, dass ich am Montag um 19.00 Uhr zur Vorstandssitzung ins Vereinsheim kommen sollte. Dort würde auch der damalige Vereinspräsident anwesend sein, der eventuell etwas für mich tun könnte. Ich bedankte mich und fuhr voller Stolz zurück nach Hause.

Am Montag traf ich mich dann, wie abgesprochen, zu einem Gespräch mit dem Vereinspräsidenten des FC Norden. Schon beim ersten Anblick dieses Mannes hatte ich ein sehr gutes, vertrauenswürdiges Gefühl ihm gegenüber. Ich offenbarte mich und erläuterte mein Anliegen. Ich teilte ihm mit, dass ich aus der Metallbranche kam und eine Arbeit ausüben wollte, in der ich es mit Menschen zu tun hatte. Überraschenderweise schlug er mir spontan aus dem Gespräch heraus einen Weg vor, wie ich mein Begehren umsetzen könnte. Aus dem Gespräch heraus konnte ich sofort erkennen, dass dieser Mann genau wusste wovon er sprach und gute Kontakte zu Landkreis, Politik und Sportkultur hatte. Das Ergebnis des Gespräches war positiv und er hat sich meiner Sorgen angenommen – damit habe ich nicht so ohne Weiteres rechnen können. Das Gespräch hatte Wirkung auf mich; es war das erste Mal, dass ich nach den beruflichen Nackenschlägen der letzten Monate wieder ein Lächeln auf den Lippen hatte und meiner beruflichen Zukunft wieder etwas positiver gegenüberstand.

Ich habe seinen Rat angenommen, arbeitete den Weg, den er mir vorgab, Schritt für Schritt ab und hielt ihn dabei auch stets auf dem Laufenden; wahrscheinlich ausgiebiger, als es ihm recht war. Zunächst meldete ich mich beim Arbeitsamt in Norden arbeitslos, um die notwendige finanzielle Absicherung zu erhalten. Der zuständige Mitarbeiter war sehr freundlich und schon nach recht kurzer Zeit wurde übergangsweise für ein sechsmonatiges Projekt in die Gemeinnützige Ausbildungsgesellschaft (GAG) am Telematikzentrum in Norden-Tidofeld aufgenommen, allerdings wieder mit dem Schwerpunkt Metall. Ich war mit der Situation erst mal zufrieden. Fortan hatte ich wieder Geld, denn diese Maßnahme wurde vom Arbeitsamt gefördert und mein Lebensunterhalt war somit erst mal gesichert. Gleichzeitig umtrieb mich aber auch das Gefühl, dass ich nun schon wieder in die Metallrichtung abgedrängt wurde.

Wie es der Zufall so wollte wurde kurz vor Maßnahmenende beim Landkreis Aurich in der Pflegeeinrichtung Helenenstift in Hage eine Arbeitsstelle in der Beschäftigungstherapie Holzarbeiten ausgeschrieben. Ich bewarb mich auf diese Stelle und wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Leiter des Krankenhauses in Norden, hat mich in diesem Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich mir zutraue, handwerkliche Fertigungsarbeiten im Bereich Holz an alte und psychisch erkrankte Heimbewohner zu vermitteln und ich sagte: »Ich traue mir diese Aufgabe zu, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Holz und Metall sind von dem technischen Verständnis her ähnlich zu handhaben und zu verarbeiten. Der Unterschied ist nur, dass Holz arbeitet und in der Materie weniger Festigkeit hat.« Diese Aussage hat anscheinend Eindruck gemacht, denn ich bekam eine Zusage. Ich traute meinen Augen kaum. Im Zickzack sprang ich vor lauter Freude in meinem Zimmer herum und rannte zu meiner Mutter in die Küche, um ihr diese freudige Nachricht zu überbringen. Sie hatte sich auch sehr darüber gefreut.

Ich meldete mich rechtzeitig zum 01.03.1991 bei meinem neuen Arbeitgeber im Helenenstift beim damaligen und inzwischen im April 2015 nach langjährigem Krebsleiden verstorbenen Heimleiter Friedrich Giesenberg zum Dienstantritt an. Er begrüßte mich mit einem kräftigen Händedruck und zeigte mir meinen neuen Arbeitsplatz. Fortan war es meine Aufgabe, vorwiegend die männlichen Heimbewohner von Montag bis Freitag mit Holzarbeiten zu beschäftigen. Die Räumlichkeiten waren zwar vorhanden, aber bis an die Decke mit alten Möbeln zugestellt. Interessierte Heimbewohner, die bereit waren sich mit Holzarbeiten zu beschäftigen, gab es auch nicht. Ich erhielt eine kurze Führung durch den Heimleiter und wurde meinem neuen Team in der Beschäftigungstherapie, welches aus drei hauptamtlichen Mitarbeitern bestand, vorgestellt. Zusätzlich machte er mich auch mit den Mitarbeitern der einzelnen Pflegestationen im Haupthaus und im abgelegenen Wohnheim bekannt, in dem sich auch die Räumlichkeiten für die geplante neue Holztherapiegruppe befanden. Ich habe einen sehr guten und inspirierenden Gesamteindruck von dieser Einrichtung bekommen und stürzte mich freudestrahlend und motiviert in die Arbeit, eine gut funktionierende Beschäftigungsgruppe Holz aufzubauen.

Ich hatte die volle Unterstützung vom Heimleiter. Was auch immer an Material und Räumlichkeiten benötigt wurde, konnte sofort nach Rücksprache besorgt werden. Als Erstes habe ich einen Wochenplan erarbeitet, welcher aus attraktiven Angeboten für die Gruppenteilnehmer bestand, ein Konzept für die Räumlichkeiten entwickelt und lief parallel über die Stationen, um nach gemeinsamer Absprache mit dem Personal gezielt Heimbewohner anzusprechen, um diese für die Teilnahme an der Beschäftigungsgruppe zu motivieren. Schon nach rund vier Monaten hatte ich eine hoch motivierte Gruppe von etwa einem Dutzend Teilnehmern zusammengestellt, die sich an fünf Tagen in der Woche mit Holzarbeiten an verschiedenen Geräten, wie Bandsäge, Laubsäge oder Drechselmaschine beschäftigten.

Ich hatte sehr schnell gemerkt, dass diese Gruppe an sich schon eine Bereicherung für die Heimbewohner darstellte und sehr intensiv gelebt wurde. Die Teilnehmer hatten im Gegensatz zu ihrem täglichen Stationsleben eine Aufgabe gefunden, die ihrem Leben etwas Abwechslung gab. Ein frischer Impuls, durch den sie neue Kraft schöpften und eine glückliche und positive Ausstrahlung entwickelten. Sie hatten etwas gefunden, von dem sie ihren Angehörigen bei Besuchen voller Stolz erzählen konnten. Das war es doch! Mein Ziel war diesbezüglich erreicht. Der Heimleitung kam es hierbei nicht darauf an, dass qualitativ hochwertige Meisterarbeiten angefertigt wurden.

Unser Anspruch und unsere Motivation war immer der traditionelle jährliche Weihnachtsbasar, auf dem die hergestellten Holzartikel präsentiert und verkauft wurden. Unser Weihnachtsbasar war immer ein beliebter Höhepunkt der Adventszeit im Ort und wurde von den Ortsansässigen gut angenommen. Sogar der Oberkreisdirektor des Landkreises Aurich, Walter Theuerkauf, kam jährlich mit seiner Frau zu einem Besuch des Adventsbasars ins Haus. Diese Veranstaltung war für unsere Heimbewohner, und auch für mich als Gruppenleiter, ein großer Anreiz, über das ganze Jahr mit Freude und hoch motiviert in der Beschäftigungstherapie zu arbeiten und Holzartikel herzustellen. Zudem hat uns als weitere Motivation die Umsetzung des gemeinsam entwickelten Wochenplans als richtungsweisende Strukturvorgabe bei Lust und Laune gehalten.

Zu den ostfriesischen Tee- und Kaffeepausen wurde täglich eine Stunde Skat gespielt und parallel gab es einen Mensch-ärgere-Dich-nicht-Tisch. Alle zwei Wochen mittwochs wurde in der Partnereinrichtung Johann-Christian-Reil-Haus gekegelt und als Anreiz gab es einen Wanderpokal. Donnerstagnachmittags standen Ausflüge auf dem Programm. Spaziergänge im Wald, an den ostfriesischen Deich, Museumsbesuche aller Art rundeten das Programm ab und an besonders schönen und warmen Sommertagen wurde gemeinsam Eis gegessen. Einmal im Monat gab es einen Preisskat mit mehreren Tischen und in einem Auftragsprojekt wurde für den Nadörster Förster eine Futterkrippe erstellt, die anschließend tief im Wald positioniert wurde.

Nach knapp drei Jahren drohte mein befristeter Arbeitsvertrag auszulaufen und ich habe einen schriftlichen Antrag auf Verlängerung meines bestehenden Arbeitsverhältnisses bei der zuständigen Personalabteilung des Landkreises Aurich eingereicht. Ich wurde daraufhin zu einem persönlichen Gespräch vorgeladen und der Leiter der Personalabteilung teilte mir mit, dass mein Arbeitsvertrag ohne fachliche Qualifikation nicht ein drittes Mal verlängert werden könne. Im Gespräch wurden mir aber eine sehr gute Arbeit und ein hervorragender empathischer Umgang mit den Heimbewohnern bescheinigt. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich nicht Interesse daran hätte, die Norder Altenpflegeschule des Landkreises Aurich zu besuchen, um den Beruf des Altenpflegers zu erlernen, verbunden mit der mündlichen Zusage, dass ich nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung im Anschluss auch eine Stelle zugewiesen bekäme. Ohne zu zögern habe ich mich dazu entschlossen, diesen Weg einzuschlagen.

Ich bewarb mich an der Altenpflegeschule in Norden und wurde auch angenommen. Zudem habe ich die Ausbildung auf Antrag vom Arbeitsamt als Umschulungsmaßnahme bewilligt bekommen und war somit finanziell abgesichert.

Die Altenpflegeschule war zur damaligen Zeit eine zweijährige Vollzeitschule und beinhaltete zwei zehnwöchige Praktika im stationären sowie im ambulanten Bereich. Die Klassengröße betrug 27 Schülerinnen und Schüler aus dem gesamten Altkreis Norden im Alter zwischen 19 und 54 Jahren. Es entwickelte sich eine wunderbare Klassengemeinschaft und ich war vom ersten Tag mit voller Motivation und Konzentration bei der Sache.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, auf welcher konventionellen Art und Weise uns unsere damalige Klassenlehrerin, Dina Krause, in einer unserer ersten Unterrichtsstunden zum Thema Kinästhetik unterrichtete. Sie legte sich ins Pflegebett und bat uns als Klasse darum, sie vom Bett aus der Liegeposition über den Stand in den Rollstuhl zu transferieren. Mit allen uns zu Verfügung stehenden Kräften und Mitteln versuchten wir sie einzeln und nacheinander aus dem Bett herauszubewegen. Jeder durfte mal probieren, doch wir schafften es einfach nicht. Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen erläuterte sie uns dann, dass Kinästhetik eine Bewegungsanleitung ist, dass kommuniziert werden muss, dass die einzelnen Körpermassen des Menschen nacheinander bewegt werden müssen, und zwar gezielt immer nur das durch die Gewichtsverlagerung entlastete Körperteil. Sie zeigte uns die genauen Berührungspunkte an den sieben menschlichen Körpermassen (Kopf, Arme und Beine, Brustkorb und Becken) und erklärte uns, dass nur die harten Körperteile bewegt werden dürfen. Mit dieser Bewegungstechnik kamen wir dann ans Ziel und transferierten unsere Klassenlehrerin vom Bett in den Rollstuhl.

Während meiner gesamten Schulzeit durchlebte ich alle damit verbundenen Höhen und Tiefen, die ich als eine Herausforderung ansah und meistern konnte. Ich hatte es als Quereinsteiger und Neuling in der Pflege wahrhaftig nicht immer leicht. Als ich während meines stationären Praktikums im Seniorenheim Norddeich zum ersten Mal einer 92-Jährige alte Frau gegenüberstand und den Auftrag bekam, bei ihre eine Grundpflege im Badezimmer durchzuführen, plagten mich große Berührungsängste. Augen zu und durch, sagte ich mir, klopfte an die Zimmertür, trat ein und teilte der Dame mit, dass ich gerne bei ihr die morgendliche Körperpflege durchführen würde. Sie war einverstanden und zog sich auf meine Bitte hin aus. Ich hatte das Badezimmer vorher beheizt und mir die Pflegeutensilien schon bereitgelegt, so wie ich es im Unterricht gelernt hatte. Die Frau war klein, schlank und hatte eine typische Altershaut. Die Hautfalten hingen an den Gliedmaßen herunter. Ich fing an, ihre Haut sanft mit dem Waschlappen zu waschen und trocknete diese dann mit einem Handtuch ab. Ich gab ihr auf Wunsch Unterstützung beim Anziehen der Kleidung. Mir war schon etwas mulmig zumute. Während der Pflegetätigkeiten kommunizierte ich mit ihr und ging auf ihre Wünsche und Bedürfnisse ein: »Können Sie mir die Beine eincremen? Würden Sie mir etwas von meiner Gesichtscreme auftragen? Bitte nehmen Sie mein Gebiss raus und putzen Sie es ab.« Zum Schluss bat sie mich auch noch darum, ihr einen Zopf zu binden. Ich hatte schon befürchtet, dass diese Aufforderung kommen würde, aber nach mehreren Versuchen hatte ich ihr dann tatsächlich einen einigermaßen akzeptablen Zopf gebunden. Ich reichte ihr einen kleinen Handspiegel, in den sie blickte, und sie zeigte sich sehr zufrieden.

Nach dieser Pflege gab ich meinem praktischen Anleiter eine kurze Rückinfo über die Durchführung und er zeigte mir darauf hin, wie diese Arbeit vorschriftsmäßig dokumentiert wird. Ich muss sagen, dass ich mit einem sehr zufriedenen Gefühl in den Feierabend ging.

Mein stationäres Praktikum als Altenpflegeschüler hat mir von Anfang an viel Spaß und Freude bereitet. Gegen Ende des ersten Schuljahres kam ein weiterer Höhepunkt während unserer Altenpflegeausbildung auf uns zu: Wir fuhren mit unserer Schulklasse zur Altenpflegemesse nach Hannover. Auf diese Ausflugsfahrt hatten wir uns alle sehr gefreut. Die Freude war so groß, dass wir diese auf der Zugfahrt nach Hannover gerne noch mit ein paar Schnäpsen begießen wollten. So brachte natürlich fast jeder aus der Klasse etwas Leckeres zu trinken mit. Unglücklicherweise bekam dies einer unserer Lehrer mit und bat uns inständig darum mit dem Alkoholgenuss aufzuhören. Doch irgendwie waren unsere Ohren auf taub gestellt. Heimlich tranken wir dann abends nach einem langen und anstrengenden Messetag fleißig weiter. Irgendwie sickerte aber trotz aller Heimlichtuerei doch eine Nachricht zur Leiterin der Altenpflegeschule durch. Diese versammelte uns dann gleich am darauf folgenden Montag und wir erhielten einen kräftigen Einlauf und eine Belehrung darüber, wie sich angehende examinierte Altenpfleger in der Öffentlichkeit auf Klassenausflugsfahrten zu verhalten hatten. Wir bekamen eine mündliche Abmahnung ausgesprochen und bei erneutem Vorkommen drohte sie der gesamten Klasse einen Schulverweis an. Ordentlich eingeschüchtert von dieser Predigt waren fortan für den Rest der Schulzeit alle Vorkommnisse dieser Art völlig tabu. Ja, die Schulzeit war nicht ganz so einfach …

Nun hatten wir im zweiten Ausbildungsjahr im Unterrichtsfach Beschäftigungstherapie