Am Abend kamen die Schnecken - Horst Pukallus - E-Book

Am Abend kamen die Schnecken E-Book

Horst Pukallus

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Einige Geschichten sind beklemmende Kammerspiele, die aus Alltagssituationen erwachsen und Bigotterie und geistige Verarmung bloßlegen. Andere projizieren die Rituale der Macht in ferne Zeiten und Welten und lassen durch die Verfremdung allzu irdische Mechanismen der Manipulation und Unterdrückung umso schärfer hervortreten. Wieder andere sind Satiren von hintergründigem Witz, die Absurditäten unserer entfesselten Medienwelt aufs Korn nehmen. Immer geht es in Pukallus' Geschichten um Selbstbehauptung, die Bewahrung menschlicher Würde und Werte gegen Angriffe aus Kommerz und Politik.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Horst Pukallus

Am Abend kamen die Schnecken

Kurzgeschichten

Cutting Edge 2

Horst Pukallus

Am Abend kamen die Schnecken

Kurzgeschichten

Cutting Edge 2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Dezember 2022

Cutting Edge @ p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Das Titelbild dieses Buches wurde von Michael K. Iwoleit mit einem selbstentwickelten Verfahren zur generativen Bildkreuzung erzeugt. Als Ausgangsmaterial dienten dabei Public-Domain-Photos von Martin Vorel (libreshot.com). Lesern, die sich für die Produktion von Kunst mit generativen und evolutionären Verfahren und Methoden der künstlichen Intelligenz interessieren, empfehlen wir besonders die Website aiartists.org.

Layout: global:epropaganda

Umschlaggestaltung: Tom Turtschi, Michael Iwoleit

Lektorat: Michael Iwoleit

Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: Cutting Edge @ p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

the-cutting-edge.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 306 2

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 799 2

Franz Rottensteiner: Vorwort

Autoren sind in der breiten Öffentlichkeit wohl am ehesten für ihre Romane bekannt. Selten schafft es jemand, nur durch Kurzgeschichten bekannt zu werden, wie etwa Edgar Allan Poe, Raymond Carver, O’Henry oder auch Roald Dahl, der sonst nur mit Kinderbüchern hervorgetreten ist. Wer weiß schon, dass John Collier auch Romane geschrieben hat? Auf dem Gebiet der fantastischen Literatur sind Harlan Ellison oder Ted Chiang Beispiele für Autoren, die ihren Ruf allein kürzeren Werken verdanken. Noch weniger bekannt sind nur die Lyriker, selbst wenn sie den Nobelpreis gewonnen haben. Und jene weitgehend unsichtbaren Helfer, die Werke aus einer Fremdsprache in die eigene übertragen – die Übersetzer. Ich bin überzeugt, dass sich die wenigsten Leser dafür interessieren, wer das Buch, das sie lesen, in die deutsche Sprache übersetzt hat, und es meist gar nicht wissen, und kaum jemand wird sich in seiner Lektüre an bestimmten Übersetzern orientieren. Übersetzer gelten nicht als kreative Künstler, sondern als reine Handwerker, und das Gros, vor allem in den unteren Etagen der Literatur, ist es auch. Man fragt sich ferner manchmal, ob Kritiker Übersetzungen wirklich beurteilen können. Als etwa Stanislaw Lems The Invincible erstmals in England und Amerika erschien, fand der prominente Kritiker James Blish die englische Ausgabe bei Sidgwick & Jackson besser als die amerikanische bei The Seabury Press, vor allem aufgrund der letzten Formulierung »indeed invincible«. Das verdreht zwar den Sinn des Ganzen (dass eben der Invincible, trotz seiner gewaltigen Waffen, nicht unbesiegbar ist und von den winzigen Roboterinsekten auch besiegt worden ist, aber großartig klingt). Aber Blish hat überhaupt nicht erkannt, dass es sich essenziell um dieselbe Übersetzung handelt. Der Roman wurde nämlich aus dem Deutschen von Wendayne Ackermann, einer Deutschen übersetzt. Beide Ausgaben sind Lizenzen von Ace Books, wo Donald A. Wollheim den Roman ankaufte. Die Seabury-Ausgabe, in der Wendayne Ackermann als Übersetzerin angegeben ist, wurde allerdings heftig lektoriert, während die Ausgabe bei Sidgwick & Jackson, in der keine Übersetzerin genannt wird, vermutlich überhaupt nicht bearbeitet wurde. Es spricht auch nicht für Blishs Verständnis des Verlagswesens, dass er offensichtlich annahm, ein Buch eines (damals) völlig unbekannten Autors würde im Englischen gleich zwei verschiedene Übersetzungen finden.

Horst Pukallus hat folglich mit mehreren Nachteilen zu kämpfen. Zwar hat er selbst auch Romane geschrieben, aber die erschienen meist unter Pseudonym in wenig anspruchsvollen Heftreihen wie Commander Scott (als Gregory Kern, 5 Titel 1975–76), Die Terranauten (als Henry Robert und Henry Roland, 7 Hefte 1980, 1981 und 1985) oder bald vergessenen Mehrteilern wie Akasha (mit Andreas Brandhorst: Die Renegatin von Akasha, Der Attentäter und Das Exil der Messianer, alle 1986) oder T. N. Smith: Jäger der Unsterblichen (drei Bücher, eines zusammen mit Ronald M. Hahn, 1999, 2000). Einzelromane schrieb er meist in Zusammenarbeit mit anderen: Andreas Brandhorst (In den Städten, in den Tempeln, 1984), Michael K. Iwoleit (Hinter den Mauern der Zeit, 1989) oder Ronald M. Hahn (Alptraumland, 1999, Wo keine Sonne scheint. Ein utopischer Roman aus dem Jahr 1948, 2001). Weitere Romane waren Krisenzentrum Dschinnistan (1985) und Der Moloch von Moordendijk (1997). Die Romane haben einen gewissen Unterhaltungswert, aber keiner von ihnen wird unter die Klassiker der fantastischen oder der Abenteuerliteratur eingehen.

Die Bedeutung Pukallus’ als Autor liegt vor allem auf dem Gebiet der kürzeren Erzählung. »Das Rheinknie bei Sonnenaufgang« (1975) ist ein Klassiker der dezidiert linken, sozialkritischen Erzählung, die kollektive Aktion als Gegenwehr gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung thematisiert. Seine Geschichten wurden in bislang drei Bänden gesammelt: Die Wellenlänge der Wirklichkeit (1983), Songs aus der Konverterkammer (1985) und Flüsterasphalt (2014). Er hat selbst ferner fünf Anthologien mit Geschichten verschiedener Autoren herausgegeben: Das blaue Fenster des Theokrit (1978), Unter den Sternen in der Nacht (1979, in der auch das »Rheinknie bei Sonnenaufgang« erschien), Der hohle Mann (1981), Quasar 3 (1983) und Der zweite Tod (1985).

Pukallus’ Hauptbetätigung als freiberuflicher Kulturarbeiter lag jedoch auf dem Gebiet der Übersetzungen. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören u. a. Algis Budrys, Gene Wolfe, Thomas M. Disch, Philip K. Dick, immer wieder John Brunner, Stephen R. Donaldson, Katherine Kurtz, Philip José Farmer, James Morrow, Frederik Pohl, Hal Clement, Norman Spinrad, John Sladek, Clifford D. Simak und Iain M. Banks. Banks’ Förchtbar Maschien ist sicherlich der sprachlich schwierigste Text, den Pukallus je übersetzte. Während der Herausgeberschaft von Wolfgang Jeschke bei Heyne gehörte er zu einer Riege von Stammübersetzern, die immer wieder eingesetzt wurden. Daneben übersetzte er aber auch für andere Verlage wie Moewig, Bastei-Lübbe, Pabel und andere. Das war sein Brotberuf. Als Übersetzer wurde er fünfmal mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für die beste Übertragung ausgezeichnet (1980, 1981, 1984, 1985 und 2001).

Das Schreiben eigener Texte, vor allem von Kurzgeschichten, war eher ein Hobby, doch gerade auf diesem Gebiet sind Pukallus’ bedeutendste Leistungen zu finden, ganz gleich, ob sie daheim auf der Erde oder in Galaxienweiten spielen. Die Geschichten, die in der Gegenwart oder naher Zukunft angesiedelt sind, präsentieren Menschentypen, die sowohl zeitgemäß sind wie abstoßende Vertreter ihrer Art: uninformiert, an Fakten desinteressiert und faktenresistent, aber der festen Überzeugung, »Man wird doch noch seine Meinung äußern dürfen« (»Selfie mit Alien«), wie unrichtig und absurd sie auch sei. Die erste Frage in »Selfie mit Alien«, die der Mann, der einem Außerirdischen begegnet ist, diesem stellt, ist danach, wann er wieder abreist. Ohne dass es ausgesprochen wird, ist klar, dass er in dem außerirdischen Besucher, dem er keinerlei Neugierde entgegenbringt, einen unerwünschten Migranten sieht. Auch der Flüchtlingsfamilie, die von einer völlig verwüsteten Erde zum Mars flüchtet, schlägt in »Sklaven der Furcht« größtes Desinteresse entgegen, und die Beamten, die über ihr Schicksal als Emigranten entscheiden sollen, zeigen nicht die geringste Neigung, sich sachlich mit dem Fall auseinanderzusetzen, sondern entscheiden aufgrund aller möglichen anderen Gründe, die ihrer Bequemlichkeit entspringen. Der Ladenbesitzer, der in »Beweint bei Nacht« Afrikana verkauft, verzweifelt schier ob der Ignoranz und Gleichgültigkeit seiner »Kunden«. Sie sind nur an »Fetischen« interessiert, besonders wenn sie mit Blutopfern »geweiht« wurden, am besten mit Menschenblut. Kein Wunder, dass ihm ob dieser stupenden Ignoranz der Geduldsfaden reißt. Eine kulturelle Verständnisbarriere, die zu einem fundamentalen Missverständnis führt, ist auch der Clou von »Das letzte Ei der Erde«. Was an der Oberfläche ein simpler Scherz ist, weist doch auf die grundlegende Schwierigkeit hin, archäologische Funde richtig einzuordnen, wenn der kulturelle und ökologische Kontext des Fundes unbekannt ist und diejenigen, die es entscheiden sollen, ganz anderen Kulturkreisen entstammen.

Stilistisch aus dem Rahmen fällt »Der Leguan des Mandanten«. Diese Geschichte bedient sich des Cut-ups und montiert verschiedene, nicht sehr reflektierte Standpunkte (um es höflich auszudrücken) aus einem Prozess zusammen: Ankläger, Angeklagte, Zeugen, Richter, Verteidiger, Zuschauer.

»Los 666«, »Der Lockentenschnitzer von Beteigeuze XIV« und »Und abends kamen die Schnecken« sind vor allem wort- und bildgewaltige Geschichten, die den Leser mit einer barocken Fülle von Wortneubildungen und einer Vielzahl exotisch anmutender extraterrestrischer Wesen und künstlich geschaffener Geschöpfe überwältigen. Diese Neologismen betreffen vor allem futuristische Techniken, Lebewesen und Organisationsformen der Zukunft, aber auch glücklich verfremdete alltägliche Begriffe wie »Gasteria«. Man liest von Bankrotteurskonzernen aus mittelferner Vergangenheit wie Colacaloria, Tysskruppa und Amazokkia und anderen wie Lobbykratia Bellonia, Maison d’Uranium Sainte Dansmacabre, Orgagord. In diesen Geschichten ist vor allem das Unterwegs interessant, weniger das Erreichen des sich allmählich abzeichnenden Ziels, das auf eine Kritik an der alles erdrückenden Marktmacht von Konzernen und rigiden sozialen und militärischen Strukturen hinausläuft, die aufgebrochen werden sollen. In einer Geschichte heißt es, »Bildgewaltigkeit betäubt bekanntlich den Logos«, und so verliert die Fabel der Geschichte gegenüber der überwältigenden Fülle der Details an Bedeutung und ist eine Entdeckungsreise, die auf jeder Station mit neuen Seltsamkeiten und Wundern aufwartet, etwa auf dem Pfad einer Rache.

Horst Pukallus wurde am 14. April 1949 in Düsseldorf als Sohn eines Stahlarbeiters geboren. Von 1963 bis 1965 absolvierte er eine Lehre als Versicherungskaufmann und war anschließend zehn Jahre lang in diesem Beruf tätig. Daneben besuchte er eine Abendrealschule und verschiedene Sprachkurse. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann mit dem Verfassen von Science-Fiction, vor allem in der Amateurzeitschrift Science Fiction Times. Mit Ronald M. Hahn, Werner Fuchs und Hans Joachim Alpers gehörte er den prononciertesten Kritikern der Science-Fiction von einem marxistischen, oft sehr dogmatischen Standpunkt. 1974 erschien seine erste Erzählung »Interludium«. Seit 1975 ist er freier Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer. Pukallus lebte lange in Hilden bei Düsseldorf, heute in Wuppertal. Seit der Jahrtausendwende war er nur noch sporadisch literarisch tätig, was zweifellos auch mit den Veränderungen des Marktes zusammenhängt, die sich seit damals vollzogen und die Möglichkeiten, Kurzgeschichten zu veröffentlichen oder Übersetzungsaufträge zu bekommen, sehr einengten.

Selfie mit Alien

(2016)

Agentin GF-106: Für das Audioprotokoll erwähne ich, dass wir uns in einem Konferenzzimmer des europäischen Alien Observation Centers befinden. Es ist sechzehn Uhr zwounddreißig. Außer mir, Agentin GF-106, die ich als Gesprächsführerin fungiere, sind Agent QP-255 und der Zeuge Kevin-Selim Wlassaksky zugegen.

Agent QP-255: Fürs Protokoll bestätige ich diese Angaben.

Zeuge: Wo sind wir?

Agentin GF-106: Sie haben’s doch gehört. Im Alien Observation Center.

Zeuge: Und wo ist das?

Agentin GF-106: Wir halten den Standort geheim.

Zeuge: Geflogen sind wir zwei Stunden. Also könnten wir in Poznań oder London sein.

Agentin GF-106: Aber auch in Göteborg oder Mailand. Machen Sie sich darüber einfach keine Gedanken. Wir müssen Distanz zu den UFO-Spinnern halten.

Zeuge: Was wollen Sie von mir?

Agentin GF-106: Lediglich ein paar Auskünfte.

Zeuge: Und deshalb verschleppen Sie mich von der Straße weg per Jet an einen unbekannten Ort?

Agentin GF-106: Er ist nicht unbekannt. Uns ist er bekannt. Außerdem haben wir Sie nicht »verschleppt«, sondern ordnungsgemäß gebeten, uns zu begleiten.

Zeuge (empört): Das ist ja wohl Wortklauberei.

Agent QP-255: Warum tragen Sie Pflaster an den Händen?

Zeuge (mürrisch): Habe mich kürzlich versengt.

Agentin GF-106: Aha. Kommen wir zur Sache. Wir sind auf Sie durch das Selfie aufmerksam geworden, das Sie ins Internet gestellt haben. Da sind Sie mit einem Kryptiden zu sehen.

Zeuge (lebhaft): Ja, das war echt 'n totaler Knaller. Aber wieso Kryptid? Der Bursche war wirklich 'n Außerirdischer. Natürlich hat mir's niemand geglaubt. Alle im Netz haben sich amüsiert und mich verarscht. Es kam zu einem richtigen Shitstorm …

Agent QP-255: Aber nur der Heiterkeit.

Agentin GF-106: Wir nennen die Aliens Kryptiden, weil sie sich auf der Erde im Verborgenen bewegen. Dieser Alien zählt zur Kategorie Acht B.

Zeuge (verdutzt): Sie wissen über diese Typen Bescheid?

Agentin GF-106: Wir beobachten häufig welche. Allerdings ist die Begegnung, die Sie hatten, erst die zweite Sichtung eines Exemplars dieser Kategorie. Darum haben wir an diesem Fall so starkes Interesse. Wie haben Sie den Alien kennengelernt?

Zeuge: Er hat mich angesprochen. Ich trug frühmorgens im Park den Pinscher meiner Mutter spazieren. Ich wohne ja bei ihr. Der Alien saß auf einer Parkbank und quatschte mich an.

Agent QP-255: Sie sind einundvierzig und wohnen noch bei Ihrer Mutter?

Zeuge (gereizt): Wieso denn nicht?

Agent QP-255: Ich versuche, mir von Ihnen ein Bild zu machen. Sie sehen aus wie eine Sofakartoffel. Ihren diversen Internetprofilen ist zu entnehmen, dass Sie in beachtlichem Umfang Fantasy-Romane lesen und Fantasy-Filme konsumieren.

Zeuge (patzig): Ist davon irgendwas verboten?

Agentin GF-106: Leider nicht. Wie mein Kollege sagt: Wir möchten von Ihnen einen zutreffenden Eindruck gewinnen. Aber bleiben wir beim Thema. Der Kryptid hat Sie also angesprochen. In welcher Sprache?

Zeuge: Auf Deutsch.

Agent QP-255: So, auf Deutsch? Wo hatte er es gelernt?

Zeuge: In Kamerun, hat er behauptet. (Lacht) Aber das habe ich ihm nicht geglaubt.

Agent QP-255: Weshalb nicht? Kamerun ist eine ehemalige deutsche Kolonie. Dort wird sehr gut deutsch gesprochen.

Zeuge: Keine Ahnung. Ich muss so 'n Scheiß nicht wissen.

Agentin GF-106: Was hat der Kryptid zu Ihnen gesagt?

Zeuge: Er hat mich gefragt, ob er wohl auf der Erde willkommen sein könnte.

Agentin GF-106: Und wie lautete Ihre Antwort?

Zeuge: Ich habe eine Gegenfrage gestellt, und zwar die Frage, wann er abreist.

Agentin GF-106 (entgeistert): Sie begegnen einem Außerirdischen, und als Erstes fragen Sie ihn, wann er abreist?

Zeuge (zückt eine Schachtel Förchtbar Maschin): Darf ich rauchen?

Agent QP-255 (ungehalten): Nein. Wir sitzen hier in einer Behörde.

Agentin GF-106: Ich warte auf Ihre Antwort.

Zeuge (aufgebracht): Na klar, überlegen Sie doch mal! Nehmen wir hier einen Alien auf, zieht er Millionen nach sich. Es gäbe 'ne Invasion. Man kennt das aus Filmen. Lässt man Außerirdische sich einnisten, treiben sie ihre üblen Machenschaften, bis ihre Rasse die Erde erobern kann.

Agent QP-255: Es gibt keine Rassen.

Zeuge (erzürnt): Keine Ahnung. Sie reden wie die Gutmenschen. So was muss ich nicht wissen. Auf alle Fälle ist zu befürchten, dass sie die miese Absicht haben, die Menschen zu versklaven. Oder zu massakrieren. Ähnlich wie in dem Streifen Krieg der Welten, da rotten die Marsianer die Menschheit mit Mikroben aus.

Agentin GF-106: Ursprünglich war's ein Buch von Herbert George Wells. Und darin stirbt nicht die Menschheit an Mikroben, sondern die Marsianer werden durch irdische Bazillen dahin gerafft.

Zeuge: Nein-nein-nein, so ein Blödsinn. Kein Herbie, sondern Timm Kruhs spielt die Hauptrolle. Es ist anders herum. Ich weiß es genau. Ich habe die DVD dreimal gesehen.

Agentin GF-106: Es wäre besser gewesen, Sie hätten sie sich nur einmal, dafür aber gründlich angeschaut.

Zeuge (beleidigt): Man wird ja wohl noch seine Meinung vertreten dürfen.

Agentin GF-106: Halten wir uns ans Thema. Woran haben Sie festgestellt, dass er tatsächlich ein Außerirdischer ist?

Zeuge: Er sah aus wie ein unheimlicher dicker Mann in einem riesig weiten, beuligen, grauen Glitzer-Overall und hatte dunkle Haut. Erst dachte ich, das ist ein schwuler Araber. Aber dann fiel mir auf, dass seine Arme und Beine kürzer waren als bei unsereins. Und er hatte komische Augen und 'ne Art von Hundenase. In die Nasenlöcher führten zwei Schläuche. Er roch auch wie 'n Penner. Da wurde mir klar, dass er wahrhaftig von einem anderen Stern stammte.

Agentin GF-106: Erlauben Sie mir eine vorläufige Zusammenfassung. Sie begegnen einem Außerirdischen, erkennen ihn als solchen, aber als Erstes haben Sie an ihn die Frage, wann er abreist. Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass es von gewaltiger kultureller Bedeutung sein könnte, mit einer extraterrestrischen Zivilisation in Kontakt zu treten? Dass Sie folglich mit dem Kryptiden eher die Verständigung hätten suchen sollen?

Zeuge (verblüfft): Was? Ich brauch' den doch nicht.

Agent QP-255 (entrüstet): Was soll das heißen, Sie brauchen ihn nicht?

Agentin GF-106 (ironisch): Haben Sie nicht einmal die Genüsse einer exotischen Küche in Betracht gezogen?

Zeuge: Wenn 'ne Küche her muss, lasse ich sie von Ikea einrichten.

Agentin GF-106: Also von Ihrer Mutter. Aber Schwamm drüber. Sie standen dem Besuch des Acht-B-Aliens also skeptisch gegenüber …

Zeuge (fuchtelt): Ja sicher, eben wegen der Invasionsgefahr. Einer drohenden Ausrottung der Menschheit. Da wär's mir doch viel lieber gewesen, er reist nach Hause ab. Falls er ein Zuhause hatte.

Agent QP-255 (belustigt): Vielleicht wohnt er bei seiner Mutter.

Zeuge: Falls er eine Mutter hatte.

Agentin GF-106: Die Unterhaltung mit Ihnen gestaltet sich etwas schwierig. Schauen wir uns doch zwischendurch das Selfie an. (Sie drückt eine Taste. Ein großflächiger Wandmonitor wird hell und zeigt zwei Mondgesichter. Alle drei Anwesenden wenden sich auf den Drehsesseln dem Bild zu.) Rechts sind Sie. Neben Ihnen ist der Acht-B-Alien zu sehen. Fast könnten Sie Brüder sein. Sie haben ihm einen Arm um die Schulter gelegt. Warum?

Zeuge (verdrossen): Was, Brüder?! Nee, bei Selfies hält man 's einfach manchmal so.

Agentin GF-106: Aha. Hat er Ihnen etwas über sich erzählt?

Zeuge: Ja, er war ziemlich gesprächig. Er gehörte zu einem Haufen Exilanten. Um die Hunderttausend, die in Raumschiffen zwischen Mars und Erde warten. Ein Grüppchen ist als Kundschafter oder so was zu uns geschickt worden. Die Aliens würden sich gern hier niederlassen, obwohl sie Methan atmen …

Agent QP-255: Methan? Was wollen Sie dann auf der Erde?

Zeuge: Ihnen fehlen inzwischen … ähm … die Mittel zum Weiterfliegen. Bei uns ist gewissermaßen Endstation. Deshalb möchten sie das im Meeresboden abgelagerte Methan zum Atmen verwenden. Zuerst mal, indem sie es komprimiert in ihre Overall-Anzüge pumpen. Da sind nämlich Kammern drin, in denen es sich ein bisschen … äh … vermehrt. Als Ärobik-Methan oder so ähnlich.

Agentin GF-106: Wahrscheinlich meinen Sie anaerobe Methanogenese.

Zeuge: Weiß nicht. Muss ich so was wissen? Als Zweites haben sie die Absicht, später in Küstenregionen Kuppelstädte zu bauen, in denen sie ohne Atemanzüge in Methan leben können, das sie aus dem Meeresboden absaugen. Angeblich mit unserer Einwilligung. Aber man kann denen ja nicht trauen. Wenn sie erst mal unser Methan schnorren, entwickeln sie bestimmt mit der Zeit immer weitere perverse Gelüste, bis wir nicht mehr vor ihnen sicher sind. So was muss man im Keim ersticken.

Agentin GF-106: Und ist Ihnen dazu etwas eingefallen?

Zeuge (feixt): O ja. Ich dachte mir: Alter, ihr müsst kapieren, Mann, dass unser Methan für euch Scheiße ist. Also habe ich mein Taschenmesser genommen und die Seite seines Overalls von oben bis unten aufgeschlitzt.

Agent QP-255: Wie bitte?!

Zeuge (munter): Ja, und das Methan zischte nur so raus, der Pinscher musste kotzen und lief weg, und der Alien glotzte mich aus seinen komischen Augen auch ganz komisch an … (Lacht)

Agentin GF-106: Und dann?

Zeuge (holt aus der Jackentasche ein abgegriffenes blaues BIC): Ja … Dann habe ich ihn angezündet.

Beweint bei Nacht

(2020)

 

 

Erasmus Wasmut hatte das zweistöckige Reihenhaus an der Einkaufsstraße einer mittelgroßen Ruhrgebietsstadt von seinem früh verwitweten Vater geerbt. Andernfalls hätte er es sich nicht leisten können, im Erdgeschoss das kleine Ladengeschäft zu unterhalten, in dem sein Erzeuger einen Tabakladen mit etwas edlerem Sortiment betrieben hatte. Natürlich ließen Afrikana sich schwer absetzen. Da er jedoch keine Miete zahlen musste, durfte er trotz eher zähen Verkaufs mit dem Umsatz zufrieden sein.

Also öffnete er guten Mutes das Geschäft von Dienstag bis Freitag um vierzehn Uhr und schloss um neunzehn Uhr. Weil er zum großen Teil von Stammkunden lebte, erübrigten sich längere Öffnungszeiten. Der Laden hieß A20 – A für Afrika, 20 war die Hausnummer. Er kannte angenehme Kunden – auch Kundinnen –, aber auch ausgesprochene Nervensägen, deren Wünsche kaum jemals bedient werden konnten. Auch die Laufkundschaft erwies sich in den meisten Fällen als Belastung.

Nur eine begrenzte Anzahl von Menschen interessierte sich für afrikanische Antiquitäten. Ein höherer Anteil der Interessenten bestand aus Klugscheißern, selbst ernannten »Experten« und Entscheidungsunfähigen, die zudem fast allesamt zum Knausern und dreisten Feilschen neigten.

Während der vergangenen acht Tage war es gut gelaufen. Ihn hatten Kunden besucht, die sich durch fundiertes Wissen auszeichneten, mit denen man spannende Gespräche führen konnte und die nicht sparsam sein mussten, darunter eine steinalte Dame, die immer noch einschlägige Antiquitäten erwarb, obwohl sie wusste, dass ihre Enkel sie voraussichtlich eines Tages auf den Sperrmüll warfen. Gleichzeitig verkaufte Erasmus regelmäßig an eine noch recht junge Frau, die sich mit wenig Geld, aber großer Leidenschaft dem Zusammentragen einer erlesenen Sammlung widmete. Schon seit einiger Zeit überlegte Erasmus, ob er so vorwitzig sein sollte, der Greisin vorzuschlagen, ihre Afrikana der jüngeren Sammlerin zu vererben. Aber vorerst traute er sich nicht.

Der Umgang und die Fachtümelei mit anderen Afrikana-Enthusiasten bildeten für Erasmus einen Quell der Freude und Genugtuung. Aber heute fing der Tag schlecht an.

Der Unbekannte, der gegen fünfzehn Uhr den Laden betrat, machte auf den ersten Blick keinen unsympathischen Eindruck. Eine Schwäche für Norwegerpullover hatte Erasmus nicht, aber die korrekte Frisur und die Hornbrille sahen nach Seriosität aus. Ihm missfielen allerdings die verschleierten, etwas scheelen Augen.

Nach den Grußfloskeln rückte der Mann mit verbreitetem Unsinn heraus. »Ich möchte vielleicht einen Fetisch kaufen.«

Gerne hätte Erasmus ihn sofort in der Hinsicht belehrt, dass man in Afrika den Begriff Fetisch gar nicht kannte, sondern ihn den katholischen Portugiesen des 16. Jahrhunderts verdankte. Inzwischen hatte er es sich jedoch abgewöhnt, potenzielle Neukunden zu vergraulen, indem er sich der Besserwisserei verdächtig machte.

»Soll es ein Einzelstück sein, das auch in ein modernes Interieur passt?« Erasmus schlenderte an dem alten, in Teilen umgebauten Zigarrenkistenregal entlang und sichtete den Bestand. »Oder denken Sie daran, das Sammeln anzufangen?«

»Ich bin nicht abgeneigt, eine Sammlung zu gründen, falls ich genug wertvolle Stücke finde.«

Nach kurzem Abwägen wählte Erasmus ein Holzgefäß aus, das eine sehenswerte sammelwürdige Rarität verkörperte. »Ich schlage Ihnen diesen Gegenstand vor, ein Ritualgefäß aus dem Kongo. Es stammt von den Bambala und fand bei Zeremonien Verwendung, die eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen sollten. Das Alter beträgt ungefähr hundertzwanzig Jahre.«

Der Interessent, der hingegen nur vierzig bis fünfzig Jährchen zählte – infolge der Stirnglatze konnte man sein Alter nur schwer schätzen – linste den geschnitzten Korpus und den mit zwei Figuren gekrönten Deckel des Behältnisses an. »Der Fetisch ist also im Kult benutzt worden?«

Als er erneut Fetisch hörte, zuckte es in Erasmus' Wange. Eben hatte er doch die Verwendung des Objekts erwähnt. »Die Expertise des Sachverständigen van Derks bestätigt diese Annahme. Der Deckel weist eine Reparatur auf, die man nicht vorgenommen hätte, wäre das Gefäß nicht hochgeschätzt gewesen. Häufig hat man Objekte für Kulthandlungen fortgeworfen, wenn sie misslungen waren oder ihren Zweck erfüllt hatten. Oder man hat sie an Europäer verscherbelt. Ich kann nur sagen …«

»Ist das Ding mit Menschenblut bespritzt worden?«

Nun musste Erasmus schon für ein Augenblickchen die Luft anhalten. »Im Gegensatz zu verbreiteten eurozentrischen Vorurteilen sind die allerwenigsten Afrikaner Kannibalen gewesen. Wenn Blut verspritzt wurde, dann Hühnerblut.«

»Aber es waren ja Wilde. Bestimmt haben sie Sachen auch mit Menschenblut vollgespritzt.«

Schon jetzt gab Erasmus die Hoffnung auf, einen Verkauf tätigen zu können. Sein Blutdruck stieg. Der Mann hatte schlichtweg abwegige Vorstellungen. »Ich möchte mich so ausdrücken: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bei den Orakelritualen der Bambala Menschen geopfert wurden.«