Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Wollen S' wirklich auschecken und tatsächlich sang- und klanglos das Wachnertal verlassen, Herr Demleitner?«, fragte Angie Hettinger, die Rezeptionistin im ›Gästehaus Wachnertaler Hof‹, der ›Pension mit Herz‹. »Ja«, antwortete Xaver. »Ganz so sang- und klanglos erfolgt mein Abgang nicht. Von Pfarrer Trenker habe ich mich verabschiedet. Er ist wahrscheinlich sowieso der Einzige, der Wert darauflegt.« »Haben S' wohl keine besonders guten Erfahrungen gemacht hier in St. Johann, wie?«, fragte Angie. »Nicht gerade die besten.« Xaver verzog den Mund und fügte hinzu: »Es wäre wohl besser gewesen, ich wäre nie hierhergekommen.« Angie wusste natürlich Bescheid. Zuerst waren es Gerüchte gewesen, die auch vor dem ›Wachnertaler Hof‹ nicht haltgemacht hatten, irgendwann hatte ihr dann Xaver sein Herz ausgeschüttet. »Tja«, machte sie, »wenn man halt immer schon im Voraus wüsst', wie sich etwas entwickelt, dann könnt' man so manchem Ärger aus dem Weg gehen. Aber es ist halt so. Die Wege des Schicksals sind unergründlich. Man muss es eben nehmen, wie's kommt.« »Ja, das ist so«
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
»Wollen S‘ wirklich auschecken und tatsächlich sang- und klanglos das Wachnertal verlassen, Herr Demleitner?«, fragte Angie Hettinger, die Rezeptionistin im ›Gästehaus Wachnertaler Hof‹, der ›Pension mit Herz‹.
»Ja«, antwortete Xaver. »Ganz so sang- und klanglos erfolgt mein Abgang nicht. Von Pfarrer Trenker habe ich mich verabschiedet. Er ist wahrscheinlich sowieso der Einzige, der Wert darauflegt.«
»Haben S‘ wohl keine besonders guten Erfahrungen gemacht hier in St. Johann, wie?«, fragte Angie.
»Nicht gerade die besten.« Xaver verzog den Mund und fügte hinzu: »Es wäre wohl besser gewesen, ich wäre nie hierhergekommen.«
Angie wusste natürlich Bescheid. Zuerst waren es Gerüchte gewesen, die auch vor dem ›Wachnertaler Hof‹ nicht haltgemacht hatten, irgendwann hatte ihr dann Xaver sein Herz ausgeschüttet. »Tja«, machte sie, »wenn man halt immer schon im Voraus wüsst‘, wie sich etwas entwickelt, dann könnt‘ man so manchem Ärger aus dem Weg gehen. Aber es ist halt so. Die Wege des Schicksals sind unergründlich. Man muss es eben nehmen, wie’s kommt.«
»Ja, das ist so«, pflichtete ihr Xaver bei. »Ob es einem gefällt oder nicht, danach fragt die Vorsehung nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Mit meinem Erscheinen hier in St. Johann hab‘ ich etwas ausgelöst, etwas, das ich ganz sicher nicht wollte. Ganz besonders nahe geht mir der dramatische Tod von Joachim Tafelmeyer. Er könnte noch leben, wenn ich ...«
Xaver brach ab.
»Es war nicht Ihre Schuld«, erklärte Angie. Sie empfand Mitleid mit dem Fünfundsiebzigjährigen, der in den vergangenen Tagen einem geradezu unerträglichen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt gewesen war. Gegen ihn war sogar wegen des Todes Joachim Tafelmeyers ermittelt worden.
»Wäre ich nie hierhergekommen, würde er wahrscheinlich noch leben«, murmelte Xaver. »Dass die Frau Tafelmeyer wochenlang in psychiatrischer Behandlung sein wird, ist auch auf mein Gastspiel hier zurückzuführen. Ich bin als zufriedener, glücklicher Mensch hergekommen, jetzt verlasse ich das Tal als geschlagener Mann.« Er griff nach seinem Gepäck und hob den Koffer sowie die Reisetasche vom Boden weg. »Tschüss, Angie. Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Ich sage nicht auf Wiedersehen, denn ich werde niemals mehr wieder ins Wachnertal zurückkommen. Machen Sie es gut.«
Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass er sein Versprechen, dem Wachnertal für alle Zeiten fernzubleiben, nicht einhalten würde können.
»Tschüss, Herr Demleitner.« Angie Augen waren feucht geworden, und ihre Stimme klang ein bisschen brüchig. Der ältere Herr war ihr ans Herz gewachsen. »Schade, dass es so enden musst‘. Kommen S‘ jedenfalls gut heim. Ich werde Sie in der Erinnerung behalten.«
Xaver lächelte verkrampft, nickte Angie noch einmal zu, dann wandte er sich ab und ging zur Tür. Wenig später hatte er sein Gepäck im Auto verstaut. Er setzte sich ans Steuer und fuhr weg.
Angie griff zum Telefon und wählte eine Nummer an. Eine weibliche Stimme meldete sich. »Pfarrhaus St. Johann. Sie sprechen mit Frau Tappert. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Morgen, Frau Tappert«, grüßte Angie. »Ich bin’s, die Angie Hettinger vom ›Wachnertaler Hof‹. Würden S‘ so nett sein, Frau Tappert, und dem Herrn Pfarrer von mir bestellen, dass der Herr Demleitner vor einer Minute den Heimweg nach Wilhelmshaven angetreten hat. Er hat nicht gerade glücklich dreingeschaut.«
»In dieser Sache ist eine Menge schiefgelaufen«, erwiderte Sophie Tappert. »Aber wahrscheinlich ist es gut, wenn der Herr Demleitner aus der Schusslinie ist. Die Gerüchteküche wird mehr und mehr zum Schweigen kommen und dann können sich auch die Frau Tafelmeyer und die Gabi wieder auf die Straße wagen, ohne dass ihr Erscheinen zum Spießrutenlauf ausartet.« Sophie seufzte. »Das ist alles so maßlos traurig. Aber in Ordnung, Angie, ich werde es dem Hochwürden bestellen.«
»Dankschön, Frau Tappert. Ihnen wünsch‘ ich einen schönen Tag.«
»Dir das Gleiche, Angie, ciao.«
Sophie stellte das Telefon in die Station. Sebastian war im Moment außer Haus. Als er eine Stunde später ins Pfarrhaus zurückkehrte, empfing ihn seine Haushälterin mit den Worten: »Die Angie vom ›Wachnertaler Hof‹ lässt Ihnen bestellen, Hochwürden, dass der Herr Demleitner abgereist ist.«
»Ja, ja, er hat sich von mir verabschiedet. Hoffen wir, dass er alles, was er hier erleben musst‘, verarbeitet, ohne dass es bei ihm einen bleibenden seelischen Schaden verursacht. Es war fast ein bissel viel, was ihm hier alles widerfahren ist. Es dürft auch für die Frau Tafelmeyer einfacher sein, sich mit den Gegebenheiten abzufinden, wenn sie den Herrn Demleitner nimmer sieht und das Geschwätz in der Gemeinde verstummt. Die Zeit heilt Wunden, sagt man. Vielleicht trifft das auch bei der Frau Tafelmeyer zu. Sie hat ebenfalls viel durchmachen müssen. Umsonst liegt sie nicht mit einem Nervenzusammenbruch in der Bergklinik, und danach wird sie wohl für längere Zeit in der psychiatrischen Klinik des Doktor Keller behandelt werden müssen. Der Adrian hat die Krankenunterlagen der Bergklinik angefordert. Er wird zusammen mit seinem Psychologen eine Therapie ausarbeiten. Er ist guter Dinge, dass sie die Frau Tafelmeyer wieder hinkriegen.«
»Das wollen wir doch hoffen«, erklärte Sophie.
Sebastian begab sich in sein Büro und rief von dort aus in der Landklinik des Dr. Adrian Berger an. Da er die Durchwahlnummer Adrians benutzte, hatte er diesen gleich am Apparat.
»Guten Morgen, Sebastian«, meldete sich der Arzt, der lange Jahre in Boston als Kardiologe gearbeitet hatte. »Sie möchten wahrscheinlich wissen, wie weit ich mit meinen Feststellungen bezüglich des Krankheitsbildes der Frau Tafelmeyer bin.«
»Habe die Ehre, Adrian«, erwiderte Sebastian zunächst den Gruß, dann bestätigte er die Vermutung des Arztes, indem er sagte: »So ist es, Adrian. Haben S‘ sich die Krankenakte schon zu Gemüte geführt?«
»Natürlich. Ich hab‘ auch den Doktor Behrend hinzugezogen, und wir sind zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass wir Frau Tafelmeyer, sobald sie aus der Bergklinik entlassen wird, stationär bei uns aufnehmen. Die psychischen Schäden sind weitaus gravierender als die körperlichen Einschränkungen. Ich hab‘ auch mit dem Oberarzt der Bergklinik Verbindung aufgenommen. Er wird mit der Frau Tafelmeyer ein Gespräch führen, und wenn sie damit einverstanden ist, dass wir sie behandeln, dann steht einer Aufnahme bei uns nix mehr im Weg.«
»Super, Adrian«, lobte Sebastian. »Der Herr Demleitner ist abgereist. Rückhalt hat die Frau Tafelmeyer auf jeden Fall bei ihrer Tochter Gabriele, mit der ich schon gesprochen hab‘. Sie ist ebenfalls fest davon überzeugt, dass ihrer Mutter fachmännische Hilfe in Anspruch nehmen muss, um seelisch wieder auf Vordermann gebracht zu werden.«
»Also muss nur noch die Frau Tafelmeyer selbst zu einer Behandlung ja sagen«, gab Adrian zu verstehen. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie der Sache ablehnend gegenübersteht«, verlieh Sebastian seiner Überzeugung Ausdruck. »Sie muss doch selber daran interessiert sein, wieder gesund zu werden, weiß sie doch, wie’s um sie steht.«
»Da verlass‘ ich mich voll und ganz auf Sie, Sebastian«, versetzte Adrian und lachte. »Sie verstehen es, einem Menschen klarzumachen, was gut und was nicht gut für ihn ist.«
»Danke, ich fass‘ das als Kompliment auf«, erwiderte Sebastian lächelnd.
»Das war ein Kompliment«, betonte Adrian.
*
Die Staatsanwaltschaft gab den Leichnam Joachim Tafelmeyers frei und er konnte beerdigt werden. Er fand seine letzte Ruhe in dem Grab, in dem auch sein Vater, Karl Tafelmeyer, beerdigt worden war. In der Kirche und auf dem Friedhof hatte sich eine große Trauergemeinschaft eingefunden. Viele waren gekommen, um dem Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen, viele hatte aber auch die reine Neugier in die Kirche und auf den Friedhof getrieben.
Sebastian hielt die Messe und anschließend die Trauerfeier am Grab.
Heidi, die Witwe, sowie der Sohn und die Tochter des Verstorbenen, seine Schwester Gabriele, deren Mann und ihre Tochter standen am offenen Grab. Sonja, die Mutter fehlte. Sie konnte aus allseits bekannten Gründen nicht an der Beerdigung teilnehmen.
Nach der Trauerfeier löste sich die Trauergemeinde auf, und schließlich standen nur noch die Angehörigen des Verstorbenen am Grab. Sebastian schickte die beiden Ministranten in die Sakristei und gesellte sich der kleinen Gruppe hinzu. »Wie geht es euch denn?«, fragte er anteilnehmend. Der vollkommen unerwartete Tod des Ehemannes und Vaters sowie des Bruders, Schwagers und Onkels war für die Familie schockierend gewesen.
»Mit dem Verstand hab‘ ich es bereits akzeptiert, dass der Joachim nimmer lebt«, antwortete Heidi, die Witwe. »Mit dem Herzen kann ich es einfach nicht. Aber ich werde mich damit abfinden müssen. Einfach, schätze ich, wird es nicht ohne den Joachim.«
»So hart es vielleicht klingt, Heidi«, erwiderte Sebastian. »Für euch geht das Leben weiter. Euch bleibt es nur, das Gedenken an den Joachim aufrechtzuerhalten und ihn in euren Herzen zu bewahren. Es ist halt der Weg alles Irdischen. Geboren werden, leben, sterben ... Das ist der ewige Kreislauf.«
»Wir helfen der Heidi, drüber hinwegzukommen«, beteuerte Gabriele. Ihr Mann und ihre Tochter nickten und unterstrichen damit die Aussage der Frau und Mutter.
»Ich weiß doch, dass ihr zusammenhaltet«, erklärte der Pfarrer und schaute Gabriele an. »Hast du schon mit deiner Mutter gesprochen, Gabi?«, erkundigt er sich.
»Ja.« Gabriele schlug die Augen nieder.
»Was ist?« Dem Pfarrer entging ihre Verlegenheit nicht. »Sie zieht wohl nicht recht, wie?«
»Sie meint, ihre Psyche wär‘ stark genug, sodass sie keiner fachkundigen Hilfe bedarf, um zurechtzukommen.«
»Hast du ihr klarzumachen versucht, dass es dem nicht so ist?«, fragte der Pfarrer. »Der Oberarzt hat doch auch schon mit ihr gesprochen. Da war sie doch noch verhältnismäßig einsichtig.«
»Das ist das Problem, Herr Pfarrer. Sie ist ziemlich wankend in ihren Entscheidungen. Heut‘ redet sie so, morgen so. Ich denk‘ dass das ebenfalls auf ihren psychischen Zustand zurückzuführen ist.«
»Spricht sie von Xaver Demleitner?«
»Nein.«
Sebastian hatte Gabriele ausgerichtet, was ihr Xaver aufgetragen hatte, nämlich, dass er ihr gerne ein guter Vater geworden wäre und dass er ihr und ihrer Familie alles Glück der Erde wünscht. Er vergaß auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Gabriele sich jederzeit an Xaver, ihren leiblichen Vater, wenden könne, wenn irgendwo Not am Mann sein sollte. Er werde immer für sie da sein.
Nachdem er ihr das bestellt hatte, war Gabriele den Tränen nahe gewesen. Sie hatte nichts gegen den Mann, von dem sie nach über einem halben Jahrhundert erfahren hatte, dass er ihr leiblicher Vater war.
»Ich denke, es wäre nicht gut«, fügte Gabriele ihrer Verneinung hinzu, »wenn ich mit der Mama über den Xaver sprechen würd‘. Das würd‘ bei ihr wahrscheinlich sofort wieder Bilder und Gedanken fabrizieren, die sie gesundheitlich zurückwerfen könnten. Es wär‘ wohl wirklich besser gewesen, wenn er nie auf die Idee gekommen wär‘, nach fünfundfünfzig Jahren in der alten Heimat Urlaub zu machen.«
»Ich werde wohl nicht umhinkommen, mit deiner Mutter ein ernsthaftes Gespräch zu führen«, murmelte Sebastian. »Ich denk‘, ich begebe mich gleich heut‘ Nachmittag in die Klinik und rede mit ihr. Sie muss sich in der psychiatrischen Klinik behandeln lassen, andernfalls wird sie seelisch immer angeschlagen sein.«
»Ganz meine Meinung«, mischte sich nun Gabrieles Mann ein. »Es wär‘ uns allen recht, Herr Pfarrer, wenn Sie mit der Schwiegermutter Tacheles reden würden. Auf Sie hört sie wahrscheinlich mehr als auf uns und die Ärzte.«
»Ihr könnt euch auf mich verlassen«, erklärte Sebastian, dann verabschiedete er sich.
Am Nachmittag fuhr er mit seinem Fahrrad zur Bergklinik. Erst sprach er mit dem Oberarzt, dann begab er sich zusammen mit diesem ans Bett Sonjas. Sie war bleich, ihre Augen blickten müde drein und lagen in dunklen Höhlen, um ihren Mund hatte sich ein verbitterter Zug festgesetzt.
»Grüß Ihnen Gott, Frau Tafelmeyer«, grüßte Sebastian und nahm die knochige, kalte Hand der Patientin. »Wie fühlen S‘ sich denn?«
»Net so gut, Hochwürden. Haben S‘ meinen Buben heut‘ in gebührender Art und Weise unter die Erde gebracht? Leider konnte ich nicht dabei sein. Aber ich werde, wenn ich wieder gesund bin, an seinem Grab beten. Der arme Bub! Wär‘ er doch bloß nicht auf den Berg gegangen. Da trifft wieder mal die Redewendung zu: Wer die Gefahr sucht, kommt in ihr um.«
»Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, Frau Tafelmeyer«, gab Sebastian zu verstehen. »Dass der Joachim ausgerechnet dann einen Schwächeanfall erleidet, als er sich auf der Felsleiste befindet, konnte er nicht voraussehen. So ziemlich die ganze Gemeinde war in der Kirche und auf dem Friedhof. Der Joachim war beliebt bei den Leuten. Und in euren Herzen lebt er ja weiter.«
Sebastian holte sich einen Stuhl und setzte sich. Dann fuhr er fort: »Das ist aber nicht der Grund, aus dem ich zu Ihnen komm‘, Frau Tafelmeyer. Mit der Gabi haben S‘ ja das Thema schon erörtert. Es geht um Ihre Behandlung in der Landklinik des Doktor Keller.«
»Das brauch‘ ich nicht, Hochwürden«, murmelte Sonja.
Sebastian wechselte mit dem Oberarzt, der schweigend dabeistand, einen schnellen, vielsagenden Blick. »Im Moment ist das vielleicht sogar der Fall, Frau Tafelmeyer«, entgegnete er. »Aber Sie sind von Ihrer Psyche her ausgesprochen sensibel, und der Weg in die Depression ist manchmal nur ein paar Schritte lang. Es geht darum, Sie seelisch und moralisch auf stabile Beine zu stellen, Sie so zu festigen, dass sie künftigen Stürmen des Schicksals die Stirn bieten können. Ihre Familie braucht eine gesunde, widerstandsfähige Mutter und Großmutter. Sie selbst werden doch auch der einen oder anderen Unannehmlichkeit, die das Leben immer wieder bietet, trotzen wollen.«
»Dem gibt es nichts hinzuzufügen«, äußerte sich nun auch der Arzt.
»Nun, ja ...« Sonja wirkte jetzt ziemlich verunsichert.
Sebastian ließ nicht locker. Er redete eine gute halbe Stunde mit Engelszungen auf Sonja ein, und am Ende hatte er sie so weit gebracht, dass sie sich mit einem stationären Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik einverstanden erklärte.
Und drei Tage später wurde Sonja von der Bergklinik in die Landklinik des Dr. Adrian Keller verlegt ...
*
Pfarrer Trenker stand mit Xaver Demleitner in regelmäßigem Telefonkontakt. An dem Tag, an dem Sonja Tafelmeyer in die Klinik eingeliefert wurde, rief er ihn an. Nachdem sie sich begrüßt hatten, setzte ihn Sebastian über den neuesten Stand der Entwicklungen in Kenntnis.
»Der Gedanke an die Sonja lässt mich einfach nicht los«, gestand Xaver. »Ich bete zu Gott, dass ihr in der psychiatrischen Klinik geholfen werden kann und dass sie wieder vollkommen gesund wird.«
»Ja, das hoffen wir alle«, versetzte Sebastian. »Sie hat auch versprochen, alles zu tun, um die Therapie erfolgreich abzuschließen. Ich kenn‘ den Doktor Keller sehr, sehr gut und weiß von seinen Erfolgen. Der Psychologe, den er beschäftigt, ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Ich bin also guter Dinge, dass die Psyche Sonjas innerhalb weniger Wochen wieder im Lot sein wird.«
»Das gebe der Himmel«, sagte Xaver. »Ansonsten, denke ich, ist in St. Johann wieder der Alltag eingekehrt. Geht man meiner Tochter immer noch aus dem Weg und wird sie von einigen Leuten immer noch unverhohlen angefeindet? Hat die Gerüchteküche aufgehört zu brodeln?«
»Mir ist nix bekannt, dass man die Gabriele noch einmal öffentlich angegangen hätt‘«, antwortete der Pfarrer. »Wie schaut’s denn bei Ihnen aus, Herr Demleitner? Hat sich Ihre ältere Tochter - wenn ich mich richtig erinnere, ist ihr Name Karina -, wieder beruhigt? Mit Ihrer anderen Tochter hat es meines Wissens ja keine Probleme mehr gegeben.«
»Stimmt. Mit der Angela komme ich sehr gut zurecht. Sie hätte es auch akzeptiert, wenn die Sonja und ich ein Paar geworden wären. Mit der Karina hält sich mein Kontakt in Grenzen. Sie ist immer noch nicht davon überzeugt, dass sich für mich das Thema Sonja und St. Johann erledigt hat. Ja, sie misstraut mir. Dass ich meinen Urlaub abgebrochen habe, sagt ihrer Meinung nach recht wenig aus. Es kann auch geschehen sein, so ihr Verdacht, um die Wogen zu glätten, für die ich in St. Johann gesorgt habe. Ich jedoch spreche meiner Tochter jegliches Recht ab, sich in mein Leben einzumischen. Sie aber hält es für ihr gutes Recht, um nicht zu sagen, ihre Pflicht. Dahingehend werden wir wohl nie einen gemeinsamen Nenner finden.«
»Jetzt mal Hand aufs Herz, Herr Demleitner«, sagte Sebastian. »Wie sieht es tatsächlich in Ihnen aus? Ist das Thema Sonja und St. Johann für Sie wirklich erledigt, oder reden Sie sich das nur ein und sie trauern in Wirklichkeit der Sache hinterher. Immerhin sind Sie und die Sonja ja eine ganze Weile recht gut miteinander ausgekommen ...«
»Bis sie mir die Schuld dafür zugeschoben hat, dass ihr Sohn nicht mehr mit ihr redet«, fiel Xaver dem Pfarrer aufgeregt ins Wort. Es war deutlich, dass ihn allein der Gedanke daran aufwühlte. »Wäre ich nie nach St. Johann gekommen, wäre alles beim Alten geblieben, hat sie mir vorgeworfen und mich gebeten, sie nicht mehr zu kontaktieren.«