Anam Cara - Seelenfreund - Nicole Rensmann - E-Book

Anam Cara - Seelenfreund E-Book

Nicole Rensmann

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Beschreibung

Gibt es die ewige Liebe? Kann eine Seele die Grenzen von Raum und Zeit überwinden, um ihr wahres Gegenstück zu finden? Nicole Rensmann erzählt in "Anam Cara - Seelelnfreund" von der unsterblichen Liebe, die gegen Schicksal, Unglück und Zufall bestehen muss. Gespannt und bewegt hofft der Leser mit Sina, Nele, Tom und Luca und folgt ihnen auf ihrer Reise durch Vergangenheit und Zukunft. Begleiten Sie eine Seele auf ihren Irrwegen durch Zeit und Raum auf der Suche nach ihrem Zuhause, wo die Hinterbliebenen weitaus mehr Qualen durchleben müssen, als nur die des Verlustes eines geliebten Menschen. "Anam Cara - Seelenfreund" ist keine Spekulation über Reinkarnation, sondern eine tragische Geschichte über Tod und Trauer, aber dennoch voller Kraft und Hoffnung.

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Inhalt

I Eine Vergangenheit

II Die Gegenwart

III Parallelen Eine Zukunft & Die Gegenwart

IV Eine Vergangenheit

V Parallelen Eine andere Zukunft & Die Gegenwart

VI Parallelen Gegenwart und Zukunft

Epilog

Autorenporträt Nicole Rensmann

Nicole Rensmann

Anam Cara – Seelenfreund

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juni 2018 Dieser Roman erschien erstmals 2003. Überarbeitete Neuausgabe Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Korrektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-613-3 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-941258-92-1 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de
In Erinnerung! Eine Namensgleichheit der Protagonisten sowie eine Ähnlichkeit der Charaktere mit lebenden oder verstorbenen Personen ist reiner Zufall und keinesfalls beabsichtigt. Mein Dank gilt Täd, meiner Mutter, Hannes und natürlich Guido, denn ohne Verleger müsste jedes Buch ein langweiliges Schubladenleben führen.

»Theorien, Spekulationen und Phantasie schenken uns nicht nur die schönsten Geschichten, sondern auch so manches Wunder.«

(Filamina)

»… and I would search everywhere just to hear your call and walk upon stranger roads than this one in a world I used to know before. For now I’ve lost everything I give to you my soul. And the meaning of all that I believed before Escapes me in this world of none. I miss you more.«

»… und ich würde überall suchen, nur um deinen Ruf zu hören, und seltsamere Straßen als diese begehen in einer Welt, die ich früher einmal kannte. Denn nun, da ich alles verloren habe, gebe ich dir meine Seele. Und die Bedeutung von allem, was ich zuvor geglaubt habe, entflieht mir in dieser Welt des Nichts. Ich vermisse dich mehr.«

IEine Vergangenheit

Niemand in unserem erbärmlichen Ort sah sich in der Lage, mir das Wissen, nach welchem mich dürstete, zu vermitteln und meine Fragen über Leben und Tod zu beantworten. Nur ein einziger Mensch schien mir dazu befähigt. Aber die Sonne würde noch unzählige Male untergehen, bis der Mann, der das Geheimnis der Menschheit mit sich trug, uns aufsuchen sollte. Meine Neugier erlaubte mir jedoch nicht, länger zu warten. Was hielt mich schon hier, in diesem Dorf, in dem mich meine Eltern vergaßen und wo ich seitdem von Abfällen lebte? Obgleich der Weg weit und gefährlich sein musste, zögerte ich nicht. Die Vorfreude ermöglichte es mir, Berge zu erklimmen, tödliche Klippen zu überspringen und Täler zu durchschreiten. So mancher Fluss durchnässte meine verdreckten Hosen, stacheliges Gestrüpp riss an meinem Hemd, herunterhängendes Geäst verfing sich in meinen schmutzig-braunen, strähnigen Haaren. Aber kein Hindernis konnte mich von meinem Weg abhalten.

Nachdem ich die letzte Bergkuppe überwand und mein Ziel erblickte, überflutete mich das Glück, als habe die Sonne ihre Strahlen über mich ergossen. Dort wurzelte es: ein kleines, verwittertes Haus, erbaut aus morschen Holzplanken, Fenster gab es keine, lediglich ein paar Luken, durch welche der Wind sein Liedchen pfiff. Das Dach wies Risse auf, durch die der Regen aufdringlich in die Stube tropfen musste. Enttäuschung kühlte das Glücksgefühl ab. Was hatte ich erwartet?

Die Sonne blendete meine Augen. Ich blinzelte, trat einen Schritt in den Schatten. Und nun offenbarte sich mir die Wirklichkeit: Die Baracke verwandelte sich in ein prunkvolles Schloss, die Wände aus Märchen geschrieben, das Dach nicht mit Holz, sondern mit den Enden von abgeschlossenen Erzählungen gedeckt. Die Fenster strahlten hell wie die funkelnden Augen einer Prinzessin. Eine Treppe aus gereimten Versen führte zu einer Tür aus geschwungener, beständiger Poesie. Ein prächtiges Blumengeflecht umwob das Gebäude. Zwei alte Bäume, deren Stämme sich ineinander verschlangen wie Liebende, wiegten ihre belaubten Köpfe sanft im Wind.

An diesem Ort konnte nur einer leben: der Geschichtenerzähler! Zögernd schritt ich den steinigen Weg entlang. Mein Herz klopfte heftig, mir wurde schwindelig.

Die schwere Holztür schwang im selben Moment auf, in dem ich die oberste Sprosse der Treppe betrat. Einen Schritt weiter, und ich stand im Inneren. Ein langer Tisch, dessen Ende ich nicht erkennen konnte, füllte den größten Teil der Eingangshalle aus. Später erst sollte ich erfahren, dass ich mich im Raum der Unendlichkeit befand und der Tisch in dieselbige verlief. Die Flammen in der Feuerstelle züngelten verspielt um einen schwarzen Topf herum und leckten gierig an dessen Unterseite. An einer Wand lehnte ein alter Reisigbesen, wie Hexen ihn oft bei sich führten.

Eine wunderschöne Frau saß dem Besitzer des Hauses gegenüber und hielt seine Hand. Ihr Haar raubte mir für Sekunden die Sinne: weiß wie frisch gefallener Schnee, dick und tief, als könnte ich darin versinken, wären da nicht die schwarzen Strähnen, die sich wie Wege durch die Haarpracht wanden. Ihr Kleid passte farblich zum Haar, jedoch kehrten die schwarzen Strähnen hier als Ornamente wieder. Um ihren grazilen Hals schmiegte sich eine Kette, an der ein silbernes Medaillon hing, welches, wie ich später erfuhr, auf einer der Innenseiten die Tuschezeichnung ihres Liebsten enthielt und auf der anderen ein kleines Geheimnis.

Der Alte schaute in ihre dunkelblauen Augen, in denen er sich spiegelte wie in einem von der Sonne bestrahlten Meer.

Als ich hereintrat, unterbrachen sie ihre Unterhaltung.

»Setzt Euch.« Mit der freien Hand bat mich der Geschichtenerzähler, neben ihm Platz zu nehmen.

Erschöpft von meiner Reise und überwältigt von der Erkenntnis, das Ziel erreicht zu haben, folgte ich dankbar der Aufforderung.

»Seid Ihr der Geschichtenerzähler?«, fragte ich, um eine Bestätigung zu erhalten, mein Ziel wirklich erreicht zu haben.

Der alte Mann schien mich mit seinen olivgrünen Augen für Sekunden zu hypnotisieren, sie strahlten jugendliche Frische aus.

»Nun, die Menschen nennen mich Conteur oder Narratikus, manche bezeichnen mich als Barde oder Storyteller. Alles ist willkommen, sagt doch jeder Name nur aus, dass ich Geschichten erzähle.«

»Seid Ihr der Einzige Eurer Art?« Diese Frage brannte mir, seit ich denken konnte, auf der Seele.

»Ich weiß es nicht, ich habe selbst nie einen anderen Geschichtenerzähler getroffen. Zu meinem eigenen Bedauern. So mag es wohl sein, dass ich der Einzige bin. Aber ich bin alt.«

Sein Blick fing den meinigen gekonnt ein, bevor er weitersprach: »Ich bin viel zu alt, um durch die Welt zu reisen, neue Geschichten zu sammeln und weiterzuerzählen. Deshalb sitze ich hier, lasse mich belehren von meiner gütigen Freundin Filamina und warte auf jemanden, der mein Nachfolger wird, um der Sehnsucht meiner suchenden Seele nachzugeben.«

Er strich seinen grauen Bart glatt, der ihm bis auf die Brust reichte, zwirbelte seinen Schnauzer und lächelte mir zu.

Ich schaute ihn mit leicht gerunzelter Stirn an. Die Sonne musste mein Gehirn verbrannt haben, zu lange brauchte ich, um seine Andeutung zu verstehen.

Dann riss ich meine Augen auf, mein Kopf wackelte – wie bei einem Greis – hin und her, beide Hände drückte ich auf die Brust, als wollte ich mein heftig schlagendes Herz verbergen.

»Ihr meint mich?«

Mein Leib zitterte vor Überraschung und ließ meine Zähne lautstark aufeinanderschlagen.

»Nun, warten wir es ab. Ihr habt als Einziger den weiten Weg hierher gefunden. Heute, an diesem Tag, an dem ich mehr über mich erfahren habe als in den letzten Jahrzehnten – oder waren es gar Jahrhunderte? Ich weiß es nicht.«

In meinem Kopf schwirrte es wie in einem Bienenstock. Kindliche Fragen setzten sich eine nach der anderen zusammen. Fragen, weit entfernt von der Weisheit und Kunst eines Geschichtenerzählers, die jedoch der Antwort bedurften.

»Wie vermag es mir gelingen, Euer Wissen auch nur annähernd zu erreichen? Es ist mir bis heute verwehrt geblieben, Buchstaben zu entziffern.«

»All Eure noch nicht ausgesprochenen Fragen werden Euch beantwortet werden. Habt Geduld und Vertrauen. Die Kunst des Lesens und Schreibens werde ich Euch lehren. Wissen erhaltet Ihr durch die Geschehnisse des Alltages und von der Zeit, die Euch die Weisheit schenkt, aus Erzählungen und Schriften.« Er zeigte auf die schöne Frau, »Mithilfe meiner lieben Freundin und zuletzt durch meinen Tod.«

Für zahlreiche Atemzüge hüllte ich mich in nachdenkliches Schweigen und versuchte das Gesagte zu verstehen. Alles schien mir möglich, doch seinen Tod vermochte ich keinesfalls zu akzeptieren.

»Wie kann ich Euer Erbe ruhigen Gewissens antreten, wenn ich weiß, dass ich einen Teil meines Schicksals nur durch Euer Dahinscheiden erfüllen kann?«

»Lasst es ruhen. Seid mein Gast. Wir werden sehen.«

An diesem Tag, glaubte ich, lernte ich nichts darüber, wie ich ein Erzähler werden könnte. Erst viele Monate später wusste ich, dass sich mein Wissen in diesem Haus jede Sekunde erweiterte.

Ich stärkte meinen ausgezehrten Körper mit einem Getränk, das Filamina mir zubereitete, und mit heißer Suppe, die in dem schwarzen Kessel brodelte.

Mein Lehrmeister wich nicht von meiner Seite, er beäugte mich teils erheitert, teils interessiert. Erst als ich meinen von der langen Reise geschundenen und mageren Körper in einen Holzbottich mit heißem Wasser legte, ließen mich Filamina und der Alte mit meinen Gedanken allein.

Viele Wochen, die sich zu Monaten aneinanderreihten, blieb ich bei meinem Herrn und Meister. Ich lernte emsig, um des Schreibens und Lesens mächtig zu werden. Ich las aus Schriftrollen, die ich teils ordentlich sortiert in einem Schrank, teils durcheinanderliegend in einer alten Holzkiste vorfand. Jede Information, die mein Gastgeber preisgab, saugte ich in mich auf wie ein in den Topf getunktes Stück Brot die Suppe. Den Gedanken daran, die Nachfolge dieses einzigartigen Menschen anzutreten, schob ich weit weg, niemals glaubte ich daran, dass ich dazu fähig sei.

An vielen Abenden besuchte uns Filamina. Sie berichtete von ihrem Liebsten und zeigte mir sein Abbild in ihrem Medaillon. Als ich mich wie ein Tölpel nach seinem Wohlbefinden erkundigte, vertraute sie mir sehnsüchtig an, dass er in einem gesegneten Alter von 65 Jahren in Frieden von ihr gegangen sei. Sie wusste, dass seine Seele in einem anderen Körper irgendwo auf der Welt, zu einer anderen Zeit, Platz gefunden haben musste. Und wenn das Schicksal ihnen wohlgesinnt sei, bekäme ihre Liebe eines Tages eine neue Chance. Dieses Gespräch stimmte mich nachdenklich. Lebte in jedem von uns die Seele eines Toten? Wer mochte ich gewesen sein? Welchen Körper würde meine Seele auswählen, nachdem meine Hülle ihren Dienst versagte?

Nur manchmal, wenn die Sonne lockte oder der Regen versuchte, die Geschichtsenden zu durchdringen, ging ich aus dem Haus, saugte die Luft in meine Lungen und den Anblick der Natur in mein Herz. Ich lauschte dem Gezwitscher der Vögel, schaute dem Wachsen des Grases zu, bestaunte die Würmer, die bei Nässe aus der Erde krochen, um bei Trockenheit rasch zu verschwinden, und fühlte mich geehrt, wenn ein Schmetterling die aufgehende Blume verpönte und sich stattdessen auf meine Schulter setzte.

Eines Tages packte mich leichtfertige Neugier und ich begab mich auf den Weg, um das Ende der Eingangshalle zu erreichen. Ich wusste nicht, wie lange ich wanderte, einsam und mir Filaminas und des Geschichtenerzählers Nähe dennoch stets bewusst. Hunger und Durst zwangen mich schließlich zurück. Vier Tage hatte ich mich durch einen Raum der Unendlichkeit bewegt. Nicht mehr als einen ruhelosen Punkt am Horizont hatte der Geschichtenerzähler von mir erkennen können.

Das Haus beherbergte unendliche Geheimnisse: Viele Türen führten vom Eingangsraum fort, die nur sichtbar wurden, sobald ich unmittelbar vor ihnen stand. Um durch sie hindurchzugelangen, musste ich mich bücken. Die Räume dahinter vergrößerten sich erst beim Eintreten. Das Haus veränderte sich und wuchs mit seinen Bewohnern. Sollte jemals ein Schmied dieses prachtvolle Gebäude erobern, verlöre die Welt mit einem Hieb all das gesammelte Wissen und die Geschichten der Völker. Nun verstand ich, warum der Geschichtenerzähler erst zur Ruhe kommen wollte, sobald ein würdiger Nachfolger seine Stelle einnahm. Stolz erwärmte meinen Körper.

Viele Abende saßen der Geschichtenerzähler, Filamina und ich an dem einen Ende des unbegrenzten Holztisches und erzählten von wunderlichen Menschen, schönen Prinzessinnen, hässlichen Riesen, merkwürdigen Gesellen und grausamen Herrschern. Nebenbei lernte ich mein erzählerisches Rüstzeug für meine Arbeit als Geschichtenerzähler.

Denkwürdige Monate verbrachte ich im Hause des Geschichtenerzählers. Aber schöne Zeiten allein brachten mir nicht die Weisheit.

An dem Tag, der auf eine magische Nacht folgte, in welcher der volle, silbrige Mond seine Kräfte vom Himmel auf die Erde und ihre Bewohner sendete, sollte ich meine Entscheidung treffen: Nehme ich das Erbe an oder verlasse ich diesen Ort für alle Ewigkeit?

Wie an jedem Abend saßen wir an unseren Stammplätzen. Wir tranken und aßen, doch diesmal lachten wir nicht über die Geschichten. Unsere Stimmen klangen gedämpft, die Atmosphäre schien von einer wichtigen Frage, die lose im Raum stand, aufgeladen zu sein. Eine Frage, die nur ich zu beantworten hatte.

Eine eiserne Faust drückte gegen meine Brust, als der Geschichtenerzähler meine Hände zwischen seine bettete.

»Ihr seid mir wie ein Sohn geworden. Der Tag, an dem Ihr zu uns gestoßen seid, ist nun weit entfernt und ich bin mir mehr als damals gewiss, dass Ihr es seid, der mein Nachfolger werden soll. Die Zeit ist da. Ich bin müde, voller Sehnsucht. Ich muss gehen.«

Wir schwiegen. Noch suchte ich nach einem Ausweg: »Gibt es keine andere Möglichkeit? Können wir nicht gemeinsam diese Aufgabe bewältigen, Ihr als mein Vorbild, ich als Euer Gehilfe?«

»Es ist Zeit für mich, diesen Platz einem Jüngeren zu überlassen. Für Euch. Glaubt mir. Meine Seele verlangt sehnsüchtig nach einem anderen Ort und nach dem Menschen, den sie liebt und von dem sie mehr geliebt wurde, als selbst ich auszusprechen vermag. Lasst uns ein letztes Mal das Glas erheben.«

Wir gossen uns von dem Kräutertrank ein, den Filamina anlässlich dieses Abends zubereitet hatte. Er schmeckte wie süßer Himbeerlikör, der einen bitteren Geschmack und ein leichtes Prickeln auf der Zunge hinterließ. Niemals zuvor oder danach habe ich etwas vergleichbar Köstliches zu mir genommen. Wir prosteten uns zu. Noch fühlte ich mich der neuen Aufgabe nicht gewachsen. Aber auch in zwanzig Jahren, ja in Hunderten davon, würde ich mich nicht in der Lage fühlen, dies Schicksal zu übernehmen.

Dennoch …

»Es ist mir eine Ehre, Eure Nachfolge anzutreten!«

Keine Sekunde verrann unnütz. Der alte Mann nickte zufrieden und schob seinen Stuhl zur Seite. Filamina küsste ihn und reichte ihm einen winzigen Zweig, den sie aus ihrem Medaillon zog.

Ich umarmte den Geschichtenerzähler zum Abschied. Nur mühsam hielt ich meine Tränen zurück.

Seine letzten Worte sollten mich bis in die Ewigkeit begleiten: »Ich bin stets bei dir, mein Sohn.«

Seine warmen Augen strahlten väterliche Liebe und Stolz aus. Der Geschichtenerzähler drehte uns den Rücken zu und folgte dem Weg, den ich bereits aus Neugier beschritten hatte, in die Unendlichkeit. Sein Gang glich keineswegs dem eines sterbenden Mannes, sondern erinnerte an den forschen und beschwingten Schritt eines Frischverliebten, der seine Angebetete aufsuchte. Dem Gespür von Hunger und Durst folgte er nicht, sondern dem Ruf seiner Seele, die ihren eigenen Pfad zurück oder voran zu wandern ersehnte.

Ich selbst trat seine Nachfolge an, durchwanderte Städte und Dörfer, um seine Geschichten zu erzählen und neue zu sammeln. Zu Hause erwartete mich zumeist Filamina. Sie behielt über Hunderte von Jahren ihre geheimnisvolle Schönheit. Meine Hülle alterte schneller, bedingt durch die Sonne, die mich stets begleitete und meine Haut ausdörrte, durch den Wind, der mir die Haare vom Kopf pustete, durch den Regen, der mich säuberte und Schichten meiner Haut abwusch, sodass diese bald Pergamentpapier glich. Meine Hosen legte ich ab und trug weite Kleider, wie ein Weib. Darunter behütete ich kostbare Bücher und Schriftrollen vor launischen Wettereinflüssen. Äußerlich glich ich einem Greis. Meine Seele jedoch gehörte einem wissbegierigen Mann. Obwohl die Menschen anspruchsvoller und misstrauischer geworden waren, ging ich meinen Weg als Geschichtenerzähler mit Freuden.

Für meinen Meister betete ich, dass er an einem sicheren Ort angelangt war – nicht sein Körper, denn dieser gehörte nun mir –, sondern dass seine Seele nach einem qualvollen Wandern ein gutes Ende gefunden hatte.

Der kleine Zweig eines Salbeistraußes, den Filamina ihm als Abschiedsgeschenk mit auf den Weg in die Ewigkeit gegeben hatte, sollte ihm dabei helfen.

IIDie Gegenwart

»Bitte schlaf ein, kleine Maus«, flüsterte Sina ihrer Tochter zärtlich, aber drängend zu. Ihre Schläfen pochten vor Schmerzen, sie fühlte sich matt und müde. Die Arbeit stapelte sich auf dem Schreibtisch und ein Teil der Hausarbeit war auch noch unerledigt. Obwohl Lea sie heute Morgen stark in Anspruch genommen hatte, war es Sina zwischendurch gelungen, das Mittagessen zuzubereiten. Nun brutzelte ein Nudelauflauf im Ofen, der einen köstlichen Geruch von Speck und Butter in der Wohnung verströmte.

Leise summte Sina ein Lied vor sich hin, versuchte sich zu entspannen und ihre Ruhe auf Lea zu übertragen. Nach einer Weile gelang es ihr, das Baby in einen sanften Schlaf zu wiegen und sachte in sein Bettchen zu legen.

Sina seufzte. Einen Moment Ruhe, bis Nele aus der Schule kam. In der Zeit würde sie einen Auftrag abarbeiten. Doch dazu kam es nicht, das Telefon klingelte. Das kam ihr nicht ungelegen, denn sie hatte keine Lust, sich an den Computer zu setzen. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie hoffte auf Thomas. Heute vermisste sie ihn besonders stark. In neugieriger Vorfreude eilte sie zum Telefon.

Sina liebte die Gespräche mit ihrem Mann. Seine wohlklingende, tiefe Erzählerstimme jagte ihr stets ein angenehmes Kribbeln über den Rücken. Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als sie ausschließlich schriftlich miteinander kommuniziert hatten.

Vor vier Jahren versteigerte Sina ein Ölgemälde, das sie im Keller ihres Vaters gefunden hatte, über ein Online-Auktionshaus. Thomas kaufte es für einen befreundeten Antiquitätenhändler. Nach dem Ende des Handels begann ein reger E-Mail-Austausch, durch den eine intensive Bindung zwischen ihnen entstand und ein Gefühl, wie es keiner von beiden zuvor hatte erleben dürfen.

An einem Mittwochabend trafen sie sich das erste Mal in einem kleinen, gemütlichen Restaurant. Die Angst, das Gefühl würde beim Anblick des jeweils anderen erlöschen, war groß. Die Sehnsucht größer.

Vor Nervosität brachten beide kaum einen Bissen hinunter. Sie wechselten viele schüchterne und bewundernde Blicke, von denen jedoch weder ihre Mägen noch ihre Gefühle satt wurden. Die Angst erwies sich als unbegründet, das Kribbeln blieb. Es verwandelte sich in das warme Blubbern im Bauch, das schon nach Sekunden den Körper vollständig erfüllte und eine anregende Gänsehaut verschaffte.

Von da an verbrachten sie viel Zeit miteinander, meist zu dritt, denn Sinas vierjährige Tochter Nele forderte die Aufmerksamkeit ihre Mutter. Nach kleinen Anfangsschwierigkeiten wuchsen sie zu einer Familie zusammen.

An ihrem dritten Jahrestag heirateten Thomas und Sina. Ein Jahr später wurde Lea geboren. Um sich ausschließlich den Kindern widmen zu können, kündigte Sina ihre Stelle als Versicherungskauffrau. Doch nach wenigen Monaten fühlte sie sich unterfordert und stellte sich bei ihrem früheren Chef erneut vor. Ohne zu zögern, richtete er ihr einen Heimarbeitsplatz ein, der Sina flexible Arbeitszeiten ermöglichte.

Sina genoss ihr Glück, das vor ihrer Begegnung mit Thomas vom Schicksal gern mit massiven Felsbrocken zerstört worden war.

»Heidkamp«, meldete sich Sina.

»Hallo, Frau Heidkamp. Münster hier.«

Der Anrufer stockte und Sina spürte eine unsichtbare, kalte Hand ihren Rücken herunter und zurück in ihren Nacken rennen. Sina schwieg, ihr Mund wurde trocken und sie wusste, dass dies kein nettes Gespräch werden sollte.

Thomas arbeitete als Programmierer bei einer kleinen Firma knapp vierzig Kilometer entfernt. Die täglichen Fahrten nahm er in Kauf, denn der Job stellte, neben der Familie, seine absolute Erfüllung dar. Herr Münster war Thomas’ Chef.

»Frau Heidkamp, Ihr Mann ist noch nicht da. Ist er krank? Normalerweise meldet er sich ja, aber ich bin selbst gerade erst ins Büro gekommen und sein Schreibtisch ist leer.«

»Er ist noch nicht da?« Sina spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. »Er ist hier um halb sieben weggefahren, wie jeden Morgen. Haben Sie versucht, ihn über sein Handy zu erreichen?«

»Nein, das habe ich noch nicht. Frau Heidkamp, machen Sie sich keine Sorgen. Vielleicht ist er bei einem Kunden. Ich sag Ihnen später Bescheid.«

Aber sie machte sich Sorgen und plante keineswegs, untätig darauf zu warten, dass sich das Büro später bei ihr meldete. Vor Nervosität fand sie ihr Handy nicht sofort, in dem Thomas’ Nummer gespeichert war. Schließlich fiel ihr ein, dass sie es zuletzt in der Küche liegen gesehen hatte. Seinen Kontakt hatte sie auf der Eins einprogrammiert, ein Klick, und die Verbindung baute sich auf. Ein eisiger Finger löste sich von der imaginären Hand in ihrem Nacken und bohrte sich zu ihrem Herzen durch, wühlte sich in ihre Seele und stach sie qualvoll, ohne Unterlass.

Das Freizeichen ertönte einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Mal meldete sich jemand.

»Hallo?«

»Wer sind Sie?«, fragte Sina vorwurfsvoll.

»Ich bin Polizeimeister Willem. Darf ich nun um Ihren Namen bitten?«

Für Sekunden fühlte sich Sina wie gelähmt. Als ihre Hand zu zittern begann und die Lähmung von ihr abfiel, antwortete sie: »Sina Heidkamp.«

Am anderen Ende der Leitung hörte sie ein Flüstern und Tuscheln, der Polizeibeamte unterhielt sich mit einer anderen Person.

Mit Thomas?, durchfuhr es Sina. Bitte, lieber Gott, lass ihn mit Thomas reden.

Dann fragte der Mann: »Sind Sie die Ehefrau von Thomas Heidkamp?«

»Ja«, antwortete Sina und das Quäntchen Hoffnung, an das sie sich geklammert hatte wie eine Fliege an einen Strohhalm in einem Glas Milch, wurde von einer grausamen Gewissheit überdeckt. Ihr Körper sackte ein Stück in sich zusammen, als habe ihr jemand die Wirbelsäule gestohlen. Sie lehnte sich an die Wand, um nicht umzukippen.

»Frau Heidkamp, fährt Ihr Mann einen silbernen Ford mit dem amtlichen Kennzeichen … «

Der Strohhalm zerbrach mit einem leisen »Knack«. Die Fliege strampelte um ihr Leben.

In Sinas Ohren schienen Wattebällchen zu stecken, aus weiter Ferne drang die Stimme des Polizisten zu ihr durch. Und doch nickte sie auf seine Frage, wurde sich verspätet bewusst, dass der Beamte dies nicht sah, und antwortete mit »Ja«.

Ein weiteres Mal hielt ihr Gesprächspartner Rücksprache mit jemandem im Hintergrund, um kurz darauf Sina erneut um eine Information zu bitten: »Nennen Sie mir bitte das Geburtsdatum Ihres Mannes, nur zum Vergleich.«

Sina reagierte wie ein Roboter und gab die gewünschte Auskunft. Der Polizist schwieg.

Dieser kurze Moment kam Sina wie Stunden vor und doch vernahm sie die Stimme des Polizisten zu schnell, als er fortfuhr: »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen unter diesen Umständen und unpersönlich mitteilen muss, dass …«, er stockte, was Sina unerträglich erschien, »Ihr Mann einen bedauerlichen Verkehrsunfall nicht überlebt hat.«

Die Fliege ertrank. Derjenige, der Sina die Wirbelsäule entrissen hatte, zerrte nun ihre Seele aus dem Körper und zerquetschte ihr Herz.

»Nicht überlebt hat?«, wiederholte Sina leise. »Einen … Unfall?«

Ihr Gehirn vermochte keine Sätze zu formulieren, doch es half ihr auch dabei, keine Gedanken zu dem eben Gehörten zu produzieren.

Endlich vernahm sie ihre eigene Stimme, die flüsterte: »Ich will ihn noch einmal sehen.«

Der Beamte redete auf Sina ein, aber sie überhörte dessen Worte. Sie forderte einen Polizeiwagen zu sich nach Hause und trennte das Gespräch.

Anschließend rief sie ihre beste Freundin an. »Thomas ist tot. Du musst mir helfen!«

Ihr Körper schien jemand anderem zu gehören, als sie in ihre Stiefel schlüpfte, ihr Portemonnaie in die Hosentasche schob, den Mantel anzog und auf das Klingeln an der Haustür wartete.

Die gewellten, taillenlangen schwarzen Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht. Die sonst lebhaften graublauen Augen wirkten stumpf und starrten in die Ferne, wo sie eine Zukunft sahen, die Sina nicht akzeptieren wollte.

Die kleine Lea schlief fest und bemerkte von alldem nichts. Der Auflauf im Ofen kokelte unbeachtet vor sich hin.

Als es klingelte, bewegte sich Sina mechanisch auf die Wohnungstür zu, betätigte den Summer und öffnete ihrer Freundin Alissa die Tür. Sie umarmten sich. Ohne ein Wort verließ Sina die Wohnung.

Nachdem Nele aus der Schule kam und Alissa antraf, wusste sie, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Ihre Mutter war niemals zuvor fortgegangen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ängstlich verkroch sie sich auf das Sofa in ihrem Zimmer, klammerte sich an den Stoffhund, den Thomas ihr vor einigen Wochen von einer Dienstreise mitgebracht hatte, und nagte an ihrer Unterlippe, bis diese blutete, während sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartete.

Ein ziviler Polizeiwagen holte Sina ab. Sie wünschte sich, Thomas ein letztes Mal »Auf Wiedersehen« sagen zu können. Nicht »Leb wohl«, niemals das.

Neben ihr auf dem Rücksitz saß eine junge Polizistin, die Sinas Hände tröstend hielt und ihr behutsam erklärte, dass Thomas die Kontrolle über das Fahrzeug verloren haben musste, vermutlich aufgrund erhöhter Geschwindigkeit. Der Wagen sei durch die Leitplanken einen steilen Abhang hinabgestürzt und hätte sich mehrfach überschlagen. Thomas sei durch die Windschutzscheibe geschleudert worden. Beim Aufprall wäre der Wagen explodiert. Da am frühen Morgen die Autobahn auf dieser Strecke kaum benutzt wurde, verstarb Thomas noch an der Unfallstelle, bevor ein Kraftfahrer den Rettungsdienst benachrichtigen und ärztliche Hilfe herbeieilen konnte. Das Handy hatte Thomas in der Hand gehalten, als habe er selbst einen Krankenwagen rufen wollen. Die schweren Verletzungen entstellten ihn jedoch so sehr, dass die Polizistin der verstörten Sina von einer Identifizierung abriet.

All das hörte Sina, aber sie verstand es nicht.

Wie im Film, dachte Sina. Alles wie im Film. Das ist nicht die Wirklichkeit!

Sie wollte den Ort sehen, an dem Thomas sein Leben verloren, dort, wo er seine letzten Atemzüge gemacht hatte. Die Polizei gewährte ihr diesen Wunsch. Der schlimmste Moment in ihrem Leben.

Die stickige Luft im Zimmer erschwerte Sinas Atmung. Die Erkenntnis, dass sie nun alleine leben musste, traf sie bei jedem Atemzug mit voller Wucht, als boxte ihr jemand mit einer Eisenfaust in den Magen. Sie konnte kaum aufrecht sitzen. Ein gequälter Laut befreite sich aus ihrer Kehle, doch bevor er über ihre Lippen kam, biss sie sich in den Unterarm.

Wehmütig betrachtete Sina ihre schlafenden Kinder im Schatten des Mondes, der gebrochenes Licht durch die Ritzen des Rollos sendete. Leise erhob sie sich von dem Gästebett, schlich ins Wohnzimmer und schloss die Tür. Sie setzte sich vorsichtig auf das Sofa, als könnte es unter ihrer Seelenlast zusammenbrechen, griff nach einem Kissen und schluchzte hinein. Die unsichtbare Hand in ihrem Nacken schüttelte sie kräftig, der ihr schon bekannte Finger befreite sich aus der Umklammerung und stach wiederum in ihr Herz und in ihre Seele. Unermüdlich. Ihr Körper bebte.

Ein Arm legte sich schützend um ihre Schultern. Einen Tag nach dem Unfall hatte Alissa ihre Freundin überreden können, mit zu ihr zu kommen. Erst hatte sich Sina gesträubt, die Wohnung zu verlassen, aber Alissa hatte sie überzeugt, dass es zumindest für die Kinder gut sei. Sina – für eine Diskussion zu schwach – hatte sich gefügt.

Quälende Gedanken breiteten sich wie Hefeteig in Sinas Gehirn aus, drückten gegen den Schädel und bescherten ihr unentwegt Schmerzen: In einer Woche ist die Beerdigung. Wie soll ich das überstehen? Wie? Oh, Gott. Warum hast du das zugelassen? Warum hast du Thomas genommen? Warum ihn? Alissa wiegte ihre Freundin tröstend hin und her. Gemeinsam weinten sie sich in einen unruhigen Schlaf, der zu bald vom Schreien eines Kindes unterbrochen wurde. Vorsichtig richtete sich Sina auf. Ihr Rücken schmerzte, in ihren Beinen liefen Millionen von Ameisen Amok. Bevor Alissa in die Küche schlich, um Kaffee zu kochen, streichelte sie noch einmal über Sinas Schulter.

Als Sina ihr Baby von der Matratze hob, erwachte auch Nele und schaute ihre Mutter mit geweiteten Pupillen an, der Blick noch entfernt, irgendwo in einem schönen Traumland. Wie gerne würde Sina ihr dorthin folgen.

»Schlaf weiter, Schatz. Es ist noch früh.«

Neles Gesichtshaut war blass, als litt sie an Anämie, ihre Augen glichen blauen Murmeln.

Zärtlich strich sie ihrer großen Tochter eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und ging leise aus dem Zimmer. Mit Lea auf dem Arm kehrte Sina ins Wohnzimmer zurück, setzte sich müde auf das Sofa und legte ihr Baby an die Brust.

Nele schlief nicht mehr ein. Sie lag auf dem Rücken und verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf. Ihr Blick folgte einer Fliege, die gegen das Fenster prallte und sich hinaus zu den frühen Sonnenstrahlen sehnte. Sie drehte sich auf die Seite, vergaß die Fliege und starrte an die kahle Wand. Sie weinte nicht, obwohl sie ihren Vater sehr vermisste. Nele wollte weinen, doch sie konnte nicht. Es wollten keine Tränen kommen, sosehr sie es sich auch wünschte. Schnell sprang sie von der Matratze auf und ging zur Tür, um Alissa zu fragen, ob weinen erlernbar sei.

Ruckartig drehte sie sich noch einmal um und hielt nachdenklich einen Zeigefinger an die Lippen. Was wollte sie noch erledigen? Ach ja. Sie eilte zum Fenster und öffnete es, nachdem sie das Rollo hochgezogen hatte. Für einige Flügelschläge schien die Fliege irritiert. Frische Luft hatte sie gesucht, nun strich die kühle Morgenbrise um ihren Panzer. Zum Abschied summte sie laut auf und floh dankbar aus ihrem stickigen Gefängnis.

Nele winkte der Fliege hinterher.

Alissa schüttete frisch aufgebrühten Kaffee in zwei Becher, als Nele die Küche betrat. Angenehm duftender, sich leicht kräuselnder Dampf stieg empor, der jedoch durch die von Traurigkeit geschwängerte Luft erstickt wurde.

»Alissa?«

»Hi, Kleines. Wie hast du geschlafen?«

Unverständlich murmelte Nele eine Antwort, dann wurde ihre Stimme deutlicher: »Du … ich … ich … weine nicht. Ich kann das nicht. Warum ist das so?«