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Dies ist das zweite Abenteuer von Anthony Noll. Dem Jungen, der zwei Leben führen darf. Eines hier auf Erden und eines weit draußen in den Tiefen des Weltraums, wo er ein zaubernder Roboter ist. Eine Serie, die einen in ein völlig neues Universum entführt. Fantastisch und in Farben gemalt, die noch nie ein Auge zuvor gesehen. Das ist versprochen! Buch 1: Die Mittelferien des zweiten Semesters haben begonnen. Anthony und sein Freund Broms werden von Doktor Wustlonom ausgeschickt, einen Schatz zu bergen. In einem fernen Land namens Meziloanien. Wobei sprechende Raben und Schnecken so groß wie Häuser noch das kleinste Problem sind. Buch 2: Es ist der SCHATZ ALLER SCHÄTZE, der so viele Strapazen und Opfer fordert. Was aber ist sein Rätsel? Doch damit nicht genug. Was ist das Geheimnis der Nummer Elf? Müssen die Toten aus ihren Gräbern steigen, um in einem großen Kampf den Lebenden die Antwort darauf zu schenken? Nicht zu vergessen: Wie nennt sich das doppelte Spiel, das Anthonys Eltern spielen? Vor allem, was ist los mit dem Freitag, der kein Samstag sein will?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
IMPRESSUM:
Widmung
BUCH I
Zathor
Der Beginn der Mittelferien
Die „Graue Wolke“
Eine saftige Strafarbeit
Gelöbnis und Losentscheid
Des Fährmanns Rätsel
Kampf mit der Naxe
Die Entführung in der Kiste
Der Schafgott
Der Geschichtenerzähler
Reise nach Kanozplian
Die Raben
Schneckenpost
Frull
Zwei tödliche Pfeile
BUCH II
Storck
Ein langweiliger Schultag
Der Freitag, der ein Samstag war
Ein seltsamer Deospray
Das Schlüsselloch
Der Wald und ein Motorrad
Das Geheimnis der Nummer Elf
Eine Woche voller Neuigkeiten
Ein Kampf auf Leben und Tod
Der Tag der Prüfung
Erinnerungen an Kanozplian
Alle Anthony Noll Romane:
FRANCIS LINZ
Anthony Noll
und das Geheimnis der Nummer Elf
BUCH I (wenn kleine Roboter verreisen)
BUCH II (wenn kleine Roboter ihre Eltern verlieren)
Autor:
Francis M. Linz
Gravelottestr. 4
81667 München
Germany
© Francis Linz 2014
E-BOOK / Version Epub2
ISBN 978-3-911350-14-3
Wörter: 154.000
Geschrieben: Herbst 2011
Auflage: Finale Cut / Frühjahr 2024
Umschlaggestaltung: © Franus Graueis 2020
Von diesem Werk gibt es ein Hardcover
und ein Paperback.
Weiteres siehe:
www.Francislinz.com od. www.Anthony-Noll.de
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Buch1
Für Sabine und Nicola,
Anthonys Freunde der ersten Stunde.
Mit der Hoffnung,
dass seine Abenteuer
Euch noch weiter zu begeistern wissen.
Buch2
Für Christa und die Drillinge:
Vanessa, Isabella und Yvonne,
die ich nie auseinanderhalten kann.
Anthonys Freunde der zweiten Stunde.
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(wenn kleine Roboter verreisen)
Bremsdüsen zischten, Schalter klackten, trunken torkelten träge Kabel. Das Raumschiff entfloh dem Nichtraum und rumpelte bedächtig in die Jetztzeit. Wie immer eierte es dabei ein wenig. Folge der im Laufe der Zeit fast gänzlich unbrauchbar gewordenen Steuerkonsole. Zu viel klebrig süßer Kaffee auf den Lötstellen, zu viele Wollmäuse auf den Kontakten.
Doch nicht nur da war alles voller Dreck, das ganze Schiff sah aus wie ein einziger fliegender Saustall. Wohin man seinen Blick auch wandte, es gab nur abgestoßene Ecken, flackernde Armaturen, hakelnde Instrumente, Sichtschirme mit Sprung, Schränke mit Dellen, Polster mit Rissen und Roboter, denen nicht nur die gesprungenen Federn aus dem verbeulten Leib stachen. Der modrige Atem der Vergänglichkeit waberte durch die Gänge und drohte alles zu verschlingen. Kurzum, es war ein altes Schiff. Sehr, sehr alt. Eines der ersten, die das Wagnis auf sich genommen hatten, Brücken zwischen den Welten zu schlagen. Immer pflichtgetreu, so viele Jahrhunderte lang.
Doch ob altes Schiff oder neu, Zathor war das einerlei. Für ihn war die Hauptsache die, dass es flog und dass es seines war. Beides traf zu, mehr oder weniger. Immerhin war er jetzt am Ziel. Was kann einer wie er vom Glück mehr an Zuwendung erwarten? Und der Vorbesitzer? Nun ja, über die grausige Tat würde nie ein Gericht ein Urteil sprechen, wenn er die Sache hier zu einem guten Abschluss brachte. Viel zu mächtig und einflussreich war der Mann, dem er seine Informationen verkaufen wollte, als dass gültiges Recht hier noch hätte Anwendung finden wollen. Nur Narren und Kindern ist es erlaubt, anderes zu glauben. Großen Narren und kleinen Kindern. Gibt es doch nur die eine einzige unumstößliche Wahrheit im großen weiten Universum, die da lautet: Das Geld schreibt seine Gesetze selbst. - Schon immer!
Langsam schmolz der Schnee in der Schlafkuhle und wurde zu Matsch. Sogar das Eis an der Decke tropfte bereits und sammelte sich in schmalen Rinnsalen, die langsam die Wände hinabkrochen wie frostige Tränen des Vergessens. Der lange Traum war vorbei. Es war an der Zeit, aufzustehen. Müde schob Zathor die schwarze Schutzbrille vom Nasenrücken auf die Stirn und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Bewegungen wie in Zeitlupe. Ausgiebig begann er sich zu recken und strecken.
Plötzlich aber, ohne jeden erkennbaren Grund, zog er die Hände und die Knie an und richtete seinen Oberkörper ruckartig auf. Wobei viele der kleinen Eiszapfen, die noch immer an seinem Rücken und an den Gliedern klebten, knackend brachen. Was irgendwie aussah, als würde ein großer weißer Igel seine Stacheln abwerfen. Tief atmete er durch, ganz so, als ob er sich von einem soeben erlittenen unbekannten Schrecken erholen müsse. Einem, dessen hässliche Fratze aber nur er allein in der Lage zu sehen war. Dann schüttelte er sich die restlichen Flocken aus dem Haar und blinzelte irritiert.
Noch aber war das Licht viel zu grell für Zathors Augen, die so lange durch tiefschwarze Träume gewandert waren. Nur langsam kriechend nahmen die Schemen und Schatten Konturen an.
Dennoch versuchte er angestrengt Namen zu finden für all die Dinge, die ihn umgaben. Ein verdammt harter Job. Doch je mehr er die Realität zu greifen bekam, desto mehr begriff er auch: Wer er war und wo er sich befand. Und auch das Warum war schon bald kein Rätsel mehr.
Leider nicht ohne Schattenseite, denn je mehr er begriff, desto mehr fröstelte es Zathor auch. Bibbernd schlugen seine Zähne hart aufeinander, obwohl die Ventilatoren schon seit geraumer Zeit auf Hochtouren liefen und durch die beiden weit offenstehenden Lüftungsklappen eine warme Brise in die Tiefschlafkapsel fächelten; fast schon Wüstenwind.
Dass Zathor dennoch noch immer so erbärmlich fror, war aber auch kein Wunder. Drei Tage im Eis gefroren, das geht an die Substanz. Kalt und ohne Erbarmen fressen sich die Kristalle durch alle Nerven. Auch wenn nicht jeder so gut mit den Nachwirkungen des Kälteschlafs umgehen konnte wie eben er, denn natürlich war er kein gehäuteter Igel, vielmehr ein einsamer Wolf. Zäh und ausdauernd. Manchmal sogar tollwütig!
Fürwahr, all das war Zathor. Und so schaffte er es, schneller als jeder andere es vermocht hätte, sich der kühlen Gruft zu entziehen. Leblosen Stecken gleich wirbelte er seine Beine über den Rand der Koje, die mehr aussah wie eine flache Badewanne, dann griffen seine Hände auch schon nach den wartenden Schlaufen direkt über seinem Kopf; leise fluchend hangelte er sich in die Höhe.
Doch wie ein jedes Mal nach dem Erwachen aus dem weißen Schlaf, so überschätzte sich der alte Kämpfer auch diesmal maßlos. Ein Charakterzug, der ihm auch in anderen Lebenslagen nicht unbedingt fremd war. Als er endlich außerhalb der Schlafkuhle mit seinen Füßen auf dem Boden zu stehen kam, da glitten ihm nämlich die noch kraftlosen Finger auch schon wieder durch die Riemen und gänzlich ohne Halt stand er plötzlich da. Kurzfristig noch ruderten seine Arme wild kreisend durch die Luft, dann auch schon sackte er in sich zusammen wie eine losgelassene Marionette. Wobei er noch Glück hatte, dass er nicht wieder zurück in das kalte weiße Bett fiel, aus dem er soeben gekommen.
Glück im Unglück. Schmerzen hatte Zathor jedoch keine; schon der Kälte wegen. Darum auch ärgerte er sich nur. Einem alten Raumhasen wie ihm, der schon so viele Kilometer zwischen den Sternen gesehen hat, sollte das eigentlich nicht passieren. Es war ja schließlich nicht seine erste Mission. Nein, das konnte man nun wirklich nicht behaupten! Auch wenn Flüge von einer Galaxie zur anderen selbst für ihn kein Alltag waren. Noch dazu, wenn drei Kugelsternhaufen dabei zu queren waren.
Doch Geduld zu wahren, das war noch nie Zathors Stärke. Aber nur die war im Moment gefragt. Bedurfte es doch vieler wild pochender Minuten, bis der hektisch blubbernde rote Lebenssaft, stoisch von seinem Herzen gedrängt, auch in die feinsten Kapillaren seines Körpers vorgedrungen war. Wo er endlich seinen heroischen Kampf gegen die kühle Starre in Angriff nahm.
Somit blieb dem alten Recken vorerst gar nichts anderes übrig, als erst einmal nackt auf dem Hintern sitzend all das schrumpelige Fleisch zu betrachten, das sich nur langsam wieder mit Leben füllte. Und auf dem, wie es schien, Tausende von Ameisen einen fröhlichen Stepptanz aufführten. Unangenehm lustig bitzelte es um die kalten Knochen herum.
Aber erst als es ihm möglich war, Hände und Füße zu kneten, wurde es ein bisschen besser. Dann begann er sogar zu klatschen, Hände auf Hände, Hände auf Füße und schließlich Füße auf Füße. Wie ein verspielter Seehund. Damit war das Gröbste überstanden. Seine Mission in diesem Teil des Universums konnte endlich beginnen. So heikel und doch so vielversprechend.
Die körperliche Anstrengung tat Zathor gut. Voller Optimismus griff er erneut in die Schlaufen. Und siehe da, diesmal schaffte er es, sich in die Höhe zu katapultieren und dort auch zu verbleiben. Seine Finger waren jetzt stramm und eisern. So wie es sein soll. So wie man es von einem Mann wie ihm auch erwarten darf. Durchtrainiert und ohne ein Gramm Speck auf den Rippen. Nur die Fußknöchel schaukelten noch ein wenig hin und her unter dem ungewohnten Gewicht, aber er hatte es im Griff.
Auch die ersten Gehversuche fielen zu seiner Zufriedenheit aus. Mit Kraft und lang erworbener Routine stakste Zathor voran. Wobei er lässig und gekonnt das ein oder andere ungewollt seitliche Wegknicken eines Knies ausbalancierte, das dabei nicht ausbleiben konnte. Ein Bild, das von außen betrachtet, wenn man denn ehrlich ist, allerdings ein wenig so wirkte, als ob eine betrunkene Ente mit Gummistiefeln versucht, ihr Ziel zu erreichen. Nicht wissend, wo dieses liegt.
Ein Bild, über das Zathor nie gelacht hätte. Ganz bestimmt nicht. Wie schon die Geduld gehörte ja auch der Humor noch nie zu seinen starken Seiten. Voller Mut und Selbstvertrauen erreichte er die Hygienekammer in diesem merkwürdig watschelnden Gang, wo so etwas wie Humor aber so oder so noch nie gefragt war. Man hätte ihn eher als hinderlich empfunden. Wurde er dort doch nur von diversen Robotern erwartet, die, so wie er, nur die Pflicht kannten. Nie lachend, nie singend. Und wie um es zu beweisen, wurde er keine zwei Sekunden, nachdem er die Tür durchschritten hatte, ohne ein Wort, von deren diversen Händen ergriffen, gründlich eingeseift, shampooniert, gerubbelt, geschrubbt, geföhnt und getrocknet, von den Haarspitzen bis zu den Zehen. Alles mehr oder weniger sanft und einfühlsam. So lange, bis er endlich ein neuer Mensch war.
Nachdem er dies alles geduldig über sich hatte ergehen lassen, was gut eine Stunde dauerte, verließ Zathor den Ort der Sauberkeit und ging hinüber auf die andere Seite des Ganges in den Wohnraum, der direkt rechts neben der Schlafkammer lag.
Dort stellte er sich vor den Kleiderschrank und wählte nach langer und reiflicher Überlegung unter den zig Maskeraden und Verkleidungen, die ihm dort auf Kleiderbügeln hängend zur Verfügung standen, die Uniform eines Generals der Romoyaner.
Keine schlechte Wahl, denn die war schmuck und machte ziemlich was her. Zudem, war er nicht sogar einmal einer von ihnen gewesen? Zwar kein General, nur ein kleiner Leutnant, aber angesichts seiner jungen Jahre: Respekt!
Außerdem war das doch so oder so alles irgendwie das Gleiche. Es ging um das sportive Töten des Feindes. Und die Lust daran ist doch vom Rang gänzlich unabhängig. Oder? Genauso wie im umgekehrten Fall, wenn man denn das Gewehr um hundertachtzig Grad dreht und der Finger am Abzug nun ein anderer ist. Fließt das Blut doch auf beiden Seiten gleichermaßen unwillig. Niemand hat gerne ein Loch im Bauch. Nicht einmal, wenn genug Orden da wären, um es geschickt zu verbergen.
Nein, Zathor sah da keinen Unterschied. Einmal Soldat, immer Soldat. Auch wenn sie ihn unehrenhaft entlassen hatten, wegen seiner Weibergeschichten. Diese kleinen Neider. Aber das störte ihn nicht, denn hatte er sich nicht ehrenhaft und in ihrem Namen mehrere dieser begehrten Auszeichnungen verdient, wegen besonderer Grausamkeit am Feind? Oder wie das damals auch immer hieß. Wer das eine erwähnt, der darf das andere nicht vergessen. Alles hat zwei Seiten. Außerdem ist es doch so, auch wenn man sich das Butterbrot verkehrt herum in den Mund schiebt, es schmeckt immer gleich.
Zathor geriet ins Schwärmen. Wie immer, wenn er nur an die Armee dachte. Die Nostalgie kam, sah, siegte und steckte alles mit zartem Griff in den samtenen Sack des verklärenden Vergebens und Vergessens. Das Positive überwog das Negative bei Weitem. Es war wohl die schönste Zeit seines Lebens. Auch weil er das erste Mal so etwas wie eine Familie hatte. Ein Rudel, das zu verteidigen sich lohnte. Was er sehr gut machte, denn er war der geborene Kämpfer. Hatte genau das richtige Maß an Blutdurst, so wie sie es lieben. Vielleicht sogar einen kleinen Schluck zu viel, aber das hat ja in dem Verein noch keinem geschadet. Er hätte es bestimmt weit gebracht. Außerdem liebte er den Drill. Nie lag es in seinem Sinn, hinter einen Befehl oder eine Order ein Fragezeichen zu setzen. Nein, in seinem Kopf war nicht einmal der Same für Insubordination oder gar Revolution zu finden. Er war immer zufrieden gewesen mit dem, was sie ihm erzählten. Hauptsache war, es gab genug zu trinken und er konnte töten, denn Spaß muss nun einmal sein. Und wenn nicht diese leidliche Geschichte seinem Aufstieg ein solch jähes Ende gesetzt hätte, dann würde er heute im geringsten Fall eine eigene Flottille befehligen. Wenn er nicht sogar ein richtiger Admiral wäre. Der tollkühne Bezwinger aller Feinde! In Liedern besungen bis zum Ende aller Zeit.
Notzuchtverbrecher hatten sie ihn beschimpft und dann hatten sie ihn bespuckt und seine Stiefel vor das Kasernentor geworfen. Doch darüber reden, das wollte er nicht. Zu groß die Verbitterung. Nur das eine: Diese Weiber, sie waren alle gleich. Sie waren alle nur falsch und gerissen. So wie seine Mutter. Er hätte es wissen müssen.
Die Etikette und höflichen Umgangsformen, die am Hofe des Imperators herrschen, hatte Zathor allerdings nicht von ebenjener Mutter mit der Milch aufgesogen. Wie auch, sie war eine gemeine Dirne und er ein Kind der Straße; so viele Väter und doch keinen. Dennoch hatte er sie gelernt. Genauso wie die Verpflichtung, immer die passende Kleidung zu tragen, komme, was da wolle. Dementsprechend überprüfte er vor dem Spiegel stehend, mit argwöhnischem Auge zum x-ten Male die Epauletten und Litzen, ordnete die Orden, zog die Ärmel straff, glättete den Kragen und klopfte sich die nicht vorhandenen Flusen vom Revers. Aber erst als er nichts mehr entdecken konnte, was sein Missfallen hätte erregen können, kein Staubkorn, keinen Knick und keine Falte, griff er nach dem kleinen Kommunikationskristall, der an einem dünnen Kabel von der Decke hing, und bellte mit gebieterischer Stimme hinein: „Hallo, Cranton Drei, hier spricht Juld Bulda, Abgesandter des Rates von Siebenstern, mit der Bitte um sofortige Landeerlaubnis.“
*
Kurze Zeit später. Zathor war angenehm überrascht. Es hatte keinerlei Schwierigkeiten gegeben. Alle hatten sie seine Geschichte gefressen. Von den kleinen Grenzern bis hin zu dem hohen Tier von der geheimen Staatssicherung. Einem Major achten oder neunten Grades. Auf dessen Frage, wieso er denn mit solch einem Schrotthaufen von Raumschiff angereist sei, obwohl ihm doch gewiss ein wesentlich repräsentativeres Beförderungsmittel zustehe, hatte er, ohne mit der Wimper zu zucken, nur geantwortet: „Tarnung, mein Guter, alles nur Tarnung.“
Und dieser Holzkopf hatte es tatsächlich geglaubt. Zur Bekräftigung seiner Worte hatte er ihm natürlich noch irgendeine Geschichte in das gierig saugende Ohr gedrückt, von wegen heikler und streng geheimer Mission, die, wenn die falschen Leute davon Wind bekämen, mit Sicherheit aus allen Rohren torpediert werden würde. Von dunklen Machenschaften, von Spionage und von verbotenen Zirkeln. Nicht zu vergessen, von mysteriösen Bünden, die keine Gnade kennen. Und das Komische daran, irgendwie stimmte das ja alles.
In der Tat, es musste ein verdammt hoher Preis gezahlt werden für die Informationen, die Zathor erlangt hatte. Wenn auch nicht von ihm. Informationen, die er nun weiterzugeben bereit war. Natürlich nicht umsonst. Gegen ein kleines Handgeld, das den Rest seines Lebens reichen sollte; das bis hin zum Ende seines Lebens reichen musste.
Die Protektion des Majors war nicht unerheblich. Er war zwar dumm, aber einflussreich. Eine Kombination, die man häufig antrifft. Überall im Universum. Nachdem er jedes Detail dieser Räuberpistole wie Löschpapier in sich aufgesogen hatte, hatte er sich mächtig ins Geschirr gelegt. Hatte die Telefone bedient wie ein Oktopus mit acht Armen, hatte gebrüllt und befohlen und somit alle weiteren Formalitäten und Kontrollen, die sonst noch hätten drohen können, abrupt und im Keim erstickt. Hatte Zathor noch dazu seinen persönlichen Sekretär als Ordonnanz an die Seite gestellt. Ihm sogar die eigene Garde als Eskorte angeboten.
Der letzte Vorschlag wurde allerdings dankend abgelehnt. Das war nicht gut für den Plan. Für den Plan, der sich bis hierhin so gut entwickelt hatte. Geradezu prächtig!
Wahrlich, alles war so verlaufen, als hätte Zathor es selbst gemalt. Denn nachdem er mit einem Gleiter direkt in den Palast geflogen worden war und dort wohl an die tausend Gänge gequert hatte, stand er vor seinem so lang ersehnten Ziel. Der Tür, auf der in dicken, schwarzen Lettern geschrieben stand:
R A L P A N I N
- Leiter des Geheimdienstes seiner Majestät -
Aufgeregt und zugleich auch ein wenig zaghaft klopfte er an. Zaghaft aber nur deshalb, weil er zwar ein brillanter Lügner war, was Zathor auch wusste, hatte ihn das Talent dafür im Leben doch immer nur weitergebracht, doch im Angesicht der Wahrheit oft ein wenig unbeholfen wirkte. Es aber tatsächlich eine Wahrheit war, die er im Hier und Jetzt verkaufen wollte. Noch dazu musste er sich ja fast zwangsläufig die Frage stellen: War diese wirklich so viel wert, wie man ihm erzählt hatte? Waren all seine Sorgen tatsächlich mit einem Schlag nur noch die nie geweinten Tränen von gestern? Es klang zu schön, um wahr zu sein. Doch noch war es nicht verboten zu hoffen. Einmal sollte das Schicksal auf seiner Seite sein. Nur dieses eine Mal!
Das Klopfen verhallte ungehört, scheinbar. Doch nach einer guten halben Minute befahl eine kalte Stimme dann doch noch: „Herein!“
Zathor folgte sofort. Allerdings, bevor er das tat, bedeutete er mit einer knappen Geste der rechten Hand, dem ihn begleitenden Sekretär, vor der Tür auf ihn zu warten. Nein, seine kommenden Worte suchten nicht nach einem weiteren Paar Ohren. Nachdem er die Türschwelle übertreten hatte, fiel die Tür hinter seinem Rücken automatisch mit einem leisen Klicken ins Schloss. Nun gab es kein Zurück.
Zathor war das Gesicht des Leiters des Geheimdienstes seiner Majestät natürlich nicht unbekannt, wiewohl er ihm zuvor noch nie persönlich begegnet war. Mit einem Blick erkannte er ihn. Dieser saß direkt vor ihm auf einem Stuhl hinter einem Schreibtisch, auf dem eine Art Globus stand, um den verschieden große, farbige, grell leuchtende Bälle kreisten. Manche extrem schnell, eine Umlaufbahn in nur drei Sekunden absolvierend, andere ziemlich träge. Die, ohne Frage, alle zusammen die Miniaturabbildung irgendeines Sonnensystems darstellten, das Zathor jedoch völlig unbekannt war. Und er kannte wahrlich viele.
Ein wenig überrascht sah der andere auf von einem Papier, das er anscheinend bis eben studiert hatte. Trotz der Verkleidung erkannte er den Schwindel sofort. Das war nicht der, den man ihm telefonisch angekündigt hatte. Demzufolge stellte er nüchtern fest: „Sie sind nicht Juld Bulda, der Abgesandte des Rates von Siebenstern, mein Herr. Nein, das sind sie nicht.“ Dann, nachdem er das Papier ungeduldig auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, fügte er an, in strengem Ton: „Wer aber sind Sie dann?“
Mit dieser Frage hatte Zathor selbstverständlich gerechnet, denn wenn einer wusste, dass er nicht Juld Bulda war, der Abgesandte des Rates von Siebenstern, dann war das natürlich er. Ein paar törichte Bauerntölpel konnte er mit einem seiner billigen Taschenspielertricks einseifen, aber nicht solch einen berühmten Kopf, das war klar.
Davon war der alte Gauner aber auch nie ausgegangen. Dennoch antwortete er erst einmal nur: „Mein Name tut nichts zur Sache, sehr geehrter Herr Ralpanin, Seher und Weiser“, wobei er sich aber höflich verbeugte, mit der Stirn fast am Boden. „Es genügt zu sagen, dass ich im Besitz von Informationen bin, die für Ihre Organisation von großem Interesse sind. Die von großem Interesse speziell für Sie sind.“
Zathors Auftritt hatte irgendwie Stil, das muss man sofort anerkennen. Wenn er nicht sogar einen Hauch von Würde besaß. Selbst Ralpanin schien davon beeindruckt zu sein. Vor allem aber natürlich von der unglaublichen Frechheit seines Besuchers. Trotzdem sprach er, wobei er seine rechte Hand ein kleines Stück hob, nur ein paar wenige Zentimeter, nichtsdestoweniger extrem bedrohlich wirkend: „Das müssen ja ganz wichtige Nachrichten sein, die Sie da für mich haben, dass Sie sich so nah an den Tod heranwagen, Herr Unbekannter. So möchte ich Sie vorerst einmal nennen. Ihnen ist doch sicher bewusst, ein Fingerschnippen meinerseits, und Sie sind in weniger als einer Sekunde nur noch das verklingende Echo eines Hustens von einem Floh, müde sitzend auf einem Geschichtsbuch?“
„Selbstverständlich ist mir das bewusst“, antwortete Zathor, der gar nicht umhinkam, die warnende Geste seines Gegenübers zu bemerken. Und dem es nun doch ein bisschen mulmig um den Hals herum und im Gedärm wurde. Doch jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Darum auch fuhr er hastig fort: „Aber seien Sie versichert, werter Ralpanin, wenn ich mir nicht gewiss wäre über die Brisanz meines Wissens, ich hätte es nie gewagt, mich einem solch großen Zauberer und Weisen, wie Ihr es seid, mit solch einem plumpen Trick zu nähern.“
Die Hand, die sich gerade noch so drohend erhoben hatte, senkte sich langsam wieder. Ralpanin fühlte sich geschmeichelt. Ja, ein großer Zauberer und ein großer Weiser, das war er. Ganz unbestritten. Wenn er nicht der größte aller Zauberer war und der Weiseste aller Weisen. Zumindest seiner eigenen Meinung nach. Dennoch musste endlich Klarheit in die süße Milch kommen, die der Fremde ihm da so dreist ins Ohr goss. Dementsprechend fragte er, wenn auch schon ein wenig zugänglicher im Ton: „Worüber genau habt ihr Informationen, mein unbekannter Herr? Informationen, die mich eventuell interessieren könnten.“
Jetzt kam es darauf an. Zathor wusste es. Doch kaum hatte er seinen ersten Satz gesprochen, da waren auch schon alle Zweifel verflogen. Er erkannte es sofort. Er hatte gewonnen. „Es geht um die Reliquien von Lanypana, sehr geehrter Ralpanin, die im Volksmund auch genannt werden: Die vier heiligen Waffen von Dalafong“, sprach er, dabei ein jedes Wort bis zum letzten Buchstaben dehnend. Fast schon weihevoll. „Was eigentlich falsch ist, denn nach Bedarf können es sogar sechs werden. Zudem gibt es da ja noch eine siebte. Die Vergessene!“
Fürwahr, der alte Gauner hatte gewonnen! Pausbäckig blies die Vorsehung selbst den letzten Zweifel hinfort wie einen Fetzen Papier im Wind und ein kurzer Moment der Stille durchzog dafür den Raum. Ein kurzer Moment einer sehr klaren und reinen Stille, in der einem das Atmen jenes bereits von Ralpanin erwähnten Flohs wohl wie ein Donnergrollen vorgekommen wäre und sein Husten einem womöglich gar das Trommelfell zerrissen hätte. Denn die Reliquien von Lanypana, die im Volksmund auch oft genannt werden, die vier heiligen Waffen von Dalafong, das war in der Tat etwas, das den Leiter des Geheimdienstes seiner Majestät interessierte. Um nicht zu sagen, was ihn außergewöhnlich interessierte! Wofür er fast bereit war, sein Leben zu geben. Und wenn nicht das, dann zumindest die Leben vieler anderer, denn damit tat er sich ja schon immer erheblich leichter. Nein, nie würde er in so einem Fall zögern oder ihn gar das Gewissen zwicken. „Wie, keine vier, sondern sechs, und in Wirklichkeit sogar sieben?“, fragte er, wobei es ihm aber nur sehr ungenügend gelang, weiterhin den Gleichgültigen zu mimen.
Zathor hingegen genoss seinen Sieg auf ganzer Linie. „Ja, keine vier Waffen, sondern sechs, und noch dazu die wertvollste, die siebte, die fast vergessene!“, sprach er. Noch ein Stück gedehnter und weihevoller als schon zuvor. Wenn das denn überhaupt möglich war. „Das habt Ihr nicht gewusst, was, weiser Mann? Demgemäß möchte ich feststellen: Wie gut, dass ich heute zu Euch komme. Nicht wahr?“
Jetzt aber lächelte Zathor sogar. Etwas, das nur sehr selten in seinem Leben geschah. Es sah aus, als ob man einer Ratte die Mundwinkel bis hin zu den Ohren zieht. Einer Ratte voller böser Gedanken. Die Reise hatte sich für ihn gelohnt. Das Schicksal war endlich auf seiner Seite.
- Scheinbar.–
„Etwas mehr Ruhe, meine jungen Damen und Herren Roboter!“, befahl Doktor Wustlonom mit seiner seltsam leiernden Stimme, die nie Komma oder Punkt traf. „Oder ist vielleicht jemand von Ihnen scharf darauf, vorzeitig für immer abgeschaltet werden?“
Starr und streng hingegen war sein Blick hinter dem Pult, während er wie das Licht eines Leuchtturms über all die vielen kleinen Köpfe schweifte, die wiederum so aufgeregt vor ihm hin und her wogend mit ihren bunten Kappen fast den Eindruck erweckten, als seien sie Bojen in aufgewühlter See.
Sodass man fast versucht ist zu sagen, es war so wie immer. Ein Tag, wie er hier schon so oft gesehen wurde. Zumindest was den Doktor betraf, denn streng und ohne jedes Erbarmen, das sind genau Attribute, die jeder an dieser Schule sofort mit diesem Lehrer in Zusammenhang brachte. War er doch nicht dafür bekannt, in Güte und Milde den nötigen Unterrichtsstoff seinem Publikum vermitteln zu wollen. Sei dieses noch so jung. Nein, sein Regiment war schon immer ein rigides, einzig auf Pflicht und Gehorsam aufbauend. Auf ein Lehren ohne Widerworte.
Doch in diesem Moment hätte man dem Doktor damit sogar ein wenig Unrecht angetan. Hatte der doch tatsächlich guten Grund, sich mit solch energischen Worten um etwas mehr Ordnung zu bemühen. War es doch extrem unruhig im Saal. Fast schon hektisch. Ein jeder schwatzte mit jedem, erzählte Wahrheiten sowohl als auch hanebüchenen Unsinn. Wobei das eine vom anderen kaum noch zu unterscheiden war. Aus manch einer Ecke klang sogar ab und zu ein aufgeregter Ruf. Kurze Schreie der Empörung oder der Verwunderung. Um genau zu sein, drei aus der linken Ecke kommend, immer lauter werdend, da sich mehr und mehr schwindelerregender Begeisterung hingebend, einer voller Zorn von rechts.
Was so, in einer normalen Stunde, nicht einmal vorstellbar war. Vor allem nicht bei Doktor Wustlonom. Du lieber Roboter, nein! Und wohl nur daran lag, dass es eben kein gewöhnlicher Unterricht war, zu dem man sich zu dieser frühen Stunde an diesem Ort traf. All die vielen kleinen Schüler mit ihrem wissenden Häuptling.
Als Argument schon deswegen sehr überzeugend, weil ja die Zeit der Mittelferien bereits eingeläutet war. Seit vorgestern. Und normaler Lehrbetrieb, auf den Tag genau, somit erst in vier Wochen wieder zu erwarten war.
Mittelferien, ach, was klingt das traumhaft wohl im Ohr! Und alle hatten sich mächtig darauf gefreut. Auch Anthony. Viel zu lang schien die Zeit des Büffelns und Auswendiglernen gewesen zu sein, die so mühselig davor lag. All die Monate. War es doch auf Robotanien nicht so wie auf der Erde, wo die Tage des Paukens zwar manchmal genauso anstrengend sein konnten, manchmal sogar richtig nervend, sodass er Stift und Block nur noch am liebsten an die Wand hätte werfen wollen, stets mit der kleinen Hoffnung verbunden, dass sich in dieser ein kleiner Spalt auftut, worin diese beiden Dinge vielleicht für immer verschwinden, wo aber dennoch diese Zeit immer irgendwie aufgebrochen wurde. Von einem Wochenende oder von einem vereinzelten Feiertag. Die zudem oft so günstig auf dem Kalender lagen, dass sogar richtig kurze Ferien daraus wurden. Ferien, in denen man wieder ein bisschen andere Luft schnappen konnte als die der muffigen Bücher. Somit das Gefühl hatte, noch am Leben zu sein.
Hier hingegen gab es solch kleine Fluchten nicht. Zumindest nicht für den lernenden Roboter. Ein jeder Tag war wie der andere. Egal, ob Wochenanfang, Wochenmitte oder vielleicht sogar Wochenende. Im Programm zwar verschieden, im Ergebnis aber immer gleich. Immer nur Arbeit, immer nur Mühe. Und nicht ein einziger lausiger Tag zum Feiern versteckte sich dazwischen.
Keineswegs übertrieben, denn nicht eine Sekunde, nicht einmal der Tag, der zu Ehren des Imperators Samlan des Dritten, der in der ganzen restlichen Galaxie mit großem Zeremoniell abgehalten wurde, mit Feuerwerk und Paraden, wurde hier zum Anlass genommen, den Gedanken der Schüler grünes Licht zu geben. Zu groß wohl die Angst, sie könnten sich dabei hoffnungslos verirren. Das ganze halbe Jahr, das noch dazu so viel länger an Tagen war, wurde nur gebüffelt, gebüffelt und schon wieder gebüffelt. Vor allem an dieser Schule. Und letztendlich nur von einer einzigen Pause geteilt. Von ebendiesen Mittelferien. Und erst am Schluss des Semesters gab es wieder so etwas wie Erholung. Auch wieder vier Wochen. Was sonst? Das Produkt aus 2 x 2 x 2 x 2 x 2 Tagen.
Erholung, die aber in keinem der beiden Fälle missverstanden werden sollte als süße Freizeit. So wie vielleicht auf der Erde. Wo Ferien gerne an Schwimmen, Badehose und viel Lachen erinnern wollen. Nein, hier war auch das nur immer harte Knechtschaft der Gedanken. Ein einziges Lernen für das Große Abenteuer. Dem Ziel aller studierender Roboter.
Dennoch, schon der Abwechslung wegen wurden diese paar wenigen Tage ganz dringend herbeigesehnt. Von all den kleinen Köpfen unter ihren bunten Kappen. Vor allem aber natürlich von Anthony, dem Jungen mit den zwei Leben. Der schon deswegen immer ein bisschen mehr Ruhe gebrauchen konnte als die anderen. Nicht dass ihm irgendwann vielleicht einer seiner beiden Köpfe vor lauter Anstrengung platzte. Wiewohl er selbstverständlich nie vergaß, dass ihm auch in diesen Tagen die endgültige Abschaltung zu jedem Augenblick drohen konnte. Waren diese Tage ja immer irgendwie verplant. Mit diversen Exkursionen unter strenger Aufsicht der Lehrerschaft und natürlich, nicht zu vergessen, mit Training, Training und immer wieder nur Training.
Was die Badehose und das Schwimmen anbetrifft, war aber speziell bei diesen Mittelferien nicht einmal daran zu denken. Zumindest nicht in Ibalon. Das allerdings aus einem ganz anderen, vielmehr praktischen Grund. Denn einerseits befand sich Anthony zurzeit in einem geraden Semester, nämlich dem zweiten, andererseits war er ein im Frühjahr-Geborener. Natürlich gleichbedeutend damit, dass ihm nun die letzten vier Wochen des Herbstes bevorstanden. Ihm und all den anderen seines Wurfes. Denn in dieser Kombination ist nur immer das möglich. Der Herbst in Ibalon kann aber nun einmal empfindlich frisch werden. Schon immer, worüber die Bücher der Meteorologen deutlich Auskunft geben. Besonders wenn er sich seinem Ende zuneigt, so wie eben jetzt, und der Winter ihn buchstäblich aus dem Kalender drängen möchte. Nein, wenn diese Tage nahen, da denkt niemand mehr an Schwimmen. Nicht einmal die Härtesten unter den Kämpfern. Auch nicht Broms. Anthonys bester Kumpel und Mitglied seines Teams.
Selbstverständlich bedeutet die Tatsache, dass Anthony gerade dabei war, sich seinen zweiten goldenen Finger zu verdienen, im Umkehrschluss, dass all die, die im Herbst geboren worden waren, sich in einem ungeraden Semester befinden mussten. Entweder in ihrem ersten, dem dritten oder vielleicht sogar schon in ihrem letzten, dem fünften. Denn länger dauerte die Ausbildung an dieser Schule noch nie. Auch nicht auf irgendeiner anderen Schule auf diesem Planeten. Und dabei ist es völlig egal, welche Ausbildung ein kleiner Roboter durchläuft, ob er dazu bestimmt ist, ein Weiser, ein Kämpfer, ein Körperwandler oder gar ein Zauberer zu werden. Ein Zauberer, so wie Anthony.
Eine Wahrheit, die wie aus Stein gemeißelt, denn dass jemand ein Semester wiederholt und somit vielleicht aus diesem strengen Schema herausfällt, verbietet sich schon allein als Gedanke. Ist fast so, als wolle man an bellende Katzen denken, wie wohl Broms dazu sagen würde. Nein, nie würde es einen Sitzenbleiber geben. Entweder man mogelt sich durch oder man wird für immer abgeschaltet. Hopp oder Topp. Da gibt es keinen Raum für andere Lösungen. Hart ist die Lehre der Roboter und nur die Besten überleben. Vor allem die, die stets ein großes Stück vom Glück in ihrem Ranzen tragen. Und das ist nicht der einzige Unterschied zu der Schule auf der Erde, in die Anthony ja auch noch ging.
Die Mittelferien im Ausklang des Frühlings zu erleben, diese Freude würde dem kleinen Zauberer also immer nur in einem ungeraden Semester zuteilwerden.
Eine Sache, die sehr logisch erscheint und deswegen eigentlich nicht erneut benannt werden müsste, die er sich aber dennoch immer wieder vor Augen führen musste. Vor allem er! Denn das mit den Jahreszeiten war nicht so einfach, wie man denken will. Nicht dass sich deren Reihenfolge plötzlich ändern wollte. Weder hier noch da. Auf den Frühling folgt der Sommer, dann kommt der Herbst und dann auch schon beendet der Winter das Jahr. Doch dass in Ibalon die kalte Zeit schon bald in die noch viel kältere Zeit übergehen sollte, bedeutete ja noch lange nicht, dass es sich auf der Erde genauso verhielt. Dort, wo Anthony aus allen Mündern auch Anthony gerufen wurde. Von den diversen Beleidigungen einmal abgesehen, die man ihm auf der dortigen Schule höhnisch lachend hinterherwarf. Wobei Rübennase aber die weitaus häufigste war. Aber eben nicht Ant. Ant Nummer Elf. Um noch präziser zu sein: Ant Honig Nummer Elf. Denn dass die Jahreszeiten auf beiden Welten zusammentrafen, das konnte sein, musste aber nicht. Vielmehr war die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering. Eins zu vier.
Was auch nicht weiter groß mit einem Overheadprojektor und bunten Tabellen an der Wand erklärt werden muss, hat doch ein Jahr, wie allgemein bekannt, auf der Erde nun einmal zumeist 365 Tage, eines auf Robotanien hingegen immer über zweitausend. Um genau zu sein: Zweitausendachtundvierzig. Dem Produkt aus 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2. Was sonst? Und das bedeutet neben all der Mathematik, dass, während auf Robotanien nur ein Jahr müde über das Land wandert, es auf der Erde immer über fünfeinhalb sind. Völlig egal, ob sich dort in dieser Zeitspanne ein Tag mehr verstecken will oder zufällig auch zwei wegen der Schaltjahre. Denn nur im Märchen vermag eine einzelne Erbse unter der Matratze Aufmerksamkeit zu erregen, das aber niemals unter all ihren vielen Geschwistern in einer Dose. Und bei diesem ungleichen Verhältnis der Jahreszeiten, da ist es also kein großes mathematisches Wunder, dass sich diese immerzu gegeneinander verschieben.
Diesem Umstand die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, ist es also geradezu als zwangsläufig anzusehen, dass Anthony in seinen Gedanken ganz schön oft gehörig ins Trudeln geriet. Denn in dem einen Moment ging er zu Bett und die bittere Kälte des Winters versuchte heimlich unter seinen Schlafanzug zu kriechen, und im nächsten zog er schwitzend und stöhnend im heißen Schein des Sommers die Bettdecke von seiner Brust.
Um einmal mehr dem Rechenschieber ein devoter Diener, nach mindestens dreizehn, höchstens aber sechsundzwanzig Wochen. Denn natürlich können damit nur die der Erde gemeint sein. Der Winter, der Anthony auf Robotanien bevorstand, war ja der erste, den er auf dieser Welt erleben sollte. Nichtsdestotrotz, wer soll sich da noch auskennen?
Dass er zwischen den beiden Welten hin und her wandelte, als ob es nur immer sei, als würde er durch eine Tür von einem Zimmer in ein anderes schreiten, das war Anthony inzwischen fast schon in Fleisch und Blut übergegangen. Und das, obwohl Robotanien ja so gänzlich verschieden von der Erde war. Schon allein eben wegen all der Roboter, die man dort allerorts sah und traf. Nicht nur auf den Straßen, auch in den Geschäften und sogar in den Kirchen. Auch wenn einige von denen wie Menschen aussahen und auf eine Schule gingen, wie eben er. Roboter der Reihe X3-Z04, die nichts, aber auch gar nichts mehr vom Original unterschied. Außer ebendieser Nummer auf der Fußsohle unter der Ferse, die dort wie mit schwarzer Tinte eintätowiert war. Nicht sehr groß, dennoch gut lesbar. Roboter, die aus Fleisch und Blut waren, Knochen hatten, Gelenke und auch Knorpel.
Aber vielmehr noch als nur das: Roboter, die auch fühlen konnten, lachen und sogar weinen. Auch wenn Letzteres natürlich verboten war. Streng verboten! Denn wie lautete nun einmal das dritte Gebot: ‚Roboter weinen nicht. Robotern ist es untersagt zu weinen, …‘ Nein, Gebote umgeht man nicht einfach so! Gebote sind Gesetze für die Ewigkeit. Vor allem die fünf Gebote der Roboter.
Selbstverständlich gab es aber nicht nur diese Art von Roboter, zu denen sich Anthony und die Mitglieder seines Teams zählen durften. Das Modell X3-Z04 war ja sehr neu und damit auch sehr exklusiv. Nicht viele konnten sich das leisten. Nur die oberen Zehntausend. Sodass die meisten Roboter, die wie Menschen aussahen, gar keine Knochen und auch kein Blut hatten. Nur zig Schrauben und literweise Öl. Geschweige denn eine richtige Haut. Ihre was gewalzt aus viel billigerem Blech.
Oder, was dem Chemiebuch ein viel gelehrsamerer Schüler, ihre Haut war aus dieser speziellen metallischen Legierung gewalzt, deren Name aber so lang war und somit fast gänzlich unmerkbar, dass sich schon deswegen im Volksmund das viel besser zu merkende Blech durchgesetzt hatte. Gerade die älteren Modelle, die technisch gar nicht auf dem aktuellen Stand sein konnten, waren mit diesem ummantelt.
Menschenähnlich ist somit ein etwas dehnbarer Begriff. Wie ebenjenes Blech. Zumal es ja auch noch die Roboter gab, die in Form und Art so gänzlich anders waren. Je nachdem, was ihr Sinn oder ihre Aufgabe war. Manche waren nur viereckige Kästen, andere so rund wie eine Kugel. Viele von ihnen schienen nur aus Armen zu bestehen, andere hingegen hatten nur ein Bein. Manche nicht einmal das. Doch egal, ob sie Gefühle hatten oder nicht und wie sich ihr äußeres Erscheinungsbild auch immer gab, einer der Unterschiede zur Erde war ebender, dass man an jeder Straßenecke mindestens drei von ihnen antraf. Manchmal sogar in ein politisches Streitgespräch vertieft.
Das aber war nicht der einzige Unterschied, der die beiden Welten voneinander trennte. Bei Weitem nicht, denn alles hier auf Robotanien war irgendwie ein wenig anders. Sogar die Natur. Das Gras war ein bisschen grüner, die Bäume ein bisschen höher und selbst die Blumen einen Klecks bunter. Von den Tieren, die zu sehen waren, gar nicht erst zu sprechen. Selbst der Himmel war ein anderer. Er war blau und doch auch nicht. Manchmal violett, manchmal gelb oder orange. Noch dazu von seltsamen Wolken besucht, die scheinbar ständig irgendwelche Geschichten erzählten, wie ein ewig wandernder Scherenschnitt. Spannende Geschichten, die einen auf der Stelle hypnotisieren und die man stundenlang verfolgen will. Ob diese von der Zukunft oder von der Vergangenheit künden, das allerdings vermag niemand zu sagen.
Trotzdem, obschon so viel an Unterschied sich tagtäglich zeigte, ein anderes Leben war für Anthony gar nicht mehr vorstellbar. Brach in der einen Welt die dunkle Nacht heran und er legte sich ins Bett, um zu schlafen, war es ihm geradezu selbstverständlich, sogleich in der anderen zu erwachen, im hellen Licht des Morgens. Und nicht eine einzige Sekunde lag dazwischen. Nicht einmal ein vollendeter Wimpernschlag. Nur das Senken des Lids, denn dann war auch schon der Traum zu ihm gekommen.
Und das ist auch der völlig richtige Ausdruck, denn die eine Welt war ja in der anderen immer nur das, ein Traum. Ein wunderschöner Traum. Das war die Wahrheit seines Lebens, wie er sie inzwischen begriff.
Der Wechsel zwischen den beiden Formen seines Daseins vollzog sich allerdings nicht kontinuierlich. Nein, dafür gab es kein Gesetz. Zumindest keines, das sich dem kleinen Zauberer so einfach hätte zeigen wollen. Es war ja nicht so wie zum Beispiel beim Rhythmus der Gezeiten, die sich in ihrem steten Auf und Ab an ein Zeitfenster halten, weit strenger als jede Lok verspricht, den Bahnhof zu erreichen. Weit davon entfernt. Doch wie lange es sein konnte, dass er nur in einer Welt verblieb, egal in welcher, ohne dass in der anderen die Zeit für ihn voranschritt, das konnte er noch immer nicht sagen. Nicht einmal, ob und wann ein Übertritt anstand. Nein, es gab keinen Takt, und sei er noch so krumm.
Das Einzige, was der Junge somit sagen konnte, war, dass die längste Zeit, die er bis jetzt nur auf einer Seite verbracht hatte, zwanzig Tage waren. Also fast drei Wochen nach Erdenzeit und immerhin zweieinhalb nach den Uhren auf Robotanien. Hat die Woche dort ja acht Tage. Was das Produkt ist aus 2 x 2 x 2. Was sonst?
Aber besonders aussagekräftig war auch das nicht, da ja seine Aufzeichnungen diesbezüglich noch nicht so lange zurückreichten, als dass sich darauf eine unumstößliche Prognose für die Zukunft hätte ableiten lassen können. Und wieso er dann nur auf dieser einen speziellen Seite wie gefangen war, auch das war in seiner Ursache nicht zu ergründen. Zumindest nicht mit den Mitteln, die ihm gegeben. Hatte aber womöglich etwas damit zu tun, wie sehr seine Aufmerksamkeit dort benötigt wurde.
Zugegeben, auch nur eine Ahnung, dünn in ihrer Substanz, wie Ahnungen nun einmal so sind, sonst hießen sie ja auch anders, doch schien sie sich zumindest immer mehr verfestigen zu wollen. Denn schon des Öfteren hatte Anthony beobachten können: Je mehr Stress er auf der einen Hälfte seines Lebens abzuarbeiten hatte, desto weniger konnte er diesem entfliehen. Was auch verdammt gut so war. Geradeso, als ob ein unbekannter Wächter immer genau wüsste, wie die Schranke zu fallen hat, die die beiden Herzen in seiner Brust voneinander trennte. Ein Wächter voller Weisheit.
Doch abgesehen von dieser kleinen Erkenntnis, wenn man diese Ahnung überhaupt so etwas wie eine kleine Erkenntnis nennen möchte, stolperte er ansonsten noch immer nur durch die tiefe Schwärze der Unwissenheit. Tag für Tag, Nacht für Nacht. War ein Blinder auf dem Weg zur Wahrheit. Und er wusste es. Nur zu gut, denn keines der vielen anderen Geheimnisse, die sich einst so unvermutet in sein Leben hineindrängten, hatte er bis jetzt zu lösen vermocht. Obgleich so viele Tage, Wochen und sogar Monate bereits aus dem Kalender gestrichen worden waren, seitdem sie erschienen waren und ihm bewusst wurde, dass sie überhaupt existieren. Vor allem das entscheidende Rätsel war noch immer ohne Antwort: Warum war anscheinend er der Einzige, der beide Welten bewusst wahrnahm? Denn dass Sims auch auf der anderen Seite eine Existenz hatte, das war ja inzwischen ausreichend bewiesen. Aber so oft er auch versuchte sie auszuhorchen, so etwas wie Erinnerung wollte in ihr nicht aufkommen.
Zumindest gab die kleine Körperwandlerin es ihm gegenüber nicht zu. Und die Ratte, die auf der Erde ihre Seele trug, die fraß ja nur den ganzen lieben Tag lang und freute sich ansonsten ihres Lebens. Immer stumm. All die vielen Tage, seitdem er sie unter Einsatz seines Lebens aus ihrem Laborkäfig befreit hatte. Die summiert inzwischen sogar ein paar Jahre ergaben.
Natürlich nur aus der Sicht der Erde betrachtete. Hatte Anthony dort doch vor Kurzem seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Und wenn er sich recht erinnerte, war er damals acht Jahre alt gewesen, als alles begann. Die Erinnerung an seine zwei Leben. Mit dem Abenteuer, in dem er sich mit Broms und Ramshin daran machte, Sims zu retten und somit das Team. Ihr Team. Das Team mit der Biene auf der Brust. Wobei es ihnen sogar gelang, eine Graue Wache zu besiegen. Was mehr als nur bemerkenswert ist, ist doch jeder Roboter, der in diesen Reihen dient, ein Elitekämpfer, und somit manchmal ganze Armeen dazu nicht in der Lage.
Ja, acht Jahre war Anthony damals alt gewesen, auch wenn sein neunter Geburtstag kurz bevorstand. Das aber sollte in der Tat ein Genug an Zeit sein, um zumindest für eines dieser vielen Rätsel eine Antwort zu finden. Eine, die auch für längere Zeit ihre Gültigkeit behielt. Und sei es allein die für das kleinste und unbedeutendste aller Rätsel: Warum hatte er, gleichwohl er ein Roboter war, auch hier auf Robotanien einen Bauchnabel? Was war der tiefere Sinn? Und gab es dafür überhaupt einen?
Doch wie der kleine Zauberer so oft leidvoll feststellen musste, war das nicht so einfach mit all den vielen Rätseln, die ihn belagerten. Erinnerte sie ihn doch irgendwie an dieses Ungeheuer, das er aus einer griechischen Sage kannte und von dem seine Klassenlehrerin auf der Erde einmal im Geschichtsunterricht erzählt hatte. Diesem Ungeheuer, dem man zwar einen Kopf abschlagen konnte, dem aber sofort drei neue dafür nachwuchsen. Und er wusste, bei den ganz schwierigen Rätseln waren es so viele mehr. Keine drei. Nein, manchmal fünf, manchmal sieben, manchmal sogar Hunderte. Und jeder Kopf zeigte ihm nur ein böses Grinsen.
Dementsprechend plagte ihn das schlechte Gewissen das ein oder andere Mal doch arg, dass er anscheinend nicht genug tat, das Licht der Erkenntnis endlich auch in der dunklen Höhle seines Schädels scheinen zu lassen. Dass er die Zeit auf beiden Welten nur so dahinfließen ließ, ohne aktiv einzugreifen. Dass er sich untätig an seinem Schicksal erfreute, das so außergewöhnlich war und ihm Dinge zeigte, die in ihrer Buntheit seinen Geist fast täglich zu erfreuen wussten. Wobei natürlich besonders das Zaubern zu erwähnen ist. Denn das machte ihm ja, je mehr er es beherrschte, immer größeren Spaß. Auch wenn zu befürchten war, dass er wahrscheinlich für immer der wohl unbegabteste Zauberer bleiben wird, der je seine unwürdigen Füße in ihre ehrenhafte Schule setzte. Aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun, sonst würde ja niemand mehr auf der Erde nur zum Spaß Fußball spielen und kein Roboter auf Robotania Randeln.
Doch das mit dem Gewissen, das war nicht oft, denn was sollte Anthony großartig anderes tun? Denn selbst wenn er die anderen mit seinen Fragen schikanierte und nicht nur sein eigenes Ich, dann brachte ihm das nicht einmal einen abgeschnittenen Zehennagel ein. Natürlich nur mit Fragen, die ihnen auch zuzumuten waren, wie: Hast du heute vielleicht geträumt?
Wenngleich schon das eine der Fragen war, die sich hart am Rande des Erlaubten bewegte, denn wie lautete das zweite Gebot: ‚Roboter träumen nicht. Robotern ist es untersagt zu träumen. Handelt ein Roboter wider dieser Anweisung, sind die Grauen Wachen unverzüglich zu informieren, und eine endgültige Abschaltung ist unumkehrbar. Alles andere darüber hinaus verbot sich ja von selbst. Zumindest, wenn er nicht vorzeitig für immer abgeschaltet werden wollte.
Nein, weder bei Glomp, ihrem treuen Diener, noch bei Broms oder Ramshin, noch bei sonst jemand, stieß er damit auf Verständnis. Sie sahen ihn alle nur genauso ratlos an wie Sims und blieben stumm.
Also beschloss der Junge irgendwann, einfach nur zu schweigen und abzuwarten. Das machte genauso viel Sinn, wie hektisch nach Antworten zu suchen, von denen er oft nicht einmal die dazu passenden Fragen kannte. Und das Einzige, worauf er hoffen konnte, war, eine Antwort auch zu erkennen, wenn sie sich ihm zufällig zeigte. Denn solch ein grober Fehler wie mit dem Labor Sobizalis, der sollte ihm doch bitte nicht noch einmal unterlaufen. Als er tatsächlich Zahlen mit Buchstaben verwechselte und erst einmal einen ganzen Tag sinnlos im Kreis lief. Ein Patzer, der Sims beinahe das Leben gekostet hätte. Gleichbedeutend natürlich auch damit, dass das restliche Team, Ramshin, Broms und er, für immer auseinandergerissen worden wäre. Was nur als Vorstellung ganz schrecklich war. Denn ihr Besitzer, Herr Hampalan, hätte wohl kaum noch einmal all das viele Geld für eine Nachbesetzung aufbringen können. Geschweige denn, ob ein Wille dazu in ihm überhaupt vorhanden gewesen wäre.
Nein, so was Dummes sollte ihm nicht noch einmal passieren. Das hatte sich der kleine Zauberer geschworen. Er musste aufmerksam sein wie eine Maus, die einem Löwen die Zähne putzt, wie sein Kumpel Broms dazu sagen würde. Hier wie dort. Nichtigkeiten konnten rasch zu Wichtigkeiten werden und das Kleine plötzlich so groß wie ein Elefant. Diese Wahrheit hatte er inzwischen gelernt. Es ist nämlich immer die dunkelste Ecke unter dem Sofa, in die der Taler rollt, der einem so unachtsam aus dem Portemonnaie gefallen.
Wobei aber der traurige Part dieser Wahrheit war, dass selbst sie nur wieder die hässliche Fratze dieses griechischen Monsters zeigte, legte sie ja fast zwangsläufig sofort einen neuen Stapel Fragen auf den Tisch. Wobei die vordringlichste wohl die war: Welche Antwort hatte ihm das Schicksal bereits gezeigt, und er hatte sie trotz aller Wachsamkeit übersehen?
Anthony nickte stumm. Ja, er musste aufmerksam sein. Das war unwidersprochen. Auch wenn sich im Moment eine ganz andere Sorge immer mehr und mehr in den Vordergrund zu drängen begann. Eine, mit der er allerdings nicht allein war, sondern die viele andere mit ihm teilten. Viele andere kleine Köpfe unter bunten Kappen. Plötzlich, immer lauter werdend, fragte nämlich die Stimme hinter dem Lehrerpult: „Die jungen Damen und Herren Roboter glauben wohl, ich mache alberne Scherze bezüglich der endgültigen Abschaltung. Kann das wirklich sein?“ Und der Tonfall, der dabei jedes Wort einölte, war so ätzend, dass jedem Zuhörer vor Ort sofort klar war, dass es sich hiermit nicht mehr nur um eine lapidare Warnung, sondern bereits um eine ernsthafte Bedrohung des Lebens handelte.
Was all die kleinen Ohren, die so lange gefangen waren von den Wahrheiten, aber auch von dem hanebüchenen Unsinn, den die Kameraden da so fröhlich mit plappernden Mündern die letzten Minuten von sich gegeben hatten, gerade dazu zwang, sich sehr schnell wieder an all die anderen Geschichten zu erinnern, die sie auch schon vernommen hatten. Oder bei denen sie vielleicht sogar selbst einmal Zeuge waren. Die davon kündeten, dass dieser Lehrer schon viel nichtigerer Gründe wegen einen Delinquenten zu ebendiesem tragischen Schicksal verurteilt hatte. Ihn an seinem Kragen hinter seinem Pult hervorzog, ihn in eine Ecke stellte, nur um ihn am Schluss der Stunde an die Grauen Wachen zu übergeben, zum Zwecke der endgültigen Abschaltung.
Nur noch von ein paar wenigen Mitgliedern der ganz reichen Teams, wie zum Beispiel denen des Herzogs von Ibalon, war ein leises, missmutiges Murmeln zu vernehmen. Das aber weit von einer Rebellion entfernt war und das schon deswegen bald in sich selbst erstarb. In weiser Voraussicht, denn auch wenn der Doktor genau wusste, welch Hände ihn fütterten und seine Schule mit den nötigen Spenden versorgten, so war all das vergessen, wenn dieser alles vernichtende Zorn ihn überkam, der einfach nicht zu bremsen war. Von dem nicht einmal er selbst wusste, wo er immer seine Nahrung fand. Dieser alles vernichtende Zorn, für den er so berüchtigt war und dem man sich besser nicht entgegenstellte, denn dann konnte einen niemand mehr retten. Kein Herzog und nicht einmal jemand, der einen Schutzschild aus purem Gold zu flechten in der Lage ist. Dieser Zorn verbrannt alles.
Dies wissend kehrte Ruhe ein. Soweit Ruhe einkehren konnte unter diesen Umständen. Der Klassenraum war ja zum Bersten gefüllt, trotz dieser frühen Stunde. Und nur jeder Zehnte fand darum auch Platz auf dem Stuhl, auf dem er sonst immer saß. Waren ja heute und an diesem Ort alle Leistungskurse des zweiten Semesters versammelt. Nicht nur die drei des Doktors. Sodass die restlichen neun entweder in den Gängen stehen musste, in der Mitte so wie seitlich, oder sich bis hinten an die Wand drängten. Was zwangsläufig ein ständiges Rascheln von Kleidung bedingte. Begleitet von einem steten Schaben einer Armee von Sohlen über den Boden.
Nichtsdestotrotz war Doktor Wustlonom scheinbar mit der nun herrschenden Geräuschkulisse halbwegs zufrieden. Selbst ein gelegentliches Hüsteln schien ihn nicht zu stören. „Gut, dass Sie alle nun doch noch einsichtig geworden sind und erkennen, dass ab und zu einfach Mal die Klappe zu halten nicht nur was für Feiglinge ist, sondern manchmal auch verdammt klug sein kann“, sprach er weiter. „Denn dann kann ich Sie endlich einführen in das, was uns die nächsten vier Wochen erwarten wird. Auch in Vertretung all der anderen Klassenlehrer, die bereits neben dem Flugboot auf Sie warten und die Sie nach dieser Stunde dort in Empfang nehmen werden. Ihr Gepäck ist übrigens auch schon dort.“
Kurz brandete so etwas wie Spannung auf, die aber sogleich wieder verebbte. Denn einerseits war ein Flugboot etwas völlig Neues, andererseits Doktor Wustlonoms strenger Blick etwas zutiefst Altbekanntes.
Stoisch fuhr der fort: „Jetzt aber bitte ich Sie, sich zu konzentrieren und sich all das, was ich Ihnen zu sagen habe, auf Ihrem Block zu notieren, denn ich habe nicht vor, mich auch nur mit einem einzigen Wort zu wiederholen. Sie kennen mich.“
Das allerdings ließ den Geräuschpegel sofort wieder messbar ansteigen. Nicht wechselnder Worte wegen, die ob dieser tollen Neuigkeiten von so vielen Zungen gerne unverzüglich an die Luft gesetzt worden wären, sondern nur, weil die meisten vergessen hatten, ihren Block in vorauseilendem Gehorsam schon zur Hand zu nehmen.
So auch Anthony. Der natürlich zu denen gehörte, die keinen Sitzplatz ergattert hatten. Das aber nicht, weil er vielleicht zu spät zu dieser Versammlung erschienen war, sondern weil er einem kleinen privaten Team angehörte. So jemand wie ihm stand so etwas nicht zu. Nur die Reichen haben ein Anrecht auf Bequemlichkeit. Nicht mit Stempel und Siegel verbrieft, aber sich nennend ein Gewohnheitsrecht.
Aber auch natürlich das des Dschungels, denn was soll einer allein ausrichten gegen sechs? Besonders wenn er kein Kämpfer ist. Noch dazu einen Charakter sein Eigen nennt, der bis zu diesem Datum nicht gerade durch Mut und Unerschrockenheit aufgefallen war. Vielmehr dafür bekannt ist, sich den Umständen entsprechend zu verhalten und sich zu fügen. Ohne Widerworte. Nur der Dumme versucht durch die Wand zu gehen, der Weise hingegen drückt immer zuvor die Klinke der Tür und tritt mit einem nachsichtigen Lächeln ein, wenn denn möglich.
Anthony machte das aber nichts aus. Auf der Erde war es ja auch nicht anders. Auch da war er es ja gewohnt, in der Schule jedem Streit aus dem Weg zu gehen. Sich sogar zu entschuldigen, wenn man ihn rempelte oder ein Bein stellte. Wenngleich hier alle viel höflicher zueinander waren. Das versteht sich von selbst. Zumindest in der Öffentlichkeit. Also bückte er sich, hob seinen Schulranzen in die Höhe, öffnete diesen und zog das verlangte Objekt heraus. Den Block, der aber eigentlich eine Scheibe war.
So zumindest will es dem Laien auf den ersten Blick erscheinen, als wäre dies Ding nur eine Scheibe aus Glas oder einem ähnlich durchsichtigen Material. Doch das täuschte gewaltig, denn nachdem Anthony es aktiviert hatte, indem er seinen Daumen in eine kleine Mulde legte, zeigte es sofort, dass es mehr als nur das war, nämlich ein Multifunktionsgerät. Eine Art elektronische Maschine, die neben seinem Stundenplan so ziemlich alles abgespeichert hatte, was für sein schulisches Fortkommen wichtig war. Alle Bücher, alle Texte und selbstverständlich auch den kompletten Stoff aus dem letzten Semester. Die Hausaufgaben und die Strafarbeiten inklusive. Und vor allem Letztere waren ja in seinem speziellen Fall nicht unbedingt ein als klein zu bezeichnender Stapel.
Eine elektronische Maschine, die ihn immer ein wenig an diese Tablet-PCs erinnerte, die er von der Werbung auf der Erde kannte, welche dort ja an jeder Häuserwand kleben. Er selbst besaß dort so ein Ding allerdings nicht. Nur dass es bei diesem Gerät hier keinen schwarzen Rahmen aus Plastik gab oder irgendeinen Knopf oder Schalter. Nichts, was hervorstand oder in sich in der Farbe unterschied. Nein, alles war eben und glatt und transparent.
Sodass man es tatsächlich eben doch in einen Fensterrahmen hätte einsetzen können. Wenn auch in einen ziemlich kleinen Vertreter seiner Art. Und da es ein bisschen oval war, wäre ein Bullauge vielleicht diesbezüglich sogar die noch wesentlich treffendere Wahl. Doch wenn man mit dem Finger darüberstrich, dann wurde sofort das Geheimnis offenbart, das in ihm steckte. Dann erschienen in dem Glas nämlich viele bunte Lichter oder auch allerlei Schriftzeichen. Je nach Bedarf. Manchmal war sogar ein Hologramm zu sehen, das dann aber darüber schwebte. In einem Abstand von vielleicht etwa fünf Zentimeter. Oder auch ein Film in 3D. Natürlich immer nur zum Zwecke des Studiums. Privaten Unsinn darauf zu speichern war nämlich nicht erlaubt und wurde, je nach Inhalt, mit diversen Strafen belegt. Vor allem von Doktor Wustlonom.
Aber Vorschrift ist Vorschrift und das Leben spricht eine andere Sprache. Somit wurde diese Regel, wie selbstverständlich, von fast allen Schülern gebrochen. Nur sehr wenige hielten sich strikt daran. Wie zum Beispiel Ramshin. Anthony hingegen hatte, wie viele andere auch, einige lustige Cartoons darauf geparkt. Aber auch immer ein paar Spiele und ein oder zwei längere Filme.
Jetzt allerdings war keine dieser Möglichkeiten gefragt. Also machte er nur ein paar kurze Bewegungen mit seinen Fingern auf der Oberfläche, fast so, als würde er die unsichtbaren Tasten einer Schreibmaschine bedienen. Dem Uneingeweihten gewiss sinnlos erscheinend, in dieser Kombination jedoch nur eines bedeutend, dass er soeben die Aufnahmefunktion in Betrieb gesetzt hatte.
Doch nicht nur das, denn selbstverständlich würde jedes gesprochene Wort, das alsbald Doktor Wustlonoms Mund verlassen würde, von der elektrischen Maschine sofort auch in schriftliche Form übersetzt werden. Sodass Anthony, selbst in hundert Jahren, all das nachlesen könnte, was der ihnen jetzt mit auf den Weg gab für das, was auf sie wartete.
Das war ziemlich viel, und schon der erste Satz genügte, den Raum sofort wieder in absolute Ruhe zu tauchen. „Scheinbar sind Sie jetzt endlich alle bereit“, sprach der Doktor, wobei er noch einmal einen kurzen, prüfenden Blick über die kleinen Köpfe warf und zufrieden mit dem eigenen nickte. „Gut, dann will ich beginnen. Meine jungen Damen und Herren Roboter, wie Sie es wohl schon alle insgeheim vermuten, ist diese Studienreise, die uns da bevorsteht, kein gewöhnlicher Feld-Wald-und-Wiesen-Ausflug. Nicht nur, weil sie auf so viele Wochen geplant ist, sondern auch, weil sie uns weit wegführen wird. Um nicht zu sagen, sehr, sehr weit weg. Genau gesagt, in das Land Meziloanien. Das bestimmt niemanden von Ihnen ein Begriff ist, es sei denn, sein Besitzer hat vielleicht Verwandte dort oder auch eine Firma. Viel zu klein und unbedeutend ist es, als dass es auf gewöhnlichen Karten zu finden ist. Doch dazu erst später einige Fakten mehr. Es würde uns momentan nur mehr verwirren als denn dienlich sein. Es sind ja nicht nur diese beiden Tatsachen, die Länge und die Ferne, die diese Reise zu einer außergewöhnlichen machen, sondern vor allem eine dritte. Zum ersten Mal wird es ihnen nämlich gestattet sein, Ihren goldenen Zeigefinger, den Sie sich in ihrem letzten Semester so ehrenvoll erkämpft haben, auch außerhalb dieser Schule einzusetzen.“ Für einen kurzen Moment wurde die Stimme des Doktors nun sogar feierlich, geradezu pathetisch, während er weiter ausführte: „Und glauben Sie mir, Sie unerfahrenes Volk, es ist wahrlich ein großes Privileg, das Ihnen da zuteilwird. Eines, das in anderen Jahrgängen zumeist erst nach dem zweiten Finger erteilt wird, manchmal sogar erst nach dem dritten. Schon deshalb ermahne ich Sie eindringlich, bedienen Sie sich dieser Erlaubnis immer nur mit Bedacht. Nur wenn es unbedingt sein muss. Muss ich Ihnen doch wohl nicht noch einmal erklären, dass dieses kostbare Präzisionsprodukt, das Ihnen operativ eingesetzt wurde, und das nun die Knochen Ihres rechten Zeigefingers ersetzt, weit mehr kann als nur ein gewöhnlicher Zauberstab. Selbst mehr als einer, der aus reinem Silberquarz ist und über ein Jahr in einem Höllenofen gebacken wurde, und dass, obwohl von außen diese Macht nicht einmal zu erahnen ist. Denn betrachten Sie ruhig einmal Ihre rechte Hand ausgiebig, und Sie werden feststellen, sie sieht aus wie jede andere Hand auch. Wie zum Beispiel Ihre linke.“
Sofort taten alle, wie ihnen geheißen. Hoben beide Hände vor ihre Nase und verglichen diese miteinander. Und das, wiewohl sie selbst wohl schon an die tausend Male zuvor ihre Blicke gründlich über jeden Zentimeter Haut hatten wandern lassen. Immer auf der Suche nach einer Narbe oder vielleicht sogar Muttermalen. Nach irgendetwas, was eventuell hätte neu sein können. Seit dem Tag, seitdem sie sich endgültig zur Kaste der Zauberer und Hexen zählen durften.
Aber, nicht sonderlich überraschend, war dort immer noch nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Eine Hand sah wie die andere aus. Wenn man einmal davon absehen will, dass die Daumen auf verschiedenen Seiten saßen. Zumindest bei den meisten Schülern. Zu gut war die Arbeit der weißen Ärzte, zu perfekt. Doch wenn Doktor Wustlonom etwas befahl, oder auch nur empfahl, etwas zu tun, dann machte man das besser. So sinnlos es einem auch selbst erscheinen will. Und wenn es ist, einen Elefanten auf einen Zahnstocher aufzupicken und diesen dann einen Nachmittag lang über der eigenen Nase zu balancieren, wie wohl Broms dazu gesagt hätte. Und es auch mehrmals tat. Der Doktor und er waren nicht die unbedingt besten Freunde. Nein, alles andere als das!