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Dies ist das dritte Abenteuer von Anthony Noll. Dem Jungen, der zwei Leben führen darf. Eines hier auf Erden und eines weit draußen in den Tiefen des Weltraums, wo er ein zaubernder Roboter ist. Eine Serie, die einen in ein völlig neues Universum entführt. Fantastisch und in Farben gemalt, die noch nie ein Auge zuvor gesehen. Das ist versprochen! Buch 1: Die erste Hälfte des dritten Semesters geht ihrem Ende zu, in dem das Team mit der Biene auf der Brust in einem rollenden Zirkuswagen unermüdlich über das Land zog, um ihr in der Schule erlerntes Können endlich in der Praxis zu testen. Da wird Anthony plötzlich von den Steinmenschen gefangen genommen. Schrecklichen Wesen, die ein noch viel schrecklicheres Geheimnis hüten. Zudem ist da ja noch der Wettkampf in Nachrim, der Stadt der tausend Bibliotheken. Buch 2: Die große Inspektion steht an, von der niemand etwas weiß, nur, dass sie alle wieder zurück in den Brunnen steigen werden, der ihnen ist wie der Schoß einer Mutter. Dort wird sich entscheiden, wer von ihnen bereits in solch einem desolaten Zustand ist, dass er für immer abgeschaltet werden muss. Und ob der Ring der Zeit eine Hilfe sein kann, das vermag niemand zu sagen. Schon deswegen nicht, weil es zweier Schlüssel bedarf, ihn zu befreien.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
IMPRESSUM:
Widmung
BUCH I
Die Prüfung
Das Frühstück
Ein hinterhältiger Überfall
Die Peitsche
Die Geschichte vom LIEBEN GOTT
Das Wohnzimmer, das kein Wohnzimmer ist, und ein geheimer Pfad
Das Bett, das kein Bett ist, und der Handstand
Triste Aussichten
Bats und die Scheinwandler
Besuch bei den falschen Eltern
Der Käfig
Die Anklage
Das Gottesurteil
Die Fortsetzung der Geschichte vom LIEBEN GOTT
Der Looping
Ein Vermeintlicher Kampf
Blut und Öl
Ankunft in Nachrim
Eine Lehrstunde
Ein Wettkampf
Das größte Geheimnis überhaupt
BUCH II
Die Halle der Seelen
So viele Mäuse, so viele Köpfe
Der Austausch
Ein ungastlicher Planet
Alte Freunde
Ein Ausflug der besonderen Art
Ein Tag voller Nachwirkungen
Ein Seelenteufel
So viel Pizza
Noch mehr Seelenteufel
Ein seltsames Wollknäuel
Die beiden Schlüssel
Ein geplanter Umzug von großer Entfernung
Auf der Flucht und ein dummer Fehler
Die Rettung einer Seele und ein zweiter dummer Fehler
Die Große Inspektion
Glomps Geschenk
Ein grauer Kopf gibt Antwort
So viele Veränderungen
Eine schwebende Feder und noch einmal der LIEBE GOTT
Alle Anthony Noll Romane:
FRANCIS LINZ
Anthony Noll
und die Große Inspektion
BUCH I (wenn kleine Roboter Loopings machen)
BUCH II (wenn kleine Roboter die Zeit verdrehen)
Autor:
Francis M. Linz
Gravelottestr. 4
81667 München
Germany
© Francis Linz 2014
E-BOOK / Version Epub2
ISBN 978-3-911350-89-1
Band 3: Wörter: 194.000
Geschrieben: Sommer/Herbst 2012
Auflage: Final Cut / Frühjahr 2024
Umschlaggestaltung/Illustrationen: © Franus Graueis 2021
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Buch 1
Für meine Schwester.
Dank dafür,
dass Du mein erstes Buch gelesen hast,
und mir immer Mut zum Geschenk gemacht hast,
obwohl es ein einziges Machwerk war.
(Na ja, ein paar kurze Passagen sind
vielleicht auch heute noch zu gebrauchen.)
Zum Glück ist das schon so lange her,
dass es mir vom Schicksal vergönnt ist,
mich dafür nur noch fremdschämen zu müssen.
Buch 2
Für meinen Schwager
Dank für den Bodybuilder
und für noch so vieles andere mehr.
(Dank an alle,
die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben.)
(wenn kleine Roboter Loopings machen)
Dicke Perlen aus Schweiß rannen Anthonys Stirn hinab, sammelten sich am Kinn und tropften zu Boden. Hastig atmete er. Er musste irgendwie Luft in seine Lungen bekommen, auch wenn das, was ihn umgab, den Namen wahrlich nicht verdiente und er schon bald wieder zum Husten anfing. So heftig, dass er sich mit einer Hand an der Mauer an seiner rechten Seite abstützen musste.
Nein, das war nicht der Wind, den sich der kleine Zauberer, womöglich auf einer grünen Wiese stehend, über die Nase streichen lassen wollte. Gaukelnde Schmetterlinge im Blick, lustigen Vogelsang im Ohr. Im Gegenteil, alles um ihn herum war voller Ruß und Rauch und sein Kopf dröhnte vom Lärm. Höllischen Lärm!
Was aber kein wundernimmt, denn das Ungetüm, das hinter ihm her war, war genau diesem dunklen Versteck entsprungen. Es war ein schauriges Kind des Teufels. Anders war sein Anblick nicht zu erklären. Es war ein ausgewachsener Drache!
Und dabei ist es völlig egal, dass es nicht viel mit einem Drachen zu tun hatte, so wie ihn Anthony von der Erde her kannte. Oder zumindest, wie er dort in Büchern gern beschrieben wird oder auch in Filmen gezeigt. Denn dieses monströse Vieh hatte keine Schuppen und keine Flügel und auch keine langen Krallen an den Füßen. Aber es spie Feuer ohne Unterlass, aus einem riesigen Maul mit langen, spitzen Zähnen. Und da der kleine Zauberer sonst kein Tier kannte, das das kann und das man nicht Drache nennt, so wollte er auch dieses so nennen. Außerdem befand er sich auf Robotanien. Hier aber sahen ja nicht einmal die Hunde so aus, wie Hunde eben aussehen sollen.
Doch nicht nur das Ungetüm war seltsam. Nein, da war noch mehr in diesem obskuren Szenario, das nicht stimmte, und zwar von Anfang an. So eindeutig, dass es mehr war als ein einzelner schriller Ton in einer langen Oper, den man vielleicht noch hätte überhören können; mit einem Fingerhut voll gutem Willen. Doch was genau es war, das wusste Anthony noch immer nicht. Oder war er nur wieder einmal zu dumm, die Zeichen zu deuten?
Gut möglich, Broms der Bärenstarke, sein bester Kumpel auf Robotanien, hatte ihm im Bus auf der Fahrt zur Schule noch Mut zugesprochen, wo er wie immer neben ihm saß, indem er zu ihm sagte: „Ach, Ant, fall doch nicht wieder grundlos in Panik. Das lohnt sich nicht. Ich bin mir sicher, dass du die Prüfung bestehen wirst. Wir alle werden sie bestehen. Hip-Hop, Hip-Hop!“ Wobei er allerdings noch angefügt hatte: „Auch wenn du wohl für immer der lausigste Zauberer bleiben wirst, der jemals seine schmutzigen Füße in unsere ehrenwerte Schule gestellt hat. Wie wir alle nur zu gut wissen. Oh ja, vor allem dein eigenes Team!“ Was aber natürlich nur im Spaß gesprochen war. Wie man jemanden auf der Erde Hals- und Beinbruch wünscht.
Dennoch, angesichts der Umstände schien es genau so zu sein, als ob nur diese eine Aussage zutreffen wolle. War diese Semesterprüfung doch so ganz anders als die letzte. Jene, welche Anthony mit einem kleinen Trick bestanden hatte und die ihm letztendlich seinen goldenen Zeigefinger einbrachte. Welcher wiederum nur der erste Schritt ist, auf dem langen Weg, ein großer Zauberer zu werden. Doch alles, was er im Hier und Jetzt ausprobierte, mit ebenjenem magischen Utensil, war ein einziges Desaster. Ganz plötzlich war es so, als ob dieser Finger ganz ohne Kraft sei, und nichts Außergewöhnliches wohnte ihm mehr inne.
Das aber war mehr als nur fatal, denn so bewaffnet waren die gestellten Aufgaben nie und nimmer zu bestehen. Nur ein unglaublicher Optimist würde anderes vermuten. Einer, der in einer einzelnen Träne einen ganzen Ozean vermutet, nur wegen des Geschmacks von Salz auf der Zunge.
Aber ein unglaublicher Optimist, das war Anthony noch nie. Die endgültige Abschaltung war somit nur noch eine Frage der Zeit. Die Grauen Wachen würden kommen, erbarmungslos in ihrem Denken und Handeln, und er und sein Team waren verloren.
Als der Hustenreiz einigermaßen erträglich war, hielt der kleine Zauberer kurz den Atem an und horchte. Die Hoffnung, dass sich an seiner prekären Situation etwas verändert haben könnte, war allerdings gering. Hörte es sich doch nicht so an, als ob es ihm gelungen sei, das Ungeheuer abzuhängen. Obwohl er einmal mehr an seine körperlichen Grenzen gegangen war. Nein, weiterhin hallten dessen schwere Schritte durch die Gänge, wenn auch etwas leiser als zuvor.
Allerdings immer im Takt. Erstaunlich genug, waren es doch mindestens acht Füße, die dafür verantwortlich waren. Auf jeder Seite.
Mindestens acht. Eine genaue Angabe war aber nicht möglich, war doch nie genug Zeit, sie alle zu zählen. Aber nicht, weil es Anthony nicht interessiert hätte, was dieses Monstrum ständig Bewegung hielt, sondern weil er mit anderen Dingen beschäftigt war. Mit anderen, sehr wichtigen Dingen, wie zum Beispiel dem Laufen und dem Luftholen. Dingen, die ihm die nackte Existenz sicherten, und sei es nur für ein paar wenige Sekunden mehr.
Im Endeffekt war es aber ohnehin egal. Das Ergebnis blieb das Gleiche. Es war ein Koloss, der von ihm in seinem dunklen Unterschlupf aufgeweckt worden war und der ihm nun unermüdlich folgte. Ein Ungetüm, dessen einzige Triebfeder der Hass ist. Der Hass und der unbedingte Zwang zu töten. Und wie um das zu unterstreichen, da fegte auch schon wieder ein heiseres Brüllen durch die Gänge. Ein Brüllen, wie es nur solch eine abscheuliche Kreatur ausstoßen konnte.
Somit schien es ein ziemlich ungleicher Kampf zu sein und das Ergebnis voraussagbar. War Anthony ja noch ein Kind von gerade mal elf Jahren. Und auch wenn er sich im Moment auf der anderen Seite seines Seins befand, im Körper eines Roboters, so unterschied sich dieser nicht groß von dem, den er auf der Erde über seiner Seele trug; so zart und fein. Wenn man einmal von der Nummer absehen will, die hier auf Robotanien, auf seiner Fußsohle nahe der Ferse unter der Haut stand, wie eintätowiert mit schwarzer Tinte und die da lautete X3-Z04. Die besagte, dass er das Ergebnis langwieriger Forschungen war und der neuesten Modellreihe entstammte. Doch das war ja, im Großen und Ganzen betrachtet, nur eine unbedeutende Nuance und schon deswegen zu vernachlässigen.
In der Tat, nur ein unbedeutendes Detail. So unbedeutend, dass sogar Anthony es immer wieder vergaß, wenn er die zwei Formen seiner Erscheinung miteinander verglich. Sah er diese Nummer doch nur gelegentlich. Und dann auch nur unbewusst, wenn er sich die Strümpfe an- oder wieder auszog. Sonst war aber nicht einmal mit der Lupe etwas zu finden, das aus dem Ebenbild hätte herausspringen wollen. Und immer wieder stellte er sich darum die Frage: Was war hier das Original und was nur die Kopie?
Aber natürlich nur, solange er Kleidung trug, gab es keinen Unterschied. Die verdeckte, zumindest auf der Erde, ja sehr geschickt den schmalen Speckgürtel, der dort um seine Hüften geschlungen lag. Und nur dort. Der ihm aber schon deswegen stets eine gute Hilfe zur Orientierung war, auf welcher Seite seines Seins er sich gerade befand. Besonders des Morgens, gleich nach dem Aufwachen, wenn die Suche nach Realität den Sinnen oft noch solch eine unsagbare Mühe ist. War es den Robotern doch strikt untersagt, Fett anzusetzen. Das ist eine Ehre, wenn auch eine von recht zweifelhafter Natur, die nur den Menschen gebührt. Sonst aber stand selbst ein jedes Haar an derselben Stelle. Wohl auch, weil alle Roboter der Modellreihe X3-Z04 nicht nur als Maschinen zu gelten haben, sondern als Geschöpfe, die den Menschen so gleich sind, dass sie oft viel menschlicher sind als ebendiese selbst.
Doch ob Original oder Kopie, das war im Moment so oder so nicht die entscheidende Frage. Tot ist tot, so oder so. Dieses Schicksal aber schien unausweichlich und somit eine geglückte Flucht vor diesem grauenerregenden Ungetüm so gut wie ohne jede Hoffnung.
Ratlos betrachtete der kleine Zauberer darum nur immer wieder seinen goldenen Finger, welcher nur der erste Schritt ist, um ein großer Zauberer zu werden. Drehte und wendete ihn vor seinem Auge. Warum nur wollte der nicht so, wie er es ihm befahl?
Nein, Anthony verstand die Welt nicht mehr. Vor allem, war es doch seit seinem Besuch in Kanozplian um einiges besser geworden mit ebenjenem Finger sowohl als auch mit dem Zaubern. Hingen diese beiden Dinge doch unmittelbar zusammen.
Kein rein subjektives Empfinden war. Vielleicht ein von Eitel- und Selbstgefälligkeit getrübtes Bild. Nein, alle konnten es bezeugen. Nicht nur das Team mit der Biene auf der Brust, Broms, Ramshin und auch Sims. Was man aber als gegeben annehmen darf, ist das Team doch mehr als nur Familie. Auch die anderen Mitschüler. Sogar die, die ihn noch nie an ihre Schokoladenseite setzten, damit er womöglich von dieser nasche. Wie zum Beispiel Malon. Genauer gesagt, Malon Nummer Acht. Der wohl begabteste aller Magier aus dem Hause derer von Ibalon, der schon immer sein größter Feind war. Vom ersten Tag an.
Nein, niemand lachte mehr über Anthony. Nicht auf den Pausenhöfen und nicht in den Ruheräumen. Zumindest nicht mehr so hämisch und öffentlich wie noch letztes Jahr. Und schon darum war dieses plötzliche magische Desaster ein einziges Rätsel. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass er sich ganz sicher war, den richtigen Zauberspruch aufgesagt zu haben. Denn wie nur wenig andere war dieser geradezu ein Teil von ihm selbst. Unauslöschlich eingebrannt in sein Gedächtnis. Hatte dieser Zauberspruch doch schon einmal, wenn nicht sein eigenes Leben, dann doch zumindest das Leben einiger Unschuldiger gerettet. Klein, mit knubbeligen Nasen, vom Stamm der Nardollaner. Vor dem Zorn ebenjenes Malon Acht, aus dem Hause derer von Ibalon.
Doch so oft er auch sprach: ‚Wo mein Sohn, wo mein Sohn, ist der Kinderlachen Thron?’, der Drache ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. Dabei war das ein ganz einfacher Einfrierzauber. Einer von denen, die man schon im ersten Semester lernt. Einer, für den man nicht einmal einen goldenen Finger braucht und der sich sogar mit einem ganz gewöhnlichen Materietransformator ausüben lässt, welchen der Laie gerne auch einmal einen Zauberstab nennt.
Somit war es ein einziger langer, böser Traum, aus dem Anthony einfach nicht aufwachen wollte. Denn einfrieren, genau das ließ sich das Ungeheuer nicht. Im Gegenteil, schon wieder traf ihn eine warme Wolke am Rücken und hell erleuchtet wurden die Wände um ihn herum. Auch wenn das Gebrüll jetzt vielleicht etwas dumpfer klang als noch vor zwei Minuten. Lagen zwischen ihm und seinem Verfolger doch inzwischen einige Ecken mehr.
Was aber keine Sicherheit versprach, denn das konnte sich schnell ändern in diesem schrecklichen Irrgarten, in dem kein Stein lange an derselben Stelle verblieb. So wie man es von Steinen eigentlich gewohnt ist und wie man es von ihnen auch erwarten darf. Nur selten haben sie Beine und laufen einfach so davon. Doch hier war alles noch viel schlimmer. Hier verschoben sich ganze Wände, drohten einen zu erdrücken, oder im anderen Fall, sie verschwanden plötzlich ganz. So als hätte es sie nie gegeben. Das aber nie zum Vorteil. Denn dann stand man sich wieder gegenüber, von Angesicht zu Angesicht. Ein Feuer speiendes Monster und ein ängstlicher, kleiner Roboter. Die letzte halbe Stunde so oft passiert.
Das erneute Gebrüll aber war nur wie ein Startschuss, falls es eines solchen überhaupt bedurfte. Sofort lief Anthony los. Immer weiter der Dunkelheit entgegen, wiewohl er diese noch nie liebte. Schon gar nicht des Morgens in der Kiste. Hier jedoch versprach sie Sicherheit. Oder zumindest die Hoffnung, nicht sofort in einem hellen Feuerblitz zu verglühen, bis nur noch graue Asche von den Knochen fällt. Aber nach nur zwei Gängen blieb er bereits wieder stehen. Einerseits, weil er kaum noch etwas sah, andererseits, um sich zu erholen. War ja kaum noch Kraft in seinen Beinen.
Ja, es war unübersehbar: Anthony war am Ende seines Lateins. Zu oft schon hatten sie dieses Spiel gespielt, er und sein Verfolger. Doch wenigstens war es hier kühl und er bekam ganz gut Luft.
Wieder fing er zu überlegen an. Nicht, wie er diese Aufgabe eventuell doch noch lösen konnte. Nein, dafür gab es keine Idee mehr in seinem Kopf. Sondern nur, wie es dazu hatte kommen können.
*
Kalt und unpersönlich war die Stimme gewesen. Und sie gehörte einer kleinen Hexe, die, so wie es Sitte ist, ein Semester über ihm stand. Denn immer wird der Vorangehende den Nachfolgenden führen auf seinem langen Weg, um irgendwann das Große Abenteuer zu erleben.
Fordernd sprach sie: „Ant Honig Nummer Elf, bitte stehen Sie auf und folgen Sie mir. Der letzte Test der Abschlussprüfung für das zweite Semester hat hiermit auch für Sie begonnen.“
Was er sofort tat. Sogar mit ein paar Tropfen Vorfreude durch die Brust schwappend, die silbrig glänzend Glück versprachen, denn lange genug hatte er dafür gelernt. Aber auch gewissenhaft. Gründlicher noch als ein Bär ein Glas Honig ausschleckt, wie Broms nicht nur einmal feststellte. Nein, mehr kann und konnte ein Mensch nicht tun und auch kein kleiner Roboter. Kurzum, nie war er besser vorbereitet. Auch wenn er auf der Fahrt in die Schule ebenjenem Broms im Bus noch die Ohren vollgejammert hatte. Was aber sowieso eher auf ein Missverständnis zurückzuführen war.
Dann wurde er in das gleiche Zimmer geführt wie nach dem ersten Semester. Wo, wie sollte es anders sein, Doktor Wustlonom, sein Klassenlehrer, auf ihn wartete. Sitzend hinter demselben breiten Tisch, den man schon das letzte Mal hier hereingeschoben hatte und der wohl aus dem Sekretariat stammte. Nicht nur, weil er so ungewöhnlich groß und massiv war, sondern weil die Tische in den Klassenzimmern in der Regel mit dem Boden verschraubt waren. So akkurat und bombenfest, dass diese Verbindungen kaum zu trennen waren. Kein Wunder, kannte man im Lehrerkollegium doch nur zu gut den Unsinn, zu dem kleine Roboter neigen, wenn sie sich unbeaufsichtigt wähnen und mit ihren goldenen Fingern bewaffnet, oder auch nur mit einem gewöhnlichen Zauberstab, allerlei Dinge zum Fliegen bringen lassen wollen. Ist das doch die schwerste aller Übungen. Deswegen aber auch die Interessanteste.
Alles schien somit so zu sein wie gehabt. So als wolle ein altbekannter Film nur noch einmal vor dem Auge ablaufen. Denn auch die zwei Kollegen, die dem Doktor zur Seite standen, waren dieselben. Auch wenn die natürlich nicht standen, sondern wie er auf Stühlen saßen, links und rechts von ihm. Es waren Herr Blomquast und Frau Professor Dadalonin. „Bitte treten Sie noch ein kleines Stück näher“, wurde er von letzterer aufgefordert.
Das aber war gar nicht nötig, denn die Stimme des Doktors, die sich sogleich vernehmen ließ, war laut, deutlich und gut zu vernehmen, ungeachtet dessen, dass sie so seltsam leierte und nie Komma oder Punkt traf. So wie Anthony es von ihr in so vielen Unterrichtsstunden zuvor gewohnt war. War es doch eine Stimme, die, wenn sie wollte, auch Wände in einzelne Steine zerschnitt. Zudem war sie wie immer ohne jeden Schnörkel. Bis vielleicht auf den kleinen Unterschied, dass die Anweisungen, die sie heute mit auf den Weg gab, besonders eindringlich klangen. Sodass sich mit jeder Silbe mehr der Eindruck verstärkte, sie wolle nicht nur die neutralen Fakten vermitteln, sondern dem Verstand auch noch ein paar ganz persönliche Haltegriffe mit auf den Weg geben. Vor allem, da sie manche Zusammenhänge besonders oft benannte und betonte. Was sie so nicht hätte tun müssen und sehr ungewöhnlich für sie war. Für sie wie für ihren Besitzer, diesen Lehrer ohne Gnade. Und wohl nur dem Umstand geschuldet, dass Anthony diesem in den letzten Mittelferien den SCHATZ ALLER SCHÄTZE besorgt hatte. Das aber war eigentlich nur ein großer Irrtum, basierend auf falscher Annahme und trügerischer Hoffnung.
Ein Irrtum, der aber anscheinend noch immer nicht als solcher erkannt worden war. Sonst hätte die Stimme wohl kaum so eindringlich und immer wieder vor den Flüchen gewarnt und vor dem Umstand, dass diese in jedem Fall abzuarbeiten seien. Wusste sie ja sehr wohl Bescheid, erstens, um den Ablauf der Prüfung, und zweitens, um die großen Schwächen des Prüflings in diesem Fach.
Und erst als Anthony artig nickte und versprach: „Ich werde mein Bestes geben, Doktor Wustlonom“, war sie einigermaßen zufriedengestellt und schickte ihn auf den Weg. Auch wenn ihr Tonfall dabei mehr als nur besorgt zu nennen war.
*
Völlig zu Recht, denn schon bei der Erwähnung der Flüche, da schwante Anthony ja bereits das Unheil. Zudem ihm immer völlig bewusst war, dass es nicht nur an diesen scheitern konnte, denn, nicht zu vergessen, da war ja auch noch der ganze Kleinkram aus den Nebenfächern, der selbstverständlich mit abgefragt werden würde. Mündlich oder schriftlich. Vor allem das obligatorische Rätsel. Das ganz bestimmt wieder eine harte Nuss sein würde und nicht zu knacken für manch armes, kleines Roboterhirn. Das dann, eben wegen dieser Wissenslücke, an die Grauen Wachen zum Zwecke der endgültigen Abschaltung übergeben werden musste. Nein, nie gab es eine zweite Chance. Entweder man mogelte sich durch, egal wie, oder die Engel nahmen einen auf in ihren Chor. Wenn denn kleine Roboter an Engel hätten glauben dürfen.
Die Semesterprüfungen für all die anderen, egal, ob männlich oder weiblich, die an dieser Schule nicht so wie Anthony die Ausbildung zum Magier durchliefen, waren natürlich völlig anders strukturiert. Wurde doch hier zum Hauptfach was für ihn nur Nebenfach. Doch auch bei diesem Gedanken wollte kein wirklicher Neid in ihm aufkommen. War sein Talent in diesen Bereichen ja nicht unbedingt größer. Als Körperwandler war er eine einzige Lachnummer, als Weiser nicht mehr wert als ein Telefonbuch mit nur noch zwei Seiten und als Kämpfer nicht einmal für den Kinderspielplatz zu gebrauchen.
Nein, besonders stark fühlte sich Anthony im Moment nicht. Ganz im Gegenteil. Aus welchem Grund auch immer war er nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Beziehungsweise sein goldener Finger. Wäre doch sonst dieses Feuer speiende Monster, kaum zum Leben erweckt, gewiss sofort wieder in sich erstarrt. Denn der Spruch ‚Wo mein Sohn, wo mein Sohn, ist der Kinderlachen Thron?’ war eindeutig der richtige. Und keines seiner vielen Beine hätte es dann noch vor das andere setzen können.
Und das war noch nicht einmal das Absonderlichste, das war nämlich ein ganz anderer Umstand, auch wenn er sich so ähnlich gab. Denn immer, wenn er ebendiesen speziellen Finger ausstreckte, in der einzigen gültigen Position, um so die Ausgeburt der Hölle in ihre Schranken zu verweisen, da leuchtete nicht nur dieser hell auf, mit all seinen Knochen aus purem Gold, sondern auch immer der, der von Geburt an der Kamerad an seiner Seite ist, der Mittelfinger.
Auch wenn unter einer Geburt hier auf Robotanien natürlich etwas völlig anderes zu verstehen ist als auf der Erde. Denn obschon Anthony auch hier einen Bauchnabel besaß, wieso auch immer, so hatte ihn doch nicht wirklich eine Mutter unter Schmerzen in diese Welt gesetzt. Vielmehr war er, wie alle anderen kleinen Roboter auch, erschaffen worden aus organischer Materie und dann aus dem Brunnen gestiegen. Zumindest all die aus der Modellreihe X3-Z04. Und keiner von ihnen hatte ein Leben zuvor. Zumindest keines, an das er oder sie sich hätten erinnern können.
Doch dass dieser Finger immer mit leuchtete, das konnte nicht sein, denn er war ja inmitten der Prüfung, abgehalten zum Ende des zweiten Semesters, nach deren Bestehen er ebendiesen Finger erst erhalten sollte. Oder vielmehr die Knochen aus Gold, die die originalen ersetzen sollten und die nichts anderes sind als kleine Materietransformatoren. Was man wohl ein Paradoxon nennt.
Und auch wenn er dieses Wort nicht kannte, so schwirrten durch Anthonys Kopf immer genau dann, wenn dies geschah, sogleich wieder tausend Fragen. Emsigen Hummeln gleich. Denn die Bedeutung war auch ihm klar und ließ sich mit einem ganz banalen Satz benennen, der nicht anders lauten konnte als: Irgendetwas stimmte hier nicht! So eindeutig, dass es mehr war als nur ein einziger schriller Ton in einer langen Oper, den man vielleicht noch überhören kann, mit einem Fingerhut voll gutem Willen. Doch was es war, blieb weiterhin wie im Nebel verborgen. Denn wie können zwei Finger golden glühen, obwohl es doch nur einer hätte sein dürfen?
Dann, als ob es damit an Verwirrung nicht genug wäre, gesellte sich plötzlich eine ganz neue Frage mit hinzu. Eine, die im Gegensatz zu all den anderen zuvor allerdings ziemlich einfach zu beantworten war.
Allerdings erst nach einem kleinen Intermezzo voller Angst, denn von einem Augenblick auf den anderen verschwand all das um Anthony herum. So als wäre es nie gewesen. Nicht nur die Wände und somit all die dunklen Gänge, wie schon so oft zuvor, sondern auch das Feuer speiende Monster in seinem Rücken. Und noch viel schlimmer, sogar der Boden unter seinen Füßen. Dieser war plötzlich nur noch eine einzige schwarze, Unheil kündende Wolke ohne jeden Halt. Wild ruderten seine Arme noch kurz in Kreisen, dann auch schon fiel er mitten durch diese.
Immer tiefer und tiefer fiel Anthony, gefühlt fast eine Woche, auch wenn es in Wirklichkeit wohl nur Sekunden waren. Und nicht ein Lichtstrahl suchte dabei sein Auge, während der Wind in seinen Ohren gar zornig toste. Und erst als er scheinbar so tief gefallen war, dass das Tor zur Hölle nur noch einen Atemzug entfernt liegen konnte, da fanden seine Füße endlich wieder Halt. So ruckartig, dass er dabei sogar auf die Knie stürzte.
Ein Aufprall nicht ohne Folgen, denn als Anthony sich wieder aufrichtete, machte irgendetwas in ihm ein ziemlich störendes Geräusch. Genauer lokalisiert, in seinem rechten Fußknöchel. Es war eine Art Knacken, das stark vermuten ließ, dass dort soeben etwas gebrochen war. Worauf auch der unsagbare Schmerz hindeutete, der plötzlich von dieser Quelle kommend durch seine restlichen Glieder schoss.
Doch so ungewöhnlich es klingen mag, zu klagen und sich groß um diesen Schmerz zu kümmern, dafür hatte Anthony gar keine Zeit, denn jetzt auf einmal verschwand all die Schwärze um ihn herum und es wurde wieder hell. Mehr noch als das, es wurde gleißend grell. So grell, dass er sogar heftig blinzeln musste.
Allerdings auch vor Überraschung. Denn dafür verantwortlich war ja die Sonne höchstselbst, die plötzlich genau über ihm stand. Die allerdings zugleich ihr Licht auch auf ein höchst absonderliches Wesen warf, etwa zwei Meter groß, das ihm gegenüber auf einem Felsen thronte. Es war eine Art Mischung zwischen einem Vogel und einem Baum, wenn man denn diese beiden Dinge so einfach miteinander vermengen darf. Ein anderer Vergleich dafür war auf die Schnelle in Anthonys Kopf aber nicht zu finden.
Und war dieses Wesen schon sehr seltsam anzuschauen, so war es die Umgebung, in der es stand, noch umso vieles mehr. Es war eine Wüste aus Sand, flach und eben, die sich schier endlos bis zum Horizont erstreckte, und in der nur ebendieser Felsen, auf dem es thronte, sich erhob. Und wie all das so plötzlich auftauchen konnte, aus all der Schwärze heraus, war ein noch viel größeres Rätsel.
Oder war es vielleicht nur ein Trugbild? Wurde er nun doch langsam verrückt? Bei diesem ständigen Springen zwischen den Welten wäre es kein Wunder, vielmehr nur logische Konsequenz.
Zwei bedeutsame Fragen, die der kleine Zauberer sich schon so oft zuvor gestellt hatte. Vor allem die letzte. Dennoch nicht die, die in diesem Moment nach Antwort suchte. Die war ja eine ganz andere und wie schon erwähnt, eigentlich ganz simpel. Und es war das fremdartige Wesen, halb Baum, halb Vogel, die sie aussprach.
Allerdings erst, nachdem es mit seltsam singender Stimme festgestellt hatte: „Ant Honig Nummer Elf, vor Ihnen liegen zwei Schnüre ...“, wobei es mit einem seiner Äste, welcher aber auch gerne ein Flügel hätte sein können, schon wegen all der Federn daran, auf ebendiese zwei Objekte deutete, die im Sand plötzlich vor seinen Schuhspitzen auftauchten, „die beide unterschiedlich lang und aus verschiedenen Materialien gewirkt sind. Wenngleich der zweite Punkt, um welche Stoffe es sich da genau handelt, Sie nicht wirklich zu interessieren braucht. Viel wichtiger: Beide benötigen genau eine Stunde und nicht eine Sekunde mehr oder weniger, um von einem Ende bis zum anderen abzubrennen. Wie Lunten. Wobei aber sofort angemerkt werden muss, dass die Geschwindigkeit dabei nicht immer konstant ist, sowohl bei der einen Schnur als auch bei der anderen, sodass eine jede, ganz nach Lust und Laune, am Anfang oder auch am Ende schnell, dann aber wieder langsamer werdend, verglüht. Nach einem Zufallsprinzip, das niemanden bekannt und nur dem Umstand geschuldet ist, dass sie eben aus verschiedenen Materialien gewirkt sind. Ihre Aufgabe aber ist es nun die: Bemessen Sie mithilfe dieser beiden Schnüre ganz genau fünfundvierzig Minuten, denn dann, und nur dann, haben Sie diese Prüfung zum Ende des zweiten Semesters bestanden. Und es wird sich ein rettendes Loch im Boden für Sie auftun und auch Sie in die große Aula der Schule entlassen, wo hoffentlich schon die anderen Mitglieder Ihres Teams auf Sie warten. Wobei Sie die Schnüre aber nicht zerschneiden dürfen. Das kommt als Schwierigkeit hinzu. Das einzige Hilfsmittel, das Sie für die Bewältigung dieses Problems benutzen dürfen, das ist Ihr goldener Finger. Und das auch nur, um die Schnüre zu entflammen. Wie also gehen Sie vor?“
*
Jetzt aber war Anthony völlig baff! Nicht nur, weil er die Frage kannte, und viel wichtiger noch, auch die Lösung, sondern vor allem, weil er keinen Schmerz in seinem Fuß mehr spürte und sein goldener Finger sich zudem entschied, plötzlich doch noch zu funktionieren, wie es von ihm eigentlich von Anfang an zu erwarten war. Auch ohne Zauberspruch. Auf einmal begann dieser nämlich wie wild Funken in alle Richtungen zu versprühen, als sei er eine dicke Wunderkerze, wobei er jene beiden Schnüre, die am Boden vor ihm lagen, entzündete. Und nur ein paar Sekunden später brannten diese lichterloh.
Als sei dies das Leuchtfeuer am Ufer der Vernunft, das sein Verstand die ganze Zeit so verzweifelt suchte, erkannte der kleine Zauberer endlich, was hier schieflief, und der schrille Ton in dieser entsetzlich langen, scheinbar nie enden wollenden Oper bekam endlich doch noch einen Namen. War doch genau diese Frage ein Teil jener Prüfungsaufgabe, die er schon vor Monaten beantwortet hatte. Und zwar völlig richtig. Deswegen auch war sie jetzt so leicht, wiewohl sie das keineswegs war. Und auch dass das alles hier ihm wie ein einziger Albtraum erschien, war somit kein Rätsel mehr, denn es war in der Tat einzig nur das, ein Albtraum. Ein entsetzlich quälender Albtraum! So oft inzwischen geträumt.
Schweißgebadet erwachte der kleine Zauberer, wobei er aber noch immer wie im Fieber murmelte: „Ich muss beide Schnüre zugleich anzünden, dann sofort eine der beiden am anderen Ende auch. Ist diese Schnur zur Gänze verglüht, muss ich bei der zweiten Schnur genauso vorgehen. Was heißt, auch dieses muss ich am anderen Ende anzünden. Ist nur noch Asche vor mir, dann …“
„Anthony, wach auf!“, befahl eine Stimme streng. Sie gehörte Ramshin. „Aufwachen, habe ich gesagt, du sollst endlich aufwachen! Hörst Du!“
Dann auch schon ließ sich eine zweite Stimme vernehmen: „Er hat schon wieder im Schlaf gesprochen“, deren Tonfall allerdings nicht so unerbittlich war, sondern vielmehr von großer Sorge getragen. War es doch die von Sims. „Und wahrscheinlich hat er auch wieder geträumt.“
In der Tat, die kleine Körperwandlerin war sehr besorgt. Und so war ihr Blick.
Vor allem aber der von Glomp. In dessen Augen Anthony zuerst sah, nachdem er die seinen, wie befohlen, endlich geöffnet hatte. Doch ruhig, ohne sich irgendeinen Kummer anmerken zu lassen, sprach der Diener, während er seiner üblichen morgendlichen Routine nachging und vorsichtig einen kleinen Roboter nach dem anderen aus der Kiste hob: „Sie gehen bitte noch nicht ins Bad, Herr Ant. Ich muss zuerst Ihren Energiemodus überprüfen. Ist das doch immer ratsam, wenn kleine Roboter im Schlaf sprechen.“
Wohingegen er die anderen drei aber sofort losschickte. Vor allem, da diese aufgeregt von einem Fuß auf den anderen traten und keinerlei Anstalten machten, wichtige Neuigkeiten, die sich hier eventuell abspielen sollten, verpassen zu wollen: „Ihr aber macht zu! Ihr wisst genau, wir haben nicht so viel Platz und Zeit wie daheim. Außerdem müssen wir heute besonders zeitig das Frühstück einnehmen, haben wir doch noch ein gutes Stück Weg vor uns bis nach Nachrim. Die Straßen sind schlecht befestigt und nur tagsüber einigermaßen sicher. Und nur wenn wir die Reihenfolge ändern, können wir es schaffen.“
Woraufhin die so Angesprochenen, Broms, Ramshin und Sims, sich dann doch noch trollten. Wenn auch ziemlich widerwillig.
Kaum waren die im Bad verschwunden, oder was man unter diesen Umständen als Bad bezeichnen muss, stellte sich Anthony kerzengerade vor dem alten Mann auf, der ihr aller Diener ist. Kannte er das Prozedere doch nur zu gut, das nun folgen sollte. War es ja nicht das erste Mal, dass er sich diesem zu unterziehen hatte. Auch nicht auf dieser langen Reise. Und keine zwei Sekunden später, da fuhr das kleine Gerät, das der andere in der Hand hielt und das aussah wie ein Handy, auch schon vor ihm auf und ab. Im Abstand von gut einer Handbreit. Vom Kopf bis zum Bauch und wieder zurück. Mindestens dreimal. Um dann, während Anthony zeitgleich, ohne dass man es ihm hatte befehlen müssen, die Arme weit von sich streckte, so als wollte er ein Polizist auf einer Verkehrsinsel sein, seine vertikale Bewegung in eine horizontale zu wandeln. Von links nach rechts und wieder zurück bis zu den Fingerspitzen, denn kein Quadratzentimeter sollte seiner Prüfung entgehen. Wobei es immer wieder recht komische Laute von sich gab. Manche so hell und grell, dass sie klangen wie eine Maus, deren Schwanz in einer Tür eingezwickt worden war, manche aber auch so tief wie ein schnarchender Bär in seiner Höhle. Und einige bunte Lichter auf dem Display des Geräts blinkten dazu recht nervös. Manche im Takt, manche aber auch gänzlich ohne.
Was zum Glück ohne Bedeutung war, denn Glomp stellte dazu nur fest, mehr als erleichtert: „Alles bestens, Herr Ant. Machen Sie sich keine Sorgen. Wieder keinerlei Störung festzustellen. Mehr noch als das, ihre Werte sind geradezu phänomenal!“
Dann nickte der Diener sogar mehrmals mit seinem alten Kopf, ganz so, als müsse er sich seine nun folgenden Worte noch einmal selbst bestätigen. „Und dass Sie wieder einmal im Schlaf gesprochen haben, ist somit nicht gleichzusetzen damit, dass Sie geträumt haben. Wahrscheinlich verhält es sich so, so möchte ich es einmal nennen, dass die Festplatte Ihres Hirns so übervoll ist mit Information und all den neuen Eindrücken, dass sie sich in dieser Art und Weise ein wenig von platzraubendem Ballast zu befreien sucht. Das aber ist völlig normal und auch erlaubt. Vor allem, wenn ein Roboter noch so jung ist wie Sie. Erst knapp über ein Jahr.“
Dann wurde das Nicken sogar noch eine Spur heftiger. Wohl auch, um sofort all die bösen Geister zu verscheuchen, die sich ungefragt um dieses Thema herum drängten. „Ja, das ist völlig normal. Niemand muss deswegen Meldung erstatten an die Grauen Wachen und ihre Zentrale. Was sonst unumgänglich wäre. Wissen wir doch alle, dass das Träumen den Robotern nicht erlaubt ist. Ganz und gar nicht! Auch nicht den ganz kleinen.“
Kurz war es jetzt still, fast so, als ob plötzlich eine dunkle Wolke mitten im Raum stehe, die alles zu verschlingen drohte.
Doch dann auch schon kam ein frischer Wind und blies sie zum Fenster hinaus. Ein Wind, der eigentlich ein Chor war und der lachend aus der Badezimmertür kam. Aus den offenen Mündern dreier Köpfe, die übereinander gereiht neugierig aus dieser herauslugten, hatten sie es doch nicht abwarten können, dies befreiende Ergebnis endlich zu vernehmen. Und dieser Chor schallte laut: „Vergiss es bloß nie, Ant! Zweites Gebot: Roboter träumen nicht. Robotern ist es untersagt zu träumen. Handelt ein Roboter wider diese Anweisung, sind die Grauen Wachen unverzüglich zu informieren und eine endgültige Abschaltung unumkehrbar.“
Es war wirklich erstaunlich. So sorgenvoll alles vor nur gut einer Minute noch war, so schnell kehrte wieder Fröhlichkeit ein in dieses Heim. Sogar Anthony lachte. Obgleich er ja wusste, dass er sehr wohl geträumt und somit eindeutig das Gebot verletzt hatte. Doch niemand konnte in seinen Kopf hineinschauen und all die grauen Windungen bis in den letzten Winkel ausleuchten, die Glomp gerade noch im Spaß seine Festplatte genannt hatte.
Zumindest konnte es nicht das kleine Gerät in dessen Hand, und nur das war wichtig. Demzufolge würde es für immer sein kleines Geheimnis bleiben. Auch wenn die anderen um ihn herum natürlich längst die Wahrheit ahnten. Viel zu oft schon hatte er diesen Albtraum von der verpatzten Prüfung geträumt. Aber auch so viele andere. Vor allem aber diesen einen Traum, der von einem Leben auf der Erde erzählte. Diesem zweiten Leben, das ihm selbst jedoch wie Realität war. Schon aus dem Grund, war es doch Realität. Oder etwa nicht?
Nein, nie würde jemand aus dem Team Anthony verraten. Auch nicht Ramshin, die sich immer so furchtbar streng, strikt und nur auf Regeln schauend gab, in ihrem Herzen aber noch nie einen Mörderdolch trug. Und dass Glomp auf seiner Seite war, das war erst recht unbestritten und so oft schon bewiesen. Das aber war ein gutes Gefühl.
Somit ist Fröhlichkeit vielleicht nicht ganz das richtige Wort, denn der kleine Zauberer bekam plötzlich sogar einen richtigen Heiterkeitsanfall. Wohl auch, weil all die Spannung, die sich in diesem schrecklichen Traum so unerträglich in ihm gestaut hatte, endlich eine Möglichkeit sah, durch dieses Ventil zu entwischen. Hatte er all die Tests zum Ende des zweiten Semesters in Wirklichkeit doch sogar mit einem Lob von Doktor Wustlonom bestanden. Und das ist doch mehr als nur außergewöhnlich, denn loben tat der sonst nie jemanden. Außer vielleicht Malon. Malon Nummer Acht. Auf alle Fälle nicht einen Loser wie ihn. Nannte er ihn doch ansonsten vielmehr immer nur eine große Schande für die Gilde der Zauberer. Die größte Schande, die es je gab. Und bereute es gar bitterlich, dass er ihm gegenüber ein Versprechen abgegeben hatte, das da lautete, dass er seine schützende Hand über ihn halten würde, bis zum Ende des fünften Semesters. Wegen dieses SCHATZES ALLER SCHÄTZE, den er ihm ja angeblich überreicht hatte. Damals, in einem Wald in Kanozplian.
Anthony aber war das ohnehin ziemlich egal, ob der alte Giftkopf ihn mochte oder eben nicht. Er war nämlich inzwischen ganz offiziell der Träger zweier goldener Finger. Und nichts anderes zählte für ihn. Denn das war etwas, das ihn nicht nur mit Stolz erfüllte, sondern auch glücklich machte. Schon darum konnte er gar nicht mehr aufhören zu lachen, sodass ihm, nachdem ihn der Diener mit sanfter Hand zu den anderen drei in das Bad geschoben hatte, und auch er sich endlich daran machte, die Zähne zu putzen, sogar die Bürste dauernd aus dem Mund fiel und er wild prustend weißen Schaum um sich herum verspritze.
Natürlich auch auf den einzigen Spiegel, der viel zu hoch hing und um den sich trotzdem alle herumdrängten wie um einen Gott. Da man so aber kaum noch etwas sah, wurde jetzt natürlich erst recht geknufft und gestoßen, dass es nur so eine Freude war.
Wobei Broms selbstverständlich nicht all seine Kräfte von der Leine ließ, denn dann wäre der Spaß ja schnell vorbei gewesen. Aber wenn die anderen drei zusammen an einem seiner Arme hingen und wild zerrten, dann gab auch er sich lachend geschlagen. Für einen Kämpfer ein höchst lobenswerter Charakterzug, will ein Kämpfer doch sonst immer gewinnen, selbst wenn er nur zum Spaß spielt.
Glomp aber schüttelte nur den Kopf, mit dem er zuvor noch so heftig sich selbst Mut machend genickt hatte, während er draußen bereits das Frühstück zuzubereiten. Diese Kinder! Immer wieder hörte er sie aus dem Badezimmer heraus poltern und kichern, wobei ihm aber selbst, nicht nur einmal, ein leichtes Grinsen um die Lippen flog. Jeden Morgen dasselbe Affentheater! Aber kein Wunder, sie waren ja noch so schrecklich jung. Und ernst werden soll man ja ohnedies nur im Alter. Und dann auch nicht allzu arg. Sind es doch nur noch wenige Tage, die man dann noch hat. Dauert der Tod im Gegensatz zum Leben doch geradezu unendlich lang. Und manchmal spürte er den seinen auch schon kommen. Immer näher und näher.
Kein schöner Gedanke. Sofort wich die stille Freude aus dem Gesicht des Dieners und machte plötzlich einem viel ernsteren Zug Platz, denn er wusste: Es gibt Dinge, vor denen kann man nicht fliehen. Nicht einmal er.
Dann aber schüttelte er erneut den Kopf. Nein, dem Tod kann man nicht entkommen und darum macht es auch keinen Sinn, sich über das Wie und Wann zu sorgen. Vielmehr freu dich am Heute und übe Nachsicht. Vor allem den Kindern gegenüber. Zumal ein starres Bestehen auf die Regeln des Benimms in diesem Fall nur falsch verstandene Erziehungswut wäre. Es wäre geradezu töricht.
Was nicht heißt, dass Glomp, wenn es sein musste, nicht auch streng werden konnte. War er doch so oft mehr ein Lehrer als denn ein Diener. Aber dieses besondere Badezimmer war nun einmal so arg beengt, dass ein ständiges Aneinanderstoßen geradezu unumgänglich war. Der fröhliche Lärm somit nur zwangsläufiges Resultat dessen. Wiewohl jede Anstrengung unternommen worden war, so viel an freiem Raum wie nur möglich zu schaffen. Gab es doch zum Beispiel nur eine einzige kleine Duschkabine. Nicht so wie daheim, wo jedem aus dem Team eine eigene zustand. Und auch nur einen einzigen schmalen Schrank, gleich neben dieser, in dem alle wichtigen Sachen untergebracht waren, die man sich im Bedarfsfall jetzt halt teilen musste.
So auch den Föhn. Den die kleine Sims aber dennoch schon ab dem ersten Tag als ihr alleiniges Eigentum betrachtete. Legte doch niemand sonst großen Wert auf seine Frisur. Die beiden Jungen nicht, war doch der Kamm von Geburt an ihr natürlicher Feind, aber auch nicht Ramshin. Haben die Weisen nun einmal anderes im Kopf als den eigenen Liebreiz. Dieser muss von innen verschönert werden und nicht im Außen. Die grauen Windungen zu tapezieren, mit all den Millionen Seiten aus all den tausend Büchern, nur das ist ihnen wertvolles Bestreben. Der Sinn ihres Seins.
Was im Umkehrschluss jetzt aber natürlich nicht heißen soll, dass die kleine Sims ein sorgloses Kind der Dummheit hätte sein wollen. Seicht und ohne jeden Anspruch. Im Gegenteil, alle waren über ihren Scharfsinn so oft verblüfft. Auch manch einer aus der Riege der Weisen.
Vor allem aber Anthony, der natürlich weit davon entfernt war, ein Weiser zu sein. Voll und ganz seine eigene Meinung, denn wenn es einen Trottel in der Truppe gab, dann war das eindeutig er. Unglaublich, wie oft er sich so richtig blöd anstellte. Und nicht nur einmal schämte er sich richtiggehend dafür. Auch dafür, dass die anderen ihn anscheinend immer nur mitzogen. Bei den Wettkämpfen, aber auch sonst. Ihn, den dicken Klotz am Bein. In der Tat, Doktor Wustlonom hatte völlig Recht, er war eine einzige Schande für die Gilde der Zauberer und Hexen.
Ein Glaube, der so aber gar nicht stimmte. Wie es so oft mit dem Glauben ist. Hatte der kleine Zauberer doch inzwischen einige Sachen ganz ordentlich hingekriegt. Um nicht zu sagen: In manch einer Situation hatte er gehandelt wie ein richtiger Held. Auch wenn er ja noch nie einer sein wollte. Sind die doch am Ende des Films meist totgeschossen. Und die Gruppe war nur zusammengeblieben, dank seiner Taten. Was er dann aber wieder als reines Glück abtat. Manchmal war er schon arg bescheiden.
Ein Charakterzug, den er wiederum mit der kleinen Sims gemein hatte, denn auch wenn ihr ihre Frisur schon immer sehr am Herzen lag, so kann man jetzt nicht sagen, sie wäre eine besonders eitle Person. Sie putzte sich ja nicht ständig heraus oder gab sich gar affektiert. Sie legte Wert auf ein gepflegtes Äußeres, mehr nicht. Das aber ist nicht verwerflich. Für kein Alter und für kein Geschlecht. Auch nicht für einen kleinen Roboter. Und eigentlich trug sie ihr Haar fast jeden Tag so oder so in gleicher Manier, die eine Seite schwarz, die andere weiß. Und nur zu besonderen Gelegenheiten kamen die Teamfarben zum Einsatz: Blau und Weiß. Und vielleicht einmal in der Woche etwas ganz anderes. Was dann zumeist aber doch arg verrückt war. Der ganze Kopf lila mit gelben Punkten darin, als ob ein seltsamer Pilz oder gar grün-rot kariert wie eine Tischdecke.
Allerdings bedeutete schwarz und weiß nicht immer dasselbe, obzwar so ähnlich. Denn auf welcher Seite des Scheitels gerade das eine oder das andere angesagt war, das konnte sich binnen weniger Sekunden ändern. Ein Körperwandler bleibt nun einmal ein Körperwandler. Da wird sich nie etwas daran ändern. Und die machen sich halt gerne einen Jux daraus, die anderen mit ihren kleinen Tricks zu verblüffen. Manchmal natürlich auch, um sie schlichtweg zu ärgern. Doch in diesem Zusammenhang sei sofort festgestellt, nur selten neigte die kleine Sims dabei zur völligen Übertreibung, trug ihre Nase mitten auf der Stirn oder die Ohren unter dem Kinn. Nicht einmal, wenn sie schmollte.
Kein Wunder also, dass auch jetzt der Föhn gar lustig in Sims‘ Hand brummte. Wenn auch sonst, da Glomp bereits zweimal zu Tisch gerufen hatte, wobei er mit immer strengerem Ton zur Eile mahnte, inzwischen etwas mehr Ruhe eingekehrt war. In diesem Badezimmer, das ja nicht einmal ein Viertel der Größe hatte wie das in ihrem kleinen Häuschen in Ibalon. In der Stadt der lärmenden und lernenden Roboter. Was aber auch nicht anders erwartet werden kann, befanden sie sich ja zurzeit auf Reisen.
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Präziser gesagt, das Team mit der Biene auf der Brust befand sich auf Tournee. Und dieses Badezimmer war somit eigentlich gar kein Badezimmer im klassischen Sinn, als denn eher eine etwas vergrößerte Nasszelle. Befand es sich ja auch nicht in einem Haus, sondern in einem rollenden Wagen. Einem, der bunt angemalt war und in welchem sie von Dorf zu Dorf zogen, von einem Zirkusplatz zum nächsten. Aber nicht, weil vielleicht Ferienzeit war und am Ende aller Wege der Strand auf sie wartete, sondern weil das von der Schulleitung so gewollt war. Denn dieses dritte Semester war ja dazu auserkoren worden, oder zumindest die erste Hälfte dieses Semesters, über das Land zu ziehen, um so ihr bisher gesammeltes Wissen und Können in der Praxis zu testen. Um dem Volk zu zeigen, dass seine Steuern nicht sinnlos verprasst wurden. Und das Volk liebte diese Art der Unterhaltung. Vor allem das einfache und ländliche Volk.
Oder, näher an der Wahrheit, nur das einfache und ländliche Volk liebte diese Art der Unterhaltung, denn in den großen Städten war man selbstverständlich Besseres gewohnt, als kleinen Robotern bei ihren ersten öffentlichen Gehversuchen zuzuschauen. Gab es dort doch große Varietés und Zirkuszelte, die es an Umfang mit ganzen Stadien aufnehmen konnten. Aber in den Gegenden, die so weit abgelegen waren, dass es dort nicht einmal einen vernünftigen Fernsehempfang gab, oft für viele Tage am Stück nur Schneesturm auf der Mattscheibe, manchmal nicht einmal den, da war solch ein Zeitvertreib immer gern gesehen. Denn so fortschrittlich die einen, so rückständig die anderen. War Robotanien doch viel größer, als Anthony sich das jemals hatte vorstellen können. Viel, viel größer. Aber zugleich auch viel, viel geheimnisvoller.
In diesen verlassenen und entlegenen Winkeln, da war man in der Tat froh um jede Form der Unterhaltung. Auch wenn es ja gar nicht so viele Steuern waren, die in ihre Schule flossen, denn das meiste wurde ja ohnehin von den Besitzern der einzelnen Teams aufgebracht. Eine Wahrheit, auch wenn einige Politiker gewisser Parteien gerne etwas anderes behaupten.
Von jenen Besitzern, wie zum Beispiel Herrn Hampalan. Dem größten Produzenten von Honig weit und breit. Der hatte ja nicht nur mächtig viel Kohle in die Geldbörsen der verschiedenen Produzenten stopfen müssen, als er Anthony, Ramshin, Broms und Sims damals erwarb. Vor allem natürlich für Broms. Die anderen waren ja mehr oder weniger Schnäppchen gewesen. Wenn man bei dieser Art von Roboter überhaupt so despektierlich von solch einem sprechen darf, trugen sie doch alle diese Nummer auf ihren Fußsohlen: X3-Z04, wie eintätowiert, die besagte, dass sie das Ergebnis langwieriger Forschungen waren und somit das neueste Modell. Dementsprechend oft viel menschlicher als ebendiese Menschen selbst. Denn was für den einen eine günstige Gelegenheit, das verdient ein anderer nicht in drei Leben. Nein, zudem musste er ja auch noch für deren Ausbildung einen noch viel dickeren Batzen jeden Semesteranfang auf den Tisch des Schatzmeisters der Schule legen. Und nicht zu vergessen, zudem für ihren täglichen Unterhalt Sorge tragen. Wenngleich sie dafür die Biene auf der Brust trugen. Sein Markenzeichen. Natürlich auch außen auf den Socken, den Kappen und auf ihren blauen Shorts. Nicht nur bei den Wettkämpfen.
Somit waren sie wiederum ein guter Werbeträger. Nicht einmal gezwungenermaßen, als denn eher freiwillig und mit Stolz. Ein bisschen wollten sie ihrem Herrn Hampalan nämlich schon zurückgeben. Waren doch nur wenige bereit, sich so etwas Kostspieliges wie sie zu leisten. Außerdem war er für einen Menschen zu Robotern immer sehr nett und zuvorkommend. Eine Einstellung, die in Ibalon nicht vorausgesetzt werden kann und sollte.
Aber im Vergleich zu den Teams, die im Besitz viel größerer Firmen waren, wurde das ihre schon des mageren Budgets wegen natürlich ganz offiziell immer als Privatteam geführt. Da waren die Vorschriften unverrückbar. Was leider nicht von Vorteil war.
Im Gegenteil, denn das hieß, dass sie knallhart von Anfang an wichtiger Privilegien beraubt wurden. Was sehr ungerecht war und einer Doppelbestrafung nahekam, war dieses Budget ja ohnehin bescheiden genug.
Natürlich immer in Relation betrachtet, schließlich starben auf den Straßen von Ibalon jeden Tag Dutzende von Robotern an Elektronenhunger, weil ihre Akkus marode waren oder weil es ihnen ganz einfach an Geld mangelte, diese an den Stationen rechtzeitig aufzuladen. Von denen, die an völlig verklumpten Leitungen erbärmlich verreckten, weil sie sich nur billigstes Öl für die monatlichen Inspektionen leisten konnten, gepanscht und gestreckt von raffgierigen Händlern, gar nicht erst zu sprechen. Aber sie wurden zumindest nicht mit dem Taxi in die Schule gefahren, wie so viele andere Teams, sondern nahmen immer den Bus. Jeden Tag, ohne Ausnahme.
Den sie aber natürlich auch benutzten, wenn sie irgendeinen anderen Termin in der Stadt einzuhalten hatten. Zum Beispiel den beim Zahnarzt. Den einzuhalten, ihr Besitzer ihnen aber geradezu befahl. Wusste der doch genau, was sein Honig bei mangelnder Pflege so alles im Mund anstellen kann. Oder wenn sie auf ein Amt mussten, um irgendwelche Papiere abstempeln zu lassen. Selbst dann, wenn das für sie hieß, dass sie mitten in der Nacht aufzustehen hatten. Lagen doch die An- und Abfahrtszeiten mancher Bus- und Zuglinien so ungünstig, dass ein fließendes Umsteigen nicht immer möglich war. Zudem Ibalon einfach nur riesig war. Würden doch, zum Vergleich, auf Anthonys guter alter Erde gar manche Länder Platz darin finden. Gar nicht erst zu sprechen davon, wenn es zu irgendwelchen Wettkämpfen hinaus aufs Land ging. Da standen sie sich oft stundenlang in den Busstationen die Beine in den Bauch. Nur das kalte Licht der vier Monde über sich. Was dann wenigstens ein bisschen entschädigte, strahlte doch der eine in einem satten Rot, viel heller als die anderen drei zusammen, der zweite diffus metallisch blau, der dritte lila, auch ziemlich hell, und nur der letzte matt und silbern, so langweilig und trüb, wie es Anthony von der Erde her kannte.
Und auch für die Mensa reichte das Geld nicht. Was aber mitnichten als Strafe empfunden wurde, denn dann aß man einfach die Pausenbrote, die der gute alte Glomp immer so üppig belegte. Das machte nicht nur satt, auch Broms, sondern schmeckte mindestens doppelt so gut. Sogar so lecker, dass es fast schon an ein Wunder grenzt, dass Anthony nicht auch auf Robotania schon längst seinen kleinen Gürtel aus Speck um die Hüften trug.
Doch davon abgesehen waren die meisten Teams aber ohnehin keine Privatteams, sondern Teams, die sich in den Händen der Mächtigen befanden. Wie zum Beispiel dem Fürsten von Ibalon. Womit sich der Kreis schließt. Denn auch wenn der dies nicht unbedingt als eine Mühsal ansah, der er von Amts wegen her nachzukommen hatte, sondern sich vielmehr mit einer fast schon krankhaft pathologisch zu nennender Begeisterung um seine diversen Roboterteams kümmerte und sie ständig mit dem Neusten vom Neuen versorgte, was auf dem Markt zu bekommen war, so waren es ganz eindeutig die Steuern seiner Untertanen, die dieses Vergnügen finanzierten. Zog sich der Fürst doch nie um acht Uhr in der Früh einen Blaumann über, stempelte an der Uhr seine Karte ab und ging dann einer geregelten Beschäftigung nach. Reparierte mit dem Schraubenschlüssel in der Hand womöglich defekte Roboter im Einwohnermeldeamt, oder leerte die Mülleimer in den Parks. Aber nur über die Steuern finanzierten sich sein Prunk und seine Pracht.
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Einer nach dem anderen, wobei Broms natürlich der Erste war und Anthony der Letzte, tröpfelten die vier irgendwann doch noch aus dem Bad und setzten sich an den Tisch, der wie immer reichlich gedeckt war. Mit allerlei köstlichen Sachen, denn selbst unter diesen erschwerten Bedingungen ließ es sich Glomp nicht nehmen, für seine kleinen Lieblinge das Beste und das Gesündeste zu organisieren. Es gab Orangensaft, Milch, Schinken, Eier, diverse Marmeladen, Käse und ein großes Glas mit Honig. Wobei sich das Letztere aber von selbst versteht. Aber auch Nüsse und eine große Schale mit Getreide für ein Müsli. Sodass es alles in allem fast so luxuriös war wie daheim in Ibalon.
Kurz wurden die Stühle noch hin- und hergerückt, dann auch schon griff man sich bei den Händen und wünschte einander einen guten Appetit. Wobei die vier kleinen Roboter ihren alten Diener selbstverständlich nicht vergaßen, obschon der seit Stunden wach war und bereits gefrühstückt hatte, als sie noch in der Kiste schliefen. Drei selig, der andere von Albträumen geplagt.
Dann ging Glomp ins Bad, um dieses zu putzen, damit sie sofort nach dem Frühstück nach Nachrim aufbrechen konnten. War ja nur aus diesem Grund dieses hinter das Zähneputzen gestellt worden. Obwohl es ja eigentlich nur andersherum wirklich Sinn macht. Eine Veränderung zu ihrem gewohnten morgendlichen Ritual in Ibalon, wie sie auf dieser Reise allerdings bereits so einige andere über sich hatten ergehen lassen müssen.
Broms wiederum, kaum dass der Chor verstummt war, griff sich auch schon ungeduldig sein erstes Brötchen und versenkte gierig seine Zähne in diesem. Auch ohne Belag. Geradezu so, als ob ihn seit vielen hundert Jahren ein unsagbarer Hunger quäle. Und das, auch wenn er nicht einmal im Ansatz so alt war und seine Zähne erst gestern reichlich zu tun bekommen hatten.
Was Anthony, obwohl er es ja jeden Morgen mit ansehen durfte, zu der Äußerung verleitete: „Mein guter Broms, was ich nicht ganz verstehe, ist, dass sie bei euch Kämpfern nach der Semesterprüfung immer nur ein paar Rippen auswechseln. Die normalen gegen die goldenen. So wie wir Zauberer und die Hexen ja immer einen goldenen Finger mehr hinzubekommen. Zuerst den Zeigefinger, dann den Mittel-, Ring- und den kleinen Finger, und zuletzt den Daumen“, um dann, anscheinend plötzlich den Faden verlierend, was er eigentlich hatte sagen wollen, noch rasch anzufügen, nur um niemanden am Tisch zu vergessen: „Was selbstverständlich bei den Körperwandlern auch nicht viel anders ist, denen ja jedes Mal eine neue Lage ihrer speziellen Haut aufgelegt wird.“
Wobei der kleine Zauberer jetzt zu Sims hinübersah, die so unerwartet angesprochen ein wenig irritiert die Augen vom Rand ihrer Schale hob, die sie gerade dabei war, mit Milch für ihr Müsli zu füllen. Sie verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte. Nur um ihm dann doch noch nickend ihre Zustimmung zu geben, während sie mit ihrem Löffel ein paar Rosinen einzeln in der weißen Flüssigkeit verschwinden ließ. Denn das mit der Haut stimmte ja. Jedes Semester eine Lage mehr. Dafür ein paar Knochen weniger und die verbliebenen ein bisschen weicher gemacht.
Auf die andere Seite, zu Ramshin hinüber, sah Anthony jetzt allerdings nicht. Vielmehr ließ er sie in diesem Zusammenhang sogar gänzlich außen vor. Aber nicht, weil er unhöflich sein wollte, sondern nur der Verlegenheit wegen. Denn ob sie als Weise nach jeder Semesterprüfung ein neues goldenes Gehirn eingepflanzt bekam, was Broms gerne erzählte, wenn er sich über sie lustig machen wollte, oder ob eventuell nur ein Teil davon ausgetauscht wurde, ein Gerücht, das der kleine Kämpfer natürlich noch viel lieber verbreitete, das wusste niemand. Außer eben sie selbst und all die anderen ihrer Zunft. Und herauszubekommen war aus ihr ja auch nichts. Schwieg sie, die sie die Welt ja sonst so gerne belehrte, dies Thema betreffend, erstaunlicherweise noch energischer als ein Stein in der Mauer, wie Broms dazu nämlich auch noch gerne sagte. Was ihr aber weder der noch einer der anderen krummnahm, wussten doch alle, dass es jedem Weisen verboten war, bei Androhung der endgültigen Abschaltung, darüber auch nur eine Silbe zu verlieren. Jedem Weisen, nicht nur den kleinen Schülern, sondern auch den größten Koryphäen ihres Faches.
Bevor aber deswegen betretenes Schweigen eintreten konnte, erinnerte sich Anthony zum Glück endlich wieder daran, was eigentlich der Sinn seiner kleinen Ansprache war. Sodass er sich wieder Broms zuwandte und genau an dem Punkt fortfuhr, an dem scheinbar die Spur seiner Worte verloren gegangen war: „Doch wenn du so weiter in dich reinfutterst wie eine schwangere Bärin, wäre es vielleicht ganz nützlich, wenn sie dir nicht nur ein paar neue Rippen, sondern auch einen kompletten Satz neuer Zähne spendieren. Die originalen dürften bei der unglaublichen Beanspruchung ja schon bald abgenutzt sein. Und das wird schlimm werden, nicht nur, weil schöne, strahlend weiße Zähne der Stolz eines jeden Roboters sind, sondern weil wir dich dann mit Brei füttern müssen. Wie so ein Menschenbaby. Und glaube mir, ich weiß nicht, ob wir, obwohl zu dritt, überhaupt so viel Arme dafür haben.“
Ramshin lachte laut auf, die Anthony anscheinend mühelos hatte folgen können, trotz dieser ziemlich seltsamen Unterbrechung. Sie war halt eben doch die Klügste. Dann lobte sie ihn sogar: „Der war nicht schlecht, mein guter Ant. Meine Anerkennung, denn auch ich fürchte, irgendwann wird Broms noch den ganzen Tisch auffuttern, das Geschirr und Besteck mit dazu. Das dürfte dann ein ziemliches Knuspern und Krachen geben. Und die von dir empfohlenen neuen Beißer würden da sicher nicht schlecht passen. Golden und extrem robust.“
Aber auch Sims kicherte, während sie mit einer Hand ihre Müslischale in die Mitte des Tisches schob und sich mit der anderen einen schmalen Bart aus Milch von der Oberlippe abwischte. Im Gegensatz zu Broms war sie bereits fast fertig mit ihrem Frühstück. Wog sie ja auch nur die Hälfte von ihm, wenn überhaupt. Ein bisschen Milch, ein paar Rosinen, ein gehäufter Löffel mit Getreide, das war ihr genug. Aber natürlich auch noch die übliche Banane, die sie gerade aus dem kleinen Korb herausfischte. Oder eben das Stück Obst, das hier auf Robotanien einer Banane, so wie sie Anthony von der Erde her kannte, am nächsten kommt. Vom Geschmack wie von der Form und vor allem von der Farbe her.
Der kleine Kämpfer aber schluckte nur gelangweilt seinen Bissen hinunter und grummelte: „Ha, ha, Ramshin. Sehr lustig. Ha, ha, wirklich sehr lustig.“ Denn natürlich wandte er sich erst einmal gegen sie, auch wenn er ja eigentlich ursprünglich von Anthony veralbert worden war. Aber zwischen ihm und der kleinen Weisen lief eine ewige Fehde. Von morgens bis abends. Und jeder versuchte dabei, den anderen zu besiegen. Allerdings nie in böser Art. Mehr des Spaßes und der Unterhaltung wegen.
Und wie zum Beweis, da grinste Broms auch schon wieder. Allerdings auch ein wenig verschmitzt, denn er fügte noch an: „Ich hätte da übrigens eine Frage an dich, Ramshin. Mehr ein kleines Rätsel. Ein Rätsel für die Ach, so ewig Kluge am Tisch. Du bist doch auch des Morgens schon für ein solches zu haben, oder etwa nicht?“
Eine Frage, die selbstverständlich ohne jede Bedeutung war. „Nur zu, mein guter Broms, nur zu!“, war nämlich die prompte Antwort. „Rätsel sind meine große Leidenschaft, wie du weißt. Nur wenige, die ich nicht zu lösen vermag“, und eine gewisse Gespanntheit, aber auch eine gewisse Selbstsicherheit zog dabei wie ein Schleier über Ramshins Gesicht.
Allerdings auch über das von Broms. „Also“, begann er, wobei er tatsächlich für einen kurzen Moment kein Essen mehr in den Händen hielt, was einem kleinen Wunder gleichzusetzen war. Die Sache war ihm anscheinend sehr wichtig. „Das Rätsel lautet: Über 20 Musiker eines stadtbekannten Orchesters spielen gemeinsam vor einem großen Publikum und dennoch hört ihnen niemand zu. Warum nicht?“
Kurz war es jetzt still. Anthony, der eigentlich nur froh war, endlich mal einen Witz angebracht zu haben, über den auch Ramshin hatte lachen können, und der gerade dabei war, sich ein Glas mit Orangensaft einzugießen, war sogar wie schockgefroren. Regungslos verharrte seine Hand mit dem Krug mitten in der Luft, als wolle sie diesen auf einem Brett abstellen, das irgendwelche unsichtbaren Engel dort soeben hin genagelt hatten. Hatte er doch ganz genau hingehört. Deswegen auch runzelte er die Stirn und stellte fest, während sich die Hand dann doch noch senkte, schon wegen des Gewichts des Kruges, wenn auch nur wie in Zeitlupe: „Das ist aber ganz schön schwer.“ Obwohl er ja eigentlich gar nicht der war, von dem eine Lösung erwartet wurde. „Wie kann das denn sein? Sind die denn alle taub?“
Ramshin hingegen schüttelte nur ein wenig unwillig den Kopf. „Um mich reinzulegen, da musst du dir schon etwas Besseres ausdenken, mein guter Broms“, stellte sie dazu fest. Um dann noch etwas gelangweilt und überheblich anzufügen: „Da antworte ich gar nicht erst drauf. Das ist mir, ehrlich gesagt, viel zu billig.“
Der so Zurechtgewiesene war für einen kurzen Moment überrascht, ließ aber nicht locker. „Ja, wenn es so unglaublich billig ist, dann kannst du mir doch trotzdem die Lösung sagen“, bohrte er nach. Konnte er die Hoffnung doch nicht so einfach fahren lassen, endlich mal wieder in einem Wortgefecht gegen die immer so allwissende Ramshin die Oberhand zu behalten. Obgleich er schon ahnte, allein wegen des triumphierenden Ausdrucks, der über die Backenknochen seiner Kontrahentin huschte, dass er auf verlorenem Posten stand. Auch dieses Schiff voller Worte war ganz offensichtlich wohl bereits im Hafen gesunken. Wie so viele zuvor.
So war es auch. Auch wenn es Sims war, die dem kleinen Kämpfer die richtige Antwort gab. „Gib es auf, Broms“, stellte die nüchtern fest. „Das Ding hat so einen langen Bart, damit kann man zehn Kopfkissen füllen. Eine große Schere vorausgesetzt. Das Orchester spielt natürlich keine Musik, sondern Randeln.“