Anthony Noll und das Labor Sobizalis (Final Cut) - Francis Linz - E-Book

Anthony Noll und das Labor Sobizalis (Final Cut) E-Book

Francis Linz

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Beschreibung

Dies ist das vierte Abenteuer von Anthony Noll. Dem Jungen, der zwei Leben führen darf. Eines hier auf Erden und eines weit draußen in den Tiefen des Weltraums, wo er ein zaubernder Roboter ist. Eine Serie, die einen in ein völlig neues Universum entführt. Fantastisch und in Farben gemalt, die noch nie ein Auge zuvor gesehen. Das ist versprochen! Buch 1: Das Erwachsenwerden ist schwer, das muss auch Anthony erkennen. Zumal da ja noch die Sache mit den Mädels ist. Zum Glück geht es wenigstens Frau Watenbloom gut. Wohingegen Ramshin plötzlich ungewohnte Schwächen zeigt. Sie und all die anderen kleinen Roboter aus der Reihe der Weisen wurden nämlich Opfer eines heimtückischen Virus, der nur einen Bruder hat, man nennt in Tod. Buch 2: Ja, mächtig sind die Waffen von Dalafong, aber wird es Anthony und den anderen gelingen, diese eine spezielle zu finden? Eine schwierige Frage, und doch nur eine von vielen, denn ist Cowboy dazu berechtigt, eine Seele zu bewachen, oder muss es ein Indianer sein? Nicht zu vergessen, die Irrungen der Liebe, so oft ein Schloss, dann aber in den Wellen der Zeit zerbrechend. Besonders wenn aus Sand erbaut. Nein, die Toten, sie lieben nicht. Die Toten, sie schweigen immer nur. Ein modernes Märchen für all die, die im Geiste jung. Aber natürlich auch für all die, die an die große Kraft der Freundschaft glauben, und daran, dass eine Seele immer schön ist, egal in welcher Brust sie liebt und lebt. „Die beste Fantasy-Serie über KI, die KI nie wird schreiben können!“ Ibalon Daily Observer

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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IMPRESSUM:

Widmung

BUCH I

Die Verfolgungsjagd

Das S-B-B (Schwebbrett)

Landung auf dem Dach der Schule

Der Geburtstag der alten Dame

In der Mensa

Der neue Direktor

Letzte Befehle

Ein dummer Zufall

Ein neuer Freund und so viel Kuchen

Ein Wettkampf wird geplant

Eine billige Nachricht (für scheinbar viel Geld)

Wörter am Boden

Eine gehörige Kopfwäsche

Kleine grüne Pillen

BUCH II

Malon der Großkotz

Sonne in der Nacht

Der Ball

Ein Lumpen an der Wand

Eine zweite Adresse

Sims und ihr Geheimnis

Ein Indianer und ein Cowboy

Eine dritte Kraft

Ein neues Zuhause wird gesucht

Die Kappe des Nirgendwo

Ein kurzes Gespräch

Wenn es Pillen regnet

Ein neues Zuhause wurde gefunden

Letzte kleine Rätsel

Der Meister und sein Diener

Alle Anthony Noll Romane:

FRANCIS LINZ

 

Anthony Noll

und das Labor Sobizalis

 

 

 

BUCH I (wenn kleine Roboter neue Freunde finden)

Buch II (wenn kleine Roboter ein Memory legen)

 

 

 

 

IMPRESSUM:

 

Autor:

Francis M. Linz

Gravelottestr. 4

81667 München

Germany

 

 

© Francis Linz 2015

 

E-BOOK / Version Epub2

ISBN: 978-3-911350-34-1

Wörter: 178.000

Geschrieben: Herbst/ Winter 2014/15

Auflage: Final Cut / Frühjahr 2024

 

Umschlaggestaltung/Illustrationen: © Franus Graueis 2021

 

Von diesem Werk gibt es auch ein Hardcover.

 

Weiteres siehe: www.Francislinz.com

od. www.Anthony-Noll.de

 

 

…………………………………………………………………

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

Widmung

 

Buch 1

 

Für Katja, Sabine, Susi, Karin,

Claudia, Corinna, Bettina, …

Auch wenn kein Schloss den Wellen der Zeit

hat widerstehen können,

ich habe Euch nicht vergessen ;-)

 

Buch 2

 

Für Brigitte,

ich erinnere mich gern an die gemeinsamen Stunden ;-)

 

 

(Dank an alle,

die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben.)

 

************

 

 

 

BUCH I

(wenn kleine Roboter neue Freunde finden)

 

 

 

Die Verfolgungsjagd

 

„Gib mehr Gas!“, schrie Mathilda. „Gleich haben sie uns.“

Und als ob es diesen warnenden Ruf noch in irgendeiner Weise in seiner Dringlichkeit zu untermauern gälte, da hörte man auch schon die Kugeln der Pistolen, wie sie hinten in den Kofferraum des Wagens einschlugen. Genau sieben Stück. Geradezu im Sekundentakt.

Doch dass Anthony von diesem neuen Umstand, der nun wirklich alles andere als erfreulich war, erschreckt worden wäre, das konnte man nun nicht gerade behaupten. Was aber vielleicht nur daran lag, weil niemand erschrickt, dessen Puls das Blut bereits in wilden Wirbeln durch die Adern jagt. Mehr an Anspannung war einfach nicht mehr möglich. Doch für einen kurzen Moment war er zumindest leicht irritiert. Auch weil es höchst seltsame Geräusche waren, die diese Einschläge begleiteten. Ganz deutlich und ein jedes Mal, obwohl der Motor so laut heulte, dass man denken wollte, eine Riesenmaus hätte ihre Pfote unglücklich in einer Tür gequetscht. Doch das war eine andere Frequenz. Das Klappern der Ventile war schrill, und je schneller sie ihrer Arbeit nachgingen, desto schriller wurde es, die Einschläge hingegen dumpf. Dumpf und dunkel. So ganz anders, als man es vom Fernseher gewohnt ist. Aus einer dieser tausend Actionserien, die dort am Feierabend flimmern. Der edle Kommissar jagt den bösen Verbrecher. Der edle Kommissar gewinnt immer.

Und war das schon irritierend, so war es der Umstand noch umso vieles mehr, dass diese Geräusche, obschon so noch nie gehört, dennoch irgendwie vertraut klangen. Wenn auch aus einem ganz anderen Zusammenhang kommend. Fühlte der kleine Zauberer sich doch durch sie daran erinnert, als er einmal große Steine in einen Fluss warf. Das hörte sich nämlich genauso an. Sehr große Steine, die er kaum zu heben vermochte. Die er noch dazu nicht einfach nur so vom Ufer weg in diesen Fluss warf, sondern mühsam viele Schritte geschleppt hatte, um sie letztendlich über das Geländer einer Brücke zu kippen.

Aber nicht irgendeiner Brücke, sondern jener ganz speziellen, deren Geländer vor vielen Jahren das Auto der Walkers bei voller Fahrt durchbrochen hatte. Oder, um die Blätter am Kalender eins nach dem anderen ordnungsgemäß abzureißen, vor genau neun Jahren. Das dann, nach einem wilden Looping durch die Luft, mit dem Dach auf den Fluss aufklatschte, den diese Brücke querte. In dessen kalten Fluten er wiederum beinahe auf der Rückbank sitzend ertrunken wäre. Wenn er es nicht sogar war, so real fühlte es sich an. Und auch wenn dieses Geländer inzwischen repariert war, so war die Stelle des Unfalls noch immer gut zu erkennen. Das Holz der Bohlen war dort nämlich sehr dunkel und noch nicht so verwittert und von der Sonne ausgebleicht wie der Rest. Immer wieder zog es ihn an diesen Ort. In geradezu magischer Weise. War das doch der Punkt, an dem sich sein Leben einst zu wandeln begann. In so unglaublich atemberaubender Weise.

Zumindest bewusst. Denn angefangen hatte das alles ja etwas früher, und zwar an Anthonys sechstem Geburtstag. Dieses Leben mit den zwei Leben. Eines hier und eines auf Robotanien. Wenn er denn Raptonom Waltonom glauben durfte, seinem Vater wider Willen. Aber warum sollte er an dessen Worten zweifeln?

Doch dann war der kleine Zauberer auch schon wieder zurück im Hier und Jetzt. „Ich tu ja, was ich kann!“, brüllte er zurück. „Aber mehr gibt die lahme Kiste einfach nicht her.“

Er hieb sogar verärgert mit einer Hand auf das Armaturenbrett ein. Fast so, als ob er ebendiese lahme Kiste damit eventuell um ein paar km/h beschleunigen könne. Immer und immer wieder. Aber erst als er merkte, dass das auch nicht half, stellte er nüchtern fest: „Wir hätten uns vielleicht doch für einen stärkeren Wagen entscheiden sollen.“

Was so sicher stimmte und somit eine Aussage war, die Mathilda nie und nimmer in Zweifel gestellt hätte. Dafür war sie ein viel zu kluges Mädchen. Viel zu klug und viel zu logisch. Die sie aber dennoch nicht so recht gelten lassen wollte. Schon aus dem Grund: Sie war es leid! So einfach kam ihr Anthony diesmal nicht davon. Er war zwar ihr bester Freund, und ohne ihn und seine unglaublichen Abenteuer wäre das Leben in diesem öden Kaff ihr geradezu unerträglich und sie vor Langweile bestimmt schon längst umgekommen, da halfen auch nicht die vielen Bücher, die sie ständig las, aber ihn gelegentlich ein wenig zurechtstutzen, das konnte gewiss nicht schaden. Nicht, dass er noch abhob. An Schnüren in die Lüfte gezogen wurde von seinen Tagträumen wie von einem bunten Strauß Luftballone. Vor allem aber, nicht dass er bemerkte, wie sehr sie ihn eigentlich für den Rest bewunderte. „Hätten, hätten“, äffte sie ihn nach, um dann noch ein wenig von oben herab anzufügen: „Nur Dummköpfe tragen die Socken über den Ohren, die Klugen nehmen lieber gleich eine Mütze.“

Das aber saß! Das konnte man deutlich merken. Kurz war es darum jetzt sehr still.

Oder, der Wahrheit ein noch aufrichtigerer Freund, da das Heulen des Motors sich ja nicht so einfach vergessen ließ, kurz war es jetzt so, als ob die Zeit sich plötzlich ein wenig mehr Zeit als sonst nahm. Wenn man das so banal über die Zeit sagen darf. Als ob der Sprung zur nächsten Sekunde plötzlich zwei dauern würde. Denn was war das nur für ein seltsamer Spruch? Noch dazu in dieser Situation. Ganz abgesehen davon, dass der sich doch eigentlich auf einer ganz anderen Welt zu Hause fühlen sollte. Auf einer Welt namens Robotanien. Wo er nämlich einst im Kopf eines Kämpfers geboren wurde. Vor vielen Jahren. Eines Kämpfers namens Broms.

Oder, um der Wahrheit in diesem Fall sogar ein aufrichtiger Bruder zu sein, wo dieser Spruch einst im Kopf eines Kämpfers namens Broms Honig Nummer 13 geboren wurde. Ist doch sein Besitzer der größte Produzent dieses süßen Stoffes weit und breit. Der seitdem diesen Spruch oft und immer wieder gerne fallen ließ. Vor allem, wenn er mal wieder in einen seiner ungezählten Dispute mit Ramshin verstrickt war, der Weisen aus dem Team. Dem Team mit der Biene auf der Brust, dem auch Anthony angehört, der dort allerdings Ant gerufen wird. Ist das doch der Spruch, der seiner Meinung nach auf alles anwendbar ist. Der hilft, wenn alles andere nicht mehr hilft.

Schon deswegen war Anthony einmal mehr ziemlich irritiert. Mehr noch als durch die seltsamen Geräusche der Pistolenkugeln, als diese sich in das Blech des Kofferraums ihres Wagens fraßen. So dumpf und ungewohnt. Und erst nach dieser kleinen Pause, in der die Zeit sich etwas mehr Zeit als gewöhnlich nahm, war er in der Lage, das Gespräch fortzuführen. Gleichbedeutend aber nur damit, dass er verblüfft fragte: „Was meinst du denn bitte damit?“ Wobei er für einen Moment sogar vergaß, mit seinen Händen das Lenkrad weiter wild hin und her zu reißen.

Das war allerdings keine besonders gute Idee, denn höchste Aufmerksamkeit war gerade in diesem Moment gefragt. Und beinahe wären er und Mathilda deswegen jetzt sogar über eine der vielen Kurven hinausgeschossen, die ständig vor ihnen auftauchten. Es war verdammt knapp! Gerade noch so hielten die beiden linken Reifen den Kontakt zum Asphalt, während die Pfosten auf dem rechten Straßenrand bereits von der vorderen Stoßstange wild durch die Luft geschossen wurden.

Wobei die Mehrzahl durchaus angebracht ist, denn es war nicht ja nur ein Pfosten oder vielleicht zwei, sondern mindestens ein Dutzend, die auf diese recht rustikale Weise ihrer Wurzeln beraubt wurden. Die zum Glück aber alle aus Plastik waren und nicht aus Holz, sodass sie letztendlich keinen wirklichen Widerstand leisteten. Einer landete sogar, nachdem er zuerst auf einen Baum geprallt war, der etwa drei Meter hinter ihm stand und von dem er direkt wieder zurückgeworfen worden war, mitten auf der Motorhaube. Wo er, für einen kurzen Augenblick, scheinbar einen selbstverliebten Tanz um sich selbst herum aufführte. Um sich erst dann, über das Dach hinweg, wo er auch noch einmal kurz polternd anklopfte, schlitternd auf die Fahrbahn hinter ihnen zu legen. Auf der er dann aber auch kein ernsthaftes Hindernis darstellte. Zumindest nicht für den sie verfolgenden Wagen. Einfach so rumpelte der nämlich darüber hinweg.

So auch der zweite und dritte Wagen, die beide vorher wie unsichtbar waren und die nur dank der vielen Kurven jetzt auch im Sichtfeld des Rückspiegels auftauchten.

Wenngleich sich der Dank von Anthony, diese Neuigkeit mit raschem Blick erkennend, natürlich in Grenzen hielt. Da sich ja auch aus deren Seitenfenstern immer mehr dunkle Pistolenläufe schoben, nur zu dem Zweck, Kugeln voller Bosheit zu verschicken. Hatten diese doch endlich wieder ein Ziel.

Es war unbestreitbar, die Flucht der beiden Kinder wurde immer gefährlicher und war in letzter Konsequenz so gut wie aussichtslos. Was Mathilda, die sich rasch umgedreht hatte, um die neue Bedrohung über die Rückenlehne hinweg ab jetzt immer im Auge zu behalten, und die inzwischen fast seitlich auf ihrem Sitz saß, aber nicht davon abhielt, Anthony doch noch zu antworten. Nicht aber aufgeregt rufend, wie noch vor Minuten, und wie man es eigentlich vermuten will aufgrund der Umstände, sondern auf einmal in einem seltsam gefassten Ton. Fast so, als fände das alles um sie herum gar nicht statt. Das Schießen der Pistolen und das Quietschen der Reifen. Wobei sie seine Frage in ihrem Sinn aber erst einmal nur wiederholte: „Was soll das schon bedeuten?“, um ihm dann aber auch schon zu antworten: „Eben genau das, was du gesagt hast. Wir hätten gleich einen Wagen mit einem stärkeren Motor nehmen sollen.“

Was, wenn man ehrlich ist, keine wirklich neue Erkenntnis in sich barg. Worauf Anthony aber dennoch reagierte, indem er zustimmend nickte. Obgleich zuerst ein wenig zögerlich. Wobei allerdings auch er irgendwie den Eindruck erweckte, als fände das alles um ihn herum gar nicht statt. Als gäbe es keine Gefahr für Leib und Leben. Wenn man einmal von seinen inzwischen wieder wild am Lenkrad hin und her rudernden Händen absehen will. Aber das war ja inzwischen fast schon Routine.

Immer stärker nickte Anthony sogar, obschon er weiterhin den Zusammenhang nicht wirklich verstand. Was hatte der Spruch mit den Socken hier zu suchen? Nachhaken wollte er aber lieber nicht. Das Gespräch könnte sonst nämlich ganz schnell eine Richtung einschlagen, die er sich nicht wirklich wünschte. Ganz und gar nicht! Und Vorsicht war in diesem Fall immer angebracht. Kannte er seine Mathilda ja nur zu gut. Da half es auch nicht, dass sie ihm scheinbar sogar in einem Punkt recht gab. Denn vielleicht war ja gerade das das Tückische daran? Es wäre nicht das erste Mal.

Wie wahr, Anthony kannte seine Mathilda nur zu gut. Wenn nicht er, wer dann? Also wundert es nicht, dass seine stumme Ahnung sogleich zur Gewissheit wurde. So billig, wie er gehofft hatte, kam er nicht davon. Wenn auch nicht ganz klar ist, ob Mathilda nur von dem Kugelhagel unterbrochen worden war, der jetzt sogar die Heckscheibe zum Bersten brachte, oder ob sie sich durch diese weitere Eskalation der Gewalt gezwungen sah, ihre zuvor gemachte Aussage noch einmal zu korrigieren. Zumal Bersten genau das richtige Wort ist, denn auch wenn es eigentlich ein Splittern war, so war das Geräusch dazu doch wieder seltsam dumpf, so ganz anders, als man es gewohnt ist. Wobei ihre Stimme aber weiterhin in diesem seltsam gefassten Ton schwang, der weiterhin so gar nicht zu den Umständen passen wollte. Immerhin bedrohte man sie mit nicht weniger als mit dem Tod. Dem Tod durch Erschießen. Oder etwa nicht?

„Aber nein, was sage ich denn da?“, sprach sie ruhig. „Richtig ist vielmehr: Es soll fast genau das bedeuten, was du gesagt hast. Denn in diesem Zusammenhang muss ich natürlich sofort das Wir durch ein Du ersetzen.“

Dann aber zeigte das Mädchen, das einst in einem Rollstuhl saß und nur mit viel Disziplin und Fleiß es geschafft hatte, inzwischen auf Krücken zu laufen, die wie immer auf dem Rücksitz lagen, wenn sie mit Anthony auf eine dieser abenteuerlichen Reisen ging, doch noch Emotion, denn ärgerlich stach sie plötzlich mit ihrem Zeigefinger nach ebendiesem Anthony. Beziehungsweise nach dessen Oberarm, den zu treffen ihr aus ihrer neuen Sitzposition ein Leichtes war. Und auch ihre Stimme nahm einen schärferen Ton an, als sie weiter feststellte: „Denn Du hättest gleich einen Wagen aussuchen sollen, der einen stärkeren Motor hat. Nur Du!“ Dann, da ihr das an Worten scheinbar noch nicht genug war, denn Worte, die waren nun einmal Mathildas Welt, begründete sie das Ganze auch noch, wobei sie eine Frage anschloss, die aber eigentlich gar keine richtige Frage war, sondern auch nur wieder eine Feststellung: „Ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass es mir erlaubt gewesen wäre, auf die Entscheidung Einfluss auszuüben. Oder täusche ich mich da vielleicht, mein sehr geehrter Herr Zauberer?“

Wieder war es für einen Moment ruhig, von den umgebenden Geräuschen einmal abgesehen, denn wieder einmal war es an der Zeit, dass sich die Zeit etwas mehr Zeit als gewöhnlich nahm. Was gut war, wie es immer ist, wenn die Zeit das tut. Denn das klang doch arg bedrohlich. Weit bedrohlicher als die weiterhin wild durch die Luft pfeifenden Schüsse. Zumindest für Anthony. Die Schüsse bedrohten nur sein Leben, das gesprochene Wort hingegen eine tiefe Freundschaft.

Zum Glück wusste der junge Zauberer sich zu helfen. Und nachdem die Zeit endlich wieder ihren gewohnten Trott aufgenommen hatte, war völlig klar, was für ihn zu tun war. Durch viele gleichartige Erlebnisse geschult, gab es kein Vertun. Gibt es doch Momente im Leben, in denen man einer Mathilda nicht so einfach widerspricht. Momente, in denen man ihre Fragen, die eigentlich gar keine Fragen sind, dennoch beantwortet, und zwar mit genau den Worten, die von einem erwartet werden. „Nein, nein“, sprach er darum. „Du hast vollkommen Recht. So wie du immer Recht hast. Und ich bekenne mich auf der Stelle in allen Punkten der Anklage schuldig. Ich hätte gleich einen Wagen mit einem stärkeren Motor aussuchen sollen. Nur ich ganz allein!“ Und geradezu demütig war der Gesichtsausdruck, den er dazu machte. Der Büßer auf dem Weg nach Canossa.

Genau die richtige Reaktion, besänftigte sie Mathilda doch tatsächlich sofort. Wenngleich festgestellt werden muss, so richtig sauer war sie ja eigentlich nicht. Denn wenn in ihr der wahre Zorn aufkam, vor allem wenn in ihr der wahre Zorn der Frauen aufkam, wieder einmal nicht verstanden worden zu sein, dann konnte das ganz andere Ausmaße annehmen. Da war es mit so einer einfachen Entschuldigung nicht getan. Dann wurden ganz andere Dinge von einem verlangt. Und wie um das zu beweisen, dass dieser Punkt noch lange nicht erreicht war, da lachte sie plötzlich laut auf.

Was jetzt selbst Anthony ein wenig überraschte. Auch wenn er es ja war, der seine Mathilda nur zu gut kannte. Wenn nicht er, wer dann? Sie und ihre plötzlichen Stimmungsschwankungen. Die gerade in letzter Zeit ganz ungewöhnliche Amplituden zeigten. So heftig, dass sie Blitzen gleichkamen, die noch dazu aus zumeist wolkenlosen Himmeln auf ihn abgeschossen wurden. Was man wohl Pubertät nennt. Mit dieser raschen Entspannung hatte er nicht gerechnet. Ein wenig nachdenklich schaute er darum hinüber zu ihr. Nicht misstrauisch, das nicht, aber nachdenklich.

Doch Anthonys Sorge war unbegründet. Es war ein klares und helles Lachen, das da aus Mathilda Mund perlte. Zudem ein ehrliches Lachen. Eines, das zu hören gewiss auch jedes andere Herz erfreut hätte. Wenngleich es angesichts der Bedrohungen von außen, die nicht aufhörten, weiterhin auf sie beide einzuwirken, natürlich noch ein gutes Stück unpassender wirkte als schon der zuvor angeschlagene Ton ihrer Stimme, so ruhig und gefasst.

Um nicht zu sagen, dieses Lachen, es wirkte geradezu grotesk! Was dann auch noch eine Kugel unterstrich, abgeschossen aus der Pistole einer ihrer vielen Verfolger, die, ohne von einer nicht mehr vorhandenen Heckscheibe gehindert worden zu sein, jetzt sogar ihren Weg bis nach vorne fand, wo sie sich mit einem seltsamen Kreischen in das Armaturenbrett bohrte. Das mit seiner Frequenz aber wieder nicht so recht passen wollte. Nein, ein solch ein dumpfes Kreischen gibt es eigentlich nicht. Und zwar genau an der Stelle, wo Anthony noch kurz zuvor mit einem wilden Klopfen eines Handballens seinem Ärger den Kragen geöffnet hatte.

Doch damit nicht genug, Mathilda lachte nicht nur, sie prustete geradezu. „Mensch Anthony, was bist du nur für ein selten feiger Geselle“, stellte sie fest. „Du tust wieder einmal alles, nur um einen Freund nicht zu verlieren.“

Was der auf der Stelle mit einem lakonischen „Wie wahr, wie wahr“ unumwunden zugab. „Ich bin ein selten feiger Geselle und tue fast alles, um einen Freund nicht zu verlieren.“ Dann, dem Ernst der Situation Rechnung tragend (man möchte fast sagen: Endlich!), fügte er doch noch an, wobei sein Blick immer wieder den Rückspiegel suchte, nicht nervös, aber aufmerksam: „Allerdings, da sich das wohl kaum jemals ändern wird, bleibt es wohl besser einem anderen Tag vorbehalten, uns weiter darüber im Detail zu unterhalten. Wie du selbst mit einem kurzen Blick feststellen kannst, sind in den letzten Minuten ein paar neue Probleme zu unserem alten hinzugekommen. Es sind jetzt nämlich inzwischen schon fünf Wagen, die hinter uns her sind.“

Genau so war es. Und als ob das an unschönen Neuigkeiten noch immer nicht genug sei, da hörte man jetzt auch noch mehrere Salven von Schüssen, und zwar so schnell aufeinanderfolgend, dass sofort klar war, dass diese niemals aus Pistolen abgefeuert worden sein konnten, sondern eindeutig aus den Läufen von Maschinengewehren stammen mussten.

Dennoch blieb Mathilda hartnäckig bei ihrer nicht passen wollenden Art. „Das sieht gar nicht gut aus“, stellte sie nämlich nur kurz nüchtern fest. „Da haben wir wohl ein wenig zu hoch gepokert.“ Um dann auch schon wieder ein breites Grinsen aufzusetzen und fröhlich anzufügen: „Oh, Verzeihung, ich vergaß: Natürlich nicht Wir, sondern Du. Du hast zu hoch gepokert. Nur Du allein.“

Und eigentlich wollte Mathilda in ihrem Übermut jetzt auch noch eine Wette anbieten. Eine, bei der ihr der Part zukam, die Meinung zu vertreten, dass sie beide aus dieser Geschichte wohl niemals heil und in einem Stück herauskommen würden und dass ihr Ende somit nahe war, doch musste sie sich diese für bessere Zeiten einsparen, denn Anthony hatte inzwischen einen niedrigeren Gang eingelegt, mit dem Ergebnis, dass der Motor sich sofort in einen tollwütigen Wolf verwandelte und eigentlich schon ihre letzten Worte kaum zu verstehen gewesen waren.

Wohingegen er laut schrie, um das jetzt geradezu infernale Heulen doch noch irgendwie zu übertrumpfen: „Ja, du hast wie immer Recht. Ich habe hoch gepokert. Nur ich allein. Aber ich habe noch nicht verloren.“ Dann aber korrigierte auch er sich noch einmal, indem er nämlich anfügte: „Nein, was sage ich denn da. Richtig ist vielmehr, ich habe zu hoch gepokert, aber wir beide haben noch nicht verloren!“

Was daraufhin folgte, dauerte lange und ist dennoch schnell erzählt, war es doch die wildeste Verfolgungsjagd, die Mathilda mit ihrem besten Freund jemals hatte erleben dürfen. Und das ist keineswegs übertrieben. Nicht einmal dann, wenn man weiß, dass unter den bisher erlebten schon wahrhaft verwegene waren. Diese aber toppte sie alle. Flitzte der Wagen doch über den Asphalt, als sei er nur noch ein Schatten. So schnell, dass keine Kamera dieser Welt vermocht hätte, ihn auf einem Bild zu bannen. Nicht einmal die einer Radarfalle. Sogar in den engen Kurven schien sich seine Geschwindigkeit nie um auch nur 1 km/h zu minimieren. Was Mathilda schon bald dazu zwang, die aufmerksame Beobachtung der sie verfolgenden Wagen aufzugeben und wieder ihre ursprüngliche Sitzposition einzunehmen, denn nur wenn sie beide Beine fest auf den Boden presste, war ihr dieser Sitz auch ein Sitz. Ansonsten wäre sie trotz Gurt irgendwann hinüber auf Anthonys Schoß gepurzelt, oder noch viel schlimmer, womöglich mitten durch eines der Fenster gesegelt.

Doch man ahnt es schon, irgendwann war auch dieser letzte Versuch gescheitert, das Steuer im wahrsten Sinne des Wortes noch herumzureißen. Und zwar genau an dem Punkt, an dem der neunte Wagen die Verfolgung aufnahm und die erste Straßensperre auftauchte. An der es von schwarz gekleideten Gestalten nur so wimmelte. Nur manche ein Knie am Boden habend, aber alle bedrohlich eine Waffe im Anschlag haltend.

Fürwahr, das Leben, ob lang oder kurz, ist voller Wahrheiten. Wird doch selbst die größte Lüge, wenn erkannt, zu solch einer. Und wohl eine der wichtigsten Wahrheiten ist, dass man wissen muss, wann Schluss ist. Genau diese aber hatte Anthony schon früh erkannt. Wenn sie ihm nicht sogar von gütigen Engeln einst schon mit in die Wiege gelegt wurde. Kurzum, die neuen Umstände berücksichtigend, bremste er endlich ab.

Doch was hier so harmlos klingt, war ein äußerst gewagtes Manöver. Schon wegen der enormen Geschwindigkeit. Das Anthony, wenn auch mit keuchendem Atem, zum Glück noch kurz vorher angekündigt hatte, sodass Mathilda rechtzeitig ihre Hände an das Armaturenbrett bekam, um sich abzustützen.

Und das war dringend nötig, denn der junge Zauberer bremste jetzt ja den Wagen nicht nur ab, sondern er trat so heftig in das Pedal, wie er es noch nie zuvor tat. Was den, nach schier endlos langen Sekunden, in denen er laut pfeifend einige Pirouetten auf dem Asphalt drehte, die dort scheinbar für immer verewigt in schwarzen Kreisen standen, gemalt mit dem heißen Gummi der Reifen, der an manchen Stellen sogar für Sekunden dampfte, als wäre er in der Tat nur heiße Schokolade, endlich zum Stehen brachte.

Natürlich war den beiden dann erst einmal kurz schwindlig, das konnte nach diesem wilden Tanz gar nicht ausbleiben. Und vor allem Anthony war völlig außer Atem, waren seine Arme ja bis soeben noch geradezu über das Lenkrad geflogen. Ständig mit Gegenlenken beschäftigt, nicht dass sie doch noch von der Fahrbahn rutschten. Doch kaum erholt, da drehte er sich auch schon seiner Freundin zu, sehr ernst wirkend, und sagte relativ trocken: „Ich glaube, ein heldenhafter Tod ist das Einzige, was uns jetzt noch bleibt. Oder was meinst du?“

Eine ziemlich seltsame Ankündigung. Gelinde gesagt. Nicht nur der Umstände wegen, sondern vor allem, wenn man bedenkt, dass Anthonys Neigung zum Helden sich noch nie bis in die Wolken streckte. Im Gegensatz zum Rest der Menschheit wollte er nämlich noch nie einer sein. Denn Helden haben immer recht und niemals Angst. Er aber nicht.

Noch seltsamer aber war die Reaktion von Mathilda. Die grinste nämlich erst einmal nur wieder breit und fett. Was trotz der vielen Haare, die ihr wild ins Gesicht hingen, gut zu erkennen war. Dann aber, nachdem sie diese zurückgestrichen hatte, zumindest die Strähnen, die sich auf die Schnelle mit den Fingern der rechten Hand hatten greifen lassen, und auch so ein wenig zu Luft gekommen war, da die andere Hand es ja inzwischen geschafft hatte, den Gurt zu lockern, der ihr die letzten Minuten geradezu den Hals zugeschnürt hatte, als würde sie am Galgen hängen, war sie doch, wiewohl sie ihre Beine fest auf den Boden gepresst hielt, bei der wilden Fahrt immer tiefer in ihren Sitz gerutscht, sagte sie, wobei auch sie plötzlich versuchte, ein sehr ernstes Gesicht zu machen: „Tu, was du tun musst, Anthony. Wir beide wissen, du bist der große Zauberer und ich nur der dumme Mensch.“

Schon wieder eine ziemlich seltsame Feststellung. Wenn sie nicht sogar noch viel seltsamer als die von Anthony war. Die auch noch gehörig danebenging, denn das ernste Gesicht, das Mathilda versuchte dabei zu machen, es wollte ihr einfach nicht gelingen.

Nicht wegen der Mimik, die war nahezu perfekt. Doch einige Haarsträhnen hingen ja noch immer über ihrer Nase und dem Mund. Eine ganz dicke reichte sogar bis zum Kinn hinunter und klebte dort unverrückbar fest. Wie Efeu an einem Haus. Was natürlich an den Schweißperlen lag, die sich dort aber schon vorher gesammelt hatten. Zum einen, weil es ziemlich warm war, und zum anderen, weil Mathilda, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte, die letzten Kilometer doch ein wenig mehr als nur Angst gehabt hatte. Sodass sie im Moment fast so aussah wie die eine Katze von Frau Watenbloom, die die alte Frau aus Versehen einmal in der Waschmaschine vergessen und mit der Buntwäsche auf eine gut zweistündige Rundreise voll blubbernder Schaumblasen geschickt hatte. Die noch fettere der beiden. Somit war das Wort Ernst so ziemlich das letzte, das einem in diesem Moment bei dem Anblick von Mathilda durch den Kopf schießen wollte.

Im Gegenteil, das Mädchen sah vielmehr zum Lachen aus. Sogar für Anthony. Der kurz schmunzelte, dann aber sofort wieder wusste, was zu tun war. Zum einen war die Aufforderung seiner besten Freundin in ihrer Essenz ja trotzdem bei ihm angekommen, und zum anderen hatten die sie verfolgenden Wagen inzwischen auch gestoppt, und zwar alle neun. Wobei sie allerdings einen kleinen Sicherheitsabstand einhielten. Nur um fast zeitgleich eine Armee schwarzer Gestalten auf die Straße zu spucken. Jeder Soldat daraus bedrohlich eine Waffe im Anschlag haltend, sodass der kleine Zauberer plötzlich wieder auf das Gaspedal trat.

Was paradox anmuten will, wenn es denn stimmt, dass er die Wahrheit, zu wissen, wann Schluss ist, verinnerlicht hatte wie kein Zweiter. Er es aber eben gerade deshalb tat. Denn Anthony brachte den Wagen, der nach dem brachialen Bremsmanöver und den ungezählten Kreiseln natürlich erst einmal völlig quer gestanden hatte, mit ein paar geschickten Lenkmanövern ja nicht nur wieder in Fahrtrichtung, sondern hielt mit diesem jetzt sogar mitten auf die Straßensperre in der anderen Richtung zu. Fast so, als hätte es diese kleine Unterbrechung nie gegeben. Und immer mehr Gas gab er, so lange, bis der Motor wieder so laut heulte wie ein Tornado. Was zwangsläufig zur Folge hatte, dass ebendiese Straßensperre immer näherkam. Sie und all die schwarz gekleideten Gestalten, die wiederum dort mit ihren gezückten Waffen standen. Näher und immer näher, fast so, als wolle sie zur letzten Stimme des Schicksals werden, denn da war kein Reißen oder auch nur ein leichtes Zucken von Anthony am Lenkrad, um sich im letzten Moment vielleicht doch noch irgendwie an der Gefahr vorbeizumogeln. Und sei es mit einem sinnlosen Sprung in den Graben.

Dann auch schon sah man die grellen Mündungsfeuer all der vielen Pistolen und Gewehre, und wie sie ihre Kugeln freigaben, die sich wie ein Regen aus heißem Eisen auf die Frontscheibe ergossen, so lange, bis auch diese barst. Mit demselben seltsamen Geräusch, mit dem es schon die Heckscheibe tat. So dumpf und dunkel.

Doch wer nun denkt, ach, wie traurig, so sterben Helden, der irrt. Denn bevor die erste Kugel tatsächlich ihr Ziel erreichen konnte, nämlich Anthony oder Mathilda, da gab es einen unglaublichen Knall. Ein wenig so, als wäre ein riesiger Ballon zerplatzt. Und der ganze Spuk war vorbei. Von einer Sekunde auf die andere und nur noch ein wenig Rauch trieb müde durch die Luft. So wie immer, wenn die Notabschaltung griff, damit kein Spieler ernsthaft verletzt wird. Oder, um kein trügerisches Bild zu malen, die Luft um Anthony und Mathilda herum zeigte seltsame Schlieren, die sich wohl am besten mit Rauch vergleichen lassen, auch wenn sie das natürlich nicht wirklich waren. Dann auch schon saßen die beiden auf einem Bett. Beziehungsweise plumpsten sie auf selbiges mit ihren Hintern. Aus vielleicht gut einem Meter Höhe.

Was jetzt für den Uneingeweihten etwas überraschend klingt, es aber nicht ist. Denn natürlich fielen die zwei Kinder jetzt nicht auf irgendein Bett, sondern auf das Bett im Schlafzimmer von Anthonys ehemaligen Eltern, die eigentlich gar nicht seine Eltern waren und die jetzt in einem Wald in einer Hütte einen äußerst ungewöhnlich langen Schlaf schliefen. Denn nichts war hier, wie es schien. Und dieses Bett somit auch nicht wirklich ein Bett, sondern nichts anderes als das geilste Videospiel, das es auf Erden gibt.

Nichtsdestotrotz war der Spaß vorbei. Was Anthony einen tiefen Seufzer entlockte. Er liebte dieses Spiel. War es doch eines der wenigen Dinge, die seinen Aufenthalt auf ebendieser Erde einigermaßen erträglich machten.

Sofort richtete er sich auf und warf gekonnt seine Beine über den Bettrand, wo er aber erst einmal sitzen blieb und feststellte: „Wie immer, ein Abgang mit Anstand und Würde. Nicht wahr?“

Worauf er allerdings sofort Widerspruch erntete: „Nun ja, nicht ganz“, stellte Mathilda fest, die etwas länger brauchte, ihre Beine über den Bettrand zu bugsieren. Schon deswegen, weil sich diese Beine ja nur sehr ungern an den Knien abknicken ließen.

War das aber geschafft, wofür Mädchen allerdings die andere Seite des Bettes wählte, machte sie sich sofort daran, sich auch so wieder in Form zu bringen, denn ein wenig eitel war sie ja schon immer. Was hieß, dass sie die schon wieder kreuz und quer ihr ins Gesicht hängenden Haarsträhnen rasch mit ihren beiden Händen nach hinten warf und auf beiden Seiten hinter die Ohren klemmte. Ein Unterfangen, das ihr diesmal erheblich besser gelang als noch in dem vermeintlichen Wagen, wurde sie ja auch nicht mehr wild hin und her geschüttelt. Auch wenn wegen der dampfigen Atmosphäre, die konstant in dem Schlafzimmer von Anthony ehemaligen Eltern herrschte, einem so oder so der Schweiß fast ständig auf der Stirn stand. Ganz besonders natürlich im Sommer. Aus einem Grund, der sich sogleich klären wird. Dann fügte sie nur noch nüchtern an, fast ein wenig naseweis: „Verloren ist verloren, Anthony. Da hilft dir auch kein heldenhafter Abgang.“

Worauf dem natürlich nur noch übrig blieb zuzugeben, wenn auch etwas widerwillig im Ton: „Ja, das stimmt wohl. Verloren ist verloren.“

Der plötzlich auch begann, ein wenig an sich herum zu zupfen. Wohl um ein wenig Zeit zu gewinnen. Doch mehr als das T-Shirt wieder in die Hose zu stopfen, war da nicht zu tun. Nur um dann noch festzustellen, wobei sich sogar ein gewisser Stolz in seine Stimme schlich: „Aber eines darfst du nicht vergessen. Es waren diesmal neun Wagen, die hinter uns her waren, das letzte Mal nur acht. Das ist immerhin einer mehr.“

Ein Argument, das Mathilda aber auch nicht gelten lassen wollte, wenngleich es stimmte. Schon deswegen, Anthony ein wenig zurechtstutzen, das war ihr eine ewige Pflicht. Nicht, dass er noch abhob. Vor allem aber, nicht dass er noch bemerkte, wie sehr sie ihn eigentlich für den Rest bewunderte. Also sagte sie nur, weiterhin recht trocken, während die Finger ihrer rechten Hand instinktiv die Krücken suchten, die in ihrem Rücken lagen: „Aber wenn ich richtig aufgepasst habe, dann war es die gleiche Straßensperre. Oder etwa nicht? Wir sind nicht einen Meter weitergekommen.“

Worauf sich Anthonys Mund sofort zu einem dünnen Strich verzog, als Zeichen der Missbilligung. Mehr noch als das, er schnaubte sogar. Wenn auch nur leise, denn natürlich war er wütend auf das, was er sich da anhören musste. Gerade, weil es ja wahr war.

Rasch stand er darum auf, um die üblichen Pflichten abzuarbeiten, die nach solch einem Abenteuer abzuarbeiten waren. Wohl aber auch, um sich nicht zu einer unbedachten Äußerung hinreißen zu lassen. Denn unbedachte Äußerungen in Mathildas Umgebung zogen meist nur noch viel größere Unglücke nach sich. Kannte er seine Mathilda ja nur zu gut. Wenn nicht er, wer dann?

Allerdings stand der Junge auf der falschen Seite auf, um das zu erledigen, was er vorhatte zu erledigen. Hatte er seine Beine ja auch auf der falschen Seite über den Rand geworfen. Sodass er jetzt erst einmal um das halbe Bett herum gehen musste, um den Pfosten zu erreichen, in dem sich der Slot befand, aus dem gerade von einem leisen Klick begleitet die Karten ausgeworfen wurden, die dieses Abenteuer erst versprochen und dann auch gehalten hatten. Es waren genau drei Stück. Dort angekommen, entnahm er diese vorsichtig, ging noch ein paar Schritte weiter, diesmal auf die Wand zu, und legte sie letztendlich in den Karton, der sich auf dem kleinen Nachtkästchen befand, das dort stand, und in dem sich bereits Zigtausende anderer solcher Karten befanden. Wenn es nicht sogar einige Millionen waren.

Anthony legte diese drei Karten jetzt allerdings nicht nur einfach so in diesen Karton hinein, wie man vielleicht Handschuhe in eine Schublade legt, sondern steckte jede einzelne akkurat zwischen all die anderen. Und zwar an genau die für sie bestimmte Stelle. Zudem auch noch so, dass sie ein kleines Stück herausschaute, damit er sie bei der nächsten Gelegenheit schnell wiederfand. Auch wenn sich das dann dennoch nicht so leicht gestalten sollte, waren doch einige andere Karten mehr von ihm als würdig genug erachtet worden, diese Erinnerungshilfe zu erfahren.

Was Anthony auch wieder sehr vorsichtig tat, dieses Hineinstecken, obzwar es eigentlich gar nicht nötig war, denn diese Karten waren ja schier unverwüstlich und wirkten nur so zerbrechlich, da sie so hauchdünn waren. Was aber den Vorteil hatte, dass man so einen Stapel aus gut mehreren hundert Stück machen konnte, wenn nicht sogar tausend, der nicht dicker als eine gewöhnliche Schachtel mit Zigaretten war.

Ein Vergleich, der auch von den anderen Maßen her ziemlich passend ist. Und was somit fast zwangsläufig schon vor Jahren dazu geführt hatte, dass immer wenn Anthony mit einigen dieser Karten außer Haus ging, er sie in eben solch eine Packung steckte. Wenngleich er natürlich nicht rauchte. Auch nicht vorhatte, jemals mit diesem Unsinn zu beginnen. Er war zwar manchmal langsam von Begriff, aber er war nicht wirklich dumm. Es war nur der Tarnung wegen.

Dann aber drehte er sich wieder Mathilda zu. Sein Zorn auf sie war längst verflogen. So wie er generell nicht lange böse sein konnte. Das war einfach nicht sein Naturell. Vor allem aber natürlich nicht auf sie. Mathilda war eben Mathilda. Wenn das einer wusste, dann er. Da mussten ganz andere Maßstäbe angesetzt werden als dem Rest der Welt gegenüber. Ein Freund ist nun einmal ein Freund und nicht jeden Tag fällt ein Stern vom Himmel. „Ja, diese verflixte Straßensperre“, gab er zu. „Wenn es mir nur endlich gelänge, den richtigen Weg zu finden, wie sie zu meistern ist. Ich habe schon so viel ausprobiert.“

Ein Eingeständnis, das jetzt wiederum Mathilda dazu brachte, ein wenig ihr ewig besserwisserisches Verhalten abzulegen. Man darf es nämlich mit der Erziehung der Männer nicht übertreiben, sonst laufen sie einem noch davon. Und das dann vielleicht sogar für immer. Sie sind nun einmal so. Von Geburt an. Außerdem sahen sie sich ja ohnehin nur noch so selten. Viel zu selten! „Ach, was soll’s, irgendwann wirst du auch dieses Problem lösen“, machte sie Anthony plötzlich wieder Mut. „Da bin ich mir ganz sicher. Als der erste Wagen auftauchte, da hast du doch auch nicht gewusst, was zu tun ist. Fast zwei Monate lang. Jetzt aber sind es schon neun. Viel wichtiger aber ist doch, dass du inzwischen all die anderen Möglichkeiten und Zusatzfunktionen gefunden hast.“

Was richtig ist, denn Anthony hatte in der Tat ziemlich viel experimentiert mit dem Gerät in letzter Zeit. Dennoch war ausgerechnet er es, der das plötzlich so nicht gelten lassen wollte. Er widersprach sogar. Wenn auch nicht mit der Absicht, seine Freundin zurechtzustutzen. Das käme ihm nie in den Sinn. So unterschiedlich können Charaktere manchmal sein.

Allerdings, wenn man es genau nimmt, dann war es ja auch kein richtiger Widerspruch. Zumindest nicht in voller Gänze. Anthony schränkte Mathildas Aussage nur ein. Und zwar, indem er sie erweiterte. Was aber nur paradox klingt. Sagte er doch: „Ja, wenn es denn wirklich bereits alle Zusatzfunktionen sind, die ich da bis jetzt gefunden habe. Vielleicht ist mit dem Ding aber noch viel mehr möglich, als immer nur noch ein Level draufzupacken? Oder auch zwei oder drei. Oder was weiß ich, wie viele. Mehr noch als nur verschiedensten Karten miteinander zu kombinieren, um so immer wieder einen neuen Staffellauf zu kreieren. Vielleicht kann das Ding ja Sachen, von denen wir bisher nur träumen?“

Was diesmal Mathilda sogar dazu brachte, Anthony spontan zuzustimmen. „Ja, das kann natürlich sein“, sprach sie. Nicht nur, um die gute Stimmung nicht wieder mit einer unbedachten Äußerung ihrerseits zu gefährden, sondern weil das ein Argument war, das schlichtweg überzeugte. Immerhin war das Bett das Produkt einer außerirdischen Intelligenz. Da weiß man nun einmal nicht, was genau drinsteckt.

Und man wird es wohl auch nie erfahren. Konnte sie ja nicht mal schnell einfach so ein Zweites im Supermarkt kaufen, dieses aufschrauben, um dann die elektronischen Bauteile zu überprüfen. Vorausgesetzt, dass es überhaupt elektronisch funktionierte. Vielleicht war es ja etwas ganz anderes? Etwas ganz Seltsames, so wie es immer bei Star Trek ist. Vielleicht sogar etwas, das lebt. Etwas, womit die elektronischen Bauteile plötzlich zu Eingeweiden werden.

Also ergänzte Mathilda nur noch, wobei sie ein leichter kalter Schauer über ihren Rücken lief: „In der Tat, das Ding ist eine echte Wundertüte. Damals, als du es mir zum ersten Mal gezeigt hast, da sind wir ja noch davon ausgegangen, dass es genug ist, die auf den Karten abgebildeten Gerätschaften oder auch Fahrzeuge zu bedienen. Flugzeuge, Schiffe, Autos, Maschinen und so weiter. Und das war schon phänomenal genug. Doch was jetzt damit möglich ist, das ist schier unbeschreiblich!“

Worauf Anthony nur stumm nickte, eine Antwort allerdings schuldig blieb. Es wurde aber auch keine von ihm erwartet. Dann ging er auf Mathilda zu und machte sich daran, ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Wobei es allerdings allein beim Wollen blieb. Denn natürlich brachte ihm das nur ein leise gezischtes „Danke, der Herr, das kann ich auch allein“ ein.

Ein dummer Reflex. Der sich aber kaum abstellen ließ, da er auf einer anderen Welt namens Robotanien, einem kleinen Roboter, der dank einiger Spritzen voller Hormone dort langsam zum Mann reifte und den man dort Ant rief, um genau zu sein, Ant Nummer Elf Honig, die Gewissheit gab, am Ende seiner Ausbildung angekommen, ein Heiler zu werden. Ein Zauberer, der anderen Menschen hilft. Aber auch Robotern. Und wenn es nur ist, wenn die sich schwer damit tun, von einem Bett aufzustehen.

In der Tat, es war nur ein dummer Reflex, der die gute Stimmung zum Glück aber nicht wieder zum Kippen brachte, auch wenn Anthony sofort betreten zu Boden schaute. Dass er sich das einfach nicht abgewöhnen konnte. Es war schier unglaublich. Dabei war es wirklich erstaunlich, wie gut sich Mathilda inzwischen mit den Krücken fortbewegen konnte. Gar kein Vergleich dazu, als er sie kennenlernte. Als sie nämlich nur immer in ihrem Rollstuhl saß. Völlig egal, dass der der schnellste weit und breit ist. Dank eines starken elektrischen Motors.

Kurz kam Anthony sogar ins Sinnieren, während sich Mathilda mühsam vor ihm an ihren Krücken in die Höhe zog. Nicht nur was das Gehen anbetrifft, auch so hatte sich seine Freundin unglaublich verändert. Früher sprach sie mit allen Leuten nur mithilfe eines elektrischen Moduls, das schrecklich quakte, wie es die Roboter tun, die hier auf der Erde zusammengeschraubt und genietet werden. Und das, wiewohl sie sehr wohl ganz normal sprechen konnte. Das aber nicht machte, nur um ihre Ruhe zu haben. Jetzt hingegen konnte ihr das Publikum oft gar nicht groß genug sein.

Was so sogar bewiesen ist, denn er hatte es selbst gesehen. In der Schule, in die er ja eigentlich gar nicht mehr ging. Zumindest nicht mehr offiziell, aber trotzdem immer noch so oft die Woche, um mit seinem Freund, dem Baum, zu sprechen, der einsam auf dem Pausenhof stand. Als er sie zufällig durch eines der Fenster der großen Aula beobachten durfte, wie sie dort am Rednerpult stand und sich vor allen Klassen für das Amt eines der Schülersprecher bewarb. So selbstsicher und mit solch einer Überzeugung, obwohl er auf die Entfernung natürlich keinen Ton verstand, dass der dann am Ende ihrer Rede aufbrausende Applaus ebendieses Fenster sogar zum Klirren brachte.

Nun gut, ganz so dramatisch war es dann doch nicht. Aber das Amt hat sie natürlich mit großem Vorsprung gewonnen. Wozu es seiner Meinung nach aber eigentlich gar keine Stimmzettel mehr gebraucht hätte. Denn das war ja von vornherein irgendwie völlig klar. Wer so quatschen kann wie Mathilda, der wird nicht nur einer der drei Schulsprecher, der wird gewiss irgendwann sogar der Präsident der Welt. Um genauer zu sein, der wird die Präsidentin der gesamten Welt! Er hätte bestimmt nichts dagegen.

Plötzlich war Anthonys Blick voller Bewunderung, während er Mathilda folgte, die bereits Richtung Tür humpelte. Sie war so unglaublich tapfer und so stark. Da konnte sich jeder eine Scheibe von abschneiden. Eine dicke Scheibe. Wirklich jeder. Vor allem er.

Dort angekommen sagte sie: „Ich glaub, ich gehe jetzt mal besser wieder heim.“

Was er sofort mit einem traurigen „Schon?“ beantwortete. „Es ist doch noch gar nicht so spät.“

In Anthonys Augen ein gutes Argument. Dennoch nicht stach, denn Mathilda erwiderte nur: „Du weißt ja selbst, wie wenig Mom es mag, wenn sie nicht weiß, wo ich bin. Es war ja ein Überraschungsbesuch.“ Nur um, während sie sich mit der einen Hand am Rahmen abstützte, um mit der anderen den Lichtschalter im Flur zu kippen, zu ergänzen: „Noch dazu, wenn es schon dunkel ist.“ Doch ganz unvermutet fragte sie: „Übrigens, wie spät ist es denn wirklich?“

Eigentlich wollte Anthony jetzt sofort antworten, konnte aber nicht, denn plötzlich hatte er ein trauriges Wollknäuel im Hals sitzen. Eines, das sich nicht so schnell herunterschlucken ließ. Also deutete er nur mit dem Zeigefinger auf den Wecker, der neben dem Karton mit den Karten für das Bett auch auf dem Nachtkästchen stand. Der zeigte acht Uhr an. Genauer gesagt: Drei Minuten nach acht.

Mathilda stand allerdings einen Schritt zu weit entfernt, um das so erkennen zu können. Da half es ihr auch nicht, dass sie die Augen zusammenkniff. Sodass Anthony letztendlich zu ihr an die Tür ging und den Schalter bediente, der auch neben dem Rahmen angebracht war, jedoch auf dieser Seite der Wand, so wie sich das gehört, und somit für das Licht im Schlafzimmer zuständig war. Worauf es jetzt in diesem stockdunkel wurde. Gab es doch keine Fenster in diesem.

Oder, um einmal mehr kein falsches Bild zu malen, da, wo das Fenster war, hatte man vor langer Zeit zwei breite Schränke gerückt, die ihre Aufgabe vorzüglich verrichteten und nicht einen Spalt für einen von draußen kommenden Lichtstrahlen anboten, und somit auch nicht für einen allzu neugierigen Blick von einem der Hochhäuser rundum, die es ja reichlich gab. Was im Gegenzug einen Luftaustausch allerdings genauso unmöglich machte. Womit endlich der Grund für die in diesem Raum stets herrschende schwüle Atmosphäre, die einem den Schweiß ständig auf die Stirn trieb, endlich seine Aufklärung findet.

Das war zwar immer ziemlich lästig, nicht zu leugnen, aber das Verhindern von allzu neugierigen Blicken hatte nun einmal Vorrang. Nicht nur weil Anthony im Heute sein Bett in aller Ruhe testen wollte, sondern vor allem, weil ja einst in diesen zwei riesigen Schränken die zwei Außerirdischen schliefen, die sich die Eltern von Anthony nannten. Einer vom Planeten Ardomson, der in Wirklichkeit Raptonom Waltonom hieß und für lange Zeit die Rolle des Vaters einnahm, und einer vom Planeten Frokkmanil, der in Wirklichkeit den Namen Tzomnilün Grömlümün trug, und der, wenn Anthony alles richtig verstanden hatte, tatsächlich eine Frau war, wenngleich der Charakter so oft anderes vermuten ließ. Und die aber wohl gerade deswegen für die Rolle seiner wirklichen Mutter wie geschaffen war. Kurzum, ein Wächter aus dem Hause Tak und ein Wächter aus dem Hause Xan. So wie es vom Imperator einst befohlen worden war, um die neuralgischen Seelen zu beobachten. Auf Anraten eines Sehers namens Valaspun, der dabei aber ganz offensichtlich ein doppeltes Spiel trieb.

Anthony löschte aber nicht nur das Licht, er fand auch endlich wieder Worte. Wiewohl es ja eigentlich nur zwei waren. Fragte er doch plötzlich: „Besser so?“

Eine scheinbar unsinnige Frage, weil er ja soeben das Licht gelöscht hatte, dennoch eine, die ihre Berechtigung hatte. Was sich schon dadurch zeigte, dass Mathilda als Antwort jetzt nur kurz nickte. Der Wecker hatte nämlich Leuchtziffern, die im Dunkeln hell strahlten.

Dann stellte das Mädchen fest: „Na, da lag ich mit meiner Schätzung ja ziemlich richtig“, und erklärte sogleich, weil Anthony sie nun etwas fragend anschaute, weil er von einer Schätzung ja nichts wusste oder zumindest die Schätzung nicht als Schätzung verstanden hatte. „Mom setzt nämlich acht Uhr mit Dunkelheit gleich. Egal, ob wir Sommer oder Winter haben. Da ist sie eisern.“

Plötzlich aber schob das Mädchen ein wenig trotzig das Kinn vor und sprach: „Mannomann, ich sage dir eines, was bin ich froh, wenn ich endlich sechzehn bin! Dann kann ich kommen und gehen, wann ich will. Dann ist das Gesetz auf meiner Seite.“

Ein Glaube an die Zukunft, der bei Anthony aber sofort einen kleinen Heiterkeitsanfall auslöste. Wohl auch, weil ihm das etwas von der Traurigkeit nahm, die wegen des Abschieds so schwer auf seiner Brust lag. „Das glaubst aber auch nur du“, widersprach er. „Und wenn du neunzig bist, wird deine Mom noch immer hinter der Gardine am Fenster in der Küche stehen und warten, bis du endlich daheim bist. Aber wehe dir, wenn es zu spät ist, dann gibt es mächtig Ärger. Da hilft dir dann auch kein Sheriff dieser Welt.“

Spielerisch mahnend hob der kleine Zauberer jetzt sogar seinen Zeigefinger und wackelte mit diesem hin und her, was jetzt auch Mathilda zum Lachen brachte. „Da hast du wohl recht“, gestand sie ein. „Sie wird sich wohl nie ändern“, um dann aber sogleich wieder ein bisschen ernster im Ton zu werden. „Man muss das aber auch verstehen. Sie hat schon einmal einen Menschen verloren, der ihr wichtig war. Das möchte sie nicht noch einmal durchmachen.“

„Deinen Vater?“, fragte Anthony mitfühlend, obzwar er die Antwort ja schon kannte.

Mathilda nickte.

Nun, dagegen war nichts zu sagen. Vor allem nicht von seiner Seite. Wusste der junge Zauberer doch verdammt genau, was es heißt, Menschen zu verlieren. In seinem Fall sogar eine ganze Familie. Und wenn Mathilda nicht wäre, dann stände er geradezu nackt in dieser Welt, und er war nur froh darum, noch eine andere zu besitzen. Eine Welt voller Freunde. „Na, dann bis zum nächsten Überraschungsbesuch“, sagte er, um das Thema rasch zu beenden, und schlüpfte dann auch schon an Mathilda vorbei, um ihr die Haustür zu öffnen.

„Ja, bis zum nächsten Mal“, antwortete die. Dann wechselten beide wieder die Plätze und sie trat ins Treppenhaus hinaus. Wobei sie anfügte, während sie ihre Sohlen kurz über den Schuhabstreifer zog, der dort lag, was etwas seltsam wirkte, macht man das ja eigentlich nur, wenn man eine Wohnung betritt, ihr aber Sicherheit auf dem weiteren Weg gab: „Zum Glück ist es bis dahin nicht mehr weit. Ist es ja schon nächste Woche.“

Eine Behauptung, die Anthony aber nur ein „Wieso denn das?“ entlockte. War ihm doch nicht bewusst, einen Termin ausgemacht zu haben.

Worauf Mathilda, bereits am Treppengeländer angekommen, sich rasch umdrehte und ihn geradezu entsetzt fragte: „Sag nur, dass du es vergessen hast?“

„Was denn vergessen?“, und Anthonys Gesicht, von der Heftigkeit der Reaktion überrascht, wirkte jetzt sogar noch eine Spur ratloser.

Das Mädchen hingegen schüttelte nur resigniert den Kopf, während sie die beiden Krücken in die rechte Hand nahm, damit die linke frei war für das Geländer, wendete sich wieder ab von ihm und fragte in die Luft hinein: „Herr, verrate mir, was soll ich bitte nur mit den beiden machen?“

Was aber natürlich nur wieder einmal eine ihrer üblichen Fragen war, die eigentlich gar keine war. Dennoch Anthonys Gedanken dazu brachte, immer wilder umeinander zu schwirren. Wie ein Karussell im Kaffeerausch. Wieso nächste Woche und wieso plötzlich auch noch euch beide? Er fand einfach keine Antwort.

Zum Glück gab Mathilda ihm eine. Noch dazu die, die keine weiteren Fragen mehr nach sich zog. „Nächste Woche hat Frau Watenbloom Geburtstag“, verriet sie.

Natürlich, das war es! Anthony schlug sich mit der Hand an die Stirn. Die alte Dame hatte nächste Woche ihren Ehrentag! Wie konnte ihm das nur entfallen? War sie doch, neben Mathilda und deren Mutter, einer der wenigen Menschen, dem er eine gewisse Bedeutung auf dieser Welt zuerkannte. Selbstverständlich kein Vergleich zu seiner tiefen Freundschaft zu dem Mädchen, das da vor ihm stand und das gerade dabei war, mit den Zehenspitzen ihres rechten Fußes die erste Treppenstufe zu ertasten, aber immerhin. Doch dann fiel ein Spruch von seinem Hirn direkt auf seine Zunge, mit dem er hoffte, halbwegs mit Würde aus der Geschichte herauszukommen. „Na, dann wollen wir mal schwer hoffen, dass sie selbst den Termin nicht verbummelt“, sprach er.

Tatsächlich gelang es. Denn eigentlich hatte Mathilda ja vor, noch ein bisschen auf Anthonys Vergesslichkeit bezüglich Termine herumzureiten. Schon deswegen, weil er sie beim letzten Mal ja versetzt hatte und sie ihm eine halbe Stunde hinterhertelefonieren musste, um das Treffen doch noch stattfinden zu lassen. Aber natürlich auch, weil es ihr schon immer ein großes Anliegen war, ihn, wenn immer möglich, ein wenig zurechtzustutzen. Nicht dass er noch abhob, der noble Herr Zauberer. So aber stimmte sie sofort zu: „Wie wahr, wie wahr!“

Allerdings tat sie das nur bis zur nächsten Treppenstufe, die ihr linker Fuß gerade erreichte. Denn da fiel ihr ein, dass man das in letzter Zeit nicht mehr so einfach sagen konnte. Und so stellte sie fest: „Obwohl, so völlig neben dem Gleis wie damals, als sie uns völlig nackt die Tür geöffnet hat, nur weil sie mal wieder vergessen hatte, sich anzuziehen, ist sie eigentlich nur noch selten. Das letzte Mal, wenn du dich erinnerst, da hat sie uns beide sogar ganz schön abgezockt beim Kanaster. Und zwar, ohne dass ich ihr heimlich Punkte gutgeschrieben habe, die sie gar nicht gemacht hat.“

Natürlich erinnerte sich Anthony sofort. Das war in Tat ein ganz außergewöhnlicher Tag. Die alte Frau schien plötzlich um viele Jahre jünger zu sein. Nicht nur im Kopf, auch äußerlich. Obschon er natürlich nicht sagen konnte, um wie viele Jahre genau. In seinem Alter ist ein alter Mensch einfach nur alt. Ob sechzig, siebzig oder neunzig, das ist einerlei. Immer bereits mit einer Zehe an der Gruft anklopfend. Nie auf das „Herein!“ hoffend. Aber auf alle Fälle wirkte sie irgendwie frischer, zudem gepflegter.

Auch Mathilda schien im Kopf gerade zu demselben Ergebnis gekommen zu sein, wohingegen ihre Beine nun endlich den für sie richtigen Rhythmus gefunden hatten, wie die Stufen am besten zu meistern waren. „Erstaunlich, mir kam sie manchmal sogar richtig wie ein junges Mädchen vor“, sagte sie. „Sie war so aufgedreht und schwungvoll. Bin ja echt gespannt, wie sie an ihrem Geburtstag drauf ist.“

Nun ja, das mit dem jungen Mädchen, das wollte Anthony jetzt nicht unterschreiben, aber gespannt war irgendwie auch er. Dann hörte er Mathilda nur noch rufen, die inzwischen im Stockwerk unter ihm angekommen war: „Das mit den Geräuschen war echt seltsam. Aber immerhin sind jetzt wieder welche zu hören.“

Ein ziemlicher Gedankensprung. Trotzdem nickte er sofort, gleichwohl Mathilda ihn ja gar nicht mehr sehen konnte. Denn die Einschläge der Pistolenkugeln hinten in den Kofferraum, das war wirklich ziemlich strange.

Plötzlich aber schüttelte der Junge den Kopf, denn so richtig gruselig war es ja beim ersten Mal, als er zwei Karten zugleich in den Slot schob. Nicht mit Absicht, sondern aus Versehen, klebten die ja zusammen. Wohl weil er schwitzige Hände hatte. Eben weil in diesem Schlafzimmer konstant so eine schwüle Atmosphäre herrschte. Und die, weil ja eine jede so dünn war, auf den ersten Griff gar nicht als zwei zu identifizieren gewesen waren. Als nämlich gar nichts zu hören war. Als der ganze Film völlig ohne Ton ablief. Wie so ein alter Stummfilm, wenn auch wenigstens in Farbe. So gesehen war das in der Tat immerhin eine gewisse Veränderung zum Positiven hin. Aber irgendwann würde er es schon hinkriegen, dass auch das klappte. Da war er sich sicher. Dass es alles wieder wie echt klang. Das Ding war halt eine echte Wundertüte, wie Mathilda vorhin schon so richtig feststellte.

Dann ging Anthony zurück in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Was jetzt für ihn zu tun war, darüber musste er nicht lange nachdenken. Er ging in die Küche, machte sich ein Butterbrot, aß dieses, ging ins Badezimmer, putzte sich die Zähne, und stand dann auch schon fünf Minuten später in seinem Zimmer. Wo er seine Klamotten auszog und den Schlafanzug an. Er hatte nämlich nicht vor, noch lang aufzubleiben. Wozu auch? Fernsehschauen war eh nicht sein Ding. Schon deswegen: Wer so ein geiles Videospiel sein Eigen nennt, der findet in solch einer gewöhnlichen Flimmerkiste gewiss nichts Aufregendes mehr. Und gespielt hatte er mit dem Bett heute wahrlich lange genug. Also legte er sich nur noch auf sein Bett, löschte das Licht und schloss die Augen. Um zu entfliehen dieser grauen Welt, hinein in eine andere. In der er nur zwei Sekunden später erwachte.

 

 

 

Das S-B-B (Schwebbrett)

 

Anthony saß auf der schmalen Bank vor dem kleinen Häuschen, das die offizielle Adresse ihres Teams war. Dem Team mit der Biene auf der Brust. In dem er selbstverständlich auch wohnte, zusammen mit Ramshin, Sims und Broms. Aber natürlich auch mit dem neuen Glomp. Den allerdings nur er so nannte, und das auch nur stumm für sich, war er ja der Einzige, der über das Geheimnis des Wechsels Bescheid wusste.

Da die Bank keine Lehne besaß, lehnte Anthony mit dem Rücken an der Wand. Krumm wie eine Banane, denn auf eine korrekte Körperhaltung, wie sie in der Schule täglich gepredigt wurde, und ein gewisser Lehrer namens Doktor Wustlonom muss einmal mehr diesbezüglich geradezu namentlich erwähnt werden, legte er im Moment keinen großen Wert.

Nein, vielmehr war er völlig außer Atem und musste erst einmal wieder zu Kräften kommen. Denn auch wenn man denken will: Was soll denn da bitte so anstrengend dran sein, bei einer Fahrt auf einem Schwebbrett? So ist das natürlich totaler Unsinn. Denn auch wenn man die Beine kaum bewegt, so ist es das eben doch, verflucht anstrengend!

Endlich verstand der kleine Zauberer auch, warum diese Burschen auf der Erde, die ja nur mit ihren ganz gewöhnlichen Surfbrettern über die Gischtkronen der Meere gleiten und die so gerne auf den Titelbildern der Illustrierten abgebildet werden, so verdammt athletische Körper haben. Das kann bei diesem Sport gar nicht ausbleiben. Und mit solch einem S-B-B auf Ibalon, da waren ja noch ganz andere Dinge möglich. Damit wurden die drei Dimensionen nicht nur angekratzt, sondern sich zur Gänze zum servilen Untertan gemacht. Weit über die Gesetze der Schwerkraft und der Physik hinaus. So will es dem staunenden Betrachter zumindest scheinen. Speziell zu nennen sind da natürlich die Loopings in all ihren tausend Variationen oder auch die simulierten Steilwandfahrten. Wenngleich es da selbstverständlich noch viele verwegene Kunststücke mehr gibt, von denen Anthony allerdings nicht ein einziges beherrschte. Nicht einmal im Ansatz. Sein Kumpel Broms hingegen sehr wohl!

In der Tat, der junge Zauberer war, was das Manövrieren auf dem S-B-B anbetrifft, eher unbegabt. Und das ist noch ziemlich beschönigend gesagt. Da machte er sich selbst nichts vor. Und das, obschon das Brett ja eigentlich ihm gehörte, hatte er es ja zu seinem dreizehnten Erdengeburtstag vom geheimnisvollen Glomp geschenkt bekommen. Den auch wieder nur er so nannte, zudem nur stumm. Und nur aus bekannten Gründen war es ganz offiziell in das Eigentum des gesamten Teams überführt worden.

Um der Wahrheit den Lorbeer aufzusetzen, der allein ihr gebührt, Anthony war generell, was den Sport anbetrifft, eher unbegabt. Vom Handstand einmal abgesehen. Den zu beherrschen er sich mit viel Mühe angeeignet hatte. Kein Wunder, war er doch auf den beiden Seiten seines Seins so gelenkig wie eine Kuh, die versucht Kleingeld aus dem Portemonnaie zu fischen. Was nicht nur die, die ihn kannten, von ihm behaupteten, auch sein Team, sondern sogar er selbst. Manchmal ernsthaft, manchmal spaßeshalber, aber immer den Boxer voll auf die Zwölf treffend. Es war nicht ganz so schlimm wie bei Ramshin, das nicht, aber nahe dran. Und das will was heißen. Dennoch überkam ihn gerade ein gewisser Stolz. Was aber selbstverständlich nicht an seiner gerade absolvierten Leistung auf dem Brett lag, sondern an dem Garten, den er überblickte.

Oder, um einmal mehr der Wahrheit kein Blatt aus ihrem Kranz aus Lorbeer zu zupfen, an dem Areal, das der junge Zauberer im Moment von seiner Position unter dem Küchenfenster überblicken konnte. Was aber nur etwa ein Fünftel des Gartens ausmachte, denn der war in seiner Gesamtheit natürlich ungleich größer. War er doch rund um ihr kleines Häuschen herum angelegt.

Allerdings nicht kreisrund, wie man im ersten Moment denken will, sondern so, dass er von seiner Form her, wenn man denn von oben auf ihn hätte blicken können, mit den Augen eines Adlers, einen sofort an ein hart gekochtes Ei erinnert hätte, das längs in der Mitte, von oben nach unten, mit einem Schnitt durchtrennt worden ist. Wobei das kleine Häuschen einen guten Dotter abgab. Kurzum, es war genau so, wie es sich gehört, wenn man in einem jener äußeren Bezirke der Stadt namens Ibalon lebt, die dem unteren Mittelstand zuzuordnen sind.

Keine Frage, es waren vor allem die vielen Gemüsebeete, um die sich der geheimnisvolle Glomp einst immer so rührend gekümmert hatte, die in Anthonys Brust gerade diesen gewissen Stolz weckten. Wenngleich nicht nur den, denn bei der Erinnerung an den einstigen Diener, wie der mit seiner Schürze um den Bauch und stets aufmerksamem Blick durch ebendiese Beete spaziert war, sich immer wieder bückend, um hier und da ein Unkraut aus der Erde zu zupfen, meldete sich natürlich sofort auch ein wenig Trauer.

Um nicht zu sagen, es meldete sehr viel Trauer. Was sich darin äußerte, dass das Anthonys rechtes Augenlid plötzlich verdächtig zu zucken begann. Fast den Eindruck erweckend, als wolle sich sogleich eine Träne darunter hervorstehlen.

Zum Glück geschah das nicht. Wohl instinktiv sich daran erinnernd, wie das dritte Gebot auf dieser Welt nun einmal lautete: ‚Roboter weinen nicht. Robotern ist es untersagt zu weinen, ausgenommen der Fall, um zu zeigen den Menschen ihr Mitgefühl oder eine höher geordnete Instanz befiehlt ihnen dies. Handelt ein Roboter wider dieser Anweisung, sind die Grauen Wachen unverzüglich zu informieren, und eine endgültige Abschaltung ist unumkehrbar.’

Ein schreckliches und hartes Gebot, das dennoch inzwischen auch in Anthony tief und fest verankert war. Will doch kein kleiner Roboter für immer abgeschaltet werden und erst recht keine Graue Wache werden. Wobei man nicht einmal weiß, was das schlimmere Los ist. Wenngleich es natürlich zum Weinen war, die Sache mit dem geheimnisvollen Glomp. Und dass er sie so einfach verlassen hatte, um ab jetzt voll und ganz der Rebellion zu dienen.

Was jetzt aber nicht heißen soll, dass der neue Glomp nicht auch seine guten Seiten hatte oder nicht nett war. Im Gegenteil, er war sogar außergewöhnlich nett. Alle mochten ihn. Nicht nur er, auch Ramshin, Sims und Broms. Vor allem Sims. Was nicht schwerfiel, denn er lachte viel. Neigte zu Schabernack und Albernheiten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Fast so, als sei er selbst noch ein Kind.