10,00 €
Was kann man selbst tun, wenn man unter Aphasie (Sprachlosigkeit z.B. nach Schlaganfall) leidet. Wie kann man das Lesen und Sprechen auf neue Weise selbst erlernen ? Es geht in diesem Buch um diverse, erprobte Ideen zum Wiedererwerb des Lesens und Sprechens bei Aphasie.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
Dr. Volker Middeldorf
Aphasie-Fibel
Lesen und Sprechen lernen bei Aphasie
Polymodale Übungen zum multisensorischen Aufbau von Lese- und Sprechkompetenzen bei Aphasie
© 2025 Dr. Volker Middeldorf
Umschlag, Illustration: Chantal Schmidt
Lektorat, Korrektorat: Dagmar Henning, satzwandel.de
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
ISBN
Hardcover
978-3-384-57404-6
Softcover
978-3-384-57403-9
E-Book
978-3-384-57405-3
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne dessen Zustimmung unzulässig.
Die Ratschläge in diesem Buch sind vom Herausgeber sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung des Herausgebers und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Ich widme diese Fibel all jenen aphasisch Betroffenen, die anders als auf linguistisch-systematische Weise zum Sprechen kommen wollen.
Ich wünsche Ihnen einen geglückten Zugang zum Neulernen des Sprechens bei Aphasie und viele Lernerfolge!
Dr. Volker Middeldorf
Lindlar, im Juni 2025
Vorwort: Wie ist die Fibel zu verstehen?
Diese Fibel basiert auf meinen Veröffentlichungen Schritte aus dem aphasischen Schweigen (2025) und Wege aus dem Schweigen (2024) und stellt eine Sammlung klinisch erprobter Übungen zum Erwerb von Lese- und Sprechkompetenzen bei bestehender Aphasie dar. Im Laufe meiner aktiven Therapeutentätigkeit habe ich die hier beschriebenen Übungen so oder in sehr ähnlicher Form praktisch in intensivtherapeutischen Formaten im LogoZentrum Lindlar umgesetzt. Diese Übungen sind gut erprobt, von mir über Jahrzehnte in intensivsprachtherapeutisch durchgeführter Praxis eingesetzt worden und haben erfreulich gute Therapieergebnisse erzielt. In diversen therapiepraktischen, wissenschaftlich formatierten Projekten haben wir die Wirksamkeit des auch in dieser Fibel angewandten PmL-S1-Lernprinzips realisieren können. Insofern finden Sie im Folgenden eine Sammlung von geprüften Übungen, deren Ideen und Durchführungsempfehlungen dem Aufbau von neuen Lese- und Sprechkompetenzen bei Aphasie dienlich und zuträglich sind.
Das Inhaltsverzeichnis dieser Fibel verweist gezielt auf Textstellen, die bestimmten Übungsschwerpunkten zugeordnet sind. Damit wollen wir dem individuellen Bedürfnis der aphasisch Betroffenen nachkommen, in Bezug auf ihre persönlichen Übungsbedarfe gezielt nach konkreten Übungsinhalten suchen zu können.
Als praktische Lernhilfe während Ihres Trainingsprozesses erweist sich das Führen eines Übungsbuches mit tagebuchähnlichen Eintragungen zum Übungsdatum, zu aktuellen Übungsinhalten und -ergebnissen, zu Ihren aktuellen Übungsschwierigkeiten, aber auch zu Ihren Fortschritten und zu Ihren Gefühlen, die Sie aktuell erleben. Diese im Laufe der Zeit protokollierten Daten verschaffen Ihnen und Ihren Helfer*innen einen nützlichen Überblick über Ihre sprachliche Entwicklung.
Grundsätzlich sind die Übungen ab Kapitel 5 so aufgebaut, dass Sie diese durchaus allein bearbeiten und bewältigen können. Bei anfänglichen Anlaufschwierigkeiten rufen Sie Ihre*n Übungspartner*in zur Unterstützung herbei. Die Übungsaufgabe lautet: Oftmaliges gleichzeitiges Hören, Verstehen, lautes Lesen und fehlerfreies Sprechen des Satzes bzw. der Sätze zu der Szenenhandlung. Vielleicht kann Ihnen jemand (noch) einige Stunden als Übungspartner*in zur Verfügung stehen und einige Logovids® mit Ihnen dahingehend gemeinsam durcharbeiten. Bitten Sie die Person, Ihnen die Handhabung des ausgewählten Logovids® zu zeigen und Sie im Umgang damit anzuleiten. Das PmL-S-gemäße gleichzeitige Hören, Verstehen, laute Lesen und fehlerfreie Sprechen der Logovid®-Handlungsbeschreibungen ist für Sie eine wichtige und kognitiv herausfordernde Aufgabe, bei der Sie geduldig, hoch konzentriert und zigmal wiederholend die fehlerfreie Sprech-Handlung ausführen und mit jeder Wiederholung den neuronalen Neueintrag in Ihrem neuen Sprachnervennetzwerk vertiefen und stabilisieren. Diese fehlerfreien Sprech-Handlungswiederholungen sind für Sie herausfordernd und anstrengend. Daher empfehle ich Ihnen, bei Ihrer konzentrierten Lernarbeit in Ihren Übungssitzungen das Sprechen-Üben nur allein, aber mit den sprechenden Logovids® durchzuführen. Für das wirksame Selbstlernen im PmL-S-Format wählen Sie ein thematisch Sie ansprechendes und leistungskonformes Logovid® aus, mit dem Sie täglich 15 Minuten lang über mindestens vier Wochen üben wollen.
Das Lernziel sollte sein, dass Sie nach Abschluss einer Serie von 28 Übungssitzungen 25 % der im Logovid® vorzufindenden Sätze bzw. Texte fehlerfrei laut lesend auswendig sprechend und als Antworten auf die gestellten Fragen sprechen können. Das stellen Sie dann bei Ihren Familienmitgliedern unter Beweis.
Erstmalig konnten wir in einer Therapiestudie im LogoZentrum Lindlar (2006) zeigen, dass intensiv durchgeführtes PmL-S-basiertes Lernen mit einem vorstrukturierten interaktiven und multimodalen Arbeitsprogramm in 50 Übungsstunden innerhalb von 12 Arbeitstagen zu deutlich erkennbar guten Lernleistungen bei allen Teilnehmer*innen geführt hatte. Darüber hinaus zeigte uns die Studie erstmals, dass bei Nutzung eines geeigneten polymodalen Lernmaterials die Mehrheit der damit übenden aphasisch Betroffenen autodidaktisch, also ohne permanente Übungsbegleitung, lerneffektiv üben kann.
Der Einsatz polymodaler Übungsmedien wie der Logovids® könnte bei einigen von Ihnen sicherlich etwas Neues für den Übungsalltag bedeuten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Aphasie-Fibel für sich zahlreiche brauchbare Übungsideen und Übungsinhalte finden.
Viel Erfolg!
1 PmL-S steht für polymodal-multisensorisches Lernen von Sätzen. Polymodal-multisensorisches Lernen ist eine Lernstrategie, die auf der Integration von verschiedenen Sinneswahrnehmungen basiert, um das Lernen zu verbessern. Diese Methode, auch bekannt als multisensorisches Lernen, nutzt die Einbindung von visuellen, auditorischen, kinästhetischen und anderen Sinnesreizen, um Informationen effektiver zu verarbeiten und im Gedächtnis zu speichern.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort: Wie ist die Fibel zu verstehen?
1 Ich Möchte wissen, wie ich das Sprechen neu lernen kann
1.1 Wir brauchen für ein Neulernen von Sprache neue Sprachnerven außerhalb des neuronalen Lochs
1.2 Intuitives Üben bringt wenig Besserung, geordnetes Üben ist die Voraussetzung für erfolgreiches Neu-Lernen
2 Ich Möchte das Nachsprechen verbessern – auf Lautebene 3
2.1 Übungsintention: Ich Möchte die Vokale A/E/I/O/U wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können
2.2 Übungsintention: Ich Möchte die Umlaute /Ä/, /Ö/, /Ü/ wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können
2.3 Übungsintention: Ich Möchte die Diphthonge /AU/, /EU/ bzw. /ÄU/ und /EI/ bzw. /AI/ wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können
2.4 Übungsintention: Ich Möchte alle übrigen Buchstaben und Laute wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können (mit Logovid® Artikulation Teil 1-3 (Buchstaben und Laute)
2.5 Übungsintention: Ich Möchte die stimmlosen und stimmhaften Konsonanten wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können (mit Logovid® Artikulation Teil 1–3, Buchstaben und Laute)
2.6 Übungsintention: Ich Möchte die Nasallaute wiederholt hören und dadurch behalten und bilden können (mit Logovid® Artikulation Teil 1–3, Buchstaben und Laute)
3 Ich Möchte das Nachsprechen verbessern – auf Wortebene
3.1 Übungsintention: Ich Möchte Wörter wiederholt hören und dadurch behalten und sprechen können
3.2 Übungsintention: Ich Möchte so viele Wörter sprechen lernen wie Möglich
4 Ich Möchte das Nachsprechen verbessern – auf Satzebene
4.1 Übungsintention: Ich Möchte lernen, kurze Sätze besser behalten und fehlerfrei nachsprechen zu können
4.2 Übungsintention: Ich Möchte lernen, Längere Sätze besser behalten und fehlerfrei nachsprechen zu können Ich werde zwei dreigliedrige Sätze nach einer Übungswoche sprachklanggetreu wiedergeben können (Szene 2 und 8)
4.3 Übungsintention: Ich Möchte mich mit Wahrnehmungs- und Wiedergabeaufgaben fitmachen für komplexere Sprachaufgaben
5 Ich Möchte mein Sprachverständnis verbessern
5.1 Übungsintention: Ich Möchte eine Erzählung mit drei Wörtern verstehen lernen
5.2 Übungsintention: Ich Möchte drei kurze Sätze zu einer Urlaubsszene kennenlernen und sprechen können
6 Ich Möchte mein Sprechen verbessern und meine Lesefähigkeit wiedergewinnen
6.1 Übungsintention: Ich Möchte Buchstaben korrekt lautieren können
6.2 Übungsintention: Ich Möchte geschriebene Wörter und kurze geschriebene Sätze lesen, mir einprägen und wiedergeben können
6.3 Übungsintention: Ich Möchte eine Handlung verstehen, dazu den Satz hören und die Schrift scannen (lesen) können
6.4 Übungsintention: Ich Möchte Wörter und Sätze wieder lesen und das Gelesene verstehen können
6.5 Übungsintention: Ich Möchte über das fehlerfreie laute Lesen meine Sprach- und Sprechkompetenzen triggern
6.6 Übungsintention: Ich Möchte situationsgerecht die Schrift zu Hilfe nehmen
6.7 Übungsintention: Ich Möchte durch fehlerfreies lautes Lesen neuer (fremder) Sätze zu neuen Handlungen zum fehlerfreien Sprech-Handeln kommen
7 Ich Möchte Schwätzchen (Small Talk) halten können
7.1 Übungsintention: Ich Möchte Danke, Bitte, Hallo, Guten Tag sagen können
7.2 Übungsintention: Ich Möchte Hallo, wie gehts? sagen können
7.3 Übungsintention: Ich Möchte die Gegenfrage beantworten können
7.4 Übungsintention: Ich Möchte nachfragen können
7.5 Übungsintention: Ich Möchte drei persönliche Fragen stellen können
7.6 Übungsintention: Ich Möchte das im Gespräch Gehörte nonverbal und verbal kommentieren lernen
7.6.1 Übungsintention: Ich Möchte emotionsgeladen und sachlich kommentieren können
7.6.2 Übungsintention: Ich Möchte mich in Unterhaltungen durch kurze Signale bemerkbar machen können (Kommentier-Items nonverbal und verbal)
7.7 Übungsintention: Ich Möchte einen etwas Längeren Small Talk führen. Erweiterung der Small-Talk-Übung (Transfer in die Realität)
8 Ich Möchte ein Zwiegespräch führen können
8.1 Übungsintention: Ich Möchte lernen, mich mit jemandem in aller Ruhe zu unterhalten
8.2 Übungsintention: Ich Möchte den Frage-Antwort-Dialog als Vorstufe des Zwiegesprächs gestalten lernen
8.3 Übungsintention: Ich Möchte auf mir gestellte Fragen passend antworten können. Dazu lerne ich, 35 Sätze und 140 Fragen fehlerfrei zu sprechen (aus Logovid® Fragen und Antworten und aus Logovid® Satz-Findung 07)
8.3.1 Übungsintention: Ich Möchte zu jedem der 51 Sätze jeweils drei Fragen formulieren können
8.3.2 Übungsintention: Ich Möchte zu einer Situations- bzw. Geschehnisbeschreibung sinnvolle Fragen stellen können
8.3.3 Übungsintention: Ich Möchte zu jedem der 45 Sätze jeweils drei Fragen formulieren können (aus Logovid® Satz-Findung 02)
8.4 Übungsintention: Ich Möchte mehr Sprechinitiative mithilfe von Frage-Antwort-Dialogen gewinnen
8.4.1 Übungsintention: Ich Möchte meine biografischen Daten auswendig sprechen können
8.4.2 Übungsintention: Ich Möchte mich vom Logovid®-Programm anregen lassen, meine Sprechinitiative auf Dialogebene wiederzubeleben und dadurch meine verloren gegangene Sprechinitiative wiederzugewinnen
8.4.3 Ich Möchte meinen Schatz mit der Aussage „Guten Morgen, mein Schatz, hast du gut geschlafen?“ begrüßen können
Literatur
Anhang: Zugang zu allen LogoMedien® und Überblick
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort: Wie ist die Fibel zu verstehen?
Anhang: Zugang zu allen LogoMedien® und Überblick
Cover
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
1 Ich möchte wissen, wie ich das Sprechen neu lernen kann
Unsere Übungen sind therapiedidaktisch stets pragmatisch, also lese-, sprach- und sprechhandlungsorientiert2 ausgerichtet und zielen auf neuropädische, also mit therapeutischen Mitteln auf Nervenwachstum gezielt ausgerichtete Neueinträge im neuronalen Sprachnetzwerk. Dabei gehen wir davon aus, dass jede übende Person während der zu übenden Lese- bzw. Sprech-Handlung auf ihre (noch vorhandene) Sprachkompetenz, das Konglomerat ihrer persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Sprache, zugreift. Dabei spielt übungsdidaktisch das hintergründig selbst gespürte ‚Kennen, Wissen und Erinnern‘ eigener Erfahrungen im Umgang mit Sprache, mit dem eigenen Sprechen, Lesen und Kommunizieren eine entscheidende Rolle.
Ein wichtiger didaktischer Baustein in unserer Übungsgestaltung ist die Fähigkeit, auch unter Bedingungen der Aphasie Sprachmelodien und Sprachklangfolgen wahrzunehmen, zu speichern und wiederzugeben. Diese Fähigkeit nutzen wir, wenn wir das Sprachklangliche zum Ausgangspunkt des Sprech-Handelns erheben. Das ist der Kern unseres Neulernens von Lese- und Sprechkompetenzen. Der Sprachklang wird zum Schlüssel für sprachfunktionale Neueinträge in einem neuen Sprachnetzwerk. Dabei besinnen wir uns auf das Sprache- und Sprechen-Lernen im Kindesalter. Sprech-Handeln baut auf der gehörten Klangvielfalt der gesprochenen Sprache auf. Die Kinder geben ihre Sprache so wieder, wie sie sie in ihrer Umgebung hören.
Diese Fähigkeit, das Sprechen über das Hören zu lernen, ist genetisch angelegt. Und genau diese Fähigkeit nutzen wir in unseren Übungen, um ‚neu‘ sprechen zu lernen. Da wir während des Neulernens mit der logopädischen Fachperson sprachliche und sprecherische Handlungen ‚fehlerfrei unterstützt‘ ausführen, triggern wir unsere Sprachkompetenz und holen so manche sprachsystemische Regel wieder in unser Bewusstsein. Wir fangen dann an, uns zu erinnern. Deshalb sind Gedanken zum Sprachsystem und Fachbegriffe als Informationen aus dem Sprachunterricht wie Hauptwort/Nomen/Subjekt nützlich. Diese Begriffe nutzen wir als kenntnistragende Begriffe zum Aufbau neuer sprachlicher Kompetenz und zum aktivierten Verständnis des Sprachsystems, dessen Regeln wir früher einmal in der Schule gelernt haben.
Fazit: Wir lernen unser ‚neues‘ Lese-, Sprach- und Sprech-Handeln über das Reproduzieren vorher oftmals gehörter und laut gelesener Sätze.
Damit die neu erlernten Lese- und Sprechkompetenzen eingeprägt und in Erinnerung bleiben und sicher und fehlerfrei nachvollzogen und im kommunikativen Alltag flüssig angewandt werden können, müssen wir sie durch Übung – neuropädisch betrachtet – im Sprachnetzwerk gut eintragen und durch oftmaligen und intensiven neuronalen Beschuss (in der Übung) neuronal vertiefen, festigen und in ihrer Funktion automatisieren.
Bei vielen aphasisch betroffenen Menschen, die beim Sprechen schwere Probleme bei der Wortfindung oder beim Sprechen auf Satzebene haben, ist zumeist der Zugriff auf ihre Klanginventare der gesprochenen Sprache gestört. Viele erinnern sich nicht mehr an bestimmte Wortklänge, verstehen daher nicht die Wortbedeutung, wodurch der Zugriff auf das Lexikon im Gehirn gestört ist. Die sich dabei abzeichnenden amnestischen Phänomene sind neurolinguistisch tiefgründig und belasten die Kommunikation der Sprechenden sehr.
Da das musikalische Element des Sprachklangs neuronal an einem anderen Ort verortet ist als das gestörte motorisch-artikulatorische Sprech-Handeln oder der verlorene semantische Kern des Gesagten, nehmen wir zum Neuerwerb von Sprache primär pragmatisch Bezug auf den Satz-Sprachklang und erklären das Sprachklangliche zum Ausgangspunkt unseres Sprache- und Sprechen-Lernens.
Erfahrungsgemäß können sich aphasisch Betroffene auch nach vielen Jahren der Betroffenheit durch wiederholtes Training des Sprachklang-Wahrnehmens, des Sprachklang-Speicherns und des Sprachklang-Abrufens für einen neuen Zugang zum sprachklangbasierten Sprech-Handeln und damit zum weitgehend modellgetreuen ‚neuen‘ Sprech-Handeln sensibilisieren.
Allen aphasisch Betroffenen sage ich, dass es jetzt Sinn macht, sich an die Erarbeitung neuer Sprach- und Sprech-Handlungsweisen heranzumachen. Die dafür geeigneten Übungen liegen Ihnen nun vor.
Zu Beginn möchte ich Ihnen einleitend einige Gedanken zum Lernen mit Aphasie geben.
1.1 Wir brauchen für ein Neulernen von Sprache neue Sprachnerven außerhalb des neuronalen Lochs
Sie spüren, dass Sie als aphasisch betroffene Person heute anders lernen als früher, weil die neuronalen Verhältnisse in Ihrem Gehirn heute andere sind als früher. Ihre aphasischen Erscheinungen (Symptome) im Sprach- und Sprechverhalten sind Auswirkungen des (bis zum Tode bleibenden) Sprachnervenverlustes. Dieser Sprachnervenverlust hinterlässt bildlich gesprochen in Ihrem Sprachnetzwerk ein nicht reparables neuronales Loch. Wahrscheinlich werden Sie fragen: „Wie kann ich denn dann Sprachfunktionen neu lernen, wenn die bisherigen Sprachnerven abgestorben sind und nicht wieder neu wachsen?“ Diese kritische Frage ist berechtigt. Sie lässt sich aber positiv beantworten.