Argumente eines Winterspaziergängers - Thomas Bernhard - E-Book

Argumente eines Winterspaziergängers E-Book

Thomas Bernhard

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Beschreibung

Im Mai 1963 erschien in einer Auflage von 2000 Exemplaren Thomas Bernhards Roman »Frost« im Insel Verlag. Gleich nach Erscheinen erregte der Roman größte Aufmerksamkeit: Noch nie hatten die Rezensenten und Leser derartig aufwühlende Sätze über einen froststarren, finsteren Ort namens Weng im höchsten Österreich gelesen. Der Maler Strauch beschimpfte an dieser Stelle Gott und die Welt, erkannte um sich herum nur Kranke, Kretins und Todgeweihte. (Für den Roman erhielt Bernhard nicht nur den Bremer Literaturpreis, sondern auch den Österreichischen Staatspreis für Literatur, was die Gemeinde Weng zu heftigen Protesten beim Bundesminister wegen Verleumdung einer ganzen Gemeinde veranlasste.) Um das Irritationspotenzial dieses Romans einzugrenzen, verlegten die Interpreten sich schon bald darauf, die sinnlosen, widersinnigen Wortkaskaden des Malers als prototypisch für einen pathologischen Charakter anzusehen, der seinerseits prototypisch den Zerfall unserer Gegenwart vorlebt. Aus den vielen Vorstufen zu »Frost« präsentiert dieser Band aus Anlass des 50-jährigen Erscheinens eine frühe Fassung, in der ein Eisenbahner mit dem Namen Leichtlebig bei einer Kur in Schwarzach (bei Goldegg-St.Veit) einem Lehrer begegnet und mit ihm ausgedehnte Spaziergänge unternimmt. Die zweite der für diesen Band ausgewählten Vorstufen datiert aus der Zeit unmittelbar vor der Fertigstellung des Romans: Die »Argumente eines Winterspaziergängers« gab Thomas Bernhard seinem Freund Gerhard Fritsch, damit dieser sie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Wort in der Zeit« publizierte: Bernhard hat für diese Vorabveröffentlichung des Romans signifikante Passagen aus diesem zusammengestellt und sie zu einem 19-seitigen Manuskript zusammengefügt – eine Veröffentlichung kam allerdings nicht zustande.

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Seitenzahl: 125

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Thomas Bernhard

Argumente eines Winterspaziergängers

Und ein Fragment zu »Frost«: Leichtlebig Mit dem Faksimile des Leichtlebig-Typoskripts

Herausgegeben von Raimund Fellinger und Martin Huber

Suhrkamp Verlag

Inhalt

Argumente eines Winterspaziergängers

Leichtlebig. Ein Fragment zu »Frost«

Faksimile des Leichtlebig-Typoskripts

Editorische Nachbemerkung

Argumente eines Winterspaziergängers (Auszug)

Eine teuflische Mannesfurcht, müssen Sie wissen, hat mich den Selbstmord zurückdrängen lassen … dann kamen die Überlegungen, aus dem Dunkel herauf, überhaupt der Verkehr mit mir selbst … eine durch mich sehr ausgeprägte Normalität … aber ich habe das Recht, Erklärungen abzugeben, Überzeugungen meiner Menschennatur … dieser Zustand der ungeheueren Entwicklung des Geistes und seiner Innenwelt … Trotzdem habe ich den Selbstmord zurückdrängen können, diese zahllosen Fälle grenzenloser Enttäuschung, sagte der Doktor, diese Ausschreitungen und Verbrechen, diese Erbanlagen … ich sage: unmenschliche Schwierigkeiten … Sie müssen wissen, ich habe zeitlebens beinahe nur mit außergewöhnlichen Menschen verkehrt, die Welt, in der ich mich bewegte, und bis jetzt bewegt habe, wohlgemerkt, ist eine schwierige Welt, in der soviel wie gar keine Gesetze gelten … gar keine Anschauungsmöglichkeit. … ich war zu wenig interesselos, müssen Sie wissen … immer ein Mann der Entschlüsse, der Widersprüche, das gab mir immer zu denken: keine Anhaltspunkte …

*

Als ginge ich in eine Wolke hinein, sagte der Doktor, viel eher schwebe ich … das Gefühl, mein Kopf ist mein Körper und umgekehrt … bestimmte zaghafte, geschickte Ruderbewegungen mit den Beinen … das alles ist mit giftigen Gasen gefüllt, müssen Sie wissen, obzwar ich es als die größte Erleichterung empfinden würde, jemand stieße ein Loch in meinen Kopf … es zeigte sich, daß mein Kopf aus einer festen Substanz besteht … und er würde zerschmettern … so habe ich Angst, an einen harten Gegenstand anzukommen, an einen spitzen Gegenstand, der mich aufreißt … das ist ja lächerlich … über meinen Augen hängt ein großes Geschwulst, meine Nasenlöcher, riesige Öffnungen, mit den Lufteinsaugeöffnungen eines prähistorischen Tieres vergleichbar … ich habe ein solches Gefühl: die Nase besteht aus einer Unzahl von Saugnäpfen … in jeden einzelnen dieser Saugnäpfe kann ich, kann meine Forschernatur, hinuntersteigen … die Lunge, müssen Sie wissen, arbeitet gar nicht mehr instinktiv, sie ist unglaublich überbelastet, ich habe ständig Angst, sie könnte zerreißen … die Lunge ist das einzige Organische, das mir keinerlei Schmerzen verursacht … das macht mir Angst, sehen Sie: eine ihrer Kammern hält diesen Druck nicht aus: eine Kettenreaktion, eine solche Kenntnis von der Innenbeschaffenheit meines Körpers … jedes Organ kann ich deuten und fühlen, jedes Organ ist ein für mich feststehender Begriff, ein für mich abgeschlossener Schmerz: Niere, Leber, Milz, diese drei Qualen … dazu die Qual meines Kopfes, die ich Ihnen beschrieben habe … Kopfqual und Körperqual, gegenseitig, diametral, müssen Sie wissen: dazu die Qualen des Geistes und die Qualen der Seele und das ganze unterirdische Reich der Qualen … ich könnte meinen Kopf in Millionen Bestandteile zerlegen und seine Gesetze studieren: dieses Vernichtungswerk!, dieses farbenprächtige Land des Schmerzes: ohne Horizonte, ohne Wahrnehmungsvermögen, ohne Ohnmacht …

*

Die Todeskrankheit, müssen Sie wissen, führt ihren Träger dazu, sich ihr auszuliefern … ich habe das immer beobachtet und die medizinisch-wissenschaftlichen Bücher beweisen das … der Todeskranke geht in seine Todeskrankheit hinein, zuerst staunend, dann sich fügend … die Todeskrankheiten machen ihrem Träger vor, sie seien eine Welt für sich … dieser Täuschung verfallen die Todeskranken und sie leben von da an in dieser Täuschung, in ihrer Todeskrankheit, in der Scheinwelt ihrer Todeskrankheit, nicht in der Welt der Wirklichkeit … die Scheinwelt ihrer Todeskrankheit und die Welt ihrer Wirklichkeit sind die entgegengesetztesten Begriffe … der Todeskranke vertraut nicht der Welt der (seiner) Wirklichkeit, er liefert sich der Scheinwelt seiner Todeskrankheit aus … die Todeskrankheiten, das sind rhythmisch religiöse Bequemlichkeiten … die Menschen gehen in sie hinein wie in einen Garten … plötzlich (Sie wissen, es handelt sich da um Todeskrankheiten mit ihrem langen Verlauf, mit der Zeit um ein Gewohnheitstodeskrankheitsgefühl), plötzlich, schlagartig, ist es der Tod … die Todeskrankheiten sind eine exotische Landschaft … ein radikales Vorgehen des Egoismus von innen …

*

Es gibt hier eigensinnige Täler, sagte der Doktor, und in diesen Tälern Schlösser … man geht in sie hinein und die Welt hat nichts mehr zu suchen, die Welt, aus der man ist … Türen gehen auf, hinter welchen Menschen in kostbaren Kleidern sitzen, Thronsesselmenschen, wie aus einem erdachten Gemälde geschnitten, rücksichtslos … man geht … wird man angeredet, glaubt man, noch niemals eine Stimme, eine Sprache gehört zu haben … sei immer unkundig gewesen in dieser Kunst … habe keine Ahnung gehabt von Wörtern … Antworten gleich … man spricht ja nicht, horcht nur: alles hat brauchbare Namen, Bezeichnungen, keine Irrtümer, müssen Sie wissen … sie sagen einfache Dinge, die wölben sich dann über einem wie ein blauer Himmel … nichts Phantastisches, obwohl alles der Phantasie entsprungen … die Natur: größte Einfalt, Wohlhabenheit, Menschenwärme, nicht die Spur eines Verbrechens … von Zwist keine Rede … immerwährende Schonzeit, müssen Sie wissen, der kühle Verstand und das Angeborensein der Begriffe … der Menschentag und die Menschennacht: gut und für immer geformte Gesichter … Schlaf und Wachsein … die Luft ist klar durchdacht … mein Gott: die Tauglichkeit! … langsam bewirken die Redewendungen, die Gefühle, den Höhepunkt, das kunstvolle Staunenmachen … Gesetze ohne Qual haben Geltung, Geist und Charakter in der Menschennatur vereinigt: Logik ist in Musik gesetzt … das Alter zur Schönheit fähig, die Jugend wohl wie ein Vorgebirge … am Nachmittag kommen die Schatten … die Wahrheit liegt jetzt schon im Flußbett, sagt man, das Unerforschliche ist Erfüllung … das ist, sagte der Doktor, mehr aus dem Traum gesprochen, aber so wahr, wie wenig Betrachtungsweisen …

*

… diese Landschaft ist die häßlichste, die ich kenne, sagte der Doktor, sie ist häßlich und droht fortwährend, sie ist wild und voll böser Erinnerungspartikelchen, eine den Menschen zerzausende Landschaft … mit ihren Finsternissen, müssen Sie wissen, mit ihren Wildrudeln, mit ihrem zusammengerotteten Unheil … unablässige Hohlwege, Risse, braune Flecken, die zerrauften Gebüsche, die zerborstenen Baumstämme, diese feindliche Haltung, müssen Sie wissen, diese Rücksichtslosigkeit, müssen Sie wissen, außerdem ist alles vom Zellulosegestank durchschwängert … kein Herrentypus, lauter Arbeitsmenschen, Maschinisten, Handwerker, Lastkraftwagenlenker, Eisenbahner … man zerreißt sich oft Hosen und Strümpfe … die Vögel schwirren völlig hilflos in alle Himmelsrichtungen, dazu kommen auch noch die mehr oder weniger langen Schatten des Kalkgesteins … die Kälte ist nirgends so groß, die Hitze nirgends so unerträglich … es ist kein Zufall, daß ich jetzt hier bin …

*

Da alles der Tod ist, dieser Gedanke: der Tod hat die Maske fallen gelassen: das Leben, diese ungeheuere Macht, die Düsternis, das Gegenteil der Düsternis … diese ungeheuere Allgemeinheit … der Tod ist ohne Frage das Unendliche, müssen Sie wissen: die erfolgreichen Zeiten und die anderen, die Niederlagen … alles mit einer fürchterlichen Genauigkeit fortschrittlich … so um das fünfundzwanzigste Jahr hatte ich meine allererfolgreichste Zeit, in Bezug auf meine Wissenschaftsarbeit, müssen Sie wissen, hatte ich meine Erkenntnisse, Ergebnisse … im Übrigen war ich immer ein harter Arbeiter … am allerstrengsten bin ich mit mir verfahren … das Wichtigste mit fünfundzwanzig Jahren: alles unfertig: die Naturwissenschaft, sagte der Doktor, ein Gebiet ganz ohne Vernunftgründe … ich habe ein paar Bücher geschrieben, Bücher, nur an eine bestimmte Fachwelt gerichtet, in diesen Büchern ist in großen Zügen veranschaulicht, was mich immer zu wenig beschäftigt hat … der Nachwelt kommt das zustatten: dieser Kopf! die Nachwelt ist die Praxis … das Theoretische ganz ohne Zukunft … die Hoffnungen sind ja, wie Sie wissen, in jeder Geistarbeit an die Zukunft zu knüpfen, das Produkt wird immer erst nachher, nachdem es mißbraucht ist …

*

Zuerst, sagte der Doktor, ist mir vorgemacht worden, es gäbe eine Behandlung für meinen Kopf, eine Methode … aber plötzlich habe ich hinter die Kulissen der Ärzteschaft geschaut: ich lehnte jede Methode ab, ich hatte mehrere, viele Behandlungsmethoden nebeneinander … die Ärzteschaft, das sind bloße Vormacher!, ein Arzt ist natürlich kein Künstler, ein Handwerker, ja … mit den landläufigen medizinischen Werkzeugen, mit den rein medizinischen Bearbeitungsmethoden ist nichts mehr getan … freilich, die Ärzte können ihren Patienten nicht gleich an den Kopf werfen … daß die Medizin nur eine Art oberflächliche Beruhigung der Physis ist … den Kopf höher legen? den Kopf tiefer legen? ich habe den Kopf höher und ich habe den Kopf tiefer gelegt … der Schmerz kommt, wann er will … oder so, daß man die Steigerung, die er durchmacht, bis in die kleinsten Einzelheitsschwankungen … diese ganze Schmerzkonstruktion, sagte der Doktor … nun, reden wir nicht von Krankheit: die Krankheit ist wohl ein gesundes Gesprächsthema und beliebt, die Krankheit löst die gemeine und die feinere Zunge … wissen Sie, man will wissen, ob der Andere, der Gesprächspartner, nicht noch mehr als man selber leidet … man spricht auch um Mitleid … vom Spital unten hört man die verschiedensten Mißstände: Katastrophale Zustände, viel von verhexten Operationen, Plastiken, Zwischenfällen und so fort …

*

Sehen Sie, dort, auf der gegenüberliegenden Hangseite, auf der sogenannten Schattenseite, befindet sich der unterirdische Stausee … wenn Sie genau schauen, können Sie die Umrisse des Ganzen erkennen … die Straße, die Sie dort sehen, ist ein Werk des Energieministeriums, die Bauern haben durch diese Straße, die an ihren Höfen vorbeiführt, ungeheuerlich profitiert! … sie haben einen ganz minimalen Kostenzuschuß geleistet, einen lächerlichen Betrag, vom Landwirtschaftsministerium unterstützt … früher gab es zu diesen Höfen nur einen schmalen holprigen Karrenweg … Sie sehen: die Baustelle; der Fluß wird an dieser Stelle gestaut und ausgenützt, das Kraftwerk muß, wie Sie sehen, in den Fluß hineingebaut werden … vom Bahnhof führt ein Geleise hin, sehen Sie … diese Föhnluft! … selten sieht man so klar … achthundert Arbeiter, sagte der Doktor … wie das Wasser dampft, sehen Sie! … in dreieinhalb Jahren sind hier zwanzig Männer getötet worden, der Preis der Natur … man ersieht die Schwierigkeit des Unternehmens … die Praxis ist noch viel schlimmer, man sagt das so, aber das gibt keine Vorstellung: die Leute sind ihr Leben lang müde … ausgenützt und müde … ohne Pardon, dieser Ameisenhaufen … ein Milliardenprojekt! …

*

… wieviel wissenschaftliches Material ich verschlungen habe, sagte der Doktor, immense Reichtümer, ungeheuere Vermögen! Aber das alles ist ohne Bedeutung … ich habe ja abgeschlossen, das hat eine Zähigkeit, müssen Sie wissen, formellos … ich bin auch an gar nichts mehr interessiert … Brocken, Bruchstücke, Bräuche liegen herum, Gedanken, Gedankengänge, Gedankentrümmer.

*

… ich stehe oft auf, sagte der Doktor, mitten in der Nacht, Sie wissen ja, ich schlafe nicht! Stellen Sie sich diesen Kopf vor! Habe ich mich einmal aus meinem Bett herausgearbeitet, fange ich an, die Arme und dann die Beine abzutasten, langsam zu bewegen, was sehr schwierig ist, denn ich finde nicht sofort mein Gleichgewicht … durch diesen Kopf, müssen Sie wissen, habe ich, sobald ich aufstehe, Gleichgewichtsstörungen: ich muß mich davor hüten, abrupt aufzustehen … ich stehe völlig unbekleidet da, ich horche, ich höre, draußen bewegt sich, scheint es, nichts, als wäre die Menschheit ausgestorben … Vögel sitzen wohl auf den Ästen, aber sie rühren sich nicht … wenn man ganz zum Fenster hin geht und hinausschaut, man muß Zeit haben, sieht man die Vögel sitzen, sie haben dicke Bäuche, ich weiß nicht, um was für eine Vogelart es sich handelt, aber es sind immer dieselben Vögel … ich versuche, einige Male im Zimmer auf- und abzugehen, ohne meinen Kopf zu übergroßen Schmerzen, die ich durch die Anstrengung des Gehens hervorrufe, zu veranlassen … wissen Sie, was es heißt, ein Mensch zu sein, dem es ungeheuere Schmerzen verursacht, gleichzeitig zu atmen und zu gehen? Ich setze mich vorsichtig am Tisch nieder und fange an, in meinen Manuskripten zu blättern … ich versuche, einen Brief, den ich schon seit Tagen an meine Stiefschwester richte, weiter zu schreiben … in diesem Brief ist alles, was mich beschäftigt … Natürlich verschweigt man das Wichtigste … weil man immer erschrickt … dann aber ist dieser Einfall, den man gerade gehabt hat und von dem man überzeugt war, daß es ein guter Einfall gewesen ist, fort … die Nächte sind mein Martyrium, müssen Sie wissen, ich verkürze sie, indem ich Betrachtungen über meinen Körper anstelle: ich setze mich vor den großen Spiegel in meinem Zimmer und schaue mich an … man kann nicht fortwährend hochqualifizierte Fragen hinunterwürgen … so komme ich jetzt auf lange Partien bloßen Schauens … das ist die einzige Befriedigung, die ich habe; sie lindert den Schmerz; der Kopf bleibt dann ohne Aufruhr, Hitze und Erregung steigern sich nicht … ich komme über die Nacht, diese furchtbare Verzweiflung, müssen Sie wissen, die an den Wänden, die ich mit meinen Fingern zerkratze, zum Vorschein kommt … sehen Sie, sagte der Doktor, meine Nägel sind abgebrochen, ein so unvorstellbarer Schmerz ist es, der von meinem Kopfe ausgeht, daß ich es gar nicht sagen kann …

*

… und dann dieses Abwechseln absoluter Schwerfälligkeit mit dem leichten Hinschwinden meines Prozesses hinauf in eine völlig bodenlose Region, die sich nur den Verrückten öffnet … trotzdem muß ich sagen, daß ich niemals geklagt habe, nicht geklagt … selbst die auswegloseste Situation habe ich mit hartnäckigen Abweisungsversuchen meines erniedrigten Selbst gesprengt: manchmal ist es mir auch gelungen, aus diesen Zuständen in die Gesundheit zurückzufinden … Jetzt glaube ich nicht mehr an eine solche Lösung: sie würde mich nur von hinten ganz plötzlich töten: das Gasthaus ist düster und die Menschen gehen in ihren Fiebern versunken, sagte der Doktor, auf geheimnisvolle Weise, während draußen ein noch viel finsterer Zustand herrscht … während im Gasthaus alles schläft, nimmt die von allen Seiten anrückende Feindschaft zu, eine unerklärliche Feindschaft, müssen Sie wissen, ich bin der Ansicht, es handelt sich aber durchaus nicht um weltfremde Einflüsse … nun, sagte der Doktor, meiden Sie meine Gesellschaft, gehen Sie Ihrer Wege, andere Wege, ich kann keine Rücksicht nehmen, ich nehme schon lang keine Rücksicht: schließen Sie sich dem Gendarmen, dem Ingenieur an … es ist mir entsetzlich zu wissen, daß ich Sie anstecke, meine Krankheit, wissen Sie … und ich nütze Sie aus, das ist mir ein furchtbarer Zustand. Aber da ich, wissen Sie, ein Meister der Menschenbeherrschung bin, und mich immer habe aufs Äußerste einschränken können … tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie mir, was Sie über mich denken, sagen Sie mir die Wahrheit und lassen Sie mich nicht in der qualvollen Lächerlichkeit, indem Sie mich immer zum Narren halten … der Schmerz in meinem Kopf, müssen Sie wissen, zieht mir die Ohrlappen bis zu den Knien herunter …

*

… ich könnte, sagte der Doktor, Namen nennen, hundert und tausend und hunderttausende Namen, Vater und Mutter, müssen Sie wissen, Vettern, Cousinen, sogenannte Krankheiten, Selbstquälereien, Erfindungsgaben, Enttäuschungen … ich könnte! ich könnte eine Person erfinden … sie stünde vor mir und ich könnte mit ihr ein Gespräch anfangen, eine erfundene Unzucht dieser Person … ich könnte mich dieser Person eröffnen, mich mit ihr unterhalten, wie man sich mit einer Staubschicht unterhält … Ich könnte sie vor meinen Augen erniedrigen, diese Person, ihr Kleider aufhalsen, nach und nach sie in Kostbarkeiten und Lumpen wickeln! Ihr eine bestimmte Musik vorspielen, Trauer und Leichtsinn, müssen Sie wissen … ich könnte …

*

… ich befinde mich ja in einem Zuchthaus, von allen Seiten wird mir gedroht … diese Gummiknüppel, müssen Sie wissen, lauter sprungbereite Männer, sie bilden einen Kordon um mich, sie haben es auf mich abgesehen … ich habe ja protestiert, aber der Protest nützt nichts! ich ersticke an meinem Echo … ich brauche stundenlang, um aus dieser Bewußtlosigkeit, aus dieser menschenleeren Erschöpfung, wieder herauszukommen … diese Männer, sagte der Doktor, sind die Gewalttätigkeit, sie verursachen, selbst, wenn sie nicht