Atlan 41: Der Mondträger (Blauband) - H. G. Francis - E-Book

Atlan 41: Der Mondträger (Blauband) E-Book

H. G. Francis

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Nach wie vor kämpft Atlan von Gonozal um sein Erbe. Seit der Vater des Kristallprinzen ermordet wurde, regiert Imperator Orbanaschol III. über Tausende Sonnensysteme des Großen Imperiums. Der Kristallprinz und seine Freunde haben es jedoch nicht nur mit diesem Feind zu tun. Wasserstoffatmende Maahks greifen Siedlungswelten der Arkoniden an - und es gibt eine geheimnisvolle Macht, die das Imperium mit Doppelgängern zu destabilisieren versucht. Atlan hat jedoch viele Mitstreiter. Im Arkonsystem kämpft der aus der Zukunft stammende Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton für das Imperium und den Kristallprinzen, während die Rebellen auf Kraumon von Mekron Dermitron unterstützt werden ... Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 247: "Befreiungsaktion Tekayl" von H. G. Francis Heft 260: "Der Agent und die Gehetzten" von Marianne Sydow Heft 263: "Die Königin von Xuura" von Clark Darlton Heft 264: "Der Mondträger" von Harvey Patton Heft 265: "Brennpunkt Cherkaton" von Harvey Patton

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Nr. 41

Der Mondträger

Prolog

Die kleine gelbe Sonne war zwar in den Sternkarten des Großen Imperiums der Arkoniden verzeichnet, trug jedoch lediglich eine Nummernbezeichnung. Sie wurde von nur einem Planeten umlaufen, der in den Karten nicht einmal erwähnt wurde. Hätte sich ein neugieriger Kommandant der Raumflotte des Tai Ark’Tussan die Mühe gemacht, dem namenlosen Planeten einen Besuch abzustatten, wäre er überrascht gewesen. Statt eines leblosen und unwirtschaftlichen Himmelskörpers wäre er einer Welt begegnet, auf der sich eine äußerst verdächtige Geschäftigkeit abspielte.

Doch die Kommandanten der Arkonflotte hatten andere Sorgen und Aufgaben. Die Methans machten ihnen schwer zu schaffen, außerdem begann es im Gebälk des Tai Ark’Tussan zu knistern. Intrigen und diverse Angriffe aus dem Untergrund gegen Orbanaschol III. mehrten sich von Tag zu Tag. So kam es, dass niemand den scheinbaren Frieden auf dem namenlosen Planeten störte und dort Dinge vorbereitet werden konnten, die zum Sturz des Großen Imperiums führen sollten.

1.

Persönliches Log Helos Trubato, kommissarischer Kommandant (zuvor Erster Offizier) der ISCHTAR, aufgezeichnet am 30. Prago der Coroma 10.499 da Ark

Der nach der Varganin ISCHTAR getaufte reduzierte Schachtkreuzer von dreihundert Metern Durchmesser hat eine beispiellose Irrfahrt hinter sich und ist inzwischen leider kaum mehr als ein Wrack. Als das Schiff von Kraumon startete, war es generalüberholt, zum Teil mit Neueinbauten versehen und auf den neuesten Stand gebracht.

Nun steht die letzte, mit großem Risiko verbundene Transition bevor – sollte sie gelingen, erreichen wir endlich Kraumon. Sie kann allerdings auch unsere Vernichtung bedeuten. Die Verantwortung, diesen Versuch zu wagen, wiegt schwer. Warnende Stimmen gibt es genügend an Bord, allen voran die von Ingenieur Hagor Quingallen. Seine Argumente haben selbstverständlich Gewicht, dennoch habe ich mich gegen ihn und seine Bedenken entschieden. Der Beschleunigungsflug zur Sprunggeschwindigkeit wird in einer Tonta beginnen. Zeit, ein vorläufiges Resumee zu ziehen.

Am 12. Prago des Tedar 10.499 da Ark brach die ISCHTAR von Kraumon zum Maahkstützpunkt Marlackskor auf, um den zuvor am 30. Messon von der Totenwelt Hocatarr entführten und durch das aus dem Mikrokosmos stammende Lebenskügelchen wieder belebten Leichnam Gonozals VII. offiziell einzusetzen, obwohl die nach der ausdrücklichen Zustimmung seiner Witwe Yagthara erfolgte rein körperliche Reanimation ein zweifelhafter Erfolg war.

Selbst der Aufenthalt auf der Welt der Seelenheiler vom 25. bis 28. Tedar bescherte Gonozal keine Hilfe, dafür aber neue Abenteuer, in deren Verlauf Akon-Akon an Bord kam. Ehe jedoch der Suggestor die Macht an Bord übernahm, wurde Gonozals Körper vom Bewusstsein des Magnortöters Klinsanthor übernommen, der die ISCHTAR in eine Sternballung eng stehender Riesensonnen in der Nähe des galaktischen Zentrums steuerte – wenngleich Letzteres zunächst nur eine Vermutung war.

Pragos der Verzweiflung folgten, in denen uns Akon-Akon im mental-suggestiven Griff hatte, bis wir am 36. Prago des Ansoor 10.499 da Ark den zweiten von fünf Planeten einer gelben Sonne erreichten – Kledzak-Mikhon. Die von den grünpelzigen Loghanen bewohnte Welt war ursprünglich eine Siedlungswelt der Akonen und damit genau das, was der Junge von Perpandron die ganze Zeit gesucht hatte. Nach dem Beschuss mit Raketen hatten wir zwölf Tote zu beklagen und die Außenhülle der ISCHTAR wies an zahlreichen Stellen Beschädigungen auf. Zwar gab es Schmelzlöcher und dunkel verfärbte Stellen, aber zum Glück hatten die Maschinen und Aggregate selbst allem Anschein nach keine weiteren Schäden erlitten.

Durch den Großtransmitter der auf dem Zentralkontinent Sover-Kar gelegenen Hauptstadt Poal-To brachen am 2. Prago der Prikur 10.499 da Ark Akon-Akon und vierzig Besatzungsmitglieder – darunter Atlan, Karmina da Arthamin, Fartuloon und Vorry – mit unbekanntem Ziel auf. Die letzte Anweisung Atlans lautete, dass wir nach Kraumon fliegen und uns in Sicherheit bringen sollten. Der Kristallprinz war davon überzeugt, dass wir es irgendwie schon schaffen würden.

Als die ISCHTAR Kraumon verlassen hatte, war ich der Erster Offizier. Nun lag die Verantwortung für Schiff und Besatzung ganz in meinen Händen als kommissarischer Kommandant. Die sechshundertköpfige Besatzung war auf 448 zusammengeschrumpft. Der Rückflug nach Kraumon war eine alles andere als einfache Aufgabe, weil nicht einmal die genaue Position bekannt war. Diese musste zunächst herausgefunden werden, ehe überhaupt an den langen Weg zur Stützpunktwelt und die damit verbundenen Schwierigkeiten gedacht werden konnte.

Mit drei die Aggregate ziemlich belastenden Transitionen, bei denen es bereits zu ersten Anomalien kam, gelang es uns, den Zentrumsbereich der Öden Insel senkrecht nach unten zu verlassen. Dadurch vergrößerte sich zwar die Rückflugdistanz, doch es gelang uns endlich, eine genaue Positionsbestimmung durchzuführen. Es dauerte zwar mehrere Pragos, aber dann waren wir sicher, dass wir für den Flug nach Kraumon 15.586 Lichtjahre zurückzulegen hatten. In direkter Distanz war Kledzak-Mikhon nur 12.677 Lichtjahre von Kraumon entfernt, doch von dort aus hätten wir den Großteil der Strecke durch dichtes Sternengewimmel samt den damit verbundenen Problemen wie Hyperstürme und ähnliche Schwierigkeiten überwinden müssen.

Während der Zwischenlandung auf einer unbewohnten Welt wurde die beschädigte Kugelzelle notdürftig geflickt. Und dann wurde es eine lange Reise, als wir am 15. Prago der Prikur aufbrachen. Ingenieur Quingallen bestand darauf, fortan die maximale Einzelsprungweite auf 500 Lichtjahre zu begrenzen. Eine weitere Einschränkung war die jeweils benötigte Zeit zur Transitionsspeicheraufladung, die im Extrem einen ganzen Tag beanspruchte. Mit achtzehn Hypersprüngen legten wir 9000 Lichtjahre zurück, dann zwang uns ein fürchterlicher Hypersturm zu einem Zwangsaufenthalt von acht Pragos. Danach funktionierte unter anderem unser Hyperfunk nicht mehr, die Andruckabsorber »stotterten« ebenso gewaltig wie die Impulstriebwerke des Ringwulstes, und die Abwehrkapazität des Schutzschirms erreichte bestenfalls noch vierzig Prozent.

Erst am 30. der Prikur konnten wir die Reise fortsetzen, doch nun mussten wir die Einzelsprungweite noch weiter auf nur 400 Lichtjahre reduzieren, während gleichzeitig die Aufladung noch länger dauerte. Für fünfzehn Transitionen, bei denen die Anomalien schlimmer wurden, benötigten wir fast die gesamte Coroma. Der nächste Sprung am 30. der Coroma war ein Fehlsprung – statt der programmierten 400 Lichtjahre wurden nur etwa 286 zurückgelegt. Aber wir haben Kraumon fast erreicht! Nur noch 300 Lichtjahre.

Quingallen hätte nach der Prüfung der Aggregate jeden weiteren Hypersprung am liebsten verboten, doch nicht nur ich bin nicht bereit, so nah am Ziel aufzugeben. Es bedarf nicht der eindringlichen Worte des Ingenieurs, um uns das Risiko vor Augen zu führen. Ich ließ abstimmen; bei nur drei Enthaltungen sprachen sich alle für die letzte, die wichtigste Transition aus.

Es wird Zeit. Der Beschleunigungsflug steht an. Vielleicht ist es unser letzter, wer weiß? Ich muss Zuversicht und Optimismus verbreiten, sobald ich die Zentrale betrete. Noch nie zuvor ist mir das so schwer gefallen; mein Magen scheint zu einem Arkonstahlklumpen verfestigt, Übelkeit steigt kurz auf, lässt mich würgen. Tränen verschleiern meinen Blick, bis ich mich wieder gefangen habe und die Schultern straffe. Ein letzter Blick in den Spiegel der Nasszelle meiner Kabine.

Ja, es wird Zeit. Bericht Ende.

An Bord der ISCHTAR: 30. Prago der Coroma 10.499 da Ark

Die Sprunggeneratoren des Strukturfeld-Konverters wurden aktiviert. Die Transition begann mit einem stechenden Schmerz. Alle Gedankentätigkeit erlosch …

… bis mit der Wiederverstofflichung, die ohne jeden messbaren Zeitverlust erfolgte, der ziehende Rematerialisierungsschmerz kam und das Schiff fast zerrissen wurde. Der Transitionsschock überfiel die Frauen und Männer an Bord mit einer Stärke ohnegleichen. Für Augenblicke wanden sie sich wie in Krämpfen, der Entzerrungsschmerz raste durch ihre Glieder. Als sie wieder sehen und hören konnten, fuhren sie zusammen. Das berstende Geräusch brechender Träger und Verstrebungen drang an ihre Ohren. Alarmpfeifen und Sirenen gellten. Doch dieses Inferno wurde von einem unerträglichen Dröhnen übertönt. Die Kugelzelle des Raumers erbebte unter heftigen Schwingungen, die sie wie eine riesige Glocke klingen ließen. Dann fiel sogar die Beleuchtung aus – das Ende schien gekommen.

Laute Schreie gellten durch das Dunkel. Die Andruckabsorber waren für wenige Augenblicke ausgefallen. Das hatte schon genügt, um jeden zu Boden zu schmettern, der keinen festen Halt hatte, als ein Korrekturstoß der Impulstriebwerke erfolgte. Die Hand des Piloten zuckte zu den Sensoren einer Notschaltung. Im nächsten Augenblick flammten die Lichter wieder auf.

Allmählich verstummten auch die nervenaufreibenden Geräusche. Das hallende Dröhnen verging, die Lärmpfeifen stellten ihre Tätigkeit ein. Nun schaltete der kommissarische Kommandant den Interkom ein, seine Stimme klang durch das Schiff: »Trubato spricht. Achtung, Medostation: Alle Medoroboter los, alles zur Behandlung Schwerverletzter vorbereiten. Notfallkommandos mit voller Ausrüstung, Schäden feststellen und nach Möglichkeit beheben. Geben Sie Ihre Meldungen laufend zur Kontrolle und Koordination an die Zentrale durch. Ende.«

Die nächste halbe Tonta waren Medoroboter, Bauchaufschneider und Helfer damit beschäftigt, fünfundvierzig Verletzte zu versorgen. Es gab Arm- und Beinbrüche, Gehirnerschütterungen und vielfältige Prellungen. Die Medostation füllte sich. Ständig gingen neue Meldungen der Notfalltrupps ein. Durch die Brüche von Streben und Trägern waren vor allem die großen Räume betroffen. Daneben gab es zahlreiche kleinere Schäden, an deren Beseitigung gearbeitet wurde. Ein Druckverlust konnte nirgends festgestellt werden.

Dafür kam eine schlechte Nachricht aus dem Maschinendeck. »Das Transitionstriebwerk ist endgültig hinüber«, meldete der diensthabende Ingenieur Hagor Quingallen. »Es ist restlos ausgebrannt, auch ein Teil der Impulstriebwerke ist ausgefallen. Wir können höchstens noch mit der Hälfte der sonstigen Kapazität beschleunigen, die ISCHTAR ist ein Wrack. War das wirklich nötig, Helos? Ich habe Sie dringend davor gewarnt, eine solche Gewalttransition vorzunehmen.«

Helos Trubato zuckte mit den Schultern. »Sie haben davor gewarnt, überhaupt noch mal zu transitieren, ganz gleich, über welche Entfernung. Wir waren aber noch – oder nur! – dreihundert Lichtjahre von Kraumon entfernt. Wir mussten das Risiko eingehen. Hätte es Ihnen etwa besser zugesagt, so lange im leeren Raum dahin zu treiben, bis unsere Vorräte erschöpft gewesen wären? Ein paar Votanii, bis die ISCHTAR nur noch ein Geisterschiff gewesen wäre? Jetzt ist sie zwar ziemlich mitgenommen, dafür befinden wir uns jedoch direkt vor Kraumon – das allein zählt.«

»Ziemlich mitgenommen?« Quingallen winkte resigniert ab. »Schon gut. Freuen kann ich mich aber trotzdem nicht sehr, denn wir kommen praktisch mit leeren Händen zurück. Atlan, Fartuloon und die anderen sind mit unbekanntem Ziel verschwunden und vermutlich nach wie vor Spielbälle dieses verdammten Jungen, der sie weiter missbrauchen kann. Ob das die Stimmung auf Kraumon heben wird?«

Er wartete die Antwort nicht ab, sondern schaltete sein Gerät aus. Trubato seufzte, aber bald hellte sich sein Gesicht wieder auf. Er sah den neben ihm sitzenden Navigator an. »Atlan und die anderen werden schon durchkommen«, sagte er überzeugt. »Mit ganz leeren Händen kommen wir ja auch nicht nach Kraumon zurück – immerhin haben wir Gonozal an Bord! Er ist zwar kaum mehr als ein lebender Leichnam, aber sein Wert als Symbolfigur im Kampf gegen Orbanaschol ist unschätzbar … Positionsbestimmung?«

»Drei Lichtpragos von Kraumon entfernt! Sofern die Burschen nicht auf ihren Ohren sitzen, müssten sie den Transitionsschock angemessen haben und bald nachsehen kommen.«

Waffenleitoffizier Khylrun sagte: »Leider unwahrscheinlich. Für einen Freund sind wir zu weit entfernt materialisiert; sie werden sich also bedeckt halten und uns beobachten. Erst wenn wir länger hier im freien Fall treiben, dürften sie unruhig werden.«

Trubato stimmte zu. »Ebenso, sobald wir ins System einfliegen. Dennoch werden sie es vermeiden, unnötige Transitionen durchzuführen, weil diese den Standort Kraumon verraten könnten. Leute, vorläufig sind wir weiterhin auf uns allein gestellt.«

Vierzehn Tontas später waren die schlimmsten Schäden behoben. Die ISCHTAR nahm langsam Fahrt auf und steuerte Kraumon an.

Kraumon: 36. Prago der Coroma 10.499 da Ark

Morvoner Sprangks Gesicht zeigte düstere Falten. Während Atlans Abwesenheit befehligte er als Kommandant die rund zwölftausend Gefolgsleute, die in Gonozal-Mitte und Umgebung lebten. Der ehemalige Kopfjäger Corpkor und der Chretkor Eiskralle unterstützten ihn dabei nach besten Kräften. Er richtete den Blick auf den Mann, der ihm an seinem von zahlreichen Monitoren und sonstigen Instrumenten bedeckten Schreibtisch gegenübersaß.

»So kann es nicht weitergehen, Bragos«, sagte er entschieden. »Einmal fehlt es hier, dann wieder da, und das alles hemmt unsere Arbeit für Atlan. Wir müssen alles tun, um eine Wendung zu schaffen.«

Er war groß und schlank und trotz seines Alters körperlich gut in Form. Sein Gesicht wirkte grob, denn es war von zahlreichen Narben übersät, den Spuren seiner Einsätze für das Imperium. Er war ein ausgezeichneter Organisator in allen militärischen Dingen und ein ruhiger, fast bedächtig wirkender Mann. Doch jetzt war er nervös, das zeigte die Art, wie er wiederholt über den haarlosen Schädel strich.

Bragos Neschbar neigte zustimmend den Kopf. »Sie sprechen mir von der Seele, Athor. Täglich erhalte ich Anforderungen von allen Seiten, die ich fast nie befriedigen kann. Wir könnten weit größere Fortschritte machen als bisher, würde hier Abhilfe geschaffen.«

Neschbar war etwas kleiner als Sprangk, dafür aber breiter gebaut. Sein Gesicht war rundlich, zwischen den rötlichen Augen saß eine ausgesprochene Stupsnase. Er trug das weißblonde Haar halblang, seine Stimme klang ruhig und kultiviert. Er war 42 Arkonjahre alt und entstammte einer angesehenen Händlerfamilie auf Arkon II. Ehe er zu Atlans Gefolge gestoßen war, war er Beschaffungsmeister eines Flottenstützpunkts gewesen. Nun nahm er auf Kraumon eine ähnliche Stellung ein.

Aus der einstigen Geheimstation war ein beachtlicher Stützpunkt geworden. Sie konnten jedem Gegner schwer zu schaffen machen, den Maahks genauso wie Einheiten der Imperiumsflotte. Bisher hatte jedoch noch keine der in gleicher Weise unerwünschten Parteien Kraumon entdeckt. Die relative Nähe zum galaktischen Zentrum versprach ein Höchstmaß an Sicherheit, zumal der informierte Kreis jener, die die Koordinaten kannten – angesichts der massiv aufgestockten Mitstreiterzahl ein absolutes Muss! – auf ein Minimum beschränkt blieb; die Daten in den Raumern waren selbstverständlich verschlüsselt und gegen unbefugten Zugriff gesichert.

Verräterische Häufungen von Transitionen wurden deshalb vermieden. Gerade das bereitete dem alten Haudegen Sorgen – nicht nur mit Blick auf das am 30. der Coroma in drei Lichtpragos angemessene Schiff, von dem inzwischen feststand, dass es stark beschädigt und vermutlich zu keiner weiteren Transition mehr fähig war.

Ein scharf gebündelter Hyperfunk-Richtspruch geringer Leistung blieb bislang ohne Antwort. Dafür hatte der Raumer rund fünfzehn Tontas nach der Materialisation behutsam auf etwa halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und näherte sich mit Kurs auf Kraumon. Inzwischen war er nur noch rund 3,4 Milliarden Kilometer entfernt. Sollte es nicht bald zu einem Normalfunkkontakt kommen, würde das Schiff abgefangen werden müssen. Andererseits bestand aufgrund des angemessenen Durchmessers von dreihundert Metern die – wenngleich noch vage – Hoffnung, dass es sich um die verschollene ISCHTAR handelte.

Sprangk musterte die Schaubildprojektion mit der Kurslinie und wandte sich anderen Bildschirmen seines in der Hauptkuppel befindlichen Büros zu. Die isolierte Lage des einzigen Planeten einer kleinen roten Sonne fernab aller bewohnten Welten brachte inzwischen erhebliche Nachschubprobleme mit sich. Der wüstenartige Planet bot den Arkoniden nur spärliche Nahrungsquellen. Es gab nur einen schmalen Grüngürtel entlang des Äquators, aber auch der bestand zum größten Teil aus weiten Steppen und niedrigen Wäldern. Nur in einigen geschützten Tälern gab es Flüsse und kleine Seen, die die Entwicklung einer üppigeren Vegetation ermöglichten.

»Gonozals Kessel« war ein lang gestrecktes Tal von rund fünfzig Kilometern Durchmesser mit dschungelähnlichen Wäldern, Flüssen und Seen. Allerdings hatte die Basis inzwischen eine solche Ausdehnung angenommen, dass nur noch wenig Land zum Anbau von Nutzpflanzen übriggeblieben war. Vor allem das neue, zwanzig Kilometer nordöstlich des Stützpunkts gelegen Raumlandefeld von rund fünf Kilometern Durchmesser beanspruchte mit dem den Raumhafen umgebenden Fortring viel Fläche. Jeder Fleck wurde ausgenutzt, aber das reichte nicht, um alle zwölftausend Mitstreiter zu versorgen. Da es nur wenige Tiere gab, die als Fleischlieferanten in Frage kamen, fehlte es an allen Ecken und Kanten.

Die Erzeugung synthetischer Nahrungsmittel, die fast zwei Drittel des Bedarfs deckten, war ein Notbehelf, aber eben nur ein unzulänglicher Ersatz, den niemand gern mochte. Den meisten waren die in der arkonidischen Flotte verwendeten Konzentrate in unliebsamer Erinnerung. Ähnlich – und vielleicht noch wichtiger – verhielt es sich mit allen anderen Bedarfsgütern. Von hochwertigen Erzeugnissen ganz zu schweigen. Auf Kraumon gab es zwar Rohstoffe, aber keine umfangreiche Industrie, so dass fast alles von außerhalb herangebracht werden musste. Daran änderten auch die subplanetaren Fabrikationsanlagen wenig, deren Kapazität den Bedarf nur zu einem kleinen Teil decken konnten. So war ständig das eine oder andere Schiff unterwegs, um für Nachschub in jeder Form zu sorgen.

Bisher waren aber alle diese Unternehmungen wenig zufrieden stellend gewesen. Die Beschaffungskommandos waren in fast jeder Hinsicht gehandikapt. Überfälle auf Flottendepots, wo es alles im Überfluss gab, waren zwar spektakulär, wurden aber nur im Notfall ausgeführt, bestand doch stets die Gefahr, das betreffende Schiff zu verlieren. Blieben meist abgelegene Kolonialwelten, auf denen es nur selten militärische Garnisonen gab. Das erschien relativ leicht, war aber doch noch schwierig genug. Der erste Grund war der Mangel an Zahlungsmitteln oder Waren, die zum Tausch angeboten werden konnten. Auf diesen Planeten durch Gewaltanwendung Güter zu beschaffen, verbot sich aber von selbst. Es hätte die Sache des Kristallprinzen weit mehr geschadet als genutzt. Orbanaschol hatte sich von jeher bemüht, den »Hochstapler« Atlan als Verbrecher, Piraten und Hochverräter hinzustellen. Wären sie wirklich so vorgegangen, hätten sie dem Mörder auf dem Kristallthron direkt in die Hände gearbeitet.

Außerdem mussten die Frauen und Männer stets mehr als vorsichtig sein. Selbst wenn sie als harmlose Händler auftraten, bestand noch immer die Gefahr der Entdeckung. Die meisten waren Deserteure und standen auf den Fahndungslisten von Flotte, Tu-Ra-Cel und Tu-Gol-Cel. Schon Kleinigkeiten konnten dazu führen, dass sie erkannt wurden oder sich selbst verrieten. Sobald aber einer in die Hände der Häscher des Imperators fiel, würden ihn die verhassten Geheimpolizisten mit allen Mitteln ausquetschen.

Nach wie vor war Hanwigurt Sheeron ein wertvoller Mitstreiter, die Unterstützung der Piraten der Sterne gesichert; mit ihrer Hilfe würden in absehbarer Zeit weitere der 600 in die Sogmanton-Barriere gelenkten Robotraumer geborgen und umgerüstet werden, inzwischen gab es fast regelmäßige Flüge zu Richmonds Schloss. Der hohe Automatisierungsgrad sowie leistungsfähige Katastrophenschaltungen ermöglichten es, dass alle Raumer bei Bedarf sogar von einem einzigen ausgebildeten Raumfahrer geflogen werden konnten. Die kleine »Flotte« der Rebellen war deutlich angewachsen: Zur Diskusjacht GONOZAL, der POLVPRON II und der fünfhundert Meter durchmessenden KARRETON kam mit Imperatrix Yagtharas Ankunft der Leichter Kreuzer TIGA RANTON. Mehr als drei Dutzend Ultraleichtkreuzer waren im Einsatz, meist befanden sie sich auf Patrouillenflügen rings um Kraumon. Hinzu kamen inzwischen fünfzehn zweihundert Meter durchmessende Schwere Kreuzer.

Alle diese Überlegungen gingen Sprangk durch den Kopf. »Gut, wir sehen das Problem. Sie sind aber derjenige, der es am ehesten meistern kann. Sie dagegen sich in solchen Dingen aus und haben den entsprechenden Überblick. Was schlagen Sie vor, um unsere unbefriedigende Situation zu bessern?«

»Wir müssen mehr System in die Sache bringen, Athor. Bisher sind unsere Beschaffungskommandos meist auf Gutglück geflogen und haben uns gebracht, was sie gerade auftreiben konnten. Den Leuten kann man daraus keinen Vorwurf machen, sie haben stets getan, was sie konnten. Wir hätten schon früher daran denken sollen, sie gezielt auf jene Dinge anzusetzen, die gerade am dringendsten benötigt wurden.«

»Gut, ich gebe Ihnen hiermit alle Vollmachten. Richten Sie einen zentralen Planungsstab ein. Wann kann ich mit ersten Ergebnissen rechnen, wenn Sie sofort mit der Arbeit beginnen?«

Neschbar wiegte den Kopf. »Zwei oder drei Standardpragos müssen Sie mir schon zugestehen. Ich ziehe Offgur und die KSOL-Spezialistin Retsa Dolischkor hinzu. Zuerst müssen wir eine Rundfrage bei den einzelnen Sektionen durchführen, um einen umfassenden Überblick über alle Mängel zu bekommen. Das wird neue Probleme aufwerfen, denn natürlich wird jeder Sektionsleiter sein spezielles Problem als besonders dringend ansehen. Darauf können wir allerdings kaum Rücksicht nehmen, sondern werden eine Selektion nach den Gesichtspunkten der höheren Interessen vornehmen. Anschließend komme ich wieder zu Ihnen, um das Ergebnis vorzulegen.«

Sprangk nickte und erhob sich. »Gut, ich verlasse mich ganz auf Sie und …«

Er unterbrach sich, weil zu einem Summen die Visifon-Ruflampe aufleuchtete. Rasch drückte er auf den Schalter; auf dem Monitor erschien das erregte Gesicht eines Mannes aus der Funk- und Ortungsstation. »Athor – es ist tatsächlich die ISCHTAR! Sie haben sich kurz per Normalfunk gemeldet; Hyperfunk ist defekt. Das Schiff wird in rund vier Tontas landen.«

Sprangks Gesicht erhellte sich schlagartig. Er bestätigte kurz und wandte sich dann an Neschbar. »Das ist die beste Nachricht seit langem! Atlan kehrt zurück, und wir wollen ihn, seine Mutter und seinen Vater gebührend empfangen.«

Später, als die Laufzeitpausen für den konventionellen Funk nicht mehr zu groß waren, sprach Sprangk direkt mit Helos Trubato, dessen Brustbild den Bildschirm ausfüllte. »Ich begrüße Sie, Trubato. Sie können kaum ermessen, wie sehr ich mich freue, dass die ISCHTAR endlich zurückkommt. Sofern die Nachrichten stimmen, die aus dem Imperium bis zu uns gedrungen sind, müssen Sie eine Menge erlebt haben. Was ist nach der Schlacht von Marlackskor passiert? Warum haben Sie sich nicht früher gemeldet? Wie geht es Atlan?«

Das Gesicht des Offiziers verdüsterte sich. »Ich gäbe viel darum, wenn ich das wüsste, Athor. Wir kommen ohne ihn zurück, auch Fartuloon, Has’athor Arthamin und etliche andere sind nicht an Bord.«

Sprangks Züge wurden starr. Diese Nachricht machte ihm zu schaffen. »Würden Sie das bitte etwas eingehender erklären?«, forderte er fast barsch. »Wo sind sie, droht ihnen Gefahr? Und warum sind Sie nicht mit dem Schiff bei ihnen geblieben, um sie zu schützen?«

Trubato seufzte und rieb sich die übermüdeten Augen. »Das ist eine lange Geschichte, die sich nicht mit wenigen Sätzen erzählen lässt. Erlassen Sie mir vorerst eine ausführliche Schilderung, es gibt wichtigere Dinge zu tun. Vorerst nur soviel: Alles hängt mit unseren verleugneten Stammvätern, den Akonen, zusammen. Atlan ist mit vierzig weiteren Leuten durch einen Großtransmitter gegangen – wohin, das wissen allein die Sternengötter. Er geschah unter dem Einfluss eines Suggestors, der die Herrschaft über die ISCHTAR übernommen hatte. Wir waren geistig unterjocht und hatten keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Atlan gab mir den Auftrag, das Schiff nach Kraumon zurückzuführen – und hier sind wir nun.«

Sprangk kniff die Augen zusammen. »Also wieder einmal eins jener verrückten Abenteuer, die Atlan geradezu anzuziehen scheint. Das gefällt mir gar nicht, Helos, er wird hier dringend gebraucht. Die ISCHTAR ist beschädigt?«

Trubato nickte. »Leider ja, Kommandant. Sorgen Sie dafür, dass das Hospital für die Aufnahme einer größeren Anzahl von Verletzten vorbereitet wird. Wir hätten den Rückweg fast nicht geschafft, weil die ISCHTAR schon beschädigt war. Schon bei der ersten Transition kam es zu Anomalien, anschließend wurde es laufend schlimmer. Zuletzt musste ich alles riskieren, und bei diesem Sprung wäre das Schiff fast geborsten. Die Schäden sind beachtlich, das Schiff ist nur noch beschränkt manövrierfähig. Die Bauchaufschneider sollen sich darauf einstellen, dass sie fortan einen Patienten besonderer Art betreuen müssen.«

»Seine Erhabenheit …«

»Leider konnten nicht einmal die Seelenheiler von Perpandron seinen Zustand verbessern.«

»Verstehe.«

Als Zweimondträger im Rang eines Verc’athor und Kommandant der 5. Raumlandebrigade des 94. Einsatzgeschwaders unter dem Oberbefehl von De-Keon’athor Sakàl hatte Sprangk einst im Dienst von Atlans Vater gestanden. Morvoner Sprangk war auf eine sehr ungewöhnliche Weise zu Atlan gestoßen. In den frühen Jahren des langen Krieges gegen die Maahks war er durch eine Geheimwaffe der Methanatmer auf eine andere Daseinsebene gerissen worden. Mit ihm eine Anzahl seiner Männer, aber auch eine Gruppe der verhassten Feinde. Sie hatten die Kämpfe fortgesetzt, waren zwischendurch immer wieder für kurze Zeit auf Kraumon ins Standarduniversum zurückgekehrt und hatten ihre Vorräte aus den Beständen des Geheimstützpunkts aufgefrischt. Ein endloser Kreislauf, dem keiner entrinnen konnte.

Die Maahks hatten diese Bewegungen mitgemacht, und so war es auch in dem Stützpunkt zu Kämpfen gekommen. Sprangk hatte als einziger Arkonide überlebt und war gerettet worden. Von allem, was inzwischen im Großen Imperium geschehen war, hatten die Pendler zwischen den Dimensionen nichts gewusst. Dass seitdem fast zwanzig Jahre vergangen waren, hatte der alte Kämpe nur mit Mühe akzeptieren können. Seine Erinnerungen an Tage, die für andere längst ferne Vergangenheit darstellten, waren noch vollkommen frisch gewesen. An den Gedanken, dass der Brudermörder Orbanaschol III. nun Imperator war, hatte er sich nie gewöhnen können. Für ihn personifizierte immer noch Gonozal den wahren Herrscher von Arkon. Daraus resultierte auch die tiefe Erschütterung, die ihn nun überkam; er hatte den Plan der »Wiedererweckung« stets skeptisch gesehen, sich aber dann doch von der Begeisterung anstecken lassen.

Er erinnerte sich genau an die fast wahnwitzige Stimmung im Besprechungsraum, nachdem Fartuloon am 23. Prago des Messon 10.499 da Ark die Idee vorgetragen und Atlan zu Recht darauf verwiesen hatte, dass das Ergebnis vermutlich nur ein lebender Leichnam sein würde. Unbändige Hoffnung paarten sich damals mit tiefer Enttäuschung, gemischt mit einer Kombination aus Widerwillen, Ekel, morbider Faszination und einer aufblitzenden Spur von Trotz, es dennoch zu versuchen, entgegen allen Bedenken, Widerständen und innerer Ablehnung.

Sprangk nickte dem Offizier nur zu und unterbrach die Verbindung. Anschließend entwickelte der sonst so ruhige Mann eine fast hektische Aktivität. Er gab eine ganze Anzahl von Befehlen und hielt eine Ansprache. Als Sprangk, Neschbar, Corpkor, Eiskralle und etliche andere das alte, südlich des Stationskomplexes gelegene Landefeld erreichten, wimmelte es dort bereits von Leuten. Die Nachricht hatte sich mit Windeseile verbreitet, jeder war gekommen, der irgendwie abkömmlich war. Nur noch jene Leute waren auf ihren Posten, die direkt mit den Verteidigungsanlagen zu tun hatten. Doch auch sie achteten in dieser Zeit mehr auf die Bildschirme mit der Direktübertragung als auf ihre Instrumente.

Die Posten hatten Mühe, die Frauen und Männer zurückzuhalten und eine Gasse für den Kommandanten zu schaffen. Mehr als zehntausend Arkoniden säumten schließlich das Landefeld, verhielten sich aber sehr diszipliniert. Bauchaufschneider, Medogleiter und -roboter standen bereit, um die Verletzten der ISCHTAR sofort ins Hospital zu bringen. Die Stimmung aller, die unter der langen Abwesenheit des Kristallprinzen gelitten hatten, war schlagartig gestiegen. Ihre Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt, bis die ISCHTAR endlich landete, auf den zwölf abgespreizten Teleskop-Landestützen zur Ruhe kam und sich die untere Polschleuse öffnete. Doch es war nicht Imperator Gonozal VII., der als erster das Schiff über die geneigte Bodenrampe verließ. Eine lange Reihe von Antigravtragen mit Verletzten wurden ausgeschleust und verschwanden in den Medogleitern, die sich sofort in Bewegung setzten. Erst dann erschien Trubato mit zwei weiteren Männern, von denen einer der frühere Imperator war. Grenzenloser Jubel brandete auf, als sie – vom fluoreszierenden Prallfeld der Rampe ergriffen – dem Landefeld entgegen glitten.

Die Begeisterung der Frauen und Männer kannte keine Grenzen. Obwohl der lange erwartete Kristallprinz nicht zurückgekehrt war, war sein schon sagenumwobener Vater in ihren Augen mehr als nur ein Ersatz. Sprangk erwartete den Ankömmling ungeduldig. Als Gonozal, von Trubato und Bauchaufschneider Albragin geführt, den Boden erreicht hatte, sank er vor ihm auf die Knie und legte die Fingerspitzen über die Augen, obwohl er als Orbton berechtigt gewesen wäre, den Imperator aufrecht stehend zu grüßen, indem er vorschriftsmäßig die Beine spreize und die rechte Hand gegen die linke Brustseite presste.

Die Umgebung verschwamm vor seinen Blicken, die Augen tränten vor Erregung. »Ich begrüße Euch in Demut, Euer Erhabenheit«, kam es gepresst aus seiner Kehle. »Es ist eine übergroße Ehre für uns alle, Euch hier empfangen zu dürfen. Wir werden alles tun, um uns Euer als würdig zu erweisen.«

Er wartete entgegen aller Vernunft auf eine Erwiderung, aber es kam nichts. Gonozals Körper war und blieb nur noch eine leere Hülle. Dieser einst so großartige Herrscher war auf rein motorische Vorgänge reduziert und hilfloser als ein neugeborenes Kind. Trubato und Albragin wechselten einen stummen Blick. Sie hatten sich inzwischen an diesen Zustand Gonozals gewöhnt. Die frohe Erwartung der vielen Frauen und Männer, die rührende Bezeigung der Ergebenheit Sprangks – alles war eine Verschwendung an ein untaugliches Objekt. Gonozal VII. war nicht einmal imstande, nur ein sinnvolles Wort hervorzubringen, um ihnen zu danken …

Trubato seufzte resigniert. »Erheben Sie sich wieder, Athor. Ich danke Ihnen im Namen des Imperators für diesen glanzvollen Empfang. Er selbst ist dazu leider nicht imstande, er ist …«

Als seine Stimme stockte, fuhr der Yoner-Madrul fort: »Seine Erhabenheit ist schwerkrank. Sorgen Sie bitte dafür, dass er unverzüglich ins Hospital kommt, Kommandant.«

Sprangk erhob sich zögernd. Seine Augen suchten den Blick des verehrten Herrschers, aber vergeblich. Gonozal sah starr vor sich hin; es war deutlich zu erkennen, dass er nichts von dem begriff, was um ihn vorging. Ein Schauer überlief den alten Offizier, als er diesen leeren, seelenlosen Blick sah. Mochte Gonozal durch Kosmetika und eine Perücke das Aussehen eines normalen Mannes haben, die toten Augen ließen sich nicht beeinflussen.

Mit heiserer Stimme rief er den bereitstehenden Gleiter herbei, der mit den Insignien des Imperators – den Drei Synchronwelten vor Thantur-Lok mit der Beschriftung ARKON und TAI MOAS – sowie den Sonnen-Insignien des Gonozal-Khasurn versehen war. Sprangk wahrte den Schein und salutierte, während die Frauen und Männer erneut jubelten. Sein Inneres dagegen war zutiefst aufgewühlt. Er nahm kaum wahr, dass nun die übrige Besatzung der ISCHTAR von Bord ging, von Freunden freudig begrüßt. Als der Gleiter davongeschwebt war, wandte er sich rau an Trubato. »Kommen Sie gleich mit, Helos.«

Neschbar begleitete sie, Corpkor und Eiskralle gesellten sich zu ihnen. Die fünf flogen zur Hauptkuppel, wo Trubato Bericht erstattete. Er brauchte Tontas dazu – seit die ISCHTAR Kraumon verlassen hatte, war viel geschehen. Allmählich gewann Sprangk seine Ruhe zurück, während er von den teilweise fast unglaublichen Abenteuern erfuhr. Sein Herz dagegen war von Trauer erfüllt. Den Imperator Gonozal, wie er ihn in der Erinnerung hatte, gab es nicht mehr, würde es nie mehr geben …

Doch die Gegenwart forderte ihr Recht. Die schweren Schäden der ISCHTAR mussten behoben werden; sie mussten sich darauf einstellen, dass Kraumon noch einige Zeit ohne Atlan auskommen musste. Als sich Trubato verabschiedet hatte, gab Sprangk die entsprechenden Anweisungen. Das Leben auf Kraumon ging weiter, es gab keinen Grund zum Jubeln mehr.

Kraumon:1. Prago des Tartor 10.499 da Ark

»Ich bringe Ihnen den Bericht meines Teams, Athor«, sagte Neschbar.

Sprangk zog erstaunt die Brauen hoch. »Das ging aber schnell. Sie hatten zwei oder drei Standardpragos Zeit gefordert, und jetzt ist noch nicht einmal einer vergangen. Wie kommt das?«

Die vollen Lippen des Beschaffungsmeisters verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Oh, das ist ganz einfach. Als die Sektionsleiter hörten, worum es ging, haben sie sich förmlich überschlagen. Einer wetteiferte mit dem anderen, seine Forderungen möglichst schnell an den Mann zu bringen. Jeder hoffte natürlich, als erster an die Reihe zu kommen. So hatte ich bereits heute morgen alle Berichte auf dem Tisch; wir konnten gleich mit der Auswertung anfangen.«

»Wie sieht es aus?« Sprangk betätigte die Knöpfe einer Servoautomatik. Zwei Gläser mit einem erfrischenden Getränk schwebten heran, er schob eins zu Neschbar. »Besteht Grund zur Sorge?«

Bragos schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Wie üblich fehlt es hier und da, aber mit etwas Improvisation kommen wir schon über die Runden. Die Mängel sind ziemlich gleichmäßig verteilt. Wir brauchen mindestens zehn der Schweren Kreuzer, um alles zu beschaffen, was auf den Listen steht.«

Sprangk hob die Schultern. »Wie steht es um den Umbau der MEDON?«

»Gorbasch hat sich mit allen Männern und Robotern auf das Schiff gestürzt. Es kann bald in den Einsatz geschickt werden. Ihre Idee mit dem Umbau war gut. Gelingt es dem Kommando, die vergrößerten Lagerräume zu füllen, bringt es mehr als doppelt soviel heran wie eins der anderen Schiffe. Dafür, dass die Kampfkraft der MEDON nicht beeinträchtigt wird, ist gesorgt.« Neschbar nippte an seinem Becher. »Ich denke inzwischen schon darüber nach, wo wir den Raumer einsetzen können. Mir schwebt ein Planet vor, auf dem von allem, was wir brauchen, etwas zu haben ist. Borbomir wäre ideal gewesen, fällt aber leider aus. Die dortige Kolonie wurde vor einem Votan von Maahks überfallen und restlos zerstört.«

»Daran ist auch Orbanaschols Unfähigkeit schuld«, sagte der Kommandant grimmig. »Mindestens ein Viertel der Imperiumsflotte wird nicht gegen die Methans eingesetzt, sondern schwirrt sinnlos irgendwo in der Gegend herum. Teils, um die persönlichen Interessen des Usurpators zu wahren, teils, um Strafexpeditionen gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner durchzuführen. Und das mitten in einem Krieg, wo es um den Bestand des Großen Imperiums geht … Unter Gonozal wäre so etwas nie passiert.«

Neschbar nickte, er kannte diese Zustände aus eigener Anschauung. »Wie geht es dem Imperator?«

Morvoner Sprangks Gesicht verschloss sich. »Gar nicht gut. Als Bauchaufschneider Albragin sagte, dass ihm nicht zu helfen sei, wollte ich es irgendwie nicht glauben. Jetzt sehe ich ein, dass es wirklich so ist. Wo selbst die Goltein-Heiler versagt haben, kann kein Arzt des Universums etwas ausrichten. Gonozal ist ein lebender Toter, mehr nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätte ihn Atlan in seiner Ruhestätte auf Hocatarr gelassen.«

Neschbar hob die Schultern. »Dann wäre aber die Raumschlacht von Marlackskor ein furchtbares Debakel für die Imperiumsflotte geworden. Alles hat eben seine zwei Seiten, in unserem Leben wie in der Geschichte. Um aber auf die MEDON zurückzukommen: Haben Sie schon jemanden als neuen Kommandanten vorgesehen, nachdem Scorban verunglückt ist und ausfällt?«

Sprangk schüttelte den Kopf. »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht; normalerweise rückt der Erste Offizier Posten nach. Oder haben Sie einen bestimmten Mann dafür im Auge?«

Neschbar lächelte leicht. »Sie haben es erraten. Meine Assistentin Retsa hat sich mit Mekron Dermitron angefreundet, der vor Kurzem zu uns gestoßen ist. Als Dreifacher Mondträger fühlt er sich nicht wohl, weil er untätig auf Kraumon herumsitzen muss. Er brennt darauf, aktiv zu werden und etwas für Atlans Sache tun zu können … Sie verstehen?«

Sprangk seufzte. »Und ob ich es verstehe. Es geht mir nicht anders, aber jemand muss eben den Stützpunkt leiten, solange der Kristallprinz abwesend ist. Gut, der Mann soll seine Chance bekommen. Ich kenne ihn noch kaum, aber dem lässt sich abhelfen. Ich werde seine Personalakte studieren.«

Neschbar verabschiedete sich. Der Kommandant sah auf die Uhr und stellte fest, dass bald Zeit zum Abendessen war. Er nahm noch die Routinemeldungen der einzelnen Sektionen entgegen und rief die benötigten Daten vom Zentralarchiv ab. Dort gab es ausführliche Dossiers über alle Angehörigen von Atlans Gefolge, in denen alles über sie festgehalten war: ihr Lebenslauf, ihre besonderen Eigenschaften, alle Stärken und Schwächen. Diese Unterlagen ermöglichten es, die richtigen Personen auf jenen Posten einzusetzen, die sie optimal ausfüllen konnten. Gerade auf Kraumon wurde nichts mehr dem Zufall überlassen.

2.

Aus: Gedanken und Notizen, Bauchaufschneider Fartuloon

Die längst Methankrieg genannte, vielfach zwischen heißen und kalten Phasen wechselnde Eskalation begann offiziell am 34. Prago der Prikur 10.457 da Ark, als das Iskolart-System im Bereich der gleichnamigen Dunkelwolken von Methans erobert wurde. Die Monde der Gasriesen waren reich an Hyperkristallfundstätten und wurden von beiden Seiten beansprucht; es war die erste Niederlage der Arkoniden gegen diese Wesen, die im Kampf als wahre Ungeheuer galten, fast unverwundbar, wenn sie nicht richtig getroffen wurden.

Anfänglich war der Vormarsch kaum aufzuhalten gewesen; eine erste Wende kam mit der Schlacht im Bekwyn-System, obwohl es zunächst nach dem Gegenteil aussah, weil die Arkoniden eine zahlenmäßig unterlegene Flotte hatten. Am 7. Prago des Tartor 10.457 da Ark trafen 1600 Schiffe unter der persönlichen Führung von Begam Gonozal VII. auf rund 3000 schwere Kampfschiffe der Methans; es gelang, die Wasserstoffatmer fast vollständig aufzureiben. Danach herrschte für Jahre trügerische Ruhe, die nur von vereinzelten Scharmützeln in den Randzonen des Tai Ark’Tussan unterbrochen wurde.

Die Schlacht um den Industrieplaneten Sholtrain am 7. Prago des Messon 10.470 da Ark galt als Beginn der zweiten heißen Kriegsphase, die ihren Höhepunkt zweifellos mit den Raumschlachten im Labadon-Sektor erreichte. Erste Kämpfe fanden am 10. Prago des Tarman 10.483 da Ark statt, als die Methans überraschend in diesem Randsektor des Kugelsternhaufens Thantur-Lok erschienen und damit erstmals direkt nach dem rund 20.500 Lichtjahre über der Hauptebene der Öden Insel gelegenen Herz des Großen Imperiums zu greifen versuchten. Die erbitterten Kämpfe, unter anderem geführt von Mascant Sakàl, endeten am 12. Prago des Tarman 10.483 da Ark mit einer umfassenden Niederlage der Methans. Die Freude über den Sieg wurde jedoch massiv getrübt von der wenige Pragos später verkündeten Nachricht, die das gesamte Imperium erschütterte – Seine Erhabenheit Gonozal VII. starb am 17. Prago des Tarman 10.483 da Ark auf dem Planeten Erskomier bei einem Jagdunfall …

Die innenpolitische Schwäche zur Zeit der tyrannischen Herrschaft von Imperator Orbanaschol III. als Nachfolger des Verstorbenen, geprägt von Vetternwirtschaft, Korruption und Unfähigkeit, gesellte sich zu der äußeren Bedrohung, die vor allem in nahezu grenzenlos erscheinender Materialüberlegenheit, gepaart mit einer immensen Geburtenrate, Ausdruck gewann und im Laufe der Jahre in weitere heiße Kriegsphasen mündeten.

Der Großangriff der Methans auf den Flottenstützpunkt Trantagossa am 2. Prago der Prikur 10.498 da Ark war in dieser Hinsicht ein tiefgreifender Schock – immerhin betraf es einen der drei Hauptstützpunkte im Bereich der Hauptebene der Öden Insel! Die Maahks setzten verbesserte Schutzschirme ein. Hinzu kam, dass sie Verluste in Kauf nahmen, die jeden Admiral der arkonidischen Flotte zum sofortigen Rückzug veranlasst hätten. Die Maahks dagegen riskierten jederzeit die Vernichtung eines Raumers, sofern zwei andere dafür die betreffende Station oder einen angreifenden Kugelraumer ausschalten konnten.

Seither verfolgten die Methans eine Taktik der gezielten Nadelstiche. Dutzende Kolonialwelten fielen kleinen, extrem kampfkräftigen Verbänden zum Opfer, und in jedem Fall waren die Maahks bereits wieder verschwunden, ehe Einheiten der Imperiumsflotten zur Verstärkung eintrafen. Mit den Angriffen auf Protem am 9. Prago der Prikur und den Chemi-Spieth-Sektor beim Chemi-Spieth-, Kerratonkh- und drei weiteren Sonnensystemen am 1. Prago der Katanen des Capits 10.498 da Ark gewannen diese Attacken allerdings eine neue Qualität – immerhin wurden nun wiederum Ziele im Kugelsternhaufen Thantur-Lok selbst angegriffen.

Orbanaschols Ansehen sank durch die forcierten Attacken weiter, wenngleich natürlich versucht wurde, aus den Ereignissen Kapital zu schlagen, indem noch mehr Widerstand, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft beschworen wurden. Kein Wunder also, dass die Befehlshaber im Thektran der Kriegswelt an Gegenaktionen wie auch Präventivangriffen arbeiteten. Dass es den Methans verstärkt an die Sichelköpfe gehen sollte, war allerdings weniger das Verdienst Orbanaschols als vielmehr dem Bewusstsein geschuldet, dass dem Großen Imperium eine neue Phase des Methankriegs bevorstand.

Am Schutz von Thantur-Lok und des benachbarten Kugelsternhaufens Cerkol wurde intensiv gearbeitet. Verantwortliche Oberkommandierende warten hier Ta-moas Cormon Thol und Ta-len Halthar Spronthrok. Admiral Thol hatte das Oberkommando der Elitetruppen des Imperators und war gleichzeitig Flottenkommandeur der 1. Imperiumsflotte als »Geleitschutz-Einsatzgeschwader der Thronflotte« – immerhin rund 10.000 Einheiten – sowie Kommandierender Mascant im Flottenzentralkommando auf Arkon III, während Spronthrok die Heimatflotte Arkon/Thantur-Lok unterstand; damit gebot der Mascant über rund 30.000 Einheiten der als 2. Imperiumsflotte eingestuften Verbände. Ein beträchtlicher Teil dieser Schiffe wurden zu beweglichen Jagdflottillen zusammengefasst, die im Verlauf des Jahres 10.499 da Ark verstärkt die Patrouillenflüge übernahmen.

Dass die Schlacht von Marlackskor am 15./16. Prago des Tedar 10.499 da Ark nicht in einem Fiasko endete, war letztlich dem gemeinsamen Auftreten von Kristallprinz Atlan und seines Vaters Gonozal VII. zu verdanken …

An Bord der HADESCHA: 24. Prago des Tedar 10.499 da Ark

Der Kommandant der HADESCHA betrat die Zentrale. Bis auf den Piloten sprangen alle Männer auf, salutierten stramm, indem sie die geballte Rechte gegen ihre Brustplatten schlugen. Der Erste Offizier machte Meldung. »Alles in Ordnung, Erhabener. Vom Führungsschiff USSARGOR kam gerade die Nachricht, dass die Kontrolle des Systems beendet ist. Der Weiterflug soll in einer halben Tonta erfolgen.«

Tiga-Nos’ianta Mekron Dermitron dankte und nahm auf seinem erhöhten Kontursitz Platz. Sein Blick richtete sich auf die Einblendungen der fensterbandähnlich umlaufenden Panoramagalerie, in deren Holoprojektion sich die Ergebnisse von normaloptischer Erfassung mit den Parametern von hyperschneller Ortung und Tastung zum positronisch simulierten und aufbereiteten Bild vereinten.

Rechts oben gleißte eine Flut von Sternen, die extrem dicht gedrängt standen und zum Rand hin auflockerten. Es war die Ballung des Kugelhaufens Thantur-Lok mit seinen hunderttausend Sternen in knapp hundert Lichtjahren Durchmesser, der Kern des Großen Imperiums. Fast genau in seinem Zentrum befanden sich die drei Arkonwelten, von denen aus das riesige Sternenreich regiert wurde. Links zeigte die Panoramagalerie Dunkelheit. Dort leuchteten nur einzelne Sterne vor dem Nachtschwarz des Weltraums. Tief unten dagegen breitete sich, mehr als 20.000 Lichtjahre entfernt und einem leuchtenden Dunstgebiet vergleichbar, die Nebelsektor genannte Hauptebene der Öden Insel aus.

Seit mehr als zwanzig Arkonjahren tobte nun schon der Krieg mit den Wasserstoffatmer. Die Maahks griffen immer wieder von Neuem an. Die Flotten des Großen Imperiums wehrten sich verbissen und schlugen immer wieder zurück. Trotzdem konnten sie nicht verhindern, dass der Gegner nach und nach an Boden gewann. Die Methans waren streng logisch denkende Wesen. Emotionen waren ihnen fast völlig fremd, sie kannten keine Todesfurcht – einer der Hauptgründe für ihre Erfolge. Sie gaben auch dann noch nicht auf, wenn Arkoniden längst die Flucht ergriffen hätten, um ihr Leben zu retten. Der Nutzen für das eigene Volk hatte unbedingten Vorrang vor Einzelschicksalen.

Dermitron sah auf die mittlere Ausschnittsvergrößerung. Im Mittelpunkt leuchtete weißgelb, 62 Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt, Olkreschs Stern. Olkresch als vierter von zwölf Planeten wurde von rund einer halben Milliarde Siedlern bewohnt. Weitere Systeme mit Siedlungswelten gab es überall in der Nachbarschaft. Sie waren der Grund für die Anwesenheit von Dermitrons Schiff in diesem System. Es lag am Rand des Labadon-Sektors. Schon zur Zeit des früheren Imperators hatten dort große Raumschlachten stattgefunden. Der Feind war abgewehrt worden, griff jedoch weiterhin in unregelmäßigen Abständen auch den Kugelsternhaufen Thantur-Lok direkt an. Immer wieder gab es einzelne Überfälle auf die kaum geschützten Planeten in der Nachbarschaft.

Der Schwere Kreuzer HADESCHA gehörte mit der 1. Weskan zur 187. Goree-Torkan der 2. Keonkan’Tussan, die aus fünfundzwanzig Schiffen verschiedener Größen bestand. Dieser Verband operierte in fünf Jagdgruppen – Goreekan oder, mit Zahl-Präfix eine Fünfergruppe, Weskan genannt –, die ständig Patrouille flogen. Sie sprangen von einem System zum anderen, um nach dem Rechten zu sehen. Dieses Vorhaben hatte sich bewährt. Die Maahks waren sehr vorsichtig geworden, seit ihnen die im Flottenjargon als »Feuerwehr« – Zhym-Urunlad – bezeichneten Jagdflottillen immer wieder empfindliche Verluste zugefügt hatten. Oft genug kamen sie aber auch zu spät. Dann zeugten nur noch zerbombte und verwüstete Landstriche davon, dass es dort einmal blühende Kolonien mit vielen Millionen Bewohnern gegeben hatte. Sandten sie ihre verzweifelte Hilferufe aus, war es schon zu spät. Nur selten gelang es noch, den Feind zu stellen, der sich sofort zurückzog, sobald er sein Vernichtungswerk vollendet hatte.

Sollstärke einer Flottille waren eigentlich zehn Lakan oder gar zwei Rhagarn – also hundert beziehungsweise hundertzwanzig Einheiten –, doch kaum noch eine der Jagdflottillen erreichte diese Zahl. Vergleichbares galt auch für die Sollstärken der Imperiumsflotten, obwohl Mascant Halthar Spronthroks 2. Keonkan’Tussan in dieser Hinsicht noch gut wegkam. Misswirtschaft und Korruption der Orbanaschol-Ära wirkten sich immer fataler aus; viele Kolonialwelten waren wegen eklatanter Unfähigkeit Opfer der Methans geworden, Nachschub und Versorgung gerieten ins Stocken. Der Angriff der Methans auf den Hauptstützpunkt Trantagossa war ein Schock gewesen; viele Flottenorbtonen hofften, ein heilsamer – doch die meisten wussten, dass es nur eine trügerische Hoffnung war.

Welch ein Wahnsinn! Mekron Dermitron war 42 Arkonjahre alt, ein großer und schlanker, aber durchtrainierter Mann. Sein Gesicht war breit, aber das kräftige Kinn und die scharf modellierte Nase gaben ihm einen durchaus männlichen Ausdruck. Die rötlichen, etwas schräg gestellten Augen zeugten von wacher Intelligenz, das halblange Silberhaar war sorgfältig gepflegt. Er bewegte sich sehr schnell, wenn es darauf ankam, seine Sprechweise war kultiviert. Obwohl er einen Hang zur Ironie hatte, war er bei seiner Besatzung sehr beliebt. Dafür sorgte sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der bei Männern seines Standes durchaus nicht selbstverständlich war.

Die Anrede Zhdopan – Erhabener, Hoher – war im engeren Sinne jene für die Edlen Dritter Klasse, galt jedoch im weiteren Sinne für alle Adligen und höher gestellte Personen. Ursprünglich ein Ausdruck der Hochachtung, gewann der Begriff in der Zeit von Imperator Orbanaschols Herrschaft einen inzwischen unangenehmen Beiklang – für viele war ein »Erhabener« so etwas wie ein kleiner Gott, der stets das Recht auf seiner Seite hatte.

Dermitron war aber nicht immer ein »Erhabener« gewesen. Er hatte als Kadett angefangen und sich dank seiner Tüchtigkeit allmählich nach oben gearbeitet. Die meisten Schiffskommandanten waren Adelige, die schon allein aufgrund ihrer Abstammung eine sichere Karriere machten. Dass sie mitunter kaum über die nötigen Qualifikationen verfügten, spielte dabei keine Rolle. Männer wie Dermitron, die ihnen unterstanden, bügelten meist das aus, was sie verbockten.

Der Dreimondträger hatte eigentlich keinen Anlass, den Machthabern auf den Arkonwelten wohl gesonnen zu sein. Er stammte von der Siedlungswelt Calimon, wo seine Familie ein Handelshaus und große Güter besessen hatte. Doch das war einmal. Dieser Besitz hatte dem ewig gierigen Imperator ins Auge gestochen; Orbanaschol III. kannte keine Skrupel. Vor zehn Arkonjahren war Dermitrons Vater Helaior unter einer fadenscheinigen Begründung verhaftet und in die Verbannung auf einen Strafplaneten geschickt worden. Sein Bruder Zoranaior kam bei einem nie aufgeklärten »Unfall« ums Leben, und der Familienbesitz ging automatisch in die »Verwaltung« durch den Imperator über …

All das hatte Mekron Dermitron aber erst nach und nach erfahren, das Imperium war groß, der Krieg tobte und ließ den Männern der Flotte kaum Zeit für private Belange. Er war ständig im Einsatz gewesen, hatte viele Kämpfe mitgemacht und sich immer wieder ausgezeichnet. Nun war er Dreifacher Mondträger – Tiga-Nos’ianta –, als Dor’athor ein Raumschiffkommandant Vierter Klasse und damit in einem der höchsten Ränge, den ein Nichtadeliger normalerweise erwerben konnte. Flottenadmiral Banicron als Flottillenkommandeur persönlich hatte ihm am 1. Prago des Eyilon 10.499 da Ark den Befehl über die HADESCHA übergeben, die nun seit etwas mehr als einem halben Arkonjahr unter seinem Kommando flog.

Der Kugelraumer hatte einen Durchmesser von 200 Metern, die achtzehn Impulstriebwerke befanden sich im Äquatorringwulst. Als Schwerer Kreuzer vom Typ AL-KA wurde die HADESCHA mit ihrer vierhundertköpfigen Besatzung in der Funktion als »Jagdschutz« eingesetzt. Manko bei Leichten und Schweren Kreuzern war die durch das begrenzte Volumen bedingte eingeschränkte Defensivleistung, deshalb galt für sie das Motto: »Schneller als stärkere Schiffe und stärker als schnellere Einheiten.« Neben dem Prallschirm kamen dennoch in Dreifachstaffelung hypermagnetische, hypergravitatorische und gravomechanische Abwehrfelder zum Einsatz. Als Offensivbewaffnung gab es neben dem Pol-Impulsgeschütz einen Gravitationsbombenprojektor. Die obere Halbkugel war weiterhin mit sechs Impuls-, fünf Thermo- und fünf Desintegratorkanonen bestückt, die untere Halbkugel mit sechs Impuls- und sechs Thermokanonen. Hinzu kamen Raketenwaffen, Torpedos und Marschflugkörper.

Führungseinheit der 1. Weskan war ein Schlachtschiff mit einem Durchmesser von 800 Metern, dem ein 500 Meter durchmessender Schlachtkreuzer sowie die drei Schweren Kreuzer zur Seite standen. Der Schlachtkreuzer verfügte als Beiboot-Ausstattung über drei 60-Meter-Kugelraumer in der Ultraleichtkreuzerausführung, das Schlachtschiff bei maximaler Beibootausstattung als »strategischer Träger« sogar über zwölf, so dass die Jagdgruppe von insgesamt fünfzehn dieser leichten Einheiten unterstützt wurde.

Dermitron war ein guter Soldat. Das änderte aber nichts daran, dass er Orbanaschol glühend hasste, weil dieser seine Familie auf dem Gewissen hatte. Was der Dor’athor tat, tat er allein für Arkon und das Imperium, was nicht gleichbedeutend mit dem Imperator war. Ging es um das Überleben eines Volkes, mussten persönliche Interessen wohl oder übel in den Hintergrund treten. Doch vergessen konnte und wollte Dermitron das Unrecht nicht!

Zu vieles stimmte in der arkonidischen Gesellschaft nicht. Seit dem plötzlichen Tod des alten Imperators hatte sich die Kluft zwischen Adligen und einfachen Bürgern extrem vertieft. Gerüchte besagten, dass Orbanaschol sogar die SENTENZA wieder hatte aufleben lassen. Intrigen, Korruption und Verbrechen waren an der Tagesordnung.

Der Mondträger fuhr aus seinen düsteren Gedanken auf, als sich der Bildschirm des Hyperkoms erhellte. Auf ihm erschien das Symbol des Führungsschiffs USSARGOR und gleich darauf das Abbild von Sonnenträger Mantasch, der die 1. der 187. befehligte. Er war ein alter Offizier, mit dem sich Dermitron gut verstand. »Achtung, Has’athor Mantasch an alle«, sagte er. »Systemkontrolle positiv, wir fliegen weiter. Nächstes Ziel ist Glandors Stern, sechzehn Lichtjahre entfernt, Koordinaten sind bekannt. Die Sprungdaten werden übermittelt. Ich ersuche die Kommandanten um genaueste Abstimmung, damit die gleichzeitige Transition aller Schiffe gewährleistet wird. Ende.«

Dermitron drückte auf eine Taste und gab seine Bestätigung durch. Eine Zentitonta später nahm der kleine Verband synchron Fahrt auf, um auf Transitionsgeschwindigkeit zu beschleunigen. Ein weiteres Kolonialsystem lag vor Dermitron. Die gelbe Sonne wurde von sechs Planeten umkreist und war ebenfalls ein Randstern des Kugelhaufens, 48 Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt, dessen zweiter Planet Glandor Heimat für dreihundert Millionen Arkoniden war.

Die fünf Schiffe materialisierten gleichzeitig rund 4,6 Milliarden Kilometer oberhalb des Zielsterns im Standarduniversum. Der kurze Transitionsschock klang ab, die Sinne klärten sich wieder. Der Arbtan-moas für Funk und Ortung sah auf die Instrumente und Bildschirme und zuckte heftig zusammen; seine Stimme gellte durch die Zentrale: »Feindortung, Erhabener!«

Augenblicklich fiel Dermitrons Hand auf den Hauptschalter auf dem Kontrollbord vor seinem Sitz. Im nächsten Moment gellten Alarmpfeifen auf, Sicherheitsschotte schlossen sich knallend. Sämtliche Schiffsreaktoren wurden schlagartig hochgefahren, Dutzende Umformer nahmen ihre Arbeit auf. Donnern und Tosen drang von den Maschinenräumen trotz aller Abschirmungen bis in der Zentrale, die den Mittelpunkt des Schiffes bildete.

Augenblicke später hüllten die Abwehrfelder die HADESCHA ein. Das Schiff war gefechtsbereit. Die Klarmeldungen der Stationen kamen in rascher Folge. Mekron Dermitron überließ die Antwort dem Ersten Orbton Salmoon. Sein Blick hing an dem Bildschirm, auf dem das Abbild von Sonnenträger Mantasch erschien. Es wirkte verkniffen, die rötlichen Augen zeigten einen grimmigen Ausdruck. »Schlachtschiff USSARGOR an alle«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Sieben Walzenraumer der Maahks befinden sich im interplanetaren Raum zwischen dem vierten und fünften Planeten mit Kurs auf die bewohnte zweite Welt. Ich korrigiere: Die Maahks haben uns bereits entdeckt und ändern ihren Kurs, um uns abzufangen. Wir sind offenbar gerade noch rechtzeitig gekommen, um sie von einem Überfall auf Glandor abhalten zu können.«

Er beugte sich zur Seite und lauschte auf eine Mitteilung, die Dermitron nicht verstehen konnte. Dann nickte er und wandte sich wieder dem Aufnahmegerät zu. »Alle Feindschiffe sind vom gleichen Typ, Verhältnis Länge-Durchmesser eins zu fünf, jeweils fünfhundert Meter lang. Eindeutig Grauhaie – I-Klasse nach Maahk-Klassifizierung. Trotzdem haben wir eine gute Chance, mit ihnen fertig zu werden. Alle Einheiten nehmen Kurs auf den voraussichtlichen Kollisionspunkt, der durch die Schiffscomputer zu berechnen ist. Kampfordnung ist einzunehmen, das Feuer wird sofort nach Erreichen der Wirkungsdistanz eröffnet. Achtung, Mondträger Dermitron.«

»Ich höre.«

»Wir schleusen kurz vor der ersten Gefechtsberührung die Ultraleichtkreuzer aus. Sie bilden einen Pulk, der sich auf die Bekämpfung der beiden überzähligen Schiffe der Methans konzentriert. Rasche Vorstöße, Punktfeuer, dann schnelle Lösung vom Gegner und erneuter Anflug. Die Maahks müssen beschäftigt werden, damit sich ihre Überzahl nicht auswirken kann. Verstanden?«

»Verstanden, Sonnenträger«, gab Dermitron zurück.

Inzwischen liefen von der USSARGOR bereits die Kursdaten ein. Augenblicke später brüllten die Impulstriebwerke der HADESCHA auf. Die fünf Schiffe strebten den verhassten Feinden entgegen. Mekron Dermitron sah die Ortungseinblendungen der Panoramagalerie, in denen sich die Walzenraumer als grünliche Punkte abzeichneten. Er kniff die Lippen zusammen, denn er wusste, dass ihnen ein harter Kampf bevorstand. Das Schlachtschiff und der Schlachtkreuzer konnten es ohne weiteres mit den gegnerischen Einheiten aufnehmen. Die drei Schweren Kreuzer dagegen waren im Nachteil. Sie hatten zwar mit den Gravitationsbombenprojektor auch je 30 Geschütze, aber dafür waren ihre schwächeren Schutzschirme ein neuralgischer Punkt, während die Methans die neuen Abwehrfelder einsetzten. Im Innern eines kleineren Schiffes ließen sich nicht genügend Konverter unterbringen. Geriet einer dieser Raumer in das konzentrische Feuer mehrerer Gegner, war es meist um ihn geschehen.

Rasch verdrängte der Dor’athor diese düsteren Gedanken. Der kleine Jagdverband hatte schon neunzehn Mal im Kampf mit den Maahks gestanden, ohne dass es bisher zu Verlusten gekommen war. Warum sollte es gerade diesmal schiefgehen?

Die Kommandanten der Ultraleichtkreuzer erhielten den Befehl zum Ausschleusen. Sie stürzten sich aus überhöhter Position auf das am weitesten links fliegende Schiff des Gegners. Knapp eine Dezitonta später kam es zur ersten Feindberührung. Die Maahks hatten sich gleichfalls zu der für sie günstigsten Formation gestaffelt – und sie feuerten, sobald die Kernschussdistanz ihrer Geschütze erreicht war.

Aber die Maahks hatten zu früh gefeuert. Die Strahlbahnen ihrer Geschütze wurden über die Distanz von 200.000 Kilometern hinweg zu stark aufgefächert. Nutzlos brachen sie sich an den Schutzschirmen der arkonidischen Raumer und verloren sich im All. Als die irrlichternden Leuchterscheinungen um die HADESCHA abgeklungen waren, gab auch Dermitron seinem Feuerleitoffizier den Feuerbefehl. Eine erste Breitseite ging hinaus. Die Autarkreaktoren und Umformer, von denen die Kanonen versorgt wurden, grollten auf, ein Zittern ließ das Schiff erbeben. Sofort danach wurde eine Serie Raumtorpedos auf den Weg geschickt, von denen allerdings nur zwei ihr Ziel erreichten. Die übrigen wurden von Automatgeschützen des Maahkraumers abgeschossen, der nun seine zweite Salve gegen die HADESCHA abfeuerte.

Diesmal war die Wirkung ungleich stärker. Der Schutzschirm leuchtete grell auf, die Belastungsanzeige kletterte bis auf achtzig Prozent, hielt jedoch stand. Für Augenblicke schimmerte die gewölbte Schirmfläche wie geschmolzenes Erz, Überladungsblitze zuckten nach allen Seiten davon. Schon reagierte Pilot Dermaton, zog das Schiff nach unten weg, zwang es in eine Kurve und flog den Pulk der Maahks von unten her an. Die ringförmige Anordnung der Triebwerke gab den Raumern der Arkonflotte eine Beweglichkeit, die kein anderer Schiffstyp aufweisen konnte.

»Volltreffer!«, rief Erster Offizier Salmoon gleich darauf jubelnd. »Die Schirme des Maahks haben die rasche Folge von Breitseite und Torpedos nicht ausgehalten. Sie sind zusammengebrochen – jetzt können wir ihn erledigen.«

»Tod den Maahks!«, riefen die Männer in der Zentrale. Augenblicke später war die HADESCHA wieder in Schussposition. Nun fraß sich die nächste Breitseite der Strahlgeschütze ungehindert in den ungeschützten Körper des Walzenraumers. Augenblicklich kam es zu schweren Explosionen. Das Schiff begann zu torkeln, Feuerströme brachen aus der aufgerissenen Hülle hervor. Doch noch funktionierten seine Hecktriebwerke, die Walze schoss mit voller Kraft davon.

»Nicht verfolgen«, befahl Dor’athor Dermitron. »Das Schiff kommt nicht mehr weit, wir können es später noch erledigen. Wenden Sie, wir müssen unseren UKL zu Hilfe kommen.«

Während sich alle anderen nur auf den unmittelbaren Gegner konzentrierten, behielt er den Überblick. So sah er auch, wie einer der eigenen Schweren Kreuzer in einer gigantischen Explosion auseinander flog. Er biss die Zähne zusammen, als er an die vierhundert Männer dachte, die eben einen schnellen Tod gestorben waren. Jetzt bestand die Weskan nur noch aus vier Schiffen …

Inzwischen hatte aber auch Mantaschs Schlachtschiff einen der Walzenraumer manövrierunfähig geschossen. Nun stürzten sich vier Ultraleichtkreuzer des Führungsschiffs auf diesen, der nur noch vereinzelte, schlecht gezielte Schüsse abgeben konnte. Weiter seitlich kämpften die übrigen Einheiten gegeneinander. Der Weltraum war erfüllt von den Strahlenbahnen der Geschütze, vom Aufleuchten der Schutzschirme, von den Explosionen der beiderseits abgefeuerten Torpedos. Für einen unbeteiligten Beobachter musste es ein schaurig-schönes Bild sein.

Der Kommandant der HADESCHA zuckte zusammen – zwei UKL vergingen in sich aufblähenden Feuerbällen. Die anderen zogen sich hastig zurück und überließen das Feld der mit Volllast anfliegenden HADESCHA. Trauer erfüllte den Kommandanten, denn eben waren vierzig gute Männer umgekommen. Auch die anderen in der Kommandozentrale hatten es gesehen, das bewiesen ihre Ausrufe. Die HADESCHA hatte in dem halben Jahr, das sie nun unter dem Kommando Dermitrons flog, zwölf Feindschiffe vernichtet, ohne dass Verluste zu erleiden gewesen waren. Nun war es doch geschehen, und alles in den Männern schrie nach Rache.

Die Geschütze feuerten im Salventakt, als das Schiff tangential auf den Gegner zuschoss. Dessen Schutzschirm wurde schwersten Belastungen ausgesetzt und stand offenbar dicht vor dem Zusammenbruch. Er feuerte aber immer noch zurück, und der Schwere Kreuzer erbebte unter Treffern von Strahlenbahnen und Torpedos. Der Schutzschirm des Walzenraumers riss auf, einige Torpedos fanden den Weg ins Ziel. Die HADESCHA drehte ab, die Zentrale war vom Jubel der Männer erfüllt, als beim Gegner die ersten Explosionen aufzuckten. Doch die Schreie erstarben ihnen in der Kehle, als auch das eigene Schiff plötzlich von schweren Schlägen erschüttert wurde.

Raumminen!, dachte Mekron Dermitron, sein Gesicht wurde aschfahl. Augenblicklich brach der Schutzschirm der HADESCHA unter den entfesselten Gewalten vieler Gigatonnen Vergleichs-TNT zusammen. Heftige Explosionen folgten, überall zuckten die Warnlampen in hektischem Rhythmus. Die Kugelhülle musste an vielen Stellen aufgerissen sein. Aufschrillende Alarmpfeifen und die Schreckensrufe der Männer gellten durch die Zentrale. Diesmal war es wirklich ernst, das war Dermitron klar.

»Nottransition!«, rief er durch das Chaos der vielfältigen Geräusche dem Piloten Dermaton zu.

Im nächsten Moment schien die Faust eines Riesen auf ihn niederzusausen. Sein Körper wurde tief in den Kontursitz gestaucht, der unter dieser Belastung zusammenbrach. Schmerzen durchzuckten seinen Körper, dann löschte eine barmherzige Ohnmacht alles aus.

Das Wrack trieb langsam durch den Raum, auf das System einer gelben Sonne zu. Dieses Wrack war bis vor wenigen Tontas noch ein Schwerer Kreuzer mit dem Namen HADESCHA gewesen. Nun erinnerte nichts mehr darin an vergangene stolze Pragos. Fast nichts mehr war heil geblieben, die Decks waren von Trümmern und Leichen erfüllt. Verwundete schrien, aber niemand kam, um ihnen zu helfen. Ein großer Teil der Schiffsräume war luftleer, das Transitionstriebwerk war restlos ausgebrannt. Es hatte aber gerade noch die Nottransition ermöglicht. Beim Sprung durch den Hyperraum waren zwar Anomalien aufgetreten, aber das Schiff hatte trotzdem die Wiederverstofflichung im Standarduniversum geschafft.

»Was soll nun werden?«, fragte sich Mekron Dermitron voller Verzweiflung.

Die im Mittelpunkt des Schiffes gelegene Zentrale war relativ unversehrt geblieben. Nicht so die Männer darin. Der Schlag, der zu Beginn der Transition die gesamte Kugelhülle getroffen hatte, hatte auch sie nicht verschont. Etliche waren tot. Der Erste Offizier Salmoon, als Athor Fünfter Klasse ein Zweimondträger, lag mit eingedrückter Brustplatte auf einem Notbett. Feuerleitoffizier Berkosch hatte beide Beine gebrochen, Navigator Hong Olvan einen Arm. Dermitron hatte sie mit Spritzampullen aus der Notapotheke versorgt. Nun lagen sie im Narkoseschlaf, aber an eine reguläre Versorgung ihrer Körperschäden war vorerst nicht zu denken.

Die Yoner-Madrul waren tot, die Medostation vollkommen zerstört. Auch der Kommandant, Pilot Dermaton und Ventron, Arbtan-moas für Funk und Ortung, bluteten aus vielen kleinen Wunden. Ihre Körper waren von Schwellungen und Hämatomen übersät, jede Bewegung brachte Wellen von Schmerzen mit sich. Sie hatten sich gegenseitig notdürftig verbunden und waren nun damit beschäftigt, eine Bestandsaufnahme des Unheils vorzunehmen.

Der Hyperkom funktionierte nicht mehr. Unkontrolliert durchschlagene Hyperenergie hatte ihn verschmoren lassen, so dass keine Verbindung mit den anderen Schiffen des Verbandes mehr bestand. Auch die zentrale Antigravanlage war ausgefallen, die Regulierung der künstlichen Schwerkraft arbeitete mit verminderter Leistung. Ein Teil der Konverter war explodiert, andere hatten sich automatisch abgeschaltet. An eine Reparatur war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Notaggregate versorgten die noch heil gebliebenen Räume mit Licht und Luft und einem Drittel der gewohnten Schwerkraft.

»Zwei Drittel der Impulstriebwerke funktionierten noch«, sagte Arbtan-moas Dermaton schließlich. »Natürlich können wir nicht daran denken, sie voll einzusetzen, der Andruck würde uns den Rest geben. Solange wir entsprechend vorsichtig manövrieren, können wir das System innerhalb eines Pragos erreichen.«

Mekron Dermitron presste die Lippen zusammen. Ein ganzer Arkontag – das bedeutet das sichere Todesurteil für einen großen Teil der Verletzten im übrigen Schiff. Mit einigen Räumen besteht noch Sprechverbindung …

Ein Durchkommen dorthin war unmöglich, denn sämtliche Ausgänge der Zentrale waren blockiert. Immerhin hatten sie noch Glück im Unglück gehabt. Normalerweise führte eine Nottransition ein Schiff nur über maximal einige Lichtvotanii. Die aufgetretenen Anomalien hatten sich jedoch derart auf den Hypersprung ausgewirkt, dass er über fast sieben Lichtjahre erfolgt war. Mithilfe der wenigen noch intakten Instrumente und Bildschirme war der Standort des Wracks ermittelt worden.

Der dritte von sieben Planeten des Systems, an deren Grenzen sich die HADESCHA befand, war von Arkoniden bewohnt. Die Kolonie von Olkeeps Stern war nicht groß, hatte aber einen Raumhafen. Fraglich war jedoch, ob an eine Landung dort überhaupt noch zu denken war. Als der Kommandant danach fragte, zuckte der Pilot mit den Schultern. »Eine reguläre Landung ist ganz ausgeschlossen. Viele Landestützen lassen sich nicht mehr ausfahren, weil die Verbindung zu ihnen unterbrochen ist. Viel schlimmer ist aber, dass die Hauptantigravprojektoren nicht mehr arbeiten. Falls wir überhaupt herunterkommen, wird es eine Bruchlandung, wie sie im Kristall steht.«

Dermitron dachte an die vielen Verletzten überall im Schiff, sein Gesicht wurde hart. Ihnen konnte nur geholfen werden, wenn die HADESCHA den Planeten erreichte – andererseits würde aber ein Teil von ihnen umkommen, fiel die Landung zu hart aus. Er konnte es wenden wie er wollte, das Resultat musste unerfreulich bleiben. »Wir fliegen Olkeep an«, befahl er schließlich. »Versuchen Sie, über Normalfunk Verbindung mit der Kolonie zu bekommen. Vielleicht gibt es dort wenigstens ein Schiff, das uns irgendwie zu Hilfe kommen kann.«

»Jawohl, Zhdopan«, entgegnete Arbtan Dermaton.

Dermitron zog eine Grimasse. »Dieses Wort will ich von jetzt ab von Ihnen allen nicht mehr hören, klar? Wir teilen alle das gleiche Schicksal, ich bin nicht mehr oder weniger ›erhaben‹ als Sie. Dass ich ein Dreimondträger bin, spielt keine Rolle mehr, wenn es allein ums nackte Überleben geht.«

Mit stotternden Triebwerken setzte sich das Wrack wenige Zentitontas später in Bewegung. Es befand sich etwas oberhalb der Ekliptik, so dass eine Beeinträchtigung des Kurses durch die äußeren Planeten nicht zu befürchten war. Ein schwacher Andruck kam durch, aber das war beim besten Willen nicht zu vermeiden.

Drei Tontas später traf die Antwort auf den Hilferuf ein. Sie stammte vom Gouverneur von Olkeep persönlich, war jedoch nicht besonders trostreich. In der Kolonie gab es kein Raumschiff, sie wurde nur sporadisch von Versorgungsraumern angeflogen. Tato Dertasch versprach zwar, auf dem Hafen alle denkbaren Vorkehrungen für eine schnelle Hilfeleistung zu treffen, aber das war auch alles.

Ein halber Prago verging. Immer wieder kamen verzweifelte Hilferufe aus anderen Räumen der HADESCHA, aber Dermitron konnte die Männer nur vertrösten. Sechsundzwanzig waren inzwischen verstorben – nun lebten im ganzen Schiff nur noch vierundzwanzig Besatzungsmitglieder. Vor dem Eintritt der Katastrophe waren es vierhundert gewesen …