Space-Thriller 3: Geheimprojekt Biothek - H.G. Francis - E-Book

Space-Thriller 3: Geheimprojekt Biothek E-Book

H. G. Francis

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Beschreibung

Die Erde im 49. Jahrhundert: Gentechniker wittern eine Chance, die Milliardengewinne verspricht. Biochips der allerneuesten Generation sollen alle Krankheiten heilen können, auch die besonders exotischen. Doch dann verschwinden Chips, es kommt zu unerklärlichen Mordfällen, bei denen Menschen als lebende Bomben eingesetzt werden, und plötzlich ist ein ganz normaler Mann auf der Flucht vor übermächtigen Feinden ... Luz Korexxon ist einer jener Bioinformatiker, die am Geheimprojekt Biothek mitwirken. Seine Wohnung wird durchsucht, seine Tochter verschwindet spurlos. Korexxon bemerkt, dass nur er allein – gegen einen übermächtigen Gegner – das Leben von Millionen von Menschen retten kann. Und das ohne jegliche Erfahrung mit Waffen, Gewalt und Geheimdienstarbeit ...

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Rückentext

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Impressum

Die Erde im 49. Jahrhundert: Gentechniker wittern eine Chance, die Milliardengewinne verspricht. Biochips der allerneuesten Generation sollen alle Krankheiten heilen können, auch die besonders exotischen. Doch dann verschwinden Chips, es kommt zu unerklärlichen Mordfällen, bei denen Menschen als lebende Bomben eingesetzt werden, und plötzlich ist ein ganz normaler Mann auf der Flucht vor übermächtigen Feinden ...

Geheimprojekt Biothek

von H. G. Francis

Liebe ist es, welche die Kunst lehret,

und außerhalb derselben wird kein Arzt geboren.

Paracelsus

1.

Luz Korexxon hielt die kleine Schale zwischen zwei Fingern, hob das Glasplättchen ab und legte es auf den Tisch. Der flüssige Kunststoff in der Schale glitzerte wie rotes Quecksilber; er warf winzige Wellen. Meine Hände zittern, dachte Korexxon, ich habe tatsächlich Angst.

Seine Kollegen ließen die Zeremonie mit höflichem Missfallen über sich ergehen, sie plauderten; für sie stand nur eine weitere Simulation an. Korexxon neigte die Schale und ließ den Kunststoff ausfließen. Die Kunststofflache spielte ein wenig herum, erinnerte sich dann an ihre Zweckgestalt und nahm Form an, erhob und verfestigte sich zu einer Tastatur mit syntronischem Kern. Korexxon ordnete einige der Sensortasten neu an, um seine zitternden Hände zu beschäftigen. Das Kontaktauge leuchtete auf, Schriftzüge erschienen, die nur aus Korexxons Blickwinkel sichtbar waren. »Hallo, Mahut!«, begrüßte ihn das altertümliche Teil. »Mit wem arbeiten wir heute?«

»Mit dem Syntron von Biothek«, tippte Korexxon in einer für Außenstehende unlesbaren Kurzschrift ein.

»Fein!«, sagte die Tastatur.

Korexxon schob es ins syntronische Kontaktfeld. Der Simulationsprozess begann. Korexxon wurde kalt.

Korexxon hatte seinen Kollegen nichts von dem Ergebnis seiner Berechnungen erzählt. Er hatte die Biochips der jüngsten Generation an seinem Heim-Syntron überprüft – und seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Jetzt musste eine Simulation in dem sehr viel leistungsstärkeren Syntron des Instituts erweisen, ob er sich geirrt hatte. Vielleicht hatte er nur mit ungenau berechneten Parametern gearbeitet.

Die Syntronik von Biothek fasste die Resultate ihrer wissenschaftlichen Arbeit zusammen und extrapolierte die daraus gewonnenen Möglichkeiten. So entstanden Simulationen der Hoffnung, aber auch des Unvorstellbaren.

Keiner der Kollegen verschwendete einen Gedanken daran, ob das Ergebnis der syntronischen Untersuchung Probleme heraufbeschwören könnte. Sie waren fest davon überzeugt, dass sich der Erfolg der letzten Monate fortsetzen würde. Korexxon war es nicht mehr.

»Scheißkiste«, flüsterte er der Syntronik zu. »Beeil dich schon!« Keiner seiner Kollegen schien ihn zu hören. Es war ihm lieber so.

Die Simulation des Syntrons betraf die möglichen Einsatzbereiche der Biochips. Sie hatten die wissenschaftlichen Arbeiten über die gesamte Forschungszeit hinweg begleitet. In der überwiegenden Zahl der Fälle waren Ergebnisse entstanden, die später durch die Praxis bestätigt worden waren.

Der Syntron wertete die Biochips in einem ersten analytischen Ansatz wieder als gute Chance für viele bislang unheilbar Kranke auf Rettung. Luz Korexxon indes plagten massive Zweifel. Sie verließen ihn auch jetzt nicht. Ganz im Gegenteil.

Er blickte auf die Monitore und Holowürfel. Warum, zum Teufel, läuft das Ding nicht schneller? Je länger Korexxon warten musste, desto mehr wuchs die Beklommenheit. Weshalb ließ sich der Syntron so viel Zeit mit dem nächsten Durchgang?

Korexxon tippte den Befehl ein, nun die ergänzenden Daten in den Syntron einzuschütten. Er benutzte wieder die Tastatur: Diese Art der Kommunikation war zwar umständlicher als die akustische und galt als spleenig, doch auf diese Weise bekamen seine Kollegen nicht mit, welche Probleme ihn beschäftigten.

Luz Korexxon war ein hochgewachsener, schlanker, linkisch wirkender Mann. Das weiche, blonde Haar fiel ihm häufig in die Stirn; in solchen Fällen schob er es nach oben. An manchen Tagen sprühte er sich etwas ins Haar, um den Strähnen Halt zu geben, meist aber vergaß er es. Er galt als verschlossen, diszipliniert, machte jedoch nicht unbedingt einen selbstsicheren Eindruck, blieb meist zurückhaltend und bescheiden.

Biothek arbeitete an der Entwicklung von nanotechnisch produzierten und hochminiaturisierten Biochips. Diese organischen Steuerelemente konnten Lebewesen unterschiedlichster Art eingepflanzt werden, mit ihrer Hilfe ließen sich biologische Prozesse initiieren, ausrichten, verändern, heilen.

Korexxon kannte das Ziel, er hatte es selbst oft genug formuliert, wenn er sich mit Außenstehenden unterhalten hatte. »Wenn es uns gelingt, den Chip zu perfektionieren, dann können wir ihm ein Programm eingeben. Mit diesem können sowohl die biochemischen als auch die bioelektrischen Prozesse im Körper eines Sauerstoffatmers überwacht und angeleitet werden. Das wiederum bedeutet Hilfe für unzählige bislang hoffnungslos Kranke in der ganzen Milchstraße.«

Alles, was mit dieser Forschungsarbeit zusammenhing, schien erfolgversprechend. Risiken hatten sich bislang nicht gezeigt.

Zwar war die medizinische Wissenschaft des Jahres 1266 Neuer Galaktischer Zeitrechnung weit fortgeschritten, doch nach wie vor gab es Krankheiten, die auch sie nicht heilen konnte. Die Menschheit hatte Tausende ferner Planeten kolonisiert, Abertausende zu Forschungszwecken betreten. Durch den dort zustande gekommenen Kontakt mit fremden Lebensformen übertrugen oder entwickelten sich immer wieder neue Krankheiten, die stets angepasste Behandlungsmethoden erforderten.

Korexxon rief sich alle grundsätzlichen Überlegungen zum Biochip ins Gedächtnis. Für den Chip waren vor allem die Insuffizienzen des Nervensystems und dessen zentralen Steuersystems, des Gehirns, interessant. Mit Hilfe der in den Chips arbeitenden Kybernetik sollte der Eingriff in die nervalen Strukturen, Funktionen und Verhaltensweisen von sich selbst organisierenden und regulierenden Systemen zunächst von Sauerstoffatmern möglich werden.

Und bisher haben wir ja sehr gut gearbeitet, überlegte Korexxon. Wir können eigentlich zufrieden sein. Er runzelte selbstkritisch die Stirn. Irgendwas stimmt hier einfach nicht.

Die bisherigen Ergebnisse der Forschung waren überaus ermutigend, wenngleich es immer wieder Rückschläge gegeben hatte. Eine entscheidende Frage hatte sich ihm stets aufs neue gestellt: Wie weitgehend konnten die Biochips eingesetzt werden? Nur für Kranke? Oder ergaben sich Möglichkeiten, an die keiner der Wissenschaftler während der Entwicklungsarbeit gedacht hatte?

Das dreidimensionale Bild vor den Wissenschaftlern wechselte. Bisher hatte es nur das Symbol von Biothek gezeigt: die altterranischen Buchstaben B und T, um die sich langsam eine Schlange wand. Jetzt erschien eine stark vereinfachende Skizze eines Biochips, sie kreiste langsam durch den Holowürfel. Die Skizze erinnerte an eine Bürste mit ausgefransten Borsten.

»Es geht los!«, sagte Luz Korexxon halblaut zu sich selbst. Geistesabwesend fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund; wie so oft, wenn er angestrengt nachdachte.

Die ersten Resultate trafen ein, alle Menschen im Raum blickten gebannt auf Monitore und Hologramme. Die letzten leisen Gespräche verstummten.

Die Syntronik simulierte zunächst den Einsatz der neuen Chips bei Kranken. Im Hologramm erschien eine kleine Sauerstoffwelt im Zentrumsgebiet der Milchstraße: riesige Wälder, blaue Ozeane, grüne Ebenen, auf denen gesiedelt werden konnte. Es war ein kleines Paradies, in dem sich terranische Kolonisten anzusiedeln begannen. Die Syntronik zeigte die Landung der Raumschiffe, die Entstehung kleiner Siedlungen, das Urbarmachen von Ackerbauflächen und die Einrichtung erster Straßen und Fabriken.

Menschen wurden eingeblendet; zuerst wirkten die Männer, Frauen und Kinder gesund und fröhlich, sie arbeiteten gern an ihrer eigenen Zukunft. Doch dann brachen bei einigen der Siedler unkontrollierbare Zellwucherungen aus, gegen die die terranische Therapie unwirksam blieb.

Die Syntronik zeigte, wie der Biochip eingreifen konnte. In der Simulation erkannte er die Ursache der explosionsartigen Zellvermehrung in einer Fehlfunktion der Schilddrüse, die durch virenähnliche Strukturen ausgelöst wurde. Nachdem der Chip den Defekt identifiziert hatte, konnte er die Organe des Körpers dazu anregen, Abwehrstoffe zu entwickeln, die den Kampf gegen die fremden Strukturen aufnahmen.

Die Biothek-Wissenschaftler nickten zufrieden. Liefer jetzt die letzten Daten ab, bat Korexxon seine Tastatur.

Gebannt schaute er zu, wie sich das Bild daraufhin noch einmal änderte. Er schloss kurz die Augen. Ich hatte recht, stellte er mit einer verzweifelten Zufriedenheit fest.

Der Syntron projizierte einen neuen Holowürfel in den Raum, während das erste Hologramm kleiner wurde und zur Decke schwebte. Ein anderes Bild entstand: der Kopf eines männlichen Pioniers mit weichen, klaren Gesichtszügen. Es war ein durchschnittlicher Terraner mit brauner Haut und braunen Augen, der niemandem auf der Straße aufgefallen wäre. Der Kopf drehte sich im Hologramm, so dass ihn die Wissenschaftler von allen Seiten betrachten konnten.

Im Zug der Schichtenanalyse verschwanden nun die einzelnen Hüllen des Kopfes – zuerst die Haut, dann die Muskulatur, das System der Blutbahnen und schließlich der Schädelknochen. Zuletzt blieb nur noch eine dreidimensionale Darstellung des Gehirns mit den wichtigsten Blutgefäßen und dem Nervengeflecht übrig. Das Nervengeflecht lief auf der einen Seite als der breite Strang des Rückenmarks in den Körper hinein, auf der anderen Seite überzog es als zartes, transparentes Gespinst den ganzen Kopf, vor allem aber das Gesicht und den Ohrenbereich.

Ein kleiner, grüner Kreis blinkte einige Male auf, er markierte die Stelle am Rückenmark, an welcher der Biochip eingepflanzt worden war. Korexxon starrte weiter auf das Hologramm. Die von ihm insgeheim immer wieder befürchtete Entwicklung trat ein.

Vom Chip aus bildeten sich hauchdünne Fäden, die der besseren Sichtbarkeit wegen ebenfalls in Grün dargestellt wurden. Sie schoben sich durch das Rückenmark hoch bis ins Gehirn und breiteten sich dort allmählich aus. Drängten vor bis zu den Augen, den Ohren und den Sprachorganen, eroberten erst die linke, dann die rechte Hälfte des Gehirns – bis sie alles beherrschten.

»Die Chips der A-Generation, die den höchsten Stand der Entwicklung darstellen«, kommentierte der Syntron mit angenehm weiblich klingender Stimme, »sind im Gegensatz zu den Chips der bisherigen B-Generation und deren Vorläufer in der Lage, sich nach ihrer Einpflanzung im organischen Gewebe weiterzuentwickeln. Diese Evolution entzieht sich jeglicher Außensteuerung. Die Kontaktfäden wachsen weiter und überschwemmen unter Umständen das ganze Gehirn. Tut mir leid, aber diese Entwicklung ist bei derart hochautonomen Artefakten offenbar nicht zu verhindern.«

Die Darstellung des Syntrons und seine Worte verschlugen den Wissenschaftlern die Sprache. Auf ein solches Resultat war offensichtlich niemand außer Korexxon gefasst gewesen. Mit einem Schlag machte der Syntron den Wissenschaftlern klar, auf welch gefährlichen Boden sie sich mit ihrer Forschung begeben hatten.

Der Syntron arbeitete das Hologramm wieder um, kleidete den Kopf wieder in die verschiedenen Schichten, bis schließlich das Gesicht erkennbar wurde. Das Geflecht der Chipwurzeln trat deutlich hervor und spannte die Haut in unregelmäßigen Flächen auf. Die Lippen waren geschürzt und entblößten die Zähne.

Obwohl Korexxon diesen Ablauf der Simulation befürchtet hatte, brauchte er einige Zeit, bis er die ersten Worte über die Lippen brachte. »In welche Richtung entwickeln sich die Biochips nach dieser Phase weiter?«, fragte er langsam. Die Kehle war ihm eng geworden, seine Hände nass.

»Das Endergebnis der Entwicklung ist von hier ab völlig offen«, antwortete die Syntronik. »Es muss keineswegs – wie in diesem Fall – in eine bedrohliche Richtung gehen.«

»Kann der Chip Intelligenz entwickeln oder am Intellekt des Wirts partizipieren? Kann er ihn manipulieren?«, setzte Korexxon nach.

»Diese Möglichkeit besteht«, antwortete der Syntron. »Siehst du«, schrieb die Tastatur, »wir hatten recht.«

»Wie ein eigenständiges Lebewesen«, meinte Arkmit Thorofeyn, ein junger, blonder Mann mit auffallend hellen, blauen Augen. Er schien von allen Anwesenden am wenigsten von den Aussagen des Syntrons beeindruckt zu sein.

Zweifelt er etwa am Ergebnis der Simulation, oder hat er noch gar nicht begriffen, welche Konsequenzen sich aus der Darstellung des Syntrons ergeben? Korexxon mochte den Plophoser nicht, die kritischen Gedanken kamen ihm von selbst. In seinen Augen unterlag Arkmit Thorofeyn allzu häufig extremen Stimmungsschwankungen; Korexxon war zudem sicher, das wahre Gesicht des Kollegen noch nie gesehen zu haben.

»Die Konsequenzen der Darstellung sind erschütternd«, sagte Astoron Gao, der Institutsleiter. Korexxon registrierte, dass er bleich geworden war. Der sonst so redegewandte Terraner rang mühsam um seine Fassung. »Eine Katastrophe ist das geradezu. Wie ist so etwas möglich? Irgendwie haben wir bei unserer Arbeit versagt. Aber wie konnten wir auf so einen Irrweg geraten?«

Die anderen Wissenschaftler schwiegen. Korexxon blickte von einem zum anderen, wobei er sich bemühte, nicht zu offensichtlich zu starren. Er hatte den Eindruck, dass alle Kollegen von der Aussage des Syntrons entsetzt waren. Allmählich erkannten sie, was sie bei ihrer Forschungsarbeit getan hatten, welche Folgerungen sie daraus ziehen mussten.

Korexxon ergriff einfach das Wort. Er war ein freier Mitarbeiter von Biothek, nahm somit eine Sonderstellung unter den Forschern ein. Obwohl er gerade erst dreiundsechzig Jahre alt war, hatte er als Wissenschaftler schon viel erreicht. Auf seinen Erkenntnissen und peinlich genauen Forschungen basierte in erster Linie die Entwicklung der Biochips. Im Gegensatz zu den Kollegen arbeitete er nicht ausschließlich im Institut, sondern vor allem in seinem Haus. Dort waren alle wissenschaftlichen Unterlagen gespeichert, die auch bei Biothek in den Speichern steckten.

»Wenn sich die Biochips jeglicher Aufsicht entziehen können, dann ist das ein unverantwortlicher Vorgang«, sagte er und deutete auf die Monitore und Hologramme. »Bisher hat uns die Syntronik nur ganz wenige Möglichkeiten gezeigt, aber wir brauchen nicht viel Phantasie, um uns weitere Möglichkeiten auszudenken. Wir können letztlich nur vermuten, welche Fähigkeiten die Chips entwickeln, wenn sie sich erst einmal komplett selbständig gemacht haben. Stellt euch das ruhig einmal vor! Die Chips können in letzter Konsequenz die komplette Herrschaft über das organische Wesen übernehmen, in das sie implantiert wurden. Und wie wir sehen, sind die Chips mit keinem technischen Mittel zu orten. Damit kann kein Außenstehender überprüfen, ob jemand mit so einem Chip versehen ist oder nicht. Manipulationen sind damit Tür und Tor geöffnet – egal von welcher Seite.«

»Das haben wir aber im Prinzip von Anfang an gewusst«, stellte Gao fest; seine Stimme wies einen Unterton von Ärger auf.

Gao war nur etwas mehr als 1,70 Meter groß, hatte eine schmale Stirn und eine weit vorspringende Nase. Der Institutsleiter galt als überaus ehrgeizig und verfolgte hochfliegende Pläne. Doch mangelnde Anerkennung auf höchster wissenschaftlicher Ebene hatte ihn immer wieder enttäuscht. Seine Mitarbeiter wussten: Er träumte davon, irgendwann auf der Bühne der Welt zu stehen und die Waringer-Medaille aus den Händen eines Regierungsmitgliedes zu empfangen. Die Biochip-Forschung hatte ihn nahe an sein Ziel herangebracht.

Doch nun brachen einige Hoffnungen für Gao zusammen. Wie es schien, war er nun weiter als je zuvor davon entfernt, sein Ziel zu erreichen. Die Auskunft des Syntrons musste er als persönliche Katastrophe einstufen.

»Richtig«, bestätigte Korexxon, »und es ist auch in Ordnung, wenn ein Kranker mit einem Biochip geheilt wird. Dann funktioniert der Chip ja hervorragend, wie die Simulation gezeigt hat. Das Problem sind Folgeerscheinungen, an die wir nicht gedacht haben. Was passiert beispielsweise, wenn ein Chip der A-Generation einem der Mächtigen im Solsystem oder der Milchstraße eingepflanzt wird, womöglich noch gegen seinen Willen? Und wenn der Chip danach völlig außer Kontrolle gerät oder gar manipuliert wird? Und was wird die nächste, höherentwickelte Generation von Biochips können? Du weißt, die wird unweigerlich folgen, ob wir im Institut das nun wollen oder nicht.«

Er blickte sich um. Korexxon sah den anderen an, dass nun alle erkannt hatten, wie erschreckend die Konsequenzen sein konnten. Biochips der A-Generation konnten zu einer unkontrollierbaren Waffe werden, vor allem, wenn sie den entsprechenden Personen in die Hände fielen.

»Du hast recht«, sagte Arkmit Thorofeyn. Dann ließ er einen Fluch los, dessen Derbheit nicht in diesen Rahmen passen wollte. »Wir dürfen unsere bisherige Arbeit an den Biochips nicht fortsetzen. Wenn die Resultate unserer Arbeit in die falschen Hände geraten, könnten die Folgen verheerend sein.«

»Wir haben die Büchse der Pandora geöffnet«, bemerkte Tosso A'Beny, ein terranischer Kolonist vom Planeten Kargathener. Er liebte poetische Bemerkungen. Tosso hatte es sogar fertiggebracht, eine wissenschaftliche Abhandlung damit anzureichern. Selbstironisch sei das gemeint gewesen, hatte er behauptet, doch das hatte ihm so recht niemand abnehmen wollen. »Und es spricht für uns, dass wir es erfasst haben. Wo sich der ehrliche Mann zu fürchten beginnt, hört meist der Schurke zu fürchten auf.«

In seiner verschrobenen Weise hatte der Mann von Kargathener das Problem aufgezeigt. Während sie als Wissenschaftler die ungeheure Gefahr erkannten, die in den Chips der A-Generation verborgen lag, würden gewissenlose Geschäftemacher den Chip bedenkenlos einsetzen. Sie würden nur an die kurzfristig dadurch zu gewinnenden Vorteile denken, ohne die langfristigen Folgen zu berücksichtigen, die daraus resultieren mussten.

»Es bleibt uns nur eines übrig: Wir müssen alle wissenschaftlichen Unterlagen über die Biochip-Forschung vernichten«, forderte Korexxon laut. »Und selbstverständlich alle Biochips, die wir bisher fertiggestellt haben. Kein anderes Team darf die Möglichkeit haben, auf der Arbeit aufzubauen, die wir in den vergangenen Jahren geleistet haben. Was wir erarbeitet haben, muss gelöscht werden. Auch wenn uns das schwerfällt.«

»Ich könnte schreien, wenn ich das höre, aber du hast recht«, stimmte Arkmit Thorofeyn zu. Korexxon war überrascht; er hatte sich nie besonders gut mit dem Plophoser verstanden, doch nun schien der Biothek-Angestellte alle bisherigen Meinungsverschiedenheiten vergessen zu haben. »Es gibt zu viele gefährliche Waffen in unserer Galaxis, allein schon im Bereich der Liga Freier Terraner. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Biochips das Arsenal der Waffen um eine weitere Variante erweitern.«

»Nicht so schnell!«, bat Astoron Gao. Der Institutsleiter hatte im Laufe der letzten Wochen und Monate ein wenig an wissenschaftlicher Autorität verloren, da sich die anderen Mitglieder seines Teams mehr und mehr an Korexxon orientiert hatten. Nun war er bemüht, den verlorenen Boden wiedergutzumachen, doch so recht wollte es ihm nicht gelingen. Die Männer und Frauen von Biothek hatten erkannt, dass er bei aller wissenschaftlichen Kompetenz eine vergleichsweise schwache Persönlichkeit war. Und die richtig guten Ideen hatte stets Korexxon geliefert. »Steht denn wirklich fest, dass wir mit einer negativen Entwicklung der Chips rechnen müssen?«, fragte Gao. »Ergibt sich zwangsläufig, dass eine positive Veränderung ausgeschlossen ist?«

»Es ist im Prinzip völlig egal, in welche Richtung sich die Chips entwickeln. Entscheidend ist, dass sie es eigenständig und unkontrollierbar tun. Sie können somit Einfluss auf die Persönlichkeit eines Menschen oder eines anderen intelligenten Wesens nehmen«, stellte Korexxon fest. »Wir können es mit unserer wissenschaftlichen Ethik nicht vereinbaren, dass so etwas geschieht. Deshalb gibt es nur eine Konsequenz: Schluss mit der Arbeit!«

»Alle Forschungsergebnisse sind jedoch Eigentum der Stiftung Biothek«, bemerkte der Institutsleiter nüchtern. »Ohne das Einverständnis der Vorstandsmitglieder dürfen wir sie nicht vernichten.«

»Das stimmt nicht ganz«, widersprach der Bioinformatiker. »Ein nicht ganz unwesentlicher Teil ist von mir persönlich eingebracht worden. Er war und bleibt mein geistiges Eigentum, über das ich frei verfügen kann. Laut Vertrag muss in solchen Fällen unser Forschungsteam entscheiden. Niemand sonst kann uns die Verantwortung abnehmen. Vor allem nicht die Vorstandsmitglieder, die kaum wissenschaftliche Kenntnisse besitzen.«

Nach kurzer Diskussion folgten die Wissenschaftler dem Vorschlag Korexxons. Alle gespeicherten Informationen über die Biochips sollten gelöscht werden. Institutsleiter Gao warnte vergeblich vor voreiligen Beschlüssen. »Seht doch bitte ein, wie viel Geld wir in diese Arbeit investiert haben«, flehte er. »Wir müssen das wissenschaftliche Werk von Biothek doch auf irgendeine Art und Weise noch retten. Es geht um Millionen von Galax, mit denen alles finanziert worden ist.«

Aber schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der Mehrheit zu beugen. Gao war grau im Gesicht, und seine Hände zitterten, als er das eindeutige Resultat der Abstimmung erfuhr. Er ließ sich in einen Sessel sinken und sah Korexxon zu, wie dieser damit begann, die Resultate ihrer Arbeit zu vernichten. Gao stand am Rande eines Zusammenbruchs. Ein derartiges Ende ihrer wissenschaftlichen Forschungen bedeutete eine so schwere Niederlage für ihn, dass er sie kaum verkraften konnte.

Einige Male blickte Korexxon zu ihm hinüber. Der Bioinformatiker war froh, dass er nicht in der Position Gaos war. Noch an diesem Tag musste der Institutsleiter sich vor dem Gremium der Vorstandsmitglieder verantworten. Er musste letzten Endes dafür geradestehen, dass Millionen an Forschungsmitteln ohne verwertbare Ergebnisse verbraucht worden waren.

Da die wissenschaftlichen Daten außerordentlich wertvoll waren und von keinem Fremden aufgerufen werden sollten, hatte der Syntron sie vielfach gegen eine versehentliche Löschung gesichert. Das umfangreiche Material konnte nicht mit einem einzigen Befehl aus dem Speicher entfernt werden. Vielmehr musste der Vorgang Schritt für Schritt vorangetrieben werden. Bei jedem Abschnitt war die Bestätigung durch mehrere Wissenschaftler nötig; sie gaben ihren persönlichen Kode ein.

In der ersten Phase wurden alle wissenschaftlichen Erkenntnisse bis hin zur sogenannten B-Generation aufgelöst. In der zweiten Phase vernichtete Korexxon persönlich die Informationen über die höchste Entwicklungsstufe, die A-Generation. Er bemerkte die Blicke der Kollegen, die ihm bei seiner Arbeit zuschauten. Das Ergebnis langer Forschungen wurde durch Tastendruck und Gespräche mit dem Syntron einfach vernichtet.

Doch kaum war diese Arbeit im Prinzip abgeschlossen, als der Syntron überraschend Alarm schlug. »Ein unbekannter Benutzer ist in mich eingedrungen und verhindert weitere Schritte«, teilte die Maschine mit, wobei die weibliche Stimme vor Überraschung leicht zu beben schien. »Er zieht Informationen ab ... lasst mich checken ... über die Biochips – und zwar diejenigen Dateien, die besonders gesichert sind.«

Die Wissenschaftler blickten sich verblüfft an. »Jetzt spinnt der Kasten«, bemerkte Arkmit Thorofeyn in seiner laxen Art.

»Was soll der Unsinn?« Gao stand auf und trat näher an einen der Monitore heran. Er klopfte mit den Knöcheln gegen eine Tastatur, ein Zeichen dafür, wie beunruhigt er war. »Das ist absolut unmöglich!«

Der Institutsleiter brauchte es nicht zu betonen. Jeder der Anwesenden wusste es. Jedem Kind wurde schon bei seinen ersten Kontakten mit dieser Technik vermittelt, dass es erstens unmöglich war, von außen in eine Syntronik einzudringen, und dass zweitens ein illegales Herausziehen von Informationen vollkommen ausgeschlossen war.

»Das will ich noch einmal hören!«, forderte Korexxon. »Also?«

Der Syntron wiederholte seine Aussage. Demnach war das Unglaubliche tatsächlich geschehen. Eine unbekannte Macht hatte sich eingeschaltet und verhinderte weitere Löschungen des umfangreichen Datenmaterials.

»Der Prozess ist nunmehr abgeschlossen«, fügte der Syntron hinzu. »Offenbar hat der Außenstehende alles an Informationen, was er haben wollte.«

Einige der Wissenschaftler redeten aufgeregt durcheinander, andere saßen an ihren Plätzen und starrten vor sich hin, als könnten sie der Aussage des Syntrons nicht trauen. Korexxon erhob sich aus seinem Sessel und ging einige Schritte zur Seite. Er war ebenfalls nicht fähig, sich an den Gesprächen zu beteiligen. Zudem glaubte er nicht, dass sie zu einer Lösung führen konnten.

Der Bioinformatiker stand nicht weniger unter Schock als die anderen. Er hatte die allergrößte Mühe, seine Gedanken und Empfindungen unter Kontrolle zu bringen. Für ihn – wie für die anderen auch – war es ein uraltes Axiom, dass ein Syntron vor einem unerlaubten Zugriff sicher war.

Astoron Gao fing sich als erster. Er ordnete eine Kontrolle des Syntrons an. Dabei machte er deutlich, woran bis dahin keiner der anderen gedacht hatte.

»Das ist jetzt eine richtige Katastrophe«, sagte er langsam. »Das muss uns klar sein. Es geht hier nicht nur um Biothek und unsere Biochips, hier geht es um grundsätzliche Probleme. Wenn wirklich jemand von außen eingedrungen ist, dann bedeutet es in letzter Konsequenz, dass selbst NATHAN nicht mehr sicher ist. Bekanntlich sind alle Syntroniken mit ihm vernetzt.«

»Vielleicht hat das Mondgehirn selbst zugegriffen«, vermutete Arkmit Thorofeyn.

»Unsinn!«, wies Korexxon den Gedanken zurück. Die riesige Syntronik auf dem Mond der Erde konnte unmöglich in dieses Geschehen involviert sein. »Wir alle wissen, dass NATHAN aufgrund gesetzlicher Bestimmungen und den dadurch ausgelösten Vorkehrungen gar nicht dazu in der Lage ist. Auch wenn das Mondgehirn in den letzten Jahrhunderten oft genug gestört wurde – so etwas ist völlig unmöglich. Es muss einen anderen Grund geben!«

Die Kollegen akzeptierten das. Dennoch zweifelten sie an der Aussage des Syntrons. »So etwas kann nicht sein!«, rief ein junger Chemiker.

Luz Korexxon überwand allmählich seinen Schock. Ich muss den Vorfall richtig einordnen, redete er sich ein. Jetzt nur keine Panik! Er hielt sich nicht länger mit den Gedanken daran auf, was geschehen war, sondern wandte sich dem zu, was daraus folgen musste.

Der wesentliche Teil der Forschungsergebnisse ist im Syntron meines Hauses gespeichert, machte er sich klar. Wenn der Unbekannte auch dort versucht, was zu drehen, dann wird die Lage kritisch ...

Die Schlussfolgerung war eindeutig: Er musste nach Hause, so schnell wie möglich. Er musste die Informationen in seinem privaten Syntron löschen, bevor sich auch dort eine unbekannte Macht einmischte. Und er musste so schnell wie möglich handeln. Zeitverlust konnte er sich jetzt nicht mehr leisten.

Mittlerweile war es recht ruhig geworden im Raum. Astoron Gao und einige der anderen Wissenschaftler diskutierten halblaut mit der Syntronik und versuchten, eine Erklärung für den unglaublichen Vorfall zu bekommen. Die meisten glaubten an einen Fehler des Rechners, nicht an einen Angriff von außen. Das konnte sich keiner vorstellen.

Plötzlich schoss Korexxon ein Gedanke durch den Kopf. Haben wir den verdammten Syntron überhaupt richtig verstanden? Die Frage war berechtigt. Was bedeutete der Hinweis, jemand greife von außen ein? Wie weit außen?

Bisher hatte er diese Aussage so interpretiert, dass jemand außerhalb von Biothek angegriffen hatte. Das klang im ersten Moment völlig logisch. Doch war das wirklich so gemeint?

Oder ist der Unbekannte einer von meinen Kollegen, einer der Wissenschaftler von Biothek? Es war genauso logisch wie alle anderen Überlegungen. Hatte einer von ihnen schon vor längerer Zeit ein intrigantes Spiel begonnen, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse an sich zu bringen und möglicherweise mit einem Millionengewinn zu verkaufen? Oder beabsichtigte der Unbekannte, die Forschungen irgendwo fern vom Solsystem in einem anderen hochentwickelten Sonnensystem der Milchstraße fortzusetzen? Missgünstige Gegner der Menschheit gab es genügend, und milliardenschwere Konzerne, die an solchen Chips interessiert waren, ebenso.

Während Korexxon einen der Kollegen nach dem anderen beobachtete und nach Anzeichen suchte, die ihm diese Fragen beantworten konnten, stürzte die rothaarige Anga Zrarafeth in den Raum. Wirr hing der Frau von Olymp das lange Haar ins Gesicht.

»Stek ist tot!«, stammelte sie mit fliegendem Atem. Sie war vom schnellen Lauf erhitzt, und Schweißperlen glänzten auf ihrem Gesicht. »Chips und Unterlagen der B-Generation sind aus dem Tresorraum gestohlen worden!«

Augenblicklich wurde es völlig still. Sogar die Diskussionen mit dem Syntron verstummten. Alle blickten die junge Frau an.

Eine weitere Unmöglichkeit! Es war ganz einfach ausgeschlossen, dass etwas aus dem Tresor entwendet wurde. Biothek war mit modernster Technik abgesichert. Selbst ein Teleporter hätte nicht in den Tresorraum eindringen und etwas mitnehmen können, ohne dass ein Alarm ausgelöst worden wäre. Eingebaute Paralysatoren hätten den Teleporter außerdem augenblicklich gelähmt. Zudem hätte ihn ausströmendes Gas schon nach Bruchteilen von Sekunden handlungsunfähig gemacht, so dass er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, mit einem weiteren Teleportersprung zu flüchten.

Der Hersteller hatte das System damals auf Herz und Nieren geprüft. Zwar gab es außer dem Mausbiber Gucky derzeit keinen bekannten Teleporter in der Milchstraße, aber das zählte nicht. Der Hersteller hatte Holographien und Syntronprogramme eingesetzt, mit denen er Guckys Aktivitäten hatte simulieren können. Dabei war bewiesen worden, dass das System selbst von dem Ilt nicht überwunden werden konnte. Hatte es dennoch jemand geschafft, in den Tresor zu kommen und etwas daraus zu entwenden?

Institutsleiter Gao griff sich erschüttert an den Kopf. »Das ist nun wirklich die absolute Katastrophe!«, stöhnte er. »Die Diebe können alles mögliche mit ihrer Beute anrichten. Mit Hilfe der Chips und entsprechenden Kenntnissen der Bioinformatik können sie menschliche Monster heranzüchten, die ganze Sonnensysteme ins Verderben stürzen.«

»Vielleicht entwickeln sie ja auch absolut unschlagbare Kampfstiere«, versuchte Thorofeyn einen Scherz. Es war einer seiner wundervollen Witze, mit denen er immer wieder erfolglos versuchte, die Stimmung aufzulockern.

Doch wieder hatte niemand Sinn für Humor. Der Plophoser erntete nur irritierte Blicke seiner Kollegen.

»Was ist mit Stek passiert?«, fragte Korexxon. Anga Zrarafeth schüttelte nur stumm den Kopf. Die Augen der jungen Frau von Olymp füllten sich mit Tränen, sie sagte nichts.

Stek war der Hund des Instituts, ein gutmütiger alter Boxer, den vor Jahren ein Kollege aufgelesen hatte und der zum freundlich geduldeten Pflegefall des Teams geworden war.

Von dem Tier war nur noch ein blutiges Bündel geblieben. Es lag mit zerschmetterten Gliedern in der Ecke. Wer auch immer bei Biothek eingebrochen war, er hatte über unvorstellbare Kräfte verfügt, und er hatte das Tier mit rücksichtsloser Härte und größtmöglicher Brutalität getötet. Jeder Knochen im Leib schien Stek gebrochen worden zu sein.

Korexxon hielt es nicht länger im Institut. »Ich muss gehen«, sagte er zu Gao. »Du weißt, dass ich dringende Aufgaben in meinem Haus zu erledigen habe.«

Der Institutsleiter nickte. Nur ganz kurz blickte er auf. Dabei bemerkte der Bioinformatiker, wie elend sein Vorgesetzter aussah. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Die unerklärlichen Vorfälle in seinem Institut hatten ihn offenbar wesentlich härter getroffen, als Korexxon bis dahin geglaubt hatte. Für Gao ging es jetzt nicht mehr nur um die persönliche Karriere und seine Hoffnung auf den großen Preis. Die Affäre hatte eine ganz andere Dimension angenommen.

Luz Korexxon hielt seiner Tastatur die Schale hin und tippte ein: Komm nach Haus. Die Tastatur schmolz, sammelte sich und floss dann die Schütte hinauf in die Wanne zurück. Korexxon legte das Plättchen auf und verließ Biothek. Gao begleitete ihn bis zur Tür. Ihr Abschied war stumm und kurz; Gao schien noch etwas sagen zu wollen, wandte sich dann aber einfach ab.

Während die Kollegen miteinander redeten, wartete Gao ab, bis sich die Tür hinter Korexxon geschlossen hatte. Er straffte seine Schultern, versuchte so etwas wie Zuversicht in seine Miene zu legen. Dann verließ er den großen Raum durch die gegenüberliegende Tür.

Gao nahm seine Niederlage sehr persönlich. Er fühlte sich durch sie und ihren Hauptverursacher beleidigt. Zudem war er sich dessen bewusst, dass er weiter denn je von seinem Lebensziel entfernt war, in die höchsten Kreise der Wissenschaft aufgenommen zu werden. Dafür hasste er Korexxon. Niemals wäre Gao imstande gewesen, so leicht auf das Erreichte zu verzichten wie Korexxon.

Fast kam es Gao vor, als sei dem Bioinformatiker alles vollkommen gleichgültig, als gleite das Geschehen von ihm ab wie Wasser von einer Ölschicht. Aufgewühlt betrat er sein Büro, ließ sich in einen der gepolsterten Sessel sinken und lehnte sich so weit zurück, bis sein Kopf auf der Rückenlehne ruhte. Er musste zuerst einmal mit den Ereignissen fertig werden, die an diesem Morgen auf ihn eingestürzt waren.

Gao versuchte ohne Erfolg, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Minutenlang verharrte er regungslos in seinem Sessel, gequält von Empfindungen, die er nicht unter Kontrolle bekam.

Die Gedanken des Institutsleiters konzentrierten sich mehr und mehr auf Korexxon. Hatte dieser sich nicht ein wenig zu schnell entschieden? Ausgerechnet er, auf dessen Erkenntnissen die Arbeit der letzten Jahre basierte? Warum ließ der Bioinformatiker so schnell die grundsätzlichen Daten vernichten? Warum lag ihm so viel daran, dass keine Informationen übrigblieben? Spielte Korexxon etwa ein falsches Spiel gegen die eigenen Kollegen?

Je länger Gao nachdachte, desto mehr Zweifel kamen ihm an der Integrität des freiberuflichen Mitarbeiters von Biothek. Wollte dieser womöglich gerade jetzt – da sie in die entscheidende Phase der Forschung eingetreten waren – den Lohn ihrer vielen Mühen allein einheimsen? Sollte er doch nicht die integre Persönlichkeit sein, die alle in ihm sahen?

Er wollte eine Antwort auf diese Fragen! Gao richtete sich auf und wandte sich mit Hilfe des Syntrons an Staatsanwalt Morton O'Gnawlly, der für den Bereich von Groß-New-York verantwortlich war. Er kannte diesen Mann schon seit Jahren, war ihm verschiedentlich im außerdienstlichen Bereich begegnet. Von daher wusste Gao, wie ehrgeizig und erfolgshungrig er war. An diesem Tag hatte er jedoch zum ersten Mal dienstlich mit ihm zu tun.

Er unterrichtete den Staatsanwalt, der recht schnell zu sprechen war, über die Vorfälle im Institut und machte deutlich, dass man aus Gründen der Verantwortung heraus gezwungen gewesen war, wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu vernichten. Doch damit ließ er es nicht genug sein. Vorsichtig und mit umständlichen Formulierungen verdächtigte er Korexxon, an dem Geschehen beteiligt zu sein.

»Dieser sogenannte Kollege«, schloss er, wobei er diese Bezeichnung zischend und voller Verachtung hervorstieß, »könnte das alles natürlich auch nur inszeniert haben. Wenn ich es mir recht überlege, war er der einzige, der die Möglichkeit dazu hatte. Nur Korexxon hatte Zugang zu allen Geheimnissen von Biothek.«

»Warum sollte er das getan haben?«, fragte O'Gnawlly sachlich distanziert. Er machte nicht den Eindruck, als sei er so leicht zu überzeugen.

»Ich könnte mir vorstellen, dass er die Forschungsergebnisse für sich behalten will«, beschuldigte der Institutsleiter den Bioinformatiker. Und nun brachen die Dämme. Immer mehr steigerte er sich in die Vorstellung hinein, von Korexxon verraten worden zu sein. »Die Versuchung ist riesengroß, denn der Wert unserer gemeinsamen Arbeit ist geradezu unermesslich. Korexxon ist nur freier Mitarbeiter, wir anderen haben das als Angestellte erarbeitet. Selbst wenn unser ganzes Institut aus Howalgonium bestünde, wäre der Wert der Gebäude noch nicht annähernd vergleichbar mit dem, was das Biochip-Projekt bringen könnte. Da stecken nicht nur Millionen darin, damit könnten wir Milliarden oder gar Billionen von Galax verdienen – in der ganzen Milchstraße.«

Gao blickte den Staatsanwalt durchdringend an. Er wusste aus privaten Gesprächen, dass O'Gnawlly noch eine uralte Rechnung mit Korexxon offen hatte. Es war zu hoffen, dass der Staatsanwalt die Gelegenheit beim Schopf packte, um das Konto auszugleichen.

2.

»Aufstehen, Lakote!«, hallte eine Stimme durch den Raum. »Komm endlich hoch!«

Es klatschte laut, als ob Sekkamelonen aus großer Höhe herabstürzten und beim Aufprall zerplatzten. Dr. Onark fuhr erschrocken aus seiner Tiefschlafphase auf. Benommen blickte er sich um, sah modern gestaltete Möbel, farbenprächtige Originalgrafiken an den Wänden, das langsam intensiver werdende Licht und den schimmernden Holowürfel mit beiden, weit in den Raum hereinreichenden Händen, die immer wieder klatschend gegeneinanderschlugen.

»Nun komm schon raus aus den Federn, Lakote!«, forderte der Syntron, und dabei wurde seine Stimme immer lauter und energischer. »Es ist etwas passiert! Man braucht dich, und zwar dringend!«

Dr. Lakote Onark stieg aus dem Bett. Anfangs musste er sich mit der Hand an der Wand abstützen, weil ihm schwindlig wurde. Er brauchte ein paar Sekunden, um seinen Blutkreislauf ins Gleichgewicht zu bringen und das Schwindelgefühl zu überwinden.

»Verfluchter Abadak!«

Er machte ein paar taumelnde Schritte, fing sich und schüttelte den Kopf, um sein Gehirn in Schwung zu bringen. Tatsächlich klärten sich seine Sinne, und er schaffte es, in die Nasszelle zu kommen, wo er sich mit eiskaltem Wasser überschütten ließ.

»Was ist los?«, fragte er, während er sich abtrocknete. Onark hatte den tiefbraunen Teint vieler Bewohner der terranischen Äquatorzonen, doch blaue Augen, die in lebhaftem Kontrast dazu standen. Das schüttere Haar setzte erst sehr hoch auf seinem Schädel an und war nur im Nacken tiefschwarz, während es an den Schläfen und über der Stirn schlohweiß war. »Weshalb weckst du mich mitten in der Nacht? Ich habe eine schwere Woche hinter mir.«

»In dein Büro ist eingebrochen worden«, teilte der Syntron mit.

Sofort fiel alle Müdigkeit von Onark ab. »Was?« Er kratzte sich dicht über den dunklen Augenbrauen. Aus Zeitgründen verzichtete er darauf, sich frische Wäsche aus dem Automaten geben zu lassen. Stattdessen streifte er sich die weiße Klinikkleidung über, die er erst vor wenigen Stunden abgelegt hatte. Die Sandalen zog er sich erst an, als er sich im Lift befand, der ihn aus den Tiefen des Jupitermondes Callisto nach oben in die Energiekuppel brachte, die OCCIPITAL, das Krankenhaus für psychisch Kranke, überspannte.

Als er eine Antigravgleite erreichte, beschleunigte er, so dass er die Strecke bis zu seinem Chefbüro in kürzester Zeit zurücklegte. Schon von weitem sah er, dass sich verschiedene Ärzte, Helfer und Schwestern auf den Gängen vor seinem Büro versammelt hatten. Auch einige uniformierte Polizisten von Jupitpol waren dabei, Beamte, die für die Monde des Jupiters zuständig waren. Sie hatten Absperrungen mit Hilfe von Formenergie-Bändern eingerichtet, so dass eine breite Schneise vor dem Eingang zum Büro entstanden war. In diesem Bereich bedeckten willkürlich verstreute Schreibfolien den Boden.

Einige Schritte weiter ragten ein paar Frauenfüße in die Schneise herein. Sie zeigten mit den Zehen nach unten, so dass Onark unschwer erriet, dass die Frau auf dem Bauch lag. Als die Angestellten der Klinik den Chefarzt bemerkten, traten sie respektvoll zur Seite. Vielleicht fiel ihnen auf, dass seine Schritte immer kürzer wurden, je näher er seinem Büro kam. Er achtete nicht darauf.

Bis zu diesem Zeitpunkt war er unfähig gewesen, über die Nachricht nachzudenken, die er vom Syntron erhalten hatte. Ein Einbruch in seinem Büro war ganz einfach unvorstellbar. OCCIPITAL war so umfassend abgesichert wie eine Festung. Wer hier eindringen wollte, der musste entweder ein Genie sein oder über nahezu unbegrenzte technische – und somit auch finanzielle – Möglichkeiten verfügen.

Am Eingang zum Büro blieb der Arzt stehen. Eine kleine, rothaarige Frau kam zu ihm, seine Assistentin Araiya-Na. Unordentlich hing ihr das Haar in die Stirn. Sie war offenbar ebenfalls gerade erst aufgestanden. Dabei hatte sie versäumt, ihren Kittel hoch genug zu schließen, so dass sich ihm nun ein recht freizügiger Blick auf ihren Ausschnitt bot. Als sie bemerkte, dass ihn der Anblick ihrer Brust irritierte, schloss sie kurzerhand den Kittel.

»Wieso bricht jemand bei uns ein?«, fragte sie. »Hier gibt es doch überhaupt nichts zu stehlen. Oder doch? Haben wir etwa Informationen, mit denen jemand was anfangen kann?«

Er antwortete nicht, denn bei ihren Worten lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Fieberhaft überlegte Onark, ob er einen Fehler gemacht hatte. Die Beine wurden ihm schwer, und es schien, als wollten sie ihm den Dienst verweigern. Was wusste der Einbrecher von ihm? Hatte er etwas herausgefunden, was ihm das Genick brechen würde?

Onark galt zurecht als ehrgeiziger Mann, und er hatte hart gekämpft, um die Position als Chefarzt zu erreichen. Er war entschlossen, das Erreichte mit allen Mitteln zu verteidigen. Aber jetzt kochte das Gefühl in ihm hoch und wollte nicht weichen, dass er vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere stand.

Ein Polizeioffizier trat ihm entgegen. Das Namensschild auf seiner Brust wies ihn als Atoro Yamash aus. Der Polizist war klein, hatte einen samtbraunen Teint; seine schwarzen, langen Haare hatte er straff zurückgekämmt und im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Seine Augen waren schmal und geheimnisvoll.

Onark spürte, dass dieser Mann ihm gefährlich werden konnte. Er erkannte, dass er auf der Hut sein musste, doch es fiel ihm schwer, sich ausreichend zu konzentrieren.

Während der Polizist auf ihn einsprach, blickte Onark sich verunsichert und von lähmender Furcht erfüllt um. Sein Büro war kaum wiederzuerkennen. Jeder Schrank, jede Schublade und jedes Bord war durchwühlt worden. Die Speichereinheiten des Archivs lagen über dem Boden verstreut, und das Gehäuse des Syntrons war mit brutaler Gewalt zerschlagen worden.

Doch auf das achtete Onark nur am Rande. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der jungen Frau, die leblos auf dem Boden lag. Es war Calast Cül, eine Patientin. An den Innenseiten ihrer Schenkel klebte Blut.

Er kniete neben ihr nieder und legte ihr die Hand auf die Schulter. Dann erst entdeckte er die blutigen Rinnsale, die unter dem Haar hervorkamen und über ihren Nacken hinwegführten.

»Sie ist tot. Wie kommt sie hier herein?«, fragte Atoro Yamash nüchtern und ruhig, als sei sie ein Roboter, der ausgeschaltet worden war. Onark schaute ratlos auf. »Sie konnte sich frei hier bewegen. Wir sind kein Gefängnis.«

»Vielleicht ist sie dem Einbrecher auf dem Flur begegnet. Er könnte sie hereingezerrt oder hereingelockt haben, vergewaltigt und erschlagen. Er muss viel Zeit gehabt und sich sehr sicher gefühlt haben.«

Onark richtete sich auf. »Ich begreife das nicht«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. Unruhig kratzte er sich dicht über den Augenbrauen die Stirn. Die Kehle war ihm eng geworden, und er musste sich mehrmals räuspern, um verständlich sprechen zu können.