Perry Rhodan 155: Der Kartanin-Konflikt (Silberband) - H. G. Francis - E-Book

Perry Rhodan 155: Der Kartanin-Konflikt (Silberband) E-Book

H. G. Francis

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Beschreibung

Die Raumschiffe der Kosmischen Hanse sind nicht nur in der Milchstraße unterwegs, sondern ebenso in den benachbarten Sterneninseln. In der Kleingalaxis Fornax ernten sie Paratau; diesen mysteriösen Stoff findet man sonst nirgends. Die katzenartigen Kartanin erheben ebenfalls Anspruch auf den Paratau, mit dessen Hilfe viele ihres Volkes besondere Fähigkeiten entwickeln. Die Kartanin sind wagemutige und ernstzunehmende Gegner, das muss die Kosmische Hanse nach einem Überfall auf ihr Kontor in Fornax erkennen. Und noch jemand interessiert sich für den Paratau und den beginnenden Konflikt: Stalker, der Bote einer fernen Superintelligenz. Auch in Fornax erweist er sich als Meister der Intrige …

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Nr. 155

Der Kartanin-Konflikt

Cover

Klappentext

Kapitel 1-10

1. Hanse-Kontor Fornax

2. Das Teleport-System

3. Suchexpedition

4. Paratau-Experiment

5. Erster Kontakt

6. Die Kartanin

7. Der Weise von Fornax

8. Im Handstreich

9. Die Wunden lecken

10. Wahlkampf

Kapitel 11-20

11. Hanse-Karawane

12. Rufmord

13. Goshbon-Intrigen

14. Entscheidungen

15. Drei Shana

16. Arkon I

17. Verratener Verräter

18. Die Maakar

19. Schlaglichter

20. Verwischte Spuren

Kapitel 21-26

21. Weit entfernt

22. Erinnerungen

23. Verfolgte und Verfolger

24. Erkenntnisse

25. Die Falle

26. Neue Freunde

Nachwort

Zeittafel

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Die Raumschiffe der Kosmischen Hanse sind nicht nur in der Milchstraße unterwegs, sondern ebenso in den benachbarten Sterneninseln. In der Kleingalaxis Fornax ernten sie Paratau; diesen mysteriösen Stoff findet man sonst nirgends.

Die katzenartigen Kartanin erheben ebenfalls Anspruch auf den Paratau, mit dessen Hilfe viele ihres Volkes besondere Fähigkeiten entwickeln. Die Kartanin sind wagemutige und ernstzunehmende Gegner, das muss die Kosmische Hanse nach einem Überfall auf ihr Kontor in Fornax erkennen.

1. Hanse-Kontor Fornax

Homer Gershwin Adams blickte seine Chefassistentin missbilligend über den Rand seiner Tasse hinweg an. Er nippte an dem Kaffee und stellte die Tasse behutsam ab, als fürchte er, das kostbare Porzellan zu beschädigen.

»Soll das wieder eine deiner originellen Frühstücksmeldungen sein, in denen du dir so gefällst?«, fragte er.

»Ganz und gar nicht.« Lendoa Ivanhoes lächelte; die spitze Bemerkung hatte sie keineswegs beleidigt. »Es ist wahr«, beharrte sie. »Julian Tifflor ist von all seinen Ämtern zurückgetreten. Er gehört nicht länger der Regierung an, ebenso wenig dem Galaktischen Rat im Galaktikum. Er hat außerdem sämtliche Ehrenmitgliedschaften aufgelöst, die ihm im Lauf der Zeit zugefallen sind.«

Adams nippte erneut am Kaffee. Er war klein und bucklig, hatte blassgraue Augen und schütteres Blondhaar – aber man sah ihm nicht an, dass er vor über mehr als zwei Jahrtausenden im damaligen England geboren worden war. Als überragender Wirtschaftler und Finanzgenie hatte er vor einigen Jahrhunderten die Kosmische Hanse aufgebaut. Mit dem Ersten Terraner Julian Tifflor verband ihn eine besondere Freundschaft, und das nicht nur, weil sie beide einen Zellaktivator trugen und somit zu den potenziell Unsterblichen gehörten.

»Tifflor hat sich in die Upanishad zurückgezogen«, fuhr Lendoa fort. »Er schottet sich von seinem bisherigen Umfeld ab und verweigert jeden Kommentar. Ich habe versucht, mit ihm zu reden. Mehrmals. Was soll ich sagen? Es ist aussichtslos!«

Adams stemmte sich an der Tischkante ab und erhob sich. Er ging zum Fenster und sah stumm hinaus. Erst nach einer Weile wandte er sich wieder um und musterte die Frau, die sich mittlerweile ein Gebäckstück genommen hatte. Er ahnte, was Julian Tifflor bewegte und warum der Freund den Entschluss gefasst hatte, mit niemandem zu reden.

»Tiff ist sich dessen bewusst, dass wir alles versuchen würden, ihn von seinem Vorhaben abzubringen«, sagte Adams. »In der aktuellen Situation wäre ihm jedes Gespräch lästig. Ich frage mich, mit welchen Konsequenzen ich sein Verhalten einordnen soll. Julian Tifflors Rücktritt hat das Potenzial einer großen Affäre. Vor allem deshalb hätte ich gern mit Perry Rhodan darüber gesprochen – wenn er greifbar wäre. Sind schon viele Medienleute im Himalaja?«

»Dutzende«, antwortete Lendoa. »Ich würde sagen, die Upanishad wird von ihnen belagert.«

Sie musterte das kleine Kommunikationsholo, das über ihrem linken Handrücken projiziert wurde. »Das Problem wird größer. Ich habe eine Reihe von Anfragen und Anmeldungen. Immer mehr Sender erwarten einen Kommentar. Terrania-Vision hat eine Sonderstunde heute Abend und hofft auf deine Beteiligung.«

»Vermutlich nicht nur Terrania-Vision ...«

Lendoa Ivanhoes verzog die Mundwinkel. »Bislang einhundertvier Anfragen aus dem gesamten Sonnensystem.«

Adams winkte ab.

»Draußen warten bereits Trummer und Anita Krausz auf dich«, bemerkte die Chefassistentin süffisant.

»Ihr Job ist es, Auftritte in den Medien zu vermitteln – und ich bin ihnen sogar etwas schuldig.« Adams seufzte. »In diesem Fall: nein!«

»Gut, ich werde es ihnen irgendwie beibringen.«

»Das wird unangenehm, Lendoa, aber so ist dein Job. Weiter im Text. Wir müssen davon ausgehen, dass Julian seine Entscheidung nicht revidiert. Also muss ich mich mit Galbraith abstimmen. Er soll wenigstens für eine Interimszeit Erster Terraner und Galaktischer Rat werden und sein Amt als Hanse-Sprecher solange ruhen lassen. Ich werde mit ihm darüber reden. Informiere ihn bitte.«

»Ich habe Galbraith Deightons Büro bereits signalisiert, dass Brisantes ansteht.«

»Das dachte ich mir.« Adams lächelte. »Wäre es nicht so, müsste ich mich wundern. Noch etwas?«

Lendoa Ivanhoes reichte ihm einen kleinen Datenspeicher. »Ein Bericht von Leila Terra«, sagte sie. »Gesil hat uns über die Geschehnisse in Fornax und insbesondere über den Vertrag mit dem Weisen von Fornax wegen der Entsorgung der Paratau-Regionen informiert. Daraufhin wurde Leila Terra beauftragt, den Abtransport des Parataus zu organisieren. Inzwischen hat die Hanse-Sprecherin gute Arbeit geleistet.«

»Ich weiß, die nötige Funkbrücke zwischen Fornax und der Milchstraße wurde endlich eingerichtet.« Adams ging zu seinem Sessel zurück und ließ sich darin nieder. Er legte den Datenspeicher auf die Lesemulde in der Armlehne. »In Fornax operieren nicht nur Hanse-Schiffe, auch Prospektoren lokalisieren die Paratau-Regionen und Wissenschaftler und Diplomaten erforschen die Lebenszyklen der Nocturnen-Schwärme. Hauptsächlich geht es darum, die freundschaftlichen Beziehungen zu den verschiedenen Stöcken zu vertiefen. Also beste Aussichten für die nahe Zukunft.« Mit einer knappen Handbewegung vergrößerte Adams die vor ihm aufleuchtenden Holoseiten und fing an, sich durch den Inhalt des Speicherkristalls hindurchzublättern.

»Genau darauf wollte ich hinaus«, sagte Ivanhoes. »Leila scheint die ideale Besetzung für das Kontor in Fornax zu sein.«

Tarran Carst erkannte die große und auffallend schöne Frau sofort, kaum dass sie sein Geschäft betrat. Dabei weilte er erst seit wenigen Tagen im Kontor Fornax und wusste noch herzlich wenig über den neuen Stützpunkt der Kosmischen Hanse. Nur eines war ihm in dem Moment klar: Seine erste Kundin, kaum dass er Eigentümer des exquisiten Bekleidungsgeschäfts geworden war, war zugleich seine wichtigste Kundin.

Die Frau begrüßte ihn mit einer graziös-freundschaftlichen Handbewegung, als ob er ein alter Freund sei. Dann erst schien ihr aufzufallen, dass er neu war.

»Oh, dich kenne ich gar nicht«, sagte sie lächelnd. Sie hatte silbernes, bis zu den Hüften fallendes Haar und ein schmales Gesicht mit großen, dunklen Augen, die verhaltenes Temperament verrieten. Sie trug eine flammend rote Bluse mit ausgestelltem Kragen und eine lederartige Hose wie aus Tausenden von dünnen Fäden, die bei jeder Bewegung raschelten, als seien sie von geheimnisvollem Leben erfüllt – ein Modeschrei, dem »Flüsterhemd« des Kosmokraten Taurec nachempfunden.

»Du musst Leila Terra sein, die Hanse-Sprecherin des Kontors«, vermutete Tarran Carst. »Mir wurde gesagt, dass du einen erlesenen Geschmack hast.«

»Und du bist der neue Inhaber?«

Sie griff nach einer leichten Bordkombination und ließ den hochelastischen Stoff zwischen ihren Fingern hindurchgleiten. Er war so leicht, dass sie ihn kaum spürte. »Hoch geschlossen, dennoch fast ein freizügiger Hauch...«, kommentierte sie.

»In den Farben anpassungsfähig«, erläuterte Carst. »Chamäleongewebe. Die neueste Modetorheit, wenn du so willst. Wie ich hörte, sind diese Kombinationen in milchstraßennahen Stützpunkten schon der Verkaufsschlager.«

Leila Terra lachte. »Ungewöhnlich – zugleich spannend«, sagte sie. »Ich nehme die Kombi. Aber nur, weil ich wissen will, ob der Respekt der Besatzung leidet, wenn ich diese ... Herausforderung ... an Bord von ENTSORGER-1 trage.«

»Die Paratau-Ernte schreitet voran?«, fragte Carst, erhielt jedoch keine Antwort. Die Hanse-Sprecherin hatte sich schon anderen Kleidungsstücken zugewendet.

»Das sind die neuesten Kreationen«, kommentierte er eifrig. »Die besten Stoffe, die aktuell in der Milchstraße zu bekommen sind. Sie halten ewig, haben allerdings ihren Preis.«

Leila Terra verbrachte die nächsten Minuten damit, sich auch einen Freizeitanzug auszuwählen. Überraschend erschien eine dunkelhaarige junge Frau und sprach leise mit ihr. Die Hanse-Sprecherin ließ sich daraufhin die Kombination und den Anzug einpacken und verließ kommentarlos das Geschäft.

»Wir müssen den Start der ENTSORGER-1 verschieben«, eröffnete Maud Leglonde, kaum dass sie mit ihrer Chefin die Geschäftspassage entlangeilte. »Zrec-Kkerr hat sich angemeldet, und das verdammt knapp. Er wird in einer Stunde hier sein.«

»Und er erwartet selbstverständlich, dass ich Zeit für ihn habe, obwohl er seinen Besuch schon vor Tagen hätte avisieren können. Wie kommt er darauf, dass ich jederzeit für ihn zu sprechen bin?«, fragte Leila Terra ihre Assistentin.

»Zrec-Kkerr wurde mir als nüchterner, emotionsloser Denker beschrieben«, entgegnete Leglonde. »Bist du ihm schon einmal begegnet?«

»Das wird unser erstes Zusammentreffen. Der Topsider gehört nicht nur zum Galaktischen Rat, er kommt im Auftrag des Galaktikums, um sich bei uns umzusehen.«

»Zweifellos. Und ich ahne, was er vorhat.«

»Ich ebenfalls«, bestätigte die Hanse-Sprecherin. »Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich Gefallen daran hätte.«

Die beiden Frauen schwebten in einem offenen Antigravlift zu einem der Dachgärten hinauf. Einige Galaktiker, überwiegend jedoch Terranerinnen und Terraner, saßen oder standen in Gruppen zusammen; sie tranken Kaffee oder das im terranischen Einflussbereich beliebte vitaminreiche Straab.

Leila Terra und ihre Assistentin blieben vor einer transparenten Wand stehen, durch die sie auf das St.-Elms-Meer hinaussehen konnten. Millionen von Vögeln suchten in den flachen Randbereichen nach Nahrung. Es sah deshalb aus, als sei ein Teil des großen Binnenmeeres mit roten und gelben Blüten bedeckt. Der Uferlinie folgten in einigem Abstand Dutzende harmonisch der Landschaft angepasste Lagerhäuser sowie Wohn- und Verwaltungsgebäude. Die Verteidigungsanlagen des Raumhafens lagen unter der Oberfläche.

Das Kontor Fornax war der einzige Hanse-Stützpunkt in der Kleingalaxis Fornax. Errichtet auf dem gleichnamigen vierten von 14 Planeten der Sonne Faalin und somit 45 Lichtjahre vom Augenlichtsystem entfernt, in dem sich der Weise von Fornax aufhielt.

Der Planet war etwa so groß wie Terra. Seine Atmosphäre wies einen etwas höheren Sauerstoffanteil auf als die Lufthülle der Erde, die Schwerkraft war ebenfalls knapp ein Zehntel höher, und die Durchschnittstemperatur im Bereich des Stützpunkts lag bei 18 Grad Celsius. Es gab nur einen Kontinent, der den Planeten umspannte und, rund um den Äquator, ein Dutzend Binnenmeere. In diesem Bereich lagen auch die wichtigsten Vegetationszonen.

Die beiden Frauen schwebten eine Antigravbrücke entlang und betraten ihren Bürotrakt, der zwei Stockwerke eines der großen Verwaltungsgebäude einnahm. Carlo Bylk kam ihnen entgegen. Der stets etwas zurückhaltend wirkende Mann trug einen nostalgisch wirkenden dunklen Anzug.

»Ich habe den Konferenzraum vorbereiten lassen«, eröffnete er. »Sitzgelegenheiten für zwanzig Topsider. Zrec-Kkerr kann also mit seiner Delegation antanzen. Falls erforderlich, stehen zwanzig weitere Sessel zur Verfügung. Getränke und Gebäck sind verteilt; ich habe einem Dossier entnommen, dass Zrec-Kkerr gern nascht. An der Decke befindet sich ein versteckt angebrachter Punktstrahler.«

Leila Terra schaute ihren Assistenten verblüfft an. Bylk war ein perfekter Organisator, der es wie kein anderer verstand, sich auf die Eigenarten der unterschiedlichsten Galaktiker einzustellen und jeweils die angenehmste Atmosphäre zu schaffen. Er hatte stets Fingerspitzengefühl bewiesen, für günstige Bedingungen zu sorgen, damit Störfaktoren gar nicht erst aufkamen. Leila schätzte ihn als ausgezeichneten Psychologen, der genau wusste, dass auch Verhandlungspositionen verkauft werden mussten.

»Ein Punktstrahler?«, fragte sie. »Wozu?«

Maud Leglonde lächelte. »Zrec-Kkerr ist nicht nur arrogant, sondern zudem eitel. Er schmückt seinen Echsenkopf mit Goldstaub.«

»Ich verstehe.« Die Hanse-Sprecherin lachte. »Der Strahler sorgt dafür, dass sein Goldköpfchen perfekt leuchtet. Seinen Begleitern wird das nicht entgehen, und falls er es selbst nicht bemerkt, werden sie es ihm zu verstehen geben. Ausgezeichnet, Carlo. Hoffentlich kommst du nicht auf den Gedanken, mich in ähnlicher Weise ins rechte Licht zu setzen.«

»Das ist bei dir überhaupt nicht nötig«, entgegnete Bylk.

Maud Leglonde deutete auf einen der Holoschirme in der Empfangshalle, die sie soeben betraten. Die Wiedergabe zeigte einen Schweren Kreuzer der Topsider; das Schiff näherte sich dem Planeten.

»Es ist die DRORR-DAKK«, kommentierte Bylk.

»Zrec-Kkerr passt mir überhaupt nicht ins Konzept.« Leila Terra seufzte. »Muss er ausgerechnet jetzt kommen?«

»Mir fällt noch einiges zu ihm ein«, sagte Leglonde. »Zrec-Kkerr gilt als Vertrauter Pratt Montmanors. Er ist überaus ehrgeizig. Er empfindet seine Position als Galaktischer Rat zwar als Auszeichnung, sieht das aber längst nicht als Endpunkt seiner Karriere. Ein topsidischer Journalist sagte einmal über ihn, dass es sein Ziel sei, eine historische Persönlichkeit zu werden.«

»Hat dieser Journalist zufällig erwähnt, ob er das im positiven oder negativen Sinn meinte?«

»Ich glaube, solche Feinheiten sind Zrec-Kkerr egal. Wichtig ist ihm, dass er Akzente setzt, die ihm einen Platz in der Geschichte sichern.«

»Ein gefährlicher Mann also.« Leila Terra fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wir müssen Vorsicht walten lassen.«

Sie war vor einem halben Jahr von Homer G. Adams beauftragt worden, den Abtransport des Parataus aus Fornax zur Milchstraße zu organisieren. Leila war mit missionarischem Eifer aufgebrochen und hatte schnell erste Erfolge erzielt. Mittlerweile stand die entscheidende Phase bevor. ENTSORGER-1, der Prototyp eines vollautomatischen Paratau-Ernteschiffs, sollte zum Einsatz kommen. Dabei gab es eine Fülle von Problemen zu bewältigen.

Ausgerechnet in dieser Situation tauchte der Galaktische Rat Zrec-Kkerr auf. Leila Terra konnte sich denken, was er beabsichtigte, und das gefiel ihr nicht.

»Seht zu, dass ihr zum Raumhafen kommt!«, befahl sie ihren beiden Assistenten. »Holt den Topsider ab und bringt ihn her. Vergesst aber nicht, dass er Galaktischer Rat ist.«

Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Zrec-Kkerr erschien mit großem Tross im Verwaltungsgebäude; 20 kräftige, uniformierte Topsider schritten ihm voran. Hastig nahmen sie jeden Winkel auf dem Weg zum Büro der Hanse-Sprecherin in Augenschein, als müssten sie damit rechnen, dass der Galaktische Rat einem Attentat zum Opfer fallen könnte. Sie benahmen sich auffällig und herausfordernd. Die Taktik war klar: Leila Terra sollte eingeschüchtert werden. Ihr sollte bewusst werden, dass sie mit einer Autorität zusammentraf. Zrec-Kkerr erwartete wohl, dass sie vor Ehrfurcht jeglichen Widerspruch vergaß.

Der Galaktische Rat überragte seine Begleiter deutlich. Sein golden schimmernder Echsenschädel hätte einem potenziellen Attentäter tatsächlich ein hervorragendes Ziel geboten. So gesehen erschien das Sicherheitsbedürfnis sogar provozierend.

Leila Terra erwartete den Besucher in dem kleinen, geschmackvoll eingerichteten Konferenzraum. Zrec-Kkerr war eine kraftvolle Persönlichkeit, in seinem Blick ruhte die Abgeklärtheit des Erfolgsgewohnten. Seine Augen, ungewöhnlich klein für einen Topsider, lagen tief in den Höhlen. Die kantig vorspringenden Schädelknochen überschatteten sie und verliehen ihnen etwas Düsteres.

Zrec-Kkerr blieb zwei Schritt vor der Hanse-Sprecherin stehen. Er vergrub die Hände in den Taschen seines langen Umhangs.

»Willkommen auf Kontor Fornax«, sagte Leila. »Ich freue mich, einen Vertreter des Galaktikums hier begrüßen zu können.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, entgegnete der Topsider. »Ich bin gekommen, um vor Ort deutlich zu machen, wie groß der Wunsch des Galaktikums für eine ausgewogene wirtschaftliche Zusammenarbeit ist.«

Leila Terra antwortete knapp und ausweichend. Sie wartete, bis ihr Gast Platz genommen hatte, dann setzte sie sich ebenfalls. Auf ihrer Seite des Tischs ließen sich lediglich Maud Leglonde und Carlo Bylk nieder, während zur Delegation des Galaktischen Rates 19 Topsider gehörten, die Leibwächter nicht mitgerechnet, die sich entlang der Wände postierten.

Zrec-Kkerr war gekommen, um ihr auf die Finger zu schauen, das war Leila klar. Das Galaktikum konnte nicht damit einverstanden sein, dass die Kosmische Hanse ein Monopol für den Abbau des Parataus erwarb und darüber hinaus versuchte, den gesamten Handel mit Fornax an sich zu ziehen.

»Ich erinnere daran, dass allein das Galaktikum in allen außenpolitischen Belangen verantwortlich ist«, eröffnete der Topsider.

»Wir befinden uns in Fornax, nicht in der Milchstraße, nur um das klarzustellen«, sagte Leila. »Die Kosmische Hanse hat diesen Bereich aus eigenen Mitteln wirtschaftlich erschlossen. Die Hanse vertritt ihre Interessen eigenständig, wobei sie strikt darauf achtet, dass dem Galaktikum niemals ein Schaden entstehen kann.«

»Mit einer verwaschenen Antwort wie dieser habe ich gerechnet«, grollte der Topsider. »Deine Worte stehen für den Expansionsdrang und die Arroganz der Hanse. Sie will ein Monopol errichten und verstößt schon mit dieser Absicht gegen die Interessen des Galaktikums.«

»Die Kosmische Hanse bringt allen Völkern Frieden und Wohlstand über intensive Handelsbeziehungen«, erklärte Leila Terra. »Die Kosmische Hanse folgt nur dem Ziel, wirtschaftliche Beziehungen zu fördern. Es steht dem Galaktikum frei, sich in ähnlicher Weise zu betätigen. Das Universum ist groß, der Handlungsraum also unbegrenzt. Wenn die Kosmische Hanse irgendwo Erfolge erzielt und Märkte erschließt, darf keineswegs zwangsläufig vorausgesetzt werden, dass das Galaktikum an ihrer Arbeit partizipiert. Neidet das Galaktikum der Hanse den Erfolg? Muss ich daraus schließen, dass das Galaktikum allein nicht in der Lage ist, ähnliche Erfolge zu erzielen?«

»Du attackierst mich mit Unterstellungen!«, fuhr Zrec-Kkerr auf. »Wenn dir lediglich daran liegt, mich zu beleidigen, sollten wir das Gespräch schnell beenden.«

Leila sah auf die Anzeige ihres Kombiarmbands. »Meine Zeit ist knapp bemessen«, sagte sie. »Bist du nur gekommen, um Kritik zu üben? Oder hast du konstruktive Vorschläge?«

»Du willst die Konfrontation der Hanse mit dem Galaktikum!«, stellte der Topsider erregt fest. »Das wäre ein gefährliches Spiel. Du scheinst noch nicht erkannt zu haben, dass es um deinen Kopf geht.«

»Um meinen?« Leila lächelte. »Kommen wir besser zur Sache, Zrec-Kkerr. Die Hanse akzeptiert den Anspruch des Galaktikums keinesfalls. Wir vertreten unsere Interessen selbst, das heißt, wir werden unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Fornax weiter ausbauen, ohne das Galaktikum dabei einzuschalten. Die Kosmische Hanse, wie der Firmenname schon sagt, wird weiterhin Handelsbeziehungen zu möglichst vielen Völkern unterhalten – und wird zumindest in dem Bereich, für den ich verantwortlich bin, niemanden dafür um Erlaubnis fragen.«

Zrec-Kkerr reagierte mit einer überaus scharfen Antwort. Die Rivalität zwischen der Hanse und dem Galaktikum hätte nicht deutlicher zutage treten können. Nun erwies es sich für den Topsider als Nachteil, dass er mit einer großen Delegation erschienen war. Damit hatte er sich selbst unter Druck gesetzt und musste sich und seinen Untergebenen beweisen, dass er der Terranerin überlegen war.

Ruhig und gefasst verdeutlichte die Hanse-Sprecherin noch einmal die Position der Kosmischen Hanse. Sie ließ vor allem keinen Zweifel daran, dass sie nicht einen Millimeter von ihrer Überzeugung abweichen würde.

»Ich werde mich bei Adams über dich beschweren«, schloss Zrec-Kkerr das Gespräch. »Darüber hinaus mache ich dich darauf aufmerksam, dass ich dem Weisen von Fornax einen Besuch abstatten werde, um diplomatische Beziehungen zwischen dem Galaktikum und den Nocturnen zu begründen.«

Er starrte die Terranerin an, und auch die Blicke der anderen Topsider waren auf sie gerichtet. Leila Terra hatte schon geargwöhnt, dass Terra-Psychologen zu Zrec-Kkerrs Delegation gehörten. Sie beobachteten ihre Reaktionen genau. Natürlich wussten die Topsider, dass ihr der Besuch gar nicht recht sein konnte. Andererseits stand es jedem frei, mit dem Weisen von Fornax zu reden und ihm diplomatische Beziehungen anzutragen.

»Meine Empfehlung an Homer G. Adams«, sagte Leila mit gezwungenem Lächeln. »Selbstverständlich auch an den Weisen von Fornax.«

Zrec-Kkerr erhob sich. Der Galaktische Rat presste die verhornten Lippen aufeinander. Er war sichtlich unzufrieden.

»Der Topsider fliegt ab, was wollen wir mehr«, sagte Carlo Bylk, als Zrec-Kkerr sich drei Stunden später – im Anschluss an ein kleines Essen – zu seinem Raumschiff zurückzog.

»Wir dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen«, warnte Leila. »Das Galaktikum zeigt, dass es unsere Aktivitäten wachsam und vor allem äußerst eifersüchtig verfolgt. Der Konkurrenzkampf wird härter. Hoffen wir, dass er auch künftig weitgehend fair geführt wird – vor allem, dass es nicht zu einem offenen Bruch kommt.«

»Was unternehmen wir?«, fragte Maud Leglonde.

»Wir warten zwei Stunden, dann starten wir mit ENTSORGER-1. Also wie vorgesehen.«

Zrec-Kkerr meldete sich noch einmal über Funk. In seinen Worten schwang so etwas wie Respekt für die Hanse-Sprecherin mit. Der Galaktische Rat schien nicht erwartet zu haben, fern der Milchstraße auf harten Widerstand zu stoßen. Sein Schiff nahm schließlich, noch innerhalb des Systems, Kurs auf die Sonne Augenlicht.

Leila Terra flog wenig später mit einem Zubringer zur ENTSORGER-1, die im Orbit über dem Planeten Kontor Fornax stand.

Das vollautomatische Paratau-Ernteschiff entsprach in Form und Größe einem DINOSAURIER-Tender der Baureihe 3392. Die Plattform ebenso wie die angeflanschte Kommandokugel wiesen spezielle Lagerräume für den Paratau auf, die mit Paratronschirmen geschützt wurden. An Bord gab es keine Beiboote, stattdessen 200 robotgesteuerte Fänger. Diese jeweils 100 Meter durchmessenden und 20 Meter dicken Plattformen waren mit schweren Traktorstrahlern für den Aufbau eines Gravitationsnetzes ausgestattet und zudem mit Paratron-Projektoren, mit deren Hilfe der Paratau isoliert werden konnte.

Von der Erprobung der ENTSORGER-1 hing sehr viel ab. Bewährte sich der Prototyp, sollten weitere ENTSORGER zum Abernten der Tauregionen gebaut werden. Stellte sich also der erhoffte Erfolg ein, stand Kontor Fornax eine extrem positive wirtschaftliche Entwicklung bevor.

Leila Terra betrat das Ernteschiff zusammen mit Carlo Bylk und Maud Leglonde durch einen Schleusentunnel.

Syrene Areyn wartete bereits. Die Kommandantin stand mit 30 Jahren erst am Anfang ihrer Karriere. Sie hatte das blonde Haar straff zurückgekämmt. Dazu kontrastierten die kräftigen dunklen Augenbrauen, die über den Augen scharfe Bögen bildeten, an den Schläfen aber ausfächerten und sich fast bis zum Haaransatz hinzogen.

Syrene Areyn gehörte zusammen mit 15 Männern und Frauen zur gesamten Besatzung des Tenders. Ihnen oblag vor allem eine überwachende Funktion, da sich das Ernteschiff erst in der Erprobungsphase befand.

Sowohl der Start als auch die Kursfindung und der Flugverlauf in die abzuerntende Paratau-Region fielen schon in den Zuständigkeitsbereich der Automatik. Das umfangreiche, von Wissenschaftlern und Techniker begleitete Testprogramm lief an, nachdem die ENTSORGER-1 das Faalinsystem verlassen hatte.

Vier oder fünf Stunden später suchte Carlo Bylk seine Kabine auf, um sich für eine Weile auszuruhen. Als Leilas Assistent hatte er vorläufig nichts weiter zu tun, als hin und wieder Verbindung mit Kontor Fornax aufzunehmen.

Carlo Bylk streckte die Hand nach dem Öffnungsmechanismus aus, da senkte sich ein armdickes Stielauge von der Decke zu ihm herab und musterte ihn eindringlich. Bylk fuhr zurück, taumelte und stürzte unvermittelt mit hoher Geschwindigkeit durch den Korridor. Rasend schnell fiel er dem nächsten Sicherheitsschott entgegen und fürchtete schon, mit größter Wucht aufzuschlagen. In letzter Sekunde verkrampfte er sich, prallte aber nicht auf. Vielmehr glitt er mit den Füßen voran durch das geschlossene Schott hindurch, befand sich unvermittelt in dem angrenzenden Gangabschnitt und flog nun mit dem Kopf voran, als hätte sich alles irgendwie gedreht.

Bylk schrie. Er verstummte auch nicht, als sein Sturz jäh endete, und er mitten im Korridor schwebte, umgeben von unzähligen farbenprächtigen Blumen, die einen Sekundenbruchteil vorher nicht da gewesen waren.

Gleich darauf war alles vorbei. Carlo Bylk fiel zu Boden und blieb schwer atmend liegen.

»Was ist mit dir?«, hallte die Stimme der Kommandantin aus einem Lautsprecherfeld durch den Gang. »Bist du in Ordnung?«

»Mir geht es ausgezeichnet«, keuchte Bylk. »Wie kommst du auf den Gedanken, es könnte nicht so sein?«

Er sah sich mühsam um. Er lag nur wenige Meter vor seiner Kabine, als wäre fast nichts geschehen. Das Türschott öffnete sich anstandslos.

Carlo Bylk sank erschöpft aufs Bett. Schon im Halbschlaf gefangen, hörte er noch die Stimme der Kommandantin im Interkom. Syrene Areyn verkündete, dass wenige Minuten zuvor ein Psi-Sturm den Tender gestreift hatte.

Die ENTSORGER-1 flog die unterschiedlichsten Manöver und probte dabei den Einsatz der Fänger, die den Paratau einholen sollten. Dabei zeigte sich eine Reihe technischer Probleme, die in den vorangegangenen Simulationen nicht aufgetreten waren. Die notwendigen Arbeiten brachten viel Unruhe an Bord.

Am vierten Tag geriet die ENTSORGER-1 erneut in die Ausläufer eines Psi-Sturms. Alle 200 Fänger waren kurz vorher ausgesetzt worden und hatten schon damit begonnen, Paratau zu ernten.

Carlo Bylk verließ soeben seine Kabine und wollte die Hauptzentrale aufsuchen. Leila Terra stand im Gang, fast so, als hätte sie auf ihren Assistenten gewartet. So halb von der Seite, wie Bylk sie sah, wirkte die Hanse-Sprecherin auf ihn etwas seltsam, anders jedenfalls als sonst. Er kniff die Augen zusammen, da bemerkte er den schmalen silbernen Fellstreifen, der von ihrer Stirn bis weit in den Nacken reichte. Außerdem trug sie, völlig ungewöhnlich, eine blütenweiße Uniform.

Carlo Bylk grinste breit.

»Hallo, Leila«, sagte er. »Ist das der neueste Modetrend, den Carst bietet? Dann muss ich sagen, die Niederlassung hier in Fornax mausert sich. Steht dir übrigens ausgezeichnet. Vor allem bringt die Uniform deine Figur auf eine Weise zur Geltung, dass mir heiß und ...«

Die Gestalt wurde transparent. Sie glitt einige Schritte von ihm weg, drehte sich und verschwand in der Wand.

Bylk eilte vor. Er tastete über die Stelle, an der die Hanse-Sprecherin scheinbar hindurchgegangen war, aber er spürte nur die feste Materie der Wand, keine verborgene Öffnung, nichts.

»Sie werden sich wundern«, ertönte eine Frauenstimme hinter ihm. »Die Tränen N'jalas gehören den Großen Familien, niemandem sonst.«

Carlo Bylk fuhr herum. Und tatsächlich: Die Frau mit dem silbernen Fellstreifen stand keine zwei Meter von ihm entfernt. Etwas Katzenhaftes haftete ihr an. Dazu die leicht schräg stehenden Augen ... Er erkannte erst in dem Moment, dass es nicht Leila war. Ein Trugbild? Leicht zitternd hob er die Hand, um die Erscheinung zu berühren.

»Wir werden nicht dulden, dass die Bewohner des Fernen Nebels nach den Tränen greifen.«

In Bylks Fingerspitzen prickelte es, als habe er nach einer stromführenden Leitung gegriffen. Seine Hand zuckte zurück. Er schaffte es sekundenlang nicht, die Finger zu bewegen. Sie waren taub und gefühllos, wie paralysiert.

»Wer bist du?«, stammelte er. »Und woher kommst du?«

Die Fremde blickte ihn mit ihren schimmernden Augen an.

»Die Großen Familien von H'ay müssen reagieren. Sie werden niemals zulassen, dass Bewohner des Fernen Nebels die Tränen ...«

Mitten im Satz verschwand die Erscheinung, als hätte sie nie existiert.

»Ich muss verrückt sein«, ächzte Bylk. »Fehlt nur noch, dass Zrec-Kkerr hier auftaucht.«

»Habe ich meinen Namen gehört?«, fragte eine knarrende Stimme.

Carlo Bylk fuhr herum. Entsetzt starrte er den Topsider an, der vor ihm an der Wand lehnte.

»Das ist nichts weiter als ein Dopplereffekt«, behauptete der Galaktische Rat, dann kippte er zur Seite, in die Wand hinein.

Bylk zweifelte ernsthaft an seinem Verstand. Zrec-Kkerr konnte gar nicht an Bord der ENTSORGER sein. Das war unmöglich. Außerdem, welche Kräfte sollten den Galaktischen Rat dazu befähigt haben, einfach durch Materie hindurchzugleiten?

»Lass dich nicht irritieren«, riet ihm die Hanse-Sprecherin, als er ihr wenig später berichtete. »Du hast dich von Halluzinationen narren lassen.«

»Aber ... die Frau sah phantastisch aus«, schwärmte Bylk. »Du meine Güte, der möchte ich tatsächlich begegnen.«

Leila lachte. »Die Chance steht eins zu einer Milliarde, wenn du großes Glück hast. Eher ist sie gleich null. Vermutlich existiert diese Frau sowieso nur in deiner Vorstellung. Oder sie hat in ferner Vergangenheit gelebt oder wird in irgendeiner Zukunft geboren. Möglicherweise treibt sie sich in einem anderen Universum herum, in das wir nie überwechseln können. Vergiss nicht, dass wir es mit den Ausläufern eines Psi-Sturms zu tun hatten.«

2. Das Teleport-System

»Die KARVA'AN ist da«, meldete Lendoa Ivanhoes, als Homer G. Adams am 4. Januar 430 NGZ im Büro erschien. »Sie schwenkt soeben in eine Umlaufbahn ein. Kommandant Goozren Ter Kaal teilt mit, dass sich an Bord viele Panisha befinden. Zweihundertfünfzig von ihnen haben die Absicht, sich auf die neuen Schulen in der Milchstraße zu verteilen und dort zu wirken. Darüber hinaus bringt das Schiff einige Warenmuster, wenn ich es so formulieren darf, darunter ein komplettes Teleport-System für einen Planeten von der Größe und der Bevölkerungsdichte Terras.«

»Ein komplettes System, Lendoa? Avisiert ist es schon lange. Es wird alles andere weit in den Schatten stellen.«

Adams ließ sich in den Sessel hinter seinem wuchtigen Arbeitstisch sinken. Er wartete bereits geraume Zeit auf den Teleport, ein planetares Transportsystem, das auf der Basis des universellen psionischen Netzwerks beruhte. Es funktionierte dennoch angeblich nach anderen Prinzipien als der Enerpsi-Antrieb von Sotho Tal Kers ESTARTU oder auch der Virenschiffe. Der Enerpsi-Antrieb folgte den psionischen Netzlinien, ohne auf das Netz selbst Einfluss zu nehmen. Der Teleport hingegen erzeugte lokal ein eigenes, dichteres Psi-Netz. Denn die psionischen Linien waren im natürlichen Zustand nicht so engmaschig miteinander verwoben, dass es möglich gewesen wäre, mit ihnen kürzere Entfernungen zu überwinden. Der Teleport bediente sich deshalb des vorhandenen Netzes. knüpfte es aber so eng, dass rings um einen Planeten eine von extrem dicht verwobenen Psi-Linien bestimmte Kugelsphäre entstand.

Der Bedarf an psionischer Energie wurde dabei so hoch, dass aus der planetaren Umgebung Energie zugeführt werden musste. Das Teleport-System der Erde würde daher die Energien der Psi-Linien im gesamten System an sich ziehen. Letztlich bedeutete dies, dass das Solsystem weitestgehend zur Kalmenzone würde und für Schiffe ausschließlich mit Enerpsi-Antrieb nicht mehr zu durchqueren.

Aus diesem Grund eignete sich der Teleport nicht für interstellare Entfernungen. Man konnte zwar ein Enerpsi-Transmittersystem errichten, würde dadurch aber die Raumfahrt auf psionischer Basis unmöglich machen, da das Transmitternetz eine interstellare Kalmenzone erzeugen würde.

»Stimmt es, dass ein Teleport-System aus drei Komponenten besteht?«, fragte Lendoa Ivanhoes. Sie verstand von n-dimensionaler Technik nur wenig, war aber immer wissbegierig.

Homer G. Adams lächelte. »Völlig richtig«, bestätigte er. »Dazu gehört ein geostationärer Satellit, etwa hundertachtzig Meter durchmessend, mit den erforderlichen Hightech-Anlagen für die Neuordnung des Psi-Netzes. Um diese Kugel liegt ein Wulst wie eine Doppelhelix ...«

»Die Hauptantenne? So ähnlich wie bei der ESTARTU.«

»Genau. Die zweite Komponente ist eine Bodenstation mit einem syntronischen Großrechner. Salopp gesagt, ein halbierter Satellit, gekrönt von einer fünfzig Meter hohen Enerpsi-Antenne. Der Syntron teilt die planetare Psi-Netz-Sphäre in ein Koordinatensystem ein. Über Hyperfunk steht er mit jedem an das Teleport-System angeschlossenen Teleport-Gürtel in Verbindung.«

»Und die dritte Komponente?«

»Das ist genau dieser Teleport-Gürtel«, erläuterte Adams. »Er besteht aus lederähnlichem Material, ist zwanzig Zentimeter breit und hat eine scheibenförmige Schnalle. Rundum verläuft eine fingerdicke Doppelhelix aus einem glasfaserähnlichen Material. In die Schnalle integriert sind ein Mikrorechner, ein winziger Hypersender und ein Mikrofon.«

Ivanhoes seufzte. »Wie funktioniert das alles in der Praxis?«

Adams lächelte. »Stell dir vor, du befindest dich in deiner Wohnung im Galactic Center im äußersten Westen Terranias und möchtest zum Goshunsee, um dort zu baden. Das sind etwa dreißig Kilometer Luftlinie. Du schnallst den Teleport-Gürtel um und nennst die Codenummer für dein Ziel. Hast du die Nummer für den Südstrand im Kopf, nennst du sie. Fällt sie dir nicht ein, sagst du: Terrania, Goshunsee, Südufer. Der Mikrocomputer gibt den Code an die Bodenstation durch und sie stellt eine psionische Verbindung zwischen dem Satelliten und deinem Teleport-Gürtel her. Der Satellit versorgt den Gürtel mit der Energie, die nötig ist, dich ins Psi-Netz zu teleportieren. Entlang einer oder mehrerer Psi-Linien wirst du ans Ziel gebracht und materialisierst dort.«

»Merke ich etwas davon? Ich meine: Kann ich den Vorgang verfolgen?«

Homer G. Adams verschränkte die Finger beider Hände, hob die Arme auf Brusthöhe und dehnte sich.

»Rein optisch würde sich dir das gleiche Bild bieten wie während des Fluges an Bord eines Enerpsi-Schiffs«, sagte er. »Aber du bist fast in Nullzeit unterwegs, wirst also nicht einmal ein Flackern bemerken.«

»Ich nenne also mein Ziel, zum Beispiel das Südufer des Goshunsees, und befinde mich einen Sekundenbruchteil später dort?«

»Völlig richtig, Lendoa. Nur nicht irgendwo am Ufer, sondern exakt in dem Bereich, der unter der angegebenen Koordinate gespeichert und durch einen auffälligen Hinweis gekennzeichnet ist.«

»Warum das?«

»Damit sich im Materialisationsbereich niemand aufhält. Andernfalls könntest du zurückgeschleudert werden.«

»Ich verstehe. Sobald ich angekommen bin, muss ich mich aus dem Materialisationsbereich entfernen. Das Ganze ist nicht viel anders als ein Transmitterdurchgang, nur ohne Transmitter.«

Adams schmunzelte. »Ja und nein. Du kannst gehen, wohin du willst – solange du auf Terra bleibst, brauchst du dem Teleport-Gürtel nur ein vorher bestimmtes Codewort zu nennen, und du wirst in deine Wohnung zurückgebracht.«

Die Chefassistentin nickte sinnend.

»Eine letzte Frage habe ich trotzdem. Könnte man das System missbrauchen? Was wäre, wenn sich jemand in den Besitz aller Koordinaten und Codes bringt? Ich würde jedenfalls nie behaupten, dass das unmöglich sei. Könnte der- oder diejenige nicht jederzeit in meine Wohnung eindringen? Oder, zweifellos interessanter, in den Großtresor der Terrania-Bank springen?«

»Das könnte er«, räumte Adams ein.

»... und ebenso im Bruchteil einer Sekunde wieder vom Tatort verschwinden?«, ereiferte sich die Sekretärin. »Kein Alibi wäre mehr stichhaltig. Und das würde nicht nur für einen kleinen ...«, mit beiden Händen machte sie die altmodische Geste des Geldzählens, »... Diebstahl gelten, sondern ebenso für Verbrechen gegen Leib und Leben.«

Adams lehnte sich zurück. Nachdenklich musterte er die junge Frau.

»Das sind in der Tat Probleme, die vor dem umfassenden Einsatz gelöst werden müssen«, stimmte er zu. »Und nicht nur das. Ein weiterer Punkt sind die langfristigen Folgen, die eine Veränderung des natürlichen psionischen Netzes zweifellos haben wird. Damit müssen wir uns ebenfalls befassen. Ich bin sicher, dass wir in dieser Hinsicht einige Auseinandersetzungen auf politischer Ebene haben werden. Vor allem muss geklärt werden, ob es zu einer Beeinträchtigung unserer natürlichen Umwelt kommen könnte. Die Naturschützer scharren bestimmt bald mit den Hufen.«

»Bitte?« Ivanhoes kniff verständnislos die Brauen zusammen.

Adams winkte ab. »Nur eine uralte Redensart, Lendoa.«

»Du meinst, die Naturschützer könnten beunruhigt sein?«

»Ich bin mir selbst nicht sicher«, gab Adams zu. »Aber vorab: Eine Reihe von Hanse-Sprechern, Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen, und ich selbst werden das Teleport-System testen. Nur wenn wir mit den Ergebnissen zufrieden sind, werden wir auch dem Großversuch auf Arkon I zustimmen.«

Schon wenige Stunden später waren Homer G. Adams sowie mehrere Politiker, Wissenschaftler und Journalisten mithilfe des Teleports kreuz und quer über die Erde versetzt und kurze Zeit danach zu ihrem Ausgangsort zurückgeholt worden. Der Test war zur Zufriedenheit aller verlaufen.

Zähe und langwierige Verhandlungen mit Stalker folgten. Sie zogen sich tagelang hin, bis es am 14. Januar endlich zu einem Vertragsabschluss kam, bei dem Homer G. Adams für die Kosmische Hanse das technische Know-how des Teleport-Systems kaufte. Dabei verpflichtete sich die Hanse, für jedes von ihr aufgebaute planetarische Teleport-System ESTARTU eine Million Paratau-Tropfen zu liefern.

Parallel zu den Verhandlungen liefen die Vorbereitungen für die Entsendung einer Hanse-Karawane zur Mächtigkeitsballung Estartu auf Hochtouren – jedoch ohne dass Stalker davon erfuhr. Adams plante, vor Ort mitzumischen und auf diese Weise langfristig bessere Konditionen zu erzielen. Sorgen bereitete ihm zudem, dass immer noch keine Nachricht von den nach Estartu aufgebrochenen Vironauten eingetroffen war. Er dachte dabei vor allem an die Aktivatorträger Reginald Bull, Ronald Tekener und Roi Danton.

Stalker nutzte jede längere Unterbrechung der Verhandlungen, um weitere Upanishad-Schulen zu eröffnen. Auf Akon, Gatas, Ertrus, Plophos, Epsal und Arkon I entstanden markante Gebäude. Am 14. Januar – dem Tag, an dem Adams und Stalker den Teleport-Vertrag unterzeichneten, wurde mit großem Prunk die Upanishad auf Arkon I eröffnet. Homer G. Adams weilte ohnehin auf Arkon I, weil anlässlich der Vertragsunterzeichnung der Prototyp des Teleport-Systems für den geplanten Großversuch installiert wurde.

Ebenfalls am 14. Januar 430 NGZ, rund 550.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt:

»Die größten Schwierigkeiten sind überwunden!«, meldete Syrene Areyn. »Die Fänger ernten nun den Paratau.«

»Ausgezeichnet«, lobte Leila Terra. Sie schob den Salat zur Seite, den sie sich vor wenigen Minuten von der Robotausgabe geholt hatte. »Hoffen wir, dass es keine weiteren Störungen gibt.«

Die Kommandantin setzte sich der Hanse-Sprecherin gegenüber an den Tisch.

»Warum so pessimistisch, Leila?«, fragte sie. »Wir haben alle aufgetretenen Schwierigkeiten ausgeräumt, oder nicht? Alles funktioniert wie erhofft. Die Traktorstrahler holen den Paratau ein, mit den Schutzschirmen werden die Tropfen isoliert. Drei Fänger haben bereits gemeldet, dass achtzig Prozent ihrer Ladekapazität ausgelastet sind.«

»Wie lange machen wir weiter?«

»Bis alle zweihundert Fänger die volle Auslastung anzeigen.«

»Wir werden früher aufhören!«, schränkte Leila Terra ein. »Die ENTSORGER-1 befindet sich in der Erprobung. Schon deshalb werden wir keinesfalls bis an die Grenze ihrer Auslastung gehen.«

Syrene Areyn zog erstaunt eine Braue hoch. »Darüber haben wir nicht gesprochen«, monierte sie. »Für mich war selbstverständlich, dass wir alles greifbare ...«

»Finde dich damit ab, dass es nicht so ist! Letztlich trage ich die Verantwortung.« Leila Terras Tonfall machte deutlich, dass sie keinen Widerspruch duldete.

Areyn akzeptierte nur zögerlich, dass die Hanse-Sprecherin als Kommandantin des Stützpunkts Kontor Fornax die nötige Weisungsbefugnis hatte. »Du triffst die Entscheidungen«, bestätigte sie erst nach einem tiefen Atemzug.

Sie hatte den Satz kaum zu Ende gebracht, da schrillte der Distanzalarm. Ein fremdes Raumschiff war im Operationsgebiet erschienen.

Die Schiffskommandantin stürmte aus der Messe. Leila Terra folgte ihr dichtauf. Es waren nur wenige Meter bis zur Kommandozentrale.

Die Holos zeigten das fremde Objekt. Eine etwa 40 Meter dicke Scheibe, die annähernd 160 Meter durchmaß. An ihrem Rand erhoben sich sechs halbkugelförmige Aufbauten, jeder an die 15 Meter hoch. Das bislang unbekannte Raumschiff stieß mitten hinein in den Schwarm der robotisierten Ernteeinheiten, verzögerte kurz und beschleunigte dann wieder, wobei es einen der Fänger mit sich riss.

»Es klaut eines der Erntegeräte mitsamt den Paratau-Tropfen!« Maud Leglonde fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

»So zu manövrieren ist einfach verrückt«, stöhnte Carlo Bylk. »Wer immer das sein mag, riskiert Kopf und Kragen. Die Kollision mit einem der Fänger ist geradezu vorprogrammiert.«

Niemand hätte eine solche Attacke überhaupt in Erwägung gezogen. Sowohl Syrene Areyn als auch Leila Terra hatten mit allen möglichen Zwischenfällen, Schwierigkeiten und Pannen gerechnet, aber nicht damit, dass sich eine fremde Macht einschalten und einen der Fänger stehlen würde.

Daran noch etwas ändern zu wollen, dafür war es bereits zu spät. Das unbekannte Raumschiff glitt an allen Hindernissen vorbei und verschwand mit seiner Beute.

Ein erregtes Stimmengewirr hob an. Eines der Besatzungsmitglieder rief die Aufzeichnung ab.

»Ruhe!«, befahl Leila Terra scharf und wandte sich Areyn zu. »Wir brechen ab! Der geerntete Paratau wird in Sicherheit gebracht; das erscheint mir wichtiger als alles andere. Wir kehren nach Kontor Fornax zurück!«

Syrene Areyn wollte protestieren, schwieg jedoch, weil sie den stechenden Blick der Hanse-Sprecherin sah. Jeder Einwand wäre sinnlos gewesen.

»Wir ziehen uns zurück!«, gab Areyn den Befehl weiter. »Manöver abbrechen! Fänger einziehen und Rückkehr zum Stützpunkt einleiten!«

Die Schiffspositronik bestätigte den Befehl.

»Fassen wir zusammen«, drängte Leila Terra. »Was genau ist vorgefallen?«

»Eine unbekannte Macht hat eine Ernteeinheit samt der Paratau-Ladung gestohlen«, antwortete Areyn. »Über den fremden Schiffstyp sind bislang keine Daten verzeichnet. Das Raumschiff verfügte laut Ortung über einen einfachen Linearantrieb und ein HÜ-Schirm-ähnliches Abwehrfeld. Das ist vorläufig alles, was ich feststellen kann.«

»Immerhin ein Anhaltspunkt«, sagte Leila Terra. »Wir haben nicht nur eine beträchtliche Menge Paratau verloren. Die Fremden sind nun auch im Besitz unserer Paratron-Technik, und das wiegt bereits schwerer als der Verlust der Paratau-Tropfen.«

»Vorausgesetzt, sie sind in der Lage, die Paratronanwendungen zu begreifen und nachzubauen.«

»Davon sollten wir ausgehen.«

»Das müssen wir wohl.« Die Kommandantin seufzte. »Was wirst du unternehmen, sobald wir wieder auf Kontor Fornax sind?«

»Ich werde mich dort nicht aufhalten, sondern schnellstens mit dem Weisen von Fornax reden!«

Keine zehn Stunden später flog ein kleines Raumschiff der Kosmischen Hanse ins Augenlichtsystem ein, das 234 Lichtjahre vom Zentrum der Kleingalaxis entfernt war. Das Schiff ging in eine Umlaufbahn um den Planeten, den der Weise von Fornax Nachtschatten nannte. Leila Terra war mit Syrene Areyn, Carlo Bylk und Maud Leglonde rasch wieder aufgebrochen.

Mehrere terranische Raumschiffe befanden sich bereits im Orbit über dem Planeten – Wissenschaftler und Diplomaten warteten auf Kontakt mit den Nocturnen-Stöcken. Leila wandte sich über eine Sammelschaltung an die Wartenden und wollte danach eigenständig Verbindung mit den Nocturnen-Stöcken aufnehmen, doch der Weise von Fornax kam ihr zuvor.

»Ich habe mit dir gerechnet«, eröffnete der Weise mit akustischer Ausgabe über die Bordpositronik.

Die Hanse-Sprecherin betrachtete die Holos, die den kleinen Planeten zu zeigten. Der Weise von Fornax war die Gesamtheit aller Quarztürme, die sich schwarz und scheinbar leblos auf der Planetenoberfläche erhoben. Im Grunde war er ein Geschöpf, das sich wie jedes andere Lebewesen aus unzähligen einzelnen Zellen zusammensetzte, nur war jede dieser Zellen in der Lage, mit allen anderen zu kommunizieren. Jeder der unterschiedlich großen Quarztürme war wie ein unabhängiges und eigenständiges Wesen. Das ermöglichte es dem Weisen von Fornax, philosophische Probleme von allen nur erdenklichen Seiten zu betrachten und so zu für ihn befriedigenden Lösungen zu gelangen.

»Du hast mit mir gerechnet?«, fragte Leila verblüfft. »Wie konntest du wissen, dass ich kommen würde?«

»Der Zwischenfall bei der Erprobung eures Raumschiffs brachte mich zu dieser Erwartung.«

»Du weißt von den Paratau-Dieben?«

»So ist es.« Die Stimme des Weisen hallte aus den Lautsprecherfeldern der Zentrale. Sie vibrierte vor Vergnügen und klang ähnlich wie die Stimme des Unsterblichen von Wanderer, ließ jedoch nichts von dessen oft makabren Untertönen erkennen.

»Ich hoffe, du kannst mir Auskunft über die Diebe geben«, fuhr die Hanse-Sprecherin fort. »Ich muss eingestehen, dass wir nie Raumschiffe wie jene eigenartige Scheibe gesehen haben.«

»Beschreibe mir das Schiff!«

Syrene Areyn antwortete für die Hanse-Sprecherin. Sie übermittelte dem Weisen über Hyperfunk die Aufzeichnung der Begegnung mit den Fremden. Eine genauere Information hätte sie ihm beim besten Willen nicht geben können.

»Die vermeintlich Unbekannten, die du als Paratau-Diebe bezeichnest, sind zweifellos Kartanin. Sie kommen aus der Galaxis Triangulum.«

»Du kennst sie?« Leila Terra hatte Mühe, ihre Erregung zu unterdrücken. »Bitte, ich muss alles über sie wissen.«

»Es gibt nicht viel zu sagen«, erwiderte die Gesamtheit der Nocturnen-Stöcke. »Die Kartanin haben früher die Tauregionen entsorgt, sind aber seit geraumer Zeit nicht mehr in Fornax erschienen.«

Leila Terra atmete tief durch. Sie vergegenwärtigte sich, dass der Weise etwa 14 Millionen Jahre alt war. Bei diesem Wesen konnte deshalb die Floskel »seit geraumer Zeit« durchaus Hunderttausende von Jahren bedeuten.

»Weißt du, warum die Kartanin geraume Zeit wegblieben?«

»Das ist mir unbekannt.«

Der Hanse-Sprecherin war klar, dass das technisch auf nicht allzu hohem Niveau stehende Scheibenraumschiff keinesfalls aus eigener Kraft von der Galaxis Triangulum, die auch als M 33 bezeichnet wurde, gekommen sein konnte. Sie warf Syrene Areyn einen warnenden Blick zu, weil sie bemerkte, dass die Kommandantin sich äußern wollte. Der Weise brauchte nicht alle ihre Überlegungen zu kennen.

Entweder gab es in Fornax eine Basis der Kartanin oder irgendwo in der Nähe stand ein fernflugtaugliches Mutterschiff, vermutlich im Ortungsschutz einer Sonne.

Leila Terra versuchte zwar, von dem Weisen weitere Informationen über die Kartanin zu bekommen, doch er schien ihr tatsächlich nicht mehr sagen zu können. Sie bedankte sich und forderte Syrene Areyn dann auf, nach Kontor Fornax zurückzukehren.

»Du scheinst nicht zufrieden zu sein mit dem, was du erfahren hast«, stellte die Kommandantin fest.

»Das kann ich wohl nicht.« Leila schüttelte missmutig den Kopf. »Dafür hat der Weise viel zu wenig preisgegeben.«

»Und – was wirst du tun?«

»Die Diebe aufspüren«, antwortete die Hanse-Sprecherin. »Ich denke jedenfalls nicht daran, mich mit dem momentanen Zustand abzufinden. Wir werden diesen Kartanin das Handwerk legen. Erst danach gehe ich zur Tagesordnung über.«

Das Schiff landete kurze Zeit später auf dem Stützpunkt.

Leila informierte von ihrem Büro aus das Hauptquartier der Kosmischen Hanse über den Vorfall und die Auskunft des Weisen von Fornax. Sie ließ sich von Homer G. Adams die Vollmacht geben, die Diebe aufzubringen – wenn es sein musste, mit Waffengewalt.

»Ich lasse eine Flotte nach Fornax in Marsch setzen!«, versprach Adams. »Du erhältst jede nötige Unterstützung. Und noch etwas«, fuhr der Aktivatorträger zögernd fort. »Hier bei uns tut sich einiges. Unter anderem steigt der Wert der Paratau-Tropfen als Handelsware deutlich. Eine Störung bei der Lieferung und Versorgung mit Paratau wäre mehr als unwillkommen.«

»Ich verstehe«, bestätigte Leila Terra. »Ich sorge dafür, dass die Störungen schnellstmöglich enden. Homer, du kannst dich darauf verlassen.«

»Ich sehe, wir verstehen uns«, lobte Adams. »Trotzdem wirst du die Suche nach den Kartanin äußerst vorsichtig durchführen und vor allem auf strengste Geheimhaltung achten. Das Galaktikum darf nichts davon mitbekommen!«

»Zrec-Kkerr hält sich beim Weisen von Fornax auf«, sagte die Hanse-Sprecherin. »Soweit erkennbar, hat sich bislang nicht viel zwischen ihm und den Nocturnen-Stöcken getan. Meine Leute werden mich augenblicklich informieren, sobald der Topsider das Augenlichtsystem wieder verlässt.«

»Ich habe den Eindruck, dass Kontor Fornax die Idealbesetzung hat. Du schaffst das, Leila.« Homer G. Adams brach die Verbindung ab.

3. Suchexpedition

Der Alarm heulte durch die ENTSORGER-1. Fünfmal war das Ernteschiff mittlerweile wieder im Einsatz gewesen, und es hatte nicht den geringsten Zwischenfall mehr gegeben. Umso überraschender kam der Alarm.

»Es sind wieder die Kartanin!«, meldete die Kommandantin, als Leila Terra im Laufschritt in die Zentrale des DINOSAURIER-Tenders stürmte.

Leila sah in den Holos gerade noch, wie die Kartanin eines der Fängerschiffe aufbrachten.

»Verfolgung aufnehmen!«, befahl sie.

Die ENTSORGER-1 beschleunigte mit Höchstwert, aber dennoch wurde der rasche Vorstoß zum Fehlschlag. Die Kartanin verschwanden im Nichts, als wären sie kaum mehr als ein Trugbild gewesen.

»Wo um alles in der Welt sind sie abgeblieben?«, platzte Carlo Bylk heraus. »Das Schiff kann sich unmöglich einfach aufgelöst haben. Und angemessen haben wir nichts – oder doch?«

»Die Kartanin gehen jedenfalls äußerst geschickt vor«, sagte die Kommandantin. »Trotzdem scheint es so etwas wie eine Spur zu geben. Sie führt zu einem kleinen Sonnensystem, zwölf Lichtjahre entfernt. Wenn nicht alles täuscht, gibt es im Randbereich jenes Systems sogar ein kleines Paratau-Vorkommen. Die Kartanin hätten uns also nicht in die Quere kommen müssen. Es sei denn, sie hätten es darauf angelegt, uns zu ärgern.«

»Dabei übersiehst du, dass sie uns den nächsten Fänger abgenommen haben«, wandte Bylk ein. »Vermutlich ist ihnen dieses Beutestück mehr wert ist als der Paratau.«

»Das könnte sein.« Syrene Areyn rieb sich die Schläfen. »Was meinst du, Leila? Nehmen wir Kurs auf dieses System?«

»Das ist überhaupt keine Frage«, empörte sich Maud Leglonde. »Wir müssen jeder Spur folgen, die sich uns bietet.«

Die Kommandantin zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Da ist eine Kleinigkeit klarzustellen«, sagte sie. »Bisher ging es um die Erprobung der ENTSORGER-1 und die damit zusammenhängenden Probleme. Aber die Situation hat sich geändert. Für die Jagd auf ein fremdes Raumschiff ist die ENTSORGER nicht geeignet. Falls wir gezwungen wären, uns zu verteidigen ...«

»Die Fänger sind noch weniger für eine Verfolgung brauchbar«, gab Leila zu bedenken.

»Darum geht es nicht«, wehrte Syrene Areyn ab.

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Leglonde.

»Leila ist Hanse-Sprecherin und damit ein hohes Tier. Ich bin für das Schiff verantwortlich – und vor allem für eure Sicherheit. Tut mir leid, dass ich das betonen muss, aber wir werden die Kartanin nur verfolgen, soweit ich das verantworten kann. Sobald der ENTSORGER Gefahr droht, werde ich die Mission – nun ja: die Verfolgung – abbrechen.«

»Das entscheidest du nicht allein«, ereiferte sich Carlo Bylk.

»Doch«, bestätigte Leila Terra. »Syrene hat recht! Ich habe auch keineswegs die Absicht, eine militärische Auseinandersetzung mit den Kartanin heraufzubeschwören. Wir werden lediglich klären, wo die Fremden sich verstecken, und danach militärische Unterstützung anfordern.«

»Richtig«, stimmte die Kommandantin zu. »Vergessen wir nicht, dass eine Hanse-Flotte unterwegs ist. Diese Schiffe dürften eher in der Lage sein, den Kartanin auf die Finger zu klopfen.«

»Warum erbitten wir nicht einfach die Hilfe der Nocturnen-Stöcke?«, fragte Maud Leglonde.

»Weil sie uns bestimmt nicht helfen werden«, antwortete Leila. »Weder der Weise selbst noch die anderen Stöcke würden verstehen, warum wir so etwas erwarten. Je mehr Parteien sich um die Entsorgung der Tauregionen kümmern, desto besser ist es für die Nocturnen-Schwärme. Weshalb sollte der Weise also dazu beitragen, dass einer der Entsorger verschwindet?«

Leglonde nickte stumm.

Die Spur der Kartanin führte tatsächlich in das kleine Sonnensystem. Es hatte nur drei Planeten, von denen lediglich der äußere eine Sauerstoffatmosphäre aufwies. Zwei Monde umkreisten ihn.

»Keine Spur von irgendwelchen Raumschiffen«, stellte die Kommandantin nach den ersten ausgiebigen Messungen fest. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Kartanin sich weit genug in den Ortungsschutz der Sonne zurückgezogen haben.«

Nach und nach erfassten die Ortungen und Sensoren winzige Partikelspuren, die tatsächlich die Flugroute des fremden Raumschiffs aufzeigten. In weitem Bogen führte sie in das System hinein.

Leila Terra zog sich mit ihren beiden Assistenten in die Messe zurück.

»Bis ausreichend belastbare Ergebnisse vorliegen, kann es eine ganze Weile dauern«, sagte die Hanse-Sprecherin. Sie glaubte, in Ruhe eine Tasse Kaffee genießen zu können, doch ein Anruf der Kommandantin schreckte sie schon nach wenigen Minuten aus ihren Gedanken auf. An dem heißen Kaffee hatte sie erst ein paarmal genippt.

»Die Spur weist eindeutig zum dritten Planeten!«, berichtete Syrene Areyn. »Es sieht aus, als wären die Fremden dort gelandet.«

»Es sieht so aus?«, fragte Bylk verwundert und musterte das gerade mal faustgroße Holo. »Wieso kannst du die Spur bis zu diesem Planeten verfolgen, aber nicht eindeutig erkennen, ob sie weiterführt oder dort endet?«

»Wir haben es mit recht schlauen Kontrahenten zu tun. Die Spur führt zum äußeren Planeten, und dort teilt sie sich. Tatsächlich haben wir zwei Objekte verfolgt: das fremde Raumschiff und den gestohlenen Fänger. Der Robotfänger scheint kurzfristig in eine Umlaufbahn gegangen und dann weitergeflogen zu sein.«

»Folglich wäre das Raumschiff der Kartanin gelandet?«, fragte Leila Terra. »Ich bezweifle das; es erscheint mir – irgendwie unnötig ...«

»Irgendetwas ist gelandet!«, beharrte die Kommandantin. »Weiß der Teufel was. Vielleicht nur ein Beiboot.«

»Das kann die Bordpositronik nicht feststellen?«, fragte Maud Leglonde.

»Warum eigentlich nicht?«, drängte Carlo Bylk.

»Weil es keine Partikelspuren in der Atmosphäre gibt. Im fraglichen Bereich herrschte eine Sturmfront, in der alle Spuren schnell verwischt wurden.«

»Und was sagen die Ortungen?«

»Nichts, Leila, unverändert. Entweder verstehen die Kartanin es, sich der Ortung mit navigatorischen Tricks zu entziehen, oder sie haben einen hochwertigen Ortungsschutz.«

»Daran glaube ich nicht«, wandte Maud Leglonde ein. »Ein solcher Ortungsschutz würde nicht zu ihrem technischen Niveau passen.«

»Also doch navigatorische Tricks«, führte die Kommandantin die Überlegung der Assistentin weiter. »Die Kartanin sind hellwach und irgendwie raffiniert.«

»Sie erinnern mich daran, wie wir Terraner am Anfang unseres Aufbruchs zu den Sternen waren«, mischte sich einer der Wissenschaftler ein. »Perry Rhodan und seine Leute haben damals gehandelt, ohne lange nach Wenn und Aber zu fragen. Sie gingen frech und respektlos zu Werke – jedenfalls aus Sicht der etablierten raumfahrenden Völker.«

»Ich brauche ein Einsatzkommando!« Leila Terra hatte sich entschieden. »Wir statten dem Planeten einen Besuch ab.«

Randsted Maeredston hatte sich bereit erklärt, das Einsatzkommando zu leiten. Er war der Wissenschaftler, der sich über die Bordkommunikation eingemischt und den Vergleich zu früherer Zeit herangezogen hatte. Maeredston war über zwei Meter groß und hatte beträchtliches Übergewicht. Dennoch war sein Gesicht schmal, mit kleinen Augen, einer spitzen Nase und knochig vorspringendem Kinn. Das dünne Goldkettchen, das er um den Hals trug, wirkte auf gewisse Weise nostalgisch.

Maeredston war Parapsychologe und schon deshalb besonders am Paratau interessiert. »Mir behagt es ganz und gar nicht, wenn die Tropfen einer fremden Macht in die Hände fallen«, hatte er zugegeben. »Ich fürchte, dass uns dadurch beträchtliche Schwierigkeiten entstehen könnten.«

Maeredston lenkte das Raumboot, mit dem das Kommando die ENTSORGER-1 verließ. Mittlerweile hatte die Hauptpositronik fünf Regionen auf dem Planeten aufgezeigt, in denen ein Raumschiff gelandet sein konnte. Exakte Angaben gab es jedoch nicht, die Auflistung gründete sich lediglich auf Wahrscheinlichkeiten.

»Die Annahme basiert auf Faktoren wie erhöhter Strahlung«, erläuterte Maeredston knapp. »Jeder dieser Parameter ist vage und könnte durchaus natürlichen Ursprungs sein. Erst nach der Landung werden wir herausfinden, was tatsächlich Sache ist.«

Das Boot näherte sich einer schmalen, gebirgigen Halbinsel, die sich über mehrere Hundert Kilometer hinweg in ein Seegebiet voller Klippen und winziger Inseln erstreckte. Das Einsatzkommando bestand neben Leila Terra und dem Leiter Randsted Maeredston aus den vier Wissenschaftlern John Strecher, Alfien Doran, Vallis Thornokow und Paolo Melzer. Die beiden Assistenten der Hanse-Sprecherin sowie die Kommandantin der ENTSORGER-1 waren nicht beteiligt.

»Keinerlei Anzeichen einer aktuellen Besiedlung«, stellte Maeredston fest. »Es scheint jedoch vor langer Zeit eine Zivilisation gegeben zu haben. Die ENTSORGER-1 hat einige Gebiete auf der Nordhalbkugel angemessen, die zumindest archäologisch interessant sein könnten – jedenfalls mit der Wahrscheinlichkeit untergegangener größerer Städte.«

»Gegenwärtig gibt es keine Zivilisation«, bemerkte John Strecher, ein bärtiger Kosmopsychologe und Paratau-Forscher. »Keine Luftverschmutzung, keine Naturzerstörung, das sind doch die Hauptanzeichen angeblich intelligenten Lebens. Der Planet hat sich jedenfalls recht gut von der Zivilisation erholt.«

»... sagt ein Mann, der sich vornehmlich im Weltraum und auf fremden Welten herumtreibt«, kommentierte der Exobiologe Thornokow.

»Du bist und bleibst ein Zyniker«, gab Strecher heftig zurück.

»Wenigstens bin ich ehrlich und lästere nicht über unvermeidliche Tatsachen«, sagte Thornokow schroff.

»Warum schlagt ihr euch nicht?«, fragte Paolo Melzer. Er war klein und schmal, galt jedoch als außerordentlich zäh. »Eine handfeste Prügelei klärt die Luft und regelt die Rangordnung.«

»Ruhe, verdammt!«, befahl Maeredston. »Was ist los mit euch?«

»Ah, die Landung steht bevor.« Alfien Doran ließ sich nach vorn sinken und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab. Er war so entspannt, dass es schien, als werde er aus seinem Sessel rutschen. »Unser großer Meister verlangt Disziplin.«

Das Boot landete auf einer Lichtung. Links und rechts erstreckten sich Hügelketten wie abwehrende Wälle vor einem dichten Dschungel. Nach Süden hin weitete sich das Tal wie ein Delta, das von einem einstmals mächtigen Strom geformt sein mochte. Aber nur mehr ein kleiner Fluss schlängelte sich träge dahin.

Die Außenbeobachtung zeigte zudem eine Herde von büffelähnlichen Tieren, die in blinder Panik davonstob. Auf den Hügelkuppen tauchten hier und da echsenartige Wesen auf, die jedoch rasch wieder verschwanden.

»Es sieht recht friedlich aus«, sagte Einsatzleiter Maeredston. »Ich schlage vor, wir gehen in drei Gruppen zu jeweils zwei Personen. Leila, wir beide; John und Alfien bleiben zusammen; Vallis und Paolo bilden die dritte Gruppe.«

»Ich hatte gehofft, du würdest mich mit Leila einteilen.« Alfien Doran grinste die Hanse-Sprecherin respektlos an. »Ich erforsche die Wirkung des Parataus auf die menschliche Physis, da wäre die romantische Wildnis ...«

»Es reicht!«, unterbrach Maeredston schroff. »Nehmt den Einsatz nicht auf die leichte Schulter. Das friedliche Bild kann täuschen.«

Die Messungen zeigten nicht nur an, dass der Planet eine atembare Atmosphäre hatte, sondern auch, dass sie frei von pathogenen Keimen war. Atemschutzmasken oder gar SERUNS waren deshalb nicht nötig. Ohnehin zog keiner der Gruppe in Erwägung, sich einen Schutzanzug überzustreifen. Nicht lange zögern, sondern der nächsten Frechheit der Kartanin zuvorkommen, das schien die unausgesprochene Devise zu sein.

Mit den kleinen Antigravplattformen verließen die drei Paare das Raumboot. Vallis Thornokow und Paolo Melzer flogen in das ehemalige Delta hinaus, um den Küstenbereich abzusuchen. Die anderen konzentrierten sich auf das Tal.

Thornokow ließ die Plattform einige Hundert Meter in die Höhe steigen. Er stand aufrecht an der schmalen Kontrollkonsole; Melzer hatte sich im Schneidersitz niedergelassen.

»Wenn sie hier irgendwo im Umkreis gelandet sind, dann erwischen wir sie«, verkündete Thornokow selbstsicher. »Die sollen sich nur nicht einbilden, dass sie mit uns Katz und Maus spielen dürfen. Die werden ihr blaues Wunder erleben.«

»Oder wir, wenn du immer noch höher hinaufwillst«, entgegnete Melzer. »Je höher wir fliegen, desto leichter können sie uns sehen. Ich sollte dir eins auf die Nase geben.«

»Willst du mir drohen?«

»Wenn sich einer derart dumm anstellt, ist das durchaus nötig.«

»Sieh dich lieber um, ob du irgendwas entdecken kannst. Ich fände es gut, wenn wir den anderen zuvorkommen würden.«

Paolo Melzer schüttelte lachend den Kopf. »Wenn die Kartanin in dieser Gegend gelandet sind, dann machen wir es ihnen jedenfalls nicht schwer, auf uns aufmerksam zu werden.« Er strich sich über das blonde Kraushaar. »Du kannst froh sein, dass ich mit der fliege und nicht John. Er würde dein Verhalten als geistige Umweltverschmutzung bezeichnen.«

»Halt endlich den Mund!«, sagte der Exobiologe heftig. »Meine Geduld ist bald zu Ende.«

»Gut«, lobte Melzer. »Sag's mir, wenn es so weit ist.«

Thornokow schaute demonstrativ gelangweilt zu den Wolken hoch.

Als er Augenblicke später den Kopf wieder senkte, sah er nur Wasser ringsum. Dicht unter der Antigravplatte toste Welle auf Welle heran. Erschrocken schrie er auf: »Was ist passiert? Paolo, was hast du gemacht?«

»Spinnst du?«, fragte Melzer.

Thornokow entdeckte einen riesigen Kraken inmitten der gischtenden Wogen. Die Fangarme des monströsen Tieres peitschten bereits so nahe heran, dass sie die Plattform in wenigen Sekunden treffen würden.

»Ein Tintenfisch«, keuchte er und versuchte panisch, die Antigravplatte höher zu ziehen. Mit beiden Händen schlug er auf die Schaltflächen, erzielte aber nicht die geringste Reaktion.

»Hast du den Verstand verloren?«, brüllte Melzer. »Hör auf mit dem Unsinn!«

»Sieh dich endlich um! Das Biest greift an! Wir müssen zurück zum Ufer.«

Da Melzer keinerlei Anstalten machte, sich zu erheben, stieß Thornokow sich von der Konsole ab. Für einen Moment taumelte er rückwärts, dann schnellte er sich mit einem Kopfsprung ins Wasser, um zum Ufer hinüberzuschwimmen.

Paolo Melzer hatte den Exobiologen einigermaßen verwirrt gemustert und sich gefragt, was mit Thornokow geschah. Wieso behauptete er in offensichtlichem Entsetzen, ein Krake greife die Plattform an? Sie flogen in einer Höhe von etwa 300 Metern über dem Tal, und das Ufer war mehrere Kilometer entfernt.

Bevor Melzer reagieren konnte, sprang Thornokow in die Tiefe. Er ruderte dabei mit den Armen, als versuche er, hastig zu schwimmen. Paolo Melzer kam mit einem Satz auf die Beine und schnellte sich nach vorn. Thornokow bekam er nicht mehr zu fassen, aber er umklammerte die Steuerkonsole und schaltete. Wie einen Stein ließ er die Plattform in die Tiefe stürzen und holte auf. Melzer blieben nur Sekunden, den Exobiologen zu retten. Er schaffte es, die Antigravplatte etwa 30 Meter über dem Boden unter Thornokow zu bringen. Doch dieser ließ sich nicht damit abfangen, sondern trat und schlug um sich, als müsse er sich gegen sie verteidigen. Er streifte die Plattform und stieß sich noch einmal von ihr ab.

»Weg!«, kreischte Thornokow in höchstem Entsetzen. »Lass mich ...«

Dann war alles zu spät. Sie waren bereits zu dicht über dem Boden. Thornokow schlug auf den felsigen Untergrund. Er war auf der Stelle tot.

»Ich habe mich auf die Paratau-Forschung konzentriert, weil es mir ebenso wichtig erscheint, den Paratau zu beseitigen, wie die Natur eines Planeten sauber und von allen äußeren Einflüssen frei zu halten«, erläuterte John Strecher.

»Keine Vorträge, bitte«, mahnte Alfien Doran. »Wir sind hier, um die Kartanin aufzuspüren, nichts anderes interessiert mich.«

»In unserer Milchstraße gibt es zahllose unerforschte Planeten. Warum beschränken wir uns nicht darauf, sie zu erschließen? Müssen wir uns tatsächlich mit Galaxien befassen, die so weit von unserer Heimat entfernt sind, dass wir die Distanzen gedanklich nur abstrahieren können?«

»Hör auf damit.« Doran seufzte. Der Mediziner trug eine Schildmütze und schob sie sich so tief in die Stirn, sodass sie die Augen fast überdeckte. »Ich bin hier, weil ich die verdammten Kartanin finden will, nicht, um mir diesen Quatsch anzuhören. Du hättest in der ENTSORGER-1 bleiben sollen, wenn dir das nicht passt.«

»Ich nutze jede sich bietende Gelegenheit, um mir eine fremde Welt anzusehen.« Strecher lenkte die Antigravplattform über mehrere Hügel hinweg und folgte dann einem kleinen Flusslauf. Die Messinstrumente zeigten eine minimal schwankende Strahlung an, die allerdings nicht erkennen ließ, ob irgendwo in der Nähe ein Raumschiff niedergegangen war. Sie konnten das Tal nur absuchen und hoffen, irgendwo auf deutlichere Spuren zu stoßen.

»Nun siehst du sie, diese fremde Welt«, sagte Doran gelangweilt. »Also halt die Augen offen und lass dir nichts entgehen. Falls wir die Kartanin aufspüren, ist es mit dem Betrachten bestimmt vorbei.«

John Strecher versteifte sich. Er schüttelte missbilligend den Kopf, weil Doran nicht das geringste Interesse für die Schönheiten der Natur aufbrachte. Während sie über ausladende Bäume hinwegflogen, die riesige Blüten in allen nur denkbaren Farben trugen, kniete der Mediziner vornübergeneigt auf der Platte und schien Mühe zu haben, die Augen offen zu halten. Während Strecher die exotischen Tiere bewunderte, die im Unterholz auftauchten, wirkte Doran mit seinen Gedanken weit weg.

Unvermittelt zuckte Doran jedoch zusammen.

»Da!«, sagte er heftig und streckte den rechten Arm aus.

»Was ist los?«, fragte Strecher. »Was hast du entdeckt?«

Alfien Doran richtete sich jäh auf, griff nach der Konsole und stoppte den Flug der Plattform.

»Während du jedem größeren Regenwurm hinterherstarrst und dich fragst, ob seine Exkremente den Wald verschmutzen, habe ich etwas gefunden«, sagte er, und drängte Strecher vollends von den Schaltungen zurück.

Die Plattform schwebte über den Fluss hinweg in ein Seitental hinein, und Augenblicke später erkannte auch John Strecher, weshalb der Mediziner eingegriffen hatte. Im üppigen Grün ragte eine rostige Metallsäule auf.

»Jahrtausende mögen vergangen sein«, sagte Strecher bedrückt. »Trotzdem sind die Wunden nicht verheilt, die die untergegangene Zivilisation der Natur geschlagen hat.«

»Die Hinterlassenschaft einer hohen Intelligenz«, widersprach Alfien Doran. »Die Natur hat sie nicht zerstören können.«

John Strecher tippte sich an die Schläfe. »Das hört sich an, als wärst du mit diesem hässlichen Ding einverstanden.«

Doran ließ die Platte bis auf wenige Meter über dem Boden absinken und manövrierte sie an die Säule heran. Er kniete am Rand der Plattform nieder und widmete sich dem Fund aus unmittelbarer Nähe.

Unverhofft, nur Sekunden später, beschleunigte das Fluggerät, ohne dass jemand die Schaltungen berührt hätte. John Strecher kämpfte für einen Moment um sein Gleichgewicht und stieß dabei gegen den Mediziner. Doran kippte von der Platte und stürzte ins Gras.

Es waren nicht mehr als drei Meter. Alfien Doran fing sich einigermaßen geschickt ab, doch als er nach oben sah, stieg die Plattform bereits steil in die Höhe, flog offenbar unkontrolliert mehrere ruckartige Wenden, überschlug sich beinahe in einem Looping und glitt, mit der Unterseite nach oben, davon. Strecher hing, wie von einer unsichtbaren Fessel gehalten, unter der Platte. Er ruderte heftig mit beiden Armen.

»Was machst du?«, rief Doran. »Warum fängst du das Ding nicht ab? Versuche zu landen!«

Doch der Kosmopsychologe schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, in das Geschehen einzugreifen. Alfien Doran brüllte, um Strecher zu irgendeiner Schaltung zu verleiten, aber vergeblich.

John Strecher gestikulierte noch, als die Plattform jäh beschleunigte und dann mit hoher Geschwindigkeit etwa einen Kilometer entfernt gegen einen Felskegel prallte.