Atlantis Paket - Ben Calvin Hary - E-Book

Atlantis Paket E-Book

Ben Calvin Hary

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gut 8000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Auf einer großen Insel im Atlantischen Ozean haben die menschenähnlichen Arkoniden eine Kolonie errichtet, die den Namen Atlantis trägt. Von dort aus starten Raumschiffe ins All, von den steinzeitlichen Menschen als göttliche Erscheinungen bestaunt. Dann strandet ein Mann aus der fernen Zukunft auf Atlantis. Sein Name: Perry Rhodan. Der Raumfahrer wurde von einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt. Er muss einen heiklen Auftrag erfüllen und darf dabei nicht erkannt werden – denn eine kosmische Macht bedroht die Erde der Vergangenheit … Zwölf spannende Science-Fiction-Romane, verfasst von einem Team deutschsprachiger Autorinnen und Autoren. Abenteuer auf einem Kontinent voller Mythen und Legenden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1797

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover

Vorwort

Nr. 1 – Im Land der Sternengötter

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: In grauer Vorzeit

1. In ferner Zukunft

2. Kurz zuvor

Erstes Omen: Tage vor der Ankunft

3. In tiefster Vergangenheit

4. Kurz zuvor

Zweites Omen: Stunden nach der Ankunft

5. Kurz darauf

6. Währenddessen

7. Kurze Zeit zuvor

8. Zwei Tage später

Drittes Omen: In wenigen Tagen

9. Später

10. Sekunden zuvor

11. Gleich darauf

Epilog oder: Viertes Omen – Irgendwann

Kommentar: Atlans Tiefseekuppel

Nr. 2 – Festung Arkonis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Kommentar: Atlantis – Kontinent der Geheimnisse

Nr. 3 – Fluchtpunkt Venus

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Caysey

2. Rowena

3. Sichu Dorksteiger

4. Sichu Dorksteiger

5. Rowena

6. Sichu Dorksteiger

7. Caysey

8. Sichu Dorksteiger

9. Perry Rhodan

10. Caysey

11. Perry Rhodan

12. Sichu Dorksteiger

13. Rowena

Kommentar: Die Venus in der PERRY RHODAN-Serie

Nr. 4 – Der Raumschiffsfriedhof

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Kommentar: Band 100 der PERRY RHODAN-Miniserien

Nr. 5 – Die Kralasenin

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Kristallprinz

1. Freund und Feind

2. Kristalltod

3. Im Netz der Kralasenin

4. Kristallträume

5. Kristalledikt

6. Kristallflucht

7. Offene Fragen

8. Kristallverrat

9. Kristallsturm

10. Kristallpalast

11. Antworten

12. Im Nebelsektor

13. Kristallstunden

14. Wahrheit und ihr Preis

Epilog: Atlantis, 30. März 8005 v. Chr.

Kommentar: Rowena da Gonozal

Nr. 6 – In der Methanhölle

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Galkorrax: Kirrkos-Werften

2. Unbekannter Ort

3. Galkorrax: Wildnis

4. Unbekanntes Raumschiff, unbekannter Ort

5. Galkorrax: Maahkbasis

6. Larsaf III: OMOTA

7. Galkorrax: Wildnis

8. Galkorrax: Loymnem

9. Larsaf III: OMOTA

10. Galkorrax: Loymnem

11. Larsaf III: OMOTA

12. Galkorrax: Loymnem und Kirrkos-Werften

13. Loymnem: Xenomedizinsche Klinik

14. Larsaf III: OMOTA

15. Galkorrax: Kirrkos-Werften

16.

17. Bericht Atlan

18.

19. Bericht Atlan

20.

21. Bericht Atlan

22.

23. Bericht Atlan

24.

25. Larsaf III: Attava-Wüste

26. Galkorrax: LT-IV

Kommentar: Die Maahks

Nr. 7 – Tolcais Totenspiele

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Kommentar: Das Talagon

Nr. 8 – Quartams Opfer

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Katastrophe im All

2. Opferbereitschaft

3. Straßenkampf

4. Das Herz von Atlantis

5. Planungen

6. Ende des Alarmzustandes

7. Galgenfrist

8. Lythias Entdeckung

9. Risikoeinsatz

10. Der Spion

11. Das Verhör

12. Die Pille

13. Das Schlachtfest

14. Magische Flucht

15. Bis zum bitteren Ende

16. Der Einsame im All

17. Erkenntnis

18. Die Metamorphose

19. Manöverkritik

Atlantis-Kommentar: Quartam da Quertamagin

Nr. 9 – Totenstille

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Atlan, Gegenwart

2. STRAHLKRAFT

3. Atlan

4. STRAHLKRAFT

5. Atlan

6. STRAHLKRAFT

7. Atlan

8. STRAHLKRAFT

9. Vergangenheit, Larsafsystem

10. Atlan, Gegenwart

11. Rowena, Vergangenheit

12. Atlan, Gegenwart

13. Rowena, Gegenwart

14. Atlan, Gegenwart

15. Larsafsystem, Stunden zuvor

16. Perry Rhodan

Atlantis-Kommentar: Cayseys Fluch

Nr. 10 – Das Talagon

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Arkonspitze – 17. April 8005 v. Chr.

1. Lotron – 196.516 v. Chr.

2.

3.

4. Lotron – 196.516 v. Chr.

5.

6. Lotron – 196.513 v. Chr.

7.

8. Lotron – 196.513 v. Chr.

9. Jahrtausende wie Staub vor dem Wind

10. Ynnig – einige Tausend Jahre zuvor

11.

12. Ammandul – 8006 v. Chr.

13. Atlantis – 17. April 8005 v. Chr.

Epilog: Weltenschoß – 17. April 8005 v. Chr.

Kommentar: Tolcai

Nr. 11 – Atlantis muss sterben!

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Kommentar: Zeitmaschinen sind gefährlich!

Nr. 12 – Nekrolog

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Logan Darc

2. Caysey

3. Logan Darc

4. Perry Rhodan

5. Logan Darc

6. Perry Rhodan / Perry Rhodan

7. Perry Rhodan

8. Perry Rhodan

9. Perry Rhodan

10. Caysey

11. Perry Rhodan

12. Perry Rhodan

13. Rico

Kommentar: Abschied von Atlantis

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Vorwort

Gut 8000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Auf einer großen Insel im Atlantischen Ozean haben die menschenähnlichen Arkoniden eine Kolonie errichtet, die den Namen Atlantis trägt. Von dort aus starten Raumschiffe ins All, von den steinzeitlichen Menschen als göttliche Erscheinungen bestaunt.

Dann strandet ein Mann aus der fernen Zukunft auf Atlantis. Sein Name: Perry Rhodan. Der Raumfahrer wurde von einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt. Er muss einen heiklen Auftrag erfüllen und darf dabei nicht erkannt werden – denn eine kosmische Macht bedroht die Erde der Vergangenheit …

Zwölf spannende Science-Fiction-Romane, verfasst von einem Team deutschsprachiger Autorinnen und Autoren. Abenteuer auf einem Kontinent voller Mythen und Legenden.

Nr. 1

Im Land der Sternengötter

Am Vorabend einer Katastrophe – sie erreichen einen todgeweihten Kontinent

Ben Calvin Hary

Auch wenn die Menschen seit mehr als dreieinhalb Jahrtausenden mit Raumschiffen durch das Weltall reisen, gibt es immer noch Geheimnisse auf ihrer Heimatwelt. Eines dieser Mysterien ist der Kontinent Atlantis, der gut 8000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung im Ozean versunken ist. Nur wenig ist von diesem Kontinent geblieben – seit Äonen bildet er die Grundlage für Sagen und Legenden.

Eines der letzten existierenden Bauwerke des alten Atlantis ist eine Tiefseekuppel. Als dort ein Museum eröffnet werden soll, wird auch Perry Rhodan zu der Veranstaltung eingeladen.

Doch dann greift eine unbekannte Frau die Veranstaltung an, das Chaos bricht in der Tiefseekuppel aus. Rhodan setzt sich in Begleitung seiner Gattin Sichu Dorksteiger auf die Spur der Attentäterin. Die beiden folgen ihr bis in den Untergrund der Station, wo sie auf einen Transmitter stoßen.

Das Gerät schleudert sie in die Vergangenheit, Rhodan und Dorksteiger sind unterwegs IM LAND DER STERNENGÖTTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der Terraner wird auf einen Kontinent geschleudert, den es schon lange nicht mehr gibt.

Sichu Dorksteiger – Die Physikerin aus dem Volk der Ator will ein altes Rätsel lösen.

Atlan – Der Arkonide trifft auf eine Frau, mit deren Anwesenheit er nie gerechnet hat.

Caysey

Prolog

In grauer Vorzeit

Der Weltenschoß zitterte. Vrouhtous Faust ließ das Land erbeben.

Caysey fiel auf die Knie und duckte sich unter der Riesenkugel hinweg. Ihre Stirn berührte taufeuchtes Gras. Zitternd, doch lachend, hob sie den Blick und starrte der Götterfaust hinterher.

Es war ein Wunder! Eben noch hatte der Morgen den Berghang und das Tal geküsst und die Vögel den erwachenden Tag besungen – nun schob die Faust sich zwischen Caysey und die Sonne. Ihr Schatten verdunkelte das Vorgebirge. Die Kugel selbst war bläulich, eingefasst in einen Reif lodernder Schlote und unsagbar schön. Sie brüllte mit Orkanstimme, als herrschten zehn Gewitter auf einmal. Den Wind zog sie wie eine Schleppe hinter sich her.

Caysey wollte die Hände auf die Ohren pressen, stattdessen streckte sie beide Arme empor. »Gesegnet seist du, Gott der Götter!« Die Bö riss ihre Worte mit sich, wehte den Überwurf des Wickelrocks von ihrer Schulter. Die Götterfaust schwebte höher als der mächtigste Vogel.

Freudentränen kitzelten die Wangen des Mädchens. Der Vrouhtou hatte Cayseys Gebet erhört! Nie zuvor war jemandem aus ihrem Stamm eine solche Ehre zuteilgeworden, und doch gab es keine andere Erklärung. Die heiligen Verse hatte sie genau zitiert, und die Schale mit dem Henna ruhte vor ihrem Schoß. Der Retter lächelte für sie.

Die Sitte verlangte, dass sie sein Zeichen trug. Mit geübten Gesten tauchte Caysey die Finger in die Farbe und zeichnete ein Knäuel spiraliger Linien auf ihre Stirn, die weder Ende noch Anfang kannten. Graema hatte ihr das beigebracht. Nun lag ihre Schwester in den Wehen – Cayseys Fürbitte galt der Schwangeren. Die Frauen ihrer Erblinie starben zusammen mit dem ersten Kind, das sie gebären wollten. Der Fluch wurde stets von den Vätern auf die Töchter vererbt.

»Lass Graema und ihr Kind nicht sterben, Retter!« Krümel des Pulvers blieben in Cayseys Haar haften, rote Sprenkel auf Seidenschwarz. »Bring unserer Schamanin Ututna ein Heilmittel! Nicht für mich, sondern für meine Schwester und ihr Ungeborenes.«

Sie selbst war erst 13; zu jung, ein Kind zu empfangen. Eines Tages würde sie das Schicksal ihrer Schwester zwar teilen, doch Glück für sich zu erbeten, gehörte sich nicht.

Es war der siebte Tag ihres Flehens und zugleich jener, für den Ututna die Entbindung geweissagt hatte. Wie immer hatte Caysey vor Tagesanbruch das Dorf verlassen, im Morgengrauen den Berg erklommen und der aufgehenden Sonne die rituellen Verse gesungen. Sechsmal hatte sie bis zum Abend gebetet und war ins Tal zurückgekehrt, um der Sterbenden die Hand zu halten. Der Duft von Ututnas Salben- und Kräutersuden hatte ihre Gemüter beruhigt, doch Caysey verlor die Hoffnung ohnehin selten.

»Der Vrouhtou wird dir und dem Kind das Leben schenken!«, hatte sie Graema versprochen. »Wie soll er mir das abschlagen?«

Ihre Schwester hatte stets gelächelt, Fackellicht war als Schimmer über ihre schweißnasse Stirn getänzelt. Zum Sprechen war sie schon seit Wochen zu schwach.

Und nun, endlich, war die Kugel gekommen. Ein Knall hatte die Vögel aus den Baumwipfeln gescheucht, dann war sie aus dem Himmel gefallen: groß wie ein Berg, Feuer speiend und laut. Caysey war sich winzig vorgekommen, doch das musste so sein. Ein Gott war nur mächtig, wenn er Furcht einflößte.

Die Kugel zog über den Himmel und schrumpfte in der Ferne zusammen. Noch immer lächelnd blickte Caysey ihr nach, ihr Blick streichelte den Horizont. Dort, wo sich die Olgoten schattenhaft kräuselten, verlor sich Vrouhtous Faust im Blau. Das Tosen verklang einige Zeit später.

Gleich darauf hallten Stimmen aus der Ferne.

Caysey horchte auf. Das Dorf lag am Grund des Tals, hinter den Kronen eines Walds. Ohne Zweifel hatten auch die Angehörigen ihres Stamms das Zeichen des Vrouhtous gesehen und gehört. Ahnten sie nicht, dass es die Heilung für Graemas Kind bedeutete? Das Mädchen begriff die Aufregung nicht.

Ein Schrei stach durch die Rufe, spitz, voll Entsetzen und Schmerz. Graemas Stimme! Caysey fuhr zusammen. Hatte sie mit ihren Fürbitten zu lange gewartet, kam das Zeichen des Gotts zu spät? Sie stand auf, raffte den Wickelrock über die hellbraunen Knöchel und eilte den Berg hinab. Die Hennaschale vergaß sie vor Erregung.

Der Weg schien Caysey weiter denn je. Sie sprang über Felsen und umgestürzte Bäume, durcheilte Haine und Wiesen. Ihre Ledersandalen bahnten Pfade durchs kniehohe Gras. Kymjor-Schmetterlinge stoben von den Büschen, brustgroß und herrlich – Scherben der Weltenseele, die wilde Bestien einst zerbrochen hatten. Im Morgenlicht glänzten ihre Flügel blau. »Entschuldigt!«, rief sie den Insekten zu. Wer sie beim Nektartrank störte, sündigte.

Caysey hastete weiter.

Ihre Siedlung schien wie ausgestorben. Keuchend lief das Mädchen an Pfahlbauten und Getreidespeichern vorbei. Die Stimmen drangen aus der Nachthütte: »Totgebärerin! Totgebärerin!« Ein Schimpfwort, Caysey war mit ihm aufgewachsen. Es galt Graema und ihr.

Sie schlug den Vorhang zur Seite und betrat die Hütte.

Drinnen ruhte Graema, mit leerem Blick und offenem Mund. Um sie herum war das ganze Dorf versammelt; Frauen und Männer, Greise und Kinder. Am Feuerkreis hockte Kima, die Fischerin. Nobmor, der Hebamm, fächelte der Sterbenden Luft zu. Ingar, Tostor, Reb und Ututna hielten sie an Armen und Beinen, um sie vom Lager zu hieven. Ihre Mienen waren voll Furcht.

»Halt!« Caysey stellte sich in den Eingang und breitete die Arme aus.

Sie würde nicht zulassen, dass die anderen ihre Schwester aus dem Dorf trugen – denn genau das hatten sie vor. Fäuste waren gereckt, und immer wieder ertönte das hässliche Wort.

»Halt!«, rief sie erneut.

»Aus dem Weg, Kleine!« Tostor bedeutete seinen Kameraden, Graema anzuheben. »Deine Schwester und ihr Kind dürfen nicht in unserer Mitte sterben. Die Unreinheit würde auf uns abfärben, Vrouhtous Zorn wäre uns gewiss.«

Die Sterbende stöhnte. Wie ein Sack hing sie zwischen ihren Trägern, ihr Kopf fiel beiseite.

»Vrouhtou-Tam!«, fluchte Caysey. Sie zitterte vor Wut. »Habt ihr die Götterfaust nicht gesehen? Der Retter bringt uns das Heilmittel!«

Die Rufe verstummten. Blicke irrten umher.

Caysey hielt den Atem an. War sie mit ihren Worten zu den Dörflern durchgedrungen? Beide Arme hielt sie ausgestreckt.

»Dummes Kind!« Die Schamanin Ututna zog ein strenges Gesicht. »Der Gott selbst hat doch den Fluch über die Töchter deiner Erblinie verhängt! Eine Götterfaust war es, ja! Aber sie kam, um uns zu zerschmettern. Wir verstehen die Drohung, und wir gehorchen.«

Caysey wollte protestieren, doch man gab ihr keine Gelegenheit. Dromgar schob sie beiseite, Delorin presste ihr die Hand auf den Mund. Ein Tränenschleier legte sich zwischen sie und die Welt.

Die Männer um Ututna trugen die Sterbende nach draußen. Und Caysey war, als blickte sie in ihre eigene Zukunft.

1.

In ferner Zukunft

2. Juni 2069 NGZ

Am Grund des Atlantiks herrschte Volksfeststimmung.

Perry Rhodan trat aus einem Transmitter, der die irdische Hauptstadt Terrania mit Atlans alter Tiefseekuppel im Azorengebiet verband. Arkons Kinder hatten geladen, und das halbe Solsystem war gekommen.

Reporter umrundeten das Transmitterpodest. Autonome Aufnahmesonden umschwirrten sie, fertigten Tonaufzeichnungen und Holobilder. Fragen bestürmten den Terraner: »Was hältst du von Kelen da Masgadans Umbauten?« – »Wirst du der Einweihung bis zum Ende beiwohnen?« – »Was erwartest du von der Begegnung mit Atlan?«

»Später!« Rhodan hielt die Presseleute mit einer Geste auf Abstand. Hinter ihm kündigte ein Warngeräusch die Ankunft eines weiteren Gastes an. Er drehte sich um und wartete.

Der Transmitter summte. Das Rematerialisierungsfeld kräuselte sich, dann trat eine grünhäutige Frau aus dem Torbogen. Goldene Muster verzierten ihre Haut. Eine Spange raffte das silberne Haar im Nacken. Gehüllt war sie in ein einteiliges Kostüm aus trebolanischem Samt – die feinste Abendgarderobe, die ihr Kleiderkabinett hergegeben hatte. Sie trug es mit Verachtung, jede Bewegung drückte Unbehagen aus. Ihr Schuhwerk dagegen war bequem und wollte nicht zum Rest des Outfits passen. Praktische Kleidung zog sie ihrem derzeitigen Dress vor.

Schmunzelnd hielt Rhodan ihr den Ellenbogen hin. »Bereit?«

»So bereit, wie ich nur sein kann.« Sichu Dorksteiger, Chefwissenschaftlerin der Liga Freier Galaktiker und Perry Rhodans Ehefrau, hakte sich bei ihrem Gatten unter. Missmutig blickte sie sich um. »Mir ist hier eindeutig zu viel los!«

»Immer lächeln und nicken«, riet Rhodan feixend. »In ein paar Stunden darfst du dich wieder im Labor verbarrikadieren und Hyperenergie-Spektren studieren.«

Der Raum platzte vor Gästen, das Ehepaar schob sich an ihnen vorbei. Ein Prallfeld hielt Neugierige und Aufnahmesonden auf Abstand.

Im Trubel fiel die Orientierung schwer. Rhodan erkannte den Ort kaum wieder. Wo einst Wände aus nacktem Arkonstahl gewesen waren, standen nun Vitrinen. Die Gänge waren mit Schaukästen gefüllt. Besucher betrachteten ihren Inhalt: Uniformen, Strahlenwaffen und Raumfahrtequipment. Die meisten Exponate waren über 13.000 Jahre alt. Der Terraner musterte sie mit flüchtigem Interesse.

Zu zweit erreichten sie die eigentliche Ausstellungshalle. Gelöste Stimmung empfing sie. Angehörige verschiedenster Spezies hielten Small Talk und tranken zalitischen Fruchtwein aus Flötengläsern. Interkosmo in verschiedenen Dialekten tönte durcheinander: Ertrusisch, Marsianisch, Topsidisch. Sicherheitsleute wachten an den Eingängen.

Händeschütteln, Händeschütteln, Lächeln fürs Holofoto; der Anlass war halb offiziell. Rhodan nickte einem cheborparnischen Bekannten zu, tauschte Sätze mit einem siganesischen Beamten und stieß an. Der Gouverneur der Azoreninsel São Miguel stellte seine Verlobte vor, während Sichu sich bemühte, ihre schlechte Laune zu verbergen. Die Ator hatte gelernt, sich anzupassen. Dies war ein Tag der Völkerverständigung.

Terra und Arkon verband ein gemeinsames Erbe. Die ersten Arkoniden waren kurz nach der Eiszeit gekommen und hatten den damaligen Menschen die Zivilisation gebracht. Aus diesen Tagen stammte die Tiefseekuppel – eine Halbkugel von 60 Metern Höhe und 120 Metern Durchmesser, am Grunde des Atlantischen Ozeans. Sie war das bekannteste Überbleibsel der frühesten arkonidischen Siedler.

In moderner Zeit hatten sich wieder Arkoniden auf Terra angesiedelt. Einer von ihnen hatte das Bauwerk gekauft und ein Museum für terranisch-arkonidische Kolonisationsgeschichte daraus gemacht – »zu Ehren der gemeinsamen Geschichte unserer Völker«, wie es in den virtuellen Broschüren hieß. Die Einweihung war ein seit Langem geplantes Ereignis. Rhodan und Dorksteiger hatten ihre Einladung vor Monaten erhalten.

In einem Nebenraum gaben Schautafeln die arkonidische Historie Terras wieder, von der Erstbesiedlung bis zum Untergang von Atlantis. Hauptattraktion war eine Karte des Kontinents, wie er unmittelbar vor dem Kataklysmus ausgesehen hatte. Sie war aus den Daten arkonidischer Satelliten zusammengesetzt, der Detailgrad atemberaubend. Rhodan stellte sich so dicht davor, dass er glaubte, jeden Baumwipfel zu erkennen – als die Projektion plötzlich aussetzte.

Als sie wieder erschien, trug die Karte völlig sinnbefreite Beschriftungen. Statt »Atlantis um 8000 vor Christus« lautete der Titel nun »Die Gobi vor der Gründung Terranias«. Rhodan runzelte die Stirn.

»Der Holoprojektor spinnt. Ob die beiden da ihn grade überprüfen?« Sichu deutete auf zwei Männer jenseits der Projektion.

Von hinten erkannte Rhodan Kelen da Masgadan, den Betreiber des Museums. Der tippte auf einem Multifunktionsarmband an seinem Handgelenk, dabei unterhielt er sich mit einem breitschultrigen, langhaarigen Arkoniden. Als jener den Terraner und seine Frau bemerkte, winkte er sie zu sich.

»Atlan!« Mit geöffneten Armen trat Rhodan auf den alten Freund zu. »Gut, dass du da bist. Offenbar nehmen deine Geschäfte in M 13 dich nicht allzu sehr in Anspruch.«

Der Arkonide lachte. Er wandte sich von da Masgadan ab und kam Rhodan entgegen. »Schön dich zu sehen, Barbar!«

Sie umarmten einander. Es war ihre erste Begegnung seit Langem. Selbstverständlich hatte da Masgadan auch den ursprünglichen Besitzer seiner Kuppel eingeladen – Atlan sollte die Eröffnungsrede halten. Als Einziger hatte er den Untergang des nach ihm benannten Kontinents einst überlebt und die Jahrtausende, zumeist im Tiefschlaf, in diesem Bauwerk verbracht. Sichu hauchte er einen Handkuss auf.

Die Ator erduldete die Begrüßung. Mit einem Nicken deutete sie auf die flackernde Atlantis-Karte, dann auf da Masgadans Armbandgerät. Es zeigte einen Ausschnitt des Hyperspektrums.

»Weißt du, was diese Störung auslöst?«, fragte sie den Museumsbesitzer.

Kelen da Masgadan war ein hagerer Mann mit für Arkoniden untypischem Bürstenschnitt – ein Zugeständnis an die aktuelle Mode seiner Wahlheimat, wie Rhodan wusste. »Ich sprach gerade mit Atlan darüber.« Da Masgadan tippte auf das Armband. »Irgendetwas stört die Steuerungspositronik. Ich mache eine potente Hyperstrahlung aus, aber ob das die Ursache ist?«

»Lässt sich die Quelle orten?« Sichus Miene nahm einen gespannten Ausdruck an, den Rhodan gut kannte. Sie hatte Blut geleckt – ein wissenschaftliches Rätsel, das die Veranstaltung in den Schatten drängte. »Wenn Perry nichts dagegen hat, können wir gemeinsam danach suchen. Mit Hyperphysik kenne ich mich ganz gut aus.« Es war die Untertreibung des Jahrhunderts.

Lachend winkte Rhodan ab. »Geht nur! Für den Rest des Abends habe ich dich sowieso an Kelen verloren.« Wenigstens linderte er so sein schlechtes Gewissen – schließlich war sie nur seinetwegen mitgekommen.

Dankbar schnallte der Museumsbesitzer das Armband ab und händigte es der Ator aus. »Die Quelle ist unter uns, aber Atlan kann es sich nicht erklären.«

Der Angesprochene zuckte mit den Achseln. »Dies ist die zweittiefste Etage der Kuppel. Unter uns befinden sich Energieerzeuger und Speicher, aber nichts, was für diese Signatur verantwortlich sein könnte.« Er zwinkerte. »Gefährlich ist sie wohl nicht, aber ich würde sie dennoch untersuchen.«

Die Ator schnallte sich das Armband um.

Da Masgadan machte eine auffordernde Geste. »Gehen wir. Atlans Laudatio ist erst in einer Stunde geplant, wir haben also Zeit.«

Gleich darauf waren beide in der Menge verschwunden. Rhodan blieb mit seinem alten Freund zurück.

*

Das Wiedersehen war herzlich. Vor den Augen von Reportern und Feiergästen tauschten sie Anekdoten aus. Ein Serviceroboter trug Sektflöten vorbei. Die Männer pflückten zwei Gläser vom Tablett.

Der Arkonide führte den Terraner herum, verlor zu jedem Exponat Worte – eine Show für die Pressevertreter: »Solche Spangen verliehen wir Atlanterinnen, die mit unseren Offizieren vermählt waren.« – »Ein altarkonidischer Nadelstrahler.« Die Aufnahmesonden lauschten aufmerksam.

Auch an anderen Schautafeln traten nun Fehlfunktionen auf. Immer wieder flackerten sie oder verkündeten offensichtlichen Unsinn: »Keuschheitsgürtel« unter einem Roboterkopf. »Impulsstrahler« unter einem atlantischen Stammessiegel. Unter den Gästen sorgte das für Belustigung. Gelächter kam auf.

Eines der wenigen stabilen Holos zeigte das Antlitz eines vornehmen Arkoniden mit ungewöhnlich dunklen Rotaugen. Sein Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden.

»Tato Kors da Masgadan, Militärgouverneur der Atlantis-Kolonie«, las Rhodan von einer Texttafel ab. »Ein Vorfahr von unserem da Masgadan?«

»Deswegen hat Kelen die Kuppel gekauft.« Atlans Lächeln wurde wehmütig. »Ich erinnere mich an Kors. Guter Mann. Sehr loyal, wenn auch etwas humorlos.«

Sie setzten den Weg fort. Mehrmals hielten Besucher sie auf; der Bürgermeister Terranias verwickelte sie in ein Gespräch. Eine Arkonidin mit kurz geschnittenem Haar starrte Atlan mit offenem Mund an. Etwas an ihrem Blick schien Rhodan seltsam, doch solche Reaktionen wollte er niemandem verdenken. Die meisten begegneten selten einem relativ Unsterblichen, geschweige denn zweien auf einmal.

Der Arkonide ging an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken.

Wieder Händeschütteln, noch mehr Small Talk. Aus zwei Sektgläsern wurden vier. Die Zellaktivatoren neutralisierten den Alkohol in ihrem Blut.

Irgendwann standen sie wieder vor der Atlantis-Karte, deren Projektor ein Techniker zwischenzeitlich nachjustiert hatte. Im Meer im Nordosten leuchtete nun ein roter Punkt. »Sie sind hier!«, stand darunter.

»Ich dachte immer, deine Kuppel hätte vor der atlantischen Hauptstadt gelegen.« Vergeblich suchte Rhodan an der Küste nach Städten. »So weit im Norden scheint es aber gar keine Siedler gegeben zu haben. Wieder eine Holofehlfunktion?«

»Seltsam, wie sich die Realität mit deinem Weltbild beißt, nicht wahr?« Grinsend winkte Atlan ab. »Die Karte stimmt. Ich verrate dir ein Geheimnis, Barbar: Viele meiner Augenzeugenberichte taugen kaum als historische Quelle. Manches habe ich nur grob geschätzt, anderes der Kürze halber unerwähnt gelassen. Sieh her!«

Sein Finger zeichnete einen Weg vor der Südküste nach, vom Golf von Mexiko zur Iberischen Halbinsel. Spärliche Inselketten erstreckten sich zwischen Atlantis und den größeren Landmassen, die man mit äußerster Phantasie als »Landbrücken« bezeichnen mochte.

»Der Kontinent lag auf Höhe von Afrika und Südamerika, Atlopolis befand sich im Süden.« Der Finger zerschnitt das Bild auf Höhe des Äquators. »Du siehst ja auf den ersten Blick, dass das gar nicht zusammenpasst. Die Azoren sind viel zu weit im Norden.«

»Atlopolis?« Rhodan suchte nach der entsprechenden Markierung.

Atlan machte eine abfällige Geste. »Arkonis, wie sie am Ende hieß. Für den späteren Namen konnte ich mich nie erwärmen.« Er tippte auf einen roten Punkt im äußersten Südosten. »Als ich die Kuppel mit dem Ingenieur Feltif zum ersten Mal inspizierte, waren wir eine Weile unterwegs. Den Reisebericht unterschlug ich in meiner Erzählung selbstverständlich.«

Einmal mehr beschrieb die Fingerkuppe die Strecke. Rhodan vermutete, dass zwischen Stadt und Kuppel gut dreieinhalbtausend Kilometer lagen – weit mehr als die zweitausend, von denen in Atlans Berichten die Rede gewesen war. Sein Freund hatte nicht übertrieben, als er von »groben Schätzungen« gesprochen hatte.

»Aktenkundig ist das alles.« Atlan zog ihn weiter. Sie passierten Schaubilder zur Venus und zum Solsystem in den Tagen von Atlantis. »Ich habe eure Historiker unermüdlich korrigiert, aber der Schaden war angerich...«

Schlagartig verstummte er.

»Was ist?« Rhodans Blick folgte dem des Freunds. Beim Eingang schwebte, unbeachtet von den Besuchern, eine Traube ungleichmäßig geformter Broschen und Amulette in einem Antigravfeld.

»Das ... ist nicht möglich!« Tränen glitzerten in Atlans Augenwinkeln – für einen Arkoniden das Zeichen höchster Aufregung. Er ließ den Terraner stehen und durchmaß den Raum. Das schützende Prallfeld schob die Umstehenden beiseite. Eine ältere Frau protestierte.

»Atlan?« Rhodan folgte ihm. Vor dem Antigravfeld holte er ihn ein. »Was hast du gesehen?«

Der Arkonide wies auf eines der Exponate – einen eiförmigen Anhänger an einer stählernen Kette.

Ratlos starrte Rhodan das Ding an. Entfernt erinnerte es an einen Zellaktivator alter Prägung, war jedoch erheblich dünner. Die Hülle schimmerte mattgrau und war mit unzähligen Dellen verziert, die wie mit einer Stecknadel geschaffen wirkten. Sie verschwammen vor seinen Augen, wanderten über das Ei, einem Vogelschwarm gleich. Als er blinzelte, verflog der Eindruck.

Atlan war totenbleich, seine Augen stachen wie Rubine aus ihren Höhlen. Wortlos pflückte er den Anhänger aus dem Schaukasten.

Rhodan fuhr zusammen, als ein Warnsignal erklang – die Museumspositronik meldete den mutmaßlichen Diebstahl. Auch Besucher zuckten zusammen. Beim Eingang zückten die Sicherheitsleute ihre Waffen. Rhodan beschwichtigte sie mit einer Geste.

»Du kennst dieses Ding von früher, nicht wahr?«, fragte er.

Statt einer Antwort hob Atlan das Kinn und sah über die Gäste hinweg. Beim Eingangsportal fixierte er eine Frau. Rhodan hätte seinen Gesichtsausdruck nicht beschreiben können: Erkennen, Staunen, Freude und Furcht – alle kämpften um ihren Platz in seinen Zügen.

»Rowena!«, rief er. »Was hast du getan?« Die Kette klimperte in seiner Hand.

Rhodan stöhnte, als er die Frau beim Eingang wiedererkannte. Rowena – wenn ihr Name so lautete – war jene Kurzhaarige, die den Arkoniden zuvor so entgeistert angestarrt hatte. Als Atlan sie rief, warf sie sich herum und floh.

»Positronik!«, schrie der Arkonide jäh. »Verschlusszustand! Niemand darf die Kuppel verlassen. Legitimation: Kristallprinz Gonozal Acht.«

Rhodan erzitterte unter einem weiteren Warnton. Der neue Besitzer hatte das Steuergehirn der Tiefseekuppel unangetastet gelassen – Atlans Codes funktionierten auch nach Jahrtausenden.

Chaos brach aus. Stählerne Schotten fuhren aus den Decken, um den Ausstellungsraum zu versiegeln. Die Beleuchtung wechselte zu düsterem Rot. Menschen und Außerirdische verfielen in Panik, schrien, wichen zurück. Rowena schlängelte sich zwischen ihnen hindurch, doch den Ausgang würde sie nicht rechtzeitig erreichen. Die Schotten waren bereits zur Hälfte geschlossen. Atlan machte Anstalten, ihr zu folgen.

Rhodan hielt ihn fest. »Was tust du, Arkonide? Du verhältst dich wie ein Wahnsinniger.«

Heftig riss der Freund sich los. »Du musst mir vertrauen, Perry! Beide, Rowena und das Talagon, gehören nicht hierher!« Demonstrativ hielt er ihm den Anhänger unter die Nase. Mit Talagon war offenbar das Schmuckstück gemeint.

In dem Moment fielen sämtliche Holos aus.

2.

Kurz zuvor

Dieser Raum hätte nicht existieren dürfen!

Verblüfft standen Sichu Dorksteiger und Kelen da Masgadan in der Kammer, die sie mitten in dem 100 Meter dicken Fundament der Tiefseekuppel entdeckt hatten. Die Architektur war fremd; die Wände bestanden aus sechseckigen Marmorblöcken. Grünliche Sprenkel schimmerten in dem polierten Stein, ließen ihn von sich aus leuchten. Das Mehrzweckarmband registrierte Einschlüsse von PEW-Metall sowie Spuren unbestimmbarer Elemente – Sichu würde hochwertiges Equipment brauchen, um sie zu analysieren.

An einer Seite befand sich ein spitzer Torbogen. Darin zeigte eine Reflexion ein Abbild der Kammer, doch die Spiegelung war menschenleer.

»Wir haben die Tiefseekuppel bei unseren Umbauten untersucht. Dieser Raum ist uns nicht aufgefallen.« Da Masgadan fuhr mit den Fingern über die haarfeinen, goldfarbenen Fugen zwischen den Marmorblöcken. Seine Stimme hallte blechern. »Er taucht auch auf keinem Bauplan auf. Selbst Atlan scheint ihn nicht zu kennen, sonst hätte er ihn erwähnt. Wo kommt er her?«

»Zumindest das kann ich beantworten.« Sichu hielt dem Museumsbesitzer das Armbandgerät hin. Auf dem Display tänzelte ein Falschfarbenbild; fünf- und sechsdimensionale Strahlungsquellen leuchteten blau. »Diese Emissionen sind es, die die Holoprojektoren im Ausstellungsraum beeinträchtigen.«

Da Masgadan schüttelte verständnislos den Kopf. »Was soll mir das sagen?«

Entschuldigend lächelte die Ator. Manchmal vergaß sie, dass nicht jeder über das gleiche Wissen verfügte.

»Bis vor Kurzem war dieser Raum in einem Hyperkokon verborgen«, antwortete sie. »Wie lange schon, das kann ich nicht sagen, aber er könnte älter sein als die Schutzkuppel selbst, zumal er ins Fundament eingegossen zu sein scheint.«

Den Raum zu finden, war leicht gewesen. Minutenlang waren die Ator und da Masgadan zwischen Pumpanlagen umhergeirrt, die, seit Urzeiten, eindringendes Wasser aus dem Bauwerk beförderten. Hier und da hatte Dorksteiger die Strahlung gemessen und sich so herangetastet.

Zwischen Energiespeichern waren sie auf das Loch gestoßen: eine kreisrunde Öffnung im Boden, die Kanten glatt und wie mit einem Desintegrator geschaffen. Der Durchmesser betrug knapp einen Meter – breit genug für einen Humanoiden. Trockene Luft stieg daraus empor.

Lebenszeichen hatten sie keine gemessen – die Gefahr hielt sich also in Grenzen. Rasch hatte da Masgadan einen Antigravgenerator besorgt, und sie waren hinabgeschwebt.

Der Abstieg hatte Minuten beansprucht; die Schachttiefe betrug rund zehn Meter voll tintiger Schwärze. Das Armband verfügte über einen eingebauten Scheinwerfer, doch der Leuchtkegel war auf kein Hindernis außer den Wänden gestoßen.

Am Fuß des Schachts hatte sich das Scheinwerferlicht an einem rotblau schimmernden Ring verfangen, der fingerbreit aus der Wandung hervorstand – ein geöffneter Lamellenverschluss. Darunter führte eine Wendeltreppe in den Würfelraum. Die Stufen waren niedrig, als hätten Zwerge sie geschaffen. Vorsichtig waren sie hinabgestiegen.

Das war zehn Minuten her. Seither untersuchten sie den Torbogen. Dessen Einfassung war einen knappen halben Meter breit und rotblau. Muster wanderten darüber; Spiralen und ineinander verwobene Zackenlinien, die einander durchdrangen oder auswichen. Das optische Schauspiel war hypnotisch. Sichu vollführte eine Serie von Standardscans.

»Was ist deine Theorie?«, fragte da Masgadan.

Sichu starrte durch das Portal. Der Raum auf der gegenüberliegenden Seite wirkte ... unscharf. Als sie den Arm hindurchstecken wollte, prallte sie gegen ein Hindernis. Betreten konnte man die andere Kammer scheinbar nicht.

»Ich vermute eine Art Transmitter.« Wieder tippte sie aufs Armband, verschob den Scanbereich. »Die angemessenen Emissionen sind zumindest artverwandt. Ich empfange außerdem Restenergie. Anscheinend war der Durchgang kürzlich in Benutzung.«

Das erklärte, wieso der Hyperkokon aufgebrochen war. Wer immer das Portal durchquert hatte, musste den Schacht geschaffen und sich so aus der Kammer befreit haben.

Es bedeutete auch, dass sich der oder die Unbekannte womöglich im Museum aufhielt!

»Lass uns abbrechen«, sagte Sichu. »Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben. Du musst die Gäste evakuieren und die Sicherheitskräfte von Neu-Atlantis verst...«

»Siehst du das?« Der Museumsbesitzer deutete zur Toreinfassung. »Die Fraktalmuster! Es ist, als würden sie den Sensorimpulsen ausweichen.«

Sichu verzichtete darauf, ihn zu korrigieren – das Modul arbeitete passiv, »Sensorimpulse« gab es nicht. Skeptisch bewegte sie das Handgelenk auf und ab.

Da Masgadan hatte recht. Wo immer sie hinwies, bewegten sich die Muster, drehten sich im Uhrzeigersinn davon oder huschten beiseite. Gleichzeitig gab der Bogen zusätzliche Hyperstrahlung ab, sie überlastete den Sensor und verhinderte die Datenerfassung.

Dorksteiger stellte die Empfindlichkeit auf Maximum.

Von fern drang ein Sirenenton. Sichu horchte. Zehn Meter Fundament und ein Stockwerk trennten sie von den Museumsgästen. Hörte da Masgadan die Sirene ebenfalls?

Sie wollte fragen – doch da wehrte sich das Tor. Sprunghaft stieg die Strahlungsintensität an, sprengte die Skala auf dem Armband. Jähe Helligkeit füllte den Raum.

Schützend hob die Ator den Arm vors Gesicht. Da Masgadan schrie auf.

Finsternis. Das Mehrzweckarmband schaltete sich ab und damit das Scheinwerfermodul. Über ihnen verstummte der Sirenenton.

»Was ist geschehen?« Da Masgadans Stimme zitterte.

Sichus Pupillen gewöhnten sich langsam an das Halbdunkel. Die einzige Helligkeit stammte von den grünen Einsprengseln der Marmorquader. Trotz des Lichtblitzes tanzte ein Nachbild der letzten Holodisplay-Abbildung auf ihren Netzhäuten.

Sie schloss die Augen, rief es sich zurück. Sie wusste, was sie da vor sich hatte. Ähnliche Potenzialzunahmen hatte sie während ihrer Ausbildung in historischen Dokumenten gesehen.

»Die Hyperimpedanz in diesem Raum ist schlagartig angestiegen.« Sie wandte den Blick von dem Armband ab. Es war nutzlos geworden. »Sämtliche Fünf-D-Technologie ist ausgefallen. Zum Glück ist die Wirkung temporär und örtlich begrenzt, das verrät die Signaldegradation.«

Was das hieß, sagte sie nicht. Der Effekt, von dem sie sprach, war der Wissenschaft bekannt, doch um ihn zu erzeugen, war eine Technologie nötig, die der alt-arkonidischen um Jahrtausende voraus war.

Wie alt ist diese Anlage?, grübelte sie.

Minutenlang berieten sie, was zu tun war. Reichte das Impedanzfeld bis in die Kuppel? Wenn oben der Antigrav ausgefallen war, saßen sie fest. Ohne das Armband konnten sie keine Hilfe anfordern. Einfach zu rufen, war sinnlos.

Sie verstummten, als am oberen Ende der Treppe plötzlich ein Seil in den Raum baumelte. Irgendwer hatte es durch den Schacht geworfen und kletterte daran herab. Das Ende zappelte.

Sichu nahm eine Kampfhaltung an. »Wer ist da?«

Leises Keuchen war die einzige Antwort. Eine Arkonidin tauchte am Seilende auf, schlank und von athletischer Erscheinung. Sie sprang auf den Treppenabsatz, schwang sich über das Geländer und fiel vier Meter tief herab. Sichu wich zurück.

Am Boden fing die Arkonidin ihren Sturz mit einer vollendeten Dagorrolle ab und stand gleich darauf vor da Masgadan.

»Wer ...«

Weiter kam der Museumsbesitzer nicht. Eine Faust traf ihn. Stöhnend ging er nieder.

Sofort hastete die Arkonidin auf das Portal zu. Das fingerlange Haar wehte. Der Ausdruck auf dem spitz zulaufenden Gesicht wirkte gehetzt.

Die Spiralmuster des Portals wirbelten durcheinander.

Sichu überwand ihre Überraschung. Sie war nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch ausgebildete Soldatin. Entschlossen stellte sie sich der Unbekannten entgegen. Auch sie traf ein Fausthieb. Luft entwich ihren Lungen. Sichu wechselte die Position und hämmerte der Gegnerin beide Fäuste in den Nacken.

Die Arkonidin verlor das Gleichgewicht. Neben da Masgadan prallte sie auf den Boden.

Stimmen ertönten aus dem Schacht – sie gehörten Atlan und Rhodan. »Rowena!«, hörte Sichu den Arkoniden rufen.

In einer fließenden Bewegung kam die Gegnerin auf die Beine. Mit einer Drohgebärde hielt sie die Ator auf Abstand.

»Was bist du?«, schleuderte sie Atlan entgegen. »Der echte Kristallprinz kann unmöglich hier sein. Wo immer hier ist.«

Der Arkonide stieg aus dem Schacht, Perry Rhodan folgte dichtauf. Beide hasteten die Stufen herab. Atlan sah sich im Raum um, die Irritation auf seinen Zügen währte jedoch nur kurz.

Perry bedeutete Sichu, sich zurückzuhalten.

Sie nickte. Es kostete sie Überwindung.

»Ich weiß, dass das verwirrend ist, Rowena!«, rief der Arkonide. »Ich bin der echte Atlan, aber wenn wir uns wiedersehen, werde ich mich an diese Begegnung nicht erinnern.« Unten angelangt, streckte er ihr einen eiförmigen Anhänger entgegen. »Du musst das Talagon zu mir zurückbringen. Es gehört nicht hierher.« Er machte einen Schritt auf sie zu.

Rowena schüttelte den Kopf. »Doppelgänger!« Plötzlich lag eine winzige Waffe in ihrer Hand.

Dorksteiger erschrak. Die Arkonidin hatte den Strahler so schnell gezückt, dass sie es gar nicht bemerkt hatte. Ob er trotz der veränderten lokalen Hyperimpedanz funktionierte?

Die Ator wollte eingreifen, doch da löste sich die Energie schon vom Abstrahlpol. Sie sah, dass Atlan den Anhänger fallen ließ, dann hüllte ihn die Entladung ein und blendete Sichu ein zweites Mal.

Den Rest reimte sie sich aus den Geräuschen zurecht. Ein Ächzen, als Atlan getroffen zusammenbrach. Schritte von Rowena und Rhodan, der ihr folgte. Instinktiv stellte sie sich der Gegnerin erneut in den Weg, doch ein weiterer Faustschlag schleuderte sie beiseite. Hart prallte sie gegen die Toreinfassung.

Endlich kehrte ihre Sehkraft zurück. Sie erkannte, dass Rowena auf den Torbogen zurannte – und verschwand.

Gleichzeitig begann das Spiegelbild zu flimmern. Die Fraktalmuster auf dem Rahmen verblassten. Die Benutzung nach so langer Zeit musste den Transmitter beschädigt haben. Sekündlich nahm der Flimmereffekt zu.

»Der Durchgang kollabiert!«, mutmaßte Sichu. »Falls wir Rowena verfolgen wollen, dann schnell!«

»Jemand muss nach oben klettern und eine Ambulanz verständigen!«, rief Perry. »Atlan liegt im Sterben.«

»Was ...?« Sie wirbelte herum.

Perry Rhodan kniete vor Atlan und betastete dessen Puls.

Sichu Dorksteiger erstarrte. Der Anblick des Arkoniden war fürchterlich. Schwer atmend lag er neben da Masgadan, Blut breitete sich wie ein Teppich um ihn aus und benetzte Rhodans Sohlen. Wo Rowenas Strahl getroffen hatte, klebte die Kleidung als zerschmolzener Lappen auf der Haut. Es roch nach verbranntem Fleisch.

Verzweiflung spielte mit den Zügen des Arkoniden. »Schnell!« Zitternd wies er auf den Anhänger, der in der Lache neben seinem Knie lag, dann auf den Torbogen.

Das Flimmern verstärkte sich. Nicht mehr lange, und die Spiegelung würde erlöschen. Dahinter befanden sich dieselben Sechseckblöcke, aus denen der Rest des Raums bestand.

»Bringt das Talagon auf die andere Seite des Tors!« Die Worte kamen als flehendes Röcheln aus Atlans Kehle. »Bewacht es! Verhindert, dass er es bekommt! Das Schicksal der Galaxis steht auf dem Sp...«

Der Satz blieb unvollendet. Ein Hustenanfall schüttelte ihn, sein Atem wurde flach. Der Kopf sank beiseite. Atlan hatte das Bewusstsein verloren.

Perrys Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Er packte das Talagon, hängte es sich um und richtete sich auf. Atlans Blut hatte Flecken auf seiner Kleidung hinterlassen.

Dorksteiger und Rhodan sahen einander an. Beide wussten, dass sie dasselbe dachten. Ein Augenblick völliger Übereinkunft entstand zwischen ihnen.

Sie mussten sofort entscheiden. Atlan zurückzulassen schien grausam – doch würde das Portal nach dem Kollaps je wieder funktionieren? Sie hatten keine Ahnung, wohin es führte.

Der Arkonide indes neigte nicht zu Übertreibungen. Wenn Atlan sagte, dass das Schicksal der Galaxis auf dem Spiel stand, falls das Talagon diesseits des Tors blieb – dann war dem auch so. Und was, wenn es der letzte Wunsch eines Sterbenden war? Durften sie ihm den abschlagen?

Ächzend kam da Masgadan zu sich. Sie beachteten ihn nicht. Inzwischen flimmerte die Spiegelung so stark, dass sie fast transparent wirkte. Wie lange, bis der Durchgang kollabierte? Es konnten bestenfalls Sekunden sein!

Rhodan wurde seinem Ruf als »Sofortumschalter« gerecht. Er packte seine Frau bei der Hand. Gemeinsam rannten sie auf das Tor zu und sprangen hindurch ...

Erstes Omen

Tage vor der Ankunft

Ein Holo verbreitet die Schreckensnachricht.

Entsetzt folgst du dem Treiben in der riesenhaften Projektion. Als schillerndes Rechteck hängt sie über den Dächern von Arkonis, wie ein zweiter Himmel unter dem ersten, und spendet fahles Licht in der Abenddämmerung.

Darin zu sehen: Sterne, Lichtjahre entfernt und in Konstellationen, die kein Eingeborener von Larsaf III je sah. Hektische Schnitte, dann das Blitzen von Energiegeschützen und weiße Punkte, die auf entfernte Raumschiffstriebwerke hindeuten. Neue Sonnen entstehen, blähen sich auf und verpuffen in der Schwärze. Es sind Explosionen: Was du siehst, ist ein Kriegsbericht. Soeben erreicht er die Kolonie.

Um dich herum herrscht erregtes Schweigen. Der Schein des Riesenholos beleuchtet Straßen aus frisch gegossenem Metallplast. Er wird reflektiert von den Arkonstahlgerüsten jungfräulicher Hochhäuser und den bläulichen Hüllen der Kugelraumer, die sich zu Hunderten über den nahen Raumhafen erheben. Er färbt die Züge der Passanten hellblau; weißhaarige Männer und Frauen, die meisten in Uniform der Raumflotte, einige in Zivil.

Köpfe sind gereckt, Blicke an den Himmel geheftet. Münder stehen offen. Tränen rinnen über leere Gesichter. Die Walzenraumer sind in der Überzahl. Feuerblumen erblühen und vergehen, jede zeugt vom Tod Tausender tapferer Krieger. Ihre Leben verwehen in gespenstischer Lautlosigkeit. Jemand hustet erstickt.

Reiß dich zusammen! Du bist Arkonide! Verzweiflung steht dir nicht, die ist für deine Feinde da – selbst wenn du und die anderen Kolonisten ihren Triumph verfolgen. Du bist müde.

Seit sechs Monaten lebst du auf diesem einsamen Planeten am Rand der zivilisierten Galaxis, als treuer Diener von Kristallprinz Atlan da Gonozal – dem größten Flottengeneral aller Zeiten. Dein Volk kämpft ums Überleben. Die Methanatmer kommen, um dich zu vernichten, alles, was du kennst, und alles, was du liebst. Die Schlacht im Grxlirasystem ist eine von vielen. Der Gegner macht vor nichts halt, doch wenn einer sie stoppen kann, ist es Atlan. Zumindest war das deine Hoffnung.

Bis jetzt.

Wieder ein Schnitt. Eine aufbereitete Darstellung; dieselben Schiffe, doch nun optisch überproportional aufgeblasen, sodass ihre Formen erkennbar und die Typen unterscheidbar werden. Walzenraumer kämpfen gegen kugelförmige Einheiten; Kursvektoren in mattem Gelb verzieren das Geschehen, ein Text in blauen Satron-Lettern überlagert den Bildrand und liefert Daten.

Zahlen lügen nicht. Die Wahrheit spricht für die Methans. Arkons Flotte hat keine Chance gegen die Übermacht.

Dann das, worauf ihr alle still gewartet habt. Ein einzelnes Raumschiff kommt ins Bild. Der Pilot weicht einem Pulk aus Gegnern aus, doch die Jäger der Methans sind wendiger und schneiden ihm den Weg ab, dann vergeht es in einem Ball aus Licht.

Du kannst den Aufschrei nicht unterdrücken. Das Schiff, das da eben in den Untergang gestürzt wurde – es war die TOSOMA. Das Flaggschiff von Atlan da Gonozal.

Das Bild reißt abrupt ab und weicht einer einfachen Texteinblendung. Welche Einheit auch immer die Schlacht mit ihren Optiken aufgezeichnet hat, ist der Vernichtung ebenfalls zum Opfer gefallen.

Fassungslosigkeit herrscht in den Straßen, Kinder weinen, Männer fallen entmutigt auf die Knie, Frauen schütteln ungläubig den Kopf. Du blickst zu Boden, schluckst, bevor du dich zwingst, erneut aufzusehen und den Text zu lesen.

Atlan da Gonozal ist tot, steht in unbestechlichen Lettern am Himmel.

3.

In tiefster Vergangenheit

Die Magier glänzten in der Frühlingssonne.

Caysey begegnete ihnen zum ersten Mal. Vor elf Sommern hatte ihr Gebet die Götterfaust herbei beschworen, doch der Vrouhtou und seine Boten mieden die Menschen. Graema weilte längst bei den Vorfahren. Das Heilmittel hatte sie nie erhalten, und Caysey musste erfahren, warum. Dafür hatte sie sich bis ans Ende der Welt gewagt. Zuletzt war ihr keine Wahl mehr geblieben.

Zielstrebig pirschte die junge Frau durch das Dickicht eines Mangrovenwäldchens. Es war früh im Jahr. Die Bäume hatten noch nicht ausgeschlagen, ihre kahlen Zweige boten kaum Schutz. Also verbarg sie sich hinter Büschen und Felsen Altes Laub raschelte unter ihren Sandalen, übertönt von seltsam unirdischem Stampfen und Summen. Irgendwo kreischten Möwen. Meeresrauschen untermalte ihren Chor.

Caysey hielt inne und lugte über ihre Deckung hinweg. Ihr Herzschlag raste, ihre Schläfen pochten. In ihr strampelte das Ungeborene.

Was sie sah, war ein Bild wie aus Ututnas Legenden.

Jenseits des Waldrands, auf einem gerodeten, kiesbedeckten Platz, liefen Magier in silbernen Rüstungen umher. Es waren Hünen, weder Mann noch Frau und sicher nicht von dieser Welt. Einer von ihnen ließ riesige Balken aus Metall durch die Luft schweben, ein anderer richtete sie zu Haufen.

Fliegende Kutschen kamen lautlos über die Berge im Westen und warfen silberne Truhen über dem Gelände ab, die dann federleicht zu Boden schwebten. Die Magier packten sie und trugen sie zum Strand, das Stampfen und Surren stammte von ihnen. Eine einzelne Kutsche stand abseits der Eisenstapel.

Hinter dem Platz fiel das Gelände zur Küste hin ab, dahinter schwappte unbeeindruckt der Meeresteppich. Blau bedeckte die Welt, bis ans Ende aller Ferne. Schaumige Brandung kitzelte den Strand.

Caysey atmete ein. Sie genoss die würzige Luft und strich über ihren Leib. Die Bauchdecke wölbte sich und spannte unter ihrem Wickelrock.

»Diese Leute werden dein Leben retten, Kleines!«, versprach sie gedankenverloren. Immerhin war sie deswegen gekommen.

Die Schwangere atmete durch. Sie war am Ziel. Gleich würde sie mit einem dieser Wesen sprechen. Diese Magier, hieß es, waren Vrouhtous Diener. Man erzählte sich, dass die Götter eine silberne Stadt im fernen Südwesten errichteten und niemanden zu sich ließen. Dass sie überhaupt so weit in den Osten kamen, grenzte an ein Wunder, aber der Zeitpunkt konnte kein Zufall sein – oder?

Caysey sah es als Gelegenheit. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Mut. Den hatte sie.

Entschlossen schnallte sie den Tragsack mit dem Proviant vom Rücken und stellte ihn vor sich ab. Dann richtete sie sich auf und trat aus dem Wald.

»Hey, ihr Großen!«, rief Caysey. »Ich brauche eure Hilfe. Der Vrouhtou hat mich und alle Töchter meiner Väter verflucht. Könnt ihr den Unsegen von uns nehmen?« Sie war guter Dinge. Für sich selbst zu flehen, schickte sich nicht – aber es ging ja auch gar nicht um sie. Ob es sie hinraffte, war ihr gleich, solange das Kind überlebte.

Caysey wartete eine Weile.

Die Magier beachteten sie nicht. Stur gingen sie ihrer merkwürdigen Arbeit nach, stapelten Stämme aus Metall und trugen Silberkisten. Dabei mussten sie sie doch sehen!

Grübelnd trat Caysey auf den Platz hinaus. Überhaupt schienen diese Geschöpfe stumm zu sein, denn sie sprachen kein Wort. Irgendwie aber verständigten sie sich. Wann immer zwei von ihnen sich einander näherten, wich einer aus. Sobald einer eine Kiste abstellte, wartete schon der nächste, um sie weiterzutragen. Unterhielten sie sich mittels Gedankenkraft?

Zu Hause erzählte der alte Dorgan oft Geschichten, in denen solche Zauberkräfte vorkamen. »Paragaben« nannte er sie.

Sie rief ein zweites Mal: »Hey, Kameraden! Versteht ihr mich? Wisst ihr wenigstens, wo ich ein Mittel gegen den Fluch finde?« Flehend streckte sie die Hand ...

... und stieß gegen ein unsichtbares Hindernis.

»Vrouhtou-Tam!« Verblüfft zog sie den Arm zurück, betrachtete ihre Fingerkuppen, dann die Luft, an der sie abgeprallt waren. Aber da war nichts!

Mehrmals wiederholte sie den Versuch, an verschiedenen Stellen, stets mit demselben Ergebnis. Vor ihr lag ein Vorhang aus Nichts, der sie von Vrouhtous Dienern fernhielt.

Ein Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. »Ist das ein Test, ob ich würdig bin? Eine Herausforderung? Ich nehme sie an!« So kurz vorm Ziel würde sie nicht scheitern, dafür war sie zu weit gelaufen.

Das Heimatdorf war drei stramme Tagesreisen entfernt. Hinter Caysey lag das Gebirge, das den Weltenschoß wie ein Paar schützender Glieder umarmte. Zum ersten Mal im Leben hatte sie es überquert, zu Fuß und mit nichts als ihrer Kleidung und etwas Essen.

Hilfe aus dem Dorf stand ihr keine zu, Ututna und die anderen hatten das klargemacht: »Deine Leibesfrucht ist ein Omen, Totgebärerin. Sterbt ihr beiden in unserer Mitte, wird der Gott uns alle strafen. Geh und kehr nicht wieder!«

Caysey fand das gerecht. Andere unter ihrem Fluch leiden zu lassen, das war ausgeschlossen. Nicht einmal dem Kindsvater hätte sie das angetan. Sie wusste, wer es war, denn nur einer kam infrage. Doch den süßen Ildion traf keine Schuld. Sie war unvorsichtig gewesen, über seine Rolle hatte sie ihn im Unklaren gelassen.

Also war sie aufgebrochen, allein und auf sich gestellt. Unterwegs hatten Reisende ihr von den Magiern berichtet, die im Westen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Fortan war die Küste Cayseys Ziel gewesen.

Der Weg hatte durch Gebirgstäler und über Pässe geführt und durch die Reste des letzten Schnees. Ihr Bauch hatte sie ausgebremst, ebenso der schwere Proviantsack, aber eine gute Läuferin war sie schon immer gewesen. Auf halber Strecke war sie durch das Dorf eines Bergstamms gekommen. Zwei Händler hatten ihr dort angeboten, sie in ihrem Karren mitzunehmen. So hatte sie den Herweg in kurzer Zeit überwunden.

Würde sie nun aufgeben, nach all den Anstrengungen und nur, weil ein Bannkreis sie von den Magiern trennte – das hätte ihr Ungeborenes ihr sicher nie verziehen.

Eine Weile tastete sich Caysey seitlich vor und suchte nach Lücken im Vorhang. Berührte sie ihn, blieb ihr Arm in der Luft stecken oder wurde weggestoßen. Rannte sie dagegen an, prallte sie ab. Natürlich probierte sie das nur einmal. Die Gefahr, das Kind zu verletzen, war zu groß.

Plötzlich stand sie einem der Magier gegenüber.

Es geschah ohne Vorwarnung. In einem Moment stocherte Caysey unbeachtet in die Barriere, im nächsten löste sich der Silberne von seinen Kameraden und kam auf sie zu. Mit wenigen Schritten überwand er die Entfernung. Vor ihm flimmerte die Luft und machte den Vorhang für kurze Zeit sichtbar, dann trat der Magier hindurch und stellte sich breitbeinig vor ihr hin. Wodurch sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wusste sie nicht.

»Hallo, Großer!« Zaghaft lächelnd blickte Caysey zu der Gestalt empor. Der Kerl war einschüchternd, überragte sie um zwei Haupteslängen, doch sie fürchtete sich nicht. Das tat sie nie.

»Unbefugten ist der Zutritt zum Baugelände untersagt.«

Die Stimme des Magiers verursachte Caysey eine Gänsehaut – sie klang, als schabte Eisen über Stein. Aus welcher Körperöffnung sie kam, war nicht feststellbar; die Rüstung war vollkommen geschlossen, nirgends war Fleisch zu sehen. Der Helm spiegelte im Sonnenlicht. Die Augen verbargen sich hinter roten Gläsern.

Immerhin konnte er sprechen! »Du hörst dich ganz schön heiser an, Großer. Warum lasst ihr mich nicht zu euch?« Caysey stemmte die Fäuste in den Rücken. Ihr Kreuz schmerzte.

»Unbefugten ist der Zutritt zum Baugelände untersagt«, wiederholte der Silberne. Er hob einen Arm und zeigte damit auf Cayseys Brüste. Wo eine Hand hätte sein sollen, leuchtete ein roter Punkt. Es schien, als loderten Flammen in seinem Unterarm.

Staunend betrachtete Caysey den Stummel, dann die dürren Krallen des anderen Arms. Um in diesen Handschuh zu passen, mussten die Finger dünner sein als Hühnerknochen.

Ein verrückter Gedanke ging ihr durch den Kopf. Ist die Rüstung seine Haut? Bestehen diese Wesen ... vollständig aus Eisen? Alles war möglich, wenn es um Götter und ihre Diener ging.

Nun galt es! Die Gelegenheit, sich auf das Gelände zu stehlen, mochte jeden Moment vergehen. Caysey versuchte, sich durch die Lücke im unsichtbaren Wall zu drücken, doch der Metallene ließ sie nicht vorbei.

Grob ergriff er den Schulterüberwurf des Wickelrocks. »Exekution immanent!« Das Ende des Armstummels schwebte vor ihrem Gesicht. Der rote Punkt glomm düster.

Dann kam die Zauberin aus dem Meer und veränderte alles.

*

Caysey bemerkte sie nicht gleich. Ihre Aufmerksamkeit galt den Metallfingern, die sich in den Stoff ihres Rocks krallten. Vor Enttäuschung trommelte sie gegen die Tonnenbrust des Magiers.

»Lass mich vorbei, Stahlmann! Was ist dein Problem?« Ihre Fäuste bebten.

Am Strand stoben die Möwen auf. Schrill kreischend erhoben sie sich in die Lüfte, wo sie wie irre umeinanderkreisten. Ihr Geschimpfe schwoll zu einem Orkan an, der Lärm schmerzte in ihren Ohren.

Sie lehnte sich zur Seite, lugte an dem Koloss vorbei, so gut es dessen breiter Leib erlaubte.

Ihr Blick reichte, vorbei an Stapeln aus Metallbalken, bis aufs Meer. Etliche Mannslängen vor der Küste, wölbte sich der Ozean und verriet, dass etwas Großes an die Oberfläche drängte.

Im selben Moment bemerkte auch der Metallene den Aufruhr. Ohne Caysey loszulassen, wirbelte er herum. Sein Armstummel irrte suchend umher.

Dann brach ein schlankes, lang gestrecktes Ding aus dem Wasser, ließ das Meer schäumen und gischten. Als sich die Fluten beruhigten, erblickte Caysey etwas, das einem Fischerboot ähnelte, doch es trug weder Mast noch Segel. Die Farbe war dasselbe Silbergrau, in dem auch die Rüstungen der Magier glänzten.

»Ein Tauchboot«, hauchte Caysey. Ihr Stamm kannte Legenden über diese wundersamen Schiffe.

Eine Klappe öffnete sich auf der Oberseite des Boots – und eine Frau schwebte hindurch. Schmetterlingsgleich stieg sie in den Himmel. Das Kreischen der Möwen erreichte einen Höhepunkt, als sie den Schwarm durchstieß. Ängstlich wichen ihr die Vögel aus.

Mit einem Auflachen schirmte Caysey die Augen vor der Mittagssonne ab. Die Unbekannte flog! Als hätte sie kein Gewicht, hing sie am Himmel. Ihr schlanker Leib bildete einen dunklen Umriss vor der Sonnenscheibe. Aus der Ferne erkannte Caysey kein Gesicht, doch sie sah das weißblonde Haar, das den Kopf wie eine Lichtkrone umrahmte. Ihre Kleidung war eng anliegend und dunkel, ließ nur die Hände und das Haupt frei. Verglichen mit einem Wickelrock stellte Caysey sich diesen Aufzug unbequem vor.

Der Metallene richtete den Stummelarm auf die Fliegende, er schien unschlüssig, ob es sich bei der Fliegenden um eine Bedrohung handelte.

Die wildesten Gedanken gingen Caysey durch den Sinn: Die Weißhaarige wirkte engelsgleich. Dabei war sie zweifelsfrei ein Mensch, wenngleich wohl eine mächtige Zauberin – sonst hätte sie sich kaum wie ein Kymjor in die Luft erhoben!

Das Tauchboot aber, beschloss Caysey, hatten die Götter erschaffen. Lebten die Diener des Vrouhtou also unter dem Meer? Hatte die Frau den Retter von allem besucht und die Kraft des Fliegens von ihm erfleht?

So musste es sein! Caysey war mit ihrem Anliegen zum rechten Ort gekommen.

Flehend sah sie zu dem Metallenen auf. »Ich muss zum Vrouhtou!«, bat sie flüsternd.

Der Magier ignorierte sie. Er schien nur Augen für die Weißhaarige zu haben.

Seine Artgenossen verrichteten weiter stur ihre Arbeit, als ginge sie all das nichts an. Metall türmte sich. Die Stapel wuchsen zu einer kleinen Halde.

Die Weißhaarige löste sich von ihrem Platz vor der Sonne und ließ sich dem Strand entgegensinken. In der Hand hielt sie ein seltsam gebogenes Eisen. Sie stieß Worte in einer unbekannten Sprache aus.

Flüsternd wiederholte Caysey die unbekannten Klänge, versuchte, sie sich einzuprägen. Mehrmals rief die Fremde denselben Satz, bei jeder Wiederholung wurde sie lauter und wütender. Was immer der Ruf bedeutete, er schien wichtig zu sein.

Der Metallene streckte der Zauberin den Stummelarm entgegen. Ein hohes Singen wurde laut, als wohnten Heuschrecken in seinem Ellenbogen. Endlich ließ er Cayseys Wickelrock los.

Noch immer hatte die Weißhaarige sie nicht gesehen. Caysey wollte nach ihr rufen – doch eine Vorahnung hielt sie zurück.

Die Zauberin schwebte dicht über dem Grund, nahe genug, dass Caysey ihre Züge erkannte: ein schmales, hübsches Kinn. Der Mund hatte etwas Wölfisches, ihre Augen waren rot wie Edelsteine. Und ihr Blick ...

Reue lag darin und die Lust, zu zerstören.

Sie hält sich für schuldig. Jemand hat sie zu einem Verbrechen gezwungen. Die Wut macht sie gefährlich. All das begriff Caysey binnen eines Herzschlags. Meist wusste sie beim ersten Blick, wie Menschen dachten und fühlten, und sie irrte sich selten. Ututna hatte es oft ihre größte Gabe genannt.

Caysey winkte nicht länger. Rückwärts wich sie zur hintersten Baumreihe aus. Hinter einem Stamm machte sie sich klein. Zum Glück hatte die Weißhaarige sie nicht gesehen!

Der Metallene rief etwas mit seiner Reibestimme, vermutlich in der Sprache der Zauberin.

Die stieß einen Wutschrei aus. Noch einmal wiederholte sie die gleichen Worte, diesmal gepresst und mit überschlagender Stimme. Sie richtete das gebogene Eisen auf den Metallenen ...

... und ein Sonnenstrahl löste sich aus dessen Spitze.

Übergangslos umhüllte Licht den Leib des Magiers. Atemlos sah Caysey zu, wie sich der Oberkörper verformte, als bestünde er aus Kerzenwachs. Das Wesen schrie nicht, es stöhnte nicht einmal. Tapfer machte es einen Schritt, dann einen zweiten, bevor es vollkommen seine Form verlor und als zähflüssiger, rot glühender Haufen zu Boden floss.

Der Schrecken war namenlos. Fassungslos starrte Caysey auf den formlosen Klumpen, unfähig, wegzusehen. Das geschmolzene Metall strahlte Hitze aus, die Caysey in ihrem Versteck erreichte. Nur der Stummelarm ragte noch aus den Überresten hervor und streckte sich anklagend gen Himmel.

Die Zauberin gab sich damit nicht zufrieden. Sie landete inmitten jener Gruppe aus Metallenen, die am Strand Kisten stapelten, und warf weiter mit Sonnenstrahlen um sich. Das gebogene Eisen musste ein Zauberstab sein, anders konnte Caysey es nicht erklären. Obwohl das Licht in den Augen brannte, zwang sie sich, hinzusehen.

Grausam richtete die Weißblonde über die Magier. Diese aber wehrten sich noch immer nicht. Stumpfsinnig stapelten sie ihre Metallbalken, und keiner verfiel auf den Gedanken, damit nach der Zauberin zu werfen oder auch nur zu fliehen. Einer nach dem anderen wurde getroffen, taumelte und zerschmolz. Polternd stürzte die schwebende Fracht auf den Kies.

Caysey presste die Hand auf den Mund, um einen Schrei zu verhindern. Das Ungeborene zappelte unter ihrer Brust, spürte ihre Angst. Sie wollte sich abwenden, durch den Wald und das angrenzende Gebirge fliehen, weg von dieser Irren und ihrem Sonnenzauber, doch ein jäher Bauchkrampf zwang sie in die Knie.

Sie fiel vornüber und stützte sich im letzten Augenblick ab. Minutenlang waren da nur noch die Pein und das Laub unter ihren Händen. Der Schmerz war mörderisch, und er kam in Wellen. Pünktchen tanzten vor Cayseys Augen.

»Nicht!«, stieß sie hervor. »Bitte noch nicht!« Bei Graema war es genauso losgegangen. Noch war Caysey nicht bereit, zu gehen. Zitternd streichelte sie ihren Bauch, als wollte sie ihn besänftigen.

Wieder schrie die Zauberin ihr unverständliches Mantra. Ein letzter Blitz huschte in Cayseys Augenwinkel, dann kehrte Stille ein. Schritte knirschten auf Kies.

Caysey atmete.

Ein.

Aus.

Ein.

Aus.

Widerwillig verebbte der Schmerz.

Als sie zu sich fand und erneut hinter dem Baum hervorlugte, lag auch der letzte Magier zerschmolzen im Kies. Die Zauberin stakste zwischen den Überresten umher, mit unbefriedigter Miene und kaum verrauchter Wut. Tränen rannen über ihre Wangen.

Wortlos überquerte sie den Platz und begab sich zu der einzelnen fliegenden Kutsche, die abseits der Eisenstapel geparkt war. Sie kletterte hinein, die Tür schloss sich von Wunderhand. Anscheinend hatte der kurze Flug über dem Wasser die Zauberin so erschöpft, dass sie auf ein Fahrzeug angewiesen war.

Gleich drauf ertönte ein unnatürliches Jaulen, dann erhob sich die Kutsche vom Boden. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie zu einem Punkt am Himmel zusammenschrumpfte und westwärts entschwand.

Caysey wusste nicht, wie lange sie bebend im Dickicht kauerte, dem rauschenden Blut in ihren Ohren lauschte und wartete, bis die letzten Wellen des Schmerzes vorübergingen. Auf dem Wasser kreischten die Möwen. Die Vögel beruhigten sich nur langsam.

Waren wirklich alle Magier tot?

Caysey wagte sich aus ihrem Versteck, kam zwischen den Bäumen hervor und trat durch die Lücke im unsichtbaren Vorhang. Um den »Großen« – was von ihm übrig war – machte sie einen respektvollen Bogen. Vor allem achtete sie darauf, nicht vor den emporragenden Stummel zu geraten. Sie glaubte nun zu begreifen, dass es sich um keinen Arm, sondern ebenfalls um einen Zauberstab handelte – nur, dass er mit dem Leib des Magiers verwachsen war.

»Ist noch jemand am Leben?« Sie verstand nichts von Heilkunst, doch Ututna mochte helfen, und die Magier würden dann in ihrer Schuld stehen. Es war ein verzweifelter Plan, aber sie hatte gelernt, sich selbst an dünne Hoffnungen zu klammern. Was blieb auch sonst, wo jede mögliche Zukunft den Tod bereithielt?

Erneut wurden die Möwen laut. Caysey erstarrte und sah aufs Meer hinaus. »Schon wieder? Gibt es etwa mehr von der Sorte?« In Gedanken sah sie bereits eine zweite Zauberin aus der Tiefe kommen und wie die Erste mit Verderben um sich werfen.

Ihre Befürchtung bestätigte sich. Das Tauchboot trieb herrenlos vor der Küste, doch daneben wölbte sich das Meer erneut. Einmal mehr schäumte die Oberfläche, wieder brach ein schlankes, graues Etwas aus dem Wasser. Das Nass perlte von der Außenhaut, dann öffnete sich – wie beim ersten Boot – eine Klappe auf der Oberseite.

Hastig sah Caysey sich um, suchte nach einem Stock oder Steinen, die sie zur Verteidigung werfen konnte, doch alles was sie fand, waren dürre Zweige, Kiesel und ...

... der Zauberstab des Metallenen.

Sie vergaß jede Vorsicht, ignorierte die sengende Hitze und packte den Stummel. Mit einem widerlichen Schmatzen löste er sich aus den Überresten des Magiers.

Das Metall brannte unter Cayseys Fingern, versengte ihre Haut, doch das kümmerte sie nicht. Es waren keine Magier mehr da, um ermordet zu werden, und wer immer da aus der Tiefe kam, würde weder ihr noch ihrem Kind wehtun!

Die Schwangere floh in die Büsche, bückte sich und richtete den Zauberstab auf den Ozean.

4.

Kurz zuvor

Sekunden währten Jahrtausende. Perry Rhodan überwand Abgründe, und doch blieb er an Ort und Stelle.

Der Terraner hatte schon unzählige Transmitterdurchgänge mitgemacht. Meist erlebte man sie nicht bewusst. In einem Augenblick war man hier, im nächsten fand man sich am Ziel. Dazwischen lag Schwärze.

Dieser Übergang war – anders. Rhodan war gesprungen, hatte Sichu mit sich gezogen. Mit voller Wucht waren sie gegen den Torbogen geprallt, doch anstatt zurückgeschleudert zu werden, waren sie hängen geblieben. Nicht sie bewegten sich, sondern der Raum.

Rhodan konnte den Kopf nicht drehen, und doch nahm er alles um sich herum wahr. Sichu hing neben ihm, in der Bewegung erstarrt, ein Arm gestreckt, die Hand in der seinen. Ringsum rieselte Zeit, wie Staub in einer Sanduhr. Das Gehirn findet keine Begriffe für Dinge, die wahrzunehmen es nicht gemacht ist.

Klanglos raunte eine Stimme, doch ohne Worte zu formen. Rhodan verstand sie nicht.

Ein Lidschlag währte länger als die Zeit an sich. Dann wurden Jahrtausende zu Sekunden.

Rhodans Herz schlug. Einmal. Ein zweites Mal. Die Welt kehrte in ihren normalen Fluss zurück.

Das Portal gab sie frei.

Rhodan fiel, mit dem Gesicht voran. Im Sturz entglitt ihm Sichus Hand. Hart kam er auf, klatschte auf kalten Marmor. Das Talagon grub sich schmerzhaft in seine Rippen.

Dicht neben ihm stürzte Sichu hin. Sie rutschten ein Stück über den schwarzgrünen Grund, bis das Bewegungsmoment aufgebraucht war und sie Hüfte an Hüfte liegen blieben. Alles drehte sich.

Rhodan gönnte sich einen Moment, um durchzuatmen. Er glaubte, sich übergeben zu müssen, doch der Schwindel ließ rasch nach.

»Geht es dir gut?«, fragte er.

Sichu nickte. Sie halfen einander auf.

Der Terraner sah sich um.

Der Raum, in den sie das Tor geführt hatte, glich dem auf der Gegenseite bis ins letzte Detail: sechseckige Blöcke an Boden und Wänden. Goldene Fugen bildeten ein Wabenmuster. Eine Wendeltreppe führte durch einen auch hier offen stehenden Lamellenverschluss aus dem Raum. Ringsum glitzerte grün gesprenkelter Marmor.

Selbst der Torbogen war derselbe, doch die Spiegelung in seinem Innern flimmerte so stark, dass Rhodan schon vom Hinsehen erneut übel wurde. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen.

Die andere Seite war noch zu erkennen, wenn auch unscharf. Drüben schien alles beim Alten: Vor der Treppe lag eine Person, bei der es sich nur um Atlan handeln konnte. Unter ihm schimmerte es rötlich – das war die Blutlache, die sich um ihn ausbreitete. Da Masgadan ruhte neben ihm – und dann gab es da eine dritte Gestalt.

Rhodan blinzelte. Das Bild wurde undeutlicher, aber ohne Zweifel erkannte er eine Silhouette, schlank und doch massiv, die vor dem Arkoniden kniete. Filigrane Finger fuhren über Atlans Mund, wie um seinen Atem zu prüfen.

»Atlan!« Benommen taumelte Rhodan zum Torbogen. Wer war der Unbekannte?

Sichu keuchte. Sie sah den Fremden ebenfalls, offenbar handelte es sich also nicht um eine Sinnestäuschung.

Der Schatten hob den Kopf, starrte durch das Tor und direkt in Rhodans Richtung. Ein Blick aus zwei Augen erdolchte ihn, eins schwarz, das andere rot. Ihm wurde kalt. Er nahm Anlauf, um zu seinem Freund zurückzukehren – als das Flimmern plötzlich erlosch.

Nackte Marmorsechsecke traten an die Stelle der Spiegelung. Die Fraktale, die hier wie dort über die breite Einfassung des Tors gewandert waren, verschwanden. Wider besseres Wissen schlug Rhodan mit der Faust an die Wand. Hart knallten seine Knöchel gegen den Stein.