AUCH IM PARADIES LAUERT DER TOD - Klaus Rose - E-Book

AUCH IM PARADIES LAUERT DER TOD E-Book

Klaus Rose

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Beschreibung

Beim Überwintern auf La Gomera geraten Richard und seine Frau Anna durch den Makler Alonso in Lebensgefahr, denn der hatte ihnen Rache angedroht. Richard hatte ihn mit dem Kommissar Fernando der Knebelung eines Freundes überführt und ihn ins Gefängnis gebracht. Ist der Gestörte wieder auf freiem Fuß? Bei der Ankunft finden sie seinen Handlanger tot auf. Er wurde in der zum Abriss freigegebenen Kultkneipe Casa Maria mit einer Flasche erschlagen. Die Angereisten werden verdächtigt, und das umso mehr, als die bildhübsche Gunda zerschmettert unterhalb des Mirador gefunden wird. Doch die hatte ein Techtelmechtel mit dem Klaus Kleber.dem Star der Aussteigerszene. Die Vorgänge sind brisant. Um die Tötungsdelikte aufzuklären nimmt sich Richard das Luxusresort Palmenzauber zur Brust. In dem Spinnen Alonso und Kleber gemeinsam ihre Fäden, die er entflechten muss. Außerdem haben ein korrupter Polizist und ein Architekt und Künstler ernstzunehm,ende Duftmarken gesetzt.

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KLAUS ROSE

AUCH IM PARADIES LAUERT DER TOD

Überwintern auf LA GOMERA

Krimi

Der Autor:

Klaus Rose, Jahrgang 1946, kommt 1955 als Flüchtling über Berlin und Lübeck ins Dreiländereck. Nach dem Studium in Köln zieht es ihn nach München. Dort erlebt er als Produkt der 68-ziger seine Flower-Power Phase.

Später kehrt er in seine Wahlheimat Würselen zurück, wo er sich in der Kommunalpolitik engagiert. Er heiratet und wird zweifacher Vater. Dann die Scheidung, der Ausstieg aus der Politik und eine neue Ehe. Ein Herzinfarkt hindert ihn nicht an einer Rucksackreise durch Australien, Neuseeland und viele aufregende asiatische Länder. Nach dem Renteneintritt gehört seine Freizeit dem Schreiben seiner Romane, dabei verbringt er viel Zeit auf seiner Lieblingsinsel La Gomera.

C 2022 Klaus Rose Buchsatz von tredition

ISBN

Softcover

978-3-347-64017-7

E-Book

978-3-347-64021-4

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

Tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Copyright 2020: Klaus Rose

Umschlag, Illustration: Klaus Rose

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für den Inhalt ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgt im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Die Handlung beruht auf Tatsachen. Die Namen der geschilderten Personen sind geändert, aber sie existieren, so auch die Übereinstimmungen mit vorhandenen Gegebenheiten. Ähnlichkeiten mit anderen noch lebenden oder toten Personen sind Zufall.

Das Buch:

Corona ist nicht wegzudenken, obwohl der 70-jährige Richard und seine 61-jährige Frau Anna inständig auf ein Ende gehofft hatten. Trotz Ansteckungsgefahr beschließen sie ein Überwintern auf La Gomera, und ignorieren ihr schlechtes Umweltgewissen durch die Flugreise nach Teneriffa. Sie rechtfertigen den Flug mit explodierenden Gaspreisen und der drohenden Reaktorkatastrophe in der Ukraine. Mit der Freundin Karla brechen sie zu der Kanareninsel auf.

Im Valle Gran Rey angekommen wollen sie nicht wahrhaben, dass dem beliebten Szenetreff „Casa-Maria“ der Abriss droht. Der neue Besitzer Pablo Carballo plant die Schweinerei. Und den finden sie per Zufall im Schankraum. Er wurde mit einer Weinflasche erschlagen. Ist der Abriss der Grund für das Tötungsdelikt?

Die Guardia Civil verdächtigt die Ankömmlinge, doch die vermuten, Klaus Kleber steckt dahinter. Der Star der Aussteigerszene gönnt sich ein Techtelmechtel mit Gunda und Pablo hat das Liebesspiel belauscht.

Richard besucht die Frau des Schürzenjägers, da findet ein Wanderer die tote Gunda. Sie wurde vom Mirador dos Santos hinuntergestoßen. Ist sie Kleber lästig geworden? Er als Nutznießer ihres Todes stellt ihren Absturz als Suizid aus verschmähter Liebe dar, doch der passt nicht zu Gundas Kämpfernatur.

Der Vorgang ist brisant, aber noch dubioser ist die Rolle Alonsos. Den Makler hatte Richard vor Jahren unter Mithilfe des Kommissars Fernando einer Knebelung mit Todesfolge überführt. Sitzt er im Gefängnis? Oder ist das ein Trugschluss? Der Übeltäter hatte Richard Vergeltung angedroht? Die Gemengelage ist unübersichtlich.

Richard will Gewissheit und nimmt sich das Luxusressort Palmenzauber in Playa de Santiago vor, dabei gerät er in die Bredouille. In der Anlage für Gutbetuchte spannen Alonso und Kleber gemeinsam die Fäden. Die bilden einen Knoten, den Richard für Erfolgserlebnisse entflechten muss. Und zu allem Übel haben der korrupte Polizist Ernesto und ein Architekt ernstzunehmende Duftmarken gesetzt.

Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, dann ist das Leben erklärt.

Mark Twain

Für alle liebgewonnenen Freunde der wunderbaren Zeit auf La Gomera.

1

Es soll Besucher geben, die haben La Gomera nie aufgesucht. Gehören auch Sie zu der seltsamen Gattung? Wenn ja, dann holen Sie das Versäumte schleunigst nach, denn die Kanareninsel ist eine Perle im Atlantik, sozusagen das Wanderparadies.

Richard hat seine Trauminsel lange gemieden. Der Grund war der Tod eines Freundes, der mit einem Knebel erstickt wurde, woran er mächtig zu knabbern hatte. Die verhängte Strafe für den Verursacher ist unbekannt, doch war es vor Gericht mit rechten Dingen zugegangen, dann sitzt Alonso eine lebenslange Haftstrafe ab. Das ist meine Vermutung. Aber wie hat das Gericht die Knebelung beurteilt? Wurde dem Makler keinerlei Mordabsicht unterstellt, dann bewegt er sich auf freiem Fuß und seine Verteidiger haben eine milde Haftstrafe für ihn herausgeboxt. Eigentlich sollte ich das Urteil kennen, denn der Fettleibige hatte mir Vergeltung angedroht. Ich war derjenige, der ihn mit Hilfe des Kommissars Fernando den Henkern ausgeliefert hatte, also muss ich auf der Hut vor dem Dreckskerl sein.

Ich will die Schreckensgeschichte nicht neu aufrollen. Die ist abgehakt. Seit dem Tod des Freundes überdecken viele erfreuliche Ereignisse die schreckliche Tat, denn inzwischen habe ich meine Partnerin Anna geheiratet und bin vierfacher Opa. Anderseits haben die Jahre der Abwesenheit von unserem Traumarchipel meine Sehnsucht nach einem Aufenthalt neu entfacht. Aus diesem Grund unterdrücke ich die Vorfreude auf das Valle Gran Rey nicht länger und mache Nägel mit Köpfen, denn die deutschen Winter sind Gift für mein Wohlbefinden. Wegen der Kälte und aus Gaseinsparungsgründen habe ich mich zu dem Überwintern auf La Gomera durchgerungen. Bei dem steigenden Gaspreis und der Abhängigkeit von Gaslieferungen ein mustergültiges Verhalten, dazu nützt das Energieeinsparen der Umwelt. Mit von der Partie sind meine Frau Anna und unsere langjährige Freundin Karla. Mit der hatten wir viele sonnige Ferientage auf der Insel verbracht.

Das Corona-Virus hält das spanische Festland und die Kanaren in Atem, wodurch sich die Reisewarnung der Bundesregierung für die Inseln verlängert. Der Spuk ist nicht vorbei. Selbiges gilt für Ausgangssperren und Maskenpflicht. Die als Schikane wahrgenommenen Maßnahmen gelten weiter, dennoch haben sich die menschenleeren Strände erledigt. Die sind ein Relikt der Pandemie bedingten Vergangenheit.

Auf ein Neues, lautet unser Wahlspruch. Nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir feiern das Weihnachtsfest mit Kind und Kegel im Familienkreis, danach versuchen wir unser Reiseglück. Dass das Feiern unvernünftig ist, das ist uns bewusst, denn die Pandemie hat sich als unberechenbar herausgeschält und die Inzidenzen sind hoch, daher unterschätzen wir sie nicht. Doch wir sind dreifach geimpft und halten uns an die Maskenpflicht, an die Abstandsregelung und an alle Hygiene-Maßnahmen. Die sind für uns Pflicht. Aber jetzt ist es Mitte Dezember und das Sabbatjahr meiner Frau beginnt.

Die mehrere Monate vor dem Beginn der Pandemie erfolgte Antragsbewilligung auf das Sabbatjahr hat die Voraussetzungen für unser Überwintern geschaffen. Und ich muss nicht beim Arbeitgeber um einen längeren Urlaub betteln, denn ich bin der Arbeitswelt entkommen.

Als rüstiger Rentner bin ich frei wie ein vor der Kälte in den Süden fliehender Zugvogel. Umso mehr lechze ich nach der Antwort auf die Frage nach dem Verbleib des hundsgemeinen Maklers, der das Ersticken des Freundes zu verantworten hatte. Hält er seine Vergeltungsdrohung aufrecht? Erhalte ich am Reiseziel eine mir unter den Nägeln brennende Antwort?

Kurz vor der Landung auf dem Flughafen Teneriffa Süd blicke ich aus dem Fenster der Boeing 770. Wir überfliegen unsere Zielinsel. Ich schaue gebannt auf die Bergwelt, auf die unerschöpflichen Flächen des Regenwaldes, und auf die von der Sonne angestrahlten Bergdörfer, und das bei einem wolkenlosen Himmel.

Um meiner schlafenden Frau die Ankunft auf Tenerife mitzueilen, ruckele ich an ihrem Arm. „Wach auf, meine Liebste. Wir landen gleich“, flüstere ich Anna ins Ohr, schon erleben wir einen knüppelharten Landevorgang.

Wir steigen aus und eilen durch das Flughafengebäude zur Gepäckausgabe, schon rumpeln unsere Rollkoffer vorneweg über das Abholband. Ich denke, da ich abergläubisch bin, das es ein gutes Zeichen ist.

„So viel Glück hatten wir nie“, hebe ich hervor. Also schnappen wir uns die Dinger und steigen in den vor dem Eingang wartenden Linienbus, der uns auf der Schnellstraße in die Hafenstadt Los Cristianos bringt, wo wir an der Haltestelle oberhalb des Hafens aussteigen und uns per Fußmarsch zum Hafengelände begeben, dabei registriere ich die unverschämten Blicke spanischer Männer, die ich nicht witzig finde.

Bei mir erzeugt deren Anstarren eine berechtigte Wut im Bauch, daher quäle ich mich an den dreist Glotzenden vorbei und strapaziere meine Wahrnehmung mit allerlei Fragen: Sind die Gaffer wegen dem Corona-Virus böse? Haben sie Angst vor dem Übertragen des Erregers? Das sind zwei der Gedankengänge. Und andere bewegen sich auf dümmlichen Niveau. Bin ich zu flippig angezogen? Trage ich zu warme Klamotten? Steht gar mein Hosenstall offen?

Den Fragestellungen gehe ich auf den Grund, in dem ich an mir runterschaue, aber das was ich sehe, das ist okay. Mein Outfit ist klimagerecht, stelle ich zufrieden fest. Es ist frei von Mängeln. Als Anschauungsobjekt scheide ich aus. Stattdessen ordne ich das Nachstarren meinen Begleiterinnen zu, mit denen ich durch die Hotelansammlung der Urlauberhochburg latsche. Auf Teneriffa wecken attraktive Frauen, auch die nicht zu den Jüngeren zählen, die sexuelle Lust manches Dreibeiners.

Die Machos missgönnen mir die Grazien, das geht mir durch den Kopf, sodass ich leise in mich hineinfluche: „Sakrament! Das kann ja heiter werden.“

Doch prompt wird mir klar, dass ich mich mäßigen muss. Auf den Kanaren sprechen viele Einheimische die deutsche Sprache, denn die ist wichtig auf einer Ferieninsel. Wegen der Urlaubermassen aus Deutschland können sie mit unserem Sprachschatz umgehen, daher nehme ich mich zurück. „Langsam sehe ich Gespenster“, murmele ich. Als ich jünger war, da hatte ich meine Nerven besser im Griff. Früher konnte mich nichts auf die Palme bringen, da war ich weniger empfindlich. Ist das auf mein Alter oder auf Corona zurückzuführen?

Eins von beiden ist es, doch die Machos oder Toreros sind mir egal, solange sie es beim Gaffen bleiben und nicht zum Grabschen übergehen. Jawohl, so muss ich denken. Zudem trifft Los Cristianos eh nicht meinen Geschmack. Dessen langweilige Hotels reihen sich wie die Schriftzeichen auf einem Gebetsteppich aneinander.

Im Rekordtempo hat man unzählige Bettenburgen aus dem Boden gestampft. Und die recken sich gen Himmel wie Pappeln, die man als Windschutz um Fußballplätze anpflanzt. Wegen der Pandemie sind die greisen Engländer, die ihre schwabbeligen oder ausgemergelten Körper würdelos zur Schau tragen, seltener geworden, trotzdem dominieren der Rollstuhl und die Betonklötze das Urlauberparadies für Pauschalreisende. Für uns La Gomera Liebhaber taugt der Ort höchstens als Zwischenstation, und nur in Notfällen für einen längeren Urlaub. Die Hafenstadt ist für die sich nach Ruhe und innere Einkehr sehnende Alternativszene ein ungeeigneter Platz.

Jedem das Seine, denke ich. Eine Stadt wie Los Cristianos ist Geschmackssache. Die Unterkünfte im Bottich für Nullachtfünfzehnurlauber sind sicher preiswert, dennoch gefallen sie uns nicht. Für unsere Wünsche nehmen wir lieber mehr Geld in die Hände, denn wir zählen beileibe nicht zur Urlaubersparte, die die Umgebung der Massenunterbringungsanlagen schätzen.

Aber was treibt uns beständig nach La Gomera? Ist es der Fluchtinstinkt? Mich, den siebzigjährigen Ingenieur, außerdem meine Frau Anna und die blondgelockte Karla, lockt die Wanderlust. Beide Frauen sind Lehrerinnen, und wie erwähnt befinden sie sich in einem Sabbatjahr. Schon viele Jahre sind wir perfekt eingespielt, denn in dieser Zusammenstellung sind wir oft auf die Insel unserer Sehnsucht gereist. Natürlich in der Ferienzeit, dabei haben wir vor Lebensfreude viel gelacht, aber wir haben auch Mord und Totschlag mitgemacht. Dass ein Freund an einem Knebel erstickt war, daran erinnern wir uns ungern. Seither haben Anna und ich keinen Fuß auf den Boden unserer Lieblingsinsel gesetzt.

Aber jetzt, viele Jahre nach dem Tod des Freundes, ist die Zeit des Trauerns abgeschlossen, denn wir haben uns den Floh in den Kopf gesetzt, für drei oder vier Monate im Tal des großen Königs zu überwintern. Die verheerende Brandkatastrophe vorm letzten Aufenthalt ist vergessen. Die verbrannten Flächen erholen sich zusehends, deshalb schrecken sie uns nicht ab, stattdessen stecken wir voller Erwartungen. Wir wollen durchschnaufen und die Gasrechnung möglichst niedrig halten. Den Horror der Welt wollen wir ausblenden, zum Beispiel die Klimakatastrophe und den Kriegsschauplatz Ukraine. Der Beschuss des größten Atomkraftwerks in Europa, der auf eine atomare Verstrahlung hinweist, jagt uns Angst ein.

Ich habe in jungen Jahren viel demonstriert, beispielsweise für die Friedensbewegung. Mit Sitzblockaden haben wir gegen das Aufstellen der Raketen mit Atomsprengköpfen in unserem Land protestiert. Diese Aktionen finde ich auch noch im nach hinein wichtig. Dagegen sind die Demos der Querdenker unnötig wie ein Kropf. Sie sind sinnlos. Von ihrer Notwendigkeit bin ich nicht überzeugt, deshalb vollziehe ich vor dem Eintreffen am Ziel einen ausführlichen Rückblick.

Es war beschämend, was sich in unserem relativ friedlichen Land auf den Straßen abgespielt hatte. Unter der Leitung der Rechtsradikalen hatten sich die sogenannten Querdenker aus ganz Deutschland zu einer Demo in Berlin versammelt. Mit dem Aufmarsch gegen die Corona-Auflagen und unter dem Deckmantel Demokratieverlust, marschierte eine große Zahl an Menschen zum Reichstagsgebäude. Unter der Führung der Minderbemittelten wurden dessen Treppen besetzt, wobei die Nazis mit dem Schwenken ihrer Reichskriegsbanner und dem Mitführen ekelerregender Hakenkreuzembleme abscheuliche Rituale aufführten. Der Hass der Verblendeten hatte unerträgliche Formen angenommen. Hoffentlich rüttelt deren Gewaltbereitschaft die demokratischen Kräfte in unserem freiheitsliebenden Land wach, denn der AfD sollte nur eine untergeordnete Rolle spielen, was hoffentlich in der Zukunft so bleibt.

Aber nicht nur die Politik, nein, auch der Familienkreis hatte Kopf gestanden. Und das war kein Wunder, bei vier wundervollen Enkelkindern. Zum ältesten Enkel, einem Jungen, hatten sich drei Mädchen gesellt. Glücklicherweise hatte das Virus keinen Schaden angerichtet, da niemand an Corona erkrankte. Unangenehme Realität gewann die Pandemie besonders dann, wenn man vor dem Supermarkt stand und die Mund- und Nasenbedeckung vergessen hatte, ansonsten informierten uns die Medienlandschaft und die Tageszeitung über die Vorschriften und die Inzidenzwerte optimal. Aber wie war es zur Pandemie gekommen? Was hatte sich im Leben der Allgemeinheit verändert? Wie war das mit dem Corona-Virus abgelaufen?

Das aus China eingeschleppte Virus hatte zu hohen Todesraten in Italien geführt, besonderes in der Lombardei. Die Toten hatten große Irritationen in der deutschen Bevölkerung ausgelöst. Jeder versuchte auf seine Art mit dem Pandemiegeschehen klarzukommen und ignorierte das Virus, sodass die Politik mit einem Lockdown reagierte. Der Eingriff wird in die Geschichtsbücher eingehen, denn er hatte das öffentliche Leben bis in die Grundfeste erschüttert.

Im allgemeinen Chaos wurden die Schulen und Kindertagesstätten geschlossen. Konzerte aller Art sagte man ab, das galt auch für Theateraufführungen und Ausstellungen, wodurch die Künstler und Freischaffenden der Verzweiflung naherückten, da sie alsbald am Hungertuch nagten. Auch Sportveranstaltungen, zum Beispiel Fußballspiele, übrigens des Deutschen liebstes Kind, wurden gestrichen. Später fanden die Spiele im Profibereich aus finanziellen Abwägungen als Geisterspiele statt, doch das war ein schwacher Ersatz für das heißgeliebte Livespektakel im Stadion. So wurde der Alptraum für jeden Fußballfan raue Wirklichkeit.

Aber wieder zurück zum Anfang der Pandemie. Von einem Tag auf den anderen galt die Schutzmaskenpflicht über Mund und Nase im öffentlichen Personennahverkehr, beim Einkauf im Supermarkt, auf Wochenmärkten, in Apotheken, in Drogerien und in Läden mit Waren des Ernährungsbedarfs. Das waren vertretbare Vorschriften. Trostloser sah es in der Kneipen- und Restaurantszene aus, denn deren Pforten schlossen sich. Erst das Abklingen der Ansteckungsgefahr führte zu Wiedereröffnungen, aber die Abstandsregel und Hygiene-Maßnahmen blieben, obwohl sich die Zahl der Gäste halbiert hatte, doch das bis dato funktionierende Lebensgefühl hatte die Pandemie ausradiert.

Auch die Wirtschaft- und Geschäftswelt ging am Krückstock, trotz eines nie dagewesenen Hilfsprogramms der Politik mit der Allzweckwaffe Kurzarbeit und Homeoffice. Dennoch reagierten die Geschäftsleute panisch, was zu Entlassungen und zu Geschäftsschließungen führte. Das machte aus den Innenstädten wahre Geisterstädte. Eine Pleitewelle sondergleichen legte sich über das Land. Manche Ladeninhaber kamen ihren Zahlungsverpflichtungen in Form der Miete nicht nach, daher boten die Fußgängerzonen einen trostlosen Anblick. Profiteure der Pandemie waren Onlineanbieter, denn die schraubten ihre Gewinnchargen in astronomische Höhen.

Geschlossene Lokalitäten also, wo man hinschaute. Während der Corona-Pandemie auszugehen, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Anstatt reichlich essen ging man gesunden Betätigungen nach. Uns Laufwilligen blieb das Joggen oder Nordic Walking, und davon machten wir mit den Stöcken dreimal pro Woche regen Gebrauch, aber nicht um dem Virus zu trotzen, sondern für eine stabile Gesundheit.

Als sich die Kurve der Neuinfektionen abflachte, demzufolge die Ansteckungen zurückgingen, wurden viele Einschnitte gelockert, so das Sportbetrieb und das Versammlungsverbot, was uns nicht tangierte, denn wir hatten das Nordic Walking beibehalten.

Wären nicht die abartigen Gruppenbildungen gewesen, man hätte zuversichtlich in die Zukunft blicken können, doch die Linksorientierten marschierten mit der AfD und den Verschwörungstheoretikern Seite an Seite durch die Stadt. Weiter missbrauchten die Verblendeten das Virus für ihre unguten Zwecke. Die Dresdner Aufmärsche der PEGIDA-Bewegung erlebten eine Renaissance, wobei Volksverhetzungsbegriffe zur üblen Tagesordnung gehörten.

In dem Rahmen fiel ein fragwürdiges Ehepaar negativ auf, das ich aus meiner politischen Zeit bei den Grünen kannte. Schon damals fand ich das Paar eigenartig, doch dass sich die im dritten Frühling befindenden Rentner als Verschwörungsideologen entpuppen würden, damit hatte ich nicht gerechnet. Jedenfalls erkannten die Nörgler die Gefährlichkeit der Pandemie nicht an. Sie sprachen von einer harmlosen Infektion, wie sie eine Grippe darstellt, doch die unnötige Hysterie war von Corona-Irrsinn geprägt. Im Außerkraftsetzen der Versammlungsfreiheit sahen sie eine Gefahr für die Demokratie, worüber die rechten Demagogen in ihrem Hitlerwahn nur Spott übrig hatten. Doch das schrullige Ehepaar verfolgte hartnäckig sein Ziel gegen den drohenden Demokratieverlust mit einer Petition vorzugehen.

Was aus der Petition geworden ist, das weiß ich nicht, aber das Verhalten war eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht der Corona-Toten, somit hatte sich das für den Erhalt der Demokratie eintretende Paar ins Abseits manövriert. Gottlob blieben sie eine Randerscheinung, denn die breite Masse hielt sich an die Anordnungen, und die negativen Auswüchse blieben die Ausnahme.

Es war daher keine Überraschung, dass unsere oft abtauchende Kanzlerin Flagge zeigte, was sie viel zu selten tat. Sie bezeichnete die Krise als größte Katastrophe nach dem zweiten Weltkrieg, und damit fand sie meine Unterstützung, obwohl ich politisch entgegengesetzt gestrickt bin.

Als man in NRW aufzuatmen begann, bedeutete die Verbreitung des Virus in der fleischverarbeitenden Industrie einen herben Rückschlag. Der Skandal war entsetzlich, denn die verheerende Massentierhaltung und die Unterbringung der Fremdarbeiter aus Ostblockländern kannte man, doch die Verantwortlichen verschlossen vor den unhaltbaren Zuständen die Augen. Nichts hören und sehen, das war ihre Leitformel. Erst durch die Erklärungsnot der Politik wurden die Arbeiter in Quarantäne genommen, mehr tat sich nicht. Ich habe den Corona-Ticker heute noch in meinen Ohren.

Für mich persönlich war die Kontaktsperre zum Sohn und zur Tochter, und damit zu den vier Enkelkindern eine Tragödie. Meine Kinder stammen aus erster Ehe, die viel zu früh scheiterte, aber die Trennung war ohne den befürchteten Rosenkrieg abgelaufen. So sind wir Freunde geworden, was nicht selbstverständlich ist und wovon die Kinder profitieren.

Jedenfalls hatte ich die liebgewonnenen Kindertreffen eingefroren, da ich durch einen vor vielen Jahren durchlebten Herzinfarkt zur Risikogruppe gehöre, und sich zwei der Enkelkinder im zarten Babyalter befanden. Die Schuld an der Kontaktunterbrechung zum Sohn trug der belgische Staat, auf dessen Territorium er mit seiner Familie in einem Reihenhaus wohnt, denn die belgischen Grenzbeamten hatten die Grenze zu Deutschland abgeriegelt. Nichts war’s mit den Errungenschaften des vereinigten Europa. Das Virus hatte den Verzicht auf das spaßige Knuddeln der Enkel zu verantworten, und das war mir weiß Gott schwergefallen.

Doch da gab es ja WhatsApp und das Skype-Programm, was wir nutzten, bis die Smartphone und Laptops qualmten. Und dann die Videos, mit denen ich von den Kindern eingedeckt wurde. Praktisch war ich bei jedem Entwicklungsschub der Enkelkinder mit Herz und Seele anwesend, wobei der Spaß großgeschrieben wurde, sodass ich das Lachen in Zeiten mit ungewissem Ausgang nicht verlernt hatte.

Die Welt war durch Corona aus den Fugen geraten. Trotz allem freuten wir uns wie die Schneekönige über den erdrutschartigen Sieg unserer Sibylle bei der Kommunalwahl, die als erste grüne Bürgermeisterin die Geschicke der Kaiserstadt lenkt, und über die komfortable Mehrheit der Grünen im Rat der Stadt Aachen. Aber auch anderes Erfreuliche trat zutage, und das war die Solidarität, denn die Mitmenschen halfen sich untereinander. Das äußerte sich darin, dass Jungen für die Älteren und Schwachen einkaufen gingen und andere Botengänge machten. Dazu war die Luft der Innenstädte besser geworden. Die sinkenden Emissionen durch den Umstieg aufs Fahrrad und der Rückgang des Autoverkehrs waren ein unerwarteter Segen für das Stadtklima, und auch das Weltklima sah verbesserten Zeiten entgegen, denn die Flugzeuge tummelten sich am Boden. Anfangs hatten Rückholaktionen der Urlauber über die Welt verstreut stattgefunden, doch das war’s dann.

Insgesamt war es ein auf der Stelle treten, doch wir lechzten nach dem Aufenthalt auf La Gomera. Uns fiel die Decke auf den Kopf. Nicht zu wissen, wie‘s weitergeht, war schlimm. Ich drohte depressiv zu werden. Als die Ausreisewarnung in den Sommerferien auf ganz Spanien erweitert wurde, musste uns ein vertretbarer Ausweg einfallen. Als Ersatz orientierten wir uns auf einen Auto Trip in den hohen Norden und damit zu einer Reise nach Dänemark. Temperaturbedingt war‘s ein Rückschritt, doch unsere Reaktion war folgerichtig, weil die Dänen ihren Einreisestopp kurzfristig aufgehoben hatten.

Bereut haben wir den Dänemarktrip nicht, trotz wechselhaftem Wetters mit kühlen Temperaturen, war’s doch eine aufregende Erfahrung. Das Durchstöbern der Hauptstadt Kopenhagen war phantastisch, denn wir erfreuten uns an der fahrradfreundlichsten Metropole der Welt. Auch der Besuch der Trutzburg Christiania, in der die Zeit der Hippies auflebte, war ein Genuss. Außerdem waren uns in der dänischen Metropole und auf der Insel Fünen wunderbare Radtouren gelungen. Und ebenso erlebnisreich war der Rückweg in die Heimat mit einem Stop in Schleswig-Holstein. Vom Fährhafen Dagebüll besuchten wir die Inseln Sylt, Föhr und Amrum. Damit gelangen uns erfreuliche Inselleckerbissen, trotz einiger Regenschauer, die der Sommer im Programm hatte. Aber eine Wanderung durch den Schlick des Wattenmeeres bereicherte den Aufenthalt und vergrößerte unseren Erholungsaspekt.

Doch bleiben wir beim Verlauf der Pandemie, denn die bestimmte weiterhin das Alltagsleben. Die Einschränkungen wurden zur Normalität. Gestützt auf sinkende Temperaturen, die den Anstieg der Messwerte begünstigten, rückte der Herbstaufenthalt auf den Kanaren in weite Ferne. Unser Fernweh durchlebte Höllenqualen. Besonders die Entwicklung in Spanien verlief alarmierend. Teneriffa meldete Horrorwerte, die den herbeigesehnten Flug ad absurdum führten. Der Verzicht auf La Gomera war für uns die Höchststrafe, doch trotz der Hiobsbotschaft verfielen wir nicht in Resignation.

Stattdessen beschäftigten wir uns mit einem Plan B, und der sah ein Überwintern auf La Gomera ab dem Januar des folgenden Jahres vor, obwohl uns der Bekanntenkreis als unvernünftig einstufte. Wir aber waren von unserem Plan total überzeugt, so konnte uns keine Macht der Welt von der Reise auf die Kanaren abbringen. Auch eine zu befürchtende Quarantäne nach der Rückkehr erzeugte bei uns kein Umdenken. Den Mutigen gehört die Welt, so in etwa dachten wir beim Wunsch des Überwinterns. Nicht mal die Reisewarnung der Bundesregierung schreckte uns ab, da kein Virologe die Gefährlichkeit der Pandemie während des Aufenthaltes auf den Kanaren einschätzen konnte. Wie das Zustandekommen des Krieges in der Ukraine wäre es das Handlinienlesen auf dem Jahrmarkt gewesen. Dass ein Impfstoff schneller als erwartet vor der Vollendung stand, und der alsbald verfügbar war, die Entwicklung feierten die Medien wie die Auferstehung Christi, als handele es sich um eine von Gott entsandte Wunderdroge.

Schon bastelte man an der Herrichtung der ersten Impfzentren. Mit viel Aufwand rüstete man in Aachen das Eisstadion um. Wann und vor allem wer den Impfstoff verabreicht bekommt, darüber wurde in der Politik heftig gestritten, denn wir befanden uns im Lockdown, der aufs Gemüt drückte. Doch davon unbeeindruckt spritzte uns der Hausarzt die erste Impfdosis, und später die Zweite. Nun fühlten wir uns rundherum sicher.

Kurzentschlossen machten wir einen Test und besuchten Kreta, denn die Insel stand uns Geimpften weit offen. Dort forderte man nur beim Museumsbesuch unseren Impfnachweis, und beim Benutzen der Innenräume eines Restaurants, aber das kam selten vor, denn das Leben auf Kreta spielt sich im Freien ab. Durch Temperaturen von 37° verständlich. Bei unserer Reise über die Insel mit dem Linienbus besuchten wir fünfundzwanzig Jahre zurückliegende Ziele für Rucksackreisende wie Pitsidia und Paleochora, die erfolgreich endeten. Außerdem hatte sich das Vorhandensein unserer Widerstandskräfte eindrucksvoll bestätigt.

Danach nahm die Ampelkoalition Gestalt an und damit der Auftritt für Olaf Scholz. Der wurde der Nachfolger Angela Merkels, wer hätte das vor einem Jahr gedacht. Ob die vielbeschworenen Zukunftsvision unter seiner Führung mit den Grünen und der FDP gelingt, daran hege ich berechtigte Zweifel. O Gott, o Gott, die Porsche-FDP bekam das Verkehrsministerium. Bei der Vorstellung standen mir die Haare zu Berge. Wie konnten sich die Grünen darauf einlassen? Es wurde gemunkelt, dass der clevere Christan Lindner die unerfahrenen Grünen über den Tisch gezogen hätte. Nun gut, das passiert Frischlingen. Das Aushandeln der Kompromisse will gelernt sein.

Eine vernünftige Lösung war Karl Lauterbach als Gesundheitsminister. Er ist der richtige Mann zur Bekämpfung der vierten Corona-Welle, die mit abscheulichen Inzidenzwerten den Dezember bestimmte. Durch eine große Zahl an Geimpften fielen sie in Spanien niedriger aus, nur auf den Kanaren stiegen die Werte rasant. Wir Zweifachgeimpfte fühlten uns dennoch für die Reise in die warme Region gewappnet. So feierten wir mit der zusätzlichen Busterimpfung im Rücken das Weihnachtsfest im Familienkreis, danach sollte es losgehen. Wie lange ich es ohne die süßen Enkelkinder in der Ferne aus-halte, das ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Nachdem auch die Silvesterfete mit Freunden über die Bühne gegangen war, setzten wir das Unternehmen ohne Gepolter in Bewegung. Die Heizung ist ausgeschaltet, was die Gasrechnung entlasten wird, ansonsten ist für alles gesorgt. Während der Abwesenheit kümmert sich eine Freundin um die Pflanzen auf den Fensterbänken, dazu um den Garten. Den Kleinwagen übernimmt Volker, also kann das Überwintern beginnen.

Die Anreise nach Teneriffa mit dem Flieger von Köln hat also problemlos geklappt. Freund Volker hat uns mit Karla und den Rollkoffern in unserem City Go nach Köln zum Flughafen gefahren. Wann wir zurückkehren, und er uns abholt, das steht in den Sternen. Aber dass er das tun soll, das ist zumindest der Plan, und ich denke, es wird funktionieren.

Doch ist die Flugreise nach Teneriffa zwingend nötig? Gibt es keine umweltfreundlichere Anreisemöglichkeit?

Alles andere ist Utopie, denn der Flug muss sein, obwohl die Flugpreise drastisch gestiegen sind. Wir können auf das Fortbewegungsmittel Flugzeug nicht verzichten. Die Anreise auf dem Landweg mit der Bahn quer durch Frankreich und Spanien bis Cadiz, und dann mit der Fähre nach Teneriffa, die ist langwierig. Ein Segelschiff, wie es Greta Thunberg zur Verfügung stand, um an der UNO-Vollversammlung in den USA teilzunehmen, liegt außerhalb unseres Finanzrahmens. Daher stehen wir zu der Umweltsünde, um den heimischen Wintermonaten zu entgehen. Natürlich auch aus Liebe zu La Gomera, denn uns gefällt der tagtägliche Sonnenschein und das milde Klima. Unsere Trauminsel bietet die idealen Möglichkeiten, den leeren Akku aufzutanken und die Gasrechnung in Grenzen zu halten. Dass und das gelingt, davon gehen wir durch die Überwinterungswochen aus.

Im Hafen von Los Christianos angekommen bleibt uns eine Stunde bis zur Abfahrt der Fähre zur Hauptstadt San Sebastian auf La Gomera. Und wir haben Glück, denn wir finden auf der Terrasse des Hafengebäudes einen windgeschützten Platz. Nun harren wir der Dinge, die da kommen. Die Direktfähre ins Valle Gran Rey wurde aus dem Programm genommen, ebenfalls die Verbindung von San Sebastian per Boot in den Hafen von Vueltas. Das sind die Auswirkungen der Pandemie durch die gesunkenen Benutzerzahlen.

Da ich hungrig bin, esse ich ein mit Serrano-Schinken belegtes Brötchen, dazu gönne ich mir einen Kakao mit Sahne. Meine Begleiterinnen schlürfen an ihrem Cappuccino. Beide sind Lehrerinnen, so scheint das Gesöff eine Lehrerkrankheit zu sein. An den Tischen erkenne ich einige uns vertraute Gesichter. Denen nicke ich aus freundschaftlicher Verbundenheit zu. Man kennt sich vom Valle Gran Rey. Im Tal des großen Königs ist das Treiben überschaubar. Aber heute warten wenige Mitreisende auf die Abfahrt der Fähre. Es fehlen die Gleichgesinnten und die Stammgäste, die uns in den Ferienzeiten auf die Insel begleitet hatten und die wie wir im Valle eine zweite Heimat sehen.

Halleluja, der schwache Zuspruch ist für die Vermieter der Unterkünfte eine Farce. Trotz halbwegs überstandener Pandemie ist die Zahl der Touristen den Bach runtergegangen. Doch das ist nicht verwunderlich, denn den Wanderfreunden wurde durch Corona und die Unsicherheit am Arbeitsplatz der Geldhahn abgedreht. Die Krise belastet die Reisekassen und verschont keine Gesellschaftsschicht. Gott sei Dank gibt es die Wanderer, die der Insel den Leerstand nicht antun.

Tja, die Brandkatastrophe vor sieben Jahren hatte La Gomera in einen jämmerlichen Zustand versetzt, aber es genügten wenige Jahre, und schon sah die Bananeninsel recht passabel aus. Nach der Apokalypse ist der Bewuchs zumindest stellenweise wieder üppig grün und damit liebenswert. Über die Fortschritte wurden wir von Karla, die ihren Freund Manuel so oft es ging besucht hatte, auf dem Laufenden gehalten, daher sind wir gespannt auf das Ausmaß, in dem das neue Grün die Brandschäden überdeckt. Aber wodurch wurde das Feuerszenario ausgelöst?

Ein Blitzeinschlag scheidet aus. Aber welche Mächte waren es dann, die La Gomera schaden wollten? Hatte ein Trottel mit einer weggeworfenen Zigarette das Inferno verursacht? Oder entspricht die zu vermutende Brandstiftung der Wahrscheinlichkeit?

Ermittlungserfolge lassen bis heute auf sich warten. Nach Pressemitteilungen und den Informationen Manuels gibt es keine Festnahmen. Die Erfolgsrate tendiert gen Null. Für mich ist die verheerende Aufklärungsquote auf eine miserable Polizeiarbeit zurückzuführen, was nicht verwundert, denn wer die Guardia Civil kennt, für den ist Schlamperei wahrscheinlich.

Andersherum könnten gewisse Kreise die Aufklärung bewusst torpedieren. Die Interessenvertreter eines ungehinderten Feriendomizilausbaus brauchen bebauungsreife Grundstücke, deshalb hatten sie einen Brandstifter beauftragt, und der hatte beim Zündeln die Kontrolle über das Ausmaß der Feuersbrunst verloren. Das klingt logisch. Und dass das mit der Beschaulichkeit auf der Insel ein Alptraum werden kann, und man sich stattdessen mit Mord und Todschlag herumschlagen muss, das hatte mir der Tod des Freundes bewusst gemacht.

Anna und ich sind seit fünfundzwanzig Jahren Bestandteile des Valle Gran Rey, und Playa ist das Herzstück unserer Urlaubsaktivitäten. Mit Enthusiasmus war es uns gelungen, das Treiben auf der Uferpromenade zu genießen, dabei hatten wir ein dreißig Quadratmeter großes Studio mit Balkon zum Meer bevorzugt, welches das beruhigende Meeresrauschen bot, das wir lieben. Von dem Balkon beobachteten wir das Geschehen um uns herum und fühlten uns mittendrin in den Abläufen. Ein weiterer Vorteil war: Vor dem Gang zum Bäcker ging ich an den Strand und sprang ins Wasser. Damit tat ich eine Menge für meine Ertüchtigung.

Doch diesmal wird alles anders. Für unser Überwintern haben wir eins von Manuels preiswerten Studios oben in La Calera gemietet, denn der verlangt nur den Freundschaftspreis. „Das ist Ehrensache“, so hat Manuel den beachtenswerten Preisnachlass begründet.

Für uns ist die bezahlbare Unterkunft wichtig, denn bleiben wir vier Monate, dann würde uns ein hoher Mietpreis auffressen. An der Promenade zu wohnen ist zwar wunderbar, aber es ist teuer, außerdem kann der Rummel unangenehm werden.

Optisch ist das Valle Gran Rey ein Augenschmaus. Es ist im Vergleich zu Teneriffa nicht verhunzt. Zwar haben sich im Tal einige Anlagen angesiedelt, zum Beispiel in Borbolan, in La Puntilla, und am befestigten Weg zum Playa del Ingles, aber deren Menge hält sich in Grenzen. Zudem sind es keine Betonsilos, die den positiven Charakter der Landschaft verschandeln. Nein, gottbewahre, die im altbewehrten kanarischen Stil gestalteten Wohnanlagen fügen sich zurückhaltend in die traumhaft schöne Küstenregion ein.

Auf das ausgefüllte Leben mit wunderbaren Wanderungen ist unsere Vorfreude riesengroß, aber noch sind wir auf Teneriffa und es ist viertel vor Zwei. Die Nachmittagsfähre biegt in das Hafenbecken ein. Dann wendet sie und legt an der Kaimauer an. Das Anlegemanöver ist ein beglückendes Schauspiel.

Wir schnappen uns die Rollkoffer und verlassen das Hafengebäude, zuvor hatten wir die Überfahrtstickets erworben. Als wir die Seitengangway zum Hinaufsteigen auf das Oberdeck nutzen, ergießt sich ein Schwall Autos aus dem Bauch des Katamarans über den Hafenvorplatz, denn die Fred Olson Fähre ist ein Riesengerät. In dem ist die einstündige Überfahrt auch bei bewegter See ein Kinderspiel, und das sogar für Seekrankheitsanfällige. Aber wehe, es ziehen Saharastürme wie der Calima auf und das Meer wird dementsprechend rau. Doch an Extremfälle dieser Art denke ich besser nicht.

Während der gemütlichen Überfahrt setze ich mich zu Karla. Ich habe Redebedarf, deshalb quatschen wir über alte Zeiten. „Erinnerst du dich an das Pärchen vor fünf Jahren, das wir auf der Fährüberfahrt kennengelernt haben“, frage ich Karla. Und die fragt zurück: „Du meinst die Hübsche aus Aachen und den Seebär aus Schleswig-Holstein?“

„Ja, die meine ich. Stell dir vor, die haben geheiratet und sie ist zu ihm in den Norden gezogen. Anna und ich waren bei der Hochzeit dabei.“

Meine Frau schläft oder sie tut zumindest so. Danach ist es Karla, die vor Zuversicht strotzt: „Wir werden eine erlebnisreiche Zeit auf der Insel verbringen“, erzählt sie. „Glaube mir das. Ich habe die wunderbarsten Wanderungen ausgeheckt.“

Nach fünfundvierzig Minuten legt die Fähre im Hafen San Sebastians an, wo wir erwartungsfroh von Bord staksen. Endlich betreten wir den Boden des von uns heißgeliebten La Gomera. Wir gehen mit den Koffern zu Carlos, der mit seinem Großraumtaxi auf uns wartet. Den hat Manuel in den Hafen beordert, was uns die Fahrt mit dem Linienbus oder einem Taxi quer über die Insel erspart. Auch Carlos leidet unter der Pandemie und ist froh über die Fuhre. Er wird uns ein Bild über die Fortschritte beim Bewuchs der Brandflächen im Parque Nacional abliefern, so setzt sich Karla neben Carlos auf den Beifahrersitz, worauf der wegen ihrer hervorragenden Spanischkenntnisse besteht. Anna und ich setzen uns in die Bank hinter ihnen.

Vor vierundzwanzig Jahren sahen wir Karla in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens. Wir flogen damals mit der Fluggesellschafft IBERIA über Madrid nach Teneriffa. Karla stand da in ihren Wanderstiefeln und ich wusste sofort: Aha, die Schönheit ist eine La Gomera Urlauberin. Und beschnuppert haben wir uns als Fahrgemeinschaft im Taxi von San Sebastian ins Valle Gran Rey, sodass die Fahrt in eine wunderbare Freundschaft mündete. So wurde unsere Lieblingsinsel zum gemeinsamen Lebensfixpunkt.

Wir sind eine viertel Stunde in der zerfurchten und zerklüfteten Bergwelt unterwegs, schon hält Carlos einen detailgetreuen Vortrag über die Dramaturgie der Brandtage. In Spanisch natürlich. Ich habe Mühe, dem Erguss zu folgen. Er stoppt sein Taxi an Stellen, bei denen die scheußlichsten Brandwunden durch eine intensive Aufforstung ihren Schrecken verloren haben. „Es wird hundert Jahre dauern, bis sich der Nationalpark wieder in seiner Urwüchsigkeit präsentiert“, erklärt er uns.

Nun ja, bei seinem Erzählen überfällt mich ein Gänsehautfeeling, dennoch halte ich das Zeitfenster für übertrieben. Doch das Anhimmeln ihres Archipels mit seiner Flora und Fauna liegt den Nachfahren der Guanchen im Blut. Sie vergöttert jede Palme, jeden Berg- und Stausee, jedes malerische Bergdorf, und natürlich den höchsten Berg, und das ist der tausendvierhundertachtzig Meter hohe Garanjonay.

Auch ich bin vernarrt in die berauschende Bergkulisse und in jeden Quadratmeter der bestechend schönen Landschaft, die aus endlosen Regen- oder Lorbeerwäldern besteht. Jeder, der mit der Handykamera Jagd auf herrliche Motive macht, kommt in der fast unberührten Natur voll auf seine Kosten. Jeder La Gomera Tourist wird meine Euphorie nachvollziehen können, denn von dem Naturereignis Parque Nacional de Garajonay kann man nicht genug bekommen, geschweige denn sich an ihr sattsehen. Besonders stolz bin ich auf die Ausstrahlung des Valle Gran Rey, wo wir uns in den kommenden vier Monaten aufhalten werden. In der Region ist alles stimmig. Sie bildet für mich den Nabel zur Welt.

Entschuldigen Sie bitte, denn mich hat ein Anfall an Lobhudelei befallen, der mich bei jeder Fahrt durch die Bergwelt heimsucht. Doch brennend würde mich Krimi-Leser interessieren, ob es erwähnenswerte Neuigkeiten zur Brandkatastrophe gibt?

Zu dem Themenkomplex spekuliert Carlos, und das vogelwild: „Für mich haben die Brände in der Nähe der Ortschaft Alajero begonnen. Jeder Einheimische geht felsenfest von bezahlter Brandstiftung aus.“

Oho? Ich bin kribbelig und spitze die Ohren. Carlos hat von absichtliche Brandstiftung gesprochen? Hol mich der Henker. Wurde das Feuer tatsächlich bewusst gelegt? Und wenn ja, warum?

Der Taxifahrer behauptet weiter: „Gut möglich ist auch das Abfackeln zum Vertuschen einer Schweinerei. Aber welche? Darüber schweigen die Bullen.“

Hm, abwegig klingt das nicht, denke ich. In Südeuropa ist das Brandroden eine beliebte Methode zum illegalen Landgewinn. Aber wer macht das hier in den Bergen La Gomeras? Im Nationalpark sind Grundstücksspekulationen so normal wie in der Antarktis, doch die Ortschaft Alajero ist bei Ferienhauskäufern beliebt. Für Carlos befindet sich die Immobilienmafia im Krieg mit den nervös gewordenen Grundstücksspekulanten, gerade wegen des durch Corona stillgelegten Marktes. Anscheinend gibt sich die undurchsichtige Schwarzgeldbrut auch im Valle Gran Rey die Klinke in die Hand.

Fasse ich meine Gedanken zusammen, dann ist die Insel nicht mehr so unbefleckt, wie sie es vor dreißig Jahren war. Früher herrschten hier zwischen den Menschen göttliche Zustände. Mit leuchtenden Augen erinnere ich mich an die achtziger Jahre. Damals war das Zusammenleben auf der Insel phantastisch. Es war friedlich und von gegenseitiger Achtung getragen. Das Verhalten der Freaks zu den Wanderern und Einheimischen war in Ordnung, denn das Miteinander war von Harmonie geprägt. Noch war der Massentourismus auf der Insel kein Thema und das Auftauchen der Generation Neckermann war weit weg jeglicher Realität. Damals standen kulturelle und bewusstseinserweiternde Werte in voller Blüte.

Als wir seinerzeit die Insel der Glücksseligkeit für uns entdeckt hatten, da gab’s keine Polizeistation der regionalen Polizei, geschweige denn eine Niederlassung der Guardia Civil.

Doch mit und mit wurde das Hippietreiben an den Rand gedrückt, denn es gehörte viel lichtscheues Gesindel zu den Neuankömmlingen, prompt war der Traum von der Selbstverwirklichung in der freien Liebe und ähnlicher Errungenschaften ausgeträumt. Von dem Zeitpunkt an war es die Polizei, die den Drogenhandel und deren Gebrauch überwachte. Die Bullen bestimmten mit Kontrollen die alltäglichen Abläufe. Auf einmal war der Drogenmix manchem Geschäftemacher ein Dorn im Auge. Wer aber verdiente seinen Zaster mit der Drogenkacke?

Uns war ein Kleindealer bekannt, und das war der Walter aus der Eifel. Das Schlitzohr trug sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, womit er unschuldig aussah, aber er lebte vom Dealen, bis wir ihn mit einem Loch in der Stirn beim Wandern gefunden hatten. Das war in einem Drogendepot unweit Alajeros. Dem Mistkerl weint niemand eine Träne nach. Schlimm dagegen war, dass unser Freund Georg, der seinen Tod aufklären wollte, durch einen falsch gesetzten Knebel ums Leben gekommen war.

Der Trip mit dem Taxi über die Höhenstraße führt uns vorbei am Alto de Contadero und an La Laguna Grande, dem Grillplatz der Einheimischen. Nach dem Abzweig nach Vallehermoso fahren wir durch Arure. Der Ort ist das Eingangstor zum Valle Gran Rey, zu der Welt, die wir lieben. Wir lassen den Abzweig zum Mirador dos Santo hinter uns, der noch eine wichtige Rolle spielen wird, und biegen in das wunderschöne Tal der tausend Palmen ein. Nun geht’s in Serpentinen abwärts, dabei durchfahren wir zwei Tunnel.

Carlos erzählt, dass bei der Evakuierung nicht alle Maßnahmen reibungslos geklappt hatten, doch die Bewohner konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Kein Menschenleben kam zu Schaden. Nur die in ihren Ställen eingesperrten Tiere, zum Beispiel Ziegen, Schafe oder das Federvieh, seien jämmerlich in den Flammen umgekommen. Auch die Esel und die Pferde unterhalb der Ermita waren vom Verbrennungstod bedroht.

Aber ein Hoch auf die Solidarität, denn die Vierbeiner wurden gerettet und die vor dem Flammenmeer Geflüchteten fanden Unterschlupf bei den Fluchthelfern, und das waren nicht nur ihre Verwandten, denn die Inselbewohner rückten eng zusammen.

Ein Segen für die Brandbekämpfung war die Bruchsteinmauer des Barranco im Ortsteil La Calera. Die aus EU-Mitteln finanzierte Begrenzungsmauer, und der böige Gegenwind vom Meer, hatten dem Vordringen der Feuerwalze bis an die Playa getrotzt. Durch den Kahlschlag im Baustellenbereich fand das Feuer keine Nahrung, somit hatte die Finanzspritze aus Brüssel auch eine gute Seite.

„Bravo, Carlos“, entfährt mir ein Lob. „Deine Schilderungen sind irre interessant.“

Hat mich Carlos verstanden? Ein Lächeln huscht über seine Mundwinkel. Als wir El Guro erreichen, erzählt er uns die Brandgeschichte des Ortes. „Das Dorf im Hang ist fest in deutscher Künstlerhand“, berichtet er. „Gerade in der Hochburg der Esoteriker hatte das Feuer erbarmungslos gewütet.“

Carlos stoppt sein Taxi auf dem Parkstreifen unterhalb der Wohnbebauung.

„Bum“, bum“, gestikuliert er, dabei lässt er das Lenkrad los und fuchtelt mit den Händen herum. „Wie bei einem Bombardement oder Silvesterfeuerwerk hatte es sich angehört, als die Propangasflaschen der Küchen in die Luft flogen. Das glich dem von den Verschwörungstheoretikern prophezeiten Weltuntergang. Mehrere Künstlerklausen hatte das Feuer zerstört. Von einigen sind nur Ruinen übriggeblieben, aber an vielen Häusern sieht man die Fortschritte des Wiederaufbaus.“

Wir setzen unsere Fahrt bis La Calera fort. Dort steigen wir aus und bedanken uns gestenreich, um mit Karla zu ihrem Manuel zu eilen, der uns freudig empfängt. Er händigt uns die Schlüssel zu unserem Domizil aus, dabei sagt er, durch die Beziehung zu Karla in einem akzeptablen Deutsch: „Ihr habt ein großes Apartment gemietet, das ist großzügig ausgestattet und schön eingerichtet. Fühlt euch in ihm wie zuhause.“

Karla bleibt bei Manuel, bei dem sie wohnt. Also watscheln wir allein mit den Koffern und den Schlüsseln bewaffnet zu unserer Bleibe, denn wir fühlen uns krumm und lahm. Das stundenlange Sitzen, sei’s im Flieger, auf der Fähre oder im Taxi, fordert seinen Tribut. Aber was wir sehen, begeistert uns. Unsere Unterkunft ist fabelhaft. Das Appartement ist modern eingerichtet und hat eine Duschvorrichtung, ganz wie daheim. Ansonsten ist alles so, wie es uns Manuel versprochen hat.

Wir stellen die Koffer ab und gehen auf die Terrasse, dort atmen wir kräftig durch, dabei ergötzen wir uns an dem Aus-blick auf den superbreiten Strand. Der liegt etwa zweihundert Meter von uns entfernt und präsentiert sich makellos bis hin nach La Puntilla. Die Wellen donnern mit Karacho auf den schwarzen Sand, oder bäumen sich zu gigantischen Bergen an der Mauer zur Promenade auf, dann bersten sie in ihre salzhaltigen Elemente. Es ist die sich ständig wiederholende Szenerie einer begeisternden Dramaturgie. „Aqui tenemos el paraiso“. Wir befinden uns im Paradies. Zurecht behaupten das die Einheimischen.

Nun gut, die dreizehnstündige Anreise von der Haustür bis in unser Apartment ist abgeschlossen. Wir reißen uns von dem unwiderstehlichen Atlantikanblick los und staksen zum Supermercado, nicht weit von unserer Bleibe entfernt, den führt Manuels Schwester. In dem kaufen wir die notwendigsten Lebensmittel ein und verstauen den Einkauf im Küchentrakt, erst danach nehmen wir unsere Klamotten aus den Koffern und stapeln sie in die dafür vorgesehenen Schrankunterteilungen. Und damit fertig, duschen wir, um uns anschließend in frische Klamotten zu schmeißen, denn wir sind mit Karla verabredet. Mit der gehen wir zum Abendessen hinunter an der Casa-Maria vorbei in die Yaya-Bar.

In der Heimat wurde ich oft von ehemaligen La Gomera Besuchern gefragt: „Gibt es die Casa-Maria überhaupt noch?“

Worauf ich achselzuckend geantwortet hatte: „Ja, aber im Moment gammelt sie vor sich hin, denn sie steht leer und leidet.“

Mein Zustandsbericht über die Casa-Maria wurde mit großem Bedauern registriert, denn das Wahrzeichen an der Playa hat bei jedem La Gomera Besucher einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

An der Yaya-Bar angekommen, setzen wir uns vor dem Lokal an einen Tisch. Ich bevorzuge die kanarische Küche und esse mein Lieblingsgericht, das sind die Chocos à la plancha mit papas arrugadas und scharfer Mojo-Soße. Es schmeckt phantastisch, dazu schauen wir der Show der Trommler zu, die sie für die Sonnenuntergangsanbeter veranstalten. Es ist ein beliebtes Ritual auf den Kanaren. Mit den Feuerspektakeln feiert eine bunte Schar an Residenten vor der Casa-Maria das faszinierende Szenario der untergehenden Sonne am Horizont. Aber was wird aus dem Szenekomplex? Angeblich gibt es, trotz jahrelangem Leerstand, einen Kaufinteressenten? Was hat der mit dem Denkmal vor?

Wir sind zwar hundemüde, nichtsdestotrotz wechseln wir in das angesagte Lokal um die Ecke hinüber, denn die Musik-Bar ist das absolute Muss für die musiksüchtige Karla. Früher zelebrierte sie ihre bewunderten Tanzauftritte bei cooler Live Musik vor der Casa-Maria, doch wie erwähnt gammelt die vor sich hin. Die Farbe bröckelt ab und es haben sich gefährlich Risse in der Fassade gebildet. Das sind die Anzeichen des Verfalls. Ist der Zustand das Todesurteil für den geschichtsträchtigen Bau an der Playa? Sämtliche Umstände deuten auf das Ende durch seinen Abriss hin.

Aber zurück ins Hier und Jetzt, und das ist die Musik-Bar. Die hat die Casa-Maria in der Funktion als musikalisches Highlight im Valle Gran Rey abgelöst. Bis auf den Ruhetag treten verschiedenste Bands mit Rang und Namen auf, den sie sich durch Auftritte auf der Insel erworben haben. Der Besitzer der Bar ist kein Geringerer als Klaus Kleber, der Star der Aussteigerszene, der es sich allabendlich nicht nehmen lässt, die Musikgruppen dem Publikum vorzustellen. Die verwöhnen die Gäste in unterschiedlichen Stilrichtungen, unter anderem mit Flamenco oder Salsa, aber auch Rockmusik und Blues gehören zum Programm.

Jener Kleber ist clever, denn er erspart sich das Bezahlen der Musiker. Für die Auftritte vermeidet er den Griff in seine Privatschatulle, sondern lässt eine Sammelbehälter durch die Zuhörer kreisen, in den so manches Scheinchen, aber auch viel Kleingeld landet. Dass im Lokal nicht getanzt wird, darauf achtet er mit Argusaugen. Damit verhindert er das Einschreiten der Guardia Civil die ihm bei Nichteinhaltung seine Lizenz für Musikauftritte entziehen müsste, was die Einnahmen verdirbt.

Und die braucht Kleber. Er ist schließlich ein angesehener Unternehmer, und vor seiner Lokalität macht selbst Covid 19 nicht halt, also drückt er dem Lokal den Stempel der Enthaltsamkeit auf.

Am heutigen Abend spielt die aus der Casa-Maria Zeit übriggebliebene Casa-Maria Band, und die erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Sie tritt zweimal in der die Woche zu einem spanischen Gitarrenspektakel mit Gesangsuntermalung auf und lockt durch den begnadeten Sänger eine stattliche Fangemeinde ins Lokal, obwohl die Songs über Liebe, Trauer und Schmerz vor Schmalz nur so triefen. Spötter nennen die Musik Kanaren-Polka. Und wie so oft ist die blondgelockte Karla der Schwarm der einheimischen Männerwelt, doch an die sie Anschmachtenden verschwendet sie keine Blicke. Sie liebt ihren Manuel und der hat die Liebe verdient.

Nach jedem Lied ernten die Interpreten enthusiastischen Applaus. denn ihre stimmungsvollen Evergreens servieren sie hochklassig. Zu dem Auftritt gilt folgendes: Entweder man mag die Dudelei auf Volksmusikniveau, oder man bleibt weg.

Auch Manuel ist aus La Calera zu uns in die Musik-Bar heruntergeeilt. Neben dem Vermieter ist er Friedensrichter und damit eine Institution im Valle. Mit ihm lauschen wir den Gitarrenklängen und den begeisternden Gesangseinlagen, doch trotz des enormen Geräuschpegels und der Begeisterung deutet Karla auf einen abseits stehenden Mann, den Anna und ich nicht kennen.

„Der Mann sieht gut aus, oder?“, flüstert sie mir ins Ohr. „Sei ehrlich. Der hat was.“

Ich frage ungläubig zurück: „Meinst du den Kerl mit dem schütteren Haar und dem Schwänzchen?“

„Ja, der. Er ist aus Teneriffa und der Schwager des ehemaligen Oberkellners der Casa-Maria. Sein Name ist Ernesto.“

„Was macht der hier“, frage ich dazwischen.

„Er gehört zu einer Einheit der Geheimpolizei und arbeitet als verdeckter Ermittler.“

„Aha, so wie früher unser Freund Fernando, also eine Art Spion im Untergrund“, erwidere ich, wobei ich schmunzele, denn Karla hat bei den Männern einen merkwürdigen Geschmack.

„So ist es, Richard“, beteuert Karla. „Lache nicht über mich, denn ich finde ihn toll. Mir gefällt seine charismatische Ausstrahlung. Aber sei vorsichtig bei dem was du sagst, denn er spricht deutsch.“

„Woher weißt du das?“

„Manuel erfährt in seiner Funktion als Friedensrichter so ziemlich alles, was wissenswertes im Tal abläuft“, klärt mich Karla auf. „Außerdem sind Hinz und Kunz miteinander verwandt, da ist Geheimhaltung schwierig.“

Eine mit Herzschmerz vorgetragene Liebesschnulze erzeugt Emotionen bei den Insulanern. Die haben orkanartigen Beifall aus Geklatsche und Getrampel zur Folge, sodass der Austausch unmöglich wird. So ziehe ich mich vom Getümmel zurück und überlege, denn der Geheimagent hat meine kriminalistische Ader geweckt.

Ernesto ist also der Nachfolger des mit uns befreundeten Fernando, mit dem ich Alonso der Gerichtsbarkeit ausgeliefert hatte. Anscheinend musste Fernando dem Mann mit dem Schwänzchen das Feld überlassen, doch der wird die Brandkatastrophe nie aufklären. Lege ich meine Menschenkenntnis zugrunde, dann ist er ein Blender, den nur Geld interessiert, das er ohne großartigen Aufwand einheimsen kann. Ist meine Beurteilung über Ernestos ein Fehler oder gar gewagt? Mache ich es mir aus reiner Abneigung zu leicht und ich verrenne mich bei ihm in ein Vorurteil?

Nachdem ich Ernesto ausgiebig beurteilt habe, gleite ich zu den häufig auftretenden Korruptionsskandalen auf der Insel ab. Verbirgt sich hinter der Brandattacke eine Interessenüberschneidung gewisser Leute, die auch beim Abriss der Casa-Maria ihre Drecksfinger im Spiel haben? Ist das ein logischer Gedankengang, oder sehe ich Gespenster?

Das Gebäude ist in den Korruptionssumpf geraten, denke ich weiter, und in dem Sumpf liegt der Hase im Pfeffer. Wie sonst soll man die Heimlichtuerei um ihren Abriss nennen? Sagt man dazu: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, oder drückt man es direkter aus, in etwa so: Stecken in dem Zusammenhang hier alle unter einer Decke?

Ein Griff an meinen rechten Arm schreckt mich auf. Anna ist mir gefolgt und reißt mich aus den Gedanken, daher kehre ich mit ihr in die Gesprächsrunde vor der Musik-Bar zurück.

Dort hat sich ein Frankfurter Pärchen zu uns gesellt. Wir begrüßen sie, denn Petra und Rainer kennen wir eine Ewigkeit. Meistens meiden wir sie, denn wie so oft haben sie Krach und das nervt.

Leider haben sie eine erschütternde Nachricht für uns, denn unser langjähriger Weggefährte Arno aus Frankfurt ist gestorben. Angeblich soll er Selbstmord begangen haben, was uns unvorstellbar vorkommt. Befand er sich mit uns auf der Insel, dann war er gutgelaunt und für jeden Spaß zu haben. Solch ein sympathischer Mann bringt sich nicht um. Oder stand er in der Heimat vor einem Scherbenhaufen, von dem wir nichts ahnten, weil er das Problem überspielt hatte? Vielleicht erfahren wir mehr über die Umstände seines Todes während des Aufenthaltes? Bis dahin nehmen wir die Horrornachricht hin, denn deren Wahrheitsgehalt lässt sich schlecht überprüfen.

Ich schiebe die unerfreuliche Nachricht in den Hintergrund, und frage die Frankfurter, die mindestens zwei Wochen vor Ort sind: „Ist euch Fernando über den Weg gelaufen?“

Petra ist nicht überrascht und antwortet: „Euren Ermittlerfreund habe ich in diesem Urlaub nicht gesehen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Man munkelt“, mischt sich Rainer ein, „er hat sich mit der Guardia Civil angelegt. Aber was Genaues weiß ich nicht.“

„Was du da erzählst, das ist Blödsinn“, wird Petra prompt zickig und schaut ihren Partner mit Missachtung an. „Du weißt gar nichts. Der ist auf Teneriffa, wo sonst.“

Eine ihrer üblichen Streitereien bahnt sich erneut den Weg.

Ich wage den Versuch, die Zankhälse zu besänftigen, daher stelle ich ihnen die spekulative Frage: „Der Taxifahrer Carlos hat behauptet, das Feuer hat sich von Alajero durch die Berge gefressen. Wisst ihr mehr über den Sachverhalt?“

Worauf Manuel, der interessiert zugehört hatte, in ungenügendem Deutsch antwortet: „Das mit Alajero ist Vermutung. Keiner kann das wissen. Policia tappt im Dunklen. Sagt man das bei euch so?“

Oh jemine, denke ich. Kein Mensch auf der Insel ist im Bilde. Der Sachstand der Ermittlungen basiert auf lockeren Verdächtigungen. Nichts anderes hatte ich erwartet. Dennoch vereinnahmt mich der Ermittlertrieb, denn ich will wissen, ob Alonso auf freien Fuß ist und er sich in Alajero aufhält. Und um das herauszubekommen, suche ich nach Gleichgesinnten für eine Wanderung zu Alonsos möglichen Aufenthaltsort.

„Übermorgen mache ich die Wanderung vom Roque de Aggando nach Alajero, und von dort zur Playa de Santiago. Wer geht mit?“

Die Frankfurter melden ihr Interesse an, was mir nicht behagt. Sie sind Streithälse und waren beim Auffinden des toten Dealers dabei, dadurch habe ich dessen Streitereien in bester Erinnerung.

„Nein, ihr nicht“, weise ich sie schroff ab. „Den Stress zwischen euch kann ich nicht gebrauchen.“

Ich bin über mein schroffes Zurückweisen erschrocken, denn damit habe ich sie vor den Kopf gestoßen und es mir mit den Frankfurtern gründlich verdorben, deshalb ziehen sie grollend ab.

Doch das ist mir egal, denn mit meiner Frage habe ich es auf eine Beteiligung Annas und Karlas abgesehen, für die ich die Route vollende: „Von Playa de Santiago fahren wir mit dem Ausflugsboot Tina heim. Ich finde die Tour super, denn ich sehe die Luxusanlage Palmenzauber wieder, außerdem den Aeropuerto, von dem Freund Georg verschleppt wurde.“

Anna ahnt, wie mein Geschwafel weitergehen wird, denn sie reagiert wütend. „Der Aeropuerto und dein Palmenzauber können mich mal“, schimpft sie wie ein Rohrspatz. „Ich bin zur Erholung und nicht zur Verbrechensaufklärung hier.“

Doch danach überlegt sie es sich und nimmt den Dampf aus ihrer Kritik. „Aber schön ist die Strecke allemal. Ich bin dabei.“

Ja, so liebe ich meine Anna. Sie kann ihre Wanderleidenschaft nicht zügeln, denn die hat sie mit der Muttermilch inhaliert.

Annas Zusage nimmt Karla als Signal. Sie schließt sich uns mit Pauken und Trompeten an und bläst ins gleiche Horn. „Ich hasse Müßiggang. Der ist aller Laster Anfang. Wir nehmen den fünf Uhr Bus, zuvor spreche ich die Rückfahrt mit den Besatzung der Tina ab.“

Das war’s dann. Wie die Superwanderung ablaufen soll, das haben wir im Kasten. Mit dem guten Gefühl widmen wir uns wieder der Bühne, um den letzten Stücken unserer Lieblingsband zu lauschen.

Nun ja, ich bin nicht unzufrieden. Der Auftritt stimmt mich zuversichtlich für unsere Wanderung. Doch im Hintergrund sehe ich Klaus Kleber. Der betätigt sich als mürrischer Beobachter. So wie er zu uns rüber schaut, hat er uns erkannt. Vor Jahren war er uns als unangenehmer Zeitgenosse aufgefallen, denn er trug die Mitverantwortung für den Sumpf um den Tod des Freundes. Warum der Zampano ungeschoren davongekommen war, das liegt an seiner Freundschaft zum Chef der Polizei, jedenfalls ist seine Rolle undurchsichtig.

Was mache ich jetzt? Ich fühle mich unsicher. Sollte mich Kleber ansprechen, wie verhalte ich mich?

Zum direkten Aufeinandertreffen kommt es nicht. Ich nicke Kleber unverfänglich zu, doch dabei belasse ich es. Schlauer ist es, erst einmal abzuwarten, was ich über ihn und Alonso in Erfahrung bringe, denn er hat mir seine unentwegte Anwesenheit auf der Insel voraus. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, so hätte es meine Mutter ausgedrückt. Gleich am ersten Abend will ich es mir nicht mit der grauen Eminenz im Valle verderben, immerhin ist dieser Kleber eine Respektsperson.

Mit seinem weltmännischen Auftreten erzielt er bei den Urlaubern eine kolossale Wirkung. Sogar ein Fernsehteam des NDR wurde auf den Mann aufmerksam und stempelte ihn zum erfolgreichsten Auswanderer auf den Kanaren ab. Es ist eine wertlose Auszeichnung, und die ist ihm nicht bekommen, sondern ihm zu Kopf gestiegen. Seither trägt er die Nase noch höher als sonst.

Was hat zu der fragwürdigen Einschätzung der Filmfritzen geführt? Niemand auf der Insel weiß, welche Kriterien für ihre Bewertung zählten. Wahrscheinlich haben sie die Läden, und das große Angebot an Appartements und Studios addiert, und was sonst noch zu Klebers Besitztümern zählt und diese Recherche gab den Ausschlag. Die hatte sie geblendet und so hatten sie ihn überbewertet. Aber wie sehe ich den Tausendsassa? Wie fällt meine Beurteilung aus?

Beurteile ich Kleber fair, da ist sein Eindruck zwiespältig. Bei den Finanzen macht er eine gute Figur. Er hat die Auswirkungen der Pandemie ohne mit der Wimper zu zucken über-standen, denn er ist clever. Bei seinen Auftritten strotzt er vor Selbstvertrauen. Im Umgang mit anderen Menschen gibt er sich leicht und locker, so wie ein Mann, der Gefallen an dem Inselflair gefunden hat, was er nicht leugnet. Mit seiner Gabe aus Fleiß und Beharrlichkeit hat er es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Die Residenten im Valle Gran Rey verehren ihn wie einen Popstar. Und um sein Glück perfekt zu machen, hat er sich eine wahnsinnig hübsche Frau zugelegt, um die ihn die Einheimischen beneiden, allerdings hassen sie ihn wegen seines hochnäsigen Gehabes und seiner Selbstherrlichkeit.

Dass einige Neidhammel seine pompöse Hochzeit dazu genutzt hatten, eine Menge Steine auf sein Anwesen zu schmeißen, das spricht eine deutliche Sprache. Doch der Eklat hinterließ bei Kleber wenig Eindruck, denn er weiß genau, wie der Hase im Tal des großen Königs läuft.

Einerseits kann ich nicht leugnen, dass mir Kleber imponiert, anderseits ist mir der Mann unheimlich, denn er ist für jede Überraschungen gut. Als der Makler von Kommissar Fernando verhaftet wurde, da hatte sich Kleber aus einer Vorahnung heraus abgesetzt. Flutsch, und weg war der Aussteigerkönig. Kleber hatte zum zigsten Mal den richtigen Riecher und sich unbemerkt vom Acker gemacht.

Tja, was fällt bei meinen Schilderungen auf?

Richtig, ich bin nicht objektiv. Also bilden Sie sich einen Reim auf die dargestellten Geschehnisse. Mir innerlich Gespaltenem ist es unmöglich, eine neutrale Darstellung der Eigenschaften des Tausendsassas zu umschreiben.

Aber warum bin ich gespalten? Das liegt an der verzwickten Situation, die mich hin und her wanken lässt. Soll ich mir eventuell doch einen Ruck geben und Kleber auf Alonso ansprechen? Gehe ich auf ihn zu und setze ihm bildlich den Revolver auf die Brust? An Kleber heranzukommen und ihn über den Verbleib des Maklers auszufragen, dafür stehen die Chancen phantastisch. Sie standen nie so gut.

Ach Gott, das besser nicht, denke ich. Ist Kleber der Allwissende, den ich in ihm sehe, dann verbrennt er sich am Thema Alonso nicht die Zunge, denn Kleber ist nicht auf den Kopf gefallen. Viel lieber spielt er den Unwissenden. Ein Mann wie er behält sein Wissen für sich, denn er weiß, dass man ihn nicht zu einer Aussage zwingen kann.

Realistisch gesehen kann ich dem erfahrenen Geschäftsmann nicht ans Bein pinkeln. Da nützt es nichts, ihm zu demonstrieren, dass ich ihn für einen Wahrheitsverdreher halte, dem ich nicht über den Weg traue. Außerdem finde ich die Idee mit dem Festnageln so gut nun auch wieder nicht, denn Kleber ist keine ehrliche Haut. Auch die Anwendung von Daumenschrauben würde den Aufenthaltsort Alonsos nicht erhellen. Vermutlich will er es sich mit dem Schlawiner nicht verderben und behält den Ort treu und brav für sich.

Es ist Schlag Elf, da läutet die Guardia Civil die Sperrstunde ein. Die alternden, aber noch munteren Musiker der Casa-Maria Band bedanken sich mit Effekthascherei für den Beifall, den sie sich redlich verdient haben, dann packen sie ihre Musikinstrumente ein und bringen sie in den Abstellraum. Die eingespielte Truppe, die uns viele Jahre so manchen Abend versüßt hatte, hat ihr Programm mit Routine heruntergespult, doch das hat sie mit ehrlicher Begeisterung getan. Jetzt ist es ruhig vor der Musik-Bar geworden, denn der Fanauflauf hat sich aufgelöst.

Anna geht an die Theke und bezahlt die Getränke, so vermeide ich den Blickkontakt zu Kleber aus nächster Nähe. Der Moderator der Veranstaltungen ist und bleibt mir nicht geheuer, also ein Buch voller Rätsel, und die sind von einem hohen Schwierigkeitsgrad.

Nachdem Anna bezahlt hat, latschen wir zusammen mit Karla und Manuel nach La Calera hinauf. Dort verabschieden wir uns mit Umarmungen von den Freunden, wonach ich mich mit Anna in unser Studio begebe. In dem setzen wir uns mit zwei Gläsern Cuba-Libre als Gutenachtgetränk in bequemen Liegestühle auf die Terrasse und fangen an zu träumen. Zu den Lichtern der Insel El Hierro hinüberschauend, genießen wir die Anwesenheit auf der Insel. Das Kriegsgebiet ist weit weg und La Gomera bedeutet uns sehr viel. Hier wollen wir unseren Lebensabend verbringen, denn das Valle Gran Rey ist der Nabel der Welt. Anschließend spülen wir die Gläser aus und gehen zu Bett.

Als ich mit geschlossenen Augen daliege, kann ich nicht einschlafen. In großer Sorge starre ich an die Decke, dabei treiben mich furchterregende Gedanken an Alonsos Racheabsichten in die Schlaflosigkeit, deshalb beschäftige ich mich abermals mit dem Verbleib des Übeltäters. Sitzt der Schweinehund nicht im Knast, was könnte er treiben?

Dass Alonso frei herumläuft, das ist nicht nachvollziehbar, denn das Tötungsdelikt durch die Knebelung war ein glasklarer Mord. Also komme ich an den Punkt, bei dem ich mich frage: Wie konnten die Richter den Sachverhalt anders beurteilen? Normalerweise hätte Totschlag als Minimalforderung herausspringen müssen. Hat sich der Fettsack freigekauft? Mit Geld ist das auf der ganzen Welt eine praktizierte Untat. Wie ernst ist es Alonso mit der Drohung, dass er mich leiden sehen will?

In der Heimat bedeutete er keine Gefahr, doch auf der Insel blüht die Furcht vor ihm überdimensional auf. Der Ganove könnte wie ein Unwetter über mich herfallen. Ich nehme ohne Gewissensbisse vorweg, dass mir die Kontrolle über die Abläufe aus den Händen gleiten wird.

2

Der erste vollwertige Überwinterungstag dient dem Erholen von der Anreisestrapaze. Es ist ein Ritual, das mit einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse beginnt. Ich kaufe ein frisches Baguette bei Manuels Schwester im Laden, dazu Honig und Frischkäse. Anna wirft in der Zwischenzeit die Kaffeemaschine an.