DU BIEST BRINGST MICH UM - Klaus Rose - E-Book

DU BIEST BRINGST MICH UM E-Book

Klaus Rose

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Beschreibung

Das Leben ohne seine Frau stürzt Georg in eine Lebenskrise, bis Karla seinen Weg kreuzt und ihn mit ihrer Wunderdroge Zuneigung von seinem Kummer befreit, prompt wähnt er sich im siebten Himmel. Diese Karla hievt ihn auf einen Gipfel der Glücksseligkeit. Doch trotz wunderbarem Sex und leidenschaftlicher Hingabe ziehen bald Gewitterwolken am Liebeshimmel auf, denn seine Traumfrau misshandelt die Spielregeln der Verbundenheit, aber Georg schließt vor den Turbulenzen die Augen. Er nimmt Karlas Rücksichtslosigkeit hin, anstatt sich zu wehren. Die Lage spitzt sich zu, als er Karlas Kinderwunsch ignoriert, schon hängt das Damoklesschwert der Trennung über der instabilen Verbindung. Wo bleibt Georgs Mitgefühl? Wo sein Stolz? Beides hat Karla untergraben, und das mit dem Ergebnis der Ausnahmesituation. Verdient das ungleiche Paar eine Chance? Wird es in ein ruhigeres Fahrwasser geraten?

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Klaus Rose

DU BIEST BRINGST MICH UM

ISBN

 

Paperback

978-3-7497-9199-6

Hardcover

978-3-7497-9200-9

e-Book

978-3-7497-9201-6

Verlag und Druck: tredition GmbH

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Copyright 2020 Klaus Rose

Umschlag, Illustration: Klaus Rose

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Ohne die Zustimmung des Autors und des Verlages ist eine Verwertung unzulässig. Dies gilt für die Verbreitung, für die Übersetzung und die öffentliche Zugänglichmachung.

KLAUS ROSE

DU BIEST BRINGST MICH UM

Liebesdrama

Die Umgebung existiert. Dazu beruht die Handlung auf Erlebnissen des Autors, aber die Namen der beteiligten Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind beabsichtigt, so auch Übereinstimmungen mit vorhandenen Einrichtungen.

Der Autor:

Klaus Rose, Jahrgang 1946, kommt 1955 als Flüchtling nach Aachen. Nach dem Studium lebt er in München. Er kehrt nach Aachen zurück, wird zweifacher Vater und engagiert sich als Kommunalpolitiker. Nach dem Renteneintritt verbringt er die Freizeit mit dem Schreiben seiner Romane.

Das Buch:

Die Trennung von seiner Frau Andrea stürzt Georg in eine schwerwiegende Lebenskrise. Er weiß weder ein noch aus und ähnelt bald einem Leichnam in der Totenstarre, wodurch sein Selbstvertrauen schwindet. Seine Höllenqualen werden unerträglich, trotz allem scheitern alle Befreiungsversuche aus dem Elend.

Als die bildhübsche Karla wie ein Blitz aus heiterem Himmel seinen Weg kreuzt, da wähnt sich Georg in einem Traum. Für ihn ist Karla mehr als ein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern ein Engel, der ihn auf den Gipfel der Glücksseligkeit hievt.

Anfangs ist alles wunderbar, aber bald ziehen Gewitterwolken der Bedrohung am Liebeshimmel auf, denn ohne große Vorwarnungen wendet sich das Glück ab, da Karla die Spielregeln der Verbundenheit misshandelt und sich Georg aus blinder Verliebtheit nicht wehrt. Er nimmt ihre Rücksichtslosigkeiten hin.

Gegen Karlas geringschätzige Behandlung hilft auch kein respektabler Sex, denn Georgs sanftmütige Charakterzüge erweisen sich als Hemmschuh für eine ausgewogene Beziehung. Diese Karla braucht einen Mann, der ihr zeigt, wo der Hammer hängt.

Doch solch ein Typ Mann ist Georg nicht, denn er setzt auf das Mittel Einfühlsamkeit, womit er seine Liebste in eine Machtstellung manövriert, die sie für ihre Erniedrigungen ausnutzt. Als Georg aufmuckt, indem er Karlas Kinderwunsch ignoriert, hängt das Damoklesschwert der Trennung über der instabilen Verbindung.

Die Lage spitzt sich bis zum Beziehungschaos zu. Und erschwerend kommt hinzu, dass sich Georg durch die Geburt seiner Kinder einer Sterilisation unterzogen hatte. Er ist also unfruchtbar, außerdem fehlt es ihm an der Willenskraft, den Eingriff rückgängig zu machen. Nichtsdestotrotz ist von einem Auseinandergehen keine Rede, doch bis zu dem Schritt ist der Grad schmal, denn Karla treibt Georg mit aberwitzigen Scharmützeln in die Ausweglosigkeit. Sogar eine Therapie verschafft Georg keine Verschnaufpause. Diese Furie will einfach nicht aus seinem Kopf.

Schlussendlich macht Karla kurzen Prozess und beendet den Beziehungskrieg, wonach sich Georg als Schürzenjäger entpuppt. Von Karla enttäuscht, stürzt er sich in aussichtslose Liebesabenteuer, doch er sehnt sich in Wahrheit nach Karlas Nähe.

Werden die ungleichen Charaktere zu ihrer Liebe zurückkehren? Bekommen sie eine neue Chance, durch die sie in ein ruhiges Fahrwasser geraten?

Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.

Mark Twain

Für Liebhaber guter Liebesdramen

1

Lustlos stehe ich am Fenster und beobachte ein Streufahrzeug, das die verschneite Fahrbahn beackert. Hinter dem fährt ein Fiat Panda mit Sommerbereifung.

Urplötzlich stellt sich der kleine Italiener quer, sodass sein Motor bestialisch aufheult. Das war’s dann wohl, denke ich, denn der in eine dicke Lammfelljacke und einen Schal eingemummelte Fahrer steigt aus und schiebt seinen Kleinwagen beiseite, womit er den Verkehr zum Erliegen bringt.

„Kaum fällt Schnee, schon spielen die Autofahrer verrückt“, murre ich ungemütlich. „Macht keinen Mist und lasst eure Kisten vor der Haustür stehen.“

Ich bin gereizt, denn ich habe wegen der Schmerzen im Bein schlecht geschlafen. Meine Gefühlswelt gleicht den Furchen in meinem Bartstoppelacker. Der Grund für die Schmerzen ist eine Osteomyelitis, die man im Volksmund Knochenfraß nennt. Der Facharzt im Uni-Klinikum hat mich nach der Untersuchung mit dem Befund heimgeschickt, ich solle weiterhin die Gehhilfen benutzen und mein Antibiotikum schlucken.

„Zu mehr als dem Antibiotikum hat mir der Quacksalber nicht geraten“, erkläre ich meiner Partnerin die Diagnose, dann spekuliere ich: „Mein Bein ist nicht zu retten. Bald wird es unterhalb des Knies amputiert."

Aber Lena besänftigt mich und fordert mich auf, mich zu mäßigen: „Nun warte doch ab. Zieh bitte keine voreiligen Schlüsse.“

Und wem verdanke ich den haareraufenden Zustand? Natürlich einem Knochenklempner, denn der Kunstfehler unterlief ihm mit einer Fehldiagnose, und das ausgerechnet an meiner Person. Daher ist es wenig verwunderlich, dass ich alle Halbgötter in Weiß hasse, also knurre ich ungemütlich: „Hätte ich mich nicht der Gewaltfreiheit verschrieben, würde ich solche Stümper abmurksen.“

Lange Rede, kurzer Sinn. Der Knochenfraß hat sich in mein Bein verbissen, doch da ich nicht zimperlich bin, würge ich ein selbstvernichtendes Antibiotikum mit der dazu nötigen Verachtung in mich hinein.

Auch das Sauwetter macht krank. Nach dem Schneefall ist es diesig und trüb. Das Licht fällt matt durch das Fenster zur Straße ins Zimmer, wie gesiebt. Von weit her höre ich die Glocken der Pfarrkirche San Sebastian läuten. Die Tage werden kürzer und ich lechze nach Zerstreuung. Bringt mich eine Illustrierte auf positive Gedanken, eventuell das Fernsehprogramm?

Ich schnappe mir die Tageszeitung und blättere darin, dabei schlage die Seite mit der Programmübersicht auf und gehe die Sendeanstalten durch.

„Ach, du grüne Neune. Den Scheibenkleister sehe ich mir nicht an“, murmele ich vor mich hin.

Dünnhäutig, und das bin ich mittlerweile, erregt mich die Dreistigkeit der von mir gegen eine Belohnung zum Abschuss freigegebener Programmgestalter.

„Zum Teufel mit der Glotze“, meckere ich. „Was denken sich die Minderbemittelten bei ihren bescheuerten Seifenopern?“

Mir bleibt nur die Ablenkung versprechende Alternative, und die heißt Lesestoff auftreiben. Also erhebe ich mich, dann schleppe ich meine müden Knochen zum Bücherregal, wobei mir zwei an der Wand hängende Portraits der Künstlerinnen Frida Kahlo und Tina Modotti ernst dreinblickend zusehen. Es sind Zugeständnisse an die Frauenbewegung und meine Lebenspartnerin.

Und wie ich vor dem Regal stehe, durchwühle ich es nach einem Krimi, dabei springt mir ein abgewetztes Mäppchen ins Auge. Es sieht wie ein Fotoalbum aus. Wem gehört es? Ist es von Lena oder von mir?

Es ist tatsächlich ein uraltes Fotoalbum, das ich hervorkrame und hineinstiere. „O je“, murmele ich gequält. Nur mühsam kann ich meine Tränen in Schach halten.

Aber weshalb stöhne ich beim Anblicken der Bilder in dem Album? Weshalb treiben sie mir die Tränen in die Augen?

Der Inhalt des Albums bringt mich aus der Fassung. Er versetzt mir mehrere Stiche in der Herzregion, denn durch die Aufnahmen brechen verheilt geglaubte Wunden in mir wieder auf. Die Fotos zeigen Karla und mich als verliebtes Paar während eines wunderschönen La Gomera Urlaubs. Damals war mein Glück vollkommen, denn ich hatte meine ganz große Liebe an meiner Seite, deshalb hatte mir die Welt zu Füßen gelegen.

Aber als ich mir die Fotos länger ansehe, bin ich verstört. Mit Kummerfalten im Gesicht kommt mir in den Sinn, dass die von zerstörerischen Begleiterscheinungen durchwobene Liebesverbindung das Gegenteil einer Traumverwirklichung war. Es war ein Spektakel, das sich zwischen Gut und Böse abgespielt hatte, mit abrupten Schwankungen hin und her, daher war es kein Baden in Milch und Honig gewesen.

Mein Gott, wie abgöttisch hatte ich diese Frau geliebt. Ich war besessen von Karlas Ausstrahlung, mit der sie eine Woge an Glücksgefühlen in mir erzeugt hatte. Eine derartige Seelenmassage erlebt man nur ein Mal. Und sie ist vergleichbar mit den Auswirkungen eines Sechsers im Lotto, die ich durch Karlas Intensität empfunden hatte.

O ja, mir hatte alles an dieser Beziehung gefallen. Es hatte vielen Gemeinsamkeiten gegeben, die sich durch ausschweifende Sexeskapaden und Fitnessbeweise geäußert hatten. Um unser Wohlbefinden zu verbessern, waren wir frühmorgens aufgestanden und durch den Wald gejoggt. Oft hatten uns stundenlange Fahrradtouren in die nähere Umgebung vergnügt.

Besonders angetan war ich von Karlas Temperament, verbunden mit ihrem lockeren Auftreten, und natürlich von ihrer überschäumenden Herzlichkeit Ihre fantastische Figur mit den fraulichen Rundungen hatte mich willenlos gemacht. Von Karlas verschmitztem Lächeln war eine unerklärliche Zauberkraft ausgegangen. Und ihr wagemutiger Wuschelkopf hatte mich zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Stand sie vor mir, hatte ich sofort eine Erektion bekommen.

Es ist schon merkwürdig, dass ich gerade jetzt, da ich in der Ehe mit der jetzigen Partnerin Lena wunderbar Fuß gefasst habe, mich an die schmerzhafte Tragödie mit Karla erinnere. Erfüllen die Gedanken an meine tragischste Lebensphase einen tieferen Sinn? Schließlich war es mir in dem Zeitabschnitt mit Karla vergönnt, die Erfüllung meines Lebens in einem Rausch der Liebe zu finden.

Ich bin dermaßen vertieft in die Urlaubsbilder, dass ich zusammenzucke, als meine Partnerin mich anstößt. Die steht dicht hinter mir und dröhnt: „Mensch, Georg. Was hast du in der Hand? Was bedeutet die Anspannung in deiner Körperhaltung?“

Lena ist resolut und sie ist eine selbstbewusste Frau. Sie trägt das Herz am rechten Fleck, allerdings ist sie eifersüchtig. Aus gutem Grund hatte ich es nicht darauf ankommen lassen, mich auf ein Gespräch mit ihr über meine Vergangenheit mit Karla einzulassen. Dem Thema bin ich bewusst ausgewichen.

Weiß der Kuckuck, warum ich in dem Moment, als mich Lena überrascht hat, den Gesprächsfaden über den Inhalt des Albums aufnehme.

„Ruhig Blut, Lena“, wiegele ich ab. „Das Album ist ein Erinnerungsstück an meine Ex-Freundin Karla. Das hat nichts zu bedeuten.“

Doch Lena ist von Natur aus misstrauisch, denn sie zieht mürrisch die Augenbrauen hoch und fragt mich herausfordernd: „Triffst du diese Karla noch? Denkst du oft an sie?“

Solche Fragen sind mir zuwider, trotzdem beantworte ich sie wahrheitsgemäß: „Gottbewahre. Die Geschichte ist Schnee von gestern.“

Doch mit dem Schnee von gestern habe ich Lena nicht überzeugt, denn sie setzt nach: „Herrgott noch mal! Du bist unglaublich weit weg von mir“, resümiert sie mit finsterer Miene. „Warum? Sag’s mir, Georg. Was ist mit dir los?“

Ich zucke ahnungslos mit den Schultern. „Was soll mit mir los sein?“

Aber Lena lässt nicht locker: „Im Moment bist du ein Brief mit sieben Siegeln, irgendwie ein anderer Mensch. So wie jetzt stellt dein Verhalten ein Problem für mich dar. Es ist verdammt schwer überhaupt Zugang zu dir zu finden.“

Ganz falsch liegt sie nicht, denn allzu oft ertappe ich mich, wie ich der Vergangenheit nachhänge. Dann verstricke ich mich in Zufälligkeiten, die vor Jahren eine unerwartete Katastrophe ausgelöst hatten, denn einem derartigen Naturereignis hatte das Aufeinandertreffen mit Karla geglichen. Hätte sich mein Leben ohne die verhängnisvolle Begegnung anders entwickelt?

Das bleibt eine Spekulation. Zumindest wären die aufgetretenen Versagensängste ausgeblieben, und ich hätte den alltäglichen Stress durch das Bangen und Zittern um Karlas Gunst vermieden. Die Spuren der Tragik hätten an mir keinen Halt gefunden, und der Schmerz wäre an mir abgeprallt. Wäre ich in der Zeitspanne vor der Begegnung mit Karla an eine Frau wie Lena geraten, dann wäre mir viel Kummer erspart geblieben.

Ja, ja, die große Liebe kann charismatisch schön und doch grausam sein. Das macht sie so einmalig. Trotzdem war ein Fehler, das Abenteuer mit Karla einzugehen, das weiß ich im Nachhinein. Mit viel Tamtam hatte sich angekündigt, dass diese Bindung ein Unglück auslöst. Aus Vernunftgründen hätte ich besser die Finger von Karla gelassen, doch das sagt sich so leicht, denn Karla hatte mich mit ihrem zuckersüßen Lächeln als Waffe verhext, und mich in eine malerische Wunderwelt gehievt. Den gigantischen Zustand kannte ich nur aus berauschenden Träumereien.

Allerdings hatte ich mich bei Karlas Beurteilung gewaltig geirrt, denn schon bald rüttelte der Albtraum an der Tür zum Liebeshimmel und verunstaltete abscheuliche Gewitterwolken. Mit Blitz und Donner hatte mich Karla in angsteinflößende Talsohlen geschickt, um mir danach feine Nadelstiche zu versetzen, ständig tiefer, bis hin zu einem kräftigen Stoß mitten ins Herz. Und ich Idiot hatte mir eingebildet, die Gebrauchsanweisung für das galaktische Wesen zu kennen.

Leider befand ich mich, wie ein orientierungsloser Wanderer, auf einem morschen Holzpfad. Tagtäglich hing das Damoklesschwert der Trennung über unseren Köpfen, trotz sexueller Übereinstimmung. Dennoch wandelte ich pausenlos durch den Himmel in die Hölle, mehrmals hin und zurück, und das stand im krassen Widerspruch zur erwähnten Stimmigkeit beim Sex.

Nach meinem Geschmack hatte Karla die Spielregeln der Liebe grundlos misshandelt, und diese Rücksichts-losigkeit hätte ich Hampelmann nicht hinnehmen dürfen, aber mein Verhaltensmuster war das Relikt meiner blinden Hörigkeit. Seinerzeit war ich eine Marionette. Zog Karla an meiner Schnur, dann tanzte ich nach ihrer Pfeife. Verdiente der Beziehungshorror einen Namen, dann würde Schinderei fantastisch zu dem Spektakel passen. Und in dem Zusammenhang erinnerte ich mich an mein geschundenes Herz.

„Wir gehören für immer zusammen.“

Den Spruch hatte Karla oft gepredigt, doch er war nur daher gebrabbelt. Im weiteren Verlauf wechselte sie zur Geringschätzigkeiten über. Was hatte ihr entwürdigendes Verhalten möglich gemacht? Weshalb hatte ich mich von meiner Partnerin so erniedrigen lassen?

Diese Fragen standen wie Marterpfähle im Raum, denn ich hatte sie mir immer wieder gestellt, doch die Antwort war mir verwehrt geblieben. Aber okay, ähnliche Desaster sind auch manch anderem verliebten Mann passiert.

Dass in dem oft leichtfertig daher gesagten viel Wahrheit steckt, das hatte mir das bildhübsche Monster mit unglaublicher Härte vor Augen geführt. Sie hatte mich eingewickelt mit neckischen Sprüchen, und mich geblendet mit ihrem Herumtänzeln und ihrer Gewandtheit. Ob es ihre süßen Grübchen waren, oder ihre pralle Weiblichkeit, sie hatte mich mit ihren Vorzügen eingelullt. Und ich Wehrloser hatte Karla auf Gedeih und Verderb angehimmelt.

Und das war das Problem, denn meine Huldigungen führten dazu, dass sich Karla wie eine Königin fühlte. Ich hatte sie auf einen Sockel gestellt und ihr die gewünschten Lobeshymnen geliefert. Dass das naiv und unbedarft war, wollte ich partout nicht einsehen.

Karla war demnach keine gute Fee aus einem Bilderbuchmärchen, sondern eine Frau mit Haken und Ösen. Ihre Ansprüche an mein Verständnis für sie, die waren total überzogen. Unsere Vorstellungen von der Liebe klafften wie unterschiedliche Weltwirtschaftssysteme auseinander. Und da das so war, hätte mir oft der Kragen platzen müssen.

„Rutsche mir den Buckel runter. Denke ja nicht, dass ich auf dein verwerfliches Spiel eingehe.“

Genau das hätte ich sagen müssen, war sie mit ihrer Herabwürdigung mal wieder zu weit gegangen. Ich aber hatte klein beigegeben und mich ergeben, ja, ich hatte sogar resigniert. Wo war mein Stolz abgeblieben?

Den hatte Karla systematisch untergraben. Aber kann ich der hübschen Frau ankreiden, sie hätte den Beziehungskollaps wissentlich verursacht? War Karla wirklich so hinterhältig?

Na ja, hinterhältig wäre übertrieben, ganz so verwerflich war Karla dann doch nicht, obwohl sie mit ihrer Vorgehensweise die Zerstörung meines Liebestraumes bewirkt hatte.

Jedenfalls war es so gekommen, wie es nach dem Trennungsspektakel kommen musste. Die Turbulenzen mündeten in ein Aufbäumen meinerseits, aber leider auch in die Kälte meiner Gefühle, und die richtete sich gegen alle Frauen, auch gegen die, die mich bewunderten.

Besonders zwei verwundete Opferlämmer können ein trauriges Lied darüber singen, denn sie waren die Leidtragenden an der Geschichte. Sie machten schmerzvolle Erfahrungen mit mir, also mit einem Mann, der von seiner Verzweiflung aufgefressen wurde.

Doch das Thema auszubreiten würde zu weit führen. Dazu später mehr. Ich werde den Verwicklungen nicht vorgreifen.

Fest steht jedenfalls, und dazu gibt es keine zwei Meinungen, dass mich meine Liebe zu Lena aus meiner Lebenskrise herausgeholfen hat. Aber bin ich mir meiner Gefühle so sicher? Bin ich tatsächlich über meine Zuneigung zu Karla hinweg?

Beim Nachdenken darüber gerät mein Blutdruck in Wallung. Auch jetzt, rund dreißig Jahre nach dem Beziehungstaumel, spüre ich das Verlangen nach Karlas anschmiegsamem Körper und ihren Zärtlichkeiten, aber auch den Zorn durch meine Adern fließen.

Um Himmels Willen. Das darf doch nicht wahr sein. Liebe das Satansweib immer noch?

Es ist an der Zeit, meinem unbelehrbaren Gefühlszustand auf den Grund zu gehen, prompt beschäftigt mich eine geniale Eingebung: Die Jahre des Wahnsinns mit dem Vamp und die Qualen für mein Herz schreibe ich mir von der Seele.

Jawohl, ich verfasse einen Rechenschaftsbericht über Karlas und meine Unzulänglichkeiten. Das Versickern der Quelle an einst sprudelnde Gefühle gilt es zu verhindern, daher werde ich analysieren, was das Liebesband durchtrennt hat, und wodurch die grenzenlose Liebe so unverhofft ins Grab gelegt wurde.

Dass das für mich unangenehm werden kann, darüber darf ich mir nichts vormachen, vor allem dann, sollte meine Schuldfrage eine übergeordnete Rolle spielen. Trotz allem ist die Idee phänomenal. Eine bessere hatte ich lange nicht mehr.

Durch die Aufarbeitung stehe ich lichterloh in Flammen, denn ich brenne auf die Widergabe der Liebesquerelen, obwohl ich durch dessen Wirren an eine Schmerzgrenze stoßen könnte. Vielleicht helfe ich von ähnlichen Kapriolen Betroffenen durch eine Veröffentlichung bei deren Rettungsversuchen, und so mancher Leidtragende zieht seinen Nutzen aus dem Liebesgefecht?

Mein Ziel ist klar umrissen. Ich werde mich an den Computer setzen und einen Roman über die des Nachdenkens würdige Dramaturgie der gescheiterten Liebe verfassen. Dessen einzigartige Verquickungen, mit denen mir Karla den Verstand geraubt hatte, bringe ich als Vergangenheitsbewältigung zu Papier.

Dann soll es so sein, denn ich bin gewappnet. Inzwischen habe ich den nötigen Abstand zu meinem Schicksalsschlag und stürze mich bedenkenlos in mein persönliches Waterloo. Und um dessen Bedeutung zu durchleuchten, bedarf es einer Zeitreise.

Erinnern Sie sich an die achtziger Jahre? Nicht mehr so gut?

Nun gut, dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge, denn es war der 26. April des Jahres 1986, an dem sich die verhängnisvolle Tschernobyl-Katastrophe ereignete, und der Atomunfall hatte die westliche Welt erschüttert.

Folgerichtig mache ich einen Sprung in den Herbst des abscheulichen Jahres. In der Aachener Region war als einzige Maßnahme der Sand auf den Spielplätzen ausgetauscht worden, nichtsdestotrotz tat die Politik, als wäre Tschernobyl ein Fliegenschiss.

Auch ich war Politiker als Stadtrat der Grünen, daher machte ich das Todschweigen des Debakels nicht mit und sorgte für mächtig Rabatz. Zum festen Bestandteil meiner Kleidung gehörte der Sticker: Atomkraft - nein danke.

Schon damals hatte mich mein Bein durch den Knochenfraß außer Gefecht gesetzt, doch leider war ich ein Bruder Leichtfuß, denn mir fehlte als freier Mitarbeiter die Krankenversicherung als Lebensgrundlage, also war das Finanzdesaster vorprogrammiert.

Und obwohl ich mich gewaltig nach der Decke gestreckt hatte, war ich auf keinen grünen Zweig gekommen. So hatte ich, aus der Not geboren, mit meiner kurzfristigen Arbeitsaufnahme das Ende des Geldproblems eingeläutet, daher hockte ich nach sechswöchiger Pause wieder am Arbeitsplatz in Herberts Umweltbüro.

Meine Aufgabe zum Einstieg bestand aus der Kontrolle langweiliger Koordinatenreihen, weswegen ich ärgerliche Laute von mir gab.

„Ich hasse Schlampereien, liebe Kollegen. Die Flüchtigkeitsfehler waren sicher vermeidbar.“

Um mich zu beruhigen, wechselte ich die Kühlkompresse über meinem Unterschenkel, doch das ohne die gewünschte Wirkung, denn mein Unmut hatte sich in mir festgefressen.

„So bitte nicht, werte Kollegen“, schnauzte ich rückhaltlos. „Erledigt den Krempel gefälligst allein.“

In mir brodelte es, wie in einem Wasserkessel vor dem erlösenden Pfiff, als mein Chef Herbert den Kopf durch die einen Spalt geöffnete Tür steckte und sich räusperte: „Mensch, Georg. Hör auf mit dem Herumkrakeelen.“

Er lächelte verschmitzt.

Dann fragte er mich, wobei er sich die viel zu dominantgeratene Nase rieb: „Liegt deine miese Laune an deinem Bein, oder ist dir ist eine andere Laus über die Leber gelaufen?“

Der unrühmliche Herbst übte seinen feuchten Abgang. Es war das Wetter zur Flucht in den sonnigen Süden. Doch das nicht für mich, denn die mit Spannung erwartete Bundestagswahl ‘87 warf unübersehbare Schatten voraus. Eine Armee an Parteifratzen ohne politische Aussagekraft hing auf zig Plakatwänden überall im Stadtbild herum.

Zerknirscht starrte ich durchs Bürofenster auf einen Regenbogen. Und das tat ich in dem Büro, das in einem heruntergewirtschafteten Anbau mit vor Nässe triefenden Wänden angesiedelt war. Durch die Feuchtigkeit wellten sich die Planunterlagen, außerdem entsprach nur die Zeichenmaschine dem gehobenen Fortschritt. Der Computer befand sich damals in der Entwicklung. Aber auch der Anblick kahler Bäume vor den Fenstern hellte das Gesamtbild nur unwesentlich auf. Und obwohl ich im Umweltschutz arbeitete, worauf ich als Grüner sehr stolz war, glich der Büroalltag einer Keimzelle der Monotonie, gelegentlich von Trouble unterbrochen.

Vor allem aber war ich von meinem chaotischen Privatleben gestresst, denn das verlief alles andere als in ordnungsgemäßen Bahnen.

Bevor ich mich in mein Zuckermäulchen Karla verliebt hatte, beschäftigte mich ein schwerwiegendes Problem, das meine vollste Aufmerksamkeit erforderte. Zu einem Verlierer passend, erwischte mich ein Absturz in den Suff. Mit der Gefahr vor Augen, in die Abhängigkeit des Alkoholismus abzugleiten, näherte ich mich einem verhängnisvollen Abgrund, denn nächtelang hatte ich meine Ängste vor dem Alleinsein in einem riesigen Meer an Bier ertränkt.

Jetzt fragen Sie sich sicher, warum?

Ja, warum eigentlich? War es nicht eher so, dass mich zwei putzmuntere Kinder unterstützten, dass ich einen gutbezahlten Job besaß und einer reizvollen politischen Herausforderung nachging?

Aber der Anlass für meine Sauferei lag auf der Hand: Mir steckte die Trennung von meiner Frau ganz tief in den Knochen. Ausreichend Beweismaterial in Form von leeren Bierkästen stand haufenweise vor meiner Tür. Im Bekanntenkreis galt ich als hoffnungsloser Fall, denn durch die Sauferei war mein Selbsterhaltungstrieb unter die Räder gekommen.

Wohin aber hatte sich meine warnende innere Stimme Alfred verkrochen? Warum hatte er mich in solch einer heiklen Situation kläglich im Stich gelassen?

Ach Gott, was für eine Frage. Ich selbst hatte Alfreds übliche Proteste mit enormen Promillewerten auf barbarische Weise mit Alkohol betäubt.

Ich war so weit abgerutscht, dass ich mich im End-stadium des Deliriums bewegte, und im flehenden Tonfall nach meiner Frau gerufen hatte: „Wo bist du, Andrea?“ Danach hatte ich abstoßend gelallt. „Warum hilfst du mir nicht?“

Aber meine Ex-Frau war nicht in der Lage, mein inniges Flehen zu erhören, denn sie war nicht mehr bei mir. Für sie existierte ich nur noch als Vater ihrer Kinder, ansonsten war ich für sie gestorben.

Davon geknickt, hatte ich die Saufexzesse bis an die Belastbarkeitsgrenze vorangetrieben, bis die mir heilige Umwelt vor meinen glasigen Augen verschwamm. Und das passierte ausgerechnet einem Grünen. Sogar mein Arbeitsplatz war in Gefahr geraten.

Aber ein Donnerwetter meines Chefs, der mir kräftig den Kopf wusch, brachte mich zur Besinnung.

„Himmelherrgott“, schimpfte er unheilschwanger. „Nun schenke dir das dämliche Gewäsch. Vor allem hör endlich mit dem Selbstmitleid auf.“

Wutentbrannt hatte mich Herbert zur Brust genommen, und beschwichtigend ergänzt: „Wem hilfst du mit der Sauferei? Dir etwa? Zeige Charakter und denke an deine Kinder.“

Die Kopfwäsche wirkte, mit positiven Folgen als Konsequenz, denn trotz aller Querelen war meiner Frau und mir das äußerst Seltene geglückt. Wir hatten uns ohne Schlammschlacht, also friedvoll getrennt, und eine annehmbare Freundschaft zueinander aufgebaut, die meine Kinder, Julian sieben, und Anna fünf Jahre alt, regelrecht beflügelt hatte.

Ich hatte zwei herrliche Kinder gezeugt. Mit Julian ein nachdenkliches Geschöpf mit blondem Schopf, und mit Anna einen Hurrikan an Temperament. Befanden sie sich bei mir, vergaß ich meine vertrackte Situation, denn die Schmuckstücke waren mein EIN und ALLES.

Weiß der Aasgeier, was mich geritten hatte. Es war wohl eine Art Selbstüberschätzung. Weshalb sonst hatte ich das Zusammenleben mit Frau und Kindern leichtfertig aufs Spiel gesetzt? Es kann nur eine geistige Umnachtung gewesen sein.

Sexuell war die Zeit bis zur Trennung zähflüssig abgelaufen. Es war ein langweiliger Trott. Das tägliche Einerlei. Die Macht der Gewohnheit, ohne jegliche Überraschungen, nur mittelmäßige Pflichtübungen, auf die ich gut und gerne verzichtet hätte.

Dennoch war Andrea das Passstück zu meinem ausgefüllten Leben. Und obwohl ich die Gründe für die Trennungskatastrophe gern verdränge, bei der bei mir eine andere Frau, oder bei Andrea irgendein Blödmann die Auslöser waren, wollte ich die Seitensprünge nicht über-bewerten.

Einen Augenblick mal, hieß meiner nicht Ilona?

Eigentlich war’s eine harmlose Romanze, aber gerade diese Nebensächlichkeit ließ meinen Frust in einem noch trostloseren Licht erscheinen.

Bleibt die Feststellung, und an der komme ich bei dem Beziehungswust nicht vorbei, dass die wahren Gründe für die Trennung nicht auf den dummen Seitensprüngen beruhten, sondern sie lagen auf der Ebene der Abnutzungserscheinungen. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen und lebten, ohne den anderen zu bemerken, eigensinnig aneinander vorbei.

Dennoch war der Frust vergessen, wenn die Kinder bei mir waren. Das war an drei Abenden pro Woche der Fall. Mit den Kids lag ich vor dem Einschlafen auf meiner riesigen Matratze, dabei schmiegte sich Julian links, und Anna rechts in meine Arme. Stundenlang erzählte ich ihnen selbstkreierte Geschichten, bis sie vor Müdigkeit eingeschlafen waren.

Toll fanden sie die Storys von dem von mir erfundenen kleinen Ritter mit der verrosteten Rüstung, der allen Gefahren heroisch trotzte. Sie liebten seine Heldentaten, mit denen er alle Gegner in die Flucht schlug. Ich dachte jede freie Minute an meine Unternehmungen der vergangenen Jahre mit den Kids.

So zum Beispiel an den zweiwöchigen Urlaub in Südfrankreich, als wir mit dem Campingbus an einem AKW entlang knatterten. Als Atomkraftgegner schmetterten wir alle möglichen Antiatomkraftlieder bei seinem Anblick, und natürlich die Lieder der Friedensbewegung.

„Was sollen wir trinken, sieben Tage lang“, sangen wir, und so weiter, bis wir in Avignon angekommen waren und aus Erschöpfung aus dem Bus schwankten.

Die Protestlieder bereiteten uns viel Freude. Wir kannten die Strophen in und auswendig, denn auf unzähligen Demos, an denen wir teilgenommen hatten, bestimmten die Lieder unsere Abläufe.

Den diesjährigen Sommerurlaub hatte ich mit meinen Kindern in der traumhaften Toskana zugebracht, und dort in Siena, aber auch in Pisa und San Gimignano. Wir konnten uns nicht satt sehen an den wunderbaren Bauten und Denkmälern, die für unvergessliche Wochen gesorgt hatten.

Und wegen der Kinder hatte ich mir beim Alkoholkonsum Selbstbeherrschung auferlegt, obwohl Rückschläge zum rauen Tagesgeschäft gehörten, doch aus Liebe zu ihnen hatte ich die Finger endgültig von dem Teufelszeug gelassen und die Sauferei in den Griff bekommen. Allein die Vorstellung, ich wäre als ein Suffkopf vor meinen Kindern herumtorkelt, die hätte mir das Herz gebrochen.

2

Trotz Trennungsschmerz und meinem Unverständnis über eigene Fehler, ich Narr hatte den Traum von der großen Liebe nie aufgegeben. Irgendwann läuft mir das Geleestück eines Frauenzimmers über den Weg, von dem ich nächtelang geträumt hatte. Von der Wunschvorstellung war ich wie beseelt.

Und dazu kam es, denn total unerwartet kehrte Hoffnung in mein Innenleben ein. Gerade noch rechtzeitig war meine Retterin in der Person der unwiderstehlichen Karla auf der Bildfläche erschienen. Und die verlieh meinem Lebensgefüge einen vielversprechenden Sinn.

Sofort faszinierte mich die wunderbar anzusehende, betörend weibliche, und wahnsinnig hübsche Frau mit ihrem braungelockten Wuschelkopf. Besonders war ich angetan von ihrem temperamentvollen und einnehmenden Wesen.

Sie war dreißig Jahre jung, und wie der Zufall es wollte, geschah unsere Begegnung im Supermarkt direkt um die Ecke. In dem hatte es booing gemacht.

Und das „Booing“ hatte mich wachgerüttelt. Mit Karla hatte mich eine gewaltige Explosion erschüttert, mehr als ein beliebiger Paukenschlag.

Es war ein elektrisierender Stromstoß, der meine Daseinsberechtigung umgekrempelte. Was folgte war eine Rückbesinnung auf den positiven Wert der Liebe, denn Karla hatte mein aus den Fugen geratenes Unterbewusstsein repariert. Auf den Punkt war ich hellwach, sogar aufgedreht und tatendurstig, wie zu meinen besten Tagen. In grenzenlose Euphorie versetzt, fragte ich mich: Wer soll mich aufhalten, geschweige meinen wiedergewonnenen Elan bremsen?

Pah! Ich wüsste nicht wer.

Mein siegessicheres Selbstbewusstsein hatte jubiliert. Ich war wieder intakt und sah mich als Glücksgriff für die Frauen, denn das in sich zusammengesunkene und bemitleidenswerte Häufchen Dreck, das ich vorher war, das gab es nicht mehr. Das Kapitel gehörte zu meiner bedauernswerten Vergangenheit. Endlich lag mir eine Frau mit ihrer schier unbeschreiblichen Schönheit zu Füßen.

Schnapp dir das Fabelwesen. Wer außer dir hätte das Zeug dazu? Mit einer ähnlichen Bewunderung für Karla, wie ich sie empfand, hatte mich mein zu mir zurückgekehrter Alfred aufgeputscht. Der war rechtzeitig von seiner Alkoholvergiftung genesen.

Jener besagte Alfred war mein innerer Schweinehund. Sie kennen sicher das Ekel Alfred Tetzlaff aus der Fernsehserie: Ein Herz und eine Seele.

Ja? Kennen Sie? Na sehen Sie. Eben an jenen Tetzlaff dachte ich bei der Vergabe des Namens an meinen inneren Randalierer, denn so wie dieser Tetzlaff führte sich mein Alfred in mir auf. Zwischendurch gestatten Sie mir eine Frage. Krakelt auch in Ihnen ein derartiges Prachtexemplar?

Doch zurück zu Karla. Durch sie hatten die Nächte der neuentflammten Liebe gehört, nicht mehr dem betäubenden Alkohol. Danach hatte ich mit dem Prachtweib gefrühstückt, und vor der Arbeit waren wir in den Wald zum Joggen gefahren, sodass mein Blutdruck irrational triumphiert hatte. Der Routinescheck verlief zufriedenstellend.

„Na also, Georg. Es geht doch.“

Diese Bestätigung bekam ich von meinem Hausarzt. Er war ein guter Freund aus gemeinsamen Kinderladentagen.

Aber Frischverliebte brauchen Zuneigung, vor allem ausreichend Zeit, doch die fehlte mir meistens. Durch den Mangel konnte ich Karlas hochgeschraubte Ansprüche nur leidlich erfüllen. Ihr sexueller Nachholbedarf prägte die ruhelosen Nächte. Mein durch Karla hervorgerufenes Schlafdefizit begann an meinen Gesichtszügen zu zehren und ich machte mir berechtigte Sorgen, doch Karla hatte mich mit ihrem Charme eingewickelt.

Ihr zuliebe hatte ich sogar meine Bereitschaft signalisiert, meine Lebensideale hinzuschmeißen. Zu denen gehörten unter anderem die Arbeit und die Kinder. Ich wäre sogar aus der Politik ausgestiegen, nur auf die auf-regenden Nächte wollte ich nicht verzichten, dafür waren sie viel zu schön.

Doch trotz der Verschleißerscheinungen wirkte ich jünger, daher überhäufte man mich mit Komplimenten.

„Mensch, Georg. Nenne mir eine Person, die dir deine achtunddreißig Jahre ansieht? Ich hätte dich auf dreißig Jahre geschätzt.“

Das hatte mir manche Verehrerin in meine aufnahmebereiten Ohren geflötet. „Du siehst aus wie Udo Lindenberg in jungen Jahren.“

Die Schmeichelei ging runter wie Öl. freilich hatte sie auch realistische Züge, denn ich hatte große, dunkelblaue Augen und einen wohlgeformten Mund. Dazu besaß ich ein markantes Profil. Nur meine Nase war eine Idee zu spitz geraten.

Von dem Schönheitsfehler lenkte mein Alfred süffisant ab, der ekelhaft in mir schäkerte: Und wenn schon, Georg. Damit wirst du uralt.

Ich trug mein schulterlanges, dunkelblondes Haar lässig hinter die Ohren gesteckt, und das so geschickt, dass es mein sympathisches Gesicht nicht verdeckte. Mein aufgeweckter Blick und meine aufmerksame Art kamen gut an. Besonders beliebt war mein freundliches Wesen. Ich fand mich aufregend und nutzte jede Chance, mich ins begehrliche Licht zu rücken, weswegen mich grünangehauchte Frauen wie die Mücken umschwärmten.

Allerdings war ich klein, gerade mal einen Meter und siebzig Zentimeter. Damit war ich kein Herkules, aber viel wichtiger war, dass ich durchtrainiert und gertenschlank daherkam. Nur ein kleiner Bauchansatz ärgerte mich ab und an, doch wegen dem brauchte ich mich nicht zu verstecken, bei meiner rundherum sympathischen Erscheinung.

War mein jugendliches Charisma der Erfolg dieser Ausstrahlung? Oder beeinflussten meine Streifenhose, die abgewetzten Turnschuhe und meine obligatorische Cord-jacke, also Klamotten, die ich wie eine zweite Haut an meinem Körper trug, die verjüngende Aura? Ich sah mächtig alternativ aus.

Und diese Äußerlichkeiten prägten meine Erfolgsbilanz. Das Zitat eines Presseartikels bestätigte mich: Es sind keine Blütenblätter, die sich um seine Konturen ranken, sondern reichlich Haare!

Zugegeben, es war eine gelungene Glosse, gedacht als Anspielung auf meinen Nachnamen Blume. Zwar kein sonderlich origineller Aufhänger, aber er hatte Pfiff.

Trotz allem gefiel mir mein Outfit, obwohl mich mancher Neider als Auslaufmodell bezeichnete, doch das hatte mich einen Dreck geschert.

In dem eher konservativen Gremium Stadtrat tätigte mein Äußeres den Zwischenruf: „Herr Blume, was sagen Sie dazu? Wir veranstalten eine Geldsammlung für Sie.“ Dermaßen humorlos hatte der Choleriker Bauer von der Gegenseite gestichelt. „Gehen Sie dann zum Friseur und kaufen sich vernünftige Schuhe?

„Ha, ha. Selten so gelacht“, hatte ich gekontert. „Wann lassen Sie die Pointe aus dem Sack? Bitte geben Sie mir ein Zeichen, wann über den Kalauer gelacht wird?“

Grobschlächtige Ratsherren fanden die Äußerung witzig und wollten sich die Seele aus dem Hals lachen. Die Reaktion meinerseits war sarkastisch: „Wann hat die Wahl der Schuhe je eine Entscheidung im Rat beeinflusst? Meines Wissens noch nie. Oder sehe ich das etwa falsch?“

Schlussendlich war mein Ratsantrag gescheitert, eine Gleichstellungsstelle im Rathaus einzurichten, trotz heftiger Proteste der Frauengruppe.

Und das führte dazu, dass der CDU-Ratsherr Bauer und ich verbal aneinander geraten waren, wobei ich mit meiner Krücke zugeschlagen haben soll, was natürlich auf kolossaler Übertreibung beruhte und ich auch heute noch vehement bestreite.

Jedenfalls war der hochgepuschte Vorgang ein Eklat, der bis dato einmalig in der politischen Geschichte der Kleinstadt Würselen war, weshalb der Bürgermeister die Ratssitzung abgebrochen hatte.

Tja, da saß ich mit meinen Krücken als Hilfswerkzeuge, die nun wahrlich kein Handwerkzeug des Teufels darstellten.

Aber das Kind war nun mal in den Brunnen gefallen, wie den Reaktionen im Ratssaal zu entnehmen war. Ich dagegen fand meine Knochenmarksentzündung viel schlimmer, als den hochgepuschten Streitvorfall, doch das war natürlich nur meine Wahrnehmung.

So hatte ich die Auseinandersetzung bereits beim Verlassen des Rathauses vergessen, da sich, bis auf böse Blicke, nichts Spektakuläres ereignete. Ich zischte mir mit einem Kollegen in meiner Stammkneipe ein schnelles Bier, danach machte ich mich auf den Weg ins vertraute Heim.

3

Dem verträumten, alten Eckhaus, in dem ich mit Karla wohnte, sah man die Hektik nicht an, die sie gelegentlich darin verbreitete. Es strahlte Ruhe aus. Doch mit der Ruhe war’s bald vorbei, weil Karla die Widergabe der Ereignisse um den Antrag von mir forderte.

Sie reagierte aufgebracht vor Mitgefühl mit den verarschten Frauen, als ich ihr den Ablauf wahrheitsgetreu vorgetragen hatte. Karla stotterte zerknirscht: „Wäre ich auf der Empore gewesen, hätte ich die Pappnasen zur Sau gemacht.“

Das überschäumende Temperament ging in Karla durch, wobei auch ihr der typische Frauenvorwurf entfuhr: „Die Männer haben nur Angst um ihre Macht, besonders diese machtgeilen Scheißkerle.“

So emotional war sie meistens. Andauernd bewegte sich Karla am Limit. Aber diesmal war der Ausbruch kurzlebig. Einem besonderen Abend stand nichts im Wege. Wir tranken randvolle Gläser Wein, den Roten aus der Toskana, schon blickte ich in verständnisvolle Augen. In Karlas wunderschönen Augäpfeln spiegelte sich unbändige Leidenschaft, ja blinde Vertrautheit wider. Sie nahm mich verführerisch in die Arme und strich mir zärtlich übers lange Haar.

„Ich liebe dich. Gegenüber anderen Männern bist du viel einfühlsamer“, flüsterte sie mir beschwipst ins Ohr. „Du bist ein Mann mit Verständnis für die Frauen.“

Ihre Bestätigung erwärmte meine Sinnesorgane. Aus ihrem betörenden Mund trafen mich ihre Worte mitten ins Herz. Daher gab’s keine Zurückhaltung, als wir zu weit vorgerückter Stunde aufstanden und uns aneinander rieben.

„Bewege dich nicht“, flüsterte ich.

Meine Stimme klang zärtlich, aber fest. Mit der rechten Hand drückte ich Karlas Hüften an mich, mit der anderen hob ich ihren langen Rock an. Den ließ ich in Hüfthöhe los und schob meine linke Hand liebkosend in ihr aufreizendes Höschen.

„Bleibe ruhig“, flüsterte ich und verfrachtete ihren Rock mit zitternden Fingern bis zu ihren Schultern hinauf, dann zog ich ihren knapp sitzenden Schlüpfer die Oberschenkel abwärts. Behutsam streifte ich das süße Teil über ihre Füße, dabei verwirrte ihr nacktes Fleisch meine Sinne.

„Dein Hintern ist phantastisch“, hauchte ich, vor Aufregung heiser klingend. Ich küsste und streichelte ihn. Meine Hand verbreitete eine wohlige Kühle auf ihrer warmen Haut. Ihre Knie bebten, als wir uns langsam auf mein Bett gleiten ließen, wobei sie auf dem Bauch lag und ich ihre prallen Hinterbacken knetete.

Ich schnurrte wie eine schmusebedürftige Katze: „Du bist schön. Weißt du das?“

Gefühlvoll drehte ich Karla zu mir um.

Danach erforschte ich ihre Bereitschaft, sich mit mir zu vereinigen. „Spürst du’s? Du bist nass und offen“, hatte ich im Genussrausch hervorgepresst.

Karla wand sich unter meinen tastenden Fingerkuppen. Geil und nach Liebe wimmernd, streckte sie mir ihren Prachtkörper entgegen.

„Ja, Georg, schön langsam, bitte hör auf, mir kommt’s gleich“, stöhnte sie.

„O ja, mache bitte weiter, nicht nachlassen, ja, steck ihn rein, jetzt schneller, o ja.“

Wir liebten uns hemmungsloser denn je. Und noch ausgelaugt vom Liebesorkan, lächelten wir uns ausgepowert an und staunten über unsere Erschöpfung. Doch bevor wir in einen tiefen Schlaf versanken, summte mir Karla einen letzten Liebesschwur zu.

„Mein Liebling. Ich liebe dich mehr als mich selbst“, hörte ich sie flüstern.

Flugturbulenzen sind eine Bagatelle gegen das, was sich nach der Nacht ereignet hatte. Der Blick in die Zeitung gehörte in die Kategorie, Horror vom Feinsten, ähnlich einem perfekt inszenierten Gruselkabinett. Absurd, anmaßend, beleidigend, all das kam mir wie eine harmlose Beschreibung vor.

Und die Ungeheuerlichkeit traf mich mit der Wucht des Vorschlaghammers, als ich am Frühstückstisch die Lokalseite aufschlug.

Was war das…?

Die Überschrift über ein Ereignis nach der gestrigen Ratssitzung sprang mir ins Auge.

WUT UND EMPÖRUNG NACH DER ATTACKE, so lautete die Überschrift.

„Was hat das zu bedeuten?“ Das war meine Reaktion, denn ich war baff.

„Diverse Wahlplakate der SPD sollen wir Grüne beschmiert haben“, erläuterte ich das Gelesene. „Glaubst du das? In einer Presseerklärung wirft uns der SPD-Sprecher Grießmann faschistische Methoden vor und ich, Georg Blume, wäre gar kriminell.“

„Das glaubt er doch selbst nicht.“

„Hör zu, Karla. Er fordert mich auf, dass ich mich für die Vorfälle im Rat entschuldigen müsse. Außerdem wäre es angebracht, mich von der Plakataktion zu distanzieren. Was soll der Scheiß?“

Mir war der Appetit gründlich vergangen, deshalb hatte ich wie ein Papagei gekreischt: „Was nimmt sich das Ekelpaket raus? Nein, mein Freund, das wird nichts. Ich reagiere auf deine Frechheit. Eine Klarstellung muss raus, und das möglichst schnell.“

Mit dem Wortlaut erklärte ich Karla die gebotene Dringlichkeit, denn nach dem ersten Schlückchen Kaffee stand ich auf, dann besprach ich am Telefon die notwendigen Schritte mit der grünen Fraktion, dabei formulierte ich in einer Gegendarstellung, dass ich Bauer zwar mit der Krücke bedroht hätte, ihn jedoch keinesfalls berührt habe. Allein auf meine Drohgebärden täten die ungerechtfertigten Anschuldigungen beruhen.

Diesen Wortlaut hatte mir die Fraktion abgesegnet, dann hatte ich die Erklärung an den Chefredakteur der Lokalpresse weitergegeben.

„Korrigieren sie ihren Fehler in der Berichterstattung“, hatte ich ihn aufgefordert und das Gespräch beendet. Danach hatte ich erleichtert durchgeschnauft: „Okay, das ist erledigt.“

Prompt erregte mich der unsinnige Angriff des Abgeordneten. „Grießmann ist ein Arschloch“, beschrieb ich den Wichtigtuer. „Als Kinder hatten wir im Sandkasten gespielt, schon da kehrte er den Arztsohn fast abartig heraus. Diesen Minderwertigkeitskomplex konnte er nicht übertünchen. Daher wunderte es mich umso mehr, wie schnell er in seiner Partei ans Ruder kam? In ihr steht sein Name für Fleiß und Beharrlichkeit. Dennoch ist er ein Egoist, weshalb man ihm besser aus dem Weg geht.“

„Jetzt reicht es mir“, antwortete Karla und rollte mit den Augen, worauf ich ergänzte: „Schon gut. Ich langweile dich.“

„Ja, das tust du. Ich will nichts mehr über den Kerl hören.“

„Na gut. Ich mache es kurz“, vervollständigte ich meine Erklärung, „denn es stellt sich die berechtigte Frage, woher sich der Wichtigtuer das Recht nimmt, uns Grüne in die faschistoide Ecke zu schieben? Das ist plumpes Wahlkampfgetöse und passt zu ihm. Er hält es für einen genialen Schachzug.“

Das war ausführlich genug. Ich dachte insgeheim: Die Runde hat Grießmann verloren. Zwar nicht durch einen k.o. Sieg, aber den durfte ich auch nicht erwarten, schon gar nicht in der ersten Runde.

Kaum war mein Kopf freigepustet, da fing mich mein Fluchtinstinkt an zu peinigen, obwohl der dicke Batzen Haushaltsrede anstand. Die gehörte in ein Textgewand gekleidet. Nach der Rede würde ich den Stress in die Schublade packen, erst dann war das Werk für das Jahr 1986 vollbracht.

Die Angriffe auf meine Person schaukelten sich auf den Gipfel der Gemeinheit hoch. Die Gerüchteküche um die Auseinandersetzung im Rat kochte.

Das ahnte ich selbstverständlich nicht, als ich mich auf den Weg zum Bäcker machte, um frische Brötchen einzukaufen.

Und wieder zurück im Treppenhaus, lag die abonnierte Tageszeitung parat. Die hob ich auf, doch schon beim Blick auf die Vorderseite erstarrte ich.

„Zum Teufel mit der Sensationspresse“, protestierte mein Gerechtigkeitssinn.

Ich stürmte ungeschickt die Stufen hinauf, wegen der Krücken, und in Karlas Reich eingetreten, schimpfte ich kolossal: „Du kannst den Unfug lesen, den der Schmierfink Reuter geschrieben hat. Für den ist es amtlich, dass ich zugeschlagen habe. Und schau, ein Foto von mir auf der Titelseite.“

Danach gönnte ich mir eine Beruhigungsphase, dann rasselte ich den Text unter der Abbildung runter: „Das Bild zeigt Georg Blume, den Fraktionschef der Grünen im Rat“, las ich Karla vor.

Schließlich ergänzte ich: „Blume ist gegen den CDU Ratsherren Günther Bauer handgreiflich geworden. Der Leidtragende war außerdem Manager des Fußballclubs Alemannia Aachen.“

Und weitere Textzeilen verdaut, schimpfte ich auf den Verfasser: „Reuter hat nicht alle Tassen im Schrank. Wie sonst kann er mich verurteilen und an den Pranger stellen?“

Wutentbrannt stapfte ich mit Karla die wenigen Stufen in meine Mansarde hinauf. Wir wohnten in übereinanderliegenden Wohnungen. Dort goss ich uns Kaffee ein. Den hatte ich bereits vor dem Gang zum Bäcker aufgesetzt.

Beim Kaffeetrinken las ich den Zeitungsbericht auf der Kommunalseite zum Tathergang vor: Nach Auskunft zuverlässiger Quellen hat Herr Blume den Streit angezettelt, stand darin. Er hat seinen Standpunkt mit seiner Krücke schlagkräftig untermauert. Damit schadet er der Debatte um die Frauengleichstellung.

Um Gotteswillen!“

Karla klang, als würde sie gleich hyperventilieren. „Der Schreiberling hat vor, dich fertig zu machen, anders kann ich den Artikel nicht deuten“, meckerte sie, denn sie verstand die Welt nicht mehr.

Dann ergänzte sie ihren Angriff auf die Presse: „Unter keinen Umständen darfst du den Mist unwidersprochen hinnehmen.“

Ich hörte auf Karla, denn ich rief, in der von der Zeitungsnotiz herauf beschworenen Untergangsstimmung, bei Chefredakteur Reuter in seiner Lokalredaktion an. Und der meldete sich teilnahmslos: „Ja, hier Reuter. Was gibt’s, Herr Blume?“

„Das wissen Sie genauso gut wie ich“, fluchte ich wie ein Scheunendrescher durch die Leitung. „Spucken Sie aus, warum Sie sich an den Spekulationen gegen mich beteiligen. Ich hatte ihre Neutralität erwartet, doch dank ihrer Mithilfe arten die Verleumdungen zur Hetzkampagne gegen mich aus.“

Erst nachdem ich mich entladen hatte, wurde meine Tonlage vertretbarer. „Außerdem ist nichts von Ihrem Geschmiere wahr“, setzte ich meine Angriffe fort. „Es ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde, denn die Auseinandersetzung war harmlos. Noch dazu haben Sie das grimmigste Foto von mir aufgestöbert. Auf dem ähnele ich einem Meuchelmörder.“

„Na, na, Herr Blume“, räusperte sich Reuter, um sich danach jovial zu geben: „Wenn’s so harmlos war, dann verstehe Ihre Aufregung nicht. Sie haben nichts zu befürchten, war’s so, wie Sie behaupten.“

„Behaupten? Pah, das klingt geradezu abfällig aus Ihrem Mund“, motzte ich. Dann brüllte ich in die Sprechmuschel: „Es war so, Herr Reuter! Ach was, Sie können mich mal.“

Ich beendete das Gespräch und donnerte das Gerät auf die Konsole. Durch Reuters Ignoranz war ich zurecht verbiestert, weshalb ich mich Karla mit vor Zorn gerötetem Gesicht zuwandte: „Den Schmierfinken zu beschimpfen ist zwecklos. Er ist nicht besser als andere Presseheinis. Wenigstens wurde die Gegendarstellung in vollem Wortlaut abgedruckt.“

Da erst hatte mich mein, zwar mit einem Fragezeichen, aber dick umrandetes Machwerk versöhnlich gestimmt.

Während ich noch mehrere Sekunden am altertümlichen Schrank mit dem Telefonapparat lehnte, klingelte das abermals und eine vertraute Stimme begrüßte mich. Es war meine von mir getrennt lebende Frau.

„Hey, Georg“, sagte sie.

Und ich grüßte ebenfalls: „Hey, Andrea.“

Danach fragte sie mich, und das ängstlich: „Wie konnte das passieren? Weshalb stehst du wegen einer Schlägerei in der Zeitung? Mir wurde mulmig, als ich das mit dem Handgemenge gelesen hatte. Hast du tatsächlich zugeschlagen?“

„Ach was“, wiegelte ich ab. „Die Auseinandersetzung war harmlos und unnötig, aber wegen der Frauen nehme ich sie auf meine Kappe.“

„Muss das sein?“

„So ist es“, bekräftigte ich meinen Standpunkt. „Zudem nützt es nichts, wenn ich den Vorwurf abstreite. Gerade du solltest aus gemeinsamer Zeit wissen, wie gemein sich die Presse im Verdrehen von Tatsachen gebärdet.“

Mit dieser Erklärung vermittelte ich die Zuversicht, mit der ich sie bat: „Ich habe eine Bitte. Erzähle nichts den Kindern. Meine knifflige Situation erkläre ich ihnen besser selbst.“

Das war’s dann auch. Mehr hatten wir uns nicht zu sagen. Tendenziös für Getrenntlebende. Aber der Anruf war Balsam auf meine Wunden, hatte sie mich wenigstens in den schwärzesten Stunden meines Politikerlebens nicht ganz vergessen.

Dennoch stimmte mich der Anruf nachdenklich. Ich grübelte, erneut von Fluchtgedanken erfasst, dann eröffnete ich Karla einen erlösenden Vorschlag.

„Ich muss schleunigst raus aus dem Irrenhaus“, wurde ich deutlich. „Wir verduften und verbringen das Wochenende am Meer.“

„Am Meer?“

Karla zog erstaunt ihre Schultern hoch und machte große Augen.

„Ja, an Hollands Küste“, betonte ich unmissverständlich. „Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur in den Dünen mit ihrer Abgeschiedenheit finden wir viel Ruhe und Abstand. Nach Arbeitsschluss düsen wir zur Halbinsel Walcheren hinauf.“

Nun strahlte Karla, ähnlich einem reich beschenkten Kind.

„Deine Idee ist phänomenal“, freute sie sich. „Aber du lässt die Grünen im Stich.“

„So mit Wut vollgestopft, wie ich jetzt bin, kann ich keine Hilfe sein“, wiegelte ich ab.

„Trotzdem werden sie sauer sein. Doch was soll’s. Wir fahren einfach.“

Karla hatte den Kurztrip zur abgemachten Sache erklärt, so hatte ich ihr beim Gehen zugerufen: „Wer weiß, was mich am Arbeitsplatz erwartet? Vielleicht stempeln mich sogar meine Kollegen zu einem heimtückischen Schläger ab?“

Das war Gott sei Dank nicht so, obwohl der spektakuläre Pressebericht für Zündstoff unter ihnen gesorgt hatte. Die Kollegen behandelten mich unvoreingenommen, dadurch wurde es ein ansprechender Arbeitstag.

Direkt nach Feierabend machte ich mich auf den Weg zu den Kindern. Damit erfuhren auch sie den wahren Sachverhalt der mir vorgeworfenen Tat, ehe sie durch falsche Quellen versaut werden konnten.

„Stellt euch vor, euer Vater soll ein Schläger sein“, beklagte ich mich bei ihnen und betrieb Aufklärung über die zum Sachlage.

Und eben diese endete mit dem Stoßseufzer: „Ist das nicht absurd?“

Vorher hatte ich Julian und Anna den Schund aus der Zeitung vorgelesen, dabei hatten sie vor Unverständnis ihre Köpfe geschüttelt.

Daher verwunderte es mich wenig, dass mich mein Sohn beruhigte: „Ach, Alter“, stöhnte er, als er mich drückte. „Die Story ist doch erstunken und erlogen.“

Na und erst die kecke Anna. Die setzte prompt die Wohltat obendrauf: „Warum solltest du Jemanden schlagen? Uns hast du nie geschlagen.“

So gut, so schön. Ich pfiff in schweren Stößen die Luft aus der Lunge, denn nun konnte ich mein Anliegen nicht mehr zurückhalten.

„Aber nun zu was anderem“, begann ich meine Änderung im Wochenendfahrplan, bei der ich mich wie ein Vaterlandsverräter fühlte.

„Das gemeinsame Wochenende fällt leider flach

Und mit folgendem Wortlaut versuchte ich von meinen Schuldgefühlen abzulenken: „Die Hetze der Presse macht mich fix und fertig, daher verschwinde ich mit Karla an Hollands Küste. Bitte nicht böse sein.“

„Por, ne, Alter“, stöhnte Julian abermals. „Was wird aus der Geschichte vom kleinen Ritter?“

Ja, das war traurig, weshalb ich sein Stöhnen nachahmte:

„Ach, Julian. Auch ich hatte mich tierisch drauf gefreut. Am Meer denke ich mir eine spannende Episode aus, das verspreche ich dir.“

Als Julian und Anna die Kröte runtergeschluckt hatten, fand sich auch Andrea mit der neuen Wochenendregelung ab.

Trotz allem fiel es mir schwer, meine Tränen zu unterdrücken, was Anna beobachtet hatte, die mich tröstete: „Bitte nicht weinen, Papa. Den Mist bekommst du wieder hin.“

Meine wunderbaren Kater trugen die von den Kindern aus einer spaßigen Laune heraus gewählten Namen Tyron und Tyson. Gleich nach Feierabend, und weil Rosa verreist war, brachte ich sie zu Andrea und meinem Nachwuchs.

Tyson, ein kräftiger, schwarzweißer Kater, lebte seit der Trennung bei mir. Und Tyron hatte ich vor wenigen Monaten aufgenommen, wegen Tysons Trieb zur Geselligkeit. Ihn schmückte ein dem Tiger ähnelndes Fell, mit dem er pfiffig aussah. Dazu bewegte er sich wie ein kleiner Tollpatsch.

Der Abschied von den Kindern schmerzte. Mein Gefühlschaos glich einer Achterbahn. Dem Anstieg folgte jedes Mal das mit Karacho hinunterrauschen. In einsamen Stunden befürchtete ich, ein Leben ohne Julian und Anna würde mich umbringen. Ich litt an Höllenqualen allein bei der Vorstellung, sie könnten sich eines Tages von mir abwenden.

Doch die Aussicht auf eine Rückkehr zur Familie sank täglich, denn meine Annäherung an Karla war angewachsen. Und zu allem Unglück hatte Andrea ein Verhältnis zu einer Flasche von einem Mann begonnen.