ZU LIEB FÜR DIE LIEBE - Klaus Rose - E-Book

ZU LIEB FÜR DIE LIEBE E-Book

Klaus Rose

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Beschreibung

Das Liebesdrama beruht auf einer wahren Begebenheit. Es gehört zur Biographie des Autors. Nur das Ende der Liebesgeschichte ist fiktiv, könnte aber noch eintreten.

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Klaus Rose

Zu lieb für die Liebe

ISBN

Paperback

978-3-7469-3605-5

Hardcover

978-3-7469-3606-2

e-Book

978-3-7469-3607-9

Verlag und Druck: tredition GmbH

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

©2018 Klaus Rose

Umschlag, Illustration: Klaus Rose

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Ohne die Zustimmung des Autors und des Verlages ist eine Verwertung unzulässig. Dies gilt für die Verbreitung, für die Übersetzung und die öffentliche Zugänglichmachung.

KLAUS ROSE

ZU LIEB FÜR DIE LIEBE

Liebesdrama

Personen, Umgebung und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind Zufall, so auch Übereinstimmung mit vorhandenen Einrichtungen.

Das Buch:

Die Trennung von seiner Frau stürzt Georg in eine selbstzerstörende Lebenskrise. Seine Befreiungsversuche aus dem Elend sind aussichtslos, bis die bildhübsche Karla seinen Weg kreuzt. Die fabelhafte Frau befreit ihn mit ihrer Wunderdroge Zuneigung von den schmerzhaften Verletzungen.

Sofort wähnt sich Georg im siebten Himmel, denn Karla hievt ihn auf einen gigantischen Gipfel der Glücksseligkeit, doch bald ziehen drohende Gewitterwolken am Liebeshimmel auf.

Trotz viel Sex und leidenschaftlicher Hingabe, misshandelt Karla die Spielregeln der Gemeinsamkeit, aber Georg schließt vor den Turbulenzen die Augen. Er nimmt Karlas Rücksichtslosigkeiten hin, anstatt sich zu wehren, und das mit dem niederschmetternden Ergebnis der Ausnahmesituation. Letztendlich ignoriert er sogar Karlas Kinderwunsch, doch der hängt wie ein Damoklesschwert über der instabilen Verbindung.

Wo ist sein Mitgefühl geblieben? Wo Georgs Stolz? Beides hat Karla untergraben. Verdient das ungleiche Paar eine Chance? Wird es in ein ruhiges Fahrwasser geraten?

Der Autor:

Klaus Rose, Jahrgang 1946, kommt 1955 als Flüchtling nach Aachen. Nach dem Studium lebt er in München. Er kehrt nach Aachen zurück, wird zweifacher Vater und engagiert sich in der Kommunalpolitik. Nach dem frühzeitigem Renteneintritt verbringt er die Freizeit mit dem Schreiben seiner Romane.

 

Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.

Mark Twain

Für Liebhaber guter Liebesdramen

1

Aus Endtäuschung haben mich trübe Gedanken erfasst, als ich lustlos am Fenster stehend ein Streufahrzeug beobachte, das die verschneite Fahrbahn beackert. Hinter dem fährt ein Fiat Panda. Der kleine Italiener stellt sich quer, sodass sein Motor bestialisch aufheult. Das war’s dann wohl, denke ich, denn der in eine dicke Lammfelljacke und einen Schal eingemummelte Fahrer steigt aus und schiebt seinen Kleinwagen beiseite, so kommt der Verkehr zum erliegen.

„Kaum fällt Schnee, schon spielen die Autofahrer verrückt“, murre ich ungemütlich. „Lasst eure Kisten vor der Haustür stehen.“

Ich bin gereizt, denn ich habe schlecht geschlafen. Meine Gefühle gleichen den Furchen in meinem Bartstoppelacker. Der Grund dafür ist eine Osteomelitis, die nennt man im Volksmund Knochenfraß. Ein mich behandelnder Facharzt der Knochenchirurgie hat mich mit dem Befund nachhause geschickt, weiterhin die Gehhilfen zu benutzen. Mehr rät er mir nicht, so spekuliere ich: Mein Bein ist nicht zu retten. Bald wird mein Unterschenkel amputiert.

Ich bin richtiggehend wütend auf alle Halbgötter in weiß, sodass ich knurre: „Hätte ich mich nicht der Gewaltfreiheit verschrieben, würde ich Stümper wie euch abmurksen.“

Und wem verdanke ich den Zustand? Natürlich dem Kunstfehler eines Knochenklempners, denn der musste ihm ausgerechnet an meiner Person unterlaufen.

Lange Rede, kurzer Sinn. Der Knochenfraß hat sich in mein Bein verbissen, doch da ich nicht zimperlich bin, würge ich ein selbstvernichtendes Antibiotikum mit der dazu nötigen Verachtung in mich hinein. Auch das Sauwetter macht krank. Nach dem Schneefall ist es diesig und trüb. Das Licht fällt nur matt durch das Fenster zur Straße, wie gesiebt. Von weit her höre ich die Glocken der Pfarrkirche San Sebastian läuten. Die Tage werden kürzer und ich lechze nach Zerstreuung. Bringt mich die Tageszeitung auf positive Gedanken? Eventuell etwas im Fernseher?

Ich schnappe mir die Zeitung und blättere darin, dann schlage die Seite mit den Programmen auf und gehe die Sendeanstalten durch.

Ach, du große Güte. Den Scheibenkleister soll ich mir ansehen?

Dünnhäutig, und das bin ich mittlerweile, erregt mich die Dreistigkeit der von mir gegen eine hohe Belohnung zum Abschuss freigegebener Programmgestalter.

„Zum Teufel mit der Glotze“, meckere ich. „Was denken sich die Minderbemittelten bei ihren bescheuerten Seifenopern?“

Mir bleibt nur die Ablenkung versprechende Alternative, und die heißt Lesestoff auftreiben. Also erhebe ich mich, dann schleppe ich meine müden Knochen zum Bücherregal, wobei mir zwei an der Wand hängende Portraits der Künstlerinnen Frida Kahlo und Tina Modotti, Zugeständnisse an die Frauenbewegung und meine Lebenspartnerin, ernst dreinblickend zusehen.

Und wie ich vor dem Regal stehe, durchwühle ich es nach einem Krimi, dabei sticht mir ein abgewetztes Mäppchen ins Auge. Es ist ein uraltes Fotoalbum.

Ich krame es hervor und stiere hinein.

„O je“, murmele ich gequält. Nur mühsam kann ich meine Tränen in Schach halten.

Weshalb stöhne ich beim Anblick des Albums? Was ist so schrecklich an den Fotos? Was bringt mich übermäßig aus der Fassung?

Das Album hat mir einen tiefen Stich ins Herz versetzt, denn durch die Aufnahmen brechen längst verheilt geglaubte Wunden wieder auf. Sie zeigen Karla und mich als Paar mit überschwänglichen Gefühlen während eines La Gomera Urlaubs. Diese Bilder erinnern mich an ein erfreuliches Kapitel der Liebesaffäre. Aber je mehr ich über unser Zusammensein nachdenke, dann kommt mir in den Sinn, dass die Verbindung mit Karla kein Zuckerschlecken war.

Mein Gott, wie abgöttisch ich diese Frau geliebt habe, ja wie besessen ich von ihr war. Mir hatte alles an der Beziehung gefallen. Die vielen Gemeinsamkeiten, die sich durch Fitnessbeweise äußerten. Für unsere Gesundheit waren wir im Wald joggen und stundenlang mit dem Fahrrad unterwegs. Dazu war ich angetan von ihrem lockeren Auftreten, von ihrer Figur und ihrem herzhaften Lachen, genauso von ihrem verschmitzten Lächeln. Auch von ihrem lockigen Wuschelkopf war ich begeistert.

Es ist schon komisch, dass ich gerade jetzt, da ich in meiner Beziehung zu Lena Fuß fasse, auf die schmerzhafte Tragödie mit Karla stoße. Erfüllen die Gedanken an die tragischste Phase meines Lebens einen tieferen Sinn?

Schließlich war es mir in dem unvergessenen Zeitabschnitt mit Karla vergönnt, die Erfüllung des Lebens in einem Rausch der Liebe zu finden.

Ich bin dermaßen vertieft in die Bilder, sodass ich zusammenzucke, als mich meine Partnerin anstupst. Lena steht hinter mir und dröhnt: „Mensch, Georg. Was hast du da in der Hand? Was bedeutet die merkwürdige Anspannung in deiner Körperhaltung?“

Lena ist eine resolute und selbstbewusste Frau. Sie trägt das Herz am rechten Fleck, allerdings ist sie fürchterlich eifersüchtig.

Aus dem Grund hatte ich keine Gedanken daran verschwendet, mich auf ein Gespräch mit ihr über Karla einzulassen. Dem bin ich bewusst ausgewichen. Weiß der Kuckuck, warum ich jetzt auf den Gesprächsfaden reagiere.

„Das Album ist nur ein Stück Erinnerung an meine Ex-Freundin Karla“, versuche ich abzuwiegeln. „Das hat nichts zu bedeuten.“

Aber Lena ist misstrauisch geworden, denn sie fragt herausfordernd: „Siehst du diese Karla noch? Denkst du oft an sie?“

Diese Fragen sind mir zuwider, deshalb möchte ich sie nicht beantworten und weiche aus: „Gottbewahre. Die Geschichte ist Schnee von gestern.“

Doch Lena setzt nach: „Du bist unglaublich weit weg von mir“, resümiert sie. „Warum? Sag’s mir, Georg. Was ist mit dir los?“

„Was soll mit mir los sein?“

„Du bist ein anderer Mensch“, lässt sie nicht locker. „Im Moment stellt es ein Problem für mich dar, überhaupt Zugang zu dir zu finden.“

Ganz so unrecht hat sie nicht, denn allzu oft ertappe ich mich, wie ich der Vergangenheit nachhänge. Dann verstricke ich mich in magische Momente und Zufälligkeiten, die vor Jahren eine Katastrophe für mich ausgelöst hatten, denn solch ein Zufall war das Aufeinandertreffen mit Karla. Ob sich mein Leben ohne die verhängnisvolle Bekanntschaft anders entwickelt hätte?

Zumindest Versagensängste hätte ich vermieden, auch den ungesunden Stress durch das Bangen und Zittern um Karlas Gunst. Wäre ich zu der Zeit an eine Frau wie Lena geraten, dann wäre mir viel Kummer erspart geblieben.

Das nehme ich jedenfalls an.

Ja, ja, die große Liebe kann charismatisch schön und doch so grausam sein. Das macht sie einmalig. Es war ein Fehler, das Abenteuer Karla mit ungewissem Ausgang einzugehen. Das es ein Unglück auslösen würde, hätte ich erkennen können, ja müssen. Das baldige Ende war nicht zu übersehen.

Ich hätte zu jener Zeit, es war in den achtziger Jahren, loslassen müssen, doch das ist leichter gesagt als getan, denn die Besagte hatte mir den Kopf vernebelt. Sie hatte mich in gigantische Höhen gehievt, dabei fühlte ich mich wie beim Abschweifen in eine mir durch Träumereien bekannte Welt.

Doch bis zum Albtraum war’s nicht weit, denn bald zogen bedrohliche Gewitterwolken am Liebeshimmel auf.

Mit Blitz und Donner hatte mich Karla in angsteinflößende Tiefen gestürzt. Sie hatte mir feine Nadelstiche versetzt, ständig tiefer, bis hin zu einem kräftigen Stoß mitten ins Herz. Und ich Idiot hatte mir eingebildet, die Gebrauchsanweisung für das wunderschöne Wesen gefunden zu haben.

Doch in Karlas Beurteilung hatte ich mich gewaltig geirrt. Ich befand mich, wie ein dusseliger Wanderer, auf einem morschen Holzpfad. Und es ist keinesfalls eine Verharmlosung, wenn ich behaupte: Unsere Verbindung war eine Verkettung widriger Umstände, bei der das Damoklesschwert der Trennung dicht über uns hing, trotz phantastischem Sex und einer fast schon leidenschaftlichen Hingabe.

Nichtsdestotrotz war ich bei der erwähnten Stimmigkeit beim Sex pausenlos durch den Himmel in die Hölle gewandelt, mehrmals hin und zurück, da Karla die Spielregeln der Liebe misshandelte, doch ich hatte ihre Rücksichtslosigkeit wie ein Hampelmann hingenommen. Sie brauchte nur an meiner Schnur zu ziehen, schon tanzte ich nach ihrer Pfeife. Seinerzeit war ich eine willenlose Marionette.

Nenne ich den Beziehungshorror beim Namen, dann war’s eine Schinderei. Und je länger mir Karla durch den Kopf spukt, je mehr erinnere ich mich an mein geschundenes Herz.

Wir gehören für immer zusammen, bla, bla, bla. Den Spruch hatte Karla oft gepredigt. Als Gegenzug verfiel sie in Geringschätzigkeit. Wie kann man sich von einer Partnerin nur so erniedrigen lassen? Wie war die Herabwürdigung damals möglich?

Heute verstehe ich es nicht mehr. Aber okay, ähnliche Desaster sind nicht nur mir passiert.

Mein Verhalten war blinde Liebe, so könnte man es nennen. Dass darin viel Wahrheit steckte, das hatte mir das bildhübsche Monster drastisch vor Augen geführt. Sie hatte mich mit ihrem neckischen um mich herum Tänzeln und ihrer Gewandtheit geblendet.

Ob es Karlas hübsches Gesicht war, oder ihre süße Weiblichkeit, sie hatte mich mit jedem ihrer Vorzüge eingelullt. Und ich war auch noch so naiv, und hatte Karlas Waffen auf Gedeih und Verderb angehimmelt. Aber Karla war keine Fee, sondern eine Frau mit Haken und Ösen. Ihre überzogenen Ansprüche und meine Erwartungen klafften weit auseinander, doch das wollte ich leider nicht wahrhaben.

Oft hätte mir der Kragen platzen müssen. „Rutsche mir den Buckel runter.“ Genau das hätte ich sagen sollen. „Denke ja nicht, dass ich auf dein verwerfliches Spiel eingehe.“

Ich aber hatte mich ergeben und resigniert. Wo war mein Stolz abgeblieben? Den hatte Karla systematisch untergraben.

Aber hatte Karla wirklich ankreiden, dass sie den Beziehungskollaps wissentlich verursacht hatte? War sie tatsächlich so hinterhältig?

Beim Anschauen der Fotos gerät mein Blutdruck in Wallung. Auch jetzt noch, rund dreißig Jahre nach dem Beziehungstaumel, spüre ich den Zorn durch meine Adern fließen. Kann das wahr sein? Liebe ich das Satansweib immer noch? Warum sonst halte ich die Hände schützend über Karlas Niederträchtigkeit?

Jedenfalls kam es wie es kommen musste, denn die Trennungsturbulenzen mündeten bei mir in eine Depression, aus der ich mich nur mit Mühe und Not befreien konnte. Heute bin ich mit mir im reinen.

Das denke ich zumindest. Aber bin ich das wirklich?

Meinem Gefühlszustand will ich auf den Grund gehen, prompt habe ich eine geniale Eingebung: Die Wahnsinnsjahre mit Karla schreibe ich mir von der Seele. Ich werde einen Rechenschaftsbericht über Karlas Verfehlungen und meine Unzulänglichkeiten verfassen. Das Versiechen der Quelle an einst sprudelnden Gefühlen werde ich analysieren. Warum das Band der Liebe durchtrennt wurde, damit werde ich mich befassen. Den Hintergründen werde ich rigoros auf den Grund gehen, wobei die Schuldfrage keine Rolle spielen darf.

Ich brenne auf eine Widergabe der Liebesquerelen, obwohl ich durch dessen Wirren an meine Schmerzgrenze stoße. Vielleicht kann ich von ähnlichen Kapriolen Betroffene helfen, und mancher Leidtragende kann seinen Nutzen aus dem Liebesgefecht ziehen?

O ja, mein Entschluss steht fest. Ich setze mich an den Computer und mache einen Roman aus der nachdenkwürdigen Dramaturgie. Die einzigartigen Verquickungen, mit denen mich Karla um den Verstand gebracht hatte, bringe ich als Vergangenheitsbewältigung zu Papier.

* * *

Nun gut, ich bin gewappnet, inzwischen habe ich den nötigen Abstand zu dem Schicksalsschlag. Also stürze ich mich bedenkenlos in mein persönliches Waterloo. Und um dessen Bedeutung zu durchleuchten, bedarf es einer Zeitreise.

Erinnern Sie sich an die achtziger Jahre? Nicht mehr so gut? Dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge, denn am 26. April des Jahres 1986 hatte sich die verhängnisvolle Tschernobyl-Katastrophe ereignet, und dieser Atomunfall erschütterte die westliche Welt.

Folgerichtig mache ich einen Sprung in den Herbst des abscheulichen Jahres. In der Aachener Region wurde als einzige Maßnahme der Sand auf den Spielplätzen ausgetauscht, trotzdem tat die Politik so, als hätte es den Supergau nicht gegeben.

Auch ich war Politiker, sogar ein Stadtrat der Grünen, daher machte ich das Todschweigen des Debakels nicht mit und sorgte für mächtig Rabatz. Der „Atomkraft - nein danke“ Sticker gehörte zum festen Bestandteil meiner Kleidung.

Schon damals hatte mich mein Bein durch den Knochenfraß außer Gefecht gesetzt, doch leider war ich ein Bruder Leichtfuß, denn mir fehlte als freier Mitarbeiter die Krankenversicherung als Lebensgrundlage, so war das Finanzdesaster vorprogrammiert.

Aus der Not geboren hatte meine kurzfristige Arbeitsaufnahme das Ende meines Geldproblems eingeläutet, so hockte ich nach sechswöchiger Pause wieder im Umweltbüro. Meine Aufgabe bestand aus der Kontrolle langweiliger Koordinatenreihen, weswegen ich ärgerliche Laute von mir gab.

„Ich hasse Schlampereien, liebe Kollegen. Mancher Flüchtigkeitsfehler war sicher vermeidbar.“

Um mich zu beruhigen, wechselte ich die Kühlkompresse, doch das ohne die gewünschte Wirkung, denn mein Unmut hatte sich in mir festgefressen.

„Nein, werte Kollegen“, schnauzte ich rückhaltlos. „Erledigt den Krempel gefälligst allein.“

In mir brodelte es, wie im Wasserkessel vor dem erlösenden Pfiff, als mein Chef Herbert den Kopf durch die nur einen Spalt geöffnete Tür steckte und sich räusperte: „Mensch, Georg. Hör auf mit dem Herumkrakeelen.“

Er lächelte verschmitzt.

Dann fragte er mich, wobei er sich die viel zu großgeratene Nase rieb: „Liegt deine miese Laune an deinem Bein, oder ist dir ist eine andere Laus über die Leber gelaufen?“

Der unrühmliche Herbst übte seinen feuchten Abgang. Es war das Wetter zur Flucht in den sonnigen Süden. Doch das nicht für mich, denn die mit Spannung erwartete Bundestagswahl ‘87 warf ihre unübersehbaren Schatten voraus. Eine Armee an Parteifratzen ohne politische Aussagekraft hing auf zig Plakatwänden überall im Stadtbild herum.

Zerknirscht starrte ich durchs Bürofenster auf einen Regenbogen. Das tat ich im Umweltbüro Tietze, in einem heruntergekommenen Anbau mit nassen Wänden. Die Planunterlagen wellten sich, zudem entsprach nur eine Zeichenmaschine dem gehobenen Standart, denn Computer gab’s damals noch nicht.

Auch der Ausblick auf die kahlen Bäume hellte das Gesamtbild unwesentlich auf. Und obwohl ich im spannungsreichen Umweltschutz arbeitete, worauf ich als Grüner stolz war, glich der Büroalltag einer Keimzelle der Monotonie, gelegentlich von Hektik und Stress unterbrochen. Vor allem aber war ich gestresst durch mein chaotisches Privatleben. Das verlief alles andere als in geordneten Bahnen.

* * *

Bevor ich mein Zuckermäulchen Karla lieben gelernt hatte, beschäftigte mich ein schwerwiegendes Problem, das meine vollste Aufmerksamkeit erforderte. Zu einem Verlierer passend, hatte mich ein Absturz in den Sufferwischt. Mit der Gefahr vor Augen, in die Abhängigkeit des Alkoholismus abzugleiten, hatte ich mich dem Abgrund genähert, denn nächtelang hatte ich meine Ängste vor dem Alleinsein in einem riesigen Meer an Bier ertränkt.

Jetzt fragen Sie sich sicher, warum?

Ja, warum eigentlich? War es nicht eher so, dass mich zwei putzmuntere Kinder unterstützten, dass ich einen gutbezahlten Job besaß und einer reizvollen politischen Herausforderung nachging?

Der Anlass für meine Sauferei lag auf der Hand: Ich hatte die Trennung von meiner Frau nicht verdaut. Ausreichende Beweise in Form von leeren Bierkästen standen haufenweise vor meiner Tür. Im Bekanntenkreis galt ich als hoffnungsloser Fall, denn im Suff war mir der Selbsterhaltungstrieb abhanden gekommen.

Wohin aber hatte sich meine warnende Stimme Alfred verkrochen? Warum ließ er mich in solch einer heiklen Situation kläglich im Stich?

Ach Gott, was für eine Frage. Ich selbst hatte Alfreds übliche Proteste mit enormen Promillewerten auf das barbarischste im Alkohol ertränkt.

Ich bewegte mich im Endstadium des Deliriums.

„Wo bist du, Andrea?“, lallte ich abstoßend. „Warum hilfst du mir nicht?“

Aber meine Ex war nicht in der Lage, mein inniges Flehen zu erhören. Sie war nicht mehr bei mir. Für sie existierte ich nur noch als Vater ihrer Kinder, ansonsten war ich für sie gestorben.

Davon geknickt trieb ich die Saufexzesse bis an die Belastbarkeitsgrenze voran, bis die mir heilige Umwelt vor meinen glasigen Augen verschwamm. Und das passierte ausgerechnet einem Grünen.

Sogar mein Arbeitsplatz geriet in Gefahr, aber ein Donnerwetter meines Chefs, der mir kräftig den Kopf wusch, brachte mich zur Besinnung.

„Himmel Herrgott, Georg!“, schimpfte er. „Schenke dir dein Gewäsch. Hör endlich mit dem Selbstmitleid auf.“

Dermaßen wutentbrannt nahm mich Herbert zur Brust. „Wem hilfst du mit der Sauferei? Dir etwa? Zeige Charakter und denke an deine Kinder.“

Die Kopfwäsche wirkte. Sie tätigte positive Folgen als Konsequenz, doch trotz aller Querelen war meiner Frau und mir das äußerst Seltene geglückt. Wir hatten uns ohne Schlammschlacht, also friedvoll getrennt und eine annehmbare Freundschaft aufgebaut, welches die Kinder, Julian, sieben und Anna, fünf Jahre alt, regelrecht beflügelt hatte.

Ich hatte zwei herrliche Kinder gezeugt. Mit Julian ein nachdenkliches Geschöpf mit blondem Schopf, ähnlich meiner Wenigkeit, und mit Anna einen Hurrikan an Temperament. Befanden sie sich bei mir, vergaß ich meine vertrackte Situation. Die Schmuckstücke waren mein EIN und ALLES.

Aber weiß der Aasgeier, was mich vorher geritten hatte. Es war wohl eine Art Selbstüberschätzung. Weshalb sonst hatte ich mein Leben mit der Frau und den Kindern leichtfertig aufs Spiel gesetzt? Es kann nur eine geistige Umnachtung gewesen sein.

Sexuell war die Zeit bis zur Trennung zähflüssig abgelaufen. Ein war ein träger Trott. Das tägliche Einerlei. Die Macht der Gewohnheit. Es hatte keine Überraschungen gegeben, nur mittelmäßige Pflichtübungen. Eine schlaffe Turnerei, auf die ich gut und gern verzichtet hätte. Nichtsdestotrotz war Andrea das Passstück zu meinem ausgefüllten Leben. Und obwohl ich die Gründe für die Katastrophe nicht verdränge, bei der, wie meistens eine andere Frau dahinter steckte, oder wie bei Andrea ein anderer Mann, erinnere ich mich kaum noch an die Seitensprünge.

Doch, Augenblick, hieß meiner nicht Ilona? Eigentlich war’s eine harmlose Romanze, aber gerade diese Nebensächlichkeit ließ meinen Schmerz in einem noch trostloseren Licht erscheinen.

Das war zum Glück anders, waren die Kinder bei mir. An drei Abenden pro Woche lag ich mit ihnen auf meiner riesigen Matratze, Julian links und Anna rechts im Arm. Stundenlang erzählte ich ihnen selbsterfundene Geschichten, bis sie vor Müdigkeit einschliefen.

Toll fanden sie die Story vom kleinen Ritter mit der verrosteten Rüstung, der allen Gefahren trotzte. Jede freie Minute dachte ich an meine Unternehmungen mit den Kids. So zum Beispiel an einen zweiwöchigen Urlaub in Südfrankreich, als wir mit dem Campingbus an einem AKW entlang knatterten.

Bei seinem Anblick schmetterten wir Antiatomkraftlieder, dann Lieder der Friedensbewegung: Was sollen wir trinken, sieben Tage lang, und so weiter, bis wir erschöpft in Avignon ankamen. Protestlieder machten uns viel Freude. Wir kannten sie in und auswendig. Auf zwanzig Demos hatten die Lieder unsere Abläufe bestimmt.

Den diesjährigen Sommerurlaub hatten wir in Siena, Pisa und San Gimignano zugebracht. Das waren unvergessliche Wochen. Julian, Anna, war es so?

Aus Liebe zu den Kindern hatte ich mir Selbstbeherrschung auferlegt und den Alkoholkonsum heruntergeschraubt, doch innerlich blieb ich labil. Rückschläge gehörten zum rauen Tagesgeschäft. Alkoholismus ist eine schwer zu bekämpfende Krankheit. Aber Monate später konnte ich ohne Prahlerei behaupten: Ich habe mein Alkoholproblem im Griff.

Der größte Dank galt meinem nicht gänzlich verlorengegangenen Schamgefühl. O Gott, allein die Vorstellung, ich wäre als heruntergekommener Saufsack vor meinen Kindern herumgetorkelt, hätte mir das Herz gebrochen.

Tja, wo wäre ich ohne die mich abgöttisch liebenden Kinder gelandet? Die waren der Sonnenschein in meinem gebeutelten Leben.

2

Trotz Trennungsschmerz und Unverständnis über eigene Fehler, ich Narr hatte den Traum von der großen Liebe nie aufgegeben. Irgendwann läuft mir das Geleestück einer Frau über den Weg, von dem ich geträumt hatte, davon war ich überzeugt.

Und so kam es auch, denn total unerwartet kehrte Hoffnung in mein Innenleben ein. Gerade rechtzeitig erschien meine Retterin in der Person der unwiderstehlichen Karla auf der Bildfläche. Sie verlieh meinem Lebensgefüge den neuen vielversprechenden Sinn.

Sofort faszinierte mich die wunderbar anzusehende, betörend weibliche und wahnsinnig hübsche Frau mit ihrem braungelockten Wuschelkopf. Besonders war ich angetan von ihrem temperamentvollen und einnehmenden Wesen. Sie war dreißig Jahre jung, und wie der Zufall es wollte, trafen wir uns im Supermarkt direkt um die Ecke. In dem machte es booing!

Und das „Booing“ rüttelte mich wach. Mit Karla hatte mich eine gewaltige Explosion erschüttert, mehr als ein beliebiger Paukenschlag. Der ekstatische Stromstoß krempelte mein Dasein blitzartig um. Die daraus resultierende Rückbesinnung reparierte mein völlig aus den Fugen geratenes Unterbewusstsein. Genau auf den Punkt war ich hellwach, sogar aufgedreht und tatendurstig, wie zu meinen besten Tagen. In grenzenlose Euphorie versetzt, fragte ich mich: Wer soll mich aufhalten, geschweige denn meinen wiedergewonnenen Elan bremsen?

Pah! Ich wüsste nicht wer, jubilierte mein siegessicheres Selbstbewusstsein. Ich war wieder intakt und sah mich als Glücksgriff für die Frauen, denn das in sich zusammengesunkene und bemitleidenswerte Häufchen Dreck gab es nicht mehr. Das Kapitel gehörte einer bedauernswerten Vergangenheit an. Endlich lag mir die Schönheit einer Frau mit ihrer schier unbeschreiblichen Anschmiegsamkeit zu Füßen.

Schnapp dir das Fabelwesen, Georg. Wer außer dir hätte das Zeug dazu?

Mit ähnlicher Bewunderung für Karla, wie ich sie empfand, putschte mich mein zu mir zurückgekehrter Alfred auf, genesen von seiner Alkoholvergiftung.

Und jener besagte Alfred war mein innerer Schweinehund. Sie kennen sicher das Ekel Alfred Tetzlaff aus der Fernsehserie: Ein Herz und eine Seele.

Ja? Na sehen Sie. Eben an jenen Tetzlaff dachte ich bei der Vergabe des Namens an meinen inneren Randalierer, denn so wie dieser Tetzlaff führte sich mein Alfred in mir auf. Zwischendurch gestatten Sie mir eine Frage. Krakelt auch in Ihnen ein derartiges Prachtexemplar?

Durch Karla gehörten die Nächte der neuentflammten Liebe, nicht mehr dem betäubenden Alkohol. Ich frühstückte mit dem Prachtweib, und noch vor der Arbeit joggten wir zusammen, worüber sich mein Blutdruck freute. Der Routinescheck verlief zufriedenstellend.

„Na also, Georg. Es geht doch“, bestätigte mir mein Hausarzt Peter, ein guter Freund aus gemeinsamen Kinderladentagen.

Aber Frischverliebte brauchen Zuneigung, vor allem ausreichend Zeit, doch die fehlte mir meistens. Ich erfüllte Karlas hochgeschraubte Ansprüche nur leidlich, da ihr sexueller Nachholbedarf die ruhelosen Nächte prägte. Mein durch Karla hervorgerufenes Schlafdefizit begann an den Gesichtszügen zu zehren und ich machte mir berechtigte Sorgen, aber Karla wickelte mich ein mit ihrem unwiderstehlichen Charme.

Lieber hätte ich meinen gesamten Lebensinhalt hingeschmissen, hätte die Arbeit auf ein Minimum zurückgeschraubt, und wäre sogar aus der Politik ausgestiegen, nur auf die aufregenden Nächte wollte ich nicht verzichten. Nein, dafür waren sie viel zu schön. Doch trotz der Verschleißerscheinungen wirkte ich jünger und wurde mit Komplimenten überhäuft.

„Mensch, Georg. Nenne mir Jemanden, der dir deine achtunddreißig Jahre ansieht? Ich hätte dich auf dreißig Jahre geschätzt“, flötete mir manche Verehrerin zu.

Die Schmeichelei ging runter wie Öl, sie hatte freilich auch realistische Züge, denn dunkelblaue Augen und ein wohlgeformter Mund verschönten mein markantes Profil. Nur meine Nase war eine Idee zu spitz geraten.

Von dem Schönheitsfehler lenkte mein Alfred süffisant ab, der ekelhaft in mir schäkerte: Und wenn schon, Georg. Damit wirst du uralt.

Ich trug mein schulterlanges, dunkelblondes Haar lässig hinter die Ohren gesteckt, und das so geschickt, dass es mein sympathisches Gesicht nicht verdeckte. Mein aufgeweckter Blick und meine aufmerksame Art kamen gut an. Besonders beliebt war mein freundliches Wesen. Ich fand mich aufregend und nutzte jede sich bietende Chance, mich ins begehrliche Licht zu rücken, weswegen mich grünangehauchte Frauen wie die Mücken umschwärmten.

Allerdings war ich eher klein, gerade mal einmetersiebzig. Damit war ich kein Herkules, aber viel wich-tiger war, dass ich durchtrainiert und gertenschlank daherkam. Nur ein Bauchansatz ärgerte mich ab und an, doch wegen dem versteckte ich mich nicht, bei meiner rundherum sympathischen Erscheinung.

War mein jugendliches Charisma der Erfolg dieser Ausstrahlung? Oder beeinflussten meine hautenge Streifenhose, die abgewetzten Turnschuhe und die obligatorische Cordjacke, also Klamotten, die ich vorwiegend wie eine zweite Haut an meinem Körper trug, die verjüngende Aura?

Mächtig alternativ sah ich mit meinen lässigen Klamotten aus und diese Äußerlichkeiten prägten meine nicht unerhebliche Erfolgsbilanz. Das Zitat eines Presseartikels bestätigte mich: Es sind keine Blütenblätter, die sich um sein Antlitz ranken, sondern reichlich Haare!

Zugegeben, es war eine gelungene Glosse, gedacht als Anspielung auf meinen Nachnamen Blume. Es war zwar kein sonderlich origineller Aufhänger, aber er hatte Charme. Nichts desto Trotz gefiel mir mein Outfit, obwohl mich mancher Neider als Auslaufmodell bezeichnete, doch das scherte mich einen Dreck.

In dem eher konservativen Gremium Stadtrat tätigte mein Äußeres den Zwischenruf: „Herr Blume, was sagen Sie dazu? Wir veranstalten eine Geldsammlung für Sie.“

So stichelte der Choleriker Bauer von der Gegenseite. „Gehen Sie dann zum Friseur und kaufen Sie sich vernünftige Schuhe?

„Ha, ha. Selten so gelacht“, hatte ich gekontert. „Nun lassen Sie schon die Pointe aus dem Sack. Oder besser, Sie geben mir ein Zeichen, wann über den Kalauer gelacht werden darf?“

Grobschlächtige Ratsherren fanden die Äußerung des selbsternannten Witzboldes witzig und wollten sich die Seele aus dem Hals lachen, daher war die Reaktion meinerseits sarkastisch: „Noch nie hat die Wahl der Schuhe eine Entscheidung im Rat beeinflusst. Sehe ich das etwa falsch?“

Schlussendlich scheiterte der Ratsantrag, eine Frauengleichstellungsstelle im Rathaus einzurichten, trotz meiner Gegenwehr und den Tumulten der Frauengruppe. Und das führte dazu, dass Bauer und ich verbal aneinander gerieten, weshalb der Bürgermeister die Ratssitzung abbrach. Der Eklat war bis dato einmalig in der Ratsgeschichte, doch bei weitem nicht so schlimm wie mein Knochenfraß.

Beim Verlassen des Rathauses hatte ich die Auseinandersetzung bereits vergessen, denn bis auf böse Blicke ereignete sich nichts Spektakuläres.

Ich verschwand mit einem Kollegen in die Stammkneipe, dort zischten wir uns ein Bier. Erst danach machte ich mich auf den Weg ins vertraute Heim.

Hoffentlich wartete Karla auf mich?

3

Dem verträumten, alten Eckhaus, in dem ich mit Karla wohnte, sah man die Hektik nicht an, das es gelegentlich verbreitete. Seine Ausstrahlung hatte etwas beruhigendes. Doch mit der Ruhe war’s bald vorbei, weil Karla die genaue Wiedergabe der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Antrag forderte. Auch sie reagierte aufgebracht vor Mitgefühl mit den verarschten Frauen, als ich ihr den Ablauf wahrheitsgetreu widergespiegelt hatte.

Karla stotterte zerknirscht: „Hätte ich auf der Empore gesessen, hätte ich die Pappnasen zur Sau gemacht.“

Das überschäumende Temperament ging mit Karla durch, wobei auch ihr der typische Frauenvorwurf entfuhr: „Die Männer haben nur Angst um ihre Macht, besonders diese machtgeilen Scheißkerle.“

Ja, so war sie meistens. Andauernd bewegte sie ich am Limit. Aber diesmal war der Ausbruch kurzlebig, einem besonderen Abend stand nichts im Wege.

Wir tranken randvolle Gläser Wein, den Roten aus der Toscana, schon blickte ich in verständnisvolle Augen. In Karlas wunderschönen Augäpfeln spiegelte sich unbändige Leidenschaft, ja blinde Vertrautheit wider. Sie nahm mich verführerisch in die Arme und strich mir zärtlich übers lange Haar.

„Ich liebe dich, Georg. Du bist einfühlsamer als die meisten Männer“, flüsterte sie mir beschwipst ins Ohr. „Du bist ein Mann mit Verständnis für uns Frauen.“

Die Bestätigung erwärmte mich. Aus ihrem betörenden Mund traf sie mich mitten ins Herz. Daher gab’s kein halten, als wir zu vorgerückter Stunde aufstanden und uns aneinander rieben.

„Bewege dich nicht“, flüsterte ich.

Meine Stimme klang zärtlich, aber fest. Mit der rechten Hand drückte ich Karlas Hüften an mich, mit der anderen hob ich ihren langen Rock an. Fast in Hüfthöhe ließ ich ihn los und schob die linke Hand liebkosend in ihr aufreizendes Höschen.

„Bleibe ruhig“, flüsterte ich und verfrachtete den Rock mit zitternden Fingern bis zu den Schultern hinauf, dann zog ich ihren knappen Schlüpfer die Oberschenkel abwärts. Behutsam streifte ich ihn über ihre Füße, dabei verwirrte ihr nacktes Fleisch meine Sinne.

„Dein Hintern ist phantastisch“, hauchte ich, vor Aufregung heiser klingend. Ich küsste und streichelte ihn. Meine Hand verbreitete eine wohlige Kühle auf ihrer warmen Haut. Ihre Knie bebten, als wir uns langsam aufs Bett gleiten ließen, wobei ich ihre prallen Hinterbacken knetete.

Ich schnurrte wie eine schmusebedürftige Katze: „Du bist schön. Weißt du das?“

Gefühlvoll drehte ich Karla zu mir um. Danach erforschte ich sie weiter. „Spürst du, wie nass du bist und wie offen?“, presste ich hervor.

Karla wand sich unter meinen tastenden Fingerkuppen. Geil und nach Liebe wimmernd, streckte sie mir ihren Prachtkörper entgegen.

„Ja, Georg, schön langsam, bitte hör auf, mir kommt’s gleich“, stöhnte sie. „O ja, mache bitte so weiter, nicht nachlassen, ja, steck ihn rein, jetzt schneller, o ja.“

Wir liebten uns hemmungsloser denn je.

Und noch schachmatt vom Liebesorkan, lächelten wir uns ausgepowert an und staunten über unsere Erschöpfung. Doch bevor wir in einen tiefen Schlaf fielen, summte mir Karla einen letzten Liebesschwur zu.

„Mein Liebling. Ich liebe dich mehr als mich selbst“, hörte ich sie flüstern.

* * *

Flugturbulenzen sind eine Bagatelle gegen das, was sich nach der Nacht ereignete. Der Tag gehörte in die Kategorie, Horror vom Feinsten, ähnlich einem perfekt inszenierten Gruselkabinett. Absurd, anmaßend, beleidigend, all das kam mir als Beschreibung für die Ereignisse in den Sinn. Und die Ungeheuerlichkeit traf mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers, als ich am Frühstückstisch die Zeitung aufschlug.

Was war das...?

Die Überschrift über die Ereignisse der gestrigen Sitzung sprang mir ins Auge. WUT UND EMPÖRUNG NACH DER ATTACKE, so lautete die Überschrift.

„Was soll das?“, unkte ich, denn ich war baff.

„Diverse Wahlplakate der SPD sollen wir Grüne beschmiert haben“, erläuterte ich Karla. „Glaubst du das? In einer Presseerklärung wirft uns ein SPD-Sprecher faschistische Methoden vor und ich, Georg Blume, wäre gar kriminell. Ich lese wohl nicht richtig.“

„Hör zu, Karla. Er fordert mich auf, ich müsse mich für die Vorfälle im Rat entschuldigen und mich von der Plakataktion distanzieren. Was soll der Scheiß?“

Mir war der Appetit gründlich vergangen. „Was nimmt sich das Ekelpaket raus“, kreischte ich wie ein Papagei.

„Nein, mein Freund, das wird nichts. Ich werde auf deine Frechheit reagieren. Eine Klarstellung muss raus, und möglichst schnell“, erklärte ich Karla die gebotene Dringlichkeit.

Nachdem ich am Telefon die notwendigen Schritte mit der grünen Fraktion besprochen hatte, formulierte ich in einer Gegendarstellung, dass ich Bauer mit der Krücke bedroht hatte. Ich habe ihn aber nicht berührt. Allein auf Drohgebärden würden die ungerechtfertigten Anschuldigungen beruhen.

Mit dem Wortlaut gab ich sie im Gespräch mit dem Chefredakteur der Lokalpresse weiter: „Korrigieren sie ihren Fehler“, dann beendete ich das Gespräch und schnaufte erleichtert durch: „Okay, das ist erledigt.“

Prompt regte ich mich um so heftiger über die unsinnigen Angriffe des besagten Abgeordneten auf.

Erst als ich mich ausgetobt hatte, vermittelte ich Karla als Rückblick dessen und meine gemeinsame Vergangenheit.

„Dieser Manfred ist ein eingebildeter Fatzke. Als Kinder haben wir gelegentlich zusammen gespielt, obwohl er den Arztsohn abartig herausgekehrt hatte. Es war ein Minderwertigkeitskomplex, den er zu übertünchen versuchte. Heute verwundert es mich, wie schnell er in seiner Partei ans Ruder kam? In ihr steht sein Name für Fleiß und Beharrlichkeit. Doch er ist ein rücksichtsloser Egoist, was ein entscheidender Grund ist, ihm aus dem Weg zu gehen.“

„A ha“, antwortete Karla.

„Schon gut, Karla. Ich langweile dich.“

„Das tust du, Georg.“

„Nur noch eins. Ich frage mich nämlich, woher der Wichtigtuer sich das Recht nimmt, uns Grüne in eine faschistoide Ecke zu schieben? Warum sollen wir uns von der Aktion enttäuschter Frauen distanzieren? Bei ihm ist das Wahlkampfgetöse, mehr nicht. Doch das passt zu ihm. Er hält es für einen genialen Schachzug.“

Das war ausführlich genug. Karla verstand die Hintergründe seines Verhaltens. Insgeheim dachte ich: Die Runde hat der Abgeordnete verloren. Zwar nicht durch einen glorreicher k.o. Sieg, aber den durfte ich nicht erwarten, schon gar nicht in der ersten Runde.

Als ich mir den Kopf freigepustet hatte, peinigte mich mein Fluchtinstinkt, obwohl ein dicker Batzen Haushaltsrede anstand. Die galt es in ein attraktives Textgewand zu kleiden. Erst nach der Rede würde ich den Stress in die Schublade packen, danach war das Werk für das Jahr 1986 vollbracht.

* * *

Die unerfreulichen Angriffe auf meine Person hatten sich auf den Gipfel der Gemeinheit hochgeschaukelt. Die wildesten Gerüchte wegen der Auseinandersetzung im Rat schossen ins Kraut.

Das ahnte ich selbstverständlich nicht, als ich mich auf den Weg zum Bäcker machte, um frische Brötchen zu holen.

Und wieder zurück im Treppenhaus, lag die abonnierte Tageszeitung parat. Die hob ich auf, doch schon beim Blick auf die Vorderseite erstarrte ich.

„Zum Teufel mit der Sensationspresse“, protestierte mein Gerechtigkeitssinn.

Ich stürmte ungeschickt die Stufen hinauf, wegen der Krücken, und in Karlas Reich eingetreten, schimpfte ich kolossal: „Lies, Karla, was für einen Unfug der Schmierfink geschrieben hat. Und schau, ein Foto von mir auf der Titelseite.“

Danach gönnte ich mir eine Beruhigungsphase, dann rasselte ich den Text unter der Abbildung runter: „Das Bild zeigt Georg Blume, den Fraktionschef der Grünen im Rat“, las ich vor. „Er hat sich auf Handgreiflichkeiten eingelassen. Leidtragender war Herr Bauer, der CDU-Ratsherr und Manager Alemannia Aachens.“

Und weitere Textzeilen verdaut, schimpfte ich auf den Verfasser: „Reuter hat nicht alle Tassen im Schrank. Wie sonst kann er den Schwachsinn schreiben?“

Wutentbrannt stapfte ich mit Karla die wenigen Stufen in meine Mansarde hinauf. Wir wohnten in übereinanderliegende Wohnungen. Dort goss ich uns Kaffee ein, den hatte ich bereits vor dem Gang zum Bäcker aufgesetzt.

Dann las ich Karla den Bericht auf der Kommunalseite zum Tathergang vor. Darin stand geschrieben: Nach Auskunft einer verlässlichen Quelle hat Herr Blume den Streit angezettelt und seinen Standpunkt mit seiner Krücke schlagkräftig untermauert. Er schadet der Debatte um die Frauengleichstellung.

„Der Schreiberling will mich fertig machen, anders kann ich den Artikel nicht deuten“, meckerte ich, denn ich verstand die Welt nicht mehr.

Und noch in Untergangsstimmung rief ich Chefredakteur Reuter in seiner Lokalredaktion an.

„Ja, hier Reuter“, meldete der sich teilnahmslos. „Was gibt’s, Herr Blume?“

„Das wissen Sie genauso gut wie ich“, fluchte ich wie ein Scheunendrescher durch die Leitung. „Spucken Sie aus, warum Sie sich an den Spekulationen gegen mich beteiligen. Gerade von Ihnen hatte ich Neutralität erwartet, doch durch Ihre Mithilfe arten die Verleumdungen zur Hetzkampagne gegen mich aus.“

Erst danach wurde meine Tonlage vertretbarer. „Außerdem ist nichts von dem Geschmiere wahr. Es ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde, denn die Auseinandersetzung war harmlos. Noch dazu haben Sie das grimmigste Foto von mir aufgestöbert, auf dem ich einem Meuchelmörder ähnele.“

„Na, na, Herr Blume“, räusperte sich Reuter, dann gab er sich jovial: „Wenn’s so harmlos war, dann verstehe Ihre Aufregung nicht. Was haben Sie zu befürchten, war’s so, wie Sie behaupten.“

„Behaupten? Wie abfällig Sie das aussprechen? Es war so, Herr Reuter“, brüllte ich in die Sprechmuschel. „Ach was, Sie können mich mal.“ Ich donnerte das Gerät auf die Konsole und beendete das Gespräch.

Durch Reuter war ich zurecht verbiestert, wobei ich mich Karla in Zornesröte zuwandte: „Es ist zwecklos, den Schmierfinken zu beschimpfen. Er ist nicht besser als die üblichen Presseheinis. Wenigstens hat er die Gegendarstellung in vollem Wortlaut abgedruckt.“

Da erst hatte mich mein dick eingerahmtes Machwerk versöhnlicher gestimmt.

Während ich noch sekundenlang am Schmuckstück von einem Schrank mit dem Telefonapparat darauf lehnte, klingelte mein Telefon und eine mir vertraute Stimme begrüßte mich. Es war meine von mir getrennt lebende Frau.

Ich grüßte mit „Hey, Andrea“ zurück.

Dann fragte sie ängstlich: „Wie konnte das passieren? Weshalb hast du wegen einer Schlägerei in der Zeitung gestanden? Mir wurde mulmig, als ich das las. Hast du tatsächlich zugeschlagen?“

„Ach was“, wiegelte ich ab. „Die Auseinandersetzung war harmlos und unnötig, trotzdem nehme ich sie wegen der Frauen auf meine Kappe.“

„Muss das sein?“

„Ja, Andrea“, bekräftigte ich meinen Standpunkt. „Zudem nützt es nichts, wenn ich das Zuschlagen abstreite, denn gerade du solltest aus gemeinsamer Zeit am besten wissen, wie gemein sich die Presse im Verdrehen von Tatsachen gebärdet.“

Mit dieser Erklärung vermittelte ich Zuversicht. Mit der bat ich sie: „Ich habe eine Bitte. Erzähle davon nichts den Kindern. Meine knifflige Situation erkläre ich besser selbst.“

Das war’s dann auch. Mehr hatten wir uns nicht zu sagen. Tendenziös für Getrenntlebende. Aber der Anruf war Balsam auf meine Wunden, hatte sie mich wenigstens in den schwersten Stunden meines Lebens nicht ganz vergessen.

Dennoch stimmte mich der Anruf nachdenklich. Ich grübelte, erneut von Fluchtgedanken erfasst, dann eröffnete ich Karla den erlösenden Vorschlag: „Ich muss schleunigst raus aus dem Irrenhaus“, wurde ich deutlich. „Wir verduften und verbringen das Wochenende am Meer.“

„Am Meer?“

Karla machte große Augen.

„Ja, an Hollands Küste“, betonte ich noch unmissverständlicher. „Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur in der Abgeschiedenheit der Dünen finden wir Ruhe und Abstand. Ganz früh am Samstag düsen wir zur Halbinsel Walcheren hinauf.“

Karla strahlte, ähnlich einem reich beschenkten Kind.

„Deine Idee ist phänomenal“, freute sie sich. „Aber du lässt die Grünen im Stich. Die werden sauer sein. Doch was soll’s. Wir fahren einfach.“

Karla erklärte den Kurztrip zur abgemachten Sache, also rief ich ihr beim Gehen zu: „Wer weiß, was mich am Arbeitsplatz erwartet? Vielleicht stempeln mich die Kollegen zum Schläger ab?“

Das war Gott sei Dank nicht so, obwohl der spektakuläre Pressebericht für Zündstoff unter ihnen gesorgt hatte. Die Kollegen behandelten mich unvoreingenommen, so wurde es ein ansprechender Arbeitstag.

Und kurz nach Feierabend besuchte ich meine Kinder. So erfuhren auch sie den wahren Sachverhalt der mir vorgeworfenen Tat, ehe sie durch falsche Quellen versaut werden konnten.

„Stellt euch vor, Kinder. Euer Vater soll ein Schläger sein“, beklagte ich mich und betrieb Sachverhaltsaufklärung. Und eben diese endete mit dem Stoßseufzer: „Ist das nicht absurd?“

Vorher hatte ich Julian und Anna den Schund aus der Zeitung vorgelesen, dabei schüttelten sie ihre Köpfe. So verwunderte es mich wenig, dass mich mein Sohn beruhigte: „Ach, Alter. Die Story ist doch erstunken und erlogen.“

Na und erst die kecke Anna. Die setzte die Wohltat obendrauf: „Ja warum solltest du jemanden schlagen? Uns hast du nie geschlagen.“

So gut, so schön. Ich pfiff in schweren Stößen die Luft aus der Lunge, denn ich fühlte mich wie ein Vaterlandsverräter, als ich den Kindern mein Wochenendvorhaben darlegte.

„Aber nun zu was anderem. Unser Wochenende fällt leider flach. Die Pressehetze macht mich fix und fertig, daher verschwinde ich mit Karla an Hollands Küste. Bitte nicht böse sein.“

„Por, ne, Alter“, stöhnte Julian. „Was wird dann aus der Geschichte vom kleinen Ritter?“

Weshalb ich ebenfalls stöhnte: „Ach, Julian. Auch ich hatte mich tierisch drauf gefreut. Am Meer denke ich mir eine total spannende Episode aus, das verspreche ich dir.“

Julian und Anna schluckten die Kröte runter, daher fand sich auch Andrea mit der neuen Wochenendregelung ab.

Trotz allem fiel es mir schwer, meine Tränen zu unterdrücken, was Anna beobachtet hatte, die mich tröstete: „Bitte nicht weinen, Papa. Den Mist bekommst du wieder hin.“

* * *

Meine wunderbaren Kater trugen die von den Kindern aus spaßiger Laune heraus ausgewählten Namen Tyron und Tyson. Am Freitag, gleich nach Feierabend, und weil Rosa verreist war, brachte ich sie zu Andrea und meinem Nachwuchs.

Tyson, ein kräftiger, schwarz weißer Kater lebte seit der Trennung bei mir. Tyron hatte ich vor wenigen Monaten aufgenommen, wegen Tysons Trieb zur Geselligkeit. Ihn schmückte ein dem Tiger ähnelndes Fell, mit dem er pfiffig aussah. Dazu bewegte er sich wie ein kleiner Tollpatsch. Übrigens war die Namensgebung eine Schnapsidee der Kinder.

Der Abschied von den Kindern schmerzte. Mein Gefühlschaos glich einer Achterbahn. Dem Anstieg folgte jedes Mal das mit Karacho hinunterrauschen. Was aber sollte sich ändern?

In einsamen Stunden befürchtete ich, ein Leben ohne Julian und Anna würde mich umbringen. Ich litt an Höllenqualen allein bei der Vorstellung, sie könnten sich eines Tages von mir abwenden.

Doch die Aussicht auf eine Rückkehr zur Familie sank täglich, denn meine Annäherung zu Karla wuchs beängstigend. Und zu allem Unglück hatte die Mutter meiner Kinder ein Verhältnis zu einer Flasche von einem Mann begonnen.

„Ich verstehe dich nicht. Der Typ ist eine Zumutung“, hatte ich ihr in einem Anfall an Größenwahn vorgeworfen.

Sie aber hatte meine Vorwürfe zurückgewiesen: „Du kennst ihn doch gar nicht, außerdem ist das meine Sache. Was geht’s dich an?“

Mit meiner Herabwürdigung ihres Freundes hatte ich frisch verheilte Wunden aufgebrochen. Ihre Ablehnung mir gegenüber war verständlich, doch die verschlimmerte meine Misere. War der Traum von der gemeinsamen Zukunft ausgeträumt? Es sah ganz so aus.

Um so mehr klammerte ich mich an meine Kinder. Tränenüberströmt sagte ich zu ihnen beim Verlassen des Hauses: „Lieber Julian, liebe Anna. Was immer auch passiert, ich bin für euch da, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort.“

* * *