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Der neue Liebes-Roman der Bestseller-Autorin Anna Bell. "Auf dich war ich nicht vorbereitet" ist lustig, romantisch und nicht kitschig. Also genau das Richtige für alle Fans von Mhairi McFarlane, Petra Hülsmann und Liebes-Komödien im allgemeinen. Haben Sie schon einmal daran gedacht, auf Handy, Facebook, Instagram und Twitter zu verzichten? Also eine Digital Detox, eine digitale Diät, zu machen? Genau dies tut Daisy, die Protagonistin in Anna Bells neuer romantischer Liebe-Komödie – allerdings gegen ihren Willen. Denn die Londonerin Daisy liebt nichts so sehr wie ihre Social-Media-Kanäle und ist in jeder freien Sekunde online. Ihre Facebook-Fassade strahlt in perfektem Glanz. Und auch auf der Arbeit ist sie ununterbrochen online und für jedermann erreichbar – bis sie erschöpfungsbedingt zusammenbricht. Daisys Schwester Rosie beschließt, dass es nun endgültig reicht und verfrachtet Daisy kurzerhand aufs Land. Dort soll sie fernab von WLAN und Handynetz einen Digital-Entzug machen. Obwohl Daisy anfangs einiges versucht, um online zu gehen, gefällt ihr das Landleben immer besser. Und als der schweigsame Nachbar Jack beginnt, ihr kurze Briefe anstatt Mails zu schreiben, ist das fast schon romantisch … Die Engländerin Anna Bell ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Sie sagt von sich selbst, sie sei eine hoffnungslose Romantikerin und liebe nichts so sehr wie ein gut gemachtes Happy End. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie in Frankreich in einem wildromantischen Haus. In Deutschland sind neben ihrem Spiegel-Bestseller "Eigentlich bist du gar nicht mein Typ" bereits folgende Liebes-Romane erschienen: "Sag einfach nur ja", "Er muss ja nicht alles wissen", "Ich würd's wieder tun" und "Perfekt ist nur halb so schön".
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Seitenzahl: 471
Veröffentlichungsjahr: 2019
Anna Bell
Roman
Aus dem Englischen von Silvia Kinkel
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Haben Sie schon einmal daran gedacht, auf Handy, Facebook, Instagram und Twitter zu verzichten? Also eine Digital Detox, eine digitale Diät, zu machen? Genau dies tut Daisy, die Protagonistin in Anna Bells neuer romantischer Liebe-Komödie – allerdings gegen ihren Willen.
Denn die Londonerin Daisy liebt nichts so sehr wie ihre Social-Media-Kanäle und ist in jeder freien Sekunde online. Ihre Facebook-Fassade strahlt in perfektem Glanz. Und auch auf der Arbeit ist sie ununterbrochen online und für jedermann erreichbar – bis sie erschöpfungsbedingt zusammenbricht.
Daisys Schwester Rosie beschließt, dass es nun endgültig reicht und verfrachtet Daisy kurzerhand aufs Land. Dort soll sie fernab von WLAN und Handynetz einen Digital-Entzug machen. Obwohl Daisy anfangs einiges versucht, um online zu gehen, gefällt ihr das Landleben immer besser. Und als der schweigsame Nachbar Jack beginnt, ihr kurze Briefe anstatt Mails zu schreiben, ist das fast schon romantisch …
Widmung
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Kapitel neunundzwanzig
Kapitel dreißig
Kapitel einunddreißig
Kapitel zweiunddreißig
Kapitel dreiunddreißig
Kapitel vierunddreißig
Danksagung
Liebe Leserin, lieber Leser,
Für Laura Pearse:
Obwohl du selbst genug Last zu tragen hast, gehörst du zu den liebsten und fürsorglichsten Freundinnen, die man nur haben kann. Danke, du inspirierst mich. x
Zieh es doch ein bisschen höher«, fordere ich den armen Kerl auf und zupfe an seinem Hemd. »Perfekt. Damit wir den Waschbrettbauch besser sehen können.«
Ich drehe mich zu meiner besten Freundin Erica um, die mein Handy bereithält.
Dann schürze ich die Lippen, neige den Kopf leicht nach hinten, um das Risiko eines Doppelkinns zu minimieren, und bete, dass die Beleuchtung schummerig genug ist, um die Wirkung der Cocktails zu kaschieren, die wir schon den ganzen Nachmittag schlürfen.
Rasch noch das Top zurechtgezogen. Aber sobald ich meine Brüste weit genug unter dem bisschen Stoff verberge, dass mein Dekolleté als jugendfrei durchgeht, entblöße ich meinen Bauch.
»Verdammter Dresscode«, fluche ich leise. Nuttig als Motto für einen Junggesellinnenabschied – auf die Idee können auch nur Helens Freundinnen kommen. Aber es passt zu ihr. Als wir während des Studiums zusammenwohnten, zog sie immer in den knappsten Outfits los. Ich dagegen bin es nicht gewohnt, so viel Fleisch zur Schau zu stellen.
»Okay, das sieht gut aus!«, ruft Erica.
Während sie auf den Auslöser drückt, beschwöre ich mein inneres Model herauf, drehe den Kopf und zeige mit der Hand auf die Brust des armen Kerls, als würde ich ihn als den Gewinn einer Gameshow anpreisen.
Erica reicht mir das Handy zurück, und ich bedanke mich bei dem Fremden. Er schlendert leicht verdattert zurück zu seinen Freunden, die genauso johlen und grölen wie meine Freundinnen. Der Typ ist soeben Opfer unseres Junggesellinnenabschieds geworden.
»Wow!«, entfährt es Erica. »Dass du dich das traust!«
»Was denn? Es war doch nur sein Waschbrettbauch, ich habe ihn ja schließlich nicht aufgefordert, sich nackt auszuziehen«, erwidere ich achselzuckend und gehe die Aufnahmen durch. »Ah, bingo.«
Ich entscheide mich für das Bild, auf dem nicht nur sein Sixpack zu sehen ist, sondern auch mein provozierender Schmollmund, und schicke das Foto an die erste Brautjungfer. Danach poste ich es auf Twitter – für unsere Freundin Amelie. Innerhalb von Sekunden hat sie es gelikt.
»Ich kann nicht glauben, dass Amelie sich diesen Spaß hier entgehen lässt«, sage ich und denke insgeheim, dass sie verdammtes Schwein hat, ausgerechnet diese Woche zu einer Geschäftsreise in New York zu sein und die Demütigung der knappen Outfits und albernen Aufgaben von ihrem gemütlichen Hotelzimmer aus verfolgen kann. Sie ist definitiv nicht dem Dilemma ausgesetzt, bei jeder Bewegung einen unfreiwilligen Nippelblitzer oder einen Blick auf ihren String zu riskieren.
»Ich bin bestimmt als Erste mit den Aufgaben fertig«, verkünde ich zuversichtlich und lasse den Blick über die anderen Mädels schweifen, die in der Bar ihrer Beute nachstellen. »Und nun wollen wir an euren Fotos arbeiten, Ladys.« Erica und Tess stöhnen und gehen die Liste der Motive durch, die bei diesem Spiel infrage kommen:
Sexy Sixpack
Nach der Geburt getrennt (Promi-Doppelgänger)
Auf jung gemacht
Aus dem Gefängnis ausgebrochen
Übergibt sich jeden Moment
»Wie ist es mit dem?«, fragt Erica und zeigt auf einen Typen in der hinteren Ecke. »Wenn du die Augen zusammenkneifst, sieht er aus wie Ryan Gosling.«
»Klar, wenn Ryan Gosling eins fünfundachtzig wäre und fuchsrote Haare hätte«, erwidert Tess.
Erica neigt den Kopf zur Seite. »Okay, vielleicht ist er eher ein Doppelgänger von diesem Weitspringer – ihr wisst schon, der bei ›Strictly Come Dancing‹ dabei gewesen ist.«
Rasch tippe ich die Information in mein Handy. »Greg Rutherford«, sage ich und danke Google.
»Das ist er. Bin sofort wieder da.« Sie wankt los, um ein Selfie zu schießen.
Im selben Moment verschwindet Tess wie der Blitz in die entgegengesetzte Richtung.
Was ist das nur mit diesen Junggesellinnenabschieden? Warum lässt man sich auf Dinge ein, die ein halbwegs intelligenter Mensch normalerweise nie machen würde? Als ich einen Schluck von meinem Cocktail trinke, kenne ich die Antwort: Es ist noch nicht einmal drei Uhr nachmittags, und ich kann nicht mehr zählen, wie viele Drinks ich heute schon hatte.
Für einen Samstagnachmittag ist die Bar ziemlich gut besucht. Helens aufgedrehte Freundinnen übertrumpfen sich gegenseitig mit ihrem Gegacker. Während die Mädels sich (und andere) im Namen der Braut erniedrigen, kann ich kurz durchatmen – schließlich ist der Tag rappelvoll mit Aktionen. Angefangen haben wir heute Morgen mit Aktmalerei (#VieleWilliesZumFrühstückSehen), gefolgt von einem Poledance-Kurs (#MeineInnereStripperinHeraufbeschwören), Mittagessen im OXO Tower (#MampfMampfMampf) und Spätnachmittagscocktails (#RiechtFörmlichNachÄrger), bevor wir dann abends auf einem Partyboot feiern werden (#AufDassWirUnsÜbergeben).
Das Telefon vibriert in meiner Hand, und ich sehe eine Nachricht von Mum.
Hallo, Süße, vergiss nicht, dass Rosie heute Geburtstag hat. Bis bald, Mum xx
Verdammter Mist. Wie konnte ich nur den Geburtstag meiner Schwester vergessen? Facebook hätte mich vorwarnen müssen! Offenbar gehört Rosie zu jenen rücksichtlosen Menschen, die ihre Geburtstagserinnerung deaktivieren. Was erwarten diese Menschen eigentlich von uns? Dass wir von selbst daran denken? Letztes Jahr habe ich so viel gearbeitet, dass ich ohne die automatischen Geburtstagsgrüße von eifrigen Freunden um Punkt Mitternacht meinen eigenen glatt vergessen hätte.
Zerknirscht reibe ich mir die Schläfen. Natürlich ist heute ihr Geburtstag; daran habe ich sofort gedacht, als das Datum für den Junggesellinnenabschied feststand. Aber die militärische Planung von Helens erster Brautjungfer Zoe hat mich darauf programmiert, alles andere zu verdrängen.
Hi, Schwesterherz, hoffe, du hast einen tollen Geburtstag! Ist meine Karte pünktlich angekommen? Wir müssen uns möglichst bald sehen – ist eine Ewigkeit her. Daisy xx
Nachdem ich die Nachricht abgeschickt habe, logge ich mich bei Moonpig ein und bestelle eine Geburtstagskarte. Ich nehme die erstbeste, auf der »Schwester« steht und bei der man kein Foto hochladen muss. Als Erica es zurück an unseren Tisch schafft, bin ich mit dem Schreiben fertig und habe die Karte verschickt. Jetzt kann ich der Royal Mail die Schuld daran geben, dass meine Schwester die Karte nicht pünktlich erhalten hat. Hüstel.
»Also, das eine kann ich dir sagen: Wenn ich nicht mit Chris zusammen wäre …« Erica zwinkert mir zu. »Du solltest deinen Hintern mal da rüberbewegen.«
»Und mir Zoes Zorn zuziehen? Sich von der Braut zu entfernen gilt als Regelverstoß. Außerdem ist er nicht mein Typ.«
»Groß, gut aussehend und ein reales Wesen aus Fleisch und Blut?«
»Sehr lustig. Wie du weißt, treffe ich mich durchaus mit meinen Tinder-Bekanntschaften.«
»Klar, und dann schickst du sie in die Wüste, weil sie ihrem Internetprofil nicht gerecht werden.«
»Es ist ja wohl nicht meine Schuld, dass die Leute bei ihren Profilen lügen. Wenn die Männer auf Tinder doch nur die Wahrheit sagen würden!«
Erica brüllt vor Lachen. »So wie du? Wann wurde dein Profilfoto noch mal gemacht?«
»Es wurde vor einem Tempel in Chiang Mai aufgenommen, und ich verwende es, weil es zeigt, wie kultiviert ich bin.«
»Klar doch. Und nicht etwa, weil es vier Jahre alt ist und du damals noch weniger Falten hattest …«
»Genau genommen ist es wegen der tollen Bräune und weniger wegen der Falten.«
»Ah, wie mir das gefehlt hat«, sagt Erica. »Wir waren seit einer Ewigkeit nicht mehr aus. Genau genommen habe ich dich seit einer Ewigkeit nicht gesehen.«
»Stimmt, bei mir im Büro geht es momentan völlig verrückt zu.« Ich verdrehe die Augen. »Aber bald wird es ein bisschen ruhiger.«
Wenn man bedenkt, wie selten ich meine beste Freundin sehe, würde man nicht auf die Idee kommen, dass ich momentan in ihrem Gästezimmer wohne.
»Erledigt.« Tess kommt triumphierend an den Tisch zurück und zeigt uns ein Foto auf ihrem Handy.
»Der gewinnt definitiv bei ›Aus dem Gefängnis ausgebrochen‹,« stelle ich fest und ziehe meine Handtasche näher an mich heran. »Er sieht aus wie die Typen auf den Phantombildern bei ›Aktenzeichen XY‹.«
»Der ist harmlos, ein sanfter Riese und ein Crack in Algebra – ich kenne ihn aus einem Seminar.«
Erica und ich schauen ungläubig hinüber.
»Also gut, Ladys!« Zoe kommt an unseren Tisch gestürmt. Sie ist Helens erste Brautjungfer und beste Freundin aus der Heimat – und sie nimmt beide Rollen sehr ernst. »Danke für eure Fotobeiträge, wir werden später entscheiden, wer den Wettkampf gewonnen hat. Aber erst einmal habe ich uns den Sofabereich für unser nächstes Spiel gekrallt.«
Sie klatscht in die Hände, als wolle sie uns antreiben, und brav lächeln wir alle drei wie auf Kommando.
»Großartig«, täusche ich Begeisterung vor. Jede echte Begeisterung ist gemeinsam mit meiner Würde schon lange auf der Strecke geblieben; es muss etwa um die Zeit gewesen sein, als ich das Outfit anzog, gegen das Julia Roberts’ Aufmachung als Prostituierte in Pretty Woman geradezu spießig war.
»Wenigstens geben wir bei den vielen Spielen nicht noch mehr Geld aus«, murmelt Tess und geht vorneweg. Sie hat recht, denn diese Feier könnte für uns noch teurer sein. Helen und ihr Verlobter werden nämlich in Las Vegas heiraten, deshalb ist der heutige Tag auch für alle Freundinnen gedacht, die es sich nicht leisten können, an der Trauung teilzunehmen. Aber ehrlich gesagt hätte ich vermutlich für weniger Geld nach Vegas fliegen können. Ein Glück, dass der Junggesellinnenabschied in London stattfindet – wenigstens brauchen Erica und ich kein Hotel für die Nacht.
In der Ecknische, die Zoe für uns aufgetan hat, stehen zwei Sofas einander gegenüber. Die gemütlichsten Plätze sind bereits von anderen aus unserer Gruppe belegt, also quetsche ich mich mit Erica auf eine breite Armlehne.
»Okay, bestimmt habt ihr alle schon mal ›Karten gegen die Menschlichkeit‹ gespielt, oder?«, beginnt Zoe. »Nun, wir haben eine Variante für den Junggesellinnenabschied erfunden. Ich werde jeder von euch sechs Antwortkarten geben. Dann zieht Helen aus dem Stapel eine Fragekarte und liest sie laut vor. Ihr müsst dann die Antwortkarte ablegen, die eurer Meinung nach am besten passt. Die liebe Helen wird anschließend ihren Favoriten aussuchen, okay?«
Bevor irgendjemand etwas sagen kann, beginnt Zoe, die Karten auszuteilen. Zweifellos hat sie für das Spiel nur einen begrenzten Zeitrahmen vorgesehen – der ganze Tag ist schließlich einem strikten Timing unterworfen.
Ich nehme meine Karten auf und überfliege sie:
Halte deine Zehennägel kurz geschnitten
Eine Peitsche
Ein guter One-Night-Stand
Die Missionarsstellung
Das ist mir scheißegal
Organisation und Planung
Das offizielle »Spiel gegen die Menschlichkeit« habe ich nur einmal gespielt, und da war ich ziemlich betrunken. Diese Variante scheint pikanter zu sein. Da ich Helens andere Freundinnen nicht so gut kenne – außer Erica natürlich –, bin ich echt gespannt.
Ich schnappe mir mein Handy und schicke einen Tweet raus.
Halt dich fest! @amelieMwah, wir spielen die Junggesellinnenvariante von Karten gegen die Menschlichkeit – sei gewappnet!!!
»Also dann, die erste Karte«, sagt Helen und dreht eine um. Das Funkeln in ihren Augen verrät, wie sehr sie jede Minute dieses Tages genießt. »Das Geheimnis für guten Sex ist …«
Die Mädels kichern und gehen ihre Antwortkarten durch, um die passendste, will heißen lustigste zu finden. Ehrlich gesagt passen meine alle ziemlich gut – na ja, abgesehen von der Missionarsstellung, es sei denn, man steht drauf. Ich will gerade die Karte mit Halte deine Zehennägel kurz geschnitten ablegen, als ich meine Meinung ändere und mich für Eine Peitsche entscheide.
Ich tweete meine Antwort. Ein paar der anderen tun das ebenfalls, natürlich alles nur für Amelie, damit sie nicht das Gefühl hat, etwas zu verpassen. Während des Studiums haben wir zu fünft zusammengewohnt, und es fühlt sich seltsam an, dass sie jetzt nicht hier ist. Da Helen nach dem Examen in ihre Heimatstadt York zurückgekehrt ist, fehlt sie zwangsweise öfter in unserem Quintett.
»Ich glaube, Ericas Antwort ist die beste«, sagt Helen, und Erica boxt triumphierend in die Luft. »Das Geheimnis für guten Sex ist, zu allem bereit zu sein.«
»Jep.« Erica zwinkert mir triumphierend zu. Jetzt hat sie meinen Ehrgeiz geweckt.
Helen dreht die nächste Karte um und liest vor: »Der Schlüssel zu einer guten Ehe ist …«
»Verflixt«, zische ich Erica zu. »Jetzt wäre ›Eine Peitsche‹ perfekt gewesen.«
»Es ist immer Mist, wenn du deine Trumpfkarte zu früh spielst.«
Ich werfe Ein guter One-Night-Stand auf den Tisch und bin nicht überrascht, als sie von einem der anderen Mädels mit Immer oben liegen getoppt wird.
Rasch tweete ich die Updates an Amelie und meine anderen 1997 Follower, die ganz sicher schon gespannt auf die Fortsetzung warten.
»Okay, die nächste: … ist der schlimmste Feind einer Frau«, liest Helen vor. »Die Antwort muss also an den Satzanfang.«
»Schade, dass wir keine Karte mit ›Junggesellinnenabschied‹ haben«, raunt Erica mir zu und knufft mich in die Seite.
Ich peile auf mein nur mühsam zu bändigendes Dekolleté. »Schön wär’s«, murmele ich und bin sicher, dass diese Karte spielend gewinnen würde.
Ich gehe meine verbliebenen Karten durch und wähle die aus, die als einzige noch passt.
Helen überfliegt die Antworten und verharrt bei meiner. »Das ist es – ›die Missionarsstellung‹! Gut gemacht, Daisy!«
Ich strahle, und dank der Cocktails fühle ich mich, als hätte ich soeben den Nobelpreis gewonnen statt eines albernen Spiels.
Von den übrigen Runden gewinne ich keine mehr, und wir sind bald mit dem Spiel durch.
»Also schön, Mädels. Um Viertel nach vier brechen wir auf zur Bootsfahrt. Uns bleiben also noch fünfzehn Minuten, um auszutrinken und aufs Klo zu gehen. Wir treffen uns am Ausgang!«, ruft Zoe.
Ich salutiere wie Cheryl aus X-Factor und konzentriere mich dann wieder auf meinen Drink.
Erica steht auf und folgt den anderen, die sich entweder in Richtung Bar oder zu den Toilettenräumen schieben.
Ich checke kurz die Antworten auf meinen letzten Tweet und überfliege den Twitter-Büro-Account. Es scheint nichts dabei zu sein, das nicht bis Montag warten könnte oder zumindest bis zum morgigen Katernebel. Momentan kümmere ich mich um die sozialen Netzwerke der Marketing-Agentur, bei der ich arbeite, und ich tweete lieber verspätet als betrunken – schließlich bin ich keine Vollidiotin.
Mein Handy brummt. Es ist eine Nachricht von meiner Schwester.
Danke, Daisy. Da Rupert geschäftlich verreist ist, verbringe ich einen ruhigen Geburtstag. Habe deine Karte nicht erhalten, vielleicht kommt sie Montag. Sieht so aus, als wäre ich nächste Woche in London. Hast du Lust, dass wir uns Mittwoch oder Donnerstag zum Mittagessen treffen?
Jetzt habe ich ein noch schlechteres Gewissen, weil nicht einmal ihr Ehemann da ist, um sie in irgendein schickes Michelin-Stern-Restaurant oder ein Luxus-Spa auszuführen oder was auch immer er für gewöhnlich tut, Hauptsache, es kostet ein Vermögen. Aber es klingt so, als ginge es ihr trotzdem gut. Und dass ich sie nächste Woche hier in London zum Mittagessen treffen kann, ist ein zusätzlicher Pluspunkt, denn dann muss ich nicht zu ihr hochfahren. Wir sind nicht gerade megaenge Schwestern – eher die, die sich Weihnachten bei Mum auf den neuesten Stand bringen.
Mir ist klar, dass ich sie öfter besuchen sollte, aber mich macht die Vorstellung nervös, dass ich die weite Strecke zu ihr fahre und wir dann womöglich nicht wissen, worüber wir reden sollen. Als wir noch klein waren, kamen mir die drei Jahre Altersunterschied zwischen uns riesig vor. Mittlerweile spielen sie zwar keine große Rolle mehr, aber dafür unterscheiden sich unsere Lebensstile völlig. Sie ist eine ausgehaltene Frau – verheiratet, bis dass der Tod sie scheidet. Ich dagegen bin ein berufstätiges Mädchen mit Pech in der Liebe.
Momentan ist im Büro echt viel zu tun; Mittagessen wäre also vermutlich am besten. Sollen wir den Mittwoch festhalten? xx
»Menschenskind! Die Schlange an der Bar ist Wahnsinn. Hier, runter damit, bevor wir gehen.«
Misstrauisch beäuge ich das Glas.
»Hochprozentiges? Sind wir schon so weit? Es ist noch nicht einmal fünf.«
»Irgendwo auf der Welt ist es das, und glaube mir, unsere Verzweiflung ist groß genug. Ich habe mitbekommen, welches Spiel Zoe für den Weg zum Schiff im Kopf hat. Da wirst du nachträglich über das hier froh sein.«
Zögernd nehme ich das Glas von Erica entgegen, schnuppere daran und schüttle mich. Tequila. Ich versuche mich an eine Situation zu erinnern, in der nach dem Genuss von Tequila etwas Gutes passierte, aber alles ist in dichten Nebel gehüllt. Wenn das von Zoe geplante Spiel also wirklich so furchtbar ist, könnte Tequila helfen.
Erica streut aus einem Tütchen erst auf ihr Handgelenk ein bisschen Salz und dann auf meins.
»Drei, zwei, eins!«, ruft sie, und wir kippen die Kurzen runter. Als mich der scharfe Beigeschmack zusammenfahren lässt, drückt sie mir schnell eine Zitronenspalte in die Hand.
»So bleiben«, sagt Erica und schießt ein Foto von mir. »Anbetungswürdig.«
»Jede Wette, das wird mein neues Facebook-Profilfoto«, sage ich lachend, schnappe mir ihr Handy und betrachte meine Grimasse.
»Noch ein Selfie zum Abgewöhnen?«, schlägt sie vor, und wir heben beide unsere Handys.
»Schlampenpose«, spiele ich auf das Motto des Tages an, und dann ziehen wir beide einen Schmollmund und schieben unser Dekolleté vor.
Rasch drücke ich auf den Auslöser und zucke dann zusammen, als ich erkenne, wie betrunken wir auf dem Bild aussehen. Vor uns liegen noch etliche Stunden; ich wage gar nicht daran zu denken, welche Schätze ich morgen früh auf meinem Handy finden werde.
Ping. Wie ein fein abgestimmtes Sonar richten sich meine Ohren auf das Handy, während mein Gehirn das Geräusch verarbeitet. Ich weiß sofort, dass es sich um eine Nachricht auf Tinder handelt. Erwartungsvoll zieht sich mein Magen zusammen, und mein Herz schlägt schneller. Leider kann ich jetzt nicht zu meinem Handy abtauchen. Mein langweiliger Kollege Sam steht neben mir, stützt sich auf meinen Tisch und faselt etwas von einer Verkaufspräsentation, die er nächste Woche halten wird. Noch träge vom Wochenende und außerdem chronisch überarbeitet, wäre ich bei dem Singsang seines schottischen Akzents fast eingeschlafen. Glücklicherweise hat mich das Piepen des Handys wiederbelebt.
Wenn ich mich auf meinen Ellenbogen stütze, könnte ich an Sam vorbei einen Blick auf das Display erhaschen.
»Du schickst es mir also rüber?«, fragt er.
»Äh …«, antworte ich, höre mit den Verrenkungen auf und schaue ihm fest in die Augen. »Selbstverständlich.« Ich habe keinen blassen Schimmer, was er meint, aber ich bin sicher, dass er mich daran erinnern wird, schließlich nennen wir ihn im Büro nicht umsonst den Sagenhaften Sam.
»Großartig. Die Charts zum Henderson-Angebot, die FirstGroupFirst-Webmail-Kampagne und den Honeybee-Bericht – ich habe dann alles morgen früh im Präsentationsordner. Okay?«
Jetzt weiß ich zumindest, worum es geht, aber der Zeitrahmen hat es in sich. Meine To-do-Liste ist bereits so lang wie mein Arm – und bei einer Körpergröße von 1,78 habe ich ziemlich lange Arme.
Mühsam unterdrücke ich ein Gähnen. Ich bin erschöpft, habe aber zu viel zu tun, um jetzt schon gehen zu können.
Laut meinem Computer ist es 18:30 Uhr, und meine Arbeitszeit endet eigentlich um 18:00 Uhr. So viel dazu, heute pünktlich Feierabend zu machen. Sonderlich überrascht bin ich darüber nicht. Selbst in weniger hektischen Zeiten verlasse ich das Büro selten vor 19:00 Uhr, und momentan herrscht in unserer Marketing-Agentur Hochsaison. Bei der geringen Menge Tageslicht, die ich zu sehen bekomme, könnte ich genauso gut in einem Bergwerk unter Tage arbeiten.
Die Vorstellung, in mein kuscheliges Bett zu steigen und bald zu schlafen, wird ersetzt durch das Bild, wie ich es in den frühen Morgenstunden gerade noch schaffe, mich auszuziehen und erschöpft auf die Laken zu fallen.
Ich seufze laut. Nicht nur mein Schlaf leidet unter dem anstrengenden Arbeitspensum, sondern auch meine Garderobe. Mit dem Wäschewaschen bin ich Wochen in Verzug. Eigentlich hatte ich das am Sonntag erledigen wollen, aber bei meinem Kater nach dem Junggesellinnenabschied war schon der Gedanke an das Geräusch einer sich drehenden Wäschetrommel unerträglich. Ich wünschte, ich hätte mich überwunden, denn jetzt sitze ich hier in einem Seidentop, das eigentlich zu einem Pyjama gehört, dazu eine selbst gestrickte Jacke mit unterschiedlich langen Armen und fadenscheinige Leggings, durch die man bei genauem Hinsehen Snoopy auf meinem Höschen erkennen kann. Normalerweise gebe ich mein Bestes, das Haus in einem vorzeigbaren Zustand zu verlassen. Mein Outfit sollte stets die Berechtigung zu einem Spiegel-Selfie haben. Aber mein heutiges eignet sich höchstens als Internet-Meme »Wie man sich nicht anziehen sollte«.
Wenn ich heute Abend wieder nicht wasche, werde ich morgen ohne Unterwäsche und in meinem Leopardeneinteiler ins Büro kommen. Das würde sogar die Grenzen des Casual Friday sprengen, mal ganz davon abgesehen, dass morgen erst Mittwoch ist.
Stöhnend wende ich mich wieder meiner To-do-Liste zu und will gerade die Unterlagen für den Sagenhaften Sam zusammenstellen, als ich mich an das Piepen von Tinder erinnere und stattdessen nach meinem Handy greife.
Bitte, ihr Tinder-Götter, lasst es den superheißen Typen sein, dessen Foto ich letzte Woche nach rechts gewischt habe. Enttäuscht stelle ich fest, dass die Nachricht nicht von ihm stammt, sondern von Dominic, einem anderen Tinder-Kontakt. Ich klicke auf sein Bild und lese:
Werde mich ein bisschen verspäten. Ginge auch 20:00 Uhr?
Sicherheitshalber lese ich den Text noch einmal. Er muss die Nachricht irrtümlich an mich geschickt haben, da wir erst morgen verabredet sind. Offenbar ist er sehr eifrig und hat jeden Abend ein Date. Dabei hat er wohl etwas durcheinandergebracht. Die Nase rümpfend, betrachte ich sein Foto. Er ist süß, aber will ich mich mit einem Tinder-Serien-Aufreißer treffen? Natürlich erwarte ich keine Exklusivität, bevor wir uns im echten Leben kennengelernt haben. Aber ich möchte wenigstens die Illusion aufrechterhalten, kein Massenprodukt auf dem Fließband der Verabredungen zu sein.
Ich scrolle durch unseren Chat, um mir ins Gedächtnis zu rufen, warum ich dieser Verabredung ursprünglich zugestimmt hatte. Unsere kurzen Nachrichten sind das übliche Geplänkel – was wir beruflich machen und wo wir wohnen –, nichts Tiefschürfendes. Aber als ich weiterscrolle, komme ich zu der Stelle, an der wir einen Termin vereinbaren: Dienstag, 19:00 Uhr. Heute – in einer halben Stunde.
»Oh, shit«, fluche ich laut. Offensichtlich habe ich das Treffen falsch in meinen Terminkalender eingetragen. Wir wollen uns in South Bank treffen, und bis dorthin brauche ich mindestens eine halbe Stunde.
»Was ist los?«, fragt Sara, die mir gegenübersitzt, und schaut von ihrem Bildschirm hoch.
»Ich habe vergessen, dass ich heute Abend verabredet bin.« Wieder starre ich auf meine To-do-Liste und überlege, was ich unbedingt noch erledigen muss. Ich hatte nicht vor, meinen Schreibtisch vor acht zu verlassen, eher um neun. »Ich muss absagen.«
Es ist furchtbar, Leute auf diese Weise zu enttäuschen, aber ich kann unmöglich gehen. Und das nicht nur wegen der vielen Arbeit. Seht mich doch an! Als würde mein Katastrophen-Outfit nicht genügen, erinnert mein Gesicht an einen Pandabären: blass und mit schwarzen Augenringen. Und die Ladung Trockenshampoo war alles an »Waschen«, was meine Haare heute Morgen erleben durften. Außerdem bin ich so müde, dass ich mich kaum an meinen eigenen Namen erinnern kann. Wie soll ich also mit einem Fremden ein geistreiches und niveauvolles Gespräch führen?
Ich schaue hinunter auf Dominics Foto, sein verstrubbeltes, blondes Haar und die funkelnden grünen Augen. Er sieht echt süß aus. Man stelle sich nur unsere Kinder vor oder, besser noch, unsere Instagram-Fotos: sein blondes Haar und die smaragdgrünen Augen in das warme Licht eines Valencia-Filters getaucht …
Ich konnte Erica sogar dazu bringen, auf LinkedIn seinen Lebenslauf zu checken. Er ist Trader an der Börse, was ihn zumindest auf dem Papier recht gut dastehen lässt. Das ist natürlich nicht das ausschlaggebende Kriterium, aber es könnte zumindest bedeuten, dass er das Abendessen bezahlt.
»Ist das derselbe Typ, dem du letzte Woche schon abgesagt hast?«
Beschämt lasse ich den Kopf hängen, und Sara sieht mich schräg an. Ich traue mich nicht, ihr zu sagen, dass es derselbe ist, dem ich auch schon vor zwei Wochen abgesagt habe. Ich war überrascht, dass er tatsächlich einen dritten Versuch startete – aber ich bezweifle, dass er das noch einmal tun wird.
»Wenn sich jemand ein bisschen früher hier herausschleichen darf, dann ja wohl du«, sagt Sara und wühlt in ihrem Posteingangskorb. »Mit all deinen Listen bist du der organisierteste Mensch, den ich kenne. Komm schon, Daisy, ein Abend kann nicht schaden.«
»Aber Sam hat mich gerade gebeten, für ihn etwas zu erledigen, und ich muss mich noch auf die morgigen Meetings vorbereiten. Andererseits, wenn ich mich heute Abend nicht mit Dominic treffe, werde ich ihn vermutlich nie kennenlernen.«
»Und wenn er der eine ist?«, gibt Sara zu bedenken und zieht die Brauen hoch.
Sara befindet sich auf der ewigen Jagd nach dem einen, wohingegen ich mich momentan schon mit irgendeinem zufriedengeben würde. Da wir während der vergangenen Wochen nahezu 24/7 in diesem Büro festgesessen haben, können wir im Hinblick auf potenzielle Partner für eine ernsthafte Beziehung nicht gerade aus dem Vollen schöpfen.
»Du hast recht. Wenn ich mich nicht bald mit jemandem verabrede, fange ich an, sogar den Sagenhaften Sam mit seinem ständigen ›Und denk dran‹ attraktiv zu finden. Ob er vor dem Sex auch mit ›Um es noch mal zusammenzufassen‹ ankommt?«, flüstere ich und beuge mich über den Schreibtisch zu Sara. In meinem besten schottischen Akzent raune ich: »Also, ich werde dich jetzt befummeln, dann machst du es mir mit dem Mund, und ich bespiele dich mit den Fingern, bis wir beide kommen. Okay?«
Sara fallen fast die Augen aus dem Kopf, und ich frage mich gerade, ob ich die Grenze der angemessenen Gesprächsthemen im Job überschritten habe, als mir klar wird, dass sie über meine Schulter schaut.
Ich drehe mich um und sehe den Sagenhaften Sam hinter mir stehen.
Sara tut so, als würde sie tippen. Ich weiß, dass sie nur so tut, weil sie auf etwa 600 Anschläge pro Minute kommt, und das schafft nicht einmal The Flash in der gleichnamigen Serie.
»Sam …«, setze ich an und frage mich, wie ich aus dem Fettnäpfchen jemals wieder herauskommen soll.
»Ähm …« Mit rot glühenden Wangen blickt er zwischen Sara und mir hin und her. »Ich will nur rasch den Stift holen, den ich hier vergessen habe, und überlasse euch beiden wieder dem, was auch immer ihr gerade plant.«
Gleich darauf stürzt er davon, während ich seine Worte verarbeite.
»O Gott, er hat nicht alles mit angehört, stimmt’s? Das ist, gewissermaßen, gut«, fahre ich fort. »Denn dann weiß er zumindest nicht, dass es um ihn ging. Allerdings denkt er jetzt, ich hätte dir ein unsittliches Angebot gemacht.«
»Im Ernst?« Sara unterdrückt mühsam ihr Lachen. »Aber deine Schottisch-Imitation muss ihn doch auf die Spur gebracht haben.«
»Keine Ahnung, die war ziemlich schlecht. Findest du echt, dass es sich schottisch angehört hat?«, frage ich und lege mich noch einmal ins Zeug.
»Ehrlich gesagt …« – sie windet sich unübersehbar – »… klingt es eher irisch.«
»Na super. Jetzt glaubt Sam, dass wir eine Affäre haben. Genau dieses Image hat mir im Büro noch gefehlt.«
»Du hättest es wesentlich schlechter treffen können!«
»Das stimmt.« Sara sieht nämlich aus, als würde sie auf den Laufsteg gehören statt an den Schreibtisch. »Wenn ich auf Frauen stehen würde, wärst du ganz oben auf meiner Liste.«
Sie streicht ihr Haar glatt und lächelt über das Kompliment.
»Und deine Verabredung … du gehst also hin?«
»Ich denke schon. Schließlich brauche ich jetzt einen Freund, um Sam zu beweisen, dass ich nicht lesbisch bin«, antworte ich lachend.
Ich schicke Dominic rasch eine Nachricht, um die Terminverschiebung zu bestätigen, und verfluche mich gleichzeitig dafür, einer Abendverabredung in dieser Woche überhaupt zugestimmt zu haben. Ich bin in der Marketing-Agentur Kundenbetreuerin, und die meisten meiner Kunden sind Firmen im Londoner Finanzzentrum, die ihre Finanzberichte offenbar alle gleichzeitig an Investoren senden. Sehr hilfreich. Das bedeutet nämlich, dass ich den nächsten Monat damit beschäftigt bin, Grafikern hinterherzulaufen, eng mit unserem Büro in Indien zusammenzuarbeiten, wohin wir den Großteil der Arbeit auslagern, unseren Kunden Entwürfe für Hochglanzbroschüren oder Online-Marketing-Kampagnen zuzusenden und ihr Feedback einzuholen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meinen Job. Ein Projekt zu koordinieren und dem Kunden ein gelungenes Gesamtpaket zu übergeben verschafft mir stets einen Kick. Ich wünschte nur, sie würden nicht alle gleichzeitig etwas wollen. Und als wäre das noch nicht genug, manage ich den Twitter-Feed unserer Firma, solange unsere Social-Media-Beauftragte in Urlaub ist. Was nicht heißen soll, dass es eine lästige Pflicht ist, zu twittern und dafür auch noch bezahlt zu werden.
Stöhnend frage ich mich, ob ich vor meinem Abgang noch etwas erledigt bekomme. Wenn ich mich in der U-Bahn schminke, könnte ich eine halbe Stunde herausschinden. Rasch checke ich erneut, was auf meiner To-do-Liste absolute Priorität hat. Und als Ausgleich werde ich morgen lange arbeiten.
Ich will gerade die Unterlagen zusammensuchen, die der Sagenhafte Sam braucht, als mein Handy piept. Es ist eine WhatsApp-Nachricht von Erica.
Wann bist du heute Abend zu Hause? Überlege, Chili zu kochen, falls du schon wieder essen kannst! x
Zum Teufel mit dem Wäschewaschen und Früh-schlafen-Gehen oder Lange-im-Büro-Bleiben oder Mit-einem-superheißen-Typen-Ausgehen. Viel lieber würde ich mit meiner besten Freundin auf dem Sofa sitzen und den Junggesellinnenabschied analysieren. Obwohl wir zusammenwohnen, habe ich sie nicht mehr gesehen, seit sie Sonntagmorgen in ihrem verkaterten Zustand gemurmelt hat, dass sie zu ihrem Freund Chris geht.
Ich treffe mich mit Dominic, dem Typen von Tinder.
Vielleicht komme ich heute Nacht gar nicht nach Hause …
Das ist natürlich gelogen. Ich trage den ultimativen Rettungsring, denn unter meinen Leggings sprießt ein haariger Urwald. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal meine Beine rasiert habe.
Oh, hoffe, es läuft gut! Dann bleibe ich über Nacht bei Chris. Vergiss nicht, immer schön Nachrichten zu schicken, damit wir wissen, dass es dir gut geht. Morgen Abend bin ich unterwegs, aber Donnerstag quatschen wir, falls du dann früh genug aus dem Büro kommst? xx
Rasch antworte ich:
Klar! xx
Ist schon lustig, denn eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich Erica jetzt öfter zu Gesicht bekommen würde, aber tatsächlich war in den drei Monaten, seit ich bei ihr wohne, das Gegenteil der Fall. Solange wir unterschiedliche Adressen hatten, haben wir uns wenigstens verabredet. Jetzt können wir froh sein, hin und wieder morgens über einer Schale Cornflakes das Nötigste zu bereden.
Möglicherweise ist das ein weiterer Grund, warum ich mir etwas Eigenes suchen sollte. Es steht seit sechs Monaten auf meiner To-do Liste, seit mein Vermieter mich darüber informiert hatte, dass er meine Wohnung verkaufen will. Aber ich war so mit meiner Arbeit beschäftigt, dass ich ständig Termine für Wohnungsbesichtigungen verpasste und plötzlich obdachlos war. Zu meinem Glück hat Erica ein Gästezimmer – oder zumindest hatte der Makler ihr das eingeredet. Ich halte es eher für eine Besenkammer, und so lange, wie ich jetzt schon darin wohne, könnte ich Harry Potter Konkurrenz machen. Aber obwohl ich die Einlagerung meiner Möbel bezahlen muss, kann ich aufgrund der geringen Miete, die Erica mir berechnet, noch etwas sparen. Wenn ich es also endlich schaffe, mich umzuschauen, werde ich mir etwas Besseres leisten können als meine frühere, von Schimmel befallene Souterrainwohnung.
Aber jetzt bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich lege mein Handy auf den Tisch, richte die Aufmerksamkeit wieder auf die Arbeit und spüre sofort, wie das Adrenalin durch meine Venen jagt. Ich will unbedingt so viel wie möglich schaffen und halte beinahe mit Saras Tempo beim vorgetäuschten Tippen mit. Wenn ich diese Geschwindigkeit doch nur den ganzen Tag aufrechterhalten könnte, dann wäre ich vermutlich in der Lage, jeden Tag pünktlich Feierabend zu machen.
Ich maile dem Sagenhaften Sam seine Dateien und fahre anschließend meinen Computer herunter. Alles, was jetzt noch zwischen mir und meinem Abflug steht, ist ein kurzer Tweet von unserem Büro-Account, um meinem Big Boss Andrea zu beweisen, dass ich fleißig arbeite – was für das TweetDeck meines Handys auch zutrifft. Schnell tippe ich die Nachricht, schiebe dann mein Handy in meine Tasche, und voilà, Dominic, ich komme.
»Fährst du erst noch nach Hause und ziehst dich um?«, fragt Sara und mustert mich von oben bis unten.
»Dafür bleibt keine Zeit, und außerdem ist sowieso nichts sauber. Ich wollte heute Abend waschen.«
Sara fallen fast die Augen aus dem Kopf. War ja klar. Sie trägt ein anthrazitfarbenes Shiftkleid mit passendem Blazer und auf Hochglanz polierte Budapester. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die ich kenne, die sich für ein Instagram-Outfit-Foto nicht erst umziehen müssen.
»So kannst du nicht gehen«, stellt sie fest. Dann wühlt sie in ihrer Schreibtischschublade und zieht ein Halstuch heraus.
»Hier«, sagt sie, steht auf und bindet mir das Tuch auf elegante Weise um den Hals. Dann zieht sie mir die Strickjacke aus, schließt ein paar der Knöpfe und hängt sie mir so um die Schultern, als wäre ich ein Mann in den Vierzigern, der gerade von seiner Yacht steigt.
Sara tritt einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, sie hat die Snoopy-Unterhose entdeckt. Jedenfalls löst sie die Strickjacke und bindet sie mir locker um die Taille.
»So«, sagt sie lächelnd. »Nicht perfekt, aber wir haben wohl das Beste herausgeholt.«
»Super. Danke, Sara.«
»Jetzt musst du nur noch deine Haare machen und dich schminken.«
»Jep, das werde ich in der U-Bahn erledigen.« Ich sehe, dass sie zusammenzuckt, aber mir bleibt keine Wahl. Es ist bereits fünf nach halb acht, und ich muss rennen, um die Bahn zu erwischen. »Bis morgen!«
»Falls dein Herz nicht im Sturm erobert wird und du nie zurückkehrst.«
Ich lache ungläubig und winke ihr im Weggehen zu.
Dann eile ich die Metalltreppe hinunter und bleibe am unteren Absatz gegenüber dem Spiegel stehen. In diesen Klamotten kann ich zwar kein Ganzkörper-Selfie schießen, aber eine künstlerisch wertvolle Aufnahme von meinen neuen Espadrilles-Wildlederboots machen. Ich stelle mich mit einem Fuß auf die unterste Stufe und drücke auf den Auslöser. Rasch aktiviere ich einen Mayfair-Filter und füge den Text »heißes Date heute Abend« hinzu, bevor ich das Bild auf Instagram poste. Ich danke Gott für diese Schuhe, denn kein Filter dieser Welt könnte den Rest meines Outfits in etwas verwandeln, das mir Ego aufbauende Likes beschert.
Im Laufschritt eile ich am Empfang vorbei durch die Tür. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil es draußen noch hell ist. Also drücke ich mir die Daumen, dass der heutige Abend mit Dominic super läuft, wir uns leidenschaftlich ineinander verlieben – und mein früher Feierabend dadurch gerechtfertigt ist.
Die Fahrt mit der U-Bahn vergeht wie im Fluge, und mir fällt nicht einmal auf, dass ich zwanzig Minuten lang von der Außenwelt abgeschnitten bin. Es bedarf meiner ganzen Konzentration, eine YouTube-Schminkanleitung umzusetzen, die ich vor Ewigkeiten gesehen habe. In Anbetracht meiner begrenzten Ausrüstung und Materialien bin ich von dem Ergebnis positiv überrascht.
An der Waterloo Station steige ich aus und verlasse den Bahnhof durch den Haupteingang. Es ist ein lauer Frühlingsabend, an dem sich offenbar halb London dazu entschieden hat, am Flussufer spazieren zu gehen. Ich drängle mich durchs Gewühl zur South Bank – möglichst ohne zu schwitzen und mein soeben aufgetragenes Make-up zu ruinieren.
Ein Blick auf mein Handy verrät, dass es erst 20:05 Uhr ist. Triumphierend boxe ich in die Luft. Wenn man der Gnade öffentlicher Verkehrsmittel ausgeliefert ist, gilt das bestimmt nicht als Verspätung.
Ich überfliege eine E-Mail von Sam, der mir für die Unterlagen dankt, und entdecke dann Dominic an der BFI Riverfront Bar, vor sich einen Drink.
Nervös bleibe ich so abrupt stehen, dass der Mann hinter mir gegen mich prallt.
»Sorry«, murmele ich, während er mir einen giftigen Blick zuwirft und kopfschüttelnd weitergeht.
Aber ich bin total überwältigt und kann es kaum glauben – zum ersten Mal sieht jemand tatsächlich so aus wie auf seinem Profilfoto. Er ist ein nordischer Gott: volles blondes Haar und grüne Augen, deren Farbe an schimmernde Smaragde erinnert.
Wenn es doch in dieser Betonlandschaft irgendwo einen großen Spiegel gäbe, wo ich einen Blick auf meine Frisur und mein Make-up werfen könnte, statt mit dem puderverschmierten Taschenspiegel vorliebnehmen zu müssen!
Dabei war ich mir sicher, dass er so wie alle anderen – inklusive mir – das eine Foto ausgesucht hat, auf dem er aussieht wie eine perfekte Zehn, während er in Wahrheit höchstens eine Siebenkommafünf ist. Aber jetzt habe ich ein Problem. Trockenshampoo-Haare und Saras Behelfs-Outfit werden diesem Treffen wohl kaum gerecht.
Also zücke ich mein Handy und schreibe einen Tweet – hauptsächlich für Erica und Amelie, denn ich weiß, dass er sie zum Lachen bringen wird.
Sexy Höschen £ 25, Brazilian Waxing £ 35, Neues Outfit £ 170. Wenn dein Tinder-Date so heiß ist wie die Hölle & du ihm das Gehirn rausvögeln willst = #unbezahlbar
Niemand auf Twitter muss die Realität der Snoopy-Unterhose, des ungehemmten Wildwuchses auf meinen Beinen oder der fadenscheinigen Leggings kennen. Meine Chancen, heute noch Sex zu haben, sind zwar ziemlich gering, aber ein langweiliger Tweet über die Realität bringt mich auch nicht über die 2000-Follower-Marke, richtig?
Ich überlege immer noch, mich ein bisschen herzurichten, als Dominic den Kopf in meine Richtung wendet. Er stutzt für einen Moment, als würde er überlegen, ob ich das Mädchen von dem Foto bin, aber glücklicherweise – oder bedauerlicherweise – fällt seine Antwort positiv aus, und er winkt mir zu.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu ihm zu gehen. Während ich mich nähere, steht er auf, um mich zu begrüßen – und mir stockt der Atem.
Er ist mindestens fünfzehn Zentimeter kleiner als ich – dabei trage ich flache Schuhe. Für einen Moment schaue ich sprachlos zu ihm runter, da mein perfektes Exemplar eines Mannes mir buchstäblich nicht gewachsen ist, aber eben nur für einen Moment. Was sind denn schon ein paar Zentimeter?
»Daisy?«, fragt er und reckt sich, weil er mich vermutlich auf die Wange küssen möchte. Ich beuge mich vor, und er streift meine Wangen mit seinen. »Endlich treffen wir uns.«
Seine Größe … na, da stehe ich drüber, wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Es scheint ihn nicht abzuschrecken, dass mein Outfit an ein gerupftes Huhn erinnert, warum sollte ich mich also um seine Größe scheren? Wir wissen doch alle, dass Größe in anderen Bereichen nicht wirklich eine Rolle spielt, wieso also im Stehen? Also was soll’s, wenn er kleiner ist als ich. Jede Menge Frauen überragen ihre Partner: Tina Freye, Sophie Dahl, Nicole Kidman. Außerdem bin ich noch nie mit einem Mann ausgegangen, der kleiner ist als ich; vielleicht habe ich in all den Jahren in diesem Punkt etwas Entscheidendes verpasst.
Davon abgesehen kann ich seine Größe auf Fotos in Facebook leicht kaschieren – wir müssen lediglich auf allen Bildern sitzen.
»Es ist schön, dich endlich kennenzulernen«, antworte ich und setze mich.
»Prima, also, was trinkst du?«, fragt er und schnipst mit den Fingern nach der Kellnerin.
Einen Moment lang sitzen wir verlegen da und warten auf die Bedienung, als hätte dieses Schnipsen jede Hoffnung auf ein Gespräch vernichtet. Rasch greife ich zur Getränkekarte und konzentriere mich auf den Bereich mit den Cocktails. »Ich nehme einen Pornstar Martini«, sage ich und hoffe, damit das Eis zu brechen.
Dominic wirkt unbeeindruckt.
Die Kellnerin huscht davon, und Dominic öffnet den Mund, um etwas zu sagen, wird jedoch vom lauten Ping meines Telefons unterbrochen, das ich noch in der Hand halte.
»Sorry«, murmele ich, ignoriere die E-Mail aus dem Büro und schalte das Handy auf stumm.
»Macht nichts«, sagt er, vermittelt mir jedoch den Eindruck, dass es das doch tut. »Erzähl mir ein bisschen von dir.«
»Ähm …« Ich gerate schon wieder ins Stocken. Er sieht mich so eindringlich an, dass ich mich plötzlich wie in einem Bewerbungsgespräch fühle und in den entsprechenden Modus wechsle. »Ich bin einunddreißig, arbeite als Kundenbetreuerin in einer Marketing-Agentur, wohne vorübergehend bei meiner besten Freundin Erica in Dulwich –«
»Ja«, unterbricht er mich und nickt auf eine Weise, als habe ich nichts von Bedeutung gesagt, »und was noch?«
»Wie meinst du das?« Ich verenge die Augen und sehe ihn fragend an, weil ich nicht weiß, was er hören will. Eigentlich habe ich ihm doch die wichtigsten Fakten genannt – mein Alter (ohne zu lügen), meinen Job und dass ich in einem angesagten Stadtteil wohne. Was will er denn sonst noch wissen?
»Ich meine, worauf stehst du so? Was unternimmst du in deiner Freizeit?« Sein Akzent ist eine Mischung aus vornehmem Britisch mit einem transatlantischen Näseln. Wie eine schlechte Lloyd-Grossman-Imitation.
»Okay, Freizeit also.« Ich versuche mich auf das zu konzentrieren, was er gesagt hat, und nicht, wie er es gesagt hat. »Mal überlegen … Ich gehe viel mit meinen Freundinnen aus – du weißt schon, in Bars, auf Partys … Manchmal gehe ich auch ins Kino und ab und zu ins Theater.« Das ist zwar nicht so ganz mein Ding, aber ein gelegentlicher Besuch schadet niemandem.
»Hobbys hast du nicht?«, erwidert er enttäuscht.
»Ganz bestimmt habe ich welche«, verteidige ich mich. »Schließlich hat doch jeder Hobbys.« Ich muss nur überlegen, welche das sind. Während des Studiums war ich ziemlich sportlich, gehörte zur Trampolin-AG und machte Street-Dancing. Ich hatte immer vor, auch in London Sport zu treiben, aber als ich damals herzog, war alles so teuer. Und nach einer längeren Pause wieder einzusteigen ist verdammt schwer.
Angestrengt überlege ich, was ich sonst noch in meiner Freizeit tue, die allerdings während der vergangenen zwei Monate nicht gerade üppig bemessen war. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal aus Spaß etwas gekocht habe. Und meine Pinterest-Pinnwand ist voll mit Bastelideen. Ich müsste lediglich Zeit dafür finden und/oder feststellen, dass ich ein gewisses handwerkliches Geschick besitze – was beides eher unwahrscheinlich ist.
Aber mein Leben hat doch wohl mehr zu bieten? Im Kopf gehe ich meine Instagram-Bilder durch, als könne ich dadurch meine Erinnerung aktivieren, und da fällt es mir plötzlich ein.
»Ich fotografiere sehr gern«, antworte ich, weil mir auf einmal klar wird, dass ich den ganzen Tag knipse. Dominic braucht nicht zu wissen, dass ich keine richtige Kamera besitze.
»Ach wirklich? Das ist interessant.« Er nickt. »Kürzlich habe ich mir eine digitale Spiegelreflexkamera gekauft. Ich bin immer noch dabei, mich daran zu gewöhnen, verwende vor allem die Kit-Objektive – du weißt schon, solange ich Anfänger bin. Vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben?«
Ich versuche, mein Lächeln davon abzuhalten, mir aus dem Gesicht zu fallen.
»Klar, kann ich bestimmt«, lüge ich. Der einzige Tipp, den ich ihm geben kann, besteht darin, dass der Valencia-Filter bei Instagram am besten ist, wenn du aussiehst wie ein struppiger Straßenköter, und dass Mayfair deine Drinks zum Leuchten bringt. Vermutlich nicht das, was er im Sinn hat.
»Letzte Woche habe ich oben im Shard zu Abend gegessen und ein paar super Aufnahmen mit meinem Weitwinkelobjektiv gemacht. Die Lichter in der Ferne verschmolzen zu diesem tollen Bokeh-Effekt, und ich hatte das perfekte Dämmerungsfoto. Tatsächlich war mein Chef so beeindruckt, dass es jetzt als Leinwanddruck im Büro hängt.«
»Oh, das ist ja fantastisch.« Hätte ich doch nur ein anderes Hobby genannt. »Ich hatte einmal –«
»Und natürlich die Hochzeitsfotos«, redet er weiter und merkt nicht einmal, dass ich etwas zu dem Gespräch beitragen wollte, »die ich für einen sehr guten Freund gemacht habe. Am Ende gefielen dem Brautpaar meine besser als die des professionellen Fotografen, den die beiden engagiert hatten. Sie sagten, ich hätte die spontanen Augenblicke dieses Tages eingefangen, also haben sie viele von meinen Bildern in ihr Hochzeitsalbum geklebt oder gerahmt überall im Haus aufgestellt.«
»Wie beeindruckend«, sage ich angesichts seiner Bescheidenheit.
Die Kellnerin kommt und stellt meinen Cocktail vor mir ab; er sieht köstlich aus. Ich muss mich auf meine Hände setzen, um nicht nach dem Handy zu greifen, einen Schnappschuss zu machen und ihn online zu teilen. Momentan gehe ich nur selten etwas essen oder trinken, ohne darüber zu berichten. Aber in Anbetracht von Dominics Vortrag muss ich es mir verkneifen.
»Und was für Hobbys hast du sonst noch?«
Wenn ich ihm jetzt sage, dass ich Poker spiele und damit die App auf meinem Handy meine, wird er mir vermutlich erzählen, dass er an einem Turnier in Las Vegas teilgenommen hat.
»Ich gehe gern zu Popkonzerten. Für den Auftritt der Foo Fighters im Wembley-Stadion nächsten Sommer habe ich Tickets und –«
»Wer hat die nicht? Alle stehen auf die Foos.«
Ich öffne den Mund, um ihm zu sagen, dass ich bei allen Live-Auftritten in UK war, aber bevor ich die Chance dazu bekomme, erzählt er mir von seinen Backstage-Karten für Dave Grohls Superband, Them Crooked Vultures.
»Was ist mit Fremdsprachen?«, fragt er, nachdem er seine Geschichte beendet hat.
Ich will gerade antworten, dass ich perfekt Emoji spreche; tatsächlich führen Erica und ich manchmal ganze Gespräche auf Emoji. Aber ich ahne, dass Dominic das nicht als echte Sprache anerkennt – so wie der Großteil der Bevölkerung.
»Abgesehen von meinem bisschen Schuldeutsch, das ich aber nicht mehr benutzt habe, seit –«
»Schade, ich spreche fließend Französisch und verfüge über Grundkenntnisse in Italienisch und Spanisch. Das vereinfacht den Urlaub ungemein. Ich verachte Menschen, die auf etwas zeigen und dann laut und deutlich Englisch sprechen.«
»Geht mir genauso.« Ich nicke so, als würde ich das nie tun.
»Was machen deine Eltern beruflich?«, treibt er die Befragung voran.
»Ähm, meine Mum arbeitet als Empfangsdame bei einem Zahnarzt.«
»Oh.« Pause. »Und dein Vater?«
»Er war Steuerberater, ist jedoch gestorben, als ich noch klein war.« Jetzt werde ich nervös. Normalerweise spreche ich nicht mit Fremden über Dads Tod. Und dem ersten Date versetzt es einen Dämpfer.
»Oh, dann hat er sicher in der City gearbeitet?«
»Nein, in Fleet, Hampshire. Von dort stamme ich.«
Dominic ist bestimmt der einzige Mensch, der den Tod meines Vaters nicht mit einem »Das tut mir leid« kommentiert oder nachfragt, wie es passiert ist. Stattdessen redet er weiter, als sei mein Vater nur in Rente gegangen.
»Hampshire«, sagt er und rümpft die Nase, als würde ich aus dem hinterletzten Winkel stammen. »Grenzt diese Grafschaft überhaupt an London?«
»Nein, aber es liegt nur eine dazwischen.«
Er gibt es auf, sich die Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Offenbar bin ich bei der Befragung durchgefallen.
»Und was machen deine Eltern?«, frage ich und stelle gleichzeitig fest, dass meine elterliche Abstammung nie zuvor bei einer Verabredung abgefragt wurde.
»Mein Vater ist Hedgefonds-Manager, und meine Mutter war Strafverteidigerin, aber jetzt ist sie Richterin am Obersten Gericht.«
»Klar«, antworte ich. Das passt. »Und sie leben in einer Grafschaft, die an London grenzt?«
»Ja, in Sevenoaks, Kent.«
»Sind sie Amerikaner?«, taste ich mich vor.
»Nein. Wieso?«, fragt er ein bisschen schroff.
»Oh, ich dachte, ich hätte einen leichten Akzent herausgehört, und frage mich, ob du vielleicht dort gelebt hast …« Ich verstumme, als sich unter seinen Brauen ein finsterer Blick aufbaut.
»Ich bin beruflich oft dort. Meiner Meinung nach ist es äußerst nützlich, weltweit Arbeitserfahrungen zu sammeln. Nach meinem ersten Uniabschluss habe ich ein Jahr in Hongkong gearbeitet, und wenn ich bei der Firma geblieben wäre, hätten sie mich bestimmt wieder in ein Auslandsbüro entsandt. Hast du schon mal im Ausland gearbeitet?«
»Nein, aber ich hatte schon mal ein Kundenmeeting in Dubai, das –«
»Wer hatte das nicht«, fällt er mir ins Wort, als ich ihm gerade die amüsante Geschichte erzählen will, dass ich fast verhaftet worden wäre, weil ich den Sagenhaften Sam in aller Öffentlichkeit geküsst haben soll.
Fürs Protokoll – ich hatte lediglich eine Wimper im Auge, die er mir entfernt hat. Aber es erübrigt sich, Dominic darüber aufzuklären. Er ist bereits dazu übergegangen, mir langatmig darzulegen, wie er einmal für ein vierstündiges Meeting Business-Class nach Singapur geflogen ist.
Das Kuriose am Internetdating ist, dass du auf der Grundlage von ein paar sorgfältig ausgewählten Bildern und wohlüberlegten Textnachrichten eine Vorstellung von einer Person entwickelst. Für gewöhnlich schlage ich vor, sich möglichst schnell zu treffen, denn je länger man sich schreibt, desto überzeugender ist erfahrungsgemäß die Vorstellung, dass der andere perfekt zu dir passt. Aber obwohl mein Bild von Dominic noch sehr unvollständig war, erfüllt er nicht einmal meine geringsten Erwartungen. Wir wissen bereits, dass er in meiner Fantasie einen Kopf größer war, und auf keinen Fall war er ein komplettes Arschloch, das mich keinen einzigen Satz beenden lässt.
»Ich gehe mal eine rauchen«, sagt er, nachdem er mit seiner Geschichte durch ist, und steht auf.
Nie zuvor war ich so froh, dass meine Verabredung Raucher ist. Normalerweise wäre ich gekränkt, wenn der Typ sich so schnell verdünnisiert und mich allein lässt, aber dieses Mal atme ich auf. Ich sehe ihm nach, wie er ein paar Schritte zum Wasser geht und sich eine Zigarette anzündet. Käme er doch nie zurück.
Wenigstens kann ich endlich ein Foto von dem Martini schießen. Aber als ich mein Handy aus der Tasche hole, stelle ich fest, dass der Akku fast leer ist. Sofort durchwühle ich die Tasche nach dem Ladekabel, aber dann fällt mir ein, dass wir draußen sitzen und keine Steckdose in der Nähe ist. Panik steigt in mir hoch. Wenn es nun einen Notfall gibt? Oder, noch wichtiger, wenn ich einen Notfall vortäuschen muss, um von diesem schrecklichen Date wegzukommen?
Um mich abzulenken, schaue ich zu Dominic. Er scheint keine Probleme mit seinem Akku zu haben. Er hält sein Telefon in der Hand, und wenn mich nicht alles täuscht, wischt er über das Display und hält gelegentlich inne, um mit zusammengekniffenen Augen etwas genauer zu betrachten. Ich kenne diesen Blick; er checkt ungeniert Leute auf Tinder. Offenbar steht sein Urteil über mich schon fest. Er hätte wenigstens diesen Abend abwarten können, bevor er weitersucht. Das entspräche doch wohl gebührendem Anstand, oder?
Ich nehme einen Schluck von meinem Martini, der verdammt gut schmeckt. Also trinke ich weiter, rüste mich für das zweite Fragenbombardement. Dominic kommt zurück an den Tisch und setzt sich. Neben dem Geruch von abgestandenem Tabak hängt verlegenes Schweigen in der Luft.
Ich will gerade vorschlagen, dass wir das Handtuch werfen, als er die Kellnerin herbeischnipst, um sich Essen zu bestellen.
»Möchtest du auch etwas, Daisy?«
Die Kellnerin hat seine Bestellung in ihre kleine Maschine eingetippt und sieht mich erwartungsvoll an, mit einem Blick, der verrät, dass sie keine Zeit hat, lange zu warten. Es würde mein Leben vermutlich sehr vereinfachen, wenn ich dankend ablehne und mich mit einer Entschuldigung verabschiede. Leider bin ich zu britisch und höflich, um ihn allein essen zu lassen. Außerdem habe ich heute noch nichts in den Magen bekommen außer ein paar labberigen Jaffa Cakes, die ganz unten in meiner Schreibtischschublade herumgammelten. Mir bleibt kaum Zeit, die Speisekarte zu studieren, da die Kellnerin ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden tippt und über meine Schulter zu einem anderen Tisch schaut, der gerade neu besetzt wird.
»Ich nehme den nackten Hotdog«, sage ich und versuche dieses Mal gar nicht erst, witzig zu wirken; es war schlichtweg das Erste, was mir ins Auge fiel.
Sie nickt und eilt davon.
»Also, reist du in deiner Freizeit gern?«, nimmt er seine Befragung wieder auf.
»Ähm, eigentlich schon, aber in den vergangenen Jahren hatte ich kaum Zeit; es war ziemlich viel zu tun.«
»Ich war kürzlich in Thailand«, sagt er und nippt an seinem Drink.
»Da war ich auch vor ein paar Jahren!« Sollten wir einen gemeinsamen Nenner gefunden haben? »In einem kleinen Resort auf Ko Samui und –«
»Ja, aber ich war im echten Thailand«, unterbricht er mich mit seinem seltsamen Akzent.
Der Stempel in meinem Pass ließ mich bisher annehmen, dass ich das auch war, aber mir fehlt die Energie, das mit ihm auszudiskutieren. Stattdessen nippe ich an meinem Drink.
»Es war eine spirituelle Erfahrung. Ich war in einem Retreat, kein Telefon, kein Internet, keine Insignien des modernen Lebens.«
»Klingt … erleuchtend.« Grauenhaft!
»Oh, allerdings. Mir ist bewusst geworden, dass ich auf keinen Fall weiter für diesen Konzern arbeiten will. Dort habe ich den Entschluss gefasst, Privatinvestor zu werden. Es war in einem fantastischen buddhistischen Kloster hoch in den Bergen außerhalb von Chiang Rai …«
Er taucht ab in eine Geschichte von damals, und ich werfe den Rettungsanker, um diese schreckliche Verabredung durchzustehen: Ich trinke. Nachdem ich bei der Kellnerin per Handzeichen Nachschub bestellt habe, versuche ich, Dominic auszublenden und nicht an die 101 Dinge zu denken, die ich stattdessen an diesem Abend hätte tun können.
Anderthalb Stunden später sind wir endlich mit dem Essen fertig. Dominic hat einen Kaffee getrunken, ich drei Martinis, und es sieht so aus, als würde diese qualvolle Verabredung ihrem Ende entgegensteuern.
Mit seinem oberpeinlichen Schnipsen zitiert er die Kellnerin ein letztes Mal herbei, und sie überreicht uns auf einem kleinen Metalltablett die Rechnung. Er greift derart ungestüm danach, dass ich beeindruckt bin. Offenbar will er bezahlen. So viel Ritterlichkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich wollte gerade nach meiner EC-Karte greifen, um die Hälfte zu übernehmen, aber er war schneller. Wenn er kein so rundum ekelhafter Typ wäre, hätte diese Geste ihn zumindest ein wenig rehabilitiert.
»Also gut, ich hatte drei Bier, die Spareribs, einen Kaffee und, oh, als Beilage noch die Zwiebelringe«, sagt er und tippt die Zahlen in sein Handy ein.
Entsetzt schaue ich zu, wie er unsere Rechnung akribisch aufschlüsselt und sogar seinen Trinkgeldanteil ausrechnet. »Damit bleiben für dich 39 Pfund.«
Er lächelt mich triumphierend an und reicht mir den Beleg, für den Fall, dass ich nachrechnen möchte. Ein flüchtiger Blick verrät mir, dass es in etwa auf das Gleiche hinausgelaufen wäre, wenn wir einfach geteilt hätten. Aber auf diese Weise spare ich tatsächlich 1,35 Pfund!
Die Kellnerin kommt, um abzukassieren, und dann bin ich endlich frei.
Gütiger Gott, ich kann kaum glauben, dass ich für diese Tortur früher aus dem Büro gegangen bin! Es gibt nicht viele Tage, an denen ich lieber an meinen Schreibtisch gekettet wäre, als in der realen Welt unterwegs zu sein, aber der heutige gehört eindeutig dazu.
»In welche Richtung musst du?«, fragt er.
Ich schaue auf die Uhr. Da ich mehrere Sekunden brauche, um herauszufinden, dass es kurz nach neun ist, bin ich wohl zu betrunken, um ins Büro zurückzukehren. Also befinde ich mich auf dem Heimweg.
»Ich nehme die Circle Line zur Victoria Station, da steige ich um.«
»Die nehme ich auch«, sagt er.
Entsetzt starre ich ihn an und wünschte, ich hätte gesagt, dass ich mit dem Bus fahre.
Betreten schweigend schieben wir uns durch die Menschenmassen in Richtung Haltestelle Embarkment. Während ich in der Handtasche meine Oyster Card suche, murmelt er etwas vor sich hin. Und dann stehen wir auf dem Bahnsteig und warten auf die U-Bahn.
»Wohnst du schon lange in Dulwich?«, fragt er.
Ich stöhne innerlich. Wird diese Inquisition denn nie ein Ende finden?
»Nicht lange. Etwa drei Monate, vielleicht vier.« Das erinnert mich wieder daran, dass ich mir endlich eine Wohnung suchen muss.
»Ganz schön weite Strecke bis da raus, oder?«, sagt er. »Ich bevorzuge es zentraler. West Kensington ist für mich perfekt. Ich pendle weniger als eine halbe Stunde in die City. Und da gibt es auch nicht so viele Kinderwagenkarawanen.«
Ich beiße die Zähne zusammen. In diesem Moment bin ich sehr froh, dass Dulwich so weit weg ist – je weiter weg von ihm, desto besser.
Eine Bahn kommt, und wir steigen ein. Um meinen baldigen Abflug zu signalisieren, meide ich die leeren Sitzplätze, bleibe stehen und halte mich am Geländer direkt neben der Tür fest. So kann ich mich am schnellsten verdrücken.
»Ich bin kein Fan der nördlichen Flussseite«, lüge ich. Dabei habe ich noch am Vortag gedacht, wie angenehm es wäre, näher zum Büro zu wohnen. Eine ganze Stunde zu pendeln ist nervtötend, und selbst mit dem Taxi, das mir die Firma für die Heimfahrt spendiert, wenn es mal wieder sehr spät geworden ist, bin ich eine Ewigkeit unterwegs.
»Ich glaube nicht, dass echte Londoner südlich vom Fluss wohnen«, entgegnet er. »Zur Not kann ich sogar zu Fuß in die City gehen.«
»Ähm …« Ich beiße mir auf die Lippe, um keinen Streit mit ihm vom Zaun zu brechen. Nach den Martinis verspüre ich eine gewisse Angriffslust, aber ich sage mir immerzu, dass die Bahn in wenigen Minuten in die Victoria Station einfährt und ich dann flüchten kann.