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Nach "Eigentlich bist du gar nicht mein Typ" und ihrer Hochzeits-Trilogie folgt mit "Perfekt ist nur halb so schön" der neue witzig-romantische Roman von Bestseller-Autorin Anna Bell. Seit sieben Jahren ist Lexi mit Will zusammen – und wartet noch immer darauf, dass er um ihre Hand anhält. Dummerweise ist er aber praktisch schon mit seinem Lieblings-Fußballverein verheiratet. So muss sich Lexi damit trösten, dass seine Sportbegeisterung ihr immerhin genügend Zeit für ihre eigenen Hobbys lässt. Doch dann findet Lexi heraus, dass Will sie belogen hat, um sie nicht zur Hochzeit ihrer besten Freundin begleiten zu müssen: Statt, wie behauptet, krank im Bett zu liegen, war er nämlich bei einem Fußballspiel! Lexi sinnt auf Rache und sabotiert heimlich Wills Sport-Leidenschaft – mit unerwarteten Neben-Effekten für ihre Beziehung... Ein unterhaltsamer, romantischer und humorvoller Liebes-Roman – Lachtränen sind hier ebenso garantiert wie ein herzerwärmendes Happy End! "Erfrischend und romantisch." Mhairi McFarlane über "Eigentlich bist du gar nicht mein Typ"
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Seitenzahl: 480
Veröffentlichungsjahr: 2018
Anna Bell
Roman
Aus dem Englischen von Silvia Kinkel
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Seit sieben Jahren ist Lexi mit Will zusammen – und wartet noch immer darauf, dass er um ihre Hand anhält. Dummerweise ist er aber praktisch schon mit seinem Lieblings-Fußballverein verheiratet. So muss sich Lexi damit trösten, dass seine Sportbegeisterung ihr immerhin genügend Zeit für ihre eigenen Hobbys lässt. Doch dann findet Lexi heraus, dass Will sie belogen hat, um sie nicht zur Hochzeit ihrer besten Freundin begleiten zu müssen: Statt, wie behauptet, krank im Bett zu liegen, war er nämlich bei einem Fußballspiel! Lexi sinnt auf Rache und sabotiert heimlich Wills Sportleidenschaft - mit unerwarteten Nebeneffekten für ihre Beziehung …
Ein unterhaltsamer, romantischer und humorvoller Liebesroman - Lachtränen sind hier ebenso garantiert wie ein herzerwärmendes Happy End!
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Lexis Überlebenshandbuch für Sportwitwen
Sportevents, die man erlebt haben sollte
Danksagung
Für Carlene Wright, Sportwitwengefährtin und sehr gute Freundin, für die Blackpool-Darts-Abende, die ich nie vergessen werde (sosehr ich mich auch bemühe). Auf die nächste Sportveranstaltung, zu der unsere Männer uns schleppen werden!
Autsch!« Jetzt habe ich mir zum x-ten Mal den Ellbogen an der Kabinenwand gestoßen und fluche lautstark. Mich in einer Toilettenkabine in meiner Firma in ein enges Kleid zu quetschen, erfordert die akrobatischen Fähigkeiten eines Ninjas. Ein falscher Hopser, während ich die Seidenstrumpfhose anziehe, und ich stecke meinen Fuß in etwas, das ein anschließendes Bad in Desinfektionsmittel erforderlich macht. Aber ein Hopser zu viel in die andere Richtung, und ich riskiere, mir am Türgriff ein Auge auszustechen.
Ich ziehe mich nur deshalb hier um, weil es sich um einen Notfall handelt. Mein Freund Will und ich treffen uns mit meinen Eltern zum Abendessen, und ich bin spät dran. Eigentlich hatte ich vor, auf dem Weg zum Restaurant im Fitnesscenter vorbeizugehen, dort zu duschen und andere Sachen anzuziehen, aber im Büro ist so viel zu tun, dass ich nicht früher Feierabend machen konnte.
Natürlich habe ich versucht, meinen Eltern zu erklären, dass es keine gute Idee ist, unter der Woche für 18.00 Uhr einen Tisch zu reservieren, aber Dad hat darauf bestanden, und es ist schließlich sein Geburtstag. So wie ich ihn und seine Sparsamkeit kenne, gibt es vermutlich einen Rabatt für »Frühesser«.
Endlich gelingt es mir, den Reißverschluss am Rücken hochzuziehen. Aufatmend stürze ich aus der Kabine, um schnell noch ein bisschen Make-up aufzulegen. Leider ist der Spiegel von einer Frau blockiert, die sich gerade die Hände wäscht. Die Extradosis Rouge erübrigt sich damit; die Frau muss mein Fluchen gehört haben, und vor Verlegenheit färben sich meine Wangen von allein rosig.
»Haben Sie etwas Hübsches vor, Lexi?«, fragt sie und bemüht sich angestrengt, nicht zu lachen. Sie ist eine dieser Hyperkorrekten aus der Finanzabteilung, Typ Twinset und Perlenkette, aber an ihren Namen kann ich mich nicht erinnern. Ich schätze mal, dass sie in etwa so alt ist wie meine Mum und sich noch nie schnell auf dem Klo umgezogen hat. Diese Aufgabe grenzt ja auch ans Unmögliche und wäre des Films Cube würdig.
»Ich gehe zum Abendessen ins Le Bistro.«
»Nett. Besonderer Anlass?«
»Mein Dad hat Geburtstag.«
»Dann wünsche ich viel Spaß«, sagt sie und sieht mich mit einer Miene an, als müsse sie mühsam ein Grinsen unterdrücken.
Rasch blicke ich an mir hinunter, kann aber nichts entdecken, was ein Grinsen rechtfertigen würde. Vermutlich liegt es daran, dass ich mich so herausgeputzt habe.
Sobald ich allein bin, atme ich erleichtert auf, konzentriere mich auf mein Gesicht und trage ein bisschen Foundation auf.
Ich habe schon bei vielen Gelegenheiten festgestellt, dass die fluoreszierende Beleuchtung in Toilettenräumen beim Schminken nicht hilfreich ist. Als dieses Verwaltungsgebäude im Stil der 1960er mit winzigen Fenstern und Neonlicht entworfen wurde, hat niemand darüber nachgedacht, was es für ein Mädchen bedeutet, sich in diesen fensterlosen Waschräumen stylen zu müssen. Das Licht ist so grell wie auf einer Bühne, und man tut schnell etwas zu viel des Guten. In der realen Welt halten die Kollegen dich dann entweder für eine »Professionelle«, oder du siehst aus wie deine fünfjährige Nichte, die mit Make-up gespielt hat.
Nachdem ich fertig geschminkt bin, werfe ich im Spiegel noch einen letzten Blick auf mein enges Kleid mit dem fließenden Spitzen-Overlay. Das habe ich letztes Jahr im Schlussverkauf ergattert und seither auf eine Gelegenheit gelauert, es endlich anziehen zu können. Möglicherweise habe ich seit dem Kauf ein paar Pfund zugelegt, aber obwohl es verdammt eng sitzt, sieht es hübsch aus – egal, was die Finanzlady denkt.
Meine Mum wird jedenfalls beeindruckt sein, dass ich ein richtiges Kleid und eine Seidenstrumpfhose trage. Wenn ich in dem Outfit im Restaurant aufkreuzen würde, mit dem ich heute Morgen ins Büro gegangen bin (uralte schwarze Palazzohose und schlabberige graue Strickjacke), hätte sie mich vermutlich nach Hause geschickt, damit ich mich umziehe. Als ich mich das letzte Mal direkt nach der Arbeit mit ihr getroffen habe, hat sie mich kurz gemustert und dann gesagt, bei den Klamotten sei es kein Wunder, dass ich mit einunddreißig Jahren immer noch unverheiratet bin.
Rasch noch eine letzte Schicht Lippenstift aufgetragen, und schon eile ich aus der Toilette. Das Einzige, was noch schlimmer ist, als von meiner Mum wegen meines Outfits zusammengestaucht zu werden, ist ein Anschiss von ihr, weil ich zu spät bin.
»Ups, sorry«, entschuldige ich mich, als ich mit jemandem zusammenpralle, weil ich so eilig um die Ecke gestürmt bin.
»Hoppla!«, sagt Mike, ein Kollege, dessen Schreibtisch neben meinem steht. »Wo brennt’s denn?«
Ich bin versucht, stehen zu bleiben und mit ihm zu plaudern, denn er ist in Gesellschaft des attraktiven Typen von oben, besser bekannt als die Sahneschnitte aus der Chefetage. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, übt er mit seinen Nadelstreifenanzügen und den perfekt liegenden Haaren auf mich eine seltsame Wirkung aus.
So nah war ich ihm allerdings noch nie, und ich muss mich zum Weitergehen zwingen, bevor ich dem Bann seiner hypnotischen Augen erliege.
»Sorry, Mike. Ich muss zum Abendessen ins Le Bistro«, antworte ich und demonstriere dem Typen von oben mit souveränem Augenaufschlag, wie weltgewandt ich bin – als verkehre ich ständig in noblen Restaurants.
»Äh, bevor du gehst …«, ruft Mike mir nach.
»Jetzt nicht, bin schon spät dran.«
Ich winke ihm über die Schulter kurz zu und stürme dann im Eiltempo aus dem Büro der Stadtverwaltung. Ein bisschen unhöflich war das schon, nicht stehen zu bleiben und mir anzuhören, was er zu sagen hat. Es ging bestimmt um die anstehende interne Revision. Wir bemühen uns alle krampfhaft, gut darauf vorbereitet zu sein, wenn sich der Revisor ansieht, was wir als Abteilung geleistet haben. Aber es ist bereits fünf nach sechs, und wenn ich nicht schleunigst zum Restaurant gehe, wird Mum mich nicht nur zusammenstauchen, sondern sie ist auch unbeaufsichtigt mit Will zusammen. Und jedes Mal, wenn das passiert, spricht sie ihn auf das Thema Heiratsantrag an.
Im Vorbeigehen werfe ich meine Arbeitskleidung rasch in mein Auto und laufe – besser gesagt, stöckle – dann zu dem Lokal, das gleich vorn an der High Street liegt.
Als ich dort am Fenster vorbeigehe, entdecke ich meine Familie sofort – was keine große Kunst ist, da sie die Einzigen im Restaurant sind. Will wirkt erleichtert, als ich durch die Tür auf den Tisch zugeschossen komme.
»Entschuldigt die Verspätung. Im Büro ist momentan die Hölle los«, sage ich und beuge mich vor, um meinem Dad einen Kuss zu geben und ihm das Geschenk zu überreichen. »Alles Gute zum Geburtstag.«
»Danke, Lexi«, antwortet er und lächelt zu mir hoch.
Dann beuge ich mich zu meiner Mutter hinunter, um sie ebenfalls zu begrüßen, und nachdem sie kurz meine Wange mit ihren Lippen gestreift hat, zischt sie mir zu: »Wie siehst du denn aus?«
»Das ist ein neues Kleid«, antworte ich, richte mich auf und streiche es glatt. »Ich dachte, es würde dir gefallen, wenn ich etwas anziehe, das meine Figur betont.«
»Das würde es vielleicht, wenn man etwas weniger von deiner Figur sähe.«
Ich öffne gerade den Mund, um zu antworten, dass die Mode nun einmal so ist und Spitze in sei, als Will aufsteht und sich hinter mich stellt. Nachdem er es jahrelang ignoriert hat, wenn meine Mutter mich herunterputzt, will er offenbar endlich für mich eintreten und meine Kleidungswahl verteidigen.
»Lex, dein Kleid steckt hinten in der Strumpfhose«, flüstert er.
Ich schließe die Augen und wünsche, ich könnte mich in Luft auflösen. Als ich sie eine Sekunde später wieder öffne und sehe, dass mich meine Mutter immer noch mit geschürzten Lippen und hochgezogenen Brauen anstarrt, wird mir klar, dass es nicht funktioniert hat. Also versuche ich stattdessen, mein Kleid so diskret wie möglich aus der Strumpfhose zu ziehen. Gott segne meinen Freund, dass er versucht, meinen letzten Rest Ehrbarkeit zu schützen.
Überflüssig zu erwähnen, dass das Kleid in der Strumpfhose gesteckt haben muss, seit ich aus dem Toilettenraum kam. Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich wetten, dass Mike mir genau das sagen wollte. Er ist ein prima Kerl und hätte mich bestimmt nicht so auf die Straße gehen lassen. Und obwohl es mir nicht allzu peinlich ist, dass er es bemerkt hat – bei der letzten Weihnachtsfeier hat er Schlimmeres gesehen, als ich betrunken gestürzt bin und der ganzen Abteilung mein Höschen zeigte –, könnte ich vor Scham im Boden versinken, weil der tolle Typ von oben mich so gesehen hat. Ganz zu schweigen von den Passanten auf der High Street. Ich frage mich, ob die Finanzlady es auch bemerkt und nichts gesagt hat – ein grobes Vergehen an der Solidarität unter Frauen.
Sie wird von meiner Liste für Weihnachtskarten gestrichen – na ja, das würde sie, wenn ich mich an ihren Namen erinnern könnte. Apropos, vielleicht ist das der Grund, warum sie mich nicht mag.
Ich räuspere mich und setze mich an den Tisch. Dann lege ich mir die Serviette auf die Oberschenkel und tue so, als besäße ich ein gewisses Maß an Würde.
Meine Eltern wenden sich wieder den Speisekarten zu. »Du siehst hübsch aus in dem Kleid«, flüstert mir Will hinter seiner Karte zu.
»Danke. Sich auf dem Klo umzuziehen ist nicht ideal.«
»Verstehe. Wenigstens warst du da drin allein.«
»Zu schade, dass ich das nicht auch auf der High Street war. Mir wurde sogar nachgepfiffen. Das gab es seit Jahren nicht mehr – ich habe mich gefreut wie eine Schneekönigin.«
»Ich würde dir immer nachpfeifen«, sagt er und zwinkert mir zu.
Ich lächle und will gerade etwas Kokettes erwidern, als meine Mum sich räuspert. Beinahe hätte ich vergessen, dass meine Eltern auch noch hier sind.
Will und ich senken unsere Speisekarten wie zwei ungezogene Kinder, die gerade dabei erwischt wurden, wie sie sich in der hintersten Sitzreihe im Klassenraum Zettel zustecken.
»Gestern habe ich im Supermarkt zufällig Vanessas Mutter getroffen. Sie ist ja so aufgeregt wegen des großen Tags!«
Meine Muskeln spannen sich in Erwartung des Kommenden an. Als wolle ich um mich herum ein Kraftfeld aufbauen.
»Kann ich mir denken«, erwidere ich, als sei es keine große Sache.
Vanessa, eine meiner besten Freundinnen aus Kindheitstagen, wird Samstag in einer Woche heiraten. Für mich ist es aufregend, dass sie den Bund fürs Leben schließt, aber meine Mutter scheint es als persönlichen Affront zu betrachten, dass Vanessa es wagt, dies früher als ich zu tun.
»Mir war gar nicht bewusst, dass die beiden erst seit vier Jahren zusammen sind«, sagt sie in einem Ton, als hätten sie sich vor vier Wochen kennengelernt.
»Der Menüvorschlag klingt gut«, sage ich und zeige auf die Kreidetafel an der Wand. »Ich liebe Seeteufel.«
Meine Mutter ignoriert meine Worte und rollt wie eine Dampfwalze einfach weiter.
»Ihre Mum sagt, dass Vanessas Kleid aus dem kleinen Brautmodengeschäft an der Kimberly Lane stammt.«
»Ah ja.« Ich darf das Gespräch nicht auch noch befeuern.
»Auf dem Weg zu meinem Zumba-Kurs komme ich immer daran vorbei. Es sieht zauberhaft aus. Jedes Mal hoffe ich, dass ich es eines Tages auch betreten werde«, schwärmt sie sehnsüchtig.
Ich spüre, dass Will neben mir zappelig wird. Wenn ich mich bei diesem Gesprächsthema schon unbehaglich fühle, dann Mr Bindungsphobie erst recht. Wissen Sie, obwohl Will und ich schon sieben Jahre zusammen sind und sogar zusammenwohnen, hat er mir bisher keinen funkelnden Ring angesteckt. Nicht, dass es mir so viel ausmachen würde. In meiner Vorstellung ist unsere gemeinsame Hypothek nicht nur bindender, sondern auch schwieriger aufzulösen als ein Trauschein. Aber meine Mum sieht das anders. Sie nimmt nicht etwa Anstoß daran, dass wir in Sünde leben. Soweit ich es beurteilen kann, braucht sie meine Hochzeit vielmehr, damit sie etwas hat, worüber sie in ihren Weihnachtsbriefen schreiben kann. Letztes Jahr hat sie allen nur eine E-Mail geschickt, in der sie mitteilte, dass sie das Geld für Karten und Porto sparen und stattdessen für einen wohltätigen Zweck spenden würde. Vermutlich war es ihr einfach zu peinlich, ein weiteres Jahr schreiben zu müssen, dass ich weder verlobt noch verheiratet bin.
Verständlich, dass Will gerade auf seine Armbanduhr schaut, als wolle er so schnell wie möglich nach Hause und weg von meiner nervenden Mutter.
Zum Glück für Will und mich kommt in diesem Moment die Kellnerin an den Tisch und nimmt unsere Bestellungen auf. Wir haben uns alle für den Menüvorschlag entschieden, der aus Hauptgericht und Dessert besteht. Indem wir keine Vorspeise nehmen, verkürzen wir das Ganze um bestimmt zwanzig Minuten.
»Hattest du einen schönen Geburtstag, Dad?«, frage ich und beende damit konsequent das Gespräch über Vanessa.
»Ja, danke, Liebes. Ich habe ein ausgezeichnetes Buch mit dem Titel ›Das Spiel meines Lebens‹ bekommen.«
»Toll. Von Mum?«
»Nein, das hat er sich selbst gekauft. Ich habe ihm einen Pullover von M&S geschenkt.«
Dad lächelt mich matt an. Fünfunddreißig Ehejahre – und jedes Jahr bekommt er zum Geburtstag einen Pullover von M&S.
»Das habe ich gelesen«, sagt Will. »Es ist wirklich gut. Kennst du schon ›Got, Not Got‹? Dabei dachte ich sofort, dass es dir gefallen würde.«
»Ja, das gab es zu Weihnachten. Tolles Buch. So viele Erinnerungen.«
Ich verdrehe die Augen, während Will und mein Vater abtauchen in die Welt der Fußballbücher. Dass beide Southampton-Fans sind, ist ihre einzige Gemeinsamkeit, und somit auch ihr einziges Gesprächsthema. Ich dachte immer, es sei nett, einen Freund zu haben, der sich gut mit meinem Vater versteht, aber wenn sie mal wieder stundenlang über den prozentualen Anteil des Ballbesitzes im letzten Spiel diskutieren, wird mir klar, dass ich mit meinen Wünschen vorsichtiger sein sollte.
Mein Vater findet Will großartig, im Gegensatz zu meiner Mutter, die ihn ablehnt. Das liegt vor allem daran, dass er sie nicht zur Brautmutter macht. Andererseits basiert das Urteil meines Vaters ausschließlich darauf, dass Will eine Dauerkarte fürs Stadion besitzt. Er könnte für mich der furchtbarste Freund der Welt sein, aber solange er pflichtbewusst zu jedem Heimspiel geht, ist er für Dad okay. Zu meinem Glück ist er ein ziemlich prima Freund.
Ich versuche, das Gespräch der beiden über Tabellenplätze genauso auszublenden wie die Stimme meiner Mutter, die mir erzählt, dass ihre Nachbarin zwei Häuser weiter gerade Oma geworden ist. Nicht schwer zu erraten, wie sie darüber denkt, Großmutter zu werden. Stattdessen nutze ich die Zeit, um mit offenen Augen von dem Roman zu träumen, den ich gerade schreibe.
Zu meinem Erstaunen schaffen wir es bis zum Dessert, ohne dass ich meiner Mutter ein Glas Wein über den Kopf schütte. Tatsächlich war sie erstaunlich zurückhaltend und hat sich lange damit aufgehalten, mir alles über den Skandal wegen der gestohlenen Kühlschrankmagneten in ihrer Firma zu erzählen (es war genauso fesselnd, wie es sich anhört). Nachdem Dad und Will irgendwann zwischen Hauptgang und Dessert das Fußballthema erschöpfend erörtert hatten, sitzen sie jetzt schweigend da. Alles in allem sind wir bereits auf der Zielgeraden. Nur noch der Kaffee und dann ab nach Hause – und es ist erst 19.30 Uhr. Ein frühes Abendessen hat durchaus seine Vorzüge.
Die Kellnerin serviert uns den Kaffee, und als Will zwei Stücke Zucker in seine Tasse wirft, fällt mir auf, dass seine Hand zittert. Beim Umrühren schlägt er den Löffel so fest gegen den Tassenrand, dass sogar mein Dad ihm einen besorgten Blick zuwirft.
Ein Essen mit meiner Mutter würde zwar jeden an den Rand des Wahnsinns treiben, aber Will kommt mir nervöser vor als sonst.
»Hast du denn schon dein Kleid für die Hochzeit nächste Woche?«, fragt meine Mutter.
Was sagte ich gerade über die Zielgerade?
Um möglichst schnell von hier wegzukommen, trinke ich meinen Kaffee so hastig aus, dass ich mir die Zunge verbrenne.
»Ja, habe ich schon ausgesucht. Ich werde viele Fotos machen und sie dir zeigen, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«
Kann es kaum erwarten. Und ich darf auf keinen Fall vergessen, Will dann zu Hause zu lassen.
»Ah, perfekt. Es wird bestimmt schön, ein paar Fotos von dir auf einer Hochzeit zu haben, wenn es auch nicht deine eigene ist.«
Ich spüre, wie Will unter dem Tisch herumzappelt, und kann nur hoffen, dass sein Kaffee koffeinfrei ist, denn er ist schon aufgedreht genug.
»Also, dann danke für das schöne Abendessen«, sage ich, stelle meine Tasse ab und schaue meinen Dad erwartungsvoll an, damit er sich die Rechnung bringen lässt.
»Ja, vielen Dank«, sagt auch Will.
Er schaut auf seine Armbanduhr und wirkt erschrocken, dabei hat er alle paar Minuten die Uhrzeit gecheckt, seit wir hier sind.
»Das Fußballspiel hat gerade angefangen«, wendet er sich an meinen Dad. »Hast du Lust, ins Swan um die Ecke zu gehen und es dort anzuschauen?«
»Fußball? An einem Dienstag?«, stoße ich überrascht hervor.
»Champions League«, antwortet Will, ohne zu zögern. »Real Madrid gegen Man City.«
Deshalb hat er ständig auf die Uhr gesehen. Nicht wegen meiner Mutter, sondern weil er das Spiel nicht verpassen wollte. Typisch, dass er so nervös ist wegen zwei Teams, für die er nicht einmal Sympathie hegt. Mein Freund ist so sportbesessen, dass er sich sogar Flohhüpfen anschauen würde, wenn man es bei Sky Sports zeigte.
»Oh, das habe ich ganz vergessen«, sagt mein Dad.
Er ist zwar auch ein großer Southampton-Fan, aber nicht so süchtig nach Sportsendungen wie Will.
»Wir beide sehen uns im Pub das Spiel an, und Lexi nimmt Jean währenddessen auf eine Tasse Tee mit zu uns.«
Mir klappt die Kinnlade herunter.
»Ähm …«, stottere ich, da es zu Hause definitiv nicht aufgeräumt genug ist, um Mum hereinzubitten. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal Staub gesaugt oder ob ich gestern nach dem Abendessen das Geschirr in die Spülmaschine geräumt habe. »Wieso können wir nicht mit in den Pub kommen?«
Ich bin kein Fußballfan und kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als mir im Swan ein Spiel anzuschauen, aber es kränkt mich ein bisschen, dass wir wie zwei alte Damen zum Teetrinken abgeschoben werden, während die Männer in den Pub gehen.
»Weil du den Swan und Fußball hasst. Zu Hause fühlst du dich doch viel wohler.«
Wirklich? Während Mum die Nase über den Zustand ebendieses Zuhauses rümpft? Aber das kann ich nicht laut sagen – schließlich will ich ihr nicht auf die Nase binden, dass wir in einem Schweinestall leben.
»Aber …«
Will wirft mir einen derart finsteren Blick zu, dass ich lieber die Klappe halte.
»So nett dein Angebot auch ist, Will«, mischt sich meine Mutter jetzt ein, »aber ich habe für 20 Uhr Kinokarten gekauft. Deshalb essen wir auch so früh – und nicht etwa, weil dein Vater geizig ist, Lexi.«
Sie lacht kurz auf und entlockt sogar meinem Vater ein Lächeln.
»Danke, Will. Vielleicht ein anderes Mal, ja?«, wendet er sich an meinen Freund und klingt beinahe hoffnungsvoll.
»Okay«, antwortet Will und wirkt enttäuscht.
Offenbar hätte er das Spiel wirklich gern in Gesellschaft geguckt. Normalerweise sind dafür seine besten Freunde Aaron und Tom zuständig, aber die sind wohl anderweitig beschäftigt.
»Ich gehe mit dir hin«, sage ich und versuche, ein begeistertes Lächeln aufzusetzen.
Mit verengten Augen mustert er mich argwöhnisch.
»Das musst du nicht.«
»Ich will aber. Und du möchtest es unbedingt sehen.«
»Dann wäre das also entschieden«, sagt meine Mutter. »Alan, fragst du bitte nach der Rechnung?«
Mein Freund lächelt, und ich sehe, wie sich seine Angespanntheit legt. Alles, was er wollte, war jemand, der sich mit ihm das Spiel anschaut. Auf diese Weise können wir wenigstens ein schönes Glas Wein zusammen trinken und das Abendessen mit meiner Mutter abschütteln. Außerdem muss ich mir das Spiel gar nicht ansehen, da ich meinen treuen Kindle in der Tasche habe – eines der vielen Dinge, die zur Grundausstattung einer Sportwitwe gehören. Denn ich muss stets darauf vorbereitet sein, mich am Spielfeldrand irgendeiner sportlichen Aktivität wiederzufinden.
Stell dir vor, nächste Woche um diese Zeit bist du verheiratet«, sagt Cara mit großen Augen.
»Ich weiß. Verrückt, oder? Ich kann es nicht glauben«, antwortet Vanessa.
Ich auch nicht. Anscheinend heiraten alle meine Freundinnen, und die meisten von ihnen sind mit ihrer besseren Hälfte noch nicht so lange zusammen wie ich mit Will.
»Vielleicht fängt ja eine von euch beiden den Brautstrauß«, fügt sie hinzu.
Ich lächle höflich. Aber ich werde das gar nicht erst versuchen. Was soll es bringen, wenn ich ohnehin weiß, dass ich nicht die Nächste bin? Will hat mir vor ein paar Jahren mitgeteilt, dass er mich fragen wird, wenn der richtige Moment gekommen ist. Seither habe ich gelernt, dass seine Definition vom richtigen Moment darin besteht, darauf zu warten, dass Southampton englischer Meister wird. Und ich schätze deren Chancen in etwa so hoch ein wie meine, dass mein Roman veröffentlicht wird und es auf die Bestsellerlisten schafft.
»Ich nicht«, sagt Cara. »Ich halte mich von diesen Dingen fern. Für mich gibt es noch zu viel zu erkunden, um als Nächste durch den Mittelgang zu schreiten.«
»Außerdem kriegt meine Mutter endgültig Zustände, wenn sogar du vor mir heiratest«, sage ich lachend. »Nichts für ungut.«
»Schon gut«, antwortet sie und reibt mir über den Arm. »Aber ich hab mitbekommen, dass es für Southampton diese Saison gut läuft. Vielleicht ist es ja das Jahr.«
»Jetzt hörst du dich an wie Will.« Seit Leicester City englischer Meister wurde, glaubt er fest daran, dass Southampton es auch schaffen wird. »Nein, aber ehrlich, es ist für mich okay, nicht zu heiraten. Gewissermaßen sind wir es ohnehin – wir leben zusammen, streiten uns, haben kaum Sex. Das ist doch wie eine Ehe, oder?«
Unbedingt merken: niemals abschätzige Witze über die Ehe gegenüber jemandem machen, der in fünf Tagen heiraten wird. Vanessa macht nämlich nicht gerade ein glückliches Gesicht. Hoffentlich bleibt es nicht so stehen, sonst ist ihr superteurer Hochzeitsfotograf pure Geldverschwendung.
»Aber das trifft natürlich nicht auf alle Ehen zu«, füge ich hastig hinzu. »Wisst ihr was? Ich hole uns schnell noch ein paar Drinks. Ich glaube, es bleibt gerade genug Zeit vor unserem Schreibkurs.«
»Hey, habe ich dich doch noch erwischt«, keucht Will atemlos. Ich schaue hoch und bekomme sofort ein schlechtes Gewissen, weil wir gerade Witze über ihn gemacht haben. Hoffentlich hat er das nicht gehört.
»Was machst du denn hier? Ist alles in Ordnung?«
Plötzlich überkommt mich die Angst, dass er der Bote schlechter Nachrichten sein könnte. Vielleicht ist jemand gestorben. Warum sonst sollte er den ganzen Weg hierherfahren?
»Ja, alles bestens. Ich wollte dir nur das hier geben.«
Er hält meinen ausgedruckten Text für den Kurs heute Abend hoch. Dabei war ich sicher, ihn nach dem Abendessen in meine Tasche gesteckt zu haben.
»O Gott, hab ich den echt vergessen?«
»Als ich in die Küche kam, um mir ein Bier zu holen, habe ich ihn auf dem Tisch liegen sehen. Ich weiß, wie hart du daran gearbeitet hast, und dachte, du wärst sehr enttäuscht, wenn du merkst, dass du ihn nicht dabeihast.«
»Danke, Schatz.« Ich stehe auf, um den Text entgegenzunehmen und Will einen Kuss zu geben. Das war echt süß von ihm. »Ich bin überrascht, dass du Zeit dafür hattest. Wird nicht gerade ein Fußballspiel übertragen?«
»Doch, aber jetzt ist Halbzeit. Ich verpasse nur fünf Minuten.«
Ich lächle. Das ist mein Freund – fünf Minuten zu verpassen, ist für ihn ein ziemlich großes Opfer.
»Danke«, sage ich noch einmal und bin ehrlich gerührt.
»Gut, ich muss dann mal wieder los.«
»Vergiss nicht, Vanessa viel Glück zu wünschen. Das nächste Mal, wenn du sie siehst, ist am Samstag bei ihrer Hochzeit.«
»Oh, ähm, ja. Natürlich. Viel Glück, Vanessa«, sagt er.
»Danke, Will.«
Er winkt uns kurz zu und eilt dann aus dem Pub zurück zu seinem wichtigen Fußballspiel.
»Das war echt süß von ihm«, sagt Vanessa.
»Allerdings. Ich wäre am Boden zerstört gewesen, wenn ich gemerkt hätte, dass ich den Text nicht dabeihabe. Zum ersten Mal bin ich richtig zufrieden mit meiner Arbeit.«
»Dann bin ich gespannt darauf«, sagt Cara. »Und, bekommen wir jetzt noch einen Drink?«
Vanessa schaut auf ihre Armbanduhr.
»Für mich nicht. Ich muss noch das Programm für die Trauung ausdrucken.«
»Okay, aber es war schön, dass du vorbeigekommen bist. Ich kann es kaum erwarten, dich am Samstag zu sehen. Wenn wir das nächste Mal miteinander reden, bist du Mrs Vanessa Hancock«, sage ich aufgeregt.
»Ich weiß«, antwortet sie, und das Lächeln kehrt in ihr Gesicht zurück. Ich habe meine Bemerkung von vorhin offenbar ausgebügelt. »Trotzdem wünschte ich, ihr wärt meine Brautjungfern. Das wisst ihr doch, oder?«
»Natürlich«, versichere ich und küsse sie zum Abschied auf die Wange.
»Das wünschte ich auch«, sagt Cara, sobald Vanessa aus dem Pub stürmt.
»Echt? Die ganze Herumsteherei – und kannst du dir vorstellen, wie angespannt sie am Morgen der Hochzeit sein wird? Wir müssten ihr gemahlene Beruhigungspillen über die Cornflakes streuen.«
»Schon, aber weißt du, wie sehr es deine Chancen erhöht, jemanden abzuschleppen, wenn du Brautjungfer bist? Es ist quasi Gesetz, dass du als Brautjungfer mit einem der Trauzeugen des Bräutigams zusammenkommst.«
Ich verdrehe die Augen. Und ich dachte, sie sei sentimental, weil wir schon seit fast fünfzehn Jahren mit Vanessa befreundet sind.
Zugegebenermaßen war ich ein bisschen enttäuscht, als ich erfuhr, dass ich keine Brautjungfer sein würde. Derart nah werde ich einem Altar so schnell nicht wieder kommen. Aber da Vanessa drei Schwestern hat und der Bräutigam zwei, waren diese Plätze kraft Geburt bereits vergeben.
»Ich freue mich aber auch so auf die Hochzeit«, fährt Cara fort.
»Ich auch. Es wird bestimmt toll, und sie hat sich echt viel Mühe mit den Details gegeben.«
»Hmm.« Cara nickt. »Mich interessiert vor allem die Sitzordnung und ob mein Platz weit von dem ihres Cousins Max entfernt ist. Wie ich hörte, ist er einer der Trauzeugen. Erinnerst du dich an ihn vom fünfzigsten Geburtstag ihrer Mum, als wir in der Sechsten waren? Ich suche jemanden, mit dem ich meine neue Sexschaukel testen kann. Bob, der Bäcker, ist aus dem Rennen, nachdem er so seltsame Sachen mit meinem Hintern gemacht hat.«
»Cara, was haben wir bezüglich zu vieler Informationen gesagt? Du kennst die Regeln. Ich will nicht wissen, was in deinem Schlafzimmer vor sich geht!« Gespräche mit ihr sollten der Zensur unterliegen.
»Du kennst ja meine goldene Regel«, raunt sie und kichert dann.
»Alles ist erlaubt?«
»Auch für mich gibt es Grenzen.«
»Aha.« Ich glaube ihr kein Wort.
»Jetzt mal im Ernst, kommst du klar mit dieser Hochzeit?«, wechselt sie das Thema.
»Ja, alles prima. Als Vanessa sich verlobt hat, war ich schon ein bisschen neidisch, aber ich hatte reichlich Zeit, es zu überwinden. Davon abgesehen, kommt Will mit, und bei Hochzeiten haben wir immer sentimentale Momente. Außerdem bist du nicht die Einzige, die etwas abbekommt. Hochzeiten sind quasi eine Garantie, dass du hinterher Sex hast.«
»Wieso nur sind Hochzeiten das reinste Aphrodisiakum?«, fragt Cara.
»Keine Ahnung«, antworte ich, und mir schießt das Blut in die Wangen, als ich an die letzte Hochzeit denke, bei der ich mit Will gewesen bin. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, sind wir hinter dem Festzelt übereinander hergefallen. Wenn ich diese Stimmung doch nur das ganze Jahr heraufbeschwören könnte!
Einen Moment lang sitzen wir schweigend da, und ich vermute stark, dass unsere Gedanken ausnahmsweise in dieselbe Richtung gehen. Aber während meine aus einem Jilly-Cooper-Roman stammen könnten, bin ich sicher, dass sich Caras eher auf den Seiten eines Buches von Sylvia Day finden würden.
»Guten Abend, Ladys«, begrüßt uns Janet, die Leiterin unseres Schreibkurses, im Vorbeigehen.
»Hallo, Janet«, antworte ich überrascht. Meine Fantasie war so lebhaft, dass ich erwartet hatte, Will würde plötzlich vor mir stehen.
Um meine glühenden Wangen ein wenig abzukühlen, fächere ich mir mit der Kursmappe Luft zu.
»Jedes Mal, wenn sie uns dabei erwischt, wie wir vor dem Kurs etwas trinken, fühle ich mich wie das ungezogene Kind in der letzten Bank«, sagt Cara und leert ihr Weinglas.
»Aber wenn sie nicht will, dass wir vorher etwas trinken, dann soll sie den Kurs nicht in einem Pub abhalten.«
»Was sie aber zum Glück tut, denn ohne ein Glas Wein intus zu haben, würde ich die Hälfte meiner Sachen niemals vorlesen können.«
»Wem sagst du das! Die meisten aus unserer Gruppe sind vermutlich ebenfalls froh, Alkohol griffbereit zu haben, während sie dir zuhören. Und dabei gehst du im Kurs nicht einmal auf die saftigen Details ein. Als ich deinen ersten Entwurf gelesen habe, habe ich Zustände gekriegt.«
»Hardcore-SM-Romane können anfangs ein kleiner Schock für die Sinne sein.«
Nun, eher immer. Seit ich Caras Texte lese, habe ich Mühe, ihr in die Augen zu sehen.
Dabei war sie noch in der sechsten Klasse von all meinen Freundinnen die ruhigste, hat kaum Hallo zu einem Jungen gesagt. Aber an der Uni muss irgendeine Veränderung mit ihr vorgegangen sein, bei der sie ihr wahres Ich entdeckte, denn seither ist sie ein zügelloser Vamp.
»Ich bin nicht sicher, ob meine Hausaufgabe für diese Woche wirklich gut geworden ist. Ich freue mich nicht gerade auf das Vorlesen«, sagt Cara.
»Ich auch nicht.«
»Aber du hast doch eben gesagt, du bist mit deinem Text zufrieden!«
»Bin ich auch, aber mir graut davor, was Dr. Vernichtendes Urteil und Mr Negative Kritik sagen werden.«
»Ach, ignorier die beiden einfach. Dein Text ist bestimmt toll.«
Ich seufze. Wenn mir dieser Kurs nicht zudem die Gelegenheit verschaffen würde, regelmäßig mit Cara zu quatschen, hätten diese beiden Mitglieder mich schon längst dazu gebracht, mich abzumelden.
Vor vier Jahren habe ich meinen ersten vollständigen Roman geschrieben. Komplett gelesen haben ihn bisher nur Will und Cara. Nachdem ich Probekapitel verschickt und erkannt hatte, dass es praktisch unmöglich ist, einen Literaturagenten zu finden und veröffentlicht zu werden, schloss ich mich dieser Schreibgruppe an. Es gefällt mir, weil es mich dazu anhält, weiterzuschreiben und neue Dinge auszuprobieren, und es wäre perfekt, wenn da nicht Dr. Vernichtendes Urteil und Mr Negative Kritik wären, die »ernsthafte Literatur« verfassen und deshalb jedes Mal meine »improvisierten« Thriller auseinandernehmen.
Wenn man vom Teufel spricht – da sind die beiden schon.
Der Mann mittleren Alters (alias Mr Negative Kritik) und der jüngere Möchtegern-Hipster (alias Dr. Vernichtendes Urteil) kommen in den Pub marschiert und murmeln auf dem Weg zum Hinterzimmer eine kurze Begrüßung.
Der Rest unserer Gruppe ist eine Mischung aus Autoren von Science-Fiction und Fantasy, Steampunk, anspruchsloser Frauenliteratur, historischen Romanen, Gedichten und Theaterstücken.
»Sollen wir reingehen?«, fragt Cara und rümpft die Nase.
Wenn meine kommerziellen Thriller schon verrissen werden, dann können Sie sich vorstellen, wie die Reaktion auf ihre erotische Literatur ausfällt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Dr. Vernichtendes Urteil und Mr Negative Kritik in der Regel zu schnell rot werden, um Cara in derselben Weise zu kritisieren wie mich.
»Wir müssen wohl.«
Langsam stehen wir auf, begeben uns ins Hinterzimmer und nehmen unsere üblichen Plätze ein.
Sobald alle sitzen, beginnt Janet mit dem Kurs.
»Also schön, hattet ihr alle eine gute Woche?«
Wir nicken begeistert.
»Hat jemand Neuigkeiten, die er gern mitteilen möchte?«
Sie schiebt ihre Brille auf den Nasenrücken, als würde sie uns genauer inspizieren, und macht dazu ein hoffnungsvolles Gesicht.
Jede Woche stellt sie dieselbe Frage, und jede Woche kann man die Enttäuschung in ihrem Gesicht sehen, dass niemand von uns als die nächste J. K. Rowling entdeckt wurde.
Sie stößt auf Schweigen.
»Also schön. Die einzige Neuigkeit, die ich habe, besteht darin, dass mein jüngster Roman am Donnerstag erscheint. Das nur als Info für alle von euch, die die Reihe lesen.«
Janet schreibt Liebesromane und scheint alle zwei Wochen ein Buch zu veröffentlichen. Es sind erotische Liebesromane vor historischer Kulisse à la Mills & Boon – nicht wirklich mein Ding, aber zumindest wird die Gruppe von jemandem geleitet, der sich in der Branche auskennt, auch wenn Dr. Vernichtendes Urteil und Mr Negative Kritik gern so tun, als wüssten sie besser Bescheid.
»Bevor wir ernsthaft mit dem Lernen anfangen, möchte ich euch vorwarnen: Wir werden uns in den nächsten Sitzungen damit beschäftigen, wie ihr euch selbst vermarkten könnt. Möglicherweise haltet ihr das für unwichtig, aber heutzutage wird von einem Autor zunehmend mehr Eigenwerbung verlangt, und die fängt nicht erst an, wenn ihr veröffentlicht. Ihr werdet feststellen, dass es euch hilft, einen Vertrag abzuschließen, wenn ihr euch aktiv selbst vermarktet und eine existierende Anhängerschaft habt.«
Ich stöhne. Wie soll ich eine Anhängerschaft bekommen? Ich kann froh sein, wenn ich meine Mum dazu bringe, einen Post auf meiner persönlichen Facebookseite zu liken.
»Nächste Woche werden wir uns die Erfolgsmethoden anderer Autoren anschauen, und in der übernächsten Woche besprechen wir, wie jeder von euch einen Blog einrichten kann. Überlegt euch also bitte bis dahin mögliche Themen. Es muss nicht um Bücher und Schreiben gehen – es kann sich auch um euer Leben oder Hobbys drehen.
Den ersten Blog verfasst ihr als Hausaufgabe, und dann möchte ich, dass ihr ein paar Wochen lang Einträge schreibt. Dann werden wir uns mit sozialen Netzwerken und Marketing beschäftigen, um zu schauen, ob wir eure Statistik verbessern können.«
Bis dahin ist zwar noch ein bisschen Zeit, aber ich bekomme jetzt schon Panik.
»Zurück zu dieser Woche und den Einleitungen, die ihr als Hausaufgabe geschrieben habt. Lasst uns direkt mit dem Vorlesen anfangen. Ich bin gespannt.«
So schrecklich ich diesen Teil des Kurses auch finde, so scheint mein Schreibstil doch langsam Fortschritte zu machen.
»Lexi, fangen wir mit dir an«, sagt Janet und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
»Ähm, okay.« Langsam stehe ich auf und hole meinen Text heraus.
»Als Klaus sich der Waldhütte näherte, krallte er seine Hände in die Schenkel«, beginne ich und versuche zu verhindern, dass meine Stimme piepsig klingt. So ruhig wie möglich lese ich die Einleitung zu einem neuen Thriller vor. Das ist ganz schön schwierig, wenn meine Hände dabei zittern, als würde ich Achterbahn fahren.
Endlich bin ich fertig und halte meine Blätter so fest, dass ich sie fast zerknittere.
»Sehr schön, Lexi«, sagt Janet und schenkt mir noch eines dieser Kleiderbügellächeln. »Sehr schön vorgelesen.«
Nicht ganz dasselbe wie sehr schön geschrieben, aber immerhin ein Lob.
Ich setze mich wieder hin, und Cara zeigt mir den erhobenen Daumen.
»Ich fand es super«, flüstert sie.
Ich lächle ihr so souverän wie möglich zu und spanne die Muskeln an, um mich für den bevorstehenden Angriff zu wappnen.
»Dieser Typ stirbt also an einem Herzinfarkt?«, fragt Mr Negative Kritik.
»Richtig«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Jetzt geht es also los.
Und während ich ihm und Dr. Vernichtendes Urteil dabei zuhöre, wie sie meinen Text zerpflücken, habe ich plötzlich das Gefühl, dass ich niemals Erfolg haben werde. Ich versuche, die Kommentare an mir abprallen zu lassen, jenes dicke Fell zu entwickeln, von dem alle sagen, man brauche es als Schriftstellerin, aber ich kann nicht leugnen, dass ich mir Kritik zu Herzen nehme und am liebsten aufgeben würde.
Vielleicht muss ich meine Situation einfach akzeptieren. Ich bin nicht dazu bestimmt, Schriftstellerin zu werden, genauso wenig wie ich dazu bestimmt bin, diesseits der fünfunddreißig zu heiraten.
Ich presse die Lippen zusammen und gebe ein schmatzendes Geräusch von mir. Dann trete ich zurück und begutachte mich ein letztes Mal im Spiegel.
Siehst gut aus, Lexi.
Natürlich schaue ich bewusst nicht zu genau hin, denn sonst würde mir nicht das weiße Haar entgehen, das in meiner Hochfrisur lauert. Und von den Tränensäcken unter den Augen, die nicht einmal gewerbliche Mengen von Touche Éclat kaschieren können, wollen wir gar nicht erst reden. Aber trotz alldem sehe ich ziemlich gut aus.
Eigentlich sollte ich mein Kleid anziehen, aber da ich ein bisschen früh dran bin, nutze ich die Zeit, um mein Lächeln zu perfektionieren – genau die richtige Menge Zähne zeigen. Aus irgendeinem Grund sehe ich nämlich auf Hochzeitsfotos immer so aus, als würde ich gerade beim Zahnarzt mein Gebiss röntgen lassen.
Vermutlich lasse ich mich einfach zu sehr mitreißen – ich liebe nichts mehr als eine gute Hochzeit. Wie oft kann man sich schließlich so richtig in Schale schmeißen und bekommt den ganzen Tag umsonst Essen und Alkohol. Außerdem ist es nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern es wird sogar von dir erwartet, dass du bis in die frühen Morgenstunden herumtanzt wie ein Pavian. Und am allerbesten ist, dass die heutige Hochzeit nicht nur die einer flüchtigen Bekannten oder lange nicht mehr gesehenen Cousine ist, sondern die einer meiner besten Freundinnen. Das kann nur noch dadurch getoppt werden, zu meiner eigenen Hochzeit zu gehen. Aber wie wir alle wissen, wird das bei meinem Freund nicht so bald der Fall sein.
»Du solltest dich allmählich fertig machen«, sage ich zu Will, als er ins Schlafzimmer kommt. Er trägt immer noch seine Wochenendkluft – ausgeleierte Jogginghose und eines seiner vielen alten Southampton-Fußballtrikots.
Echt unfair, dass Männer nur Minuten brauchen, um sich ausgehfertig zu machen, denn mein Schönheitsprogramm begann bereits gestern während der Mittagspause mit einem Termin zur Maniküre/Pediküre. Nach der Arbeit folgte dann ein Ganzkörperpeeling mit Rasieren an allen nötigen Stellen. Ich habe vor dem Schlafengehen sogar meine Lippen mit der elektrischen Zahnbürste bearbeitet, damit sie superweich sind für das makellose Auftragen von Lippenstift. Will dagegen braucht nur kurz zu duschen und sich zu rasieren, bevor er sich den Anzug überwirft.
Im Gegensatz zu mir hasst Will Hochzeiten leidenschaftlich. Es liegt nicht daran, dass er gezwungen wird, mit Fremden an einem Tisch zu sitzen, und dass er an seinem freien Tag einen Anzug tragen muss. O nein, in seiner Vorstellung sind Hochzeiten ein Werk des Teufels, wenn sie auf einen Samstag fallen. Samstage dienen in unserem Haushalt nämlich einzig und allein einer Sache: der fanatischen Hingabe an Sport. Vermutlich ist es ganz gut, dass wir uns nie verlobt haben. Für einen Freund wie meinen gibt es immer etwas, das er dringend sehen muss. Kricket, Snooker, Rugby oder Poolbillard, und dann sind da noch die amerikanischen Ligen, die Stück für Stück in unser Leben eindringen: NHL, NFL, MLB, NBA – eine schier endlose Liste. Nahezu jeder Wochentag bietet eine Sportveranstaltung, die es unmöglich macht, sich anderen Dingen zu widmen. Sonntags gibt es Rugby oder Fußball, Speedway-Rennen am Montag, irgendeine Art von Fußball dienstags oder mittwochs, donnerstags Darts, Rugby am Freitag und so weiter.
Ich weiß, was Sie denken: Warum in aller Welt finde ich mich mit alldem ab? Aber wenn ich Will so im Spiegel betrachte, weiß ich, warum. Weil er es ist. Natürlich ist das eine blödsinnige Antwort, aber wie würden Sie die Liebe zu jemandem beschreiben, mit dem Sie schon so lange zusammen sind, dass es sich wie eine Ewigkeit anfühlt?
Möglicherweise hat er ein oder zwei Speckröllchen um die Hüften (wer hat die nicht), und seine Haare sehen meistens so aus, als sei er gerade erst aufgestanden, aber er ist immer noch süß. Und dabei geht es mir wohlgemerkt nicht um sein Aussehen. Um es mit Michael Jacksons klugen Worten zu formulieren: Es ist die Art, wie er mich fühlen lässt. Wir sind zufrieden und fühlen uns wohl, und genauso mag ich es.
Natürlich weiß ich, dass ich regelmäßig zugunsten eines Teams von elf Männern ignoriert werde, aber wenn Will nicht gerade in den Superfan-Sportmodus abtaucht, ist er süß und liebevoll und, na ja, er ist mein Will. Und für gewöhnlich komme ich klar, denn wenn er sich Sport ansieht, kann ich schreiben. Als würde er mir Zeit schenken. So gesehen, gewinnen wir beide.
Ich will gerade noch ein bisschen mehr Lidschatten auflegen, als ich im Spiegel sehe, wie er sich krümmt und an der Kommode Halt sucht.
»Ist alles in Ordnung?«
Ich gehe zu ihm und tätschle ihm über den Rücken.
»Ich glaube, ich habe mir den Magen verdorben«, sagt er mit leisem Stöhnen. »Die letzte halbe Stunde habe ich auf dem Klo verbracht, und dazu die Krämpfe.«
Behutsam reibe ich ihm über den Bauch.
»Du Ärmster. Hast du etwas Falsches gegessen?«
Rasch überlege ich, was ich am Vorabend gekocht habe und ob ich womöglich für seinen Zustand verantwortlich bin, aber dann fällt mir ein, dass wir beim Thai gewesen sind. Puh, wenigstens trage ich keine Schuld.
»Ja, vielleicht. Gestern Abend hatte ich doch Krabben. Na gut, dann zieh ich mal meinen Anzug an.«
Er humpelt zum Schrank, krümmt sich, verharrt eine Sekunde und rast aus dem Zimmer Richtung Badezimmer.
Ich rümpfe die Nase. Es mag ja manchmal nervig sein, dass unser Bad nicht ans Schlafzimmer grenzt, sondern am anderen Ende des Flurs liegt, aber in Momenten wie diesen ist es ein Segen. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mit anzuhören, was jetzt da drin vor sich geht.
Armer Will.
Ausgerechnet am Tag von Vanessas und Ians Hochzeit muss er eine Lebensmittelvergiftung haben. Es ist die einzige Hochzeit, auf die er sich sogar ein bisschen gefreut hat, weil sie auf einem alten Kriegsschiff in den historischen Docks von Portsmouth stattfindet und man schließlich nicht jeden Tag auf solch einen Kahn kommt.
Nachdem ich die letzten Monate viel über dieses Schiff gehört habe, bin ich auch ziemlich aufgeregt, oder zumindest bin ich das, seit ich es geschafft habe, umwerfende Wedges zu meinem Ballkleid im Vintage-Stil zu finden. Als Vanessa zum ersten Mal erwähnte, dass keine Pumps mit spitzen Absätzen erlaubt seien, überkam mich zugegebenermaßen leise Panik.
Während ich mein Kleid anziehe und mich fertig mache, überlege ich, was zu tun ist. In einer halben Stunde holt uns das Taxi ab, und ich weiß, dass Will nur in seinen Anzug steigen und durch die Haustür treten muss, aber ich glaube einfach nicht, dass sich sein Magenproblem rechtzeitig legt.
Wieso muss diese Hochzeit auch so früh stattfinden? Wenn es später am Tag wäre, hätte sich sein Organismus vielleicht bis dahin wieder beruhigt.
Ich gehe potenzielle Lösungen durch. Ich könnte ihn mit Imodium und Rehydrationslösung vollpumpen, oder er könnte einfach den ganzen Tag die Pobacken zusammenpressen.
Will taucht im Türrahmen auf. Sein Gesicht ist blass, und er wirkt echt angeschlagen. Vielleicht ist es gar keine Lebensmittelvergiftung, und er brütet schon die ganze Woche etwas aus.
»Ich muss mich fertig machen«, sagt er stöhnend und hält sich am Türrahmen fest. Er krümmt sich leicht, und obwohl ich keine Ärztin bin, wird mir klar, dass mehr nötig ist als Imodium, um ihn für die Hochzeit fit zu bekommen.
In diesem Zustand kann er nicht hingehen. Selbst wenn er aufrecht stehen könnte, ist es keine ideale Location für Magen-Darm-Probleme – er müsste schmale Leitern zwischen den Decks rauf- und runterklettern, um zum Klo zu kommen.
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal allein auf einer Hochzeit gewesen bin, und bei dem Gedanken werde ich ein bisschen nervös.
Wessen Hand soll ich denn jetzt während der Trauung drücken? Mit wem soll ich reden, wenn der Platz neben mir am Tisch leer ist? Und was soll ich machen, wenn ich am Ende der Feier wieder Frühlingsgefühle bekomme?
Nein, nein, nein. Ich kann unmöglich allein hingehen.
Ich schaue Will an, und sofort lösen sich meine egoistischen Gedanken in Luft auf. Er kneift die Augen zusammen, und ich habe den Eindruck, dass er vor Schmerzen sogar eine Träne vergießt. Nicht einmal ich bin so grausam, ihn zu zwingen, und wenn ich noch so ungern allein am Rand herumstehe, während sich alle nach dem Eröffnungstanz zum Brautpaar gesellen.
»Du bleibst am besten hier, wenn du dich so schlecht fühlst.«
»Ich kann dich doch nicht allein gehen lassen.« Er hebt den Kopf und schleppt sich durchs Schlafzimmer. »Ah.«
Er krümmt sich schon wieder. Schnell gehe ich zu ihm, stütze ihn und führe ihn zum Bett.
»Ich komme schon klar«, lüge ich. »Du bleibst hier im Bett. Ich hole dir eine Rehydrationslösung.« Ich denke gar nicht mehr darüber nach, wie ich ihn zu der Hochzeit schaffen kann, sondern will nur noch, dass es ihm wieder besser geht.
»Danke«, haucht er mit matter Männergrippestimme.
Dieses eine Mal verzeihe ich ihm sein Selbstmitleid. Niemand hat gern einen verdorbenen Magen. Dann kann man nicht einmal auf dem Sofa herumgammeln und in Ruhe Komaglotzen, weil man ständig aufs Klo rennen muss.
»Du siehst übrigens hübsch aus«, sagt er. »Ich bin echt enttäuscht, dass ich nicht mitkommen kann.«
»Das glaube ich dir«, versichere ich und strubbele ihm liebevoll durchs Haar.
»Dann hole ich dir mal Medizin.«
»Danke.«
Ich gehe hinunter in die Küche und stelle fest, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis das Taxi kommt.
Hoffentlich fällt Vanessa seine Abwesenheit nicht auf, oder sie zeigt zumindest Verständnis. Monatelang hat sie über der Gästeliste und der Sitzordnung gebrütet und sich den Kopf darüber zerbrochen, wer eingeladen wird und wer nicht und wer neben wem sitzt. Ich mag gar nicht daran denken, dass wir das jetzt alles durcheinanderbringen. Vanessa gehört zu den Menschen, die schnell unter Stress geraten, und ich möchte nichts tun, was sie an ihrem besonderen Tag aufregt.
Ich wühle in der chaotischen Küchenschublade, bis ich das gesuchte Medikament gefunden habe, und fülle ein großes Glas mit Wasser.
Als ich wieder nach oben komme, liegt Will unter der Bettdecke, die Augen zugekniffen, vermutlich vor Schmerzen.
Es muss ihm verdammt schlecht gehen, denn er hat nicht einmal den Fernseher eingeschaltet. Oben können wir zwar den Sportkanal nicht empfangen, aber irgendetwas findet er immer.
»Kommst du klar, wenn ich dich allein lasse? Oder soll ich hierbleiben und mich um dich kümmern?« Bestimmt würde ich eine prima Florence Nightingale abgeben. Irgendwo habe ich sogar noch ein Krankenschwesterkostüm aus der Zeit, als wir uns mit unserem Sexleben richtig Mühe gegeben haben. Okay, es ist aus weißem Plastik und vermutlich nichts, das Florence gutheißen würde, aber allein der Anblick von mir in diesem Outfit könnte Will ein wenig aufmuntern.
Ich streiche mit der Hand über seine Stirn, heiß oder feucht fühlt sie sich aber nicht an.
»Ich komme zurecht. Du gehst. Amüsiere dich. Es macht keinen Sinn, dass uns beiden der Tag ruiniert wird«, flüstert er und schiebt meine Hand weg. »Außerdem bringt Vanessa dich um, wenn du nicht dabei bist.«
Das stimmt.
»Ganz sicher? Brauchst du mich wirklich nicht?«
»Ich bin mir sicher. Viel Spaß.«
Ich beuge mich vor und küsse ihn flüchtig auf die Wange, sorgfältig darauf bedacht, seinen Mund nicht zu berühren, nur für den Fall, dass es ansteckend ist. Ich zögere kurz und frage mich, ob ich das Virus möglicherweise bereits habe. Wenn ich nun alle auf der Hochzeit anstecke? Ich versuche abzuwägen, was schlimmer wäre, eine ansteckende Magen-Darm-Erkrankung zu verbreiten oder mich Vanessas Zorn auszusetzen. Definitiv Vanessas Zorn.
»Okay. Ich versuche, dich nicht zu wecken, wenn ich zurückkomme.«
Will zuckt schon wieder, und ich wende mich ab. Wenn man sich so elend fühlt, will man nur noch seine Ruhe.
»Bis nachher, Schatz«, flüstere ich, aber er antwortet nicht. Vermutlich wird er völlig von seinem Leiden vereinnahmt.
Ich laufe die Treppe nach unten, habe gerade noch Zeit, Lippenstift und Handy in meine Clutch zu stecken, in die Schuhe zu steigen und mir meinen Paschmina zu schnappen, bevor draußen das Taxi hupt.
»Dann wollen wir mal«, sage ich, hole tief Luft und versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, allein zu einer Hochzeit zu gehen. Aber es ist ja nicht so, als würde ich niemanden kennen. Ich bin zusammen mit Vanessa zur Schule gegangen, und als ich im Teenageralter war, hat Vanessas Familie mich mehr zu Gesicht bekommen als meine eigene. Außerdem wird Cara dort sein – wenn sie nicht mit einem der männlichen Trauzeugen abhaut.
Plötzlich freue ich mich doch wieder ein bisschen auf diese Hochzeit. Vielleicht ist es so tatsächlich am besten. Ich kann die Hochzeit genießen, ohne das Gefühl zu haben, einen Mann babysitten zu müssen, der in einer Ecke schmollt und auf seinem iPhone die Fußballergebnisse checkt.
Ich ziehe die Tür hinter mir zu und gehe zum Taxi.
Um sich auf einer Hochzeit allein zu amüsieren, muss man anscheinend nur genügend Champagner-Cocktails mit Holunder trinken. Sobald die erste dieser Schönheiten meine Lippen berührte, wurde ich die entspannte und gesellige Lexi.
Ich habe mit Großtanten von Vanessa geplaudert, den Chef ihres frischgebackenen Ehemanns um den Finger gewickelt und mein Bestes gegeben, zwei linkische Teenager aus den beiden Familien zu verkuppeln.
Gerade unterhalte ich mich mit Vanessas Mutter. Genauer gesagt, höre ich ihr zu. Während der vergangenen fünf Minuten hat sie, ohne Luft zu holen, davon geschwärmt, wie wunderbar diese Hochzeit ist. Von mir wird lediglich erwartet, zu nicken und an den richtigen Stellen einen zustimmenden Laut von mir zu geben. Ich will mich nicht beschweren, immerhin ist sie heute die stolze Mutter der Braut und hat das Recht, mit dem großen Tag ihrer Tochter zu prahlen.
»Und ihre Floristin arbeitet auch für das Chewton Glen Hotel. Sie wurde uns sehr empfohlen.«
»Die Blumen sind wunderschön«, versichere ich, obwohl ich sie, ehrlich gesagt, erst bemerkt habe, als Vanessas Mutter sie erwähnte. Was man nicht essen oder trinken kann, wird auf Hochzeiten von meinem Radar nicht erfasst.
»Nun ja, ich bin sicher, das alles wird dir für deine Hochzeit zugutekommen«, sagt sie und schaut mich plötzlich auf eine Weise an, als sei ihr jetzt erst bewusst geworden, mit wem sie sich unterhält. »Vanessa hat detailliert Buch geführt, sie hat es dir bestimmt gezeigt, mit all ihren Ideen und Recherchen. Sie wird es dir sicher leihen.«
»Oh«, erwidere ich unsicher, da ich nicht weiß, was ich darauf sagen soll. Es ist immer nützlich, wenn einem Material für die Hochzeit angeboten wird, die man gar nicht plant. »Danke.«
Sie nimmt meine Hand und schüttelt den Kopf.
»Wenn William dir doch nur einen Antrag machen würde«, sagt sie und streicht über meinen Ringfinger. »Kürzlich habe ich deine Mutter im Supermarkt getroffen, und sie hat mir gestanden, dass sie alle Hoffnung verloren hat, dass ihr beide jemals heiratet.«
Ich versuche, meine Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln zu zwingen, aber meine innere Catherine Tate lässt daraus eine »Wen interessiert’s?«-Miene werden. Die Wahrheit ist, dass ich dieses Gespräch heute nicht zum ersten Mal führe. Bisher haben mich bereits Vanessas Dad, ihre Schwester, ihre Tante und irgendeine Freundin vom Junggesellinnenabschied darauf angesprochen. Die ersten Male hat es mir nichts ausgemacht, aber jetzt geht es mir langsam auf die Nerven. Statt zu antworten, habe ich mich deshalb für mein Erfolgsrezept entschieden – mich auf meinen Drink konzentrieren, bis der andere aufhört zu reden.
»Eines Tages werden wir das schon schaffen«, sage ich, leere meinen Champagner-Cocktail in einem Zug und schüttle mich kaum merklich wegen des Nachgeschmacks.
»Ganz sicher«, sagt ihre Mutter. »Oh, da ist Sandra. Ich muss sie rasch begrüßen.«
Sie winkt einer Frau an einem anderen Tisch zu, und ich atme erleichtert auf. Allein auf einer Hochzeit zu sein ist ganz schön anstrengend. Die Leute stürzen sich alle förmlich auf mich, vermutlich weil ihnen das Mädchen ohne Begleitung leidtut.
Cara kommt zu mir und nimmt den Platz ein, auf dem gerade noch Vanessas Mum gesessen hat.
»In Anbetracht von Ians Körpergröße sollte man meinen, sie hätten für den Empfang einen anderen Ort ausgesucht«, sagt sie und zeigt auf ihn. Er kommt gerade in den Raum zurück und stößt sich schon wieder den Kopf am Türrahmen. Cara und ich zucken zusammen.
»Aber es ist hübsch und urig, vielleicht war ihnen gar nicht bewusst, dass die niedrigen Decken ein Problem sein könnten.«
Gleichzeitig greifen wir zu unseren Gläsern und trinken einen Schluck. Erschrocken betrachte ich mein Glas und erkenne, dass es leer ist. Rasch fülle ich es mit dem Wein auf, der auf dem Tisch steht.
»Es ist schön hier«, sagt Cara. »Obwohl es doch ein bisschen weit geht, wenn dir quasi vorgeschrieben wird, in was für Schuhen du herumlaufen musst. Ob ich diese Dinger hier jemals wieder anziehen werde?«
Ich schaue hinunter auf ihre wunderschönen Sandaletten mit breiten Absätzen, die Lichtjahre entfernt sind von den alles überragenden Wolkenkratzern, auf denen sie sonst unterwegs ist. Ich war überrascht, dass sie auf den flachen Dingern überhaupt laufen kann; sie muss doch dieses permanente Gefälle gewohnt sein.
»Schlimm genug, dass ich allein zu dieser Hochzeit gehen muss, aber dann auch noch ohne hohe Absätze! Wenn du einen Meter vierundsechzig bist, brauchst du so viel Absatz, wie du kriegen kannst, um einen Trauzeugen zu erlegen.«
Sie schaut sehnsüchtig hinüber zum Haupttisch, und ich erkenne, auf wen sie es abgesehen hat – Vanessas Cousin Max. Er sieht so gut aus, dass ich fast versucht bin, ihn selbst anzubaggern. Vielleicht sollte ich meinen Alkoholkonsum einschränken.
Als Cara letztens im Pub erwähnte, dass wir ihn früher schon mal getroffen haben, konnte ich mich gar nicht an ihn erinnern. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich so tief in meiner Indie-Phase steckte, dass er mir wohl nur aufgefallen wäre, wenn er wie einer der Gallagher-Brüder als zotteliger Affe herumgelaufen wäre.
»Wenn ich Glück habe, kann ich die Dinger bald ausziehen. Die fallen ja wohl kaum in die Kategorie der High Heels, die man im Bett anlässt, stimmt’s?«
»Verdammt, ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal Sex in High Heels hatte. Heutzutage ist es wohl eher die Frage, welche Socken ich anhabe und ob ich mir die Mühe machen soll, sie vorher auszuziehen.«
Cara verdreht die Augen über mich und mein vernachlässigtes Sexleben. Schon höre ich im Geiste einen ihrer Vorträge über »Wie du Schwung in dein Sexleben bringst« und wechsle rasch das Thema.
»Wenigstens stößt du dir nicht den Kopf.«
Wir beobachten, wie sich der Bräutigam schon wieder an einem Balken den Kopf stößt, als er sich nach dem Begrüßen von Gästen wieder aufrichtet.
Wir trinken noch einen Schluck. Gott sei gedankt für die kostenlose Sauferei.
»Ahhh, er ist allein«, sagt Cara und springt auf. Zum Glück ist sie nicht sehr groß, sonst hätte sie sich bei der Aktion eine schwere Kopfverletzung zuziehen können. »Wünsch mir Glück.«
Sie drückt demonstrativ die Daumen und sieht aus, als würde sie sich vor Aufregung gleich in die Hose pinkeln. Cara hat den ganzen Tag darauf gelauert, diesen Max allein zu erwischen, aber bisher hat er sich ständig mit irgendwelchen Gästen unterhalten. So ziemlich jede Frau auf dieser Hochzeit hat ein Auge auf ihn geworfen, außer mir natürlich. Auch wenn ich vielleicht Witze darüber mache, so möchte ich doch niemand anderen haben als meinen kranken Mann.
Als sie zu ihm geht, beneide ich sie um diese schwindelerregende Aufregung, die sie jetzt bestimmt verspürt. Ich bin schon so lange mit Will zusammen, dass ich mich manchmal gar nicht mehr daran erinnern kann, wie es am Anfang ist. Hin und wieder, in Momenten wie diesen, werde ich an dieses berauschende Gefühl der Lust und kribbelnde Lenden erinnert, das mich damals auch überkam. Aber diese Tage schwanden dahin, als Will sich in unserer Beziehung entspannt genug fühlte, um in meiner Gegenwart zu pupsen.
Vielleicht sind die Champagner-Cocktails und der Wein am Ende doch nicht meine Freunde. Als ich heute Morgen sah, wie Vanessa als Braut strahlte, wäre ich gern an ihrer Stelle gewesen, jetzt dagegen beneide ich Cara, weil sie Single ist – ich sage ja, dass der Alkohol meine Sinne verwirrt.
Das Handy in meiner Clutch vibriert, und ich greife automatisch danach, weil ich annehme, dass sich mein Patient meldet. Ich habe ihn extra nicht angerufen, damit er sich in Ruhe gesund schläft. Außerdem wollte ich ihm kein Salz in die Wunde streuen, indem ich ihm vorschwärme, wie sehr ich das tolle Essen und die Drinks genieße, während er vor sich hinsiecht.
Ein kleines schlechtes Gewissen habe ich schon, weil ich ihn allein gelassen habe. Wenn er nun zu schwach ist, um es durch den Flur bis aufs Klo zu schaffen? Bei der Vorstellung an die vermeintlichen Konsequenzen schüttelt es mich, und ich schalte mein Handy ein. Aber ein Blick auf das Display verrät mir, dass ich eine Nachricht von meinem Arbeitskollegen Mike bekommen habe.
Panisch überlege ich, ob es möglicherweise einen Notfall gibt und ich sofort ins Büro muss. Aber mal ehrlich, was für einen Notfall sollte es denn am Wochenende in der Kulturabteilung der Stadtverwaltung geben, den eine »Fachbereichsleiterin Kunst« beheben könnte?
Ich klicke die Nachricht an und sehe, dass es ein Foto ist. Während es heruntergeladen wird, kämpfe ich gegen die Angst an, dass es etwas sein könnte, was ich gar nicht sehen will – wie ein Nackt-Selfie, das eigentlich für seine Frau Louise bestimmt ist. Wenn er es nur aus Versehen an mich geschickt hat?
Mit halb zusammengekniffenen Augen blinzle ich auf das Foto und reiße sie dann erschrocken wieder auf. Es stimmt zwar, dass es sich um etwas handelt, was ich lieber nicht sehen würde, aber diese Nachricht ist definitiv für mich bestimmt.
In all seiner Pracht ist dort mein Will zu sehen. Aber nicht zu Hause im Bett liegend, sondern wie er in seinem rot-weißen Southampton-Fußballtrikot in die Kamera starrt. In einer Ecke erkenne ich das Logo von Sky Sports und in einer anderen den Rand von Mikes Fernseher.
Mike Williams
Habe gerade Will im Fernsehen gesehen! Großartiges Spiel. Wette, dass er es total genießt.