Doppelt geliebt hält besser - Anna Bell - E-Book
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Doppelt geliebt hält besser E-Book

Anna Bell

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Beschreibung

Das zweite erste Date: Im originellen humorvollen Liebesroman der britischen Autorin Anna Bell steht Ellie vor der Frage, ob sich ihr Mann Max nach einem Gedächtnisverlust ein zweites Mal in sie verlieben wird. Für Ellie war es immer schon Max – bis der allerdings mehr in ihr gesehen hat als »Spider«, die nerdige Freundin seiner kleinen Schwester, hat es eine ganze Weile gedauert. Doch seit vier Jahren sind sie glücklich verheiratet und erwarten in wenigen Wochen ihr zweites Kind. Da trifft es Ellie wie ein Schock, als Max sie eines Tages mit »Spider« anspricht: Er hat jede Erinnerung an die letzten fünf Jahre verloren – und damit auch an seine Ehe mit Ellie. Die Diagnose lautet dissoziative Amnesie, was sie ausgelöst hat und ob sie umkehrbar ist, wissen die Ärzte nicht. Kann es Ellie gelingen, Maxʼ Herz ein zweites Mal für sich zu gewinnen? Mit »Doppelt geliebt hält besser« hat Anna Bell eine hinreißende romantische Komödie geschrieben, in der britischer Humor auf Szenen zum Dahinschmelzen trifft. Entdecke auch die anderen humorvollen Liebesromane von Anna Bell: - Eigentlich bist du gar nicht mein Typ - Die Penny-Robinson-Serie (Sag einfach nur ja / Er muss ja nicht alles wissen / Ich würd's wieder tun) - Perfekt ist nur halb so schön - Auf dich war ich nicht vorbereitet - Gib mir ein Herz

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Seitenzahl: 480

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Anna Bell

Doppelt geliebt hält besser

Roman

Aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Mit dem zweiten ersten Date zum Happy End

 

Max und Ellie sind seit vier Jahren glücklich verheiratet und erwarten ihr zweites Kind. Doch dann verliert Max plötzlich die Erinnerung an die letzten fünf Jahre seines Lebens. Er erkennt in Ellie nicht mehr seine Ehefrau, sondern nur noch die nerdige Freundin seiner Schwester. Ellie setzt alles daran, Max' Herz ein zweites Mal für sich zu gewinnen – bis sie herausfindet, was vor dem Gedächtnisverlust passiert ist …

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Danksagung

Für Jessica,

die mich stets dazu inspiriert, noch mutiger zu sein.

Prolog

Als ich mich entschied, dieses Jahr als Wonder Woman zur Comic Con zu gehen – in superkurzem Rock und winzigem Korsett –, hatte ich nicht einkalkuliert, hinterher bei der Fleischbeschau in einem Klub zu landen. Zum x-ten Mal ziehe ich am Saum meines Rocks, der mit jeder Minute kürzer zu werden scheint. Dann quetsche ich mich über die volle Tanzfläche, wehre Po-Kneifer ab und Typen, die ihre Hüften bedrohlich nahe an meinen kreisen lassen. Argh! Den ganzen Tag bin ich in diesem Outfit herumgelaufen, ohne auch nur einen lästigen Annäherungsversuch erdulden zu müssen. Und nun bin ich seit nicht einmal einer Stunde in diesem Klub und muss unentwegt Hände wegschlagen.

Dabei wollte ich gar nicht herkommen, aber meine Freunde haben mich mitgeschleppt, und dann habe ich sie in dem Gewühl verloren. Keiner der beiden geht ans Handy, also habe ich die vergangenen zwanzig Minuten mit der Suche nach ihnen verbracht, auf mehreren Etagen, die alle dunkel und voller schwitzender Körper sind. Man sollte doch meinen, dass meine als Hulk und Hawkwoman verkleideten Freunde leicht zu entdecken wären! Mittlerweile ist es schon spät, und es war ein langer Tag. Ich werde ein letztes Mal auf der Tanzfläche im Obergeschoss nachsehen, und wenn ich sie da nicht finde, fahre ich nach Hause.

An den Stehtischen am Rand der Tanzfläche drängen sich die Leute, und als ich den Blick darüberschweifen lasse, bleibt mir beinahe das Herz stehen. An einem der Tische entdecke ich Max Voss – den Bruder meiner besten Freundin Rachel alias meinen Teenage-Schwarm. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen, aber er ist noch genauso umwerfend wie damals. Wie hypnotisiert starre ich ihn an, fühle mich wieder wie mit fünfzehn. Als unbedarfte Fünfzehnjährige peinlich verknallt zu sein ist jedoch eine Sache, sich als reife Achtundzwanzigjährige noch so aufzuführen, etwas völlig anderes. Und trotzdem komme ich nicht dagegen an. Genau aus dem Grund treffe ich mich nicht mit Rachel in ihrem Elternhaus, wenn ich weiß, dass er auch da ist. Offenbar spürt er, dass ich ihn anstarre, denn er schaut hoch, und unsere Blicke treffen sich. Eigentlich erwarte ich, dass er sich sofort wieder abwendet. Mit meinen langen Haaren und ohne mein Markenzeichen – die Brille mit den dicken Gläsern, die ich bis Anfang zwanzig getragen habe – erkennt er mich bestimmt nicht. Aber zu meiner Überraschung winkt er mir aufgeregt zu. Ich schaue über meine Schulter, erwarte, hinter mir eine langbeinige Blondine zu entdecken, aber da ist niemand. Er zeigt auf mich, und dank der Menge an Cola-Rum, die ich intus habe, besitze ich genügend Selbstvertrauen, um zu ihm zu gehen.

»Hey!«, ruft er, winkt mich noch näher heran und brüllt in mein Ohr: »Da bist du ja!« Er ist mir so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüre. So nah war ich ihm noch nie, und ganz sicher war er noch nie so freundlich zu mir. Er legt die Hand auf mein Kreuz, und ich schmelze unter der Berührung dahin. Meine Beine zittern so sehr, dass ich mich sicherheitshalber an dem Tisch neben mir festhalte. Ich hasse es, dass mein Teenage-Schwarm immer noch solche Macht über mich besitzt.

»Ich dachte, du würdest nicht kommen«, sagt er.

»Wie bitte?« Ich bin nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe.

»Komm, ich will dir Rodge vorstellen«, sagt er und ignoriert meine Verwirrtheit. Er nimmt meine Hand und führt mich zu einem aus seiner Freundesgruppe, der einen limettengrünen Borat-Mankini trägt. Von allen Kostümen, die ich heute gesehen habe, ist dieses bei Weitem die schlimmste Vergewaltigung meiner Augen. Ich versuche, die Haare und Fleischstücke zu ignorieren, die an Stellen hervorlugen, an denen sie es nicht tun sollten.

Max flüstert seinem Freund etwas in Ohr. Der mustert mich von oben bis unten, und ein breites Grinsen erscheint auf seinem Gesicht.

Er kommt auf mich zu und hält mir die Hand hin. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie zu schütteln.

Max’ andere Freunde scheinen sich sehr dafür zu interessieren, was hier gerade vor sich geht, denn sie umringen uns sichtlich gespannt. Ein paar von ihnen pfeifen und grölen den Titelsong von Wonder Woman. Sie lachen und klatschen, und weil dank Rum-Cola nichts dagegenspricht, stimme ich mit ein, strecke die Arme nach oben und wiege mich mit den Hüften im Takt.

Ihr Gesang verändert sich, und anfangs verstehe ich nicht, was sie sagen, aber dann höre ich Wörter wie »Kitten« – oder nein, »Titten« raus. Wieso sollten sie wollen, dass ich strippe? Es sei denn … Ich höre abrupt auf zu tanzen, schaue an meinem Outfit hinunter und denke an Max’ Bemerkung, dass er dachte, ich würde nicht auftauchen. Und dann die Tatsache, dass diese Gruppe ausschließlich aus Männern besteht. Und dass Max weder meinen Namen genannt noch gesagt hat, woher wir uns kennen. Himmel! Er hält mich für eine Stripperin!

Der Typ in dem Borat-Mankini nickt mir aufmunternd zu, wartet augenscheinlich darauf, dass die Show beginnt. Entsetzt schaue ich zu Max.

Sein Ausdruck von Amüsiertheit wandelt sich in offenkundige Verwirrtheit.

»Moment mal, ich kenne dich«, sagt er, tritt einen Schritt auf mich zu und zieht die Augenbrauen hoch. »O mein Gott!«, ruft er. »Spider, du bist das!«

Bei dem Spitznamen, den er mir damals gegeben hat, zucke ich zusammen. Den habe ich seit Jahren nicht gehört. Als Teenager trug ich wie gesagt eine Brille mit superdicken Gläsern, und wenn man seitlich hindurchschaute, wirkte es, als hätte ich ganz viele Augen. Dazu meine langen, schlaksigen Gliedmaßen und die flache Brust – und Max stellte irgendwann fest, ich sähe aus wie eine Spinne. Und schon hatte ich meinen Spitznamen weg. Liebeskummer und Schmerz stiegen erneut in mir hoch, so wie damals bei dem Teenager, der mit jeder Faser seines Körpers für jemanden schwärmte und erleben musste, dass er für das Objekt seiner Zuneigung nur eine »Spinne« war.

Die Erinnerungen kommen so schnell und so heftig, dass mir Tränen in die Augen treten. Max’ Freunde rufen immer noch, ich solle strippen. Das ist zu viel. Ich mache kehrt, schiebe mich durch die Massen auf der Tanzfläche und die Treppe hinunter in Richtung Ausgang.

»Spider, warte!« Max kommt hinter mir die Treppe heruntergetrampelt.

Ich ignoriere ihn und finde mich im nächsten Moment draußen auf dem Bürgersteig wieder, ziehe mein Cape als Schutz gegen die Kälte eng um mich.

»Spider, bitte, es tut mir leid.« Er fasst mich am Ellenbogen und dreht mich behutsam zu sich herum.

»Du dachtest, ich sei eine Stripperin?« Ich stemme die Hände in die Hüften. Mein befreites Cape bauscht sich hinter mir im Wind.

»Tut mir leid«, wiederholt er, nimmt meine Hand und führt mich weg von den Türstehern, die versuchen, nicht über uns zu lachen. »Es war das Outfit. Mein Kumpel Jez sagte, er habe eine Stripperin gebucht, und dann standest du dort und hast zu uns geschaut, und da dachte ich … Shit, es tut mir so leid. Aber – wow, Spider, du bist erwachsen geworden!«

Mir wird bewusst, dass er auf meine Brüste starrt, die oben aus dem Korsett quellen. Mein Cape ist auch keine Hilfe. Sobald ich es um mich wickle, zieht der Wind es wieder weg.

»Ähm, Max …« Ich zeige auf mein Gesicht. Sein Blick huscht nach oben.

»Oh, ja, sorry, es ist nur … Dieses Outfit. Ziehst du dich immer …«

»Ich war heute auf der Comic Con.«

»Comic was?«

»Egal.«

»Bist du mit Freunden hier?«

»War ich, aber ich habe sie verloren. Ich war gerade auf der Suche nach ihnen, als ich dich zufällig gesehen habe. Ich fahre jetzt besser nach Hause«, sage ich und schaue auf der Suche nach einem Taxi die Straße entlang.

Zwei Rausschmeißer kämpfen sich aus dem Klub, befördern Max’ Freund in dem Borat-Mankini unsanft vor die Tür. Er fällt in die Arme seiner Freunde, die ebenfalls herausgestolpert kommen.

»Was zur Hölle ist passiert?«, fragt Max.

»Rodge hat sich gerade auf der Tanzfläche übergeben.«

Max zuckt zusammen.

»Wir bringen ihn nach Hause«, sagt einer aus der Gruppe.

»Ich helfe euch.«

»Nee, Kumpel, wir schaffen das schon«, erwidert sein Freund und klopft Max auf die Brust. »Bleib ruhig hier.«

Er wirft mir ein breites Grinsen zu, stützt dann Rodge und geht mit ihm und den anderen die Straße hinunter. Bei der Gelegenheit fällt mein Blick auf Rodges nackten Hintern.

»O Mann, dieses Kostüm!« Ich wünschte, ich könnte das Bild ungesehen machen. »Hat er Geburtstag oder so?«

»Sein Junggesellenabschied.«

»Er feiert hier seinen Junggesellenabschied?« Stirnrunzelnd betrachte ich die Fassade dieses geschmacklosen Klubs.

»Wenn du Rodge kennen würdest, wüsstest du, dass es passt. Also, Spider –«

»Ich heiße Ellie.«

Er verzieht das Gesicht. »Natürlich, Ellie. Shit. Da will ich mich entschuldigen und grabe mir ein noch tieferes Loch. Hör zu, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe – darf ich es wiedergutmachen, indem ich dir ein Essen spendiere?«

Hat Max Voss mich soeben gefragt, ob er mich zum Essen einladen darf? Habe ich mir diesen Moment nicht x-mal in meiner Fantasie ausgemalt? Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, Ellie. »Wieso nicht?«, antworte ich mit einem lässigen Schulterzucken.

»Super.« Max macht auf dem Absatz kehrt und marschiert in den Imbiss nebenan. Nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe.

Ich folge ihm, und wir bestellen Hähnchen mit Pommes. Als unser Essen fertig ist, trägt Max das Tablett rüber zu den roten Plastikstühlen am Fenster. Mein Rock ist so kurz, dass ich mit nackten Oberschenkeln darauf sitze und befürchte, meine Haut wird an dem Plastik kleben bleiben und abgezogen, wenn ich wieder aufstehe.

»Von allen Leuten, denen ich hier begegnet bin, habe ich dich in diesem Klub am allerwenigsten erwartet. Hätte nicht gedacht, dass so ein Laden dein Ding ist«, sagt er, nimmt die Pappverpackungen vom Tablett und reicht mir eine.

»Ach ja, und was, dachtest du, wäre mein Ding?«

»Ähm, keine Ahnung, Sci-Fi-Conventions. Du warst schon immer ein Nerd«, antwortet er mit frechem Grinsen. Ich werfe eine Fritte nach ihm, und er lacht. »Autsch! Die sind heiß.«

»Ich weiß, habe mir gerade die Finger verbrannt«, erwidere ich.

»Ich wollte dich nicht kränken. Aber du und Rach, ihr wart nicht gerade fürs Partymachen bekannt. Einmal musste ich euch sogar irgendwo reinbringen, ihr habt euch nicht mal getraut, aus dem Wagen zu steigen.«

»In den vergangenen zwölf Jahren ist mein Selbstvertrauen ein wenig gewachsen«, antworte ich und zucke bei der Erinnerung an damals innerlich zusammen. Dass er uns zu dieser Party brachte, war nicht der peinliche Teil …

Er deutet auf meine Brust. »Und wie ich sehe, brauchst du keine Papiertücher mehr.«

Das war der peinliche Teil.

Ich schließe die Augen und fühle mich zurückversetzt. Max hatte uns zum Kricket-Klub gefahren, und als Rach und ich uns nicht trauten, an einer Gruppe cooler Jungs vorbeizugehen, die draußen vor dem Eingang abhingen, brachte er uns hinein. Rach und ich wollten uns gerade von Max verabschieden, als er an etwas zog, was er für den abtrünnigen Fetzen eines Papiertaschentuchs hielt, der an meinem Ausschnitt hing – um dann einen langen Streifen Toilettenpapier herauszuziehen, mit dem ich meinen BH ausgestopft hatte.

»Ich habe dir nie dafür gedankt, dass du mich damals nicht ausgelacht hast.«

Als Max den vermeintlichen Papierfetzen entfernen wollte, kam plötzlich immer mehr Klopapier hinterher. Statt über mich zu lachen, wie es die meisten Jungs im Teenageralter getan hätten, umarmte er mich, um unauffällig den Rest herauszuziehen. Dadurch lief ich zwar mit unterschiedlich großen Brüsten herum, aber zumindest erfuhr nicht die ganze Schule, dass ich meinen BH ausstopfte.

»Jeder andere hätte das Gleiche getan.«

»Bestimmt nicht. Das war echt nett von dir.«

»Na ja, du warst ständig bei uns zu Hause und deshalb für mich wie meine kleine Schwester.«

»Aha. Und bin ich das immer noch für dich?«

Sein Blick wandert zwischen meinem Outfit und meinem Gesicht hin und her, und ich merke an seinem leichten Schwanken, dass er betrunken ist.

»Dieses Outfit bringt mich irgendwie durcheinander, und ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«

Das Blut schießt mir in die Wangen. Flirtet er etwa mit mir?

»Deiner Freundin würde es bestimmt nicht gefallen, dass du solche Dinge sagst.«

»Freundin?«

»Sorry, Rachel hat vor ein paar Monaten erwähnt, dass du dich mit jemandem triffst, und da habe ich angenommen …«

»Das hat nicht funktioniert. Sie ist ins Ausland gezogen.« Er zuckt mit den Schultern. »Es war aber auch nichts Ernstes.«

»Oh, klar«, erwidere ich, verlegen, weil ich das Thema aufgebracht habe. »Also, was habt ihr bei dem Junggesellenabschied denn alles gemacht?«

»Das möchtest du nicht wissen, aber es war ein langer Tag, so viel ist mal sicher. Wir haben um acht Uhr morgens mit dem Trinken angefangen.«

»Mein lieber Schwan. Und du kannst immer noch stehen?«

»Taktisches Nickerchen im … an einem Ort, wo es bequeme Sessel gibt. Außerdem bin ich zu Wodka Red Bull gewechselt und werde vermutlich vor nächstem Donnerstag nicht mehr schlafen können. Aber ich habe länger durchgehalten als Dodgy Rodge, was normalerweise bei einem Junggesellenabschied unmöglich ist. Wie ein ungeschriebenes Gesetz.«

»Welche ungeschriebenen Gesetze gibt es noch?«

»Ich fürchte, die kann ich dir auch nicht verraten.«

»Verstehe, gefällt mir, dass du so eine geheimnisvolle Aura um etwas erzeugst, bei dem es nur darum geht, dass ihr euch volllaufen lasst und in Strip-Klubs abhängt.«

Max lacht.

»Hattest du schon immer so viel Humor, Spid… Ellie?«, korrigiert er sich rasch, weil ich bereits eine finstere Miene aufsetze.

»Klar, aber du warst ja zu cool, um mit mir zu reden.« Ich schnappe mir einen Hähnchenflügel und will auf manierliche Weise ein kleines Stück abbeißen, aber mich überkommt solcher Heißhunger, dass ich mein Essen verschlinge wie ein Höhlenmensch.

»Stimmt nicht«, erwidert er, aber wir wissen beide, dass ich recht habe. Max war in der Schule einer dieser Typen, die von allen angehimmelt wurden. Seine Schwester Rach und ich dagegen … na ja, wir hätten Mühe gehabt, jemanden zu finden, der auch nur unsere Namen kannte.

»Sag mal, bis du nicht so eine Art Raketenwissenschaftlerin?«, fragt er.

»Datenanalystin, also nicht ganz.«

»Auch beeindruckend.« Er nickt und verdrückt seinen Hähnchenflügel noch schneller als ich meinen. »Und wohnst du noch in der Gegend? Ich weiß, dass Rach manchmal bei dir übernachtet. Aber ich dachte, du würdest draußen in Ealing wohnen oder so.«

Es schmeichelt mir ein bisschen, dass er weiß, wo ich gewohnt habe.

»Ja, das war mal, aber inzwischen habe ich einen neuen Job und fand den Weg zur Arbeit zu weit. Also wohne ich jetzt in Clapham North.«

»Hey, gar nicht weit von mir. Ich bin in Brixton.«

Das ist mir natürlich bekannt.

»Cool«, sage ich.

Wir schauen beide hinunter auf unsere dezimierten Portionen.

»Offenbar waren wir echt hungrig«, stelle ich fest.

»Ja, ich habe das wirklich gebraucht. Also, ähm, darf ich dich nach Hause begleiten?«

»Klar«, stimme ich zu, und als wir uns auf die Suche nach einem Taxi machen, kämpfe ich gegen die wachsende Nervosität an und sage mir, dass er nur höflich ist und mich auf seinem Nachhauseweg bei mir absetzt.

 

Wie sich herausstellt, war es nicht nur reine Höflichkeit, denn jetzt steht Max in meinem Wohnzimmer und trinkt einen Limoncello als Absacker – der einzige Alkohol, den ich vorrätig hatte.

»Ist noch eine ganz schön lange Strecke bis raus nach Brixton«, sagt er dann, streckt die Arme und täuscht ein Gähnen vor.

»Ja«, stimme ich zu, obwohl ich weiß, dass es nur eine kurze Busfahrt ist. »Du kannst gern hierbleiben.«

»Danke, das wäre super. Ich schlafe natürlich auf dem Sofa.«

»Klar, ein echter Gentleman tut das.«

»Selbstverständlich.« Er kommt einen Schritt auf mich zu, und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Max sieht mich auf dieselbe Weise an wie seinen Hähnchenflügel, bevor er ihn verschlungen hat.

»Aber weißt du, ich habe ein bisschen Schwierigkeiten, aus diesem Kostüm herauszukommen.«

»Ich könnte dir dabei helfen.«

»Auch das würde ein Gentleman tun.«

Er nickt.

»Möglicherweise ist es in meinem Schlafzimmer einfacher.«

»Bestimmt.« Er folgt mir ins Schlafzimmer. Sobald die Tür zufällt, stürzt er sich förmlich auf mich und küsst mich leidenschaftlich.

Wir sinken auf das Bett, und überall sind Hände, die trunken über den Körper des anderen fahren. Es ist nicht die koordinierteste aller Übungen, begleitet von schwerem, lustvollem Keuchen.

»Das Kostüm«, stoße ich atemlos hervor.

»Natürlich.« Max zerrt an dem Top, aber es tut sich nichts. Wir setzen uns hin, und er versucht, den Reißverschluss am Rücken zu öffnen, der jedoch klemmt.

»Warte, lass mich mal«, sage ich und lange in dem Moment hinter meinen Rücken, als Max sich runterbeugt, um besser sehen zu können. Ich ramme ihm meinen Ellenbogen ins Gesicht.

»Au, fuck«, stöhnt er und hält sich die Hand vor ein Auge.

»Mist, zeig mal«, fordere ich ihn auf und knie mich vor ihn.

Er presst beide Hände so fest vors Gesicht, dass ich seine Finger spreizen muss, um überhaupt etwas zu erkennen.

»Sieht nicht so aus, als würde es bluten«, beruhige ich ihn.

»Tut aber verdammt weh.«

»Und dein Auge ist auch noch da, das ist doch ein gutes Zeichen, oder?«

Ich verfluche mein Wonder-Woman-Kostüm. Jahrelang habe ich von solch einem Moment geträumt, und jetzt, da ich Max tatsächlich in meinem Schlafzimmer habe, verpasse ich ihm ein blaues Auge.

»Ich hole was zum Kühlen, okay? Damit es nicht anschwillt.«

Ich renne in die Küche, finde eine halbe Tüte mit Tiefkühlerbsen und wickle sie in ein Geschirrtuch.

In Rekordzeit bin ich wieder im Schlafzimmer, aber Max ist auf meinem Bett ohnmächtig geworden. Heilige Scheiße! Jetzt rast mein Herz aus einem anderen Grund – wenn er nun eine Gehirnerschütterung hat?

Ich beuge mich über ihn, um seine Atmung zu überprüfen. Er schnarcht leise. Schnarchen Menschen, wenn sie eine Gehirnerschütterung haben? Der Wecker auf meinem Nachttisch zeigt 3:32 Uhr. Es ist die Art irre Situation, in der ich normalerweise Rach anrufen und um Rat fragen würde – aber es ist wohl nicht die richtige Uhrzeit, um ihr zu erklären, warum ihr Bruder in meinem Bett liegt.

Vor lauter Panik laufe ich erneut in die Küche, fülle ein Glas mit Leitungswasser und kehre zu Max zurück. Ich überprüfe ein zweites Mal, ob er Lebenszeichen von sich gibt, nehme allen Mut zusammen und schütte ihm das Wasser über den Kopf.

»Was zum …!«, brüllt er, setzt sich ruckartig auf und schüttelt sich das Wasser aus dem Gesicht und den Haaren.

»Gott sei Dank«, seufze ich erleichtert. »Ich dachte schon, du hättest eine Gehirnerschütterung.«

»Nein, ich bin nur betrunken«, erwidert er, streckt die Hände aus und zieht mich in seine Arme. Dann kuschelt er sein feuchtes Gesicht in meine Halsbeuge und schläft wieder ein.

Und ich liege einfach nur da, in meinem Wonder-Woman-Kostüm, und versuche den Gedanken an den unweigerlich peinlichen Morgen nach dieser Nacht zu verdrängen und den Augenblick zu genießen – denn ich habe Max Voss in meinem Bett, und auch wenn es nur für einen Moment ist, fühle ich mich, als wären meine wildesten Träume wahr geworden.

Kapitel 1

Vier Jahre später

Ich hab’s!«, ruft Max und steckt kopfüber in meinem Kleiderschrank. »Warum ziehst du das nicht an?«

Ich zwänge mich aus meinem Kleid, und mein Kugelbauch atmet befreit auf. Es war definitiv Wunschdenken, das mich in diesem Stadium der Schwangerschaft glauben ließ, das Teil könnte noch passen.

Als ich mich umdrehe, um zu sehen, was Max in meinem Kleiderschrank entdeckt hat, hält er den grünen Catsuit hoch und grinst mich breit an. »Der ist mit Sicherheit dehnbar.«

»Max Voss«, ermahne ich ihn mit meiner strengsten Stimme, »dieser Catsuit hat uns überhaupt erst in diese Situation gebracht, außerdem passen meine Brüste und der Bauch da niemals rein.«

Ich sehe ein gewisses Funkeln in seinen Augen und ahne, was er denkt. Zwar würde ich uns nicht als Ehepaar mit telepathischen Fähigkeiten bezeichnen, aber ich weiß genau, wann mein Mann scharf auf mich ist.

»Leg das zurück in den Schrank«, verlange ich energisch.

Der Catsuit gehörte zu den Kostümen, die ich für den ersten Geburtstag unserer Tochter Sasha genäht habe. Das Motto lautete »Kinderbücher«, und ich ging als Raupe Nimmersatt. Der Catsuit saß jedoch wesentlich enger als erwartet, und ich verbrachte den Großteil der Party auf der Flucht vor dem Grüffelo alias meinem Ehemann, bis Sasha schließlich im Bett lag und alle Gäste gegangen waren. Und dann hatte der lüsterne Grüffelo freie Bahn.

Ein bisschen geschmeichelt fühle ich mich schon. Während meiner Schwangerschaft mit Sasha waren Max und ich wie die Kaninchen, aber wegen der Arbeit mit dem Umzug in dieses Haus vor wenigen Monaten, eines Kleinkinds und unserer fordernden Jobs gab es in letzter Zeit nicht gerade viel Sex.

»Wenn das so weitergeht, muss ich wohl in Unterwäsche gehen«, stelle ich fest und stemme die Hände in die Hüften.

»Ich für meinen Teil befürworte das sehr.« Max kommt einen Schritt auf mich zu. »Bist du sicher, dass wir da hinmüssen? Mum und Graham passen auf Sasha auf, und wir haben das ganze Haus für uns. Wie oft kommt das schon vor?«

»Nie«, antworte ich, und er nähert sich auf Tuchfühlung. »Trotzdem gehen wir zu dem Geburtsvorbereitungskurs.«

»Wieso? Wir haben das doch schon mal durchgemacht und wissen, wie es geht. Ich reiche dir meine Hand, die du fast zerquetschst, während du presst, dann sage ich dir, du sollst atmen, und du fauchst mich an, ich solle mich verpissen.«

Ich verziehe das Gesicht.

»Genau deshalb gehen wir dahin. Damit es dieses Mal anders läuft.«

»Gut, ich freue mich, wenn meine Hand anschließend nicht wegen des Verdachts auf Knochenbrüche geröntgt werden muss.«

Er beugt sich vor und gibt mir einen Kuss. Wie von selbst schlinge ich die Arme um ihn und erwidere den Kuss.

»Nein, nein, nein.« Behutsam schiebe ich ihn dann weg, obwohl mein Herz laut pocht. »Wir haben keine Zeit.«

»Komm schon, das war mindestens ein Siebener-Kuss.«

Max und ich haben ein Spiel, bei dem wir Küsse in Filmen auf einer Skala von eins bis zehn bewerten und sie auch schon mal bei uns anwenden. Ich weiß nicht mehr, wie es anfing, aber bisher haben nur Ryan Gosling und Rachel McAdams in Wie ein einziger Tag einstimmig von uns eine perfekte Zehn erhalten. Nicht etwa, dass sich Max den ganzen Film angeschaut hätte, aber ich habe dafür gesorgt, dass er sich diese Kussszene im Regen ansieht.

»Also, in meinen Augen eher eine Fünf«, lüge ich. Für gewöhnlich enden Küsse der Stufe sieben oder darüber mit Sex, und dafür haben wir jetzt echt keine Zeit.

»Na super, danke auch. Dabei habe ich nur versucht, ein bisschen Würze in unsere Ehe zu bringen«, sagt er und macht sich damit über einen Artikel lustig, den ich ihm an diesem Morgen vorgelesen habe.

»Ich verspreche dir, dass dafür noch jede Menge Zeit bleibt, bevor das Baby kommt und ich in Mutterschutz bin. Dann können wir die Rollenspiele und was die sonst noch so vorgeschlagen haben, umsetzen. Alles, was dieses Kind davon überzeugt, ein bisschen früher zu kommen.«

Ich ziehe wieder das Kleid an, das ich als erstes anprobiert habe, und überprüfe mein Aussehen im Spiegel. Zufrieden bin ich immer noch nicht. »Vielleicht doch besser Leggings und Tunika?«

»Wenn wir keine Zeit für Sex haben, dann auch nicht zum erneuten Umziehen. Außerdem ist es draußen total warm, und du wirst schwitzen.«

Ich muss lachen. Er hat recht.

»Okay, ist ja schon gut.«

»Ich verstehe sowieso nicht, warum du dich deswegen so verrückt machst«, sagt er und streift sich ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt über. Männer haben es so einfach bei Klamotten. »Dir ist doch bewusst, dass du bereits einmal entbunden und an einem Geburtsvorbereitungskurs teilgenommen hast?«

Da bleibt mir nur, die Augenbrauen hochzuziehen und ein Geräusch des Missfallens von mir zu geben. Meinen tobenden Schwangerschaftshormonen sollte man momentan nicht blöd kommen.

»Ja, aber wir wissen alle, dass es im Grunde nicht um den Kurs geht. Ich möchte andere Mütter kennenlernen, mit denen ich abhängen kann, und du solltest dir ein paar Papa-Freunde von hier zulegen.«

»Ich glaube nicht, dass ich mich mit anderen ›Dads‹ anfreunden will.« Er verzieht das Gesicht und malt Gänsefüßchen in die Luft.

»Das sind einfach nur Männer mit Kind, so wie du«, antworte ich lachend. Wieso verspüren Männer im Gegensatz zu uns Frauen nie den Druck, Freundschaften zu schließen? »Außerdem brauchst du mehr Freunde. Owen siehst du in letzter Zeit kaum noch.«

»Weil er sich austobt, seit er und Sarah sich getrennt haben.«

Wir gehen aus dem Schlafzimmer, und ich versuche, den verschlissenen Teppich mit Blumenmuster unter unseren Füßen nicht zu bemerken, während ich die Treppe hinuntertapse. Genauso, wie ich die rosa gestreifte Strukturtapete an den Wänden möglichst ignoriere und das rosa lackierte Geländer und die direkt auf den Putz gemalte Meerlandschaft, die eine ganze Wand unten im Eingangsbereich ziert. Tatsächlich bin ich schon richtig gut darin, die dekorativen Auswüchse der Vorbesitzer auszublenden, die offenbar auf guten Geschmack allergisch reagierten.

Als unsere winzige Wohnung in London definitiv zu klein für uns wurde, entschieden Max und ich, zurück in unsere Heimatstadt Fleet zu ziehen, was immer noch nah genug ist, um nach London zu pendeln, aber praktischerweise auch nicht zu weit von unseren Eltern entfernt. Um innerhalb unseres Budgets die Art Haus zu bekommen, die wir wollten – ohne bis über beide Ohren verschuldet zu sein und unsere Nieren sowie vermutlich auch noch unsere zukünftigen Kinder verkaufen zu müssen –, entschieden wir uns für eines, das man eher als »Projekt« bezeichnen könnte. Am liebsten hätten wir das Haus ausgehöhlt und komplett umgebaut – in etwas Schickes, Modernes mit einem offenen Wohn-Ess-Bereich, großen Fenstern und Doppeltüren. Aber das können wir uns unmöglich leisten. Also haben wir stattdessen alle kosmetischen Verbesserungen aufgelistet, durch die das Haus etwas weniger aussehen wird wie eine Ausstellung für experimentelle Kunst. Allerdings sind wir schon vor drei Monaten eingezogen, und ich warte immer noch darauf, dass der enthusiastische Do-it-yourself-Mann, in den sich Max bei der Besichtigung verwandelte, erneut zum Vorschein kommt.

Seufzend betrachte ich die verhasste Meerlandschaft.

»Darum kümmere ich mich bald«, versichert Max und verzieht das Gesicht. »Sobald es im Büro etwas ruhiger geworden ist.«

Seit bestimmt einem Monat arbeitet er irrsinnig viel, nimmt den Zug nach London bei Tagesanbruch und kehrt erst spätabends zurück.

»Ich hab ganz vergessen, wie es ist, ohne Sasha aus dem Haus zu gehen – sieh mal, wir spazieren einfach durch die Tür«, sagt Max.

»Ich weiß, kein Herumgesuche nach Mütze und Schuhen und – hach! Seit einer Ewigkeit habe ich zum ersten Mal nur eine kleine Handtasche dabei«, stelle ich fest und hänge sie mir lässig über die Schulter.

Lachend schließt Max die Tür hinter uns. »Das ist definitiv das Beste daran, dass wir hergezogen sind – die Grandmas sind in der Nähe und können babysitten.«

»Wir sind nicht nur deshalb wieder nach Fleet gezogen.«

»Ich weiß, aber ist das nicht ein echt geiler Pluspunkt? Zwei Paar Babysitter in der Nähe!«

»Na ja, ein Paar. Wie du weißt, sind meine Eltern dank ihrer vielen Kreuzfahrten kaum zu Hause«, erwidere ich und steige in den Wagen. Meine Eltern sind vor ein paar Jahren in eine kleine Wohnung über einem Fish-and-Chips-Laden gezogen, und seither geben sie das Geld von dem Verkauf ihres ersten und einzigen Hauses – erworben in den 1980ern – für Kreuzfahrten rund um die Welt aus.

»Wann kommen sie eigentlich zurück?«

»In etwa fünf Wochen. Keine Sorge, ich habe mich darum gekümmert, dass sie rechtzeitig vor diesem hier eintrudeln.« Ich tätschele meinen Bauch.

»Vermutlich werden wir alle Hilfe brauchen, die wir bekommen können«, sagt Max und lässt den Motor an.

»Also, gleich in dem Kurs …«– ich wähle meine Worte sorgfältig – »… könntest du dann, ähm, ein bisschen zurückhaltender sein mit deinen Witzen?«

Max will gerade den Wagen wenden, tritt jedoch auf die Bremse und wirft den Kopf zu mir herum. Für gewöhnlich hinterlässt er einen exzellenten ersten Eindruck, aber wenn es um Kommentare zum weiblichen Körperbau geht, verwandelt er sich in einen Teenager mit einem ganzen Arsenal unpassender Bemerkungen.

»Zurückhaltender?« Er verengt die Augen und starrt mich an.

»Ja, du weißt schon … vielleicht nicht solche Witze wie beim letzten Mal. Wie die über die Dammnaht.«

»Wieso? Die Jungs haben sich kaputtgelacht.«

»Die Jungs vielleicht schon, die Mädels aber nicht. Am Ende haben wir nicht einmal Telefonnummern ausgetauscht. Das lag vermutlich nicht nur an diesem Witz, aber wir sollten alles tun, um neue Freunde zu finden. Unterdrück bitte deinen Instinkt, witzig zu sein.«

»Okay, der langweilige Blödmann steht bereit.«

»Nein, du sollst interessant sein«, korrigiere ich ihn, als er endlich losfährt. »Sie müssen dich mögen. Frauen beurteilen ihre Freundinnen danach, welchen Mann sie sich als Ehemann ausgesucht haben.«

»Dann hast du ja nicht den geringsten Grund zur Sorge«, erwidert Max. »Mit meinem Charme bezirze ich jeden.«

Ich reibe meine verschwitzen Handflächen an den Oberschenkeln trocken und hoffe, dass er recht hat. Unser Umzug nach Fleet ist nicht ganz so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt habe, und es wäre nett, wenn endlich etwas reibungslos funktionieren würde. Und eine quasi schon fertige Freundesgruppe käme dem sehr nahe.

 

»Hallo, alle miteinander«, begrüßt uns Mary, die vor der Gruppe stehende Kursleiterin. »Ich freue mich, dass ihr hier seid. Meine Aufgabe besteht darin, eure Ängste und Befürchtungen zu mildern, was die kommenden Monate eures Lebens angeht, wenn ihr eure neue Rolle als Eltern kennenlernt.«

Gut, dass diese Plastikstühle so unbequem sind, sonst wäre ich bei ihrer ruhigen, monotonen Stimme schon eingeschlafen. Obwohl ich erst im siebten Monat bin, übermannt mich die Müdigkeit, sobald ich irgendwo länger als zehn Minuten sitze. Vielleicht haben sie hier deshalb diese Folterstühle.

Mary hält einen Vortrag über die Bedeutung des positiven Denkens, und ich lasse den Blick über meine potenziellen neuen BFFs schweifen. Wenn man die Männer abzieht, bleiben vier Frauen. Eine von ihnen sieht aus wie die königliche Hoheit in Person, mit perfekt frisiertem Haar, einem schicken royalblauen Kleid und eleganten Pumps. Sie sitzt auf einem dicken Kissen, das ich neidisch beäuge. Eine andere Frau mit stufenförmig herabfallenden blonden Locken hat ihren Notizblock gezückt und schreibt mit. Eine dritte mit langen braunen Haaren und einem wunderschönen Schwangerschaftskleid scheint entsetzliche Angst zu haben. Und schließlich ist da noch die Frau neben mir, mit einem kurzen blonden Bob, die mich anlächelt, als sie merkt, dass ich sie betrachte.

»Tatsächlich«, sagt Mary, »dauert es nicht mehr lange bis zum Ende eurer Schwangerschaft, und es gibt wirklich viel, auf das ihr euch freuen könnt.«

»Ja, zum Beispiel eine Wassermelone aus unserer Vagina zu pressen«, sagt die Frau mit dem blonden Bob.

Ihr Ehemann stöhnt.

»Was denn? Das denken wir doch alle, und es ist furchterregend«, erwidert sie, und ich nicke ihr solidarisch zu, bevor wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf Mary richten.

»Natürlich kann eine Geburt sehr beängstigend sein«, fährt Mary fort, »aber dazu kommen wir noch. Bis zum Ende unseres Kurses werdet ihr festgestellt haben, dass es keine Rolle spielt, wie groß die Wassermelone ist – und sie kann ziemlich groß sein –, weil unser Körper das schafft. Letzten Monat hat eine unserer Kursteilnehmerinnen ein 10-Pfund-Baby zur Welt gebracht«, sagt sie, und die Frau neben mir schreit leise auf.

»Wer war das, Mary?«, fragt die elegant gekleidete Frau.

»Ah, Anneka, ich vergaß, dass du schon am Kurs im vergangenen Monat teilgenommen hast.« Das erklärt zumindest, wieso sie ein Kissen mitgebracht hat. »Es war Aimee, die mit den langen blonden Haaren.«

»Oh.« Anneka nickt.

»Bevor wir nun in die ernste Materie einsteigen, wollen wir die Atmosphäre mit einem Spiel auflockern«, bringt Mary uns wieder auf Kurs.

Die Frau mit dem blonden Bob neben mir murmelt etwas, das klingt wie »Fuck my life«.

»Jeder von euch bekommt ein Bündel mit zehn Wollfäden in unterschiedlichen Farben und Längen. An den Wänden ringsum seht ihr Karten mit Sätzen wie ›Durchmesser des Muttermunds, wenn er vollständig geöffnet ist‹ oder ›Bauchumfang in der 40. Schwangerschaftswoche‹. Ihr müsst zu den verschiedenen Wollfäden die jeweils richtige Karte finden. Und vergesst nicht, euch mit den anderen Kursteilnehmern auszutauschen, während ihr umhergeht«, erklärt Mary und verteilt die Wolle.

Ich sortiere gerade die Fäden der Länge nach, als Max einen hochhält.

»Länge meines Penis«, sagt er grinsend.

»Erstens, was haben wir über Witze zur Anatomie gesagt? Und zweitens« – ich nehme ihm den Wollfaden ab und lasse ihn vor seinen Augen baumeln –, »nur in deinen Träumen.«

»Autsch«, erwidert er lachend und schnappt ihn sich zurück.

Als alle aufstehen, scharren die Stühle unangenehm über den Boden.

Ich ziehe ohne Max los und schaue auf die Karte, der ich am nächsten stehe. Durchschnittlicher Umfang eines Babykopfes während der Geburt. Ich zucke zusammen. Ich habe das Ganze zwar schon einmal durchgestanden, gebe aber mein Bestes, jegliche Erinnerung daran zu verdrängen.

»Denkst du, irgendeiner dieser Wollfäden ist lang genug, um sich damit zu erhängen?«, sagt die Frau, die neben mir gesessen hat, und probiert es auch schon aus. »Sorry, wenn das geschmacklos ist, aber ich hasse solche Spiele.«

»Geht mir genauso«, stimme ich ihr zu. »Ich bin übrigens Ellie.«

»Helen.« Sie wendet sich der Karte zu, um den Text zu lesen, und verzieht das Gesicht. »Es muss doch bessere Wege geben, um sich mit anderen werdenden Müttern anzufreunden. So etwas wie Tinder für Schwangere. Dann könnten wir nach rechts oder links wischen und uns Freunde aussuchen, ohne für den Rest unserer Schwangerschaft traumatisiert zu sein.«

»Vermutlich in Fleet eine echte Marktlücke«, erwidere ich lachend. »Allerdings lügen die Leute bei ihren Profilen womöglich. Hier kann man sie wenigstens unter die Lupe nehmen.«

»Auch wahr.« Helen nickt. »Und du bist sicher vor Perverslingen beim Catfishen.«

»Männer, die auf Schwangere stehen?«

Helen nickt wieder. »Es gibt alles.«

Die Frau in dem royalblauen Kleid gesellt sich zu uns und überfliegt rasch den Text auf der Karte, bevor sie uns beide von oben bis unten mustert und dann höflich lächelt. »Also, November-Babys?« Sie zeigt auf unsere Bäuche. »Für wann seid ihr ausgerechnet?«

Ich betrachte ihr perfekt geformtes Bäuchlein, das aussieht, als hätte sie nur einen dieser kleinen, weichen Beachbälle unter das Kleid geschoben.

»Für den vierten«, sagt Helen.

»Ich für den dritten«, füge ich hinzu.

»Ah, die Frau dort drüben ist für den fünften ausgerechnet. Ist es nicht ein wunderbarer Zufall, dass ihr alle etwa zur selben Zeit fällig seid?«

»Ich weiß.« Helen nickt. »Als gäbe es im Februar einen besonders romantischen Tag, an dem diese November-Babys entstehen.«

Wir kichern alle drei, obwohl ich weiß, dass mein Termin mehr mit Sashas Geburtstagsparty am 12. Februar zu tun hat als mit dem Valentinstag.

»Ich bin Anneka«, sagt die Frau, und Helen und ich stellen uns ebenfalls vor.

»Wann ist dein Termin, Anneka?«, frage ich.

»Am 25. Oktober, aber ich lasse eine Woche vorher einen Kaiserschnitt machen.«

»Wie kann es sein, dass dein Bauch so viel kleiner ist als unsere?«, fragt Helen.

»Meine Frauenärztin sagt, ich hätte abgesehen vom Eigengewicht des Kindes nicht ein Pfund zugenommen.«

»Echt jetzt? Wenn ich schon neun Monate keinen Gin trinken darf, dann esse ich verdammt noch mal so viel Kuchen, wie ich will«, sagt Helen.

»Ich auch«, stimme ich zu.

»Schwangerschaftsdiabetes ist eine ernste Sache!«, erwidert Anneka erschrocken.

»Dann wirst du also als Erste von uns ein Baby haben.« Ich wechsle das Thema, um nur ja nicht die Gruppenharmonie zu zerstören, die ich so dringend herstellen möchte.

»Vermutlich hast du uns mit deiner Frage vor irgendwelchen Eisbrecher-Spielen bewahrt, bei denen wir raten müssen, wer als Erste ihr Kind bekommt«, sagt Helen.

»Man kann nie wissen. Ich habe schon letzten Monat an dem Geburtsvorbereitungskurs teilgenommen, und eine Frau bekam direkt im Anschluss Wehen, in der zweiunddreißigsten Woche«, erzählt Anneka.

»War mit dem Kind alles okay?« Allein bei der Vorstellung wird mir schummrig.

»O ja. Es stellte sich heraus, dass beim Ausrechnen des Termins irgendetwas schiefgelaufen war. Mutter und Kind geht es gut – oder so gut, wie es dir gehen kann, wenn dein Freund dich verlässt, als ihm klar wird, dass das Kind wohl nicht von ihm ist.«

»Meine Güte! Klingt dramatisch.«

 

»Wieso machst du diesen Kurs eigentlich ein zweites Mal?«, frage ich.

»Weil mein Baby für Ende Oktober ausgerechnet ist, passt es zeitlich zu zwei Gruppen, also habe ich mich entschieden, an beiden Kursen teilzunehmen und zu schauen, welche Leute mir besser gefallen.«

»Und wie schlagen wir uns im Vergleich zur letzten Gruppe?«, hakt Helen nach.

»Die andere Gruppe war ganz und gar nicht mein Fall. Ich hatte nicht eine einzige Sache mit denen gemeinsam.« Anneka rümpft die Nase und kommt ein bisschen versnobt rüber. »Ihr gefallt mir deutlich besser.«

»Hm«, murmele ich nur und weiß nicht so recht, was ich von ihr halten soll.

»Ich gehe mal mit den anderen Ladys da drüben plaudern.« Sie zeigt auf die zwei anderen Frauen, die sich angeregt unterhalten. »Und nur zur Info …« – sie sucht aus ihrem Wollbündel einen der längeren Fäden heraus – »was du für den Umfang des Babykopfes hältst, ist die Länge deines Geburtskanals.«

Als sie den Faden an die Karte heftet, keuche ich entsetzt auf.

»Die Wassermelone soll da durch?«, stöhnt Helen. »Soll dieser Kurs uns nicht eigentlich beruhigen, statt uns zu Tode zu erschrecken?«

»Genau. Ich habe das alles bei meiner kleinen Tochter zwar schon durchgestanden, aber es gibt ein paar Dinge, an die ich mich lieber nicht erinnere.«

»Bitte, meine Damen, immer schön weitergehen!«, ruft Mary und klatscht in die Hände.

»Uns bleibt aber auch nichts erspart.« Helen verdreht die Augen und geht zu einem der Männer, der ratlos die Karten betrachtet.

Ich entspanne mich allmählich. Vielleicht ist es am Ende gar nicht so schwierig, neue Freunde zu finden.

 

Als sich der Kurs dem Ende nähert, habe ich alle anderen Paare kennengelernt. Vor allem Helen mit ihrer humorvollen, scharfsinnigen Art gefällt mir. Und Polly erinnert mich an mich selbst während meiner ersten Schwangerschaft – wie ein Reh gefangen im Scheinwerferlicht. Anneka hat offenbar Max mit seiner charmanten Persönlichkeit ins Herz geschlossen, und trotz seiner kühnen Witze bevorzugt sie uns weiterhin gegenüber ihrer vorherigen Kursgruppe. Dann ist da noch Nina mit den Stufenlocken, sie ist witzig und nett.

»Na also«, sagt Max, als wir wieder in unseren Wagen steigen. »Das lief doch ganz gut. Und ich war nicht peinlich und bin wenigstens mitgekommen, im Gegensatz zu Annekas Mann, wie heißt er noch?«

»George … ich glaube, er hat sie letzten Monat zu dem Kurs begleitet. Was meinst du damit, dass du nicht peinlich warst? Du hast Babykacke von der Windel geleckt!«

»Habe ich nicht, nur von meinem Finger – außerdem war es Nutella. Trotzdem schienen mich alle zu mögen, und das ist doch die Hauptsache, oder?«

»Vermutlich hast du recht.«

Nach dem Kurs haben wir Telefonnummern ausgetauscht, und Anneka hat bereits eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet – und eine eigene für die Männer.

»Ich habe dir doch gesagt, dass du dir keine Sorgen machen sollst, und wie Mary sagte, bleiben dir noch mehr als zwei Monate, in denen du dich zurücklehnen und entspannen kannst, bevor das Kleine kommt.«

»Hahaha«, erwidere ich, lache aber tatsächlich. »Ich werde weiterarbeiten, auch wenn es von zu Hause ist.«

»Klar, so wie heute Morgen – im Pyjama auf dem Sofa, während im Hintergrund Frühstücksfernsehen läuft«, sagt er in liebevoll-spöttischem Ton. »Außerdem ist es nur noch ein Monat, und dann hast du ein ganzes Jahr frei«, fügt er hinzu.

»Du weißt, dass Mutterschutz kein Urlaub ist, oder?«

»Ach, komm schon, dieses neue Baby wird genauso unkompliziert sein wie Sasha.«

Ich pruste vor Lachen. »Sasha, unkompliziert?«

»Ja, jedenfalls, wenn ich auf sie aufpasse.«

»Und wie oft bist du mit ihr allein?« Das klingt spitzer als beabsichtigt.

»Ich würde mich ja öfter kümmern, aber an den Wochenenden willst du immer, dass wir etwas als Familie unternehmen.«

»Ja, weil ich dich auch sehen möchte«, versuche ich die gereizte Stimmung wieder zu beschwichtigen. »Wir schaffen das doch, oder?«

»Entspann dich, Ellie.« Max imitiert Marys flötende Sprechweise. »Die letzten zweieinhalb Monate deiner Schwangerschaft werden völlig stressfrei ablaufen, dafür sorge ich.«

Ich lache und kann nur hoffen, dass er recht behält.

Kapitel 2

Ich liebe es, morgens aufzuwachen und zu wissen, dass ich nicht hetzen muss. Deshalb ist der Samstag mein Lieblingstag. Heute ist es sogar noch besser, weil ich gestern zum vorerst letzten Mal im Büro gewesen bin. Bis zu meinem Mutterschutz dauert es zwar noch vier Wochen, und so lange werde ich von zu Hause arbeiten, aber ich muss nicht mehr pendeln. Das allein ist schon Grund zum Feiern.

»Was würdest du heute gern unternehmen?«, frage ich und schlendere in die Küche. Max sitzt am Tisch mit einer Kaffeetasse in der einen Hand und scrollt mit der anderen durch sein Handy. Sasha sitzt in ihrem Hochstuhl und isst Toast, der vermutlich von Max’ Teller stammt. Jetzt wird sie das Porridge nicht anrühren, das ich gerade für sie zubereiten wollte. Um mir nicht die gute Laune zu verderben, sehe ich dieses Mal drüber weg. »Das Wetter wird schön, wir könnten ein Picknick veranstalten!«

Max folgt meinem Blick aus dem Küchenfenster, und wir erschaudern beide beim Anblick des hüfthohen Unkrauts, das in unserem winzigen Garten wuchert.

»Ehrlich gesagt muss ich ins Büro.«

»Ins Büro? An einem Samstag?« Ich lehne mich mit dem Rücken an die scheußlichen Küchenschränke, die aus einer variantenreichen Bandbreite verschiedener Holzarten bestehen.

Max ist Projektmanager in einem großen Vermögensverwaltungsunternehmen, wo es zwar nicht unüblich ist, in der Endphase eines Projekts auch samstags zu arbeiten, aber dass er am Wochenende dafür ins Büro fährt, kommt so gut wie nie vor. Das meiste kann er problemlos von zu Hause aus erledigen.

»Ich weiß, tut mir leid. Gestern Abend ist ziemlich spät noch ein Problem aufgetreten. Ich wollte es dir sagen, aber du hast schon geschlafen.«

Er reicht Sasha noch ein Toaststück, und sie ergreift es gierig.

»Aha.« Ich setze den Wasserkessel auf. »Und das kann nicht bis Montag warten?«

»Nein. Aber ich werde nicht den ganzen Tag weg sein. Wir können am späten Nachmittag etwas unternehmen.«

»Heute Abend ist das Geburtstagsdinner deiner Mum.«

»Ach ja, richtig. Die erste größere Familienfeier mit Graham. Wie konnte ich das vergessen?« Bei der Erwähnung von Mums neuem Freund, dem ehemals besten Freund seines Vaters, verzieht er das Gesicht.

»Es wird bestimmt schön. Deine Mum ist glücklich mit ihm.«

»Ich weiß. Und es ist ja nicht so, als wäre er bei früheren Geburtstagen nie dabei gewesen, als Dad noch da war, aber …« – er zuckt mit den Schultern – »vermutlich sollte ich froh sein, dass sie mit ihm zusammen ist – er ist wenigstens ein netter Kerl.«

»Ja, das ist er«, stimme ich zu und stelle Sashas Lerntasse auf die Ablage ihres Hochstuhls. »Saft«, sage ich zu ihr, und sie brabbelt einen Kommentar. »Leckerer Saft.«

»Denkst du, Dad weiß das mit Graham?«

»Keine Ahnung«, antworte ich und bin ein bisschen abgelenkt wegen meiner kleinen Unterhaltung mit Sasha. »Wenn du mit ihm reden würdest, könntest du ihn fragen.«

»Oder du, wenn du mit ihm skypst. Kommt Rach heute Abend eigentlich?«, wechselt er gezielt das Gesprächsthema. Ich weiß, dass ich ihn wegen seines Dads nicht drängen sollte. Max hat kaum mit seinem Vater gesprochen, seit der vor ein paar Jahren zum Golfurlaub nach Portugal flog, dort eine junge Pilates-Trainerin namens Ruby kennenlernte und nie zurückkehrte.

»Ja, sie kommt, aber ohne Gaby. Sie hat Rufbereitschaft.«

»Das ist der Nachteil, wenn du Ärztin bist. Oder ein Vorteil. Dadurch hat sie eine ›Du kommst aus dem Gefängnis frei‹-Karte für sämtliche Familienfeiern.«

Ich muss lachen.

»Wieso rufst du Rach nicht an und fragst, ob sie vorher zu dir kommen kann?«, schlägt er vor.

»Gute Idee«, stimme ich zu und frage mich, wieso ich nicht selbst diese Idee hatte.

Als Max und ich ein Paar wurden, habe ich nicht einkalkuliert, wie sehr das meine Freundschaft mit Rachel verändern würde. Wir sehen uns immer noch oft, vielleicht sogar öfter als früher, aber für gewöhnlich im Kreis der Familie. Dass wir zu zweit Zeit miteinander verbringen, kommt nur noch selten vor, und wenn wir es tun, ist es anders als früher. Als ich anfangs mit Max zusammen war, befürchtete sie, er könne mir wehtun. Vermutlich bin ich deshalb sehr vorsichtig mit dem, was ich ihr erzähle, denn ich will ihr unbedingt das Bild vermitteln, wie perfekt unsere Ehe ist. Außerdem ist sie nicht scharf auf Details aus dem Sexleben ihres Bruders.

»Wäre gut für euch, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen. Und sie muss ja endlich mal mit diesem Mist aufhören, ich hätte dich ihr weggenommen.« Er leert seine Kaffeetasse und steht auf. Bevor er vom Tisch weggeht, gibt er Sasha einen Kuss auf den Kopf und strubbelt durch ihr Haar.

»Übrigens, Rach und Gaby wollen auf ein Festival unten in Dorset. Es soll familienfreundlich sein, und sie haben gefragt, ob wir alle drei mitkommen.«

Max lacht laut, verstummt jedoch, als er merkt, dass ich nicht einstimme.

»Sasha in einem Zelt? Und du? Ellie, neben dir zu schlafen ist momentan wie ein Kampf über neun Runden mit Tyson Fury. Du kannst nicht einmal in einem Bett richtig bequem liegen – wie zur Hölle willst du in einem Zelt schlafen?«

»Das schaffe ich schon.«

Er zieht eine Augenbraue hoch.

»Und dann das ganze Zeug, das wir aus dem Wagen schleppen müssen. Ich bin schon beladen wie ein Packesel, wenn wir nur mit Sasha unterwegs sind, auch ohne Campingausrüstung.«

»Rach und Gaby werden bestimmt mithelfen. Außerdem treten Pilot Dawn als Hauptact auf.«

Die Erwähnung einer seiner Lieblingsbands hat zwar sichtlich sein Interesse geweckt, aber sein Gesicht sieht immer noch nach einem Nein aus.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagt er schließlich, was seine Art ist, ein Thema zu beenden.

»Okay«, erwidere ich ernüchtert.

Meine Enttäuschung entgeht ihm offenbar nicht, denn er seufzt theatralisch.

»Lass uns heute Abend mit Rachel darüber reden und überlegen, wie es funktionieren kann«, lenkt er ein, und ich boxe triumphierend in die Luft. »Aber ich verspreche nichts. Möchtest du denn nicht lieber irgendwo hinfahren, wo du vier Wände um dich herum hast, ein Bad en suite und einen Babysitter-Service?«

»Wo bleibt denn da der Spaß?«, erwidere ich lachend.

Max reagiert nicht darauf. »Ich versuche, so schnell wie möglich wieder zu Hause zu sein«, versichert er stattdessen.

»Das solltest du auch, denn da ich nicht mehr pendeln muss, ist bei mir jede Menge zusätzliche Energie vorhanden – und wollten wir nicht unter anderem mehr Sex haben?« Den letzten Teil des Satzes flüstere ich, da »Sex« nicht gerade das nächste Wort sein sollte, das Sasha nachzuplappern versucht.

Max lacht schallend, und es ist schön zu sehen, dass er jetzt ein bisschen entspannter wirkt als vorhin.

»Das Rollenspiel, alles klar. Wer weiß, vielleicht bringe ich dir etwas aus London mit. Denkst du, man bekommt irgendwo sexy Schwangerschaftskostüme?«

Ich schlage mit dem Trockentuch nach ihm.

»Wag es ja nicht.«

Er zwinkert mir zu und küsst mich auf den Scheitel, ähnlich wie kurz zuvor bei Sasha, aber ich bin froh, dass er mir nicht durchs Haar strubbelt, denn das ist zerzaust genug.

Sasha beginnt sich in ihrem Hochstuhl zu langweilen, also hebe ich sie heraus und setze sie auf den gefliesten Boden. Sofort fängt sie an, die Tupperware aus der untersten Schublade zu räumen – eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen –, und ich schnappe mir mein Handy, um Rachel eine Nachricht zu schreiben.

»Mal sehen, ob deine Tante Rach Lust hat, mit uns spazieren zu gehen.«

»Spieren, spieren«, plappert Sasha nach. Vielleicht muss ich den heutigen Tag doch nicht komplett abschreiben.

 

Zu Sashas und meinem Glück hat Rach am Nachmittag nichts vor und begleitet uns zum Fleet Pond, einem großen Naturschutzgebiet außerhalb der Stadt mit einem Labyrinth an Wanderwegen.

»Ich hatte ganz vergessen, wie schön es hier ist«, schwärmt Rach. Sie weicht einer großen Pfütze aus, und ich schiebe Sashas Buggy ganz langsam hindurch, um mir nicht die Beine mit Schlamm zu bespritzen.

»Ja, das ist auch einer der Gründe, warum wir wieder hergezogen sind – die Natur direkt vor der Haustür zu haben. Ich habe so viele glückliche Erinnerungen daran, als Kind hier gewesen zu sein.«

»Ich auch«, stimmt Rach zu. »Weißt du noch, als wir weggelaufen sind und uns hier versteckt haben, weil unsere Eltern uns keine Karten für das Robby-Williams-Konzert kaufen wollten?«

»Klar!« Ich muss bei der Erinnerung an die Höhle lachen, die wir uns mit einem alten Bettlaken unter einem Baum gebaut hatten. »Die ersten ein, zwei Stunden war es super, aber ging uns nicht bald der Proviant aus?«

»Ja, was nicht sonderlich überraschend war, da wir nur eine Tüte Chips und einen Marsriegel mitgenommen hatten.«

»Und dann fing es an zu regnen.«

»Wir hatten nicht darüber nachgedacht, dass das Laken nicht wasserdicht war.«

»Nein, aber zum Glück kam Max uns suchen«, erwidere ich lachend.

»Aber nur, weil ich seinen Discman gemopst hatte, und nicht, weil er ehrlich besorgt war.«

Wie lange ich schon nicht mehr daran gedacht habe.

»Wie alt waren wir damals? Zehn? Elf?«, fragt sie.

»So etwa. Ich glaube, wir waren in der siebten Klasse.«

»Wer hätte damals gedacht, dass du mal meinen Bruder heiraten und mir eine Nichte schenken würdest? Meine wunderschöne, schlafende Nichte.«

»Schscht, nicht beschwören! Normalerweise schläft sie nie so lange«, erwidere ich lächelnd.

»Mum will mich die ganze Zeit bezirzen, ihr beim Backen des Geburtstagskuchens zu helfen. Dabei wissen wir alle, wie reizbar sie beim Backen ist. Sie lässt mich nicht einmal die Teigschüssel auslecken.«

»Ich habe ihr angeboten, eine Torte zu kaufen, aber sie hat darauf bestanden, selbst zu backen«, sage ich achselzuckend.

»Und sie klang so aufgedreht. Sie scheint glücklich zu sein mit Graham, nicht wahr?«

»Ja, das ist sie. Seit wir wieder hergezogen sind, sehen wir die beiden öfter, und sie verstehen sich echt gut.«

»Obwohl ich sie mir in einer Million Jahren nicht als Paar vorstellen konnte.«

»Ich weiß, ich auch nicht. Aber ich freue mich sehr. Nach allem, was sie mit eurem Dad durchgemacht hat, verdient sie es, glücklich zu sein.«

Rach nickt und wirkt traurig bei der Erwähnung ihres Vaters. Sein plötzlicher Abgang nach Portugal hat die gesamte Voss-Familie schwer getroffen.

Wir weichen einer Frau aus, die sich in den Leinen ihrer Yorkshireterrier verheddert hat.

»Und was macht Max heute? Nimmt er euren umwerfend schönen Flur in Angriff?«, fragt Rach.

»Nein. Komischerweise« – ich ducke mich unter einem tief hängenden Ast durch – »arbeitet er heute.«

»An einem Samstag?«

»Japp. In letzter Zeit macht er ständig Überstunden, um seine laufenden Projekte abzuschließen, damit er seinen Vaterschaftsurlaub antreten kann.«

»Nimmt er nur die üblichen paar Wochen?«

»Ja – kannst du dir ihn etwa vorstellen, wie er sich allein um zwei Kinder kümmert, während ich wieder arbeiten gehe?«, erwidere ich kichernd. »Ich käme mir vor, als hätte ich zwei Jobs, weil ich alles für die drei vorbereiten müsste, bevor ich morgens das Haus verlasse.«

»Stimmt, aber zumindest erleichtert euch das die Entscheidung, wer von euch zu Hause bleibt«, sagt sie und lacht ein bisschen angestrengt.

»Hey! Ihr habt zwar mal erwähnt, dass ihr Kinder wollt, aber das klingt so, als würdet ihr konkret darüber sprechen …«

Rach wirkt verlegen.

»Entschuldige, ich sollte nicht so neugierig sein«, füge ich rasch hinzu.

»Nein, ist schon gut.« Sie atmet seufzend aus. »Es ist nur … Vielleicht hilft es mir sogar, wenn ich mit dir darüber rede. Wenn es für dich okay ist?«

»Natürlich. Lass uns irgendwo etwas trinken. Es ist nicht mehr weit bis zu dem kleinen Kaffee-Stand. Dort gibt es auch Tische und Stühle.«

»Wacht Sasha dann nicht auf?«

Ich spähe durch die Plastikhaube des Buggys.

»Sie scheint tief zu schlafen. Ich werde den Kinderwagen ein bisschen schaukeln«, sage ich, als der Kaffee-Stand mit seinen ausgezeichneten Pfannkuchen in Sichtweite kommt.

»Super. Dann gehe ich bestellen, und du bleibst bei ihr. Was möchtest du?«

»Koffeinfreien Skinny Latte und vielleicht einen Pfannkuchen. Für Sasha natürlich, falls sie aufwacht.«

»Natürlich. Dann nehme ich sicherheitshalber auch einen für sie«, erwidert Rach mit verschwörerischem Grinsen.

Sie geht zum Ende der Schlange, und ich suche uns einen freien Tisch, achte darauf, dass dort genügend Platz ist, damit ich Sashas Buggy mit dem Fuß hin- und herschieben kann. Die Warteschlange kommt mir echt lang vor, aber ich hoffe, dass es schnell vorangeht, denn ich bin ziemlich gespannt, worüber Rach mit mir reden will.

Um mich bis dahin ein bisschen abzulenken, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und sehe, dass es ein paar Nachrichten in dem Gruppen-Chat gibt, den Anneka eingerichtet hat, wegen unseres Treffens, das wir für nächsten Montag geplant haben.

Seit unserem Geburtsvorbereitungskurs vor einer Woche haben wir uns eine Menge Nachrichten geschickt und über alles Mögliche gejammert, von geschwollenen Knöcheln bis zum Auflisten all der Dinge, die wir essen/trinken/tun wollen, sobald die Kinder auf der Welt sind. Der Abend bei Anneka nächsten Montag wird unser erstes Treffen als Gruppe sein, und ich freue mich sehr darauf, die anderen zu sehen.

 

Anneka

Morgen, Ladys! Wollte nur kurz nachhören, ob ihr Montagabend auch alle dabei seid? Wir treffen uns um Punkt 19 Uhr. Lasst mich wissen, falls jemand irgendetwas nicht essen darf – abgesehen von den üblichen Schwangerschaftseinschränkungen natürlich, denn ich wollte jetzt bald bei Ocado bestellen. Freue mich auf ein bisschen gemäßigten Spaß mit euch!

 

Helen

Bin dabei und werde ganz bestimmt nicht nur gemäßigten Spaß haben. Meine Ernährungsbedürfnisse sind jede Menge Kuchen und Kohlenhydrate, um den fehlenden Alkohol auszugleichen. Wir sehen uns am Montag, 19:30 Uhr x x

 

Anneka

Es ist um Punkt 19 Uhr, und ich habe jetzt gesunde Snacks bestellt.

 

Helen

Ist okay, ich schaue unterwegs in einem richtigen Geschäft vorbei und bringe noch ein paar ungesunde Snacks mit – damit unsere Ernährung ausgewogen ist, und nur zur Info, ich verspäte mich immer, peile 19 Uhr an, werde also 19:30 eintreffen.

 

Polly

Komme! Freue mich schon sehr. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine Erleichterung es ist, eine so nette Gruppe gefunden zu haben.

 

Nina

Danke für die Einladung, Anneka, aber ich werde es wohl nicht schaffen. Ich habe einen echt großen Bekanntenkreis, und es ist jetzt schon schwierig, immer alle unterzubringen. Aber du scheinst echt nett zu sein :-) Alles Gute mit den Bäuchen, Geburten und Babys x x

 

Nina hat die Gruppe verlassen

 

Entsetzt starre ich auf mein Handy und scrolle dann rasch weiter, um zu sehen, wie die anderen darauf reagieren. Alle paar Sekunden gibt mein Handy leise Geräusche von sich, woran ich merke, dass noch mehr Nachrichten eintrudeln.

 

Anneka

WTF???? Wie kann sie es wagen, uns zu verlassen????

 

Helen

Vielleicht hat sich die andere Gruppe genauso gefühlt, als du gegangen bist. :-)

 

Polly

Denkt ihr, ich habe etwas Falsches gesagt, und sie ist deshalb ausgestiegen? Habe ich zu dick aufgetragen?

 

Helen

Vielleicht ein bisschen. Vielleicht hättest du bis nach Montag warten sollen, bevor du deine wahren Gefühle zeigst … Spaß! Sie ist offenkundig ein komischer Vogel.

 

Anneka

Und was mache ich jetzt mit den ganzen Karottenstäbchen???

 

Helen

Möchtest du, dass darauf das in der 31sten Woche schwangere Biest antwortet oder die Höfliche?

 

Polly

Ich bringe Hummus mit … x

 

Ellie

OMG, was für ein Schock! Freue mich darauf, euch alle Montag zu sehen und darüber zu sprechen xx

 

Nina ist zweifellos ein Verlust, IMHO. Die Konversation endet, und ich lege mein Handy auf den Tisch. Ein kurzer Blick zum Kaffee-Wagen verrät mir, dass Rach schon fast den Anfang der Warteschlange erreicht hat.

»Eleanor, Eleanor Smith?«, fragt jemand, und ich schaue hoch zu einer Frau, die mich anblinzelt. Es sind ihre Wangenknochen, an denen ich sofort die umwerfende Cara Worthington erkenne, mit der ich zusammen zur Schule gegangen bin.

»Ähm, ja, obwohl ich jetzt Voss heiße. Wie geht es dir, Cara?«

Ich sehe, wie sie beim Klang meines Nachnamens die Augen aufreißt. Jeder an der Schule kannte Max, und sie wird vermutlich nicht als Einzige überrascht sein, dass ich ihn geheiratet habe. Aber sie fasst sich sofort wieder, klimpert mit den Wimpern und bricht in ein breites Strahlen aus, als wären wir alte Freundinnen, die sich aus den Augen verloren haben. Dabei überrascht es mich, dass sie überhaupt meinen Namen kennt. Oder zumindest weiß sie, wie mich die Lehrer damals angesprochen haben – meine Freunde nennen mich schon seit jeher Ellie.

Cara Worthington war eines der beliebten Mädchen in meinem Jahrgang, und unsere Bekanntenkreise überschnitten sich nicht wirklich. Sie stolzierte damals mit ihrem perfekten Make-up und einer übertrieben großen Zahl Schmetterlings-Clips im Haar majestätisch umher, stets eine Horde heißer Jungs im Schlepptau. Ich dagegen schlurfte durch die Schule mit orangebraunen Flecken des Abdeckstifts im Gesicht, das Haar zu einem festen Knoten hochgesteckt, aus dem zwei entwichene Strähnen wie Tentakel herausragten, und die einzigen Jungs, die mir folgten, gehörten zum Dungeons-and-Dragons-Rollenspiel-Klub, den wir gegründet hatten.

»Es geht mir gut. Ich freue mich, dass du mich erkannt hast. Vor allem, wenn ich so aussehe«, antwortet sie, als seien schimmernde Haare eine Art Verkleidung. Sie ist von Kopf bis Fuß in Lycra gekleidet, aber da sie Cara Worthington ist, natürlich nicht in irgendwelchem alten Zeug, sondern es ist Lululemon, wodurch ich mir in meiner ausgeleierten Yogahose noch schlampiger vorkomme. »Das muss fast zwanzig Jahre her sein. Wir haben dich beim zehnjährigen Klassentreffen vermisst.«