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Du hast mich voll erwischt E-Book

Anna Bell

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Beschreibung

Es ist nie zu spät, deinem Herzen zu folgen! Im humorvollen Liebesroman »Du hast mich voll erwischt« wird die 35-jährige Engländerin Edie von ihrem 18-jährigen Ich auf eine Reise in die Vergangenheit geschickt. Zu ihrem 35. Geburtstag erhält Edie eine E-Mail, die ihr Leben auf den Kopf stellt: Ihr 18-jähriges Ich möchte wissen, ob sie glücklich ist. Tief in ihrem Herzen weiß Edie, dass weder der Job als CEO im Familienunternehmen noch ihre oberflächliche Beziehung mit Miles das ist, was sie wirklich will. Irgendwo in den letzten 17 Jahren ist sie falsch abgebogen und hat ihre Träume aus den Augen verloren. Jetzt schickt eine weitere E-Mail ihres jüngeren, idealistischen und hoffnungsvollen Selbst Edie zurück an einen Ort, an dem nicht nur die Erinnerung an ihre große Liebe Joel auf sie wartet. Ist das vielleicht ihre zweite Chance – oder sollten manche Dinge besser in der Vergangenheit bleiben? Mit Herz, Humor und einem wunderbaren Happy End macht uns die romantische Komödie der britischen Bestseller-Autorin Anna Bell Mut, an unseren Träumen festzuhalten. Schließlich ist es nie zu spät für einen Neuanfang. Entdecke auch die weiteren humorvollen Liebesromane von Anna Bell: - Eigentlich bist du gar nicht mein Typ - Hochzeits-Trilogie (Sag einfach nur ja / Er muss ja nicht alles wissen / Ich würd's wieder tun) - Perfekt ist nur halb so schön - Auf dich war ich nicht vorbereitet - Gib mir ein Herz - Doppelt geliebt hält besser

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Seitenzahl: 466

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Anna Bell

Du hast mich voll erwischt

Roman

Aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Zu ihrem 35. Geburtstag erhält Edie eine E-Mail, die ihr Leben auf den Kopf stellt: Ihr 18-jähriges Ich möchte wissen, ob sie glücklich ist.

Tief in ihrem Herzen weiß Edie, dass weder der Job als CEO im Familienunternehmen noch ihre oberflächliche Beziehung mit Miles das ist, was sie wirklich will. Irgendwo in den letzten 17 Jahren ist sie falsch abgebogen und hat ihre Träume aus den Augen verloren. Jetzt schickt eine weitere E-Mail ihres jüngeren, idealistischen und hoffnungsvollen Selbst Edie zurück an einen Ort, an dem nicht nur die Erinnerung an ihre große Liebe Joel auf sie wartet. Ist das vielleicht ihre zweite Chance – oder sollten manche Dinge besser in der Vergangenheit bleiben?

Mit Herz, Humor und einem wunderbaren Happy End macht uns die romantische Komödie der britischen Bestseller-Autorin Anna Bell Mut, an unseren Träumen festzuhalten. Schließlich ist es nie zu spät für einen Neuanfang.

Inhaltsübersicht

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Danksagung

 

 

 

 

Liebes zukünftiges Ich,

du hast es verdammt noch mal getan, oder? Das getan, wovon du immer behauptet hast, dass du es nie tun würdest: erwachsen zu werden. Weißt du noch, wir wollten immer jung bleiben, immer wissen, welche Songs gerade in den Charts sind, immer mit den coolen Kids abhängen! Aber seien wir mal ehrlich, ich habe nie zu den coolen Kids gehört …

Ich kann mir kaum vorstellen, wie dein Leben und alles ringsum aussehen. Gibt es fliegende Autos? Wohnen Menschen auf dem Mars? Hast du endlich null ungelesene E-Mails?

Was erhoffe ich mir heute für in siebzehn Jahren? Vor allem hoffe ich, dass du glücklich bist. Aber nicht die Art von Glück, bei der es nur um schicke Autos und Wohnungen in Toplage geht. Sondern echtes Glück.

Ich hoffe, dass dein Leben gefüllt und voller Liebe und Freundschaft ist und dass du dich endlich wohl in deiner eigenen Haut fühlst. Ich hoffe, dass du dir selbst treu bleibst und die Frau geworden bist, die du eigentlich immer sein wolltest.

Vor allem aber hoffe ich, dass du es nicht vermasselt und ihn nicht schon wieder verloren hast.

xx

Kapitel 1

Manchmal denke ich, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der nicht gern Geburtstag hat. Alle finden, dass dieser Tag etwas ganz Besonderes sein muss, besser als alle anderen Tage des Jahres: Man hat mehr Spaß als sonst, es gibt das beste Essen aller Zeiten, man fühlt sich besonders geliebt. Der Druck ist so groß, dass es sich zwangsläufig anfühlt, als müsse man sich für einen tiefen Sturz rüsten, falls dieser Tag die Erwartungen nicht erfüllt. Und dieses Jahr, an meinem fünfunddreißigsten Geburtstag, spüre ich das aus einem unerfindlichen Grund noch stärker.

Älter zu werden hat mir nie Kopfzerbrechen bereitet. Ich geriet in keine Midlife-Crisis, als ich dreißig wurde, und ich fürchte mich auch nicht bei der Vorstellung, irgendwann vierzig oder fünfzig zu sein. Deshalb ist mir schleierhaft, warum ich mich schon die ganze Woche wegen meines fünfunddreißigsten Geburtstags verrückt mache. Es ist ja nicht einmal ein »runder«.

Zwar habe ich weder Ehemann noch Kinder – früher hatte ich angenommen, in diesem Alter wäre beides schon da –, aber dafür gibt es andere Dinge in meinem Leben, für die ich dankbar bin. Eine Wohnung, die mir ganz allein gehört. Ein Freund, der echt süß und humorvoll ist und der keine Eile hat, in unserer Beziehung Nägel mit Köpfen zu machen. Ich bin Mitgeschäftsführerin eines erfolgreichen Unternehmens. Und dennoch kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass es irgendwie bedeutsam ist, fünfunddreißig zu werden.

Ich gehe einen Schritt schneller in Richtung des Cafés, in dem ich mit Dad und Layla verabredet bin. Die beiden werden mich hoffentlich auf andere Gedanken bringen. Ein kühler Wind pfeift, und ich ziehe meine Strickjacke über der Brust fest zusammen. Es ist Juni, beinahe Sommersonnenwende, aber das Wetter hat heute rein gar nichts von Sommer an sich.

Als ich das Café betrete, entdecke ich Dad sofort an dem Tisch in der Ecke.

»Da kommt ja das Geburtstagskind!«, ruft er laut genug, dass alle Gäste es hören. Er faltet die Tageszeitung zusammen und legt sie auf den Tisch, bevor er aufsteht, um mich zu drücken. »Alles Gute zum Geburtstag, Liebes. Fünfunddreißig, meine Güte!«

»Danke, dass du mich daran erinnerst.« Aus den Augenwinkeln suche ich den Tisch nach diskret platzierten Geburtstagsdekorationen ab. Dad weiß, dass ich jegliches Aufhebens um meinen Geburtstag nicht ausstehen kann. »Wie schön, dass du mein Deko-Verbot endlich akzeptierst.«

Mir entgeht nicht das Aufblitzen in seinen Augen, als er versucht, ein Lächeln zu unterdrücken.

»Was hast du angestellt? Ich habe nur zugestimmt, dich hier und nicht im Büro zu treffen, weil ich keine große Sache daraus machen will.«

Dad und ich leiten gemeinsam unser Unternehmen für Bürobedarf, und in den vergangenen Jahren hat er meinen Arbeitsplatz zum Geburtstag stets mit Luftballons, Spruchbändern und Luftschlangen dekoriert – und es gab eine Rede. Ich hasse Reden.

Die Glocke über der Tür des Cafés ertönt, und Layla kommt hereinspaziert, eine unserer Mitarbeiterinnen, die im Laufe der Jahre auch zu meiner besten Freundin geworden ist. Eine Kellnerin mit einem Tablett voller heißer Getränke biegt um die Theke, und Layla hätte sie beinahe mit zwei pinkfarbenen Helium-Zahlenballons touchiert, die sie hinter dem Rücken vorzieht.

»Tut mir sehr leid«, entschuldigt sie sich bei der Kellnerin und versucht, die Drei und die Fünf unter Kontrolle zu bringen, bevor sie bei mir ankommt. »Alles Gute zum Geburtstag, Edie.«

»Hast du vergessen, auch Layla das Memo mit der Bitte, jegliches Aufhebens zu unterlassen, zu schicken?«, fragt Dad lachend und ignoriert geflissentlich, dass ich die Augen verdrehe.

Ich beiße die Zähne zusammen, stehe auf, um Layla zu umarmen, und sie bindet die Ballons an meinem Stuhl fest.

»Heute will mich wohl niemand vergessen lassen, wie alt ich werde.«

»Wenn du erst einmal in meinem Alter bist, brauchst du deutlich mehr Erinnerungen«, sagt Dad. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn tief in meinem Herzen weiß ich ja, dass die beiden das alles nur tun, weil ich ihnen wichtig bin. »Ich bestelle dann mal Kaffee«, fährt er fort. »Zwei Flat Whites?«

»Perfekt«, antwortet Layla, und ich nicke.

Während Dad zu der Schlange für die Getränkebestellung geht, holt Layla eine teuer aussehende Pralinenschachtel hervor und schiebt sie mir über den Tisch zu.

»Danke! Aber du weißt, dass das nicht nötig war.« Ich habe bereits ein Geschenk von ihr bekommen, indem sie mit mir am vergangenen Wochenende in ein schickes Spa gefahren ist.

»Konnte nicht widerstehen. Davon abgesehen wollte ich nicht mit leeren Händen kommen – ich musste dir einfach an deinem richtigen Geburtstag irgendetwas geben. Apropos Geschenk, ich sterbe vor Neugier, was du von Miles bekommen hast.«

»Keine Ahnung. Ich sehe ihn erst heute Abend.«

»Hat er denn nicht bei dir übernachtet?«

»Nein, weil ich ihn heute Abend sehe.«

»Ihr beide …« – sie schüttelt den Kopf – »weißt du, es spricht nichts gegen zwei Übernachtungen in Folge.«

»Ja, aber nur weil wir Spaß miteinander haben, müssen wir doch nicht ständig aneinanderkleben. Wir schätzen beide unseren Freiraum, und sich nur ein paarmal in der Woche zu sehen, gefällt uns eben. Davon abgesehen ist ein Geburtstag ein Tag wie jeder andere.«

»Du solltest zu mir nach Hause kommen und einen leidenschaftlichen Vortrag darüber halten. Versuch gern mal, die Zwillinge davon zu überzeugen, dass ihr achter Geburtstag ein Tag wie jeder andere ist.«

»Ist das nicht erst im Oktober? Das sind noch Monate hin!«

»Klar, aber das hält sie nicht davon ab, Lobbyarbeit für das noch nicht einmal erhältliche Liverpool-Fußballtrikot, eine Xbox, zig Millionen Spiele für eben genannte Xbox und ein iPad zu leisten.« Layla holt tief Luft. »Aber wie dem auch sei, es geht nicht um die beiden, sondern um dich. Wohin führt Miles dich zum Abendessen aus? Doch wohl hoffentlich in irgendeinen schicken Laden?«

»The Chambers.«

»Uh, das ist ziemlich edel.« Sie senkt die Stimme und beugt sich über den Tisch näher zu mir. »Du weißt schon, dass das ein Restaurant für Anträge ist, oder? Im Lokalblatt stand mal, dass dort jede Woche im Schnitt zwei Heiratsanträge gemacht werden.«

Mein Körper versteift sich. »Wir sind definitiv nicht in diesem Stadium.«

Layla schenkt mir ein wissendes Lächeln. »Vielleicht beweist dir der heutige Abend das Gegenteil.«

Sie muss sich täuschen – und dennoch wird mir mulmig. Wir sind schließlich erst fünf Monate zusammen.

Im Hintergrund schnurrt die Kaffeemaschine, und Dad kommt zurück an unseren Tisch.

»Was habe ich verpasst?«, fragt er.

»Edie geht heute Abend zum Essen mit Miles ins Chambers.«

»Ah, du musst mir unbedingt erzählen, ob es dir gefallen hat! Ich überlege, es dieses Jahr für unsere Weihnachtsfeier zu buchen.«

»Das Geschäft läuft offenbar verdammt gut«, stellt Layla fest. »Das nenne ich mal einen Aufstieg im Vergleich zu dem Pub auf der anderen Straßenseite, wo wir bei der letzten Weihnachtsfeier waren.«

»In die Lieferantenliste der Stadt aufgenommen zu werden, sollte in der Tat gefeiert werden«, pflichtet Dad ihr bei.

»Dass wir jetzt auf der Liste der bevorzugten Lieferanten stehen, garantiert nicht, dass irgendjemand tatsächlich bei uns bestellt«, werfe ich ein. »Es wäre vielleicht besser, dieses Jahr noch auf Nummer sicher und erst im nächsten Jahr in die Vollen zu gehen – wenn wir wissen, ob es etwas gebracht hat.«

»Komm schon, Edie, ich habe doch das Kleid von Whistles, das förmlich danach schreit, wieder einmal getragen zu werden. Das wäre die perfekte Gelegenheit«, drängt Layla mit flehendem Blick.

»Du und dieses Whistles-Kleid …«

»Na ja, wenn jemand heiraten würde, gäbe es natürlich auch eine Gelegenheit, es anzuziehen.« Sie wirft mir einen mahnenden Blick zu.

Die Kellnerin kommt mit einem Tablett an unseren Tisch, und ich bin froh über die Unterbrechung, bis ich entsetzt das Mandelcroissant entdecke, in dem eine brennende Kerze steckt. Lautstark stimmt sie »Happy Birthday« an, und Dad und Layla singen sofort mit. Die übrigen Gäste schließen sich ebenfalls an, und meine Wangen glühen. Ich möchte in der Erde versinken, aber zwischen Dad, der aus voller Kehle singt, und den pinkfarbenen Heliumballons, die mein Alter bekunden, gibt es kein Entkommen.

Die Kellnerin stellt den Teller mit dem Croissant vor mir ab, und ich murmele ein »Danke schön« und lächele verkrampft in die Runde, bevor ich die Kerze auspuste. Dad tätschelt mir den Rücken, und Layla klatscht in die Hände.

»Vielen Dank für diesen peinlichen Moment.«

»Komm schon, es ist dein Geburtstag; wir wollten diesen Tag zu etwas Besonderem machen. Und dir ist doch klar, dass es nur ein Bruchteil dessen ist, was deine Mum getan hätte«, sagt Dad. »Jan liebte Geburtstage.«

Die Erwähnung meiner Mutter versetzt meinem Herzen einen Stich. Aber er hat recht – sie hätte etwas völlig Übertriebenes abgezogen, womöglich das ganze Café mit Luftballons gefüllt, und es hätte eine Torte in der Größe des Tisches gegeben, und ganz sicher hätte darin nicht nur eine Kerze gesteckt.

Es fällt mir schwer, die Trauer zu verdrängen. Seit sie vor siebzehn Jahren gestorben ist, sind meine Geburtstage nicht mehr wie vorher. Jeder einzelne erinnert mich nur daran, dass sie nicht mehr bei uns ist. Mittlerweile bin ich fast an dem Punkt, dass ich mehr Geburtstage ohne sie als mit ihr gefeiert habe.

Dad spürt offenbar meinen Stimmungswandel und legt seine Hand auf meine. Er sagt nichts, aber das ist auch nicht nötig; es genügt, dass er hier ist und weiß, was ich fühle.

»Wann müsst ihr los?«, wechsle ich das Thema, um nicht in einen tiefen Kaninchenbau der Melancholie zu stürzen.

Layla gehört zum Elternbeirat der Schule, die ihre Zwillingsjungs besuchen, und sie hat Dad überredet, dort heute Vormittag einen Vortrag über Berufsperspektiven zu halten.

»In etwa zwanzig Minuten. Du solltest mitkommen.«

»Nee, lass mal. Ich hatte überlegt, ein bisschen bummeln zu gehen.«

In Wahrheit habe ich noch nicht darüber nachgedacht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll, sobald die beiden gegangen sind. Ich hatte mich erst im letzten Moment dazu entschieden, den Tag freizunehmen, motiviert von der Illusion, dadurch diesem Geburtstagszeug aus dem Weg gehen zu können.

»Ach, komm doch mit!«, hakt Dad nach. »Ich habe das Gefühl, als würde ich dich kaum noch sehen. Es wäre schön, zumindest den Vormittag zusammen zu verbringen.«

»Dad, wir arbeiten jeden Tag zusammen. Wir sehen uns ständig!«

»Ja, aber im Büro ist das etwas anderes. Ich habe einfach den Eindruck, in letzter Zeit nicht mehr auf dem neuesten Stand zu sein.«

Ich möchte ihn nicht darauf hinweisen, dass das an ihm liegt, also beiße ich stattdessen in mein Croissant. Er ist ständig mit Julie beschäftigt, der Frau, mit der er neuerdings eine Beziehung hat.

»Du weißt doch, dass ich solche Veranstaltungen nicht mag. Ich bin nicht gut darin, unvorbereitet Fragen zu beantworten.«

»Du musst ja gar nichts sagen, sei einfach dabei und hör dir meinen Vortrag an.«

»Die Jungs würden sich freuen, dich zu sehen und dir gratulieren zu können«, pflichtet Layla ihm bei.

Offensichtlich verschwören sich die beiden gegen mich, aber es ist ja nicht so, als hätte ich etwas Besseres vor. Und vielleicht lenkt es mich davon ab, ständig an meinen Geburtstag zu denken.

»Also gut, warum nicht?«

»Sehr schön«, sagt Dad mit einem triumphierenden Lächeln. »Dieses Mandelcroissant sieht übrigens echt lecker aus. Ich sollte mir auch eins bestellen.«

»Dad! Du weißt doch, dass du abnehmen musst.«

»Keine Sorge, ich habe zu Hause nicht gefrühstückt.«

Das ist nicht der Punkt, und das ist ihm auch klar.

»Außerdem wird mein Baby nicht jeden Tag fünfunddreißig.«

»Erzähl mir was Neues«, erwidere ich und wünschte, die beiden würden aufhören, mich ständig daran zu erinnern.

Kapitel 2

Als wir in der Schule eintreffen, werden wir von Claudia in Empfang genommen, der Lehrerin der Zwillinge. Sie verliert keine Minute und weist uns in den Ablauf der Veranstaltung ein.

»Als Erstes stellen wir Sie den Kindern vor«, sagt Claudia zu Dad. »Anschließend lesen Sie die Geschichte vor, die wir für Sie vorbereitet haben, wenn das okay ist? Es geht um einen Jungen, der überlegt, was er tun will, wenn er erwachsen ist. Am Schluss folgt der Teil mit den Fragen und Antworten. Es soll locker und ungezwungen sein, und die Kids werden hoffentlich gut mitmachen.«

Mein Dad grinst wie ein Honigkuchenpferd. Er ist das völlige Gegenteil von mir und liebt öffentliche Auftritte. Dad ist das Gesicht und der Sprecher unserer Firma, und ich sorge hinter den Kulissen dafür, dass alles läuft. Deshalb sind wir so ein gutes Team.

»Schön, dann holen wir mal Ihre …« Claudia wird durch das Klingeln von Dads Handy unterbrochen. Mit einer Entschuldigung zieht er sich auf die andere Seite des Raums zurück. »… Ihre Besucherausweise, und dann bringe ich Sie zu der Klasse«, fährt Claudia fort. Sie eilt in das verglaste Büro in der Nähe.

»Du musst mir hinterher Bericht erstatten, Edie, und mir sagen, ob sich die Zwillinge benommen haben«, sagt Layla.

»Bist du denn nicht dabei?«

»Nein, ich habe eine Besprechung mit der Rektorin – Verwaltungskram.«

»Okay, aber die Zwillinge sind bestimmt genauso wie immer.«

»Und das ist meine Sorge.«

Ich lache, werde aber sofort wieder ernst, als ich Dad mit gerunzelter Stirn zurückkommen sehe.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt Layla.

»Nicht ganz. Julie hat sich bei mir ausgesperrt, und ihre Wagenschlüssel sind im Haus.«

»Oje«, murmelt Layla, während Claudia schon mit den Ausweisen in der Hand auf uns zueilt.

»Ich muss schnell nach Hause und Julie reinlassen, sonst schafft sie es nicht pünktlich zur Arbeit.«

»Du kannst jetzt nicht gehen!«, protestiere ich. »Die Kinder erwarten dich doch!«

Dad wirft Claudia einen panischen Blick zu und sieht mich dann an. »Könntest du das nicht übernehmen, Edie?«

»Äh, ja, klar, ich kann Julie den Schlüssel bringen.« Wird vielleicht ein bisschen seltsam, da ich ihr noch nie begegnet bin.

»Du bist ohne deinen Wagen hier, und bei meinem bist du nicht versichert. Nein, ich meinte, dass du für mich den Vortrag übernimmst.«

»Das ist eine wunderbare Idee!«, ruft Claudia begeistert. »Ich möchte nicht unhöflich sein, Gary, aber wir suchen ständig nach Möglichkeiten, das Bewusstsein für die Gleichstellung der Geschlechter zu schärfen. Und wer ist besser geeignet, um zu den Kids zu sprechen, als eine junge weibliche CEO wie Edie? Das wäre bestimmt ungemein inspirierend.«

»Aber … ich habe keine Rede vorbereitet«, stottere ich.

»Die brauchen Sie auch nicht, es wird alles ganz locker ablaufen.«

»Es ist nicht nur, dass ich unvorbereitet bin …« Verzweifelt suche ich nach einer Begründung, die weniger erbärmlich klingt, als zuzugeben, dass ich Angst habe, vor einer Gruppe von Kindern zu sprechen. Ich reibe meine feuchten Hände an meiner Jeans ab.

»Könnte Julie nicht mit dem Taxi zur Arbeit fahren oder Layla stattdessen den Vortrag übernehmen?«

»Bitte«, sagt Layla. »Deine Stellenbezeichnung ist wesentlich beeindruckender als meine, und davon abgesehen muss ich doch zur Rektorin.«

Mein Herz beginnt zu rasen.

»Nur eine Geschichte vorlesen und eine Frage-Antwort-Runde. Ich werde Sie hindurchführen.« Claudia schlägt einen sanften Tonfall an, den sie vermutlich auch zum Beruhigen der Kinder einsetzt.

»Du schaffst das, Edie.« Dad drückt mir aufmunternd die Schulter und eilt dann los, um Julie zu retten. Mir entgeht nicht die Ironie der Situation – dass ich eigentlich mitgekommen bin, um noch ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen. Und nun muss ich für ihn einspringen, weil er zu Julie fährt – mal wieder.

Als ich den Klassenraum betrete, ist der Anblick von über dreißig gespannten Siebenjährigen, die im Schneidersitz auf dem Teppich hocken, noch beängstigender, als ich es mir vorgestellt habe. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, und mein Mund ist plötzlich ganz trocken.

Mit weichen Knien folge ich Claudia, wünschte, ich würde so selbstsicher wie sie durch das Klassenzimmer spazieren. Sie ist die coole Lehrerin, die ich als Kind gern gehabt hätte, mit federnden Korkenzieherlocken, die das Gesicht umrahmen, einem senffarbenen Rollkragenpullover, schwarzem Jeansrock und einer geringelten Strumpfhose.

Sie klatscht in die Hände, und der Lärmpegel senkt sich, bis es ganz still ist.

»Also, wer von euch mag Kugelschreiber?« Fast alle Hände schießen nach oben. »Okay, und was ist mit Notizblöcken? Und Bleistiften? Und Schokokeksen? Nun, all diese Dinge verkauft Edies Firma an Büros. Und jetzt werdet ihr alles darüber hören.«

 

Trotz meiner Nervosität schaffe ich es ohne Unfall durch die vorbereitete Geschichte und die Beschreibung meines Jobs, und die Kinder bleiben mehr oder weniger konzentriert.

»Also gut, Kids«, sagt Claudia dann. »Ich habe eine sehr wichtige Frage und möchte, dass ihr gründlich und lange darüber nachdenkt. Was wollt ihr werden, wenn ihr mal groß seid?«

Jetzt sind plötzlich alle aufmerksam und grübeln über eine der großen Fragen des Lebens für Siebenjährige nach. Erwachsene fragen Kinder das ständig – ein grausamer Trick, der sie zum Träumen bringt, davon überzeugt, sie könnten alles werden, was sie wollen. Aber wie viele Menschen bekommen am Ende tatsächlich ihren Traumjob? Müssen die meisten nicht ihre Lebensziele an das Blatt anpassen, das das Leben ihnen austeilt? An die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, die Noten, die sie bekommen, die Möglichkeiten, die ihnen offenstehen? Oder, in meinem Fall, das Leben, das sie erben, wenn alles auseinanderfällt?

»Mal schauen … möchte einer von euch zur Feuerwehr?«, fragt Claudia und macht eine kurze Pause, um zu sehen, ob sich jemand meldet. »Ah, ein paar. Was ist mit Astronautin? … Arzt? … Köchin? Schauspieler? … Unternehmerin? Was ist mit dir, Scarlett?«

»Ich möchte Premierministerin oder Zoowärterin werden.«

»Ausgezeichnete Wahl. Lucas?«

»Zauberer.«

»Zauberkünstler?«

»Nein, Hexenmeister«, stellt er mit weit aufgerissenen Augen klar.

»Zauberei, gefällt mir.« Claudia nickt. »Was glaubt ihr, möchte Marcus aus dem Buch gern werden?«

Hände schießen nach oben, und Claudia zeigt auf einen Jungen weiter hinten.

»Am liebsten alles. Aber am glücklichsten sieht er auf den Bildern aus, auf denen er Astronaut war.«

»Da sieht er wirklich sehr glücklich aus, und vielleicht möchte er das tatsächlich am liebsten werden. Aber ist das nicht gerade das Schöne daran? Dass es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt, was wir tun können?«

»Ja, er hat Glück. Wenn er groß ist, ist er ein Mann«, sagt Scarlett und wickelt eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger.

Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu lachen, denn sie scheint sich gerade von einer Siebenjährigen in eine erwachsene Frau verwandelt zu haben.

»Du wirst all diese Dinge auch tun können. Nicht nur Edie ist der Beweis, dass auch Frauen die Welt offensteht«, betont Claudia.

Scarlett wirkt nicht überzeugt, und ich kämpfe noch immer gegen das Lachen an. Sie ist so resolut, dass sie zweifellos Erfolg haben wird, für welchen Job sie sich auch entscheidet.

»Und was wolltest du werden, Edie, als du so alt warst wie wir?«, fragt Rohan, einer von Laylas Zwillingen.

»Oh, ähm, ich …« Die Frage erwischt mich kalt, und in meinem Kopf herrscht gähnende Leere. »Ich bin nicht sicher, in eurem Alter, vielleicht … vermutlich wollte ich Ballerina oder Rennbobfahrerin werden.«

Die Kinder ziehen verwirrte Gesichter, und Claudia, die etwa so alt sein muss wie ich, lacht.

»Es gab da einen Film … Das ist eine lange Geschichte«, versuche ich zu erklären. »Aber als ich dann älter wurde, träumte ich davon, die Welt zu verändern, wollte Anwältin oder Lehrerin werden.«

»Ich habe meine Mum mal sagen hören, dass niemand wirklich Lehrerin oder Lehrer sein will. Sie könnte sich nichts Schlimmeres vorstellen«, sagt Kiran, Laylas anderer Sohn. Laylas Besorgnis vor der Veranstaltung ergibt plötzlich Sinn.

Claudia stützt die Hände in die Hüften. »Ihr solltet wissen, dass ich schon immer Lehrerin werden wollte. Als ich klein war, habe ich meine Kuscheltiere in eine Reihe gesetzt, die Anwesenheit kontrolliert und ihnen aus Büchern vorgelesen. Davon abgesehen, wer sonst sollte euch denn alles Mögliche beibringen?«, fragt sie mit verschmitztem Grinsen.

»Ich finde, Ihr Job klingt sehr viel cooler«, sagt einer der anderen Jungs und zeigt auf mich. »Dürfen Sie Leute herumkommandieren?«

»Na ja, ich bin die Chefin, und zu einer guten Chefin gehört auch, dass sie ihre Leute nicht herumkommandiert, sondern sie befähigt –«

»Was hat man davon, Chefin zu sein, wenn man niemanden herumkommandieren kann?«, fragt ein Mädchen. »Bringen Sie manchmal Leute zum Weinen?«

»Nein, nie. Oder zumindest nicht absichtlich. Einmal ist es tatsächlich passiert, aber das war ein großes Missverständnis … Möchte einer von euch vielleicht etwas über Büromaterial erfahren?«, versuche ich rasch das Thema zu wechseln.

Eine Hand geht nach oben, und Claudia ruft den Jungen auf.

»Haben Sie einen von diesen Bleistiftanspitzern, in die man den Stift hineinsteckt, und es macht grrrrrr, und der Stift kommt angespitzt wieder heraus?«

»Habe ich, und wir verkaufen sie auch.«

»Wow.« Die ganze Klasse wirkt beeindruckt. »Haben Sie einen dabei?«

»Leider nicht.«

»Hat sonst noch jemand eine Frage?«, fragt Claudia über die Seufzer der Enttäuschung hinweg.

»Sind Sie verheiratet?«

»Ähm … nein.«

»Haben Sie einen Ferrari?«

»Haben Sie ein Pferd? Mein Dad erlaubt mir nicht, ein Pferd zu haben, aber ich wette, Sie haben viel Geld, also haben Sie auch ein Pferd.«

Die Kinder sind jetzt hellwach und rufen alle gleichzeitig in die Runde, was ihnen gerade einfällt, ohne sich vorher zu melden. Hektisch schaue ich hin und her, versuche, alle Fragen zu beantworten.

»Wie viele Kinder haben Sie?«

»Ähm, keine … bisher.« Ich spüre, dass mir das Blut in die Wangen schießt.

»Dann sollten Sie sich beeilen«, stellt ein Mädchen ganz vorn altklug fest. »Meine Mum sagt ständig, dass sie mich besser früher bekommen hätte.«

Erst Layla mit dem Gerede über Heiratsanträge, und nun sagen mir diese Kids, dass ich Kinder bekommen sollte … Ich zupfe am Kragen meiner Bluse. Es ist plötzlich sehr warm hier drin.

»Wie alt sind Sie genau?«, fragt ein Junge und mustert mich blinzelnd, als wolle er die Frage selbst beantworten.

»Genau heute werde ich fünfunddreißig.«

Ich höre überraschtes Keuchen, bevor die Kids in eine temperamentvolle Version von »Happy Birthday« ausbrechen, die sogar Claudia erstaunt.

»Was haben Sie geschenkt bekommen, Miss? Ich habe zum Geburtstag Lego Minecraft gekriegt.«

»Wir schweifen jetzt ein bisschen vom Thema ab, deshalb denke ich, wir sollten zum Ende kommen. Gut gemacht, Edie. Wie wäre es mit einem Applaus für sie?«

Ich werde mit ohrenbetäubendem Klatschen verwöhnt, und dann ertönt auch schon die Pausenglocke.

»Also gut, alle in einer Reihe aufstellen, Mrs French wird euch nach draußen auf den Schulhof begleiten.«

Die Kinder springen auf, stoßen und schieben sich gegenseitig, bis sie alle in einer Reihe stehen und die Assistenzlehrerin sie nach draußen führt.

»Und dann wurde es plötzlich still«, sagt Claudia lächelnd, als das letzte Kind den Raum verlässt.

»Mir ist schleierhaft, wie Sie das aushalten.«

»Man gewöhnt sich dran.«

Sie stellt die Stühle, auf denen wir gesessen haben, zurück an einen der Tische. »Sie haben das toll gemacht! Verbringen Sie viel Zeit mit Kindern?«

»Ich?« Ich hänge mir die Handtasche über die Schulter. »Eigentlich nicht.«

»Sie sind ein Naturtalent. Wissen Sie, ich bin im Kuratorium einer Wohltätigkeitsorganisation für Leseförderung, und wir sind ständig auf der Suche nach Leuten, die uns unterstützen. Sie wären perfekt geeignet.«

»Eine Wohltätigkeitsorganisation, okay, unsere Firma kann Sie bestimmt sponsern.«

»Danke, sehr freundlich, aber wonach wir dringend suchen, sind Freiwillige: Menschen, die mit den Kindern lesen. Die Organisation nennt sich ›Big Little Readers‹. Vielleicht haben Sie die Gründung letztes Jahr mitbekommen?« Ich schüttle den Kopf. »Im Wesentlichen wird das Ganze von der Bibliothek aus organisiert. Die Freiwilligen gehen zu zweit in Familien und lesen den Kindern vor, die zu Hause nicht so viel Unterstützung bekommen wie andere. Weil die Eltern zum Beispiel mehrere Jobs gleichzeitig unter einen Hut bringen oder sich um kranke Geschwisterkinder kümmern müssen. Oder aber die Kinder brauchen Unterstützung, die die Eltern einfach nicht leisten können. Bei jeder Familie ist die Ursache, warum sie die Hilfe unserer Organisation braucht, ein wenig anders, aber die Freiwilligen sind alle aus ein und demselben Grund dort: um die Kinder zum Lesen zu animieren.«

»Was für eine großartige Idee«, sage ich bewundernd.

»Das ist es, und die Ergebnisse sind beeindruckend.«

»Und Sie möchten mich als Freiwillige? Ehrlich gesagt war das heute vermutlich ein Glückstreffer. Ich habe keine Ahnung, wie man mit Kindern redet.«

»Vor der Veranstaltung hätte ich Ihnen das noch abgekauft.«

Claudia geht zu ihrem Schreibtisch, sucht etwas in der Schublade und findet es schließlich.

»Hier ist eine Broschüre mit mehr Informationen. Schauen Sie es sich mal an, und falls es Sie interessiert …« – sie notiert etwas auf der Rückseite –, »das ist meine E-Mail-Adresse.«

Sie überreicht mir die Broschüre.

»Danke. Ich werde darüber nachdenken«, versichere ich höflich, obwohl ich weiß, dass das hier eine einmalige Sache war.

Sie begleitet mich zurück zum Empfang, wo Layla gerade aus dem Büro der Rektorin kommt. Wir verabschieden uns von Claudia und eilen nach draußen.

»Und? Wie ist es gelaufen?«, erkundigt sich Layla. »Haben sich die Zwillinge benommen?«

»Ja, es lief gut, und die Zwillinge waren echt brav.«

Ich beschließe, Kirans Bemerkung über Lehrkräfte für mich zu behalten. Was Layla nicht weiß, kann sie auch nicht aufregen.

Ich hole mein Handy aus der Tasche, deaktiviere die Stummschaltung und sehe, dass ich eine Nachricht von Miles bekommen habe.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Edie! Freue mich auf die nächste Stufe unserer Liebesbeziehung heute Abend! 😊 xoxo

Ich stöhne.

»Was ist?«, fragt Layla.

»Ich hab soeben die kitschigste Nachricht aller Zeiten erhalten.«

Ich halte ihr das Display hin, und sie lacht.

»Wer hätte gedacht, dass Miles ein Romantiker ist? Du musst aber zugeben, dass alles auf einen Antrag hindeutet. Das Restaurant. Diese Textnachricht. Möglicherweise wird jemand heute noch die zukünftige Mrs Cole«, sagt sie und stupst mich an.

In meinem Magen breitet sich ein mulmiges Gefühl aus, und ich kann nur hoffen, dass Layla falschliegt.

Kapitel 3

Ich öffne Miles die Tür. Er ist beladen wie ein Packesel – die Arme voller Tüten und anderen Dingen und sein Gesicht hinter einem riesigen Blumenstrauß verborgen.

»Hallo, Geburtstagsmädchen«, begrüßt er mich.

Er versucht sich vorzubeugen, und wir geben unser Bestes, uns zu küssen, aber die Lilien sind im Weg. Also überreicht er mir stattdessen die Blumen.

»Selber hallo. Was hast du denn da alles?«

Schnell ergreife ich eine Flasche Wein, die Miles beinahe fallen lässt, während er im letzten Moment einen Kleidersack festhält, der im Begriff war, von seinem Arm zu rutschen.

»Alles zu seiner Zeit«, antwortet er.

Mir entgeht nicht der Übernachtungsrucksack auf seinem Rücken, der beinahe aus allen Nähten platzt – im Gegensatz zu sonst, da Miles für gewöhnlich nur mit dem Nötigsten reist.

Ich hole eine Vase aus dem Schrank unter der Spüle und stelle sie auf die Kücheninsel. Als ich gerade den Blumenstrauß arrangieren will, platziert Miles eine kleine türkisfarbene Tüte daneben – tiffanytürkis. Während ich darauf starre, schießen mir Laylas Worte über den Antrag durch den Kopf.

»Das ist heute ein wichtiger Abend«, sagt Miles prompt.

Mein Herz schaltet einen Gang höher.

»Ach was, ich werde nur ein weiteres Jahr älter. Keine große Sache.«

Miles beugt sich über die Kücheninsel zu mir und hebt eine Augenbraue.

»Aber heute Abend gibt es zwei Anlässe zum Feiern.«

Ich spähe auf die Tiffany-Tüte.

»Zwei Anlässe?« Meine Stimme klingt höher als sonst.

»Die Sache mit der Stadt«, antwortet er. »Ich hab’s auf der Facebook-Seite eurer Firma gesehen.«

»Ach so, das.« Ich atme unhörbar auf.

Miles und ich sind seit etwa fünf Monaten zusammen und halten den perfekten Schwebezustand, bevor wir irgendwann werden entscheiden müssen, ob es mit uns ernst ist oder wir auseinandergehen – was bei mir bisher immer der Fall war. Zwischen uns herrscht die unausgesprochene Regel, dass wir uns ein paar Abende in der Woche sehen, für gewöhnlich abwechselnd bei ihm oder bei mir. Es ist jedoch kein Pflichtprogramm. Und es wird auch nicht erwartet, dass wir uns gegenseitig zu Veranstaltungen begleiten, wenn wir nicht wollen. Und obwohl wir diese Grenzen festgelegt haben, fühlen wir uns doch miteinander so wohl, dass es mir nichts ausmacht, wenn ich das Erste bin, was er am Morgen sieht – ungeschminkt und mit verwuschelten Haaren. Und er hat bedauerlicherweise keine Hemmungen, in dieser leuchtend orangen Fischerhose, die er sich während seiner Thailand-Reise gekauft hat, durch seine Wohnung zu stolzieren. Die Hose ist so scheußlich, dass der Zoll sie eigentlich hätte konfiszieren müssen.

»Ich dachte, du bist begeistert! Das bringt hoffentlich eine Menge Aufträge.«

»Daumen drücken«, sage ich und versuche, etwas mehr Enthusiasmus aufzubringen. Dass wir nun auf der Liste bevorzugter Lieferanten stehen, bedeutet, dass alle öffentlichen Organisationen – von den Museen über die Parks bis zur Verwaltung selbst – die Möglichkeit haben, bei uns zu bestellen. Bisher waren uns diese Türen verschlossen.

»Man weiß nie, vielleicht zeigt ja bald ein Großunternehmen Interesse, euch aufzukaufen.«

»Dir ist schon klar, dass ich die Firma nie verkaufen würde?« Ich gehe zur Garderobe und ziehe eine leichte Jacke über mein Kleid.

Miles ist Anwalt für Unternehmensrecht und kennt sich in der halsabschneiderischen Welt globaler Fusionen und Übernahmen aus. Wie oft ich ihm auch zu erklären versuche, dass wir ein Familienunternehmen sind und loyal gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, er begreift es einfach nicht. Ich könnte niemals verkaufen und unsere Angestellten einem ungewissen Schicksal überlassen.

»Vielleicht ist das Angebot zu gut, um es abzulehnen.«

»Ich glaube, du verwechselst Porter’s mit einem der Multimilliarden-Pfund-Konzerne, die du betreust. Also, für wie viel Uhr hast du den Tisch reserviert?«

»Was das angeht«, antwortet er, »den habe ich storniert.«

Ich seufze erleichtert. Wenn wir doch nicht in das Restaurant für Heiratsanträge gehen, kann es nur bedeuten, dass keine Verlobung in Sicht ist.

»Ich hoffe, du hast nichts dagegen«, fährt er fort, »aber ich dachte, es wäre netter, wenn wir unter uns sind. Ich habe alles dabei, was wir brauchen.«

»Oh, okay«, erwidere ich überrascht. »Klingt wunderbar.«

Er lächelt und schiebt die Tiffany-Tüte näher zu mir. »Hier ist übrigens dein Geschenk. Herzlichen Glückwunsch.«

Mit einer schwungvollen Bewegung ziehe ich meine Haare hinten aus der Jacke und greife dann mit zitternden Händen nach der Tüte. Ich hole eine Schachtel heraus, die definitiv zu groß ist für einen Ring, und entspanne mich ein wenig. In Erwartung eines Schmuckstücks klappe ich den Deckel hoch und sehe überrascht einen soliden Klumpen aus Silber vor mir.

»Das ist ein Weinflaschenverschluss. Deiner sieht nämlich aus, als würde er es nicht mehr lange machen.«

Ich spähe hinüber zu dem Verschluss, der aus einer geöffneten Rotweinflasche ragt. Er ist mindestens siebzehn Jahre alt, und auf der Spitze thront ein portugiesischer Hahn. Er war ein Urlaubsmitbringsel von Mum und Dad, in dem Sommer, als sie starb. Vermutlich im letzten Moment am Flughafen gekauft, etwas, von dem Mum annahm, dass ich es im September mit ins Studentenwohnheim nehmen und dann verlieren würde. Aber es ist das Letzte, was ich von ihr bekommen habe, und ist deshalb zu einem meiner größten Schätze geworden.

»Danke.« Ich drehe den schlanken, wunderschön designten Silberverschluss hin und her und verrate Miles nicht, was mir der Hahn-Verschluss bedeutet. Miles gehört nicht zu den Menschen, die alles über mich und mein Leben vor seiner Zeit wissen wollen; er scheut Dinge, die auch nur entfernt emotional sind, und manchmal – so wie jetzt, wenn sich die Trauer um mein Herz schließt – kommt mir das sehr entgegen.

»Also, was hast du heute Abend für uns geplant?«, frage ich und lege den Verschluss zurück in die Schachtel.

»Das ist eine Überraschung. Ich muss nur ein paar Sachen vorbereiten.« Er späht auf seinen prallen Rucksack. »Das hier ist zwar deine Wohnung und so weiter, aber du müsstest für eine Weile verschwinden. Etwa zehn Minuten.«

»Okay, dann gehe ich ins Schlafzimmer.«

»Nein, das brauche ich auch. Wie wäre es, wenn du unten in der Eingangshalle wartest?«

Ich überlege, ob das ein Scherz ist, aber er schiebt mich bereits durch die Wohnungstür.

»Zehn Minuten?«

»Maximal fünfzehn«, versichert er und schließt die Tür hinter mir.

Ich gehe die Treppe hinunter und setze mich in den Kunstledersessel neben dem Eingang. Dieser Tag ist derartig seltsam, dass ich lachen muss. Erst wurde mein Leben von einer Horde Siebenjähriger analysiert, und nun wirft mich Miles aus meiner eigenen Wohnung, in der er Gott weiß was anstellt.

So habe ich mir meinen Geburtstag eher nicht vorgestellt, und garantiert entspricht das nicht den Erwartungen der meisten Menschen an einem Geburtstag, aber für mich ist es ganz in Ordnung.

Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche und texte Layla die Neuigkeiten, dass wir doch nicht ins Chambers gehen. Dann checke ich meine E-Mails. Ich scrolle gerade durch die üblichen Werbenachrichten, als ich etwas entdecke, das nach einer sehr raffinierten Phishing-Masche aussieht. Es ist eine E-Mail mit meinem Namen als Absender. Ich will sie schon löschen, als ich die Betreffzeile entdecke und mir ein Schauer über den Rücken jagt. Nachricht an mein zukünftiges Ich.

Das kann nicht sein.

Ich öffne die E-Mail und halte den Atem an.

Liebe zukünftige Edie,

hallo aus der Vergangenheit!!!!!!!!!!!!!

Jetzt dreh nicht durch – ich bin’s! Oder sollte ich sagen, du vor siebzehn Jahren, wenn ich richtig gerechnet habe. Falls du dich nicht erinnerst, ich schreibe das hier am Empfangstresen von Hartland’s Holiday Park. Hier ist es heute ziemlich ruhig, da am Pool gratis Cocktails serviert werden und, wenig überraschend, niemand mit den üblichen Fragen oder Beschwerden aufkreuzt.

Aber ich schreibe dir nicht nur, weil ich mich langweile, sondern vielmehr, weil der heutige Tag ein besonderer ist. Es ist mein achtzehnter Geburtstag, juchhuu! Was natürlich bedeutet, dass heute auch dein Geburtstag ist – herzlichen Glückwunsch –, Mann, bist du jetzt alt ;-). Mum hat schon eine riesige Torte in Cupcake-Form geschickt. Ob ich je alt genug sein werde, dass sie es mit den Geburtstagfeiern nicht mehr so übertreibt?

Heute Abend geht es mit der Truppe in einen Pub, für meinen ersten legalen Drink! Kann es kaum erwarten, dem Barkeeper meinen Perso unter die Nase zu halten, jetzt, da ich nicht mehr zittern muss, dass sie alle anderen reinlassen, nur mich nicht.

Den ganzen Morgen haben Soph, Douglas und Joel diskutiert, was ich tun sollte, um die Volljährigkeit gebührend zu begehen. Douglas meinte, ich solle mir ein Tattoo stechen lassen, aber Sophie faselte etwas von einem Brief, in dem ich meine Lebensziele aufschreiben soll, und das erinnerte mich an eine Website, von der Mr Cross uns mal im Englischunterricht erzählt hat: Auf der schreibt man eine E-Mail an sein zukünftiges Ich. Und wenn du das hier gerade liest, dann hat es funktioniert.

Vermutlich hätte ich einen markanten runden Geburtstag aussuchen sollen – wie dreißig oder vierzig –, aber ich bin ganz aufgeregt, dass ich ab heute auf Formularen das Kästchen mit 18–34 Jahre ankreuzen kann, was bedeutet, dass du zu dem Kästchen 35 und älter gehörst, und wir wissen alle, dass sich dort die richtig Erwachsenen tummeln!

Wie ist es denn so, richtig erwachsen zu sein und endlich das ganze Leben im Griff zu haben? Ich hoffe, dass du es in vollen Zügen auskostest. Keine Sorge, ich mache dir keine Vorwürfe, wenn du nicht Bungee- oder Fallschirmspringen warst – gähn. Ich hoffe stattdessen, dass du jede Sekunde deines Lebens genießt und eine Menge Dinge getan hast, bei denen du Schiss hattest, die dich aber auch zum Lachen brachten. 😊

Wollen wir hoffen, dass du herausgefunden hast, was du mit deinem Leben anfangen willst, und dass Mum und Dad dich nicht in »die Firma« (in meiner besten Mafioso-Stimme gesagt) eingebunden haben. Ich wette darauf, dass du die Welt veränderst, stimmt’s? Dass du Anwältin geworden bist oder so und für Gerechtigkeit kämpfst. Ich hoffe, dass du echt gut drauf bist und Mum und Dad dir endlich verziehen haben, dass du an der Uni nicht BWL gewählt hast!

Selbstverständlich hast du einen mega-ethischen Job gefunden, der der Menschheit den erhobenen Mittelfinger zeigt und dennoch jede Menge Kohle bringt, und du kannst dir mehr leisten als die Instantnudeln, von denen ich mich ernähre, seit ich in Hartland’s bin, und der Drink deiner Wahl wird vielleicht raffinierter sein als ein Blue WKD.

Du bist jetzt natürlich mit Scott verheiratet, ich weiß, dass er ganz sicher der Richtige ist. Aber falls nicht – ich bringe es kaum über mich, diese Worte zu tippen –, passt dein Ehemann gut zu dir? Hattest du eine große Hochzeitsfeier? Ich vermute, du hast Kinder? Eins? Zwei? Drei? VIER? Mum hat mich gestern erst damit belagert, dass sie viele Enkelkinder will.

Es muss komisch sein, all das erlebt zu haben und nun auf der Erwachsenenseite zu sein. Ich beneide dich so sehr! Du hast alles im Griff. Bestimmt schaust du mit liebevollen Erinnerungen auf diese Zeit hier zurück. Der Sommer, in dem du von deinen Eltern geflohen bist. Und in ein paar Monaten wirst du (wenn die Noten es hergeben) an der Universität von Leicester studieren. Sagen die Leute nicht immer, dass die Jahre an der Uni diese beste Zeit des Lebens sei? Wie deprimierend wird es sein, den Abschluss zu machen und zu wissen, dass die besten Jahre hinter mir liegen!

Also, Mr Cross sagte, wir sollen eine Message an uns selbst einflechten – eine inspirierende Botschaft aus der Vergangenheit, um sich einen Tritt in den Hintern zu verpassen. Hier kommt sie also: Tue etwas, was du normalerweise nie tun würdest. Nach allem, was ich über Erwachsene weiß, bewegen sie sich ständig in ihrer Komfortzone, als hätten sie vergessen, dass das wahre Leben dann passiert, wenn man aus ihr hinaustritt. Denk dran, deine Komfortzone hat keine undurchdringliche Mauer um dich herum errichtet.

Alles Liebe

Ein sehr viel jüngeres Du xx

Ich brauche einen Moment, um zu verarbeiten, was ich da gerade gelesen habe. Dann scrolle ich zurück an den Anfang und lese die Mail noch dreimal, um sicherzugehen, dass ich nicht halluziniere. Eine Gänsehaut kriecht meine Arme hinauf.

Es bricht mir das Herz, an mein achtzehnjähriges Ich zu denken. Die Edie von damals war so frei von Sorgen und Nöten, lebte ihr Leben auf eine Weise, die ich ganz vergessen habe. Sie klingt so jung und hatte noch keine Ahnung, was passieren und ihr Leben für immer verändern würde.

Ich denke nicht oft an den langen Sommer in Hartland’s Holiday Park. Es fällt mir schwer, mich an all den Spaß zu erinnern, den ich in diesen Monaten dort hatte, ohne sofort auch daran denken zu müssen, dass alles abrupt endete, als meine Mum starb. Weil dann diese Schuldgefühle in mir hochkommen und schwer auf mir lasten. Weil ich dann auch wieder vor Augen habe, dass ich mich in Joel verliebte und er mir das Herz brach.

Ich will die E-Mail gerade zum fünften Mal lesen, als eine Nachricht von Miles auf dem Display erscheint. Er teilt mir mit, dass ich in die Wohnung zurückkommen kann.

Miles. Das erinnert mich an die Gegenwart, und ich stemme mich aus dem Sessel hoch, gehe mit weichen Knien und wie auf Autopilot nach oben.

Als ich die Wohnung betrete, ist es dort ganz dunkel, und ich betätige den Lichtschalter.

»Hey, mach das wieder aus! Und schließe deine Augen!«, ruft Miles und taucht am Ende des Flurs auf. »Woah! Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

»Das habe ich irgendwie auch«, flüstere ich.

Miles ergreift meine Hand, zieht mich ins Wohnzimmer und führt mich bis zum Sofa, wo ich die Augen wieder öffne und feststelle, dass auch hier kein Licht eingeschaltet ist. Miles setzt sich auf die Lehne, steif und aufrecht, und ich brauche eine Sekunde, bis mir klar wird, warum. Er trägt einen Smoking, der jedoch ein bisschen eng wirkt und offenbar seine Bewegungen einschränkt.

Ich schaue mich im Zimmer um, sehe auf dem Fußboden eine Decke und jede Menge Gläser mit brennenden Teelichtern darin. Rosenblätter sind überall verstreut, und aus dem Backofen in der Küche kommt ein köstlicher Duft.

»Das sieht alles wunderbar aus«, sage ich.

»Ja.« Miles rückt seine Fliege zurecht. »Ich habe ›Romantische Abende zu Hause‹ gegoogelt und bin den Anweisungen gefolgt.«

Ich unterdrücke ein Lächeln. Romantik zu googeln, ist typisch Miles. Aber immerhin hat er sich sehr viel Mühe gegeben, alles wunderschön umzusetzen.

»Mir gefällt dein Smoking.«

»Es sitzt ein bisschen enger als früher«, antwortet er und zieht am Saum. »Egal, wir werden jetzt ein Picknick veranstalten und einen Film gucken. Ich habe Camembert im Backofen. Ich dachte, damit wir in jeder Hinsicht dahinschmelzen.«

Ich lache auf und blinzele dabei eine ungewollte Träne weg.

»Edie, was ist passiert? Sogar in dem warmen Licht wirkst du blass.«

»Es geht mir gut«, versichere ich mit zitternder Stimme. »Ich habe nur eine unerwartete E-Mail von jemandem bekommen.«

»Von wem?«

Ich öffne den Mund, um es ihm zu sagen, fürchte jedoch, dass er dann lacht, weil ich damals an mich selbst geschrieben habe, oder – schlimmer noch – es womöglich lesen will.

»Von einer alten Freundin, die ich im Sommer nach meinem Schulabschluss kennengelernt habe. Wir haben zusammen in einem Ferienpark in Dorset gearbeitet.«

Es fällt ihm nicht auf, dass in jenem Jahr auch meine Mum gestorben ist.

»Ach so«, antwortet er. »Musst du zurückschreiben? Oder brauchst du einen Moment?«

Ich wische unter meinen Augen herum und versuche zu lächeln. Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken. Miles hat sich mächtig angestrengt, um all das hier für mich vorzubereiten.

»Nein, ist schon gut. Also, welchen Film hast du ausgesucht?«

»Love Story. Die Website hat empfohlen, eine Liebesgeschichte zu nehmen, und ich dachte, dieser Film sei perfekt.«

Ich kneife die Augen zu. Dieser Film ist schon an guten Tagen deprimierend, auch ohne diese E-Mail, die ich gerade bekommen habe.

»Was ist? Magst du den Film nicht?«

»Doch. Es ist nur … er ist ein bisschen traurig.« Was maßlos untertrieben ist.

»Ach, echt? Ist er nicht romantisch?« Er zieht ein langes Gesicht.

»Schon«, versuche ich ihn zu beruhigen. »Aber in dieser Geschichte wird jemandem das Herz gebrochen.«

»Oh, ich hätte wohl besser recherchieren müssen.« Er wirkt furchtbar enttäuscht, in diesem Smoking, dessen Nähte er jeden Moment zu sprengen droht.

»Wir können uns doch stattdessen Bridget Jones ansehen.«

Ich brauche etwas Lustiges und Herzliches und etwas, das mich von dem Gedankenstrudel in meinem Kopf ablenkt.

»Perfekt. Leg du den Film ein, ich hole den Käse aus dem Ofen, und dann können wir mit unserem romantischen Abend beginnen.«

Er steht auf wie ein Roboter. »Edie, hast du was dagegen, wenn ich mich umziehe? Ich hätte den Smoking vorher anprobieren sollen.«

»Zieh dich ruhig um. Und danke, dass du dir so viel Mühe gegeben hast.«

Er beugt sich vor und küsst mich. In dem Moment hören wir das unverwechselbare Geräusch von reißendem Stoff und zucken beide zusammen.

Miles schlurft hinaus, und wir müssen beide darüber lachen, wie albern er aussieht. Für einen Moment hebt das meine Stimmung, aber sobald er verschwunden ist, schießen die Gedanken an die E-Mail zurück in meinen Kopf.

»Verdammter Mist«, murmele ich und schließe die Augen.

Ich frage mich, ob ich diese E-Mail irgendwo tief in meinem Innern erwartet habe und deshalb so angespannt war bei der Vorstellung, fünfunddreißig Jahre alt zu werden.

Plötzlich wird mir ganz schwindelig, denn mir fällt ein, dass dies nicht die einzige E-Mail war, die ich an mich geschrieben hatte. In jenem Sommer waren noch ein paar weitere dazugekommen. Wann würde ich die wohl erhalten?

Kapitel 4

Damals

In dem Sommer, bevor ich mit der Uni anfing, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, mit Interrail zu reisen. Seit fast zwei Jahren war ich mit meinem Freund Scott zusammen, und der Gedanke, dass er und sein bester Freund einen Monat lang durch Europa fahren wollten, brach mir das Herz. Doch bei einer der vielen Gelegenheiten, als ich über die bevorstehende Trennung jammerte, lud er mich ein, mitzukommen, und ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Die winzige Schwierigkeit bestand darin, dass ich meine Eltern – die potenziellen Geldgeber für diese Reise – überzeugen musste, mich tatsächlich gehen zu lassen.

Trotz meiner überzeugenden Darlegung, welche kulturellen Erfahrungen ich sammeln würde und dass ich ihnen das Geld zurückzahlen könnte, wenn ich während des Studiums jobbte, waren meine Eltern nicht begeistert. Anfangs dachte ich, sie seien dagegen, weil sie mich als billige Arbeitskraft bei Porter’s ausbeuten oder mich im letzten Sommer vor der Uni unbedingt in ihrer Nähe haben wollten. Aber dann forderten sie mich auf, die ganze Aktion doch mal aus der Perspektive von Scotts Freund zu sehen, und wie er durch mich zum fünften Rad am Wagen wurde. Sie schlugen vor, dass ich mich darauf konzentrieren sollte, Geld für die Uni zu verdienen, und dann im darauffolgenden Jahr mit Scott zu verreisen. Es klang tatsächlich verlockender, eine Reise nur zu zweit zu machen und zum Beispiel Orte wie Venedig und Paris zu besuchen, die Städte der Liebe.

»Wenn ich es richtig verstehe, möchtet ihr, dass ich, statt zu verreisen, für euch bei Porter’s arbeite?«, hatte ich dennoch stöhnend erwidert.

Mein Dad wollte weiterreden, aber Mum legte die Hand auf seinen Arm, um ihn davon abzuhalten.

»Eigentlich finde ich, dass du nach Hartland’s gehen solltest. Der Sommer, in dem ich dort gearbeitet habe, hat mein Leben verändert.« Sie schaute zu Dad, und die beiden tauschten einen ihrer verliebten Blicke. »Lionel ist immer noch da und organisiert alles. Ich könnte ihn anrufen.«

Es war eine Geschichte, die ich schon unzählige Male gehört hatte: Mum lernte Dad kennen, als sie mit sechzehn am Empfang von Hartland’s Holiday Park arbeitete und Dad dort mit Freunden den Urlaub verbrachte. Mum ließ sich überreden, die Jury bei einem Wettbewerb zu spielen, in dem es darum ging, wer die knubbeligsten Knie hatte. Bei dem Wettbewerb mochte Dad zwar auf dem letzten Platz gelandet sein, aber er bekam ihre Telefonnummer, weshalb er stets sagte, dass er der eigentliche Gewinner gewesen sei.

Als ich klein war, fuhren wir oft in den Ferien dorthin. Es war ein besonderer Ort für unsere Familie. Aber als es mit der Firma bergauf ging, hatten meine Eltern plötzlich Geld für Urlaube im Ausland, und nach Westerly machten wir nur noch Tagesausflüge.

»Man kann nie wissen, vielleicht begegnest du dort deinem zukünftigen Ehemann, so wie es bei mir gewesen ist.«

Ich stöhnte. »Dem bin ich schon begegnet, und der macht eine Interrail-Tour.«

Mum und Dad wechselten einen Blick; sie brauchten nicht laut auszusprechen, was sie dachten.

»Ich bin mit Scott zusammengekommen, als ich sechzehn war – so alt wie du damals, Mum.«

Dad biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen.

»Und wenn Dad Interrail gemacht hätte, gehe ich jede Wette ein, dass du mitgefahren wärst.«

»Das hätte ich mir nicht leisten können. Und du kannst es auch nicht. Arbeite den Sommer über und verreise nächstes Jahr mit Scott. Ich verspreche dir, dass du bei deinem Job in Hartland’s genauso viele Abenteuer erlebst.«

Ich hatte ein verächtliches Geräusch von mir gegeben. Aber wenn ich nicht einwilligte, hätten sie mich vermutlich dazu verdonnert, bei Porter’s zu arbeiten, und ich wollte nicht noch einen Sommer dort verbringen.

Als ich jedoch mit meinem Rucksack vor dem Ferienpark stand und das Schild über dem Eingang betrachtete, fragte ich mich, wie meine Eltern auf die Idee kamen, das hier sei auch nur annähernd vergleichbar mit einer Abenteuerreise durch Europa. Das T hing gefährlich schief an dem Schild, und ich fragte mich, ob das bezeichnend für den Rest von Hartland’s Ferienpark war, der vermutlich schon bessere Jahre gesehen hatte.

»Bist du sicher, dass du klarkommst? Wenn du willst, parken wir den Wagen und gehen mit rein.«

Meine Eltern standen neben dem Wagen und zögerten, wieder einzusteigen. Ich hingegen wäre am liebsten sofort ins Auto gesprungen und hätte ihnen gesagt, dass das Ganze ein Fehler war. Im Vorjahr mochte ich mich bei Porter’s zwar fast zu Tode gelangweilt haben, aber plötzlich wirkte eine so vertraute Umgebung ungemein anziehend. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich Angst haben würde, ohne meine Eltern hierzubleiben.

»Ich komme klar, ihr könnt fahren«, sagte ich tapfer. In ein paar Monaten würde ich an der Uni sein. Dann musste ich auch auf eigenen Beinen stehen.

»Also gut, aber falls etwas sein sollte – bis morgen Abend bleiben wir noch im Hotel. Und danach sind wir auch nur vierzig Minuten Fahrt entfernt«, versicherte Mum.

Dad fügte lächelnd hinzu: »Und denk dran, wir bezahlen die Rechnung für dein Handy, achte also darauf, dass wenigstens ein paar der Anrufe an uns gehen.«

Ich wollte unbedingt meinen Freiraum, ja, aber gleichzeitig mochte ich mich nicht von meinen Eltern trennen. Und obwohl ich das mit meiner ganzen Teenager-Coolness natürlich nie laut zugegeben hätte, grauste es mich, ohne die beiden zurechtkommen zu müssen.

Ich winkte, als die beiden in den Wagen stiegen, wandte mich dann um und ging durch das offene Tor in Richtung des Bürocontainers mit dem Empfang. Als Kind hatte ich Hartland’s als einen magischen Ort empfunden, nicht nur, weil sich meine Eltern dort ineinander verliebten, sondern auch, weil man an jeder Ecke Spaß haben konnte. Nun stellte ich überrascht fest, wie klein und wenig glamourös die Anlage wirkte – ganz anders als in meinen Erinnerungen oder auf der Website.

Hinter dem Empfangstresen saß ein junges Mädchen etwa in meinem Alter. Ihr glattes blondes Haar war so stark gestuft, dass es an den Rändern fast stachelig aussah, und sie trug ein leuchtend rotes T-Shirt mit einem Namensschild: Elizabeth.

»Kann ich dir helfen?«, fragte sie und musterte mich von oben bis unten.

»Ähm, ja, ich bin eine neue Mitarbeiterin, Edie Porter.«

Erneut taxierte sie mich ausgiebig, wirkte jedoch nicht beeindruckter als beim ersten Mal.

»Ich habe irgendwo eine Liste. Ah, da ist sie ja. Edith?«

»Ja, aber alle nennen mich Edie.«

»Gut. Also, Edith, hier ist dein Schlüssel.«

Sie legte ihn auf den Tresen, holte dann die Fotokopie eines Lageplans hervor und zeichnete einen großen Kreis darauf. »Anscheinend wohnst du mit Sophie und mir zusammen. Hoffentlich bist du ordentlicher als sie.« Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu.

Ich hatte zwar kein Willkommenskomitee erwartet, aber zumindest ein freundliches Lächeln.

»Muss ich noch irgendetwas wissen? Sehe ich Lionel heute oder …?«

Elizabeth schaute auf eine Weise hoch, als würde es ihr Schmerzen bereiten.

»Du triffst ihn um sechzehn Uhr beim Teammeeting. Es findet im Personalraum im unteren Teil der Personalunterkunft statt.«

»Danke … Elizabeth, richtig?«

»Für dich, ja!«

Ich schnappte mir Schlüssel und Plan und verließ den Empfang, mein Bedarf an Fragen war gedeckt. In der Hoffnung, dass meine Eltern noch da wären, spähte ich zur Straße, aber sie waren bereits gefahren.

»Du siehst aus, als würdest du am liebsten Reißaus nehmen wollen«, sagte ein Mann mit schottischem Akzent zu mir. Er trug das gleiche leuchtend rote T-Shirt wie Elizabeth und dazu eine Muschelkette um den Hals. Seine recht langen hellbraunen Haare waren an den Spitzen blond, und ich fragte mich, ob das von der Sonne kam oder ob er sie gefärbt hatte. Ich schätzte ihn ein bisschen älter ein als mich, aber nicht viel.

»Ist das so offensichtlich?« Ich war den Tränen nahe und kämpfte mühsam dagegen an.

»Ach, sag nicht, du hattest gerade ein Zusammentreffen mit Miss Randall-Perry. Auch bekannt als Elizabeth und nur Elizabeth. Keine Sorge, wie beißen nicht alle so wie sie. Was hast du angestellt – sie Liz genannt, Lizzie oder Beth? Sie billigt keine Abkürzungen von Namen.«

»Nichts davon. Sie hat festgestellt, dass ich mit ihr zusammenwohne.«

Er zuckte zusammen und verzog das Gesicht. »Kein Wunder, dass du versucht warst, zu fliehen«, sagte er dann lachend. »Komm mit, ich zeige dir, wo du wohnst. Ich heiße übrigens Douglas.«

»Nicht Doug oder Dougie, nur Douglas?«

»Oh, bitte, ich bin doch nicht wie Elizabeth! Aber ja, nur Douglas. Früher haben die Leute versucht, mich Doug zu nennen, aber das passt einfach nicht zu mir.«

»Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Edie.«

Er schüttelte meine Hand und bestand darauf, mein Gepäck zu tragen. Während wir durch die Anlage gingen, gab er Kommentare zu den einzelnen Bereichen des Geländes ab. Er wies mich auf die Wohnwagen hin, in denen jene jungen Leute untergebracht waren, die den meisten Lärm veranstalteten, auf das Freizeitzentrum, die schicken Bungalows in Strandnähe. Er erzählte mir, dass der Nachtdienst die beste Schicht sei und die übelste die, wenn die Mülltonnen geleert werden mussten. Douglas war eine echte Fundgrube an Informationen, aber je mehr er mir von dem Leben auf dem Campingplatz erzählte, desto abschreckender klang der Job. Was war mit dem Spaß, den Mum versprochen hatte?

»Da wären wir«, sagte er, als wir ein Gebäude erreichten, das aussah wie ein Motel aus den 1950er-Jahren. Es gab drei Etagen, mit Außengängen vor den Wohnungstüren. »Den Personalraum findest du dort hinten. Und hier ist übrigens mein Zimmer – solltest du dir vielleicht merken«, fügte er mit frechem Augenzwinkern hinzu.

»Douglas, baggerst du etwa schon wieder eine Mitarbeiterin an?«, rief eine junge Frau, die über das Geländer gelehnt zu uns herabschaute.

»Aber nicht doch. Wie könnte ich, wo es doch gegen den Ethikkodex im Handbuch für das Personal verstößt!«, rief er nach oben und wandte sich dann wieder mir zu. »Aber wann haben Regeln jemals jemanden von etwas abgehalten?«

»Douglas!«, rief die Frau erneut.

»Das ist deine andere Mitbewohnerin, Soph.« Er seufzte und verbeugte sich theatralisch. »Ich überlasse dich ihren fähigen Händen.«

Dann ging er, und ich stieg die Treppe hinauf.

»Beachte Douglas nicht, es sind nicht alle Jungs, die hier arbeiten, so unverbesserlich wie er. Du wirst dich an ihn und seine Art gewöhnen. Ich kenne ihn schon seit Jahren, er ist der Freund meines Cousins Joel, sie waren zusammen im Internat. Hast du einen festen Freund?« Im Gegensatz zu Elizabeth hatte die junge Frau ein breites, einladendes Lächeln.

»Ja, er heißt Scott.«

»Gefällt mir. Meiner heißt Billy. Na ja, er ist nicht mein fester Freund, wir sind nicht ausschließlich miteinander unterwegs und so, du weißt schon. Er spielt in einer Band. Sie treten Freitagabend hier auf, dann siehst du ihn. Ich bin übrigens Soph.«

»Edie.«

»Freut mich.« Sie hakte sich bei mir unter und zog mich durch eine der offenen Türen. »Komm und schau dir unsere Wohnung an.«

Ich hatte zwar nicht das Ritz erwartet, aber nun fand ich mich in einem Flur wieder, dessen Wände aussahen wie aus Pappe. Von jeder Seite gingen zwei Türen ab, und am Ende des Ganges stand ein schmaler Kühlschrank, auf dem gefährlich instabil eine Mikrowelle thronte. Das Ganze als Wohnung zu bezeichnen, schien mir etwas übertrieben.