Gib mir ein Herz - Anna Bell - E-Book
SONDERANGEBOT

Gib mir ein Herz E-Book

Anna Bell

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit Herz, Humor und Instagram: Im humorvollen Liebesroman »Gib mir ein Herz« der britischen Bestseller-Autorin Anna Bell führt die junge Izzy ein Doppelleben – Fallstrick für die Liebe inklusive. Seit dem Tod ihres Bruders, den sie noch immer schmerzlich vermisst, führt Izzy ein Doppelleben: Auf Instgram ist sie erfolgreich und glücklich, ihr Alltag jedoch sieht ganz anders aus. Die tollen Klamotten, die sie auf ihren Fotos trägt, kann sie sich gar nicht leisten und gibt sie nach den Aufnahmen zurück. Deshalb ist sie auch einverstanden, als ihr der attraktive Luke vorschlägt, mit Hilfe einer Fake-Beziehung gemeinsam als Influencer Karriere zu machen. Ist auf Instagram nicht ohnehin alles Show? Doch dann begegnet Izzy Aidan, der so ganz anders ist als Luke, ihre Interessen und ihren Humor teilt. Stück für Stück erobert Aidan Izzys Herz, und plötzlich wird ihr Doppelleben auf eine harte Probe gestellt: Wie soll sie ausgerechnet einem Social-Media-Gegner erklären, was sie da treibt? Gar nicht, beschließt Izzy – mit fatalen Folgen … Liebe und Humor gehören für die Engländerin Anna Bell einfach zusammen, natürlich gekrönt von einem gut gemachten Happy End. Auf Deutsch sind die folgenden humorvollen Liebesromane der Bestseller-Autorin erschienen: • Eigentlich bist du gar nicht mein Typ • Hochzeits-Trilogie (Sag einfach nur ja / Er muss ja nicht alles wissen / Ich würd's wieder tun) • Perfekt ist nur halb so schön • Auf dich war ich nicht vorbereitet

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 482

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anna Bell

Gib mir ein Herz

Roman

Aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Seit dem Tod ihres Bruders, den sie noch immer schmerzlich vermisst, führt Izzy ein Doppelleben: Auf Instagram ist sie erfolgreich und glücklich, ihr Alltag jedoch sieht ganz anders aus. Die tollen Klamotten, die sie auf ihren Fotos trägt, kann sie sich gar nicht leisten und gibt sie nach den Aufnahmen zurück.

Deshalb ist sie auch einverstanden, als ihr der attraktive Luke vorschlägt, mit Hilfe einer Fake-Beziehung gemeinsam als Influencer Karriere zu machen. Ist auf Instagram nicht ohnehin alles Show?

Doch dann begegnet Izzy Aidan, der so ganz anders ist als Luke, ihre Interessen und ihren Humor teilt. Stück für Stück erobert Aidan Izzys Herz, und plötzlich wird ihr Doppelleben auf eine harte Probe gestellt: Wie soll sie ausgerechnet einem Social-Media-Gegner erklären, was sie da treibt? Gar nicht, beschließt Izzy – mit fatalen Folgen …

Liebe und Humor gehören für die Engländerin Anna Bell einfach zusammen, natürlich gekrönt von einem gut gemachten Happy End.

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Danksagung

 

 

 

 

Für Evan, auf den ich mit jedem Tag stolzer werde.

Prolog

Wenn ich gewusst hätte, dass ich Ben an jenem heißen Tag im April zum letzten Mal sehen würde, hätte ich mir mehr Mühe gegeben, etwas Tiefsinniges zu ihm zu sagen. Ich hätte ihm gesagt, dass ich ihn liebe. Und wie sehr ich unsere vielen Streitereien über Kleinigkeiten bedaure. Dass er ein größerer Teil von mir geworden war, als ich je für möglich gehalten hätte. Ganz sicher hätte ich ihm nicht gesagt, dass sein Geschmack bei Verlobungsringen unterirdisch ist und er so langsam eine Stirnglatze bekommt. Aber andererseits – wenn ich gewusst hätte, dass ich ihn zum letzten Mal sehen würde, hätte ich ihn an jenem Nachmittag gar nicht gehen lassen und somit auch kein sentimentales Zeug sagen müssen.

Er war mit mir zu diesem exklusiven Juwelier gegangen, an dessen Schaufenster ich mir normalerweise nur schmachtend die Nase platt drückte. Nie hätte ich mich getraut, hineinzugehen, geschweige denn, mir vorzustellen, dass ich, Izzy Brown, je einen dieser irrsinnig teuren Ringe anziehen würde.

»Heilige Scheiße«, entfuhr es mir, und ich schlug verlegen die Hand vor den Mund. Zum Glück war der Mann hinter der Theke vornehm genug, um so zu tun, als hätte er das nicht gehört. »Bist du sicher, dass der Stein groß genug ist?«

Ich hielt den Diamanten gegen das Licht und erblindete fast in dem funkelnden Glanz. Der Ring war wunderschön, aber viel zu protzig.

»So groß ist er nun auch nicht«, erwiderte Ben. Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, weil ihm offenbar bewusst wurde, was hier gerade passierte. Oder er hatte das Preisschild gelesen. »Er soll etwas Besonderes sein.«

»Das ist zu viel des Guten.« Ich schüttelte den Kopf und streifte den Ring wieder ab. »Ihr würde etwas Dezenteres besser gefallen.«

»So in der Art?«, fragte Ben und zeigte auf einen anderen, genauso auffälligen Ring.

Ich erschauerte, nicht etwa, weil er hässlich war, sondern weil es genau so ein Ring war, mit dem Cameron mir in meiner Fantasie einen Antrag machte. Natürlich würde er nie in dieses Geschäft gehen. Er würde nach Antwerpen fliegen, den perfekten Diamanten kaufen und ihn dann einfassen lassen. Genau das hatten nämlich die wenigen verheirateten Börsenmakler getan, die er kannte, und Cameron wich nicht gern von der Meute ab.

»Meiner Meinung nach würde ihr etwas gefallen wie …« Ich ging bis zum anderen Ende der Vitrine, und mein Blick fiel auf das perfekte Schmuckstück. »… wie der hier.«

Ich starrte auf den Platinring mit dem leuchtend blauen Saphir, flankiert von winzigen Diamanten. Er war elegant, aber dezent und dadurch keineswegs weniger besonders. Der Ring war genau das, wonach Ben suchte.

Er folgte mit den Augen meinem ausgestreckten Zeigefinger, betrachtete den Ring, schaute dann zu mir und begann zu lächeln.

»Wahnsinn! Das ist er.«

Der Mann hinter der Theke holte ihn aus der Vitrine, damit ich ihn anprobieren konnte. Er saß ein bisschen enger als der erste, passte aber. Ben sah beunruhigt auf das Preisschild, aber dann breitete sich Erleichterung in seinem Gesicht aus, weil sich alles noch innerhalb seines Budgets bewegte.

»Eine ausgezeichnete Wahl«, sagte der Verkäufer und ließ sich über den Schliff und die Reinheit der Diamanten sowie die Brillanz des Saphirs aus, aber ich merkte, dass Ben ihm gar nicht zuhörte. Er hatte seinen Ring gefunden und war glücklich. Genau wie ich – meine Hand hatte nie schöner ausgesehen. Ich spreizte die Finger und bestaunte das Funkeln im Licht. Geradezu magisch.

Der Mann hinter der Theke hüstelte, und ich schaute überrascht hoch.

»Ich müsste den Ring dann in die Schatulle legen«, sagte er.

»Aber natürlich«, erwiderte ich und streifte ihn ab. »Er ist wunderschön.«

Ben lächelte, als er dem Verkäufer seine Kreditkarte reichte – und einfach so hatte mein Bruder seinen ersten Schritt in Richtung Ehe gemacht. Im Prinzip war es eher der zweite Schritt, denn er hatte sich schon ein paar Jahre zuvor mit einem Ring aus einem Knallbonbon verlobt. Damals versprach er seiner Liebsten, dass sie eines Tages einen richtigen Ring bekommen würde, und da er kürzlich befördert worden war, löste er sein Versprechen nun ein.

»Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich tust«, sagte ich und hakte mich bei ihm ein, als wir den Laden verließen.

»Wir sind seit drei Jahren verlobt, so groß kann der Schock doch nicht sein.«

»Ich weiß, aber auf einmal ist es so real! Du hast einen richtigen Ring, und ihr werdet ein Datum festlegen. Das ist eine Riesensache. Wir sollten es feiern.«

»Ich wollte eigentlich direkt zurück zum Bahnhof. Ich laufe nur ungern mit diesem Juwel in London herum.«

Ben presste seinen Rucksack fest an die Brust. Er trug ihn vorn und sah aus wie ein waschechter Tourist.

Ich holte mein Handy hervor und las eine Nachricht.

»Cameron geht ins Founder’s Arms, von hier aus ist das direkt gegenüber auf der anderen Flussseite. Lass uns doch auch hingehen und was mit ihm trinken, bevor ich dich zurück zur Waterloo Station bringe.«

Ben schaute auf seine Armbanduhr, und ich merkte ihm an, dass ihm nicht wohl dabei war. Andererseits hatte ich ihn seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Dieser Nachmittag war nur so verflogen, und wir hatten uns eine Menge zu erzählen.

»Okay, aber die Getränke gehen auf dich, denn ich werde mir wohl nie wieder einen Drink leisten können.«

»Ben, du verschuldest dich doch hoffentlich nicht wegen des Rings? Eine Hochzeit ist nicht gerade billig und –«

»War nur ein Scherz.«

»Gut.« Erleichtert atmete ich auf. »Aber natürlich gebe ich dir zur Feier des Tages einen aus. Außerdem kann ich es kaum erwarten, dass du Cameron kennenlernst.«

»O ja, den berühmten Cameron. Auf den bin ich echt gespannt.«

Es fühlte sich seltsam an, dass sich die beiden bisher nie begegnet waren, aber mein Leben in London schien sehr weit weg zu sein von meiner Familie und den Freunden daheim in Basingstoke. Es war zwar nur eine Stunde Fahrt mit dem Zug dorthin, aber so, wie Cameron auf meinen Vorschlag reagierte, meine Heimatstadt zu besuchen, hätte man meinen können, ich stammte aus Timbuktu. Vermutlich fürchtete er, zu Staub zu zerfallen, wenn er den Großraum London verließ, ähnlich wie bei einem Vampir, der seine nächtlichen Gefilde verlässt.

Während wir durch die leeren Straßen liefen, unterdrückte ich ein Gähnen. Während der Woche herrschte in dieser Gegend durch die vielen Leute, die im Finanzviertel arbeiteten, reger Betrieb, aber am Wochenende war es hier menschenleer.

»Spät geworden?«, fragte Ben.

»Ziemlich, aber es ist eine dieser Wochen, in denen es jeden Abend spät wird.«

»Ich weiß nicht, wie du das durchhältst. Ich schaffe es mittlerweile kaum noch, wenigstens am Wochenende auszugehen.«

»Das passiert, wenn du alt und sesshaft wirst. Du hast eine Hypothek, bist verheiratet, und als Nächstes gehen dir wie Dad die Haare aus.«

Er fuhr sich durchs Haar. »He! Ich bin gerade mal zwei Jahre älter als du, und noch bekomme ich keine Glatze. Und ich bin nicht einmal offiziell verlobt.«

Ben war seit fünfzehn Jahren mit seiner Verlobten Becca zusammen. Die beiden hatten sich in der Schule kennengelernt und waren für mich wie ein altes Ehepaar. Für meine Mum war diese Warterei, bis sie sich endlich einen bombastischen Hut als Mutter des Bräutigams zulegen konnte, die pure Folter, und ich harrte ungeduldig auf meinen Auftritt als Brautjungfer.

»Heißt das etwa, dass du ihr noch mal einen Antrag machen musst?«

»Keine Ahnung. Verdammt, muss ich das? Das war doch der Punkt bei dem Knallbonbon-Ring. Es sollte witzig sein und fertig aus.«

»Das wäre es gewesen, wenn du kurz darauf einen echten Ring präsentiert hättest. Aber nach drei Jahren … Meiner Meinung nach musst du es wiederholen, und mit so einem Ring sollte es richtig romantisch ablaufen.«

Er stöhnte.

»Keine Sorge, ich helfe dir bei der Planung.«

Als wir bei dem Pub auf der anderen Flussseite ankamen, stand unser raffinierter Plan für einen romantischen und gleichzeitig persönlichen Antrag bereits. Ich hatte ein paar Freudentränen vergossen, und Ben war mir wieder einmal dankbar dafür gewesen, dass ich ihm unter die Arme griff.

Wir trafen vor Cameron und seinen Freunden im Pub ein, bestellten Drinks und nahmen sie mit hinaus auf die Terrasse. Dort fanden wir tatsächlich einen gerade frei gewordenen Tisch, der noch nicht einmal abgeräumt worden war.

»Machst du ein Foto von mir?«, fragte ich und schaute über die Themse mit St. Pauls auf der anderen Seite.

Ich wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern reichte Ben mein Handy und nahm eine Pose vor dieser Kulisse ein.

»Ist das für deinen Insta-Account? Scheint echt gut zu laufen. Über 500 Follower?«, fragte er.

»Ich weiß. Unglaublich, oder?«

»Ich habe dir ja gesagt, dass ich ein gutes Gefühl bei der Sache habe«, sagte er und schoss ein paar Fotos. Er überprüfte kurz sein Werk, bevor er mir das Handy mit einem Nicken zurückgab. »Nicht schlecht.«

Ich schaute mir die Bilder selbst an und war ziemlich beeindruckt. »Perfekt, das kann ich später mit den entsprechenden Hashtags posten.«

»Rutsch rüber, Zoella«, sagte er und nippte an seinem Drink.

»So berühmt werde ich wohl nie werden. Aber es ist ganz schön, wieder etwas Kreatives zu tun. Und man kann nie wissen, vielleicht gelingt mir dadurch der Eintritt ins Marketing oder die PR, wenn ich den Agenturen zeige, dass ich weiß, wie man eine Marke aufbaut.«

»Immer noch kein Glück an der Job-Front?«

Ich schüttelte den Kopf. Seit meinem Abschluss an der Uni arbeitete ich als Texterin bei einer Werbeagentur, die sich auf medizinische Produkte spezialisiert hatte. Eigentlich hatte ich von einer glanzvollen Karriere in der Werbung geträumt, mit vielen Cocktails und piekfeinen Partys à la Mad Men. Aber die Realität war alles andere als glamourös. Am Anfang störte mich das weniger, da ging es vor allem um den Gehaltsscheck und darum, wo die nächste Party stattfand, aber mittlerweile war ich älter und wollte meine Karriere in Schwung bringen. Nach fünf Jahren als Werbetexterin für Hämorrhoiden-Salbe steckte ich jedoch in der Schublade für Medizinprodukte fest und sehnte mich nach einer Arbeit, deren geistige Ergüsse nicht nur von verzweifelten Menschen gelesen wurden, die unter Hämorrhoiden litten.

»Ich glaube, mit dieser Instagram-Sache bist du an etwas dran. Nach allem, was ich in deinem Feed gesehen habe, bist du ein Naturtalent. Damit kannst du bestimmt schon bald deinen Lebensunterhalt verdienen.«

Ich lachte herzhaft. »Hast du eine Ahnung, wie schwierig das ist?«

Ben zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Und ich bin stolz auf dich, weil du es versuchst.« Er stieß mit mir an.

»Und ich bin stolz auf dich, weil du endlich heiraten wirst. Kann ich den Ring noch einmal sehen?«, fragte ich und klatschte in die Hände.

Er schaute sich um, ob irgendjemand zusah, und beugte sich dann über seinen Rucksack, dessen Träger er um seine Wade gelegt hatte. Er zog die kleine Schatulle heraus, klappte den Deckel auf und zeigte ihn mir.

»Wow, er ist noch schöner, als ich ihn in Erinnerung hatte«, schwärmte ich und bestaunte den Ring sehnsüchtig. »Darf ich ihn noch mal anziehen?«

»Warum nicht? An deinem Finger ist er vermutlich sicherer als in meiner Tasche«, antwortete Ben, nahm den Ring und steckte ihn mir an.

Ich streckte die Hand aus und fühlte mich plötzlich so … vollständig. Die Leute am Nachbartisch begannen zu applaudieren. Ich wandte den Kopf zu ihnen, um zu sehen, was sie beklatschten, und brauchte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, dass alle Ben und mich anstarrten.

»Herzlichen Glückwunsch!«, rief einer uns zu, und alle erhoben ihre Gläser.

»Was zum … Oh, nein, so ist das gar nicht. Er ist mein Bruder«, stellte ich leicht entsetzt klar und wollte den Ring schnell wieder abziehen, bekam ihn aber nicht vom Finger.

Das Klatschen verebbte, und die Leute wirkten ein bisschen verlegen.

»Ich habe ihn nur anprobiert«, fügte ich verlegen hinzu und zerrte noch heftiger an dem Ring, aber er saß bombenfest.

»Na, hoffentlich läuft der richtige Antrag besser ab«, knurrte Ben und trank einen großen Schluck.

»Äh, vorausgesetzt, ich kann dir den Ring zurückgeben …« Ich hielt meine Hand hoch. Der Finger ähnelte einem prallen Würstchen und war bestimmt doppelt so dick wie normal.

»Das soll ein Scherz sein, oder?« Ben lachte angestrengt, bis er merkte, dass ich nicht mitlachte. »Izzy!«

Ich zuckte zusammen. »Tut mir leid. Er geht nicht ab.« Ich zog mit aller Kraft.

»Hör auf«, zischte er und verzog das Gesicht. »Du machst ihn noch kaputt.« Er atmete hörbar ein und stand auf. »Eis. Du musst ihn kühlen. Dann schrumpft dein Finger«, schlug er vor.

»Ich kann ihn in meinen Cidre stecken«, sagte ich und machte Anstalten, genau das zu tun.

»Wag es ja nicht! Dann wird er klebrig. Nicht bewegen, ich hole Eis von der Bar.«

Nicht bewegen, murmelte ich und betrachtete meinen weiter anschwellenden Finger.

»Izzy!«, rief jemand, und als ich hochschaute, entdeckte ich Cameron und ein paar seiner Arbeitskollegen, die mit Gläsern in den Händen auf die Terrasse hinauskamen. »Ich wusste nicht, dass du schon hier bist, sonst hätte ich dir auch einen Drink mitgebracht«, sagte er, setzte sich neben mich und hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Und? Wie lief der Verlobungsring-Einkaufsbummel?«

»Ziemlich gut«, antwortete ich und hob meine Hand. »Ich dachte, ich erspare uns die Mühe und bring die Sache mal in Gang.«

Eigentlich wollte ich nach dieser Bemerkung loslachen, weil ich annahm, dass er das auch tun würde, aber seine Miene gefror förmlich.

»Äh, Izzy, ich weiß ja nicht, wie du darauf kommst, aber ich denke nicht, dass wir schon an dem Punkt sind, oder? Ich meine, wir wohnen schließlich nur zusammen, weil du in Balham gelebt hast und ich mich nicht über Zone 2 hinausbewege. Du weißt doch, wie viel du mir bedeutest und all das –«

»Prosecco aufs Haus«, unterbrach eine Kellnerin Camerons Redefluss. »Für das glückliche Paar. Wie ich hörte, habt ihr beide euch gerade verlobt.«

Cameron starrte die Kellnerin entsetzt an, und der letzte Rest Farbe wich aus seinem Gesicht. Ich riskierte einen Blick zu seinen Arbeitskollegen, die sich anstrengten, überallhin hinzuschauen, nur nicht zu uns. Alle außer Tiffany, die mich mit zusammengepressten Lippen und verengten Augen fixierte. Ich vermutete schon lange, dass sie auf Cameron stand, auch wenn er es leugnete.

»Genau genommen haben wir das nicht«, sagte ich gedemütigt. »Es ist alles ein Missverständnis. Ich habe für meinen Bruder einen Ring anprobiert und bekomme ihn nicht mehr ab.«

»Ach so«, erwiderte die Kellnerin sichtlich gleichgültig. »Ihr könnt den Prosecco trotzdem haben, er wird sowieso vom Chef ausgebucht.«

Sie stellte das Tablett mit der Flasche und den Gläsern auf unseren Tisch, und ich murmelte ein Dankeschön.

»Hier ist das Eis.« Ben kam angestürmt und stellte eine Schale vor mich hin. Er schnappte sich meine Hand und tauchte sie hinein.

»Verdammt, ist das kalt!« Ich zuckte zusammen, und meine Finger wurden bereits taub. »Wie lange muss ich sie da drin lassen?«

»Keine Ahnung.« Ben war immer noch panisch. »Bis der Ring abgeht?«

Er schaute zur Seite und entdeckte erst jetzt Cameron, der schweigend dasaß.

»Cameron, das ist mein Bruder Ben, Ben, das ist mein Freund Cameron, oder zumindest glaube ich, dass er noch mein Freund ist, aber er ist ganz sicher weit davon entfernt, mein Verlobter zu sein«, stellte ich die beiden vor.

Sie murmelten Hallo und schüttelten sich die Hände, beide ziemlich abgelenkt: Ben wegen des Rings an meinem Finger, und Cameron wegen des Gesprächs, das wir gerade geführt hatten.

Ich zog die Hand aus der Schale, und zu meiner und Bens Erleichterung ließ sich der Ring jetzt abstreifen.

Ben drückte ihn zärtlich an sich wie ein neugeborenes Baby, trocknete ihn behutsam mit seinem T-Shirt ab und legte ihn dann zurück in die Schatulle, die er sofort in die Sicherheit seines Rucksacks beförderte.

»Dann ist es also dein Ring?«, wandte sich Tiffany sichtlich aufatmend an Ben.

»Ja, und ich denke, ich sollte ihn nach Hause bringen, bevor ihm noch etwas zustößt«, sagte er und stürzte den Rest seines Cidres in einem Schluck hinunter. »Wenn du also nichts dagegen hast, Izzy?«

»Natürlich nicht«, log ich.

Ich stand auf und umarmte ihn kurz. Ben verabschiedete sich flüchtig von den anderen und eilte davon, seinen Rucksack fest an sich gepresst.

Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

 

Zwei Wochen nach dem Vorfall im Pub war ich gerade auf dem Weg zur Arbeit, als mein Handy klingelte. Ich sah die Nummer meiner Mutter und fragte mich, ob sie aus Versehen an die Kurzwahltaste gekommen war, denn so früh rief sie normalerweise nie an. Als ich mich meldete, hörte ich nur ein seltsames Rauschen und wollte schon auflegen, als mir klar wurde, dass meine Mum schluchzte. Schließlich nahm ihr wohl mein Dad das Telefon aus der Hand, und als er sprach, erkannte ich kaum seine Stimme. Sie war leise und schwach, völlig anders als sein üblicher Bass.

»Izzy, sitzt du gerade? Es ist etwas Furchtbares mit Ben passiert.«

Sofort redete ich drauflos, fragte, ob er einen Unfall gehabt habe und im Krankenhaus sei, bis mir auffiel, dass mein Dad verstummt war. Er musste gar nicht weiterreden, denn in dem Moment wurde mir klar, dass Ben nicht mehr lebte.

Alles um mich herum begann sich zu drehen, und mein Geist schien sich von meinem Körper zu lösen. Ich konnte hören, dass Dad mir Einzelheiten erzählte. Wörter stürmten auf mich ein – Herzstillstand … Herzrhythmusstörung … im Schlaf … –, aber mein Gehirn vermochte diese Informationen nicht zu verarbeiten. Ich war wie betäubt und stieß hervor, dass ich sofort nach Hause kommen würde.

Da ich mich in der Nähe der Paddington Station befand, bestieg ich den nächsten Zug nach Reading, in der Hoffnung, dort Anschluss nach Basingstoke zu haben. Normalerweise nutzte ich eine andere Verbindung, aber ich fühlte mich nicht in der Lage, während der Rushhour quer durch London zu fahren. Mein Körper schaltete in eine Art Überlebensmodus, ich setzte einen Fuß vor den anderen und war erstaunt, mich tatsächlich im richtigen Zug wiederzufinden.

Bis Reading gelang es mir, mich zusammenzureißen, aber dann traf es mich wie ein Schlag – als wäre ich frontal von einem Güterzug angefahren worden. Ich stand auf dem Bahnsteig und wusste nicht, wie ich meinen Anschlusszug finden sollte, konnte nur noch daran denken, dass ich Ben nie wiedersehen würde.

Meine Beine zitterten, das Handy glitt mir aus der Hand, und ich spürte nur noch, wie ich langsam zusammensackte.

»Hoppla!«, sagte ein Mann, fing mich unter den Armen auf und hielt mich fest. »Geht es Ihnen nicht gut?«

Mein Kopf dröhnte, und die Beine waren wie Wackelpudding.

»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte er noch einmal, aber seine Worte schienen aus weiter Ferne zu kommen.

Er hielt mich immer noch fest, und ich schaute ihn kurz an. Er trug ein schickes, blaues Hemd, das zu seinen Augen passte.

»Sprechen Sie Englisch?« Er dehnte jedes Wort und redete laut und deutlich.

»Ich, ähm, ja«, antwortete ich verwirrt.

»Sorry, Sie haben nicht reagiert, und da dachte ich … Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich jemanden anrufen?«

Ich schüttelte den Kopf. Es gab niemanden. Cameron war geschäftlich in New York. Ich würde ihn informieren, sobald ich bei meinen Eltern war. Es bestand keine Eile, in New York war es jetzt mitten in der Nacht, und von dort aus konnte er sowieso nichts tun. Ich dachte zurück an die einzige Begegnung zwischen Cameron und meinem Bruder, und mir wurde weh ums Herz – mein letzter Nachmittag mit Ben. »Ich bin unterwegs zu meinen Eltern und ich … ich weiß nicht, von welchem Bahnsteig der Zug nach Basingstoke abfährt.«

Ein Windzug pfiff durch den Bahnhof und wehte mir meine Locken ins Gesicht. Ich war mit feuchten Haaren aus dem Haus gegangen, hatte vorgehabt, sie unterwegs hochzustecken, aber dann vergaß ich es, und sie waren unkontrolliert getrocknet.

»Ihre Eltern«, sagte der Mann freundlich, »in Basingstoke. Okay, das bekommen wir hin.«

Er schaute hoch und überflog die Abfahrtstafel. Ich konnte nicht glauben, dass ich direkt darunter gestanden hatte und es nicht einmal merkte. Mein Verstand war wie benebelt.

»Also, Bahnsteig 4 um 9:52 Uhr. Sie haben noch zehn Minuten. Ich bringe Sie hin«, sagte er.

Erleichtert schloss ich die Augen. »Danke, ich …« Ich holte tief Luft. »Einfach danke.«

»Kein Problem, wirklich. Ähm, können Sie stehen? Sie wirken ein bisschen wackelig.«

»Ich glaube schon«, antwortete ich und konzentrierte mich darauf, ein- und auszuatmen.

Langsam zog er seine Arme zurück, und ich bewies erfolgreich, dass ich allein auf zwei Beinen stehen konnte – was uns offenbar beide überraschte. Wieder wurden mir die Haare ins Gesicht geweht, und ich versuchte, sie so gut wie möglich zurückzustreichen, aber einzelne Locken blieben an meinen tränenfeuchten Wangen kleben.

»Die scheinen Sie zu nerven«, sagte er und zog das Haargummi von meinem Handgelenk. Dann band er meine Haare zum unordentlichsten Haarknoten aller Zeiten zusammen, aber ich war ihm in dem Moment nur dankbar, dass er sie aus meinem Gesicht entfernte. Ich starrte auf den roten Abdruck, den das Gummi an meinem Handgelenk hinterlassen hatte, und fragte mich, warum ich nicht selbst daran gedacht hatte.

Er beugte sich nach unten, hob mein Handy auf und runzelte die Stirn.

»Das Display hat einen Sprung«, sagte er und reichte es mir.

Ohne es mir anzusehen, steckte ich es in meine Handtasche.

»Die geringste meiner Sorgen«, erwiderte ich, und er nickte.

»Schaffen wir Sie in diesen Zug.«

Er umfasste meinen Ellbogen, steuerte mich in Richtung eines Bahnsteigs und schien sehr darauf bedacht, mich nicht zu hetzen. Währenddessen versuchte ich verzweifelt, die Schleusentore zu meinen Gefühlen geschlossen zu halten.

Der Mann begleitete mich bis zur Mitte des Bahnsteigs und hielt mich die ganze Zeit fest. Als mein Zug eintraf und er mich hineinbegleitete, wurde mir klar, dass er nicht gehen würde.

»Aber Ihr Zug«, protestierte ich. »Sie müssen mich nicht nach Basingstoke bringen.«

Er führte mich zu einem freien Platz und setzte sich neben mich. »Ist okay, ich nehme einfach einen späteren Zug. Ich möchte sichergehen, dass Sie gut ankommen.«

»Ich schaffe das schon allein, wirklich.« Weiterhin gab ich mir Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

»Tun Sie nicht, und das ist auch nicht schlimm«, erwiderte er. »Ich sorge dafür, dass Sie zu Ihren Eltern kommen. Wohnen Sie in der Nähe des Bahnhofs, oder brauchen Sie ein Taxi?«

»Taxi«, brachte ich nur heraus. Er war so nett, dass es mich zu Tränen rührte.

»Gut, dann sorge ich dafür, dass Sie in ein Taxi steigen.«

Ich hörte auf zu protestieren und nickte, und dann begannen meine Tränen zu fließen. Ich weinte sein blaues Hemd nass, während er geduldig dasaß und mir Papierservietten reichte, die er sich vom Buffetwagen genommen hatte.

Ich bekam nicht einmal mit, dass wir unser Ziel erreicht hatten, bis er mich behutsam vom Sitz hochzog und aus dem Zug begleitete. Ich ging die Treppe hinunter in den Tunnel zum Hauptausgang, und es war mir völlig egal, wie ich gerade aussah. Der Mann führte mich zu den Taxis vor dem Bahnhofsgebäude.

»Schaffen Sie es von hier aus allein?«, fragte er und half mir beim Einsteigen.

Ich nickte. »Tue ich.«

Er beugte sich nach vorn zum Fahrer, reichte ihm eine 20-Pfund-Note und wies ihn an, mich zu der von mir gewünschten Adresse zu fahren.

»Sie hat doch nicht getrunken, oder? Ich habe keine Lust, dass ihr schlecht wird und ich nachher putzen kann«, knurrte der Fahrer.

»Nein.« Mein Retter schüttelte den Kopf. »Sie hatte nur einen ganz schlechten Start in diesen Tag.«

Er wandte sich mir zu und lächelte mit leicht geneigtem Kopf.

»Was auch immer Ihnen passiert ist, ich wünsche Ihnen alles Gute«, flüsterte er.

»Danke. Danke für alles«, stammelte ich. Und das war nicht im Mindesten angemessen für das, was er für mich getan hatte.

Er zuckte mit den Schultern. »Jeder andere hätte genauso gehandelt.«

»Ich weiß nicht einmal Ihren Namen.«

»Aidan«, sagte er mit sanfter Stimme.

»Danke, Aidan.«

»Passen Sie auf sich auf«, sagte er, richtete sich auf und schloss behutsam die Autotür.

»Wohin, junge Dame?«, fragte der Taxifahrer.

Ich nannte ihm die Adresse meiner Eltern, und er fuhr los. Ich drehte mich um und sah Aidan auf dem Bürgersteig stehen. Er winkte, und ich winkte zurück. Aber dann fiel mir wieder ein, dass Ben von uns gegangen war, und die restliche Fahrt erlebte ich wie in Trance.

Zwei Jahre danach

Willkommen im Mai

This_Izzy_Loves IGTV

Anzahl Follower: 15.300

 

Hallo! Ich bin zurück. Ich entschuldige mich bei allen, die mich in den letzten Tagen vermisst haben. Ich war mit meiner Familie verreist, und wir hatten uns entschieden, offline zu bleiben – ich weiß, ICH WEIß! Aber ich habe es überlebt und hatte viel Zeit, um mir wunderbare Dinge zu überlegen, die ich diesen Monat in meinen Feed stellen werde. Kann es kaum erwarten, alles mit euch zu teilen – hoffentlich einschließlich der Kooperation mit einer bekannten Marke. Drücke sämtliche Daumen und Zehen – während sie in Plastikfolie eingewickelt sind – Zwinker.

Kapitel 1

Es gibt jede Menge alberne Dinge, die ich nur getan habe, um sie auf Instagram zu posten und mehr Follower zu bekommen: an Restaurants vorbeizugehen, von denen ich weiß, dass einem bei deren Gerichten das Wasser im Mund zusammenläuft, und stattdessen mittelmäßige Lokale zu besuchen, weil deren Essen fotogener ist. Allein in South Bank zu stehen und zu posieren, als wäre ich Britain’s Next Top Model, während ich mich möglichst unauffällig per Fernauslöser ablichte. Meine Kreditkarte bis zum Limit auszuschöpfen, um das perfekte #OutfitDesTages zu kaufen, mich darin zu fotografieren und anschließend alle Sachen sofort wieder ins Geschäft zu bringen.

Aber in drei 20-Meter-Rollen Frischhaltefolie eingewickelt zu sein, um mir eine lukrative Marketingkampagne unter den Nagel zu reißen, schießt vermutlich den Vogel ab.

»Halten wir das wirklich für eine gute Idee?«, frage ich und starre auf die Rollen mit der Folie in Marissas Händen, als wären sie eine tödliche Waffe.

»Es ist sogar eine großartige Idee! Das wird fantastisch«, versichert sie. Logo, dass sie das sagen würde, schließlich war es ihr Einfall. »Es ist das perfekte Halloween-Kostüm und vermutlich auch das einfachste.«

»Werden die Leute denn kapieren, dass ich eines von Dexters Opfern bin? Ist diese Fernsehserie nicht vorsintflutlich?«

Mit einem wegwerfenden »tz-tz« wischt sie meinen Einwand beiseite und nähert sich mir mit entschlossener Miene. Sie ist so wild darauf, mich in diese Folie zu wickeln, dass ich mir ernsthaft Sorgen gemacht hätte, wenn sie nicht meine beste Freundin wäre, die ich praktisch schon mein ganzes Leben kenne.

»Also gut, halt still«, befiehlt sie mit einem Funkeln in den Augen.

Ich weiß, dass Protestieren zwecklos ist. Das einzig Positive, woran ich momentan denken kann, ist, dass mir dadurch vielleicht wärmer wird. Schließlich stehe ich hier zitternd und mit nichts bekleidet als einem trägerlosen, hautfarbenen BH und passendem Slip. Die Heizung hatte ich heruntergedreht, weil ich annahm, dass ich in meinem Folien-Outfit schwitzen würde. Das Stadium vor dem Einwickeln habe ich dabei nicht bedacht.

Marissa beginnt, die Folie um mich herumzuwickeln, Bahn für Bahn, fester und fester.

»Ist das wirklich ungefährlich? Bist du sicher, dass ich nicht ersticken kann?«

»Komm schon, wir haben das gecheckt. Google lügt nie, oder?«

»Haben wir denn exakt das gegoogelt? ›Kann ein Kostüm aus Frischhaltefolie tödlich sein?‹ Vielleicht hätten wir den Markennamen in Verbindung mit der konkreten Produktbezeichnung verwenden müssen. Wie nennen die es noch gleich? Irgendetwas mit Sowieso-Folie, oder?«

»Klarsichtfolie«, antwortet Marissa und beugt sich tiefer, um meine Taille zu umwickeln.

Ich versuche, an mein Handy zu kommen, um das zu überprüfen, aber Marissa schlägt meine Hand weg.

»Du bleibst ja nicht lange da drin. Wir müssen nur schnell ein paar Fotos machen.«

»Ein paar Fotos?«, frage ich lachend, und es klingt schrill.

Bei ein paar denkt man an zwei oder drei, aber für das perfekte Bild machen wir normalerweise fünfzig bis sechzig Aufnahmen. Zum Glück ist Marissa eine Instagram-Kollegin, sodass wir weit über die üblichen Pflichten einer besten Freundin auch noch Stylistin, Muse, Fotografin, Redakteurin und größter Fan der jeweils anderen sind.

Wir haben uns schon immer unterstützt. Als ich mit vierzehn in den Schulchor eintrat, schloss Marissa sich mir an, obwohl sie völlig unmusikalisch ist. Als sie mit sechzehn auf dieses Gothic-Zeug abfuhr, färbte ich mir die Haare schwarz und schwitzte den ganzen Sommer über in schwarzen Samtklamotten. Als ich mir mit achtzehn, bevor ich an die Uni ging, ein chinesisches Symbol in Höhe des Kreuzbeins auf den Rücken stechen ließ, hielt Marissa nicht nur meine Hand, sondern ließ sich dasselbe Tattoo an die gleiche Stelle tätowieren. Als ich dann nach Bens Tod zurück nach Basingstoke zog und eine ausgewachsene Instagram-Sucht an den Tag legte, dauerte es nicht lange, bis wir in alte Muster verfielen und sie ebenfalls abhängig wurde.

»Okay, weiter geht’s«, sagt sie, beugt sich noch tiefer und umwickelt meinen Hintern. »Wir kommen voran. Wie fühlt es sich an?«

»Wie in einer Zwangsjacke.«

»Perfekt. Sieht super aus.« Marissa schnappt sich die nächste Rolle.

»Die sind ganz schön schnell aufgebraucht«, stelle ich fest. »Ist mein Hintern wirklich so dick?«

»Ist eine Menge Folie, nicht wahr?«

»O Mist, denkst du, die Firma wird mir mangelndes Umweltbewusstsein ankreiden?«

Marissa hält inne und starrt auf die leeren Rollen am Boden. »Shit, daran habe ich nicht gedacht.«

Wir schauen beide an meinem Kostüm hinunter.

»Aber wenn du jetzt abbrichst und es nicht postest, haben wir die Rollen umsonst verbraucht, und das wäre schlimmer«, stellt sie fest.

»Du hast recht. Ich kann die Folie schlecht wiederverwenden«, stimme ich zu.

»Nein, du möchtest nicht noch andere Hühnerbrüste darin einpacken.« Marissa lacht schallend.

»Wenigstens sind die hier lebendig«, erwidere ich und schaue auf meine Brust, die so flach ist wie ein Pfannkuchen.

Sie macht weiter, und ich hoffe, dass mir die Sache mit der Umweltsünde keinen Punktabzug einbringt.

Schließlich tritt Marissa einen Schritt zurück. »Geschafft!«, verkündet sie, macht mit ihrem iPhone einen Schnappschuss und zeigt ihn mir.

»Wow, das sieht verdammt gut aus«, staune ich.

»Und jetzt das Blut«, kichert sie und zieht eine Schürze an. Entsetzt reiße ich die Augen auf. Das ist für meinen Geschmack eindeutig ein bisschen zu viel Dexter.

»Was denn?«, fragt sie, weil sie meinen Gesichtsausdruck wohl falsch interpretiert hat. »Ich möchte mir nicht die Jeans versauen.«

Marissa bedeutet mir, mich auf die Plastikplane zu legen, mit der wir mein schneeweißes Sofa abgedeckt haben. Derweil vermengt sie das klumpige Kakaopulver mit der Lebensmittelfarbe und sieht dabei aus wie eine Hexe, die in ihrem Kessel rührt. Dann beugt sie sich vor und streicht das Kunstblut fachmännisch auf meinen Bauch.

»Jetzt das Klebeband«, sagt sie und fesselt mir die Arme über dem Kopf. »Und das Messer«, fährt sie fort und zieht schwungvoll eines aus ihrer Tasche.

»Was zum –«, kreische ich, bis ich erkenne, dass die Schneide nicht glitzert und eindeutig aus Plastik ist.

»Kannst du dir vorstellen, dass so etwas immer noch hergestellt wird?«, fragt sie und schiebt die falsche Klinge scheinbar in meinem Bauch. In Wahrheit verschwindet sie jedoch im Griff.

»So ein Messer habe ich seit der Grundschule nicht mehr gesehen. Auf Spielplätzen sind die sicher nicht mehr erlaubt.«

»Gewiss nicht«, stimmt sie zu und klebt den Griff möglichst unauffällig an meinem Bauch fest.

»Ich glaube, du bist fertig«, sagt sie dann und zieht das Stativ heran. »Bereit?«

»Ähä.«

»Okay, zieh ängstliche Grimassen«, fordert sie mich auf und betätigt den Auslöser.

Sie schießt ein paar Fotos, überprüft sie in der Kamera und nimmt diese vom Stativ. »Sieht ziemlich gut aus. So werde ich mich verkleiden, wenn wirklich Halloween ist.«

Ich starre auf ihren sich andeutenden Bauch. »Ähm, dir ist schon klar, dass du dann im achten Monat schwanger sein wirst?«

»Stimmt.« Sie begutachtet ihren Bauch. »Das wäre wohl echt zu viel Folie.«

»Japp, genau das ist für eine Schwangere das Problem bei diesem Kostüm.«

»Was denkst du?«, fragt sie und hält die Kamera über meinen Kopf, damit ich die Fotos sehen kann.

»Super. Aber sollte mein Mund nicht besser zugeklebt sein?«

»Bist du dir sicher?«

»Ja, nur nicht zu fest aufdrücken!«

Als die Anfrage dieser Agentur einer bekannten Supermarktkette kam, schien ein Traum wahr zu werden. Sie suchten nach Influencern, die Ideen für Halloween-Posts auf Instagram haben. Die Vorgabe lautete, dass es in dem Post um Waren geht, die man in dem Supermarkt kaufen kann. Und mit ein bisschen Hilfe von Marissa, die irrsinnig neidisch darauf war, dass ich angesprochen wurde und sie nicht, kam ich auf diese »Mords«-Idee. Hoffentlich springen sie auf meine Idee an. Sie passt nämlich unheimlich gut zu meinem Konzept – bei mir dreht sich alles um einen erschwinglichen Lebensstil.

Die Schar meiner Follower auf Instagram ist in den letzten drei Jahren stetig gewachsen, und ich stehe kurz davor, mit gesponserten Posts Geld zu verdienen. Ich hoffe so sehr, dass sich meine monatlichen Einnahmen bald im dreistelligen Bereich bewegen! In meinen kühneren Träumen verdiene ich so viel damit, dass ich endlich den Job kündigen kann, den ich seit meiner Rückkehr nach Basingstoke habe. Oder dass ich zumindest aus der winzigen Wohnung mit dem muffigen Badezimmer ausziehen kann, die ich mir derzeit mit Bens Ex-Verlobter Becca teile. Aber momentan wäre ich schon zufrieden, wenn bei meinen Posts finanziell mehr herausspringt, als dass es nur die Materialkosten abdeckt, die sich in diesem Fall (Frischhaltefolie, Kakaopulver, Lebensmittelfarbe und Plastikmesser) auf etwa 15 Pfund belaufen.

Marissa reißt ein Stück Klebestreifen ab und drückt es mir vorsichtig auf den Mund.

»Okay?«

Ich will nicken, muss jedoch feststellen, dass ich bewegungsunfähig bin, und blinzele stattdessen zweimal. Hoffentlich versteht sie den neuen Code.

»Also schön.«

Mein Handy auf dem Tisch beginnt zu vibrieren und laut zu klingeln. Das ist entweder ein Vertreter oder meine Mutter, sonst ruft mich niemand auf diesem Ding an.

Marissa späht auf das Display. »Deine Mutter«, sagt sie und geht ran, ohne zu zögern.

»Hallo, Dawn, ich fürchte, Izzy kann momentan nicht sprechen, und ich meine das wörtlich … Nein, ich bin leider nicht vorwitzig, es ist kein Mann, der sie daran hindert … nein, sie ist immer noch solo … ja, soweit ich weiß, hat es seit Cameron niemanden mehr gegeben … ich habe ihr vorgeschlagen … und dass … ähm, aber Sie wissen ja, wie sie ist.«

Ich gebe durch das Klebeband dumpfes Protestgemurmel ab, um Marissa daran zu erinnern, dass ich auch noch da bin.

»Ja, dem Babybauch geht es gut, danke … das Schlimmste ist jetzt überstanden … mir ist nicht mehr schlecht … Ja, Dezember … Äh, ja, Tim ist überglücklich, dass er Vater wird … Ja, ich weiß von Mum, dass sie es Ihnen beim Zumba erzählt hat. Okay. Soll ich ihr sagen, dass sie Sie anruft, sobald es wieder geht? … äh … äh … genau, ja, hoffentlich sehen wir uns bald mal.«

Sie beendet das Gespräch und legt das Telefon zurück auf den Tisch, als wäre es das Normalste der Welt, mit meiner Mutter zu plaudern, während ich in Klarsichtfolie gewickelt hier liege.

»Du sollst deine Mum anrufen, wenn du wieder sprechen kannst.«

Ich blinzele zweimal als Zustimmung, und Marissa schnappt sich erneut den Fotoapparat. Sie macht noch ein paar Aufnahmen und begutachtet stirnrunzelnd das Ergebnis.

»Die sind ein bisschen dunkel.« Sie nimmt die Kamera vom Stativ und zeigt mir die Bilder. Zustimmend nicke ich.

»Ich hol schnell die Stehlampe aus dem Schlafzimmer.«

Marissa lässt mich allein, und ich starre an die Decke. Direkt über meinem Kopf hängt ein Spinnennetz. Ich suche es nach Lebenszeichen ab – oder Leichen, falls tote Fliegen darin hängen, denn das würde die Anwesenheit einer Spinne bedeuten. Falls nun eine direkt über mir lauert, sich von ihrem Netz auf mich herabfallen lässt, und ich nichts tun kann? Eine Gänsehaut kriecht mir den Nacken hinauf. Ich darf auf keinen Fall jemals bei Ich bin ein Star – holt mich hier raus! mitmachen, selbst wenn ich eine berühmte Instagram-Influencerin bin und sie versuchen, mich in die Show zu locken. Solange ich noch an meiner Bekanntheit arbeite, bin ich ja bereit, verrückte Dinge wie das hier zu machen, aber sobald ich berühmt bin, ist damit hoffentlich Schluss.

Ein klackerndes Geräusch verrät mir, dass jemand die Haustür aufschließt, und ich will mich aufrichten, aber Marissa hat so verdammt gute Arbeit geleistet, dass ich mich kaum rühren kann.

»Nicht reinkommen!«, schreie ich und stelle erstaunt fest, wie gut ich mich trotz zugeklebtem Mund bemerkbar machen kann – so viel zu Hollywood-Filmen. Meine verbale Warnung hält Becca aber nicht auf. Ich höre sie aufschreien, und im nächsten Moment beugt sie sich über mich. Sie schlägt sich die Hand vor die Brust und saugt hörbar die Luft ein.

»Was zum Teufel tust du hier? Du hast mich zu Tode erschreckt!«

Becca reißt das Klebeband von meinem Mund, das zum Glück quasi nur aufliegt, sonst wäre ich in den Genuss einer spontanen Oberlippenenthaarung gekommen. Becca verschränkt die Arme, und ihre Nasenflügel beben. Mit ihrem kantigen Bob und dem geraden Pony wirkt sie aus meinem Blickwinkel ziemlich grimmig.

»Wir … wir machen nur Fotos«, stottere ich.

»Jetzt sag bitte nicht, das ist eins von deinen Instagram-Fotoshootings.«

Marissa kommt ins Zimmer, und Becca zeigt mit dem Finger auf sie. »Du wirst aber nicht zu Sweeny Todd und verarbeitest Leichen zu Fleischpasteten, oder?«

»Nein, das mit dem Foodporn mache ich schon lange nicht mehr. Meine eigenen Feeds drehen sich jetzt um angehende Yummy Mummys – du weißt schon, diese attraktiven Frauen unter dreißig, die schon Mütter sind.«

Becca sieht mich vorwurfsvoll an. »Na schön, dann ist das also für dich. Blutrünstiges Instagram.«

»Aber es geht um einen möglichen Vertrag – also tatsächlich im Sinne von bezahlt. Es ist für Halloween.«

»Halloween ist erst in ein paar Monaten«, erwidert sie und stemmt die Hände in die Hüften.

»Ich weiß, aber die Agentur muss es ihrem Kunden präsentieren, und eine Präsentation zu entwickeln, braucht vermutlich Zeit«, erkläre ich.

»Eine kleine Vorwarnung wäre jedenfalls nett gewesen.«

»Donnerstags gehst du doch normalerweise zum Sport! Aber wenn du schon einmal hier bist, wie wäre es mit einem gemütlichen Mädelsabend?«

»Och nö«, stöhnt Marissa. »Ich habe eine tickende Zeitbombe in meinem Bauch und weiß noch, wie es bei meiner Schwester ausging. In wenigen Monaten bedarf es einer Planung wie bei einer Militäroperation, wenn ich nur das Haus verlassen will, ganz davon zu schweigen, mich mit euch allein zu treffen oder genug Energie zum Ausgehen zu haben. Lasst uns also lieber was trinken gehen. Heute ist der Durstige Donnerstag.«

Marissa hat für jeden Wochentag einen Namen, damit es einen Grund gibt, um die Häuser zu ziehen: Drink-freudiger Dienstag, Martini Mittwoch, Durstiger Donnerstag, Freier Freitag.

»So verlockend das auch klingt«, sagt Becca, »aber ich bin verabredet. Ich bin nur gekommen, um kurz zu duschen.«

»Eine Verabredung?«, fragt Marissa und zieht eine Braue hoch.

»Ja, mit Gareth.«

»Schon wieder. Schön für dich!«

Becca streicht sich das Haar hinter die Ohren, was nur noch mehr betont, wie rot ihre Wangen geworden sind.

»Du wirst dich wohl mit Phil & Kirsty im Fernsehen und Essen vom Lieferservice zufriedengeben müssen«, sage ich zu Marissa.

Sie verzieht das Gesicht. »Dann könnten wir doch am Wochenende losziehen«, erwidert sie schließlich.

Becca und ich wechseln einen kurzen Blick; wir wissen, dass wir verloren sind. Sobald sich eine Chance auftut, abends wegzugehen, lässt Marissa nicht mehr locker. Wir werden in High Heels und Pailletten auf die Piste müssen, ob es uns gefällt oder nicht.

»Freitagabend habe ich noch nichts vor«, sagt Becca und sieht ihre Post durch, die sie mit hereingebracht hat. Sie zieht einen Brief heraus und öffnet ihn.

»Da habe ich Cleo versprochen, mit ihr etwas trinken zu gehen«, erwidere ich.

»Ooh, die fand ich an deinem Geburtstag total nett. Wieso schließen wir uns nicht einfach an? Becca und ich können mit dem Zug nach Reading kommen, stimmt’s, Becca? Das wird ein super Abend. Wir motzen uns auf und gehen in eine dieser Cocktailbars.«

Jetzt bin ich mit Stöhnen an der Reihe. Das Beste daran, mit Cleo abends nach der Arbeit noch etwas trinken zu gehen, ist, dass ich mich schon früh verabschieden kann, weil sie glaubt, dass Basingstoke echt weit von Reading entfernt liegt. Ich habe sie nie darüber aufgeklärt, dass es in Wahrheit nur zwanzig Minuten mit einem der häufig verkehrenden Züge dauert, denn mein »langwieriges und anstrengendes Pendeln« ist eine wunderbare Ausrede, wenn ich keine Lust habe, mit den Kollegen etwas zu unternehmen. Bedauerlicherweise weiß Marissa, wann der letzte Zug geht, und sie kennt ein preiswertes Taxiunternehmen, das uns zu jeder Tages- und Nachtzeit nach Hause kutschiert.

»Ach, ich weiß nicht«, ziert sich Becca und rümpft die Nase. »Ich bin alt geworden und habe keine Lust, mir die Kante zu geben.«

»Du bist nur zwei Jahre älter als wir«, stellt Marissa klar. »Und hallo, ich bin schwanger, wenn also jemand die ›ich werde nichts trinken‹-Karte spielt, dann bin ich das. Niemand wird sich die Kante geben.«

»Na schön«, gibt Becca nach und seufzt. Dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Brief in ihrer Hand. Sie verzieht das Gesicht und legt ihn auf den Tisch. »Gasrechnung.«

Ich ziehe ebenfalls eine Schnute. Sieht so aus, als würde ich mir in den nächsten Wochen sowieso nicht viele Cocktails leisten können.

»Ich geh dann mal duschen«, sagt Becca. »Und wenn ich zurückkomme, sieht es hier hoffentlich nicht mehr aus wie ein Tatort bei CSI.«

Sie verlässt den Raum, und Marissa wendet sich mir zu. »Sie trifft sich wieder mit Gareth?«

»Japp. Ich glaube, das ist jetzt ihre dritte Verabredung.«

»Aha, es läuft also gut?«

»Scheint so. Sie hat mir nicht viel erzählt; ich glaube, es ist ihr ein bisschen unangenehm.«

Marissa nickt. »Hm, das dachte ich mir. Also, sollen wir noch ein paar Fotos machen?«

»Aber schnell. Phil & Kirsty warten nicht auf uns«, stimme ich zu und bin erleichtert, dass Marissa weiß, wann man das Thema wechseln sollte.

»Aber denk dran, noch deine Mum zurückzurufen.«

Ich nicke, während sie meine Fesseln kontrolliert.

»Es klang nicht besonders wichtig, irgendetwas mit Bananenbrot und Schokoladenkuchen backen.« Sie zuckt mit den Schultern, schnappt sich wieder ihre Kamera und legt los.

Ich zucke zusammen. »O Gott, sie backt zwei Kuchen?« Das ist kein gutes Zeichen. Je deprimierter sie ist, desto mehr backt sie.

»Anscheinend«, antwortet sie zwischen dem Betätigen des Auslösers.

»Shit! Denkst du, wir können Phil & Kirsty auf ein anderes Mal verschieben? Ich sollte besser zurückrufen und hören, ob alles in Ordnung ist.«

»Natürlich, mach schon.« Marissa legt die Kamera weg.

»Ich könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen«, erwidere ich und versuche erfolglos, meine Arme zu befreien.

Marissa beugt sich herunter, um mich auszupacken.

»Glaubst du, dass wir die perfekte Aufnahme schon haben?«

Vorsichtig wickelt sie die Folie ab und bemüht sich, möglichst kein Kunstblut zu verteilen.

»Mit ein bisschen Fotoshop-Magie bestimmt.«

In einer perfekten Welt würden wir noch ein paar Dutzend Fotos schießen. Und so gern ich mich auch von Instagram von der realen Welt ablenken lasse – manchmal kann man sie nur schwer ignorieren, wie in diesem Moment, als meine Mum mich braucht. Ich kann nur hoffen, dass eines unserer Fotos gut genug ist, damit ich als Influencerin die nächste Stufe erreiche – vorzugsweise noch rechtzeitig, um die Gasrechnung bezahlen zu können.

Kapitel 2

Während ich darauf warte, dass der Computer hochfährt, ziehe ich meine Strickjacke fester um mich. Heute ist es draußen zwar nicht besonders warm, aber aus irgendeinem Grund hat sich unser Büro entschieden, die Klimaanlage auf arktische Kälte einzustellen. Nach einer gründlichen Durchsuchung meiner Schreibtischschublade ziehe ich triumphierend einen Wollschal heraus, den ich seit letztem Winter nicht mehr benutzt habe.

»Was gäbe ich jetzt für fingerlose Handschuhe«, jammert Cleo und klappert mit den Zähnen, woraufhin ich laut lachen muss.

Ich liebe es, neben Cleo zu sitzen, sie macht meinen Job um vieles erträglicher.

Nach Bens Tod wollte ich näher bei meinen Eltern sein, also kündigte ich die verhasste Tätigkeit in der Werbeagentur, zog zurück in meine Heimatstadt und jobbe seither bei einer Versicherungsgesellschaft in Reading. Es sollte nur vorübergehend sein, bis ich endlich den Sprung ins Marketing oder die PR schaffe, aber wie so oft bei gut durchdachten Plänen lief es nicht wie gewünscht, und ich bin nach fast zwei Jahren immer noch hier.

Als Nächster aus unserer Schreibtischgruppe trifft Colin ein. Er geht zu seinem Platz gegenüber von Cleo und späht über seine Schulter, ob Mrs Harris irgendwo zu sehen ist. Offenbar erleichtert, dass sie gerade nicht in der Nähe ist, schafft er es, uns zur Begrüßung zuzunicken, was ein echter Fortschritt ist. Vergangene Woche, nach Flamingogate, tat er so, als würde er uns nicht kennen, und starrte angestrengt vor sich auf den Tisch.

»Armer Colin«, flüstert Cleo.

Jemand am anderen Ende des Raums lässt einen Packen Kopierpapier fallen, und Colin fährt erschrocken zusammen.

Der bedauernswerte Kerl. Voller Bewunderung hatte er den von Mrs Harris aus Brotteig gebackenen Flamingo berührt und das Bein natürlich nicht mit Absicht abgebrochen. Aber in ihren Augen hatte er ihre Chancen beim Großen Büro-Backwettbewerb enorm verringert. Wir alle lieben unsere Arbeitskollegin Mrs Harris, aber insgeheim fürchten wir sie auch, und wehe dem, der es sich mit ihr verdirbt.

Mein Computer ist eindeutig in Freitagsstimmung und fährt unglaublich langsam hoch. Ich weiß genau, wie er sich fühlt. Bei einem Blick auf meine To-do-Liste wünschte ich, meine Arbeit wäre ein bisschen interessanter, denn in der Vertragsabteilung einer Versicherung zu sitzen, ist nun wahrlich nicht mein Traumjob.

Der PC ist immer noch nicht fertig, also greife ich so leise und unauffällig wie möglich in meine Handtasche und hole mein Handy heraus. Aber Cleo entgeht einfach nichts.

»Hallo, mein Name ist Izzy, und ich bin Instagram-aholic«, säuselt sie.

»Sehr witzig.« Ich lege das Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch. »Ich wollte nicht auf Instagram schauen, ehrlich. Ich warte auf eine E-Mail. Eine sehr wichtige E-Mail.«

»Aha. Wegen was?«

»Wichtige Dinge.«

»Wichtige Instagram-Dinge?«

Ich beiße die Zähne zusammen.

»Ich bin nicht süchtig«, erwidere ich und schiebe das Handy demonstrativ von mir weg.

»Natürlich nicht.« Sie grinst.

»Bin ich nicht, ehrlich.«

»Muss ich dich an den Tag erinnern, als die Internetverbindung nicht funktionierte und du nicht online gehen konntest? Du bist fast durchgedreht!«

»So drastisch würde ich es nicht formulieren …«

»Du bist ins Swan gegangen, um deren WiFi zu nutzen.«

»Das ist ein netter Pub«, verteidige ich mich und habe Mühe, keine Miene zu verziehen.

»Ähm, es ist ein netter Pub, wenn du in einem bestimmten Gewerbe tätig bist.«

»So schlimm ist es da nun auch nicht.«

»Du wurdest zweimal gefragt, was es bei dir kostet!«

»Na ja, die sind es nicht so gewohnt, dass Frauen dort nur was trinken wollen.«

»Und ein paar Mal bist du zu McDonald’s gegangen.«

»Die haben überraschend guten Kaffee.«

»Klar, und du hattest überraschend gutes WiFi.«

Abwehrend verschränke ich die Arme. Mein Computer gibt endlich Lebenszeichen von sich.

»Also die Tatsache, dass du seither nie mehr in einem der beiden Etablissements gewesen bist …«

»Bedeutet noch lange nicht, dass ich süchtig bin!«

Cleo zieht die Brauen hoch – sie ist genauso wenig überzeugt wie ich.

»Ich checke nur meine E-Mails, das ist alles«, protestiere ich erneut.

Sie lächelt und wendet sich mit einem süffisanten Gesichtsausdruck wieder ihrer Tastatur zu, als sei sie älter und weiser als ich, dabei ist sie erst dreiundzwanzig – acht Jahre jünger als ich. Typisch für mich! Ich sitze neben dem einzigen Millennial, dessen Handy nicht am Körper angewachsen ist.

Sehnsüchtig spähe ich zu meinem, und mir ist klar, dass ich Cleo beweisen muss, wie sehr sie sich irrt, indem ich es ein paar Stunden ignoriere. Dabei warte ich so gespannt auf die Antwort der Agentur wegen der Halloween-Kampagne! Mein ganzes Leben könnte sich durch diese eine E-Mail verändern! Jene E-Mail, die bedeuten würde, dass ich tatsächlich Influencerin werde.

Noch immer warte ich darauf, dass ich mich an meinem Computer anmelden kann, lasse den Blick durch unser Großraumbüro schweifen und sehe Mrs Harris im Anflug, eine Tupperware-Dose an sich gepresst, als hinge ihr Leben davon ab. Dabei machen seit dem Zwischenfall mit Colin alle einen noch größeren Bogen um sie.

»Ärger naht …«, flüstere ich Cleo zu, die mich über ihren Computerbildschirm hinweg ansieht.

»Ist heute schon wieder Backwettbewerb? Das müsste doch allmählich vorbei sein.«

»Wir haben noch sechs Monate vor uns«, flüstert Colin.

»Sechs Monate!«, entfährt es Cleo und mir wie aus einem Munde.

»Neun Monate lang findet alle zwei Wochen ein Wettbewerb statt«, klärt er uns bedrückt auf. »Was bedeutet, dass ich noch sechs Monate im Exil verbringen muss.«

»Verdammt, es kommt einem so vor, als wäre alle zwei Tage ein Wettkampf.« Cleo seufzt.

»Etwa nicht?«

Circa zweimal im Jahr denkt sich die Personalabteilung von McKinley verrückte Projekte aus, um den Spaßfaktor bei der Arbeit zu erhöhen. Wir hatten schon Bingo-Vormittage, Kostümierungs-Freitage, und alle sieben Etagen wetteifern um die beste Weihnachtsdeko. Dieses Mal ist es ein Wettbewerb, der sich abwechselnd um Plätzchen, Kuchen oder Brot dreht. Nichts hat das ganze Büro jemals so vereint wie dieser Backwettbewerb – und nichts hat es gleichzeitig jemals so entzweit, denn für manche ist das kein Spaß, sondern bitterer Ernst.

Der arme Colin. Ich schaue kurz zu ihm hinüber und stelle fest, dass er seine Kopfhörer aufgesetzt hat und sein Blick am Bildschirm klebt. Tatsächlich glaube ich, ihn zittern zu sehen, als Mrs Harris unsere Tischgruppe erreicht.

»Lieber Himmel, ich hätte nicht gedacht, dass ich das Teil in einem Stück bis hierher bekomme«, sagt sie und stellt den Plastikbehälter ans Tischende.

Cleo und ich recken die Hälse, um zu sehen, was sich darin befindet, aber sofort deckt Mrs Harris den Behälter mit zwei Geschirrtüchern ab.

»O nein, vor 11:00 Uhr wirft niemand auch nur einen Blick auf dieses Baby. Ich möchte keine Wiederholung der Brotwoche«, sagt sie so laut, dass alle im Büro verstummen.

»Niemand will eine Wiederholung der Brotwoche«, versichere ich und fühle mit Colin, der ganz blass geworden ist. Er wirft mir einen verlegenen Blick zu, schnappt sich einen Ordner und eilt davon.

»Und, wie lautet diese Woche das Thema, Mrs H?«, frage ich.

Sie schürzt die Lippen, als müsse sie meine aus Versehen verwendete Abkürzung erst einmal überdenken. Mrs Harris ist nämlich die einzige Person in unserem Büro, die wir nicht bei ihrem Vornamen nennen, sondern die darauf besteht, dass wir sie ganz formell mit ihrem Nachnamen anreden – als wären wir in die Vergangenheit zurückversetzt. Kein anderer würde damit durchkommen, aber sie ist so Respekt einflößend, dass sogar unser Chef, Howard, sich nicht traut, ihren Wunsch zu übergehen.

»Französische Woche«, antwortet sie, und ich atme erleichtert auf, dass ich mit meinem Versprecher ungeschoren davonkomme. »Natürlich habe ich Croquembouche zubereitet.«

»Klar.« Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das sein könnte, aber es klingt köstlich. Alle Kreationen von Mrs Harris sind das. Das ist der Grund, warum ich in die Breite gehe, seit ich hier arbeite.

»Und jetzt werde ich mir meinen Kaffee holen, und ihr Mädels passt darauf auf, verstanden? Ich will auf keinen Fall diesen Grünschnabel aus dem Risikomanagement bei uns herumschleichen sehen. Er versucht ständig, die Damen mit seinen scharfen Kugeln in Versuchung zu führen.«

»Seinen was?«, entfährt es mir.

»Sie meint seine scharfen Nusskugeln«, antwortet Cleo und begutachtet ihre Fingernägel. »Ich habe sie schon probiert, und sie sind völlig überbewertet.«

»Hätte mir denken können, dass Sie sie probiert haben«, erwidert Mrs Harris und seufzt dann laut. »Nun muss ich wegen des Kaffees noch einmal die Treppe rauf, und das mit meinem kaputten Knöchel …«

Ich spähe zu den drei Stufen, auf die sie anspielt, die zu unserer Teeküche führen.

»Und wohin ist denn dieser Colin schon wieder verschwunden? Er hätte mich zumindest fragen können, ob ich etwas zu trinken möchte. Man sollte meinen, dass er daran interessiert ist, sich wieder gut mit mir zu stellen.«

»Soll ich Ihnen einen Kaffee mitbringen?«, frage ich und leere meine Tasse. »Ich wollte mir sowieso noch einen Tee holen.«

»Wenn es keine Mühe macht, Izzy …«

»Natürlich nicht.«

Ich lange nach dem Kaffeebecher, den Mrs Harris mir bereits zuschiebt, sehe Cleo fragend an, die mir ebenfalls ihren Becher reicht, und eile in Richtung der Teeküche.

»Und nicht vergessen«, ruft Mrs Harris mir nach, »Magermilchmokka, zwei Stücke Zucker.«

Ich nicke, als würde sie das nicht jedes Mal sagen.

In der Teeküche stelle ich die Becher ab, hänge Teebeutel in meinen und den von Cleo und gieße heißes Wasser hinein. Dann wende ich mich dem Kaffeeautomaten zu und muss feststellen, dass es keinen Mokka mehr gibt. Mrs Harris einen Kaffee zu holen, kommt einer NASA-Mission gleich: Scheitern ist keine Option – oder zumindest keine, wenn ich von ihrer neuesten Backkreation ein Stück abbekommen möchte.

Ich lasse unseren Tee ziehen und gehe mit Mrs Harris’ Becher durchs Treppenhaus nach unten. Zum Glück ist Casual Friday, und ich trage nicht wie üblich High Heels, denn das wäre auf diesen glatten Stufen lebensgefährlich gewesen.

Als ich eine Etage tiefer um den Treppenabsatz biege, kann ich gerade noch einem Handy an einem ausgefahrenen Selfiestick ausweichen, der mir förmlich entgegengeflogen kommt. Ich ziehe den Kopf ein, um nicht getroffen zu werden.

»Dürfte ich bitte vorbei?«, frage ich leicht genervt, nachdem ich mich wieder gefasst habe.

»Eine Sekunde«, erwidert der Mann am anderen Ende des Sticks, stellt sich in Pose und zieht den größten Schmollmund seit Zoolander.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und seufze laut, aber es scheint ihn nicht zu stören, dass er und seine Eitelkeit mir den Weg versperren.

Da ich sonst nichts zu tun habe, mustere ich ihn und seine klassische Schönheit ein bisschen genauer. Er sieht beinahe aus wie einem Instagram-Foto entsprungen, das nach allen Regeln der Kunst bearbeitet wurde. Perfekte Haut, markantes Kinn, leidenschaftliche Augen und volle Lippen. Oder zumindest glaube ich das, denn da er diesen Schmollmund macht, ist es schwer zu sagen.

In seinem weißen Leinenhemd mit hochgerollten Ärmeln und Kakihosen, die ihm bis zu den nackten Knöcheln reichen, und teuer aussehenden Loafer wirkt er wie ein Investmentbanker, der sich auf dem Weg zu seinem Wochenendhaus verlaufen hat. Er schüttelt den Kopf, als würde er eine Wallemähne zurückwerfen, dabei ist sein Haar zu einer perfekten, in Raum und Zeit eingefrorenen Tolle gegelt.

Offenbar hat er mich vergessen, denn er fotografiert munter weiter. Laut und vernehmlich huste ich, um ihn an meine Anwesenheit zu erinnern. Er schießt noch fünf Fotos und senkt dann den Stick.

»Sorry«, sagt er und sieht mich zum ersten Mal an. »Das Sonnenlicht an diesem Ort um exakt diese Zeit lässt meine Haut schimmern wie ein AR-Filter. Möchtest du mal sehen?«

»Ich … äh …«

Ohne meine Antwort abzuwarten, zieht er das Handy vom Selfiestick und hält mir die gerade geschossenen Fotos vor die Nase.

Um nicht loszulachen, beiße ich mir auf die Lippe.

»Und?«, fragt er und sieht mich mit stolzer Miene erwartungsvoll an.

»Ja, es ist ähm, sehr … ›Blue Steel‹-mäßig«, antworte ich und nehme an, dass diese Pose eine bewusste Verarschung sein soll.

»Blue Steel? Wieso, wegen meiner blauen Augen?«

»Nein. Hast du nie Zoolander gesehen?«

Er schüttelt den Kopf. »Für Tiere interessiere ich mich nicht sonderlich.«

Ich beiße mir noch fester auf die Lippe.

»Darin geht es um ein männliches Model. Du solltest dir den Film mal ansehen – da bekommst du ein paar gute Tipps.«

Sein Gesicht erhellt sich.

»Danke! Tatsächlich bist du nicht die Erste, die mir sagt, dass ich Model werden könnte.«

»Nun, genau genommen waren das nicht meine Worte. Aber ich muss jetzt wirklich –«

Ich will weitergehen, aber noch immer verstellt er mir den Weg.

»Ja, viele Leute finden, dass ich aussehe wie Channing Tatum. Natürlich tanze ich besser«, fügt er augenzwinkernd hinzu.

»Oh … ähm …« Automatisch stelle ich ihn mir als einen der Stripper in Magic Mike vor und spüre, dass meine Wangen plötzlich glühen.

Er lässt seine Brustmuskeln spielen und lächelt mich zufrieden an.

»Die Ähnlichkeit ist … verblüffend. Aber ich muss jetzt Kaffee holen, sonst begeben sich meine Kollegen auf den Kriegspfad.«

»Genauso wie mein Chef, der Teuflische Ted.«

Ich mache ein angemessen entsetztes Gesicht. Der Teuflische Ted ist der Vertriebsleiter und wahrhaft gefürchtet. Einmal hat er jemanden gefeuert und dabei so laut gebrüllt, dass ich es zwei Etagen höher noch hören konnte.

Endlich klappt mein Gegenüber seinen Selfiestick zusammen und schiebt ihn in die Hosentasche.

»Bis demnächst«, sagt er, zwinkert mir tatsächlich zu und eilt dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter.

Ungläubig schüttle ich den Kopf. Und Cleo hält mich für süchtig nach Instagram? Zumindest zücke ich nicht während der Arbeitszeit meinen Selfiestick.

Ich laufe die restlichen Stufen hinunter und stelle erleichtert fest, dass der Kaffeeautomat auf dieser Etage noch Mokka ausspuckt. Anschließend schaffe ich es zurück nach oben, ohne dass mir weitere Selfiesticks den Weg versperren, und rette meinen Tee mit einem extra Schuss Milch.

Mrs Harris zeigt sich wenig beeindruckt, als ich wieder an meinem Schreibtisch ankomme. »Na endlich, ich dachte schon, Sie würden die Bohnen aus Kolumbien holen.«