Auf in die Diktatur! - Niklas Frank - E-Book

Auf in die Diktatur! E-Book

Niklas Frank

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Beschreibung

Niklas Frank ist der Sohn von Hans Frank, dem "Schlächter von Polen" und Hitlers "Generalgouverneur" im besetzten Polen. Er erkennt in Rhetorik und Verhalten heutiger Politiker erschreckende Parallelen zur NS-Zeit. Der Hass, die Empathielosigkeit und der menschenverachtende Humor der Nationalsozialisten finden sich heute wieder in der AfD, aber auch bei Vertretern anderer Parteien. Frank warnt: "Jetzt tauchen wieder Väter von meines Vaters Art auf, die mein Hirn vergiften wollen." Nicht nur bei von Storch, die an der grünen Grenze den Zutritt von Frauen und Kindern mit Waffengewalt verhindern will, und Gauland, der die Migrationsbeauftragte Aydan Özoğuz "in Anatolien entsorgen" möchte, auch bei einem Innenminister, der empfiehlt, Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen, kommt dem Autor die blanke Wut hoch. "Wir wissen genau, dass mangelnde Zivilcourage, fehlendes Mitgefühl und verabscheute Toleranz zu Diktatur und Vernichtungslagern führen. Wer trotzdem mit Parteien oder Politikern sympathisiert, die offen demokratiefeindlich sind, macht sich mitschuldig. Denn nur Demokratie kann Menschlichkeit garantieren."

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Seitenzahl: 184

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Auf in die Diktatur!

Die Auferstehung meines Nazi-Vaters in der deutschen Gesellschaft

Ein Wutanfall von Niklas Frank

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-7019-3 (E-Book)

ISBN 978-3-8012-0566-9 (Printausgabe)

Copyright © 2019

by Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Lektorat: Gabriela Ratajszczak

Ein besonderer Dank auch an Kirsten Schröder und Ricarda von Klitzing.

Umschlaggestaltung: Hermann Brandner– gabor’s , Köln

Satz: Rohtext, Bonn

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2020

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

Gewidmet den 60 Millionen deutschen Diktaturanfälligenzur Erweckung,den 20 Millionen deutschen Demokratenzur Stärkungund den vielen Absendern von Mails, deren einige ich über diesen Text verstreut habe,zum Dank!

Wir, die Deutschen, haben uns nach Kriegsende 1945 um das Große Erschrecken gedrückt. Mit allen Zellen unseres Hirns, mit allen Fasern unseres Herzens. Wir belegten unser Gewissen mit einem Erinnerungsverbot und töteten unser Mitgefühl. Wir blieben ein Volk ohne Moral. Dabei waren wir durch die von uns verübten oder feige geduldeten Verbrechen in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 zu einem auserlesenen Volk geworden: Wir wissen, dass mangelnde Zivilcourage bis in die Gaskammern von Auschwitz führen kann. Vielleicht ist gerade deswegen Zivilcourage bei uns Deutschen verpönt. Weder in Familien durch beispielhaftes Verhalten der Eltern noch in den Schulen wird sie den Kindern und Jugendlichen nahegebracht. Wir haben auf Befehl der Sieger im Westen die beste Demokratie und im Osten die nachhaltigste Diktatur aufgebaut. Wir gehorchten zunächst beiden Systemen, bis das sozialistische unterging, jetzt dem übrig gebliebenen. Nie von Herzen. Deswegen brodelt es im Schatten des Grundgesetzes von 1949. Wir wollen zurück zur Diktatur, denn noch immer fühlen wir uns insgeheim als Herrenrasse der Welt überlegen.

Deutsche Politik müsste immer aus brennender und schmerzender Erinnerung an unsere viehischen Verbrechen während Hitlers Herrschaft gestaltet werden.

Doch wie triumphierte zum Beispiel der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder lauthals, nachdem unter deutscher Führung das in die Pleite taumelnde Griechenland mit härtesten Sparmaßnahmen belegt wurde und jetzt in Europa wieder „deutsch gesprochen“ werde!

Als ich das hörte, kam bei mir wieder dieses Erschrecken: Was hat der Mann aus der Geschichte der zwölf Nazijahre gelernt? Offensichtlich nichts. Wer so einen Satz formuliert, zeigt, dass er nie Mitleid mit unseren unschuldigen Opfern in jener Zeit empfunden hat. Natürlich durfte er auch danach sein Amt behalten: Es störte niemanden aus den beiden christlichen Parteien so sehr, dass er oder sie Kauders Ausschluss verlangte oder selbst empört die Partei verließ. Sie sind alle ohne Mitleid.

„Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen“, sagte Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Nein, nein, nicht am Stammtisch privat, wobei es auch dort eine unmögliche Äußerung gewesen wäre. Nein, er sagte das als Amtsträger. Was hat der Mann an Demokratie im Kopf? Was hat der Mann an persönlich gefühltem Erschrecken im Herzen aufbewahrt, nachdem er von den Urteilen der mitleidslosen Justiz der Nazidiktatur gehört und sicher auch gelesen hatte? So denken sonst nur Follower meines Vaters Hans Frank, Hitlers Generalgouverneur im besetzten Polen, der als Reichsrechtsführer dafür sorgte, dass die unabhängige Weimarer Justiz so umgebaut wurde, dass Adolf Hitler der oberste Richter und Ankläger in einer windigen Person wurde. Von da ab wurden Urteile immer nach seinem Willen „Im Namen des Volkes“ gesprochen, obwohl damals die Richter nicht mehr unabhängig urteilten. Ist so Reuls Sehnsucht nach einer Volksjustiz?

„Zum ersten Mal in der Geschichte des Rechts“, schmalzte mein Vater auf dem Reichsjustiztag in Leipzig 1934 dem in der ersten Reihe hockenden Führer ins Gesicht, „ist die Liebe zum Führer zu einem Rechtsbegriff geworden.“ Diese Liebe kostete Millionen das Leben. Durch Urteile deutscher Gerichte. Und da sagt dieser Innenminister im Jahr 2018 so einen Satz?

Auch Reul blieb im Amt. Keiner seiner Parteifreunde, schon gar nicht sein Ministerpräsident, forderte seinen Rücktritt oder warf ihn im Namen der Demokratie aus dem Amt. Er blieb, weil sie alle anscheinend wie er dachten, denken und fühlen.

Wie nah ihnen doch die Denkweise Hitlers zu sein scheint, den mein Vater so zitierte: Einmal musste ich in Nürnberg aus seinem Munde hören: „Was wollen Sie? Was heißt Rechtsstaat? Fragen Sie das Volk, ob es mir zustimmt oder euch Juristen! Wollen wir es auf die Probe ankommen lassen? Treten wir da hinaus! Erst reden Sie vom Recht, dann rede ich von meiner Politik. Wer, glauben Sie, dass die Palme heimbringt?“

Das grammatikalische Durcheinander des Relativsatzes hat mein Vater verursacht, typisch. Aber vielleicht winkte ja schon eine Ami-Wache vor der offenen Essensluke mit einer kleinen Schlinge. Wer die unserem demokratischen Rechtsstaat um den Hals schlingen will, hat im Amt eines Ministers nichts verloren.

In absurder Weise diente allerdings Reuls Mahnung an die Richter dem Berliner Landgericht als Befehl. Es erklärte per Urteil als von der im Grundgesetz gedeckten Meinungsfreiheit, dass Hetzer im Netz Die Grünen-Politikerin Renate Künast unter anderem eine „alte perverse Drecksau“ und ein „Stück Scheisse“ nennen dürfen. Dieses inzwischen teilweise revidierte Urteil verschlug mir den Atem: Immerhin ist der heiligste Satz im Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“! Wie können diese Richter so urteilen? Ich glaub, ich muss noch einmal die Ahnenliste unserer Familie durchforsten, es muss sich ja bei der ganzen Richterbankbesatzung um Verwandte meines Vaters handeln!

Mein erstes Großes Erschrecken passierte im Herbst 1945. Erstmals sah ich in einer Zeitung Fotos von KZ-Leichen, auch Leichen in meinem damaligen Kindesalter. Und immer stand unter diesen Fotos „Polen“. Das gehörte doch uns Franks, hatte ich bis Kriegsende als selbstverständlich angenommen. Auch mein ältester Bruder war beim Anblick dieser Fotos durcheinander, ging zu unserer Mutter und sagte: „Mutti, wenn diese Fotos stimmen, hat Vati keine Chance in Nürnberg.“

Denn dort wurde der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vorbereitet.

Aus diesem ersten sozusagen Grundschrecken entwickelte sich mein Leben. Es wurde das typische eines arg gemischten Charakters. Doch diese Fotos haben sich mir eingebrannt und ließen mich alles neu Erschreckende damit in Zusammenhang bringen: Alle Deutschen kennen diese oder ähnliche Fotos. Mein Bruder Michael auch, doch der machte es sich leichter: „Wer war zuerst in Auschwitz?“

„Die Russen haben es bei Kriegsende befreit.“

„Na also: Alles Propaganda!“

Meine älteste Schwester Sigrid wusste auch genau Bescheid, schon bevor sie nach dem Krieg diese Fotos sah.

Im Frühjahr 1945, vor Kriegsende, schrieb sie an unsere Mutter einen Brief aus einem Lazarett, in dem sie schilderte, dass die verwundeten deutschen Soldaten furchtbare Angst vor einer Niederlage hätten, „nach dem, was wir den Juden angetan haben“. Sie schrieb das nicht aufgeregt wie „Stell Dir vor, was die behaupten…“, sondern nur so, dass sowohl sie selbst als auch die Adressatin genau wusste, worum es ging.

Dennoch antwortete sie mir Jahrzehnte später in einem Telefongespräch auf meine Frage, was sie denn gerade macht: „Wir rechnen gerade aus, wie lange jeder Jude brennen konnte, um sechs Millionen davon einzuäschern. Nämlich nur 6,8 Sekunden.“ (Die Zahl erinnere ich nicht mehr genau, nur dass es Sekunden waren). Logische Erkenntnis meiner Schwester: „Also stimmt alles nicht und ist reine Lüge.“

Die meisten Deutschen erkennen zwar die Fotos an, doch sich ihnen öffnen, sich hineindenken in unsere Opfer, will kaum einer. Ganz wenige der heute noch Lebenden waren direkt verstrickt in die deutschen Verbrechen zwischen 1933 und 1945. Schon bei seinem Eröffnungsplädoyer sagte der US-Chefankläger Jackson, dass nicht das deutsche Volk angeklagt wird, sondern die Verantwortlichen.

Ich hätte hinzugefügt: Schuld ist immer etwas Persönliches. Es gibt keine Kollektivschuld. Jeder muss einzeln zur Rechenschaft gezogen werden.

Doch uns Unschuldigen sollte eines gemeinsam sein: Wir müssten aus diesen Fotos ein so Großes Erschrecken erlebt haben, dass wir nie wieder Parteien wählen, die zu ähnlichen Taten aufstacheln oder sie selbst vorbereiten, die denen unserer Vorfahren im Dritten Reich ähneln oder gleichen.

Das aber ist unterblieben. Weckducken, Verschweigen, Verschwiemeln heißt das Panier seit Kriegsende.

Uns Deutschen ist wirklich nicht zu helfen! Wie kann man nur immer wieder auf die gleichen Verführer hereinfallen... Uns geht es einfach zu gut!

Dr. Rainer Theis

Wer Deutschland liebt, muss sich unseren Verbrechen stellen und sie anerkennen. Das bringt Schmerz. Doch der hindert einen nicht, ein wunderbar erfülltes Leben mit allen Verdiensthöhen und Scheidungstiefen, mit irrwitziger Untreue und herrlich gelungenen Partys, mit geisttötender Maloche und widerwärtigen Krankheiten zu erleben.

Unseren Opfern haben wir diese Möglichkeiten genommen. Als meine Frau vor über zwei Jahren vorübergehend schwer an Krebs erkrankt war, im Hospital um ihr Leben kämpfte, saß ich nachts allein vor unserem Haus auf der Gartenbank und weinte rauchend wie der Klischee-Schlosshund. Da entstieg meinem Hirn plötzlich das Wort „Auschwitz“. Wie ein Mantra wiederholte ich es, und es breitete sich Trost aus in mir durch den Vergleich: Wir durften so alt werden und selbst so einen Scheiß-Krebs erleben! Das ist doch nichts gegen das, was wir unseren unschuldigen Opfern angetan haben! Sie hatten keine Chance, ein langes Leben mit allem Auf und Ab zu erleben. Also nimm Dich nicht so wichtig!

Er habe „charakterliche Schwächen“, sei „von Ehrgeiz zerfressen“ und leiste sich zu viele „Schmutzeleien“, sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer 2011 über seinen Finanzminister Markus Söder. Seehofer saß auch nicht am Stammtisch der CSU oder flüsterte es seiner Frau zu, nein, er sagte es dem ZDF-heute journal und bekräftigte danach noch einmal, dass seine Charakterisierung veröffentlicht werden darf. Wer auf den Vorwurf der „Schmutzeleien“ schweigt, hat keinen Charakter oder allenfalls einen windigen. Wer sich auf so eine Anschuldigung, die ja Betrug, Lügen und Korruption mit einschließt, nicht mit einer gerichtlichen Klage wehrt, hat nichts für die Demokratie über und wird sie, erfordern es die Umstände seiner Karriere, umgehend verraten. Auch Söder, inzwischen selbst bayerischer Ministerpräsident mit guten Chancen auf die Kanzlerschaft, hat scheinbar nie ein Erschrecken angesichts der zwölf Jahre an sich herankommen lassen.

Auch mein Vater machte weiter, viel schlimmer als Söder, denn Hans Frank war ein Massenmörder. Er schwieg, als ihm vom Parteigenossen Masur in einem Gespräch mitgeteilt wurde, dass in Berlin über ihn in Hitlers Runde „Ausdrücke“ gefallen seien.

„Welche Ausdrücke?“, fragte Hans Frank Masur: „Dass der Generalgouverneur abtreten, dass er fallengelassen worden ist, und zweitens ist auch in einem Zusammenhang der Ausdruck ‚Popanz’ gefallen.“

Darauf mein Vater in seltener Dämlichkeit: „Ich sei ein Popanz? Was bedeutet das?“

Masur: „Ich stelle mir darunter vor, dass ein Mann da oben sitzt, der nichts zu sagen hat.“

Was für ein Schock für meinen Vater. Also fällt ihm nichts anderes als diese Frage ein: „Was noch?“

Masur: „Das ist das Wesentliche.“

Empört hätte er sich jetzt hinsetzen und einen Brief an seinen Führer schreiben müssen, dessen wesentliche Sätze ungefähr so hätten lauten können:

Mein Führer,

als Ihr Stellvertreter im besetzten Polen lässt mich zwar der Massenmord kalt, nicht jedoch meine Hüfte, die, wie Sie aus beigelegtem Attest zweier SS-Ärzte ersehen können, so sehr knirscht und mir so unerträgliche Schmerzen bereitet, dass ich hiermit von all meinen Ämtern zurücktrete, um mich hinfort nur noch um meine Familie, besonders um meinen geliebten Jüngsten, den hübschen Niklas, zu kümmern.

In dennoch unverbrüchlicher Liebe,

wenn auch schwer beleidigt,

Ihr

Popanz

Hans Frank

Stattdessen schwieg mein Vater wie Markus Söder auf den Vorwurf zu vieler Schmutzeleien.

In Bayern liegt das Städtchen Scheinfeld. Dort übte Karl Lax während der Nazizeit das Amt des Bürgermeisters aus, was ihn dazu befähigte, dass unter seiner Führung die Synagoge abgebrannt wurde. Da er auch den eigenen Reichtum mehren wollte, bereicherte er sich am Eigentum der in Scheinfeld ansässigen Juden. Nach dem Krieg wurde er wegen seiner Rolle vom Landgericht rechtskräftig verurteilt. Die von ihm „erworbenen“ jüdischen Grundstücke wurden vom bayerischen Staat eingezogen. Das alles hinderte die Bürger von Scheinfeld nicht, ihn nach dem Krieg wieder zum Bürgermeister zu wählen. Zwei Amtszeiten lang sorgte er für Schweigen in diesem – sieht man von den gewissenlosen Einwohnern ab – wunderschönen fränkischen Städtchen. Kaum war er verstorben, benannte der Scheinfelder Stadtrat eine Straße nach ihm. Als ich den dortigen SPD-Bürgermeister darauf aufmerksam machte, speiste er mich mit diesem Brief ab:

Sehr geehrter Herr Frank,

wir haben nach Ihrem Schreiben im Herbst 2014 mehrere verdiente alteingesessene Bürgerinnen und Bürger der Stadt Scheinfeld, darunter Sozialdemokraten wie den ehemaligen 2. Bürgermeister H. Uihlein oder E. Lechner befragt. Sie alle haben Herrn Lax persönlich gekannt. Keiner hat auch nur annähernd den Eindruck von Herrn Lax als „rücksichtslosem Nazi-Fanatiker“ gewonnen.

Die Stadt Scheinfeld sieht keine Veranlassung, den Straßennamen zu ändern.

Mit freundlichen Grüßen,

Claus Seifert

Erster Bürgermeister

So entsetzlich gefühllos können auch SPD-Bürgermeister sein! Als ob Karl Lax, nunmehr der neuen Demokratie gehorchend, noch den „rücksichtslosen Nazi-Fanatiker“ lebte, den er in seiner Hohen Zeit gegeben hatte!

Immerhin war es die SPD, die damals im April 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte! Immerhin war es die SPD, von der viele Mitglieder im Widerstand gegen die Diktatur ihr Leben ließen. Was kümmert das die heutigen Parteigenossen?

Im Landratsamt Neustadt-Aisch, zu dem Scheinfeld gehört, sitzt ein Demokrat, der nach einem entsprechenden Brief von mir den Stadtrat in Scheinfeld aufforderte, eine Sondersitzung zur Causa Karl-Lax-Straße einzuberufen. Das Ergebnis war voraussehbar: Mit überwältigender Mehrheit verweigerte der Rat, die Straße umzubenennen. Was haben Räte und Rätinnen der Stadt Scheinfeld an Demokratie im Kopf? An Mitleid für die jüdischen Opfer ihrer Gemeinde? An nachhaltig wirkendem Erschrecken über unsere Konzentrations- und Vernichtungslager während des Dritten Reiches? Nichts. Sie bevorzugen eine weitere Verhöhnung der unschuldigen Opfer. Und untergraben mit ihrem Verhalten weiter die Demokratie. Scheinfeld ist Schweinfeld schrieb ich schon in meinem Buch Dunkle Seele, feiges Maul, aus dem ich hier zitiere. Darüber regten sich die Scheinfelder furchtbar auf, nicht über die Verfolgung der Juden durch ihre Eltern und Großeltern, nicht über die niedergebrannte Synagoge, nicht über einen dabei mit abfackelnden und sich an jüdischem Eigentum bereichernden Karl Lax!

Ein paar echte, verloren wirkende Scheinfelder Demokraten teilten mir mit, lieber nicht ihr Städtchen zu besuchen.

Die Gemeinde, in der ich seit zwanzig Jahren wohne, ist inzwischen eine Hochburg der AfD geworden. Seit ich hier lebe, habe ich versucht, mich einzubringen. Ich habe Volksläufe organisiert, fotografiert und drei Bücher über den Ort geschrieben. Natürlich habe ich auch Kritik geübt: Dass man zum Volkstrauertag an dem Denkmal der Toten gedachte, an dem schon die Nazis ihre Aufmärsche machten. Das hat mir der CDU-Landrat verübelt. Oder dass man beim Umzug zur Jugendfastnacht am Kriegerdenkmal Halt machte und auch eines Gefallenen der Waffen-SS gedachte. Es folgten 16 Angriffe auf mein Grundstück. Die Polizei ist hilflos. Auf deren Anraten hin habe ich einen Waffenschein beantragt. „Der Schoß ist fruchtbar noch“, hatte B. Brecht geschrieben. Man muss ihn korrigieren: Der Schoß ist sehr gebärfreudig.

Klaus L.

Offensichtlich sind die Scheinfelder noch immer bereit, mindestens zu einer Prügelattacke.

Aber, dachte ich, der alleroberste Vorgesetzte der Gemeinden ist der bayerische Innenminister, in diesem Fall Joachim Herrmann von der heiligen CSU. Ich schrieb ihm, machte ihn auf all die Akten zum Prozess gegen Karl Lax im Nürnberger Staatsarchiv aufmerksam und erhielt nach geraumer Zeit diesen langen Brief:

Der Bayerische Staatsminister des Innern, für Sport und Integration München, 15. November 2018

B3-1403-4-9

Antrag auf Umbenennung der Karl-Lax-Straße in Scheinfeld

Sehr geehrter Herr Frank,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 1. September 2018, mit dem Sie mich gebeten haben, für die Umbenennung der Karl-Lax-Straße in Scheinfeld zu sorgen. Zu Ihrem Anliegen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen: Bei der Befugnis der Gemeinden, den öffentlichen Straßen Namen zu geben und Namensschilder anzubringen, handelt es sich um eine kommunale Selbstverwaltungsangelegenheit, bei der den Gemeinden ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum zusteht. Maßnahmen der staatlichen Rechtsaufsicht sind gemäß Art. 109 Abs. 1 der Gemeindeordnung nur dann zulässig, wenn Gemeinden gegen öffentlich-rechtliche Aufgaben und Verpflichtungen verstoßen oder deren Verwaltungstätigkeit gegen das Gebot der Gesetzmäßigkeit verstößt. Eine weitergehende Richtlinienkompetenz, die mir die Befugnis zum Einschreiten gegen eine Gemeinde einräumen würde, auch wenn diese nicht gegen Rechtsvorschriften verstößt, steht mir auch als Kommunalminister nicht zu und würde das verbürgte Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzen.

Mit der Wahl eines personenbezogenen Straßennamens bringen die Gemeinden ihre besondere Wertschätzung für die Person des Namensgebers öffentlich zum Ausdruck. Welche Kriterien bei der Benennung von Straßen nach einer Person zu berücksichtigen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Auch hat sich die Stadt Scheinfeld dazu keine eigenen Richtlinien gegeben, an die sie gebunden wäre. Unstreitig sind aber bei der Auswahl der Straßennamen die verfassungsrechtlichen Normen zu beachten. So kann beispielsweise die Wahl eines Straßennamens, der Gestalten aus der Zeit des NS-Regimes verherrlichen würde, der demokratischen Grundordnung widersprechen. Personen der neueren Geschichte sollten daher nur dann als Namensgeber verwendet werden, wenn ihr Geschichtsbild geklärt ist.

Die Stadt Scheinfeld hat es sich mit der Entscheidung über Ihren Antrag, die Karl-Lax-Straße umzubenennen, nicht leicht gemacht. Zwar hat die Stadt ihren ursprünglichen Plan, das zu Lax vorhandene Archivmaterial durch einen unabhängigen Historiker prüfen zu lassen, nicht umgesetzt. Zur Beauftragung eines externen Gutachters war die Stadt aber rechtlich nicht verpflichtet, auch wenn dies in der kommunalen Praxis häufig so gemacht wird, um die Entscheidung über die Namensgebung geschichtswissenschaftlich zu begründen. Stattdessen wurde in der Stadt Scheinfeld ein Arbeitskreis gebildet, der nach einer etwa 8-monatigen Tätigkeit die Ergebnisse seiner Recherchen dem Stadtrat in der Sitzung am 23.07.2018 vorgestellt hat. Ausweislich des Auszugs aus dem Protokollbuch und der schriftlichen Stellungnahmen aus den Reihen der Stadtratsfraktionen hat sich der Stadtrat mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe intensiv auseinandergesetzt. Auch die Inhalte Ihres Buchs „Dunkle Seele, feiges Maul“ sind in die Entscheidungsfindung des Stadtrats eingeflossen. Insoweit muss ich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Scheinfeld vor dem Vorwurf der Ignoranz in Schutz nehmen. Im Ergebnis ist der Stadtrat allerdings nicht zu einer einheitlichen Bewertung gelangt und hat den Antrag, die Karl-Lax-Straße umzubenennen, mehrheitlich abgelehnt. Über die Intensität der Beteiligung an den Verbrechen in der Reichsprogromnacht, über den Vorwurf einer Bereicherung am Vermögen jüdischer Mitbürger und über eventuell entlastende Gesichtspunkte konnten nach Auffassung des Stadtrats keine zweifelsfrei richtigen Feststellungen mehr getroffen werden. Soweit Sie mich bitten, für eine Umbenennung zu sorgen, kommt es nicht auf meine persönliche Überzeugung, sondern auf rechtliche Maßstäbe an. Eine Weisung gegenüber der Stadt Scheinfeld, die Karl-Lax-Straße umzubenennen, käme nur in Betracht, wenn keine andere als die Entscheidung zu Gunsten einer Umbenennung rechtmäßig wäre. Das ist aber wegen der nicht zweifelsfrei festgestellten, ambivalenten Rolle des Namensgebers nicht der Fall.

Die Stadt Scheinfeld, das Landratsamt Neustadt a. d. Aisch-Bad

Windsheim und die Regierung von Mittelfranken haben eine Kopie dieses Schreibens erhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Joachim Herrmann

Auch diesem Innenminister ist das Große Erschrecken nach dem Krieg nicht passiert. Weil er es offensichtlich bei sich selbst nicht zulassen wollte. Es scheint ihm wurschtegal, dass Karl Lax sich an jüdischem Eigentum bereichert hat. Wurschtegal, dass er mithalf, die Synagoge in seiner Stadt abzufackeln. Wurschtegal, dass er nach dem Krieg deshalb rechtskräftig verurteilt wurde. Wurschtegal sogar, dass er einem Bürgermeister der Teufelspartei SPD mit dem „Befehl“ zur Umbenennung eine reinwatschen könnte und ihm zeigen, wo der Barthel den Most holt. Halt, das wär’ nicht gut: So etwas könnte ja andere verschrecken, die weitum im Bayernland noch seine CSU wählen.

Null Demokratie im Hirn. Na ja, ein bisserl hat er sie schon noch, schrieb er ja als geheimen Hinweis für sein wirkliches Denken diesen Satz in seinen Brief: Soweit Sie mich bitten, für eine Umbenennung zu sorgen, kommt es nicht auf meine persönliche Überzeugung, sondern auf rechtliche Maßstäbe an.

Ich verbessere mich also: Herrmann hat vor allem jene Feigheit der Politiker im Kopf, die sie dazu bringt, ihre wirkliche Meinung erst dann zu äußern, wenn sie in Pension sind.

Ach ja: Wurschtegal ist ihm allerdings auch, dass die unselige Nacht „Reichspogromnacht“ genannt wird und nicht „Reichsprogromnacht“.

Herrmann ist Staatsminister des „Innern“! Nehme ich auch für das innere Wesen, den Charakter eines Staates. Natürlich ist Karl Lax nach dem Krieg nicht noch mit Brandblasen vom Synagogenabfackeln herumgelaufen, genauso wenig wie mein Vater wie die allzeit aus Kreuzigungswunden tropfende Resl von Konnersreuth. Auch Hans Frank hat sich nicht dauernd mit der Damastserviette Blut von seinen Händen gewischt, wenn er beim Abendessen auf der Krakauer Burg die köstlichen Speisen auf geraubtem Porzellan mit geraubtem Silberbesteck vertilgte. Dabei hätte ihm als Super-Resl das Blut seiner unschuldigen Opfer aus Augen, Nase und Mund laufen müssen.

Es gibt ja den alten Spruch: Hätte Hitler verordnet, dass alle deutschen Tauben vergast werden sollen, hätte ihn ein Sturm der Entrüstung hinweggefegt – aber die paar Juden, Homosexuellen, Kommunisten, aufrechten Demokraten…

Ich erinnere mich noch genau an den Schreck, der mich vor Jahrzehnten durchfuhr, als ich hörte, die deutsche Polizei geht mit Tränengas gegen Demonstranten vor. Mit Gas! Ich mochte nicht glauben, dass irgendwer in Deutschland überhaupt noch daran dachte, Gas außer zum Kochen und Wärmen einsetzen zu wollen. Gas war und ist für mich das Synonym für Auschwitz, für Vernichtung von Menschen.

Im Rundfunk hörte ich mal Franz Josef Strauß diese Sätze brüllen: „Ich weiß gar nicht, ob Herr Brandt persönliche Schwächen hat. Aber eines wird man doch noch fragen dürfen: Was haben Sie in den zwölf Jahren draußen gemacht, wie man uns gefragt hat, was habt ihr in den zwölf Jahren drinnen gemacht?“

Willy Brandt hat also im Exil mindestens sechs Millionen Schweden abgemurkst!

Null Demokratie im Hirn, dieser frühere bayerische Ministerpräsident. Aber meines Vaters letzten Brief am Tag vor seiner Hinrichtung an meinen Bruder Norman müsste er mit Begeisterung gelesen haben:

Wir haben 15 Jahre lang gegen eine Welt in Frieden und Krieg völlig allein und auf uns gestellt ringen müssen, dass es so ein riesiges Wunder war, dass wir das alles haben so lange bestehen können. Oder glaubst Du, dass ich mich von Deserteuren, Emigranten oder Landesverrätern soll nun mein ganzes weiteres Leben schinden lassen?

Das schrieb er, nachdem er beinahe ein ganzes Jahr lang die härtesten Beweise – auch für seine Verbrechen – im Nürnberger Gerichtssaal 600 vorgelegt bekommen hatte!

Die AfD macht mir Sorge, gar Angst. Ebenfalls ihre Wähler. Genauso sorgenvoll betrachte ich allerdings die Gleichgültigkeit der großen Mehrheit in unserem Land gegenüber diesen verachtenswerten Feinden unserer Demokratie. Das Schweigen Vieler, die breite Lethargie sind unerträglich.

Peter Pougin

Von diesem Gerichtshof hat er eh nix gehalten: Der Prozess in Nürnberg ist ein Anachronismus und höchstens als diplomatischjuristisches Warnungsunternehmen gegenüber dem Bolschewismus von