Aus heiterem Himmel - Leben ist das mit den Steinen im Weg - Barbara Waldner - E-Book

Aus heiterem Himmel - Leben ist das mit den Steinen im Weg E-Book

Barbara Waldner

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Beschreibung

Mein Leben zwischen Himmel und Erde Ihr Lebenslauf beginnt mit dem Satz: "Ich hatte Glück. Mir wurde nichts geschenkt." Es dauert lange, bis sie erkennt, dass genau dies ihr größtes Geschenk im Leben ist. Schon als Kind "weiß" Barbara einfach, dass sie schon mehrmals gelebt hat. Doch ein ganz neues Kapitel in ihrem Leben beginnt, als sie mit 52 Jahren eine Krebsdiagnose erhält. Ab da beginnt ihre ganz eigene spirituelle Erfahrung, die ihr Leben, aber auch ihren Beruf für immer verändert. In diesem Buch gibt sie tiefe Einblicke in ihr Leben und ihre Seele.

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Seitenzahl: 368

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT

Kleine Spritze, blauer Traum

Welcher Film läuft hier?

Voruntersuchungen

Und dann war Weihnachten

Was, wenn…?

Rückblick- Jahresplanung –Ausblick

Anfang 2016 – Beginn der Krebstherapie

Wofür oder Warum?

Ursachenforschung

Träume

Bestatter

Lockerer Umgang

Dumm gelaufen

1. Tag der Therapien

Königinnen-Feeling

Ein Gedicht über die Bestrahlung

Unsichtbare bunte Lichter

Die alten Muster

Grenzwertig

Schlechtes Gewissen

Woche – Die Frisur sitzt

Halbzeit

Die Bissgurke

Schönreden hilft nicht mehr

Neben der Spur

Die Kindheit ist schuld

Vom Können, Nichtkönnen und der Lebenskunst

Eigentlich gut

Von guten Freunden und anderen Rat-Schlägern

You light up my life

Schluss mit lustig

Vorletzter Tag der Bestrahlung

Die Hölle

Nachtrag – März 2022

Dunkle Momente

Begegnungen

Wieder Zuhause

Weiße Mäuse

Die Made im Speck

Prayers for you

Ich unterschreibe alles

Biologisches WAS?

Der Rote Faden

Operation, die Erste

Lernprobe

Wieder was gelernt

Ich bin dann mal weg

Bekenntnisse

Augen zu und durch

Wind um die Nase

Halbzeit

Nackenschlag

Mein Mann – ein Kapitel für sich

Zeitleiste – Milchmädchenrechnung

Reisepläne - Über Bord

Foren sind Haifischbecken

Ach, geht´s mir gut

Seltsame Begegnung

Gedicht „Morgenspaziergang“

Dünnhäutig

Lasten

Mit Händen und Füßen

Sonnenwende

Verschiedene Sprachen

Gedichte

„Flüchtige Begegnung“

Gedicht „Regenzeit“

Vertrauen

Gedicht „Der Weg ist das Ziel

23. Juni

Reaktionen

Schwein gehabt

Glaubenssätze

Wie das Leben so spielt

Keine Chance mehr

Momente

Was uns verbindet

Kein Feind, kein Kampf

Pleiten, Pech und Pannen

Der letzte Akt

Erkenntnisse

Haken dran

Gedicht „Abstieg“

Grüß Gott - Hoch hinauf

Ich habe einen Vogel

Aus heiterem Himmel

Coming-out

Vertrauen

Aussagen, Einsichten, Aussichten

Dem Himmel sei Dank

Berührungen

Kraftorte

Resonanzen und Antworten

Ich finde dich

Verliebt, verlobt, verheiratet

Wo war ich stehengeblieben?

Worauf kommt es an?

Fahrt aufnehmen

Panta Rhei

Out of Africa

Gedichte

Jahreszeiten – Lebenszeiten

Die Farben des Lebens

Meditation für einen guten Tag

Das hätte ich nie gedacht

Nachsorge

Da sterbe ich lieber an Malaria

Damit kann ich leben

NACHWORT

VORWORT

„Was habe ich schon zu sagen?“ Diese Frage habe ich mir lange gestellt. Sie entstammt einem ganz alten Glaubenssatz, der mich seit Kindesbeinen begleitet.

Über vier Jahre lag dieses Buch fertig geschrieben „in der Schublade“. Es beginnt mit meiner unerwarteten Krebsdiagnose Ende 2015 und endet… nie. Im Gegenteil, vieles fängt gerade erst an in meinem Leben.

Zunächst sollte das schriftliche Festhalten meiner ganz persönlichen Erfahrungen der eigenen Aufarbeitung des Erlebten dienen. Doch immer mehr Menschen, denen ich davon berichtete, wollten das Buch lesen.

Dabei ging es weniger um meine persönlichen Erfahrungen mit einer Krebserkrankung. Es sollte nicht das x-te Buch hierüber sein. Diese Geschichte handelt viel mehr von meinen spirituellen Erfahrungen und dem Geführt werden durch die Geistige Welt.

Neben dem Beschreiben meiner spannenden Erlebnisse erkannte ich jedoch erst im 2. Corona-Jahr 2021, dass ich Menschen wertvolle und doch wertfreie Anhaltspunkte geben möchte, wie man Krisen begegnen kann.

Hier geht es nicht nur um Krebs, es geht um Krisen im Leben und wie man sie annehmen kann, ohne zu kämpfen.

Mein Wunsch ist es, anderen einen Einblick in meinen ganz persönlichen Weg im Leben zu geben und die Tür zu öffnen für die Geistige Welt.

Ich erkenne in diesem Weg immer mehr einen tieferen Sinn, und bin dankbar dafür, so gut begleitet zu werden.

Meine Erlebnisse und Ansichten haben womöglich nichts mit den deinen zu tun – mich haben sie wachsen lassen und eine tiefere Erkenntnis geschenkt. Du musst nicht mit allem mitgehen können. Ich habe einen neuen Blick auf die Dinge, mein Leben und den Tod bekommen. Dies hilft mir, Herausforderungen im Leben anzunehmen. Nimm dir das daraus, was dir guttut.

Ich wünsche dir eine gute Zeit mit meinem Buch.

Barbara Waldner, August 2022

Kapitel 1

Kleine Spritze, blauer Traum

Ohne diese leckeren Granatapfelkerne wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.

Wer weiß.

Nichts lag näher, als dass sie der Grund dafür waren. Zunächst jedenfalls.

Das hätte ich mir jedenfalls gewünscht. Zumindest zu Anfang.

Aber dann gäbe es ganz sicher dieses Buch nicht.

Wissen Sie eigentlich, wie Granatapfelkerne aussehen?

Unnachahmlich, in einem zartroten Ton, schön durchsichtig, glasig, und im Inneren kann man den harten Kern erkennen. Dieses Granatrot ist eine wunderschöne Farbe, sehr kleidsam für mich. Ich mag diese Farbe. Selbst nach alldem.

Als ich im Oktober 2015 das erste Mal etwas in der Kloschüssel entdeckte, was mir so noch nie aufgefallen war, machte ich mir zunächst keine großen Gedanken. Es gab keinen Grund.

Ich war frisch verheiratet, hatte ein arbeitsreiches Projekt hinter mir und war glücklich und entspannt. Ich fühlte mich klasse.

Meine Freundin und ich genossen eine Woche Urlaub am Mittelmeer. Sie ist meine älteste Freundin, wir kennen uns seit unserem zweiten Lebensjahr. Wenn wir zusammen sind, lachen wir, bis wir umfallen. So auch in diesem Urlaub. Auf unseren langen Spaziergängen am Meer holten wir uns auch täglich einen frisch gepressten Saft aus Granatapfelkernen oder aßen diese köstlichen Kerne.

Wir quatschen den ganzen Tag lang und konnten vor lauter Lachen über die alte Kindergartenzeit und über die putzigen Leute im Hotel an nichts Schlimmes denken. Unmöglich.

Wer denkt schon an eine Katastrophe, wenn man sich mit der ältesten Freundin, die man hat, an den jugoslawischen Jungen namens Stanko aus dem Kindergarten erinnert, der vor unseren Augen einen lebenden Regenwurm verschlungen hat? Wir waren wie zwei pubertierende Lästermäuler und genossen jede Minute.

Können Granatapfelkerne auch noch so schön aussehen, wenn sie so leicht anverdaut sind? Nicht mehr als solche zu erkennen, aber immer noch so glasig rot? Können das, was ich sah, trotzdem noch Granatapfelkerne sein? Ich entschied: ja.

Ich schob meine Beobachtung in der Kloschüssel also zunächst einmal auf diese Kerne. Oder vielleicht war es auch Paprika? Nichts lag näher als das. Denn beides stand gerade auf unserem mediterranen Urlaubsspeiseplan.

Aber vor allem: nichts lag ferner als eine andere Ursache.

Und es war ja auch nur manchmal, noch nicht einmal täglich. So genau schaut man ja auch nicht immer hin, in die Schüssel… Und wenn ich genau hinsah, war es auch schon fast nicht wahrnehmbar. Nein, da war nichts.

Irgendwann wurde ich doch stutzig und googelte: Blut im Stuhl – in den allermeisten Fällen sind Hämorrhoiden die Ursache. Genau! In meinem Alter völlig normal. Ich war 52, zudem hatte ich eine größere Bauch OP ein halbes Jahr zuvor. Auch das hatte sicherlich Spuren in meinem Unterleib hinterlassen. Da kann schon mal was verrutschen. Und zwei Kinder hatte ich auf die Welt gebracht.

Dachte ich mir und machte mir keine Gedanken.

Ich erzählte meinem Mann von meiner Entdeckung. Ich berichtete einer Freundin davon. Sie ist Gynäkologin.

Beide waren sich komischerweise in einem einig und rieten mir: „mach eine Darmspiegelung“.

Alles, aber das bitte nicht. Ich hatte eine Heidenangst davor.

Aber sie lagen mir so in den Ohren, und um Ruhe zu haben, vereinbarte ich den Termin, jedoch halbherzig, vor allem aber widerwillig. Und immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, ihn wieder abzusagen.

Der Ausdruck „ich hatte Schiss“ bleibt im Jargon. Wer will auch so kurz vor Weihnachten noch „die kleine Hafenrundfahrt“? Und es ließ auch schon nach, nicht mehr jeden Tag, und so wenig. Die Granatapfelkerne, natürlich. Bildete ich mir ein. Nein, da war nichts.

War es Ignoranz, war es Angst, war es jugendlicher Leichtsinn? Ich weiß es nicht. Aber für die paar Wochen bis zum Arzttermin war ich mir sicher, nicht dorthin zu gehen, die anderen jedoch in dem Glauben zu lassen.

Um meine Ruhe zu haben. Der Termin stand, absagen könnte ich ihn noch ganz kurzfristig.

Ich bin mir sicher, dass Sie dieses Buch heute nicht in der Hand hielten, wenn ich den Termin hätte sausen lassen.

Leider ist Darmkrebs insofern tückisch, da er lange keine oder kaum Beschwerden oder Anzeichen macht.

Lediglich die Hartnäckigkeit meines Mannes hat mir das Leben gerettet.

Ich bin kein Mensch, der so schnell zum Arzt läuft. Mein Mann blieb hartnäckig und ermahnte mich: „da gehst du hin; das ist nicht schlimm. Dann bist du beruhigt und weißt, dass nichts ist“. Okay. Keck sprach ich einmal an: “und wenn man dort etwas entdecken sollte?“ Aber eigentlich wollte ich es nur einmal ausgesprochen haben, ohne auch nur selbst eine Sekunde wirklich für möglich zu halten, dass da etwas wäre.

Nein, das passiert schon nicht. Ich bin doch topfit. Es wurde nicht wirklich in Betracht gezogen. Im Nachhinein fragte ich mich, warum ich ihn denn doch so direkt auf diese Möglichkeit angesprochen habe, die ich selbst nie in Betracht gezogen hatte. Vielleicht war es so eine Art Liebestest? An eine Vorahnung mag ich auch heute noch nicht glauben.

Man überlegt sich ja manchmal auch, wie es wohl wäre, wenn man im Lotto gewinnen würde. So ähnlich war es mit meiner Frage nun auch.

Selbst das Aussprechen dieser Möglichkeit, dass da was sein könnte, war so wenig real. Ich verspürte keinerlei Angst bei diesem in Worte gefassten, unrealen Gedanken.

Eher eine Provokation in Richtung meines Mannes. „Du schickst mich da hin, und was ist, wenn der Arzt etwas findet? Dann bist du schuld.“

Die Provokation würde sich im Laufe der Jahre noch umdrehen. Denn dann würde mein Mann mir sagen: „wenn ich dir keinen Druck gemacht hätte…“.

Kapitel 2

Welcher Film läuft hier?

Kleine Spritze, blauer Traum. So formulierte es mal Janosch´ Tigerente. Ich würde von der Darmspiegelung nichts mitbekommen, weil man mir eine kurze Narkose geben würde.

Am 22.12.2015 war der Termin. Zwei Tage vor Heiligabend.

Meine Gedanken waren: dann habe ich es hinter mir. Und kann das Jahr beenden.

Ich bekam nichts mit von der Darmspiegelung. Im Wartezimmer wurde ich langsam wieder wacher nach der Narkose-Spritze.

So ein schönes Gefühl. So gerne hätte ich der wohltuenden Müdigkeit einfach nachgegeben. Fern ab von allem, nur Wohlgefühl. Herrlich. Aber, nein, ich musste wach werden, wir mussten gleich noch einkaufen.

Uns in den Weihnachtsrummel stürzen. Schließlich stand Heiligabend vor der Tür.

Später habe ich mir noch so manches Mal dieses blaue Gefühl herbeigewünscht – kleine Spritze, weg bist du.

Alles ist dir egal.

Ich saß also im Wartezimmer. Hing müde in dem Stuhl. Der Arzt rief noch einen Patienten vor mir hinein. So freundlich war er, lächelte jeden ganz herzlich an bei der ersten Begrüßung, wenn er die Patienten aus dem Wartezimmer abholte. Auch mich hatte er angelächelt, als er mich zur Hafenrundfahrt aufrief.

Ich rief meinen Mann an, er könne mich sofort wieder abholen, brauche nicht ins Parkhaus fahren. „Warte vor der Tür, ich bin gleich draußen. Kannst den Motor laufen lassen…“

Der Arzt kam, um mich für das Gespräch mitzunehmen. Er schaute ernster. Bildete ich mir jedenfalls ein. Aber er hatte mir ja bereits seine herzliche Begrüßung schon gegeben, ganz am Anfang. Ein Schelm, wer da Böses denken kann. Was ich auch wieder habe?

Immer alles überinterpretieren. Typisch für mich. Nun nimm einfach Platz und hör ihm zu. Schalte deine Quatschbox einfach aus.

Sein ernstes Gesicht blieb ernst. Sein erster Satz war: „Sie haben Darmkrebs.“ Pause.

Nein, kann nicht sein. Seine Worte hallten irgendwie noch nach in meinem Kopf. Ich lächelte und schüttelte sanft den Kopf. Der konnte unmöglich mich meinen. Ich drehte mich um, suchte den, den es angeht. Mich doch wohl keinesfalls?

Es folgten Worte wie „aufwendige Voruntersuchungen, gleich morgen ins Krankenhaus, Chemo, Bestrahlung, künstlicher Darmausgang…“ Die Ohrfeigen hörten gar nicht auf. Mit jedem Wort mehr schüttelte ich den Kopf, als wenn ich sie so einfach abschütteln könnte. Und ich lächelte. Schüttelte den Kopf und lächelte. Warum nur lächelte ich so dämlich? Was sollte das bewirken?

Freundlich in jeder Situation. Weinen wäre passender gewesen, aber so weit war ich noch nicht. Der Hall der gesprochenen Worte ballte sich in meinem Kopf. Ich verstand nichts mehr.

Hier lief ein Film, aber es war nicht meiner. Ich hatte keine Beschwerden, ich war topfit, fühlte mich super, hatte eines meiner glücklichsten Jahre seit langem in meinem Leben hinter mir. Das passte nicht zu mir, in mein Lebenskonzept. Außerdem war übermorgen Heiligabend.

Da war kein Krankenhausaufenthalt in meinem Kalender vorgesehen. Und schon gar nicht ein ganzes Jahr voller Therapien.

Und wir wollten doch gleich auch noch einkaufen.

Ich bat meinem Mann per Telefon, hochzukommen. Er stellte keine Fragen. Ich war ja auch ganz ruhig am Telefon. Und gab keine ungefragten Antworten. Weil hier einfach etwas schieflief und sich jeden Moment aufklären müsste.

Noch einmal wiederholte der Arzt, was ich schon gehört hatte, diesmal an meinen Mann gewandt. Da redete man über mich, ich saß daneben und hörte mir das an. Nun schon zum zweiten Mal. Aber es wurde auch jetzt noch nicht wirklicher für mich.

Ich lächelte ihn an, meinen Mann, der da ganz ruhig neben mir saß. Er fasste nur meine Hand und schaute mich an. Liebevoll. Nicht fassungslos. Diesen Mann konnte sehr wenig erschüttern. Eine wunderbare Eigenschaft in dieser Situation. Manchmal hielt ich ihn für zu rational, aber hier und heute war es genau das, was ich brauchte.

Also gut, es war ein kleiner Tumor da. Den konnten wir nicht wegdiskutieren. Auch ich konnte ihn sehen auf dem Bild. Die Histologie stünde aus, aber er sei sich ziemlich sicher. Ich hatte vollstes Vertrauen in diesen Arzt, obwohl ich ihm zum ersten Mal begegnet war. Sanft war er.

Herzlich. Ruhig. Aber trotzdem. Es hatte wirklich nichts mit ihm zu tun. Eher mit mir. Bitte nicht persönlich nehmen, lieber Herr Doktor. Aber ich bekam einfach keinen Krebs. Weil ich mir das so vorgenommen hatte.

Schon als junge Frau, als Mädchen. Als meine Mutter erkrankte. Brustkrebs. Ich hatte das alles mitgemacht, ich wollte das einfach nicht. Fertig. Das musste reichen.

Also würde man mich morgen oder nächste Woche anrufen. Um mir mitzuteilen, dass man sich geirrt habe.

Ganz sicher. Dass da zwar etwas in meinem Darm sei, die Histologie jedoch den Verdacht auf Krebs nicht bestätigt habe. Das kann doch passieren?

Keiner in unserer Familie hatte so etwas bisher. Und ich hatte auch sonst keine Risikofaktoren: ich war nicht übergewichtig, ich ernährte mich sehr gesund, hatte den ersten Alkohol erst mit 30 Jahren getrunken, nie geraucht.

Trieb Sport. Und war auch sonst ein guter Mensch.

Außerdem hatte ich gerade sieben Monate zuvor schon eine große Bauch OP gehabt. Mein Soll war erfüllt. Mir reichte es fürs ganze Leben. Das waren doch wohl Gründe genug? Und ich hätte es dem Labor auch nicht übelgenommen. Jedenfalls nicht in dem Fall. Da durften sie sich ruhig mal irren, selbst bei einer Juristin. Ich hätte ein Auge zugedrückt in diesem Fall. Mildernde Umstände.

Kapitel 3

Voruntersuchungen

Nur 12 Stunden nach dieser Diagnose fand ich mich im Krankenhaus ein. Aufwendige Voruntersuchungen hatte man mir angekündigt. Der Arzt von gestern, der diese Entdeckung gemacht hatte, hatte noch während ich im Stuhl in dem Wartezimmer saß und vor mich hindöste, aus der Narkose aufwachte, schon alles mit dem Krankenhaus geklärt. Man wollte keine wertvolle Zeit verlieren und sofort mit den eingehenden Untersuchungen und dann mit der Therapie beginnen.

Diese Eile machte mir Angst. War es schon so dringend?

In der Patientenaufnahme (hurra, der Computer kannte mich noch, hatte ich doch erst ein paar Monate zuvor eine Gebärmutterentfernung hier vornehmen lassen) schaute mich die nette Dame leicht mitfühlend an. Klar, sie konnte lesen, weshalb ich nun hier war: hochgradiger Verdacht auf Karzinom. Das versteht fast jeder.

Sie schickte uns auf die Station. Es war morgens. Nüchtern, aber voll von Sorgen und einem unguten Gefühl im Magen, stand ich bedröppelt mit meinen Papieren in der Hand vor dem Schwesternzimmer. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die ersten zwölf Stunden seit dieser Verdachtsäußerung hinter mich gebracht hatte.

Eine junge, hübsche, gut geschminkte dynamische blonde (war das wichtig?) Schwester fragte mich:

“Termin?“. Nur dieses eine Wort. Normalerweise hätte ich ihr etwas Entsprechendes geantwortet, mich dumm gestellt und „wie meinen?“ oder irgendetwas Sinnloses in ähnlich kurzer Ausführung entgegnet.

Normalerweise machte ich an geeigneter Stelle solche Kommunikationskünstler gerne auf ihr Manko aufmerksam. Ich trainierte Menschen in gelungener Kommunikation, aber hier und heute war ich nicht in der Position. Hier war nichts normal.

Hier war ich nicht ich. Vor ihr stand eine kleine, kraftlose, verzweifelte und hilfesuchende Frau ohne Rückgrat und ohne Boden unter den Füßen. Den hatte man mir zwölf Stunden zuvor weggezogen. Das war nicht die selbstbewusste, lebenserfahrene, gebildete und selbstständige Frau, die schon 52 Jahre alle Herausforderungen ihres spannenden Lebens gemeistert hatte, was schätzungsweise einen Vorsprung von 25 Jahren ihr gegenüber machte. Hier war eindeutig die Krankenschwester im Vorteil, und es war nicht nur der Heimvorteil.

Sie entnahm mir all meine Papiere und verschwand. Im Schwesternzimmer griff sie zum Telefon, ich konnte hören, wie sie sagte, eine Frau Waldner sei nicht angemeldet, hier gäbe es eine Verwechslung, sie erwarte eine Frau Witte. Ich deutete ihr, vielleicht doch einmal mich anzuhören, mit mir zu sprechen, einfach mal mehr als ein Wort zu reden. Ich könnte es nämlich schnell aufklären: da ich erst im August geheiratet hatte, war ich im Patienten-System noch unter meinem vorherigen Namen gespeichert. Alles sei gut. Was den Namen und den Termin betrifft, jedenfalls. Sonst war natürlich nichts gut.

Ich sollte hier sein. Musste es sogar. Ich konnte mir nicht verkneifen, ihr noch mitzugeben, dass sie mich nur hätte fragen müssen. Dies hob die Stimmung und ihre Laune nicht unbedingt. Ohne Worte lief sie vor mir her und lotse mich in ein Vier-Bett-Zimmer. Drei der Betten waren belegt. Alle drei alten Damen schauten mich erwartungsvoll an.

Ah, die Neue. Und so jung? Im Vergleich zu denen jedenfalls war ich jung. Und dass zumindest eine an Inkontinenz litt, war für mich nicht zu überriechen. Und das mir. Wenn´s läuft, dann läuft´s. Wo ich zwar nicht so gut hören, dafür aber umso besser riechen konnte. Na prima. Da die Wand mit den drei eng aneinander gereihten Betten voll war, stand mein Bett quasi im Durchgang. Direkt an der stets offenen Tür zum Flur.

Die Schwester deutete mir, mich hinzulegen. Warum hinlegen? Ich war ja nicht krank? Na ja, aber zumindest war ich fit. In diesem vollen Krankenzimmer jedenfalls wollte ich nicht bleiben. Ich stellte meine Tasche ab, und mein Mann und ich gingen auf den Flur. Im Geiste bat ich schon die Nachtschwester um eine Dröhnung für die Nacht, denn in diesem Zimmer würde ich ganz sicher kein Auge zudrücken können.

Im Laufe des Tages schickte man mich ins MRT, ins CT, zur Sonographie und zu rektalen Untersuchungen. Dass es wohl auch rektale Untersuchungen sein würden, war mir schon klar. Also die Hosen runterlassen. In mein Innerstes schauen lassen.

Alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte waren äußerst freundlich. Man behandelte mich sehr schonend, mitfühlend und vor allem: auf Augenhöhe. Meine psychische Verfassung („sie müssen entschuldigen, dass ich weine, ich weiß das erst seit 12 Stunden“) war auch für Ärzte nachvollziehbar. Viele von ihnen waren in meinem Alter. Ob das etwas war, was eine Verbindung schuf? Vielleicht. Wie viele von ihnen dachten in dem Moment wohl daran, dass es auch sie treffen konnte? Der Einschlag war nah, alle von ihnen hätten in meiner Situation sein können. Nichts falsch gemacht, gesund gelebt, keine erkennbaren Risikofaktoren und trotzdem – wumm – Krebs.

Interessanterweise waren die physischen Untersuchungen gar nicht so schlimm. Obwohl ich mich als denkbar schlechten Patienten empfinde, ließ ich mich anfassen ohne zu Zögern. Mehrmals pumpte man mir einen Liter Flüssigkeit „achtern“ rein. Sehr zartfühlend und vorsichtig waren sie dabei. Mitfühlend fragte man mich, ob es denn noch auszuhalten sei. „Ja, es ist kein Problem, aber nicht, dass Sie denken, ich steh´ drauf.“

Der erste Lacher seit… zwölf Stunden.

Ich checkte die Abdeckung auf der Liege, die mich in das große Röntgengerät fuhr. Wunderte mich über mich selbst, weil ich aussprach, was ich dachte: „wenn ich es nicht halten kann, dann läuft es eben raus. Es ist ja wasserdicht unter mir?“

Was? Ich als Kontrollfreak dachte daran, es laufen zu lassen? Wie gesagt, das war nicht ich, nicht die, die ich kannte.

Ich wusste kaum, wo ich hinschauen sollte, ob ich atmen durfte, ob ich wissen wollte, was man dort sah. Die erlösende Antwort kam relativ schnell: keine Metastasen.

Man verwies mich in eine ganz andere Abteilung, wo das MRT gemacht werden würde. Dort angekommen, wurde ich gefragt, ob ich denn die Flüssigkeit schon getrunken hätte? Welche Flüssigkeit? Man hatte mir nichts gegeben, ich wusste auch nicht, dass dies notwendig war, woher auch, also fragte ich nicht danach. Ich ging davon aus, dass die Kommunikationskünstlerin von heute Morgen (die Blonde, Sie wissen schon) wüsste, was zu tun sei.

Wusste sie nicht. Man stellte mich vor die Wahl: Sie können jetzt über 2 Stunden das Zeug trinken. Oder… Ja? Oder? „Oder wir spritzen es Ihnen achtern rein.“

Meine Wahl war klar. Warten wollte ich nicht. Also rein in die gute Stube. Aufnahmen gemacht. Gebetet. Alle Himmelsgeschöpfe und Schutzengel angerufen, die es nur gibt. Bitte lasst es nichts sein. Die Untersuchung ging relativ schnell. Auch hier beruhigte man mich, so schnell es ging: nichts Verdächtiges gefunden.

Nächster Untersuchungspunkt: Ultraschall des Bauches und aller Organe. Mein Mann und ich betraten einen abgedunkelten, großen Raum. Hinten am Fenster saß ein junger Mann. Uns den Rücken zugewandt murmelte er „bin gleich da“. Er stellte sich als Arzt vor. Er sah aus wie ein Kämpfer des IS, krauses, dickes schwarzes Haar und ein Rauschebart.

Und er war auch kein Mann der vielen Worte. Stumm drückte er das Sonographie Gel aus der Flasche auf meinen Bauch, und ebenso wortlos drückte er mal hier, mal da, auf meinen Bauch. Wieder so ein Kommunikationskünstler. Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Versuchte, jedes Zucken mit der Wimper zu deuten. War da was? War alles in Ordnung?

Was siehst du? Rede mit mir. Los, sag doch was. Er blieb stumm. Je länger er wieder und wieder auf ein und derselben Stelle tief drückte, umso mehr wuchs die ohnehin schon riesengroße Angst. Was, wenn da noch mehr war als nur dieses kleine Scheißerchen im Darm?

Aha, er wollte es sich genauer ansehen. Also muss da doch was sein? Ein weiterer Arzt kam herein, er sprach meine Muttersprache, stellte sich als Oberarzt vor. Er fragte den IS Kämpfer, ob er etwas Auffälliges entdeckt habe. Ein kaum wahrnehmbares Nicken. Ich meinte, das Wort „Leber“ gehört zu haben.

Das war´s. Ich konnte nur noch die Augen aufreißen. Atmen nicht vergessen. Ich wollte weg, wollte es nicht wissen, wollte in Ruhe und nicht hier im Krankenhaus sterben. Der Oberarzt übernahm ruhig den Schallkopf. Er schaute genau hin. Es fühlte sich an wie ewige Minuten, bis er sagte: “ich glaube, es ist nur ein Blutschwamm.“

Aber die Hand dafür ins Feuer legen, mir, der Krebserkrankten nun Versprechungen machen, das wollte er nicht.

Wussten die, dass ich Jurist bin? Waren sie deshalb so vorsichtig? Ich könnte ja irgendwann mal auf die Idee kommen, den Doc zu verklagen. Von wegen „Herr Doktor, SIE haben aber doch gesagt, es ist nichts?“

Er empfahl, das ganze unter Kontrastmittel noch einmal schallen zu lassen. Aber jetzt kam erst einmal Weihnachten dazwischen. Keine Termine, keine Untersuchungen.

Also warten. Der nächste Termin war in einer Woche. Ein Tag vor Silvester. Bis dann sei auch die Histologie da.

„Ihren Fall besprechen wir aber morgen schon in unserer Tumorkonferenz.“ Hörte sich wichtig an. Kompetenz am Platz. Das gab ein gutes Gefühl. Außerdem war morgen Heiligabend. Wenn das kein gutes Datum ist?

Ich gebe zu, selbst in dem Moment hielt ich es immer noch für möglich, dass die Histologie zeigen würde, dass das alles nur ein großer Irrtum war.

War es natürlich nicht.

Kapitel 4

Und dann war Weihnachten

Sollten wir, oder sollten wir nicht…?

Am 22. Dezember, also zwei Tage vor Heiligabend, erhielt ich die Diagnose. Schon am folgenden Tag stand ich mit meinem Köfferchen im Krankenhaus. Der einweisende Arzt hatte bereits, während ich noch aus der Narkose aufwachte, diesen Termin für die nun anstehenden weiteren Untersuchungen verabredet. Er meinte: wenn Sie Glück haben, sind Sie Heiligabend wieder zuhause. Wir hatten ab dem 24. Dezember Skiurlaub gebucht und wollten uns mit Sohn und dessen Freundin in einem Hotel in Österreich treffen und die Weihnachtstage dort verbringen. Lustig sein, Skifahren, in die Sauna gehen, quatschen, genießen.

Aber nun war alles anders. Wir befanden uns in einem Zeitloch. Wir waren gelähmt, konnten an nichts denken oder an so vieles. Gemeinsam beschlossen mein Mann und ich, die Untersuchungen abzuwarten. Wir würden sehen, wonach uns wäre am Morgen des 24. Dezember.

Ich durchlief alle geplanten, umfangreichen Untersuchungen im Krankenhaus an einem Tag und konnte noch am Vorabend des 24. Dezember wieder nach Hause. Mein Krankenhaus-Köfferchen wurde nicht ausgepackt. Und auch die drei Damen in dem Krankenzimmer, welches mir zugewiesen war, musste auf meine Gesellschaft verzichten.

Die vergangenen Tage hatten mir sämtliche Energien geraubt. Ich war so geschlaucht, dass ich nur noch schlafen wollte. Wir würden spontan am nächsten Morgen entscheiden, ob wir noch nach Österreich fahren oder lieber daheimbleiben wollten. Irgendwie war ja alles doof.

Wir schauten uns an und sagten: egal, ob wir nun hier oder im Hotel in unsere Kissen weinen. Dann doch lieber in einer schönen Umgebung weinen. Also packten wir am Heiligabend in aller Ruhe unsere Koffer und setzten uns ins Auto. Gegen frühen Mittag starteten wir die fünfstündige Autofahrt. Die Autobahn war so leer, wie wir sie noch nie gesehen hatten. Wir waren alleine, auf der Straße, mit uns und unseren Gedanken. Wir sprachen wenig und dachten viel.

Uns erwarteten ein wunderschönes Hotel, die beiden jungen Leute und eine familiäre Atmosphäre mit Weihnachtsbaum, einem richtigen Weihnachtsmann und viel Schnee. Und eine schöne Bescherung. Eine wirklich schöne.

Kurz eingecheckt, frischgemacht und umgezogen, und ab zur Bescherung ins Hotelfoyer.

Die nächste Überraschung stand uns bevor, doch dieses Mal eine, die freudig war. Der Sohn überreichte uns ein kleines Päckchen, mein Mann/ sein Vater packte es aus, und darin lag ein Schnuller. Mehr brauchte es für uns nicht, um zu verstehen, dass die beiden sich auf Nachwuchs freuten. So nah liegen Freud und Leid beieinander. Tod und Geburt. Das Leben eben.

Dieser Tag ging mit einem friedlichen Beisammensein zu Ende. Die werdende Mama hatte noch extra einen Kalender mit aufmunternden Sprüchen für mich besorgt.

Er begleitet mich noch heute. So, wie auch die kleine Überraschung, die mittlerweile ein wunderbares Kind und unsere Enkelin ist.

Natürlich redeten wir viel in den Weihnachtstagen. Mein Mann fuhr Ski mit dem Sohn, und die werdende Mama und ich, also die werdende Oma sozusagen, spazierten im Schnee.

Es war eine besondere Zeit. Wir beide mussten erst zusammenfinden. Und nun waren wir uns plötzlich sehr nah. Fast wie Mutter und Tochter. Irgendwie war alles anders. Wir beide hatten nun spannende Monate vor uns.

Bei ihr würde und sollte etwas wachsen, bei mir sollte etwas schrumpfen. Es verband uns beide eine gewisse Ungewissheit. Und die Hoffnung, dass alles gut ausgehen würde. Und viel Verständnis füreinander.

Kapitel 5

Was, wenn…?

Am 30.12. musste ich erneut ins Krankenhaus, zur weiteren Kontrolle der Leber. Nüchtern. Irgendwie befand ich mich eh in einem Modus der Zeitlosigkeit, der Apathie.

Und wiederum auch nicht. Schon den Vortag wurde mir plötzlich klar, dass morgen und mit dieser Untersuchung ein wichtiger Tag sei.

Ich kann mich gar nicht erinnern, wie ich die letzte Woche seit Diagnosestellung verbracht hatte. Ein Zeitloch war da. Den Kopf voller Gedanken, und dennoch innerlich leer, so fühlte es sich an. Unbeschreiblich.

Meine Angst steigerte sich ins Uferlose. Was, wenn..? Ich wollte den Gedanken noch nicht einmal im Stillen ausformulieren. Ich musste mit allem rechnen. Darauf zu vertrauen, dass es wirklich nur ein Blutschwamm ist, wäre das nicht naiv? Auf so viel Glück setzen? Hatte ich das verdient? Wo mich das Glück doch scheinbar verlassen hatte? Mein Kopf fuhr Achterbahn. Aber ohne Lenkrad.

Ich hatte nichts mehr im Griff.

Diesmal war sofort der Oberarzt da, der mich, oder wohl eher meine Leber, schon kannte. Er nahm den Schallkopf in die Hand und schaute auf den Bildschirm. Mein Gesicht war von ihm abgewandt. Ich konnte es nicht ertragen, irgendetwas zu sehen. Wollte ihm nicht ins Gesicht sehen. Mögliche Regungen in seinem Gesicht entdecken.

Mein Mann hielt meine Hand, nein, ich krallte mich in seine.

Ich machte Angebote an Gott – ich würde ALLES tun, wenn die Leber wenigstens in Ordnung wäre. Was einem in so einem Moment doch so alles einfällt? Da wird man regelrecht erfinderisch. Was würde ich Buße tun, für alle Sünden, die ich begangen hätte?

Als der Arzt sagte, es sei wirklich nur ein Blutschwamm, war das der schönste Moment für mich seit einer Woche.

Die Erlösung. Das kleine Wunder. Ich schüttelte mich vor Weinen und Schluchzen. So viel Anspannung war da in mir, dass es für den Rest des Tages reichte, um zu heulen. Ich fiel von der Liege, meinem Mann in die Arme.

Er fing mich auf, wie so oft noch.

An diesem Abend fuhren wir stumm nach Hause. Ich war körperlich so ausgelaugt, dass ich fast sofort in einen tiefen Erschöpfungsschlaf auf dem Sofa fiel.

Kapitel 6

Rückblick- Jahresplanung –Ausblick

Und dann war Silvester. Der 31. Dezember 2015. Was für eine Woche lag hinter mir? Was für ein Jahr? Was für ein Leben?

Rückblick: ich hatte ein sehr anstrengendes berufliches Projekt im Frühjahr desselben Jahres abgeschlossen. Ich hatte eine abdominale Hysterektomie (Entfernung der Gebärmutter über den Bauch) hinter mir im Mai, die nicht lustig war. Ein paar Wochen später schon nach dieser großen OP feierten mein Mann und ich eine Traumhochzeit. Ich war so glücklich, wie ewig nicht. Und war aus diesem Wolkenkuckucksheim herausgefallen, am 22. Dezember 2015. Ich stand an einem Punkt im Leben, den ich nie für möglich gehalten hätte. Und auch nicht wollte.

Ich dachte: weißt du noch, wie du so starke Rücken- und Muskelbeschwerden hattest in dem Frühjahr zuvor? Wie du eine Todesangst hattest in dieser Zeit, die du dir nicht erklären konntest? Die nicht alleine auf diesen immensen beruflichen Stress zurückzuführen sein konnte? Diese Fragen stellte ich mir lange. Mit der Zeit bin ich zu einer Erkenntnis gekommen. Doch dazu später noch.

Wegen meiner starken Verspannungen gönnte ich mir ein paar Besuche bei meinem Osteopathen. Er ist der Sohn eines alten Freundes. Wir kennen uns gut und schätzen unsere Qualifikationen einander.

Viele unsere Handlungsfelder (ich: Seele und Körper, er: Körper und Psyche) überschneiden sich oder bedienen einander. Körper, Geist und Seele sind unzertrennbar.

Auch bei mir, aber zu dem Zeitpunkt konnte ich das noch nicht erkennen.

Die Klinik, in der er arbeitet, ist eine Wohlfühl-Oase, in der sich auch so mancher Prominente oft eine Auszeit gönnt.

Man kommt herein, und die entspannte Atmosphäre umhüllt einen.

Die Behandlung begann. Ich freute mich schon auf die wohltuenden Handgriffe des Osteopathen. Danach ging es mir immer spürbar besser, ich war gelockert und tiefenentspannt. Doch warum nur löste der Druck seiner Hände auf bestimmte Punkte in meinem Körper diesmal unmittelbar Tränen bei mir aus? Ich konnte es gar nicht kontrollieren, und meine Tränen suchten sich einfach ihren Weg. Was war denn nun los? Hatte ich eine Macke?

Das war schon auffällig. Aber ich konnte es nicht einordnen.

In dieser Zeit hatte ich zudem oft eine sehr merkwürdige Ansicht von meinem Leben: ich sah meine Lebenszeit vor meinen Augen wie ein Zentimetermaß. Und dabei sah ich nicht das, was ich schon hinter mir hatte, sondern nur noch das deutlich kürzere Ende, was vor mir lag. Wie ein Abreißkalender wurde der Block immer weniger, mit jedem Tag, der hinter mir lag. Der Gedanke und das damit verbundene Gefühl waren extrem. Und es war für mich nicht nachvollziehbar. Putzig, was enormer Stress doch für Gedankengebilde hervorbringen kann. Damit erklärte ich mir meine Verwirrtheit und diese verstörenden Gedanken.

Doch während mein Osteopath mich behandelte, schoss mir plötzlich ein ganz klarer Gedanke durch den Kopf.

Mein Körper krampfte, das spürte ich. Und zwar am Leben. In Worten übersetzt, fühlte es sich so an, als wenn mein ganzer Körper sich ans Leben krallte und es versuchte festzuhalten. Mit jeder Zelle in meinem Kröper.

Das wurde mir hier bewusst. Aber warum? Dieser Gedanke war plötzlich glasklar: mein Körper hält sich krampfhaft am Leben fest.

Ich hatte Todesangst, und ich konnte mir nicht erklären, was mit mir los war. Ich konnte mich nur noch auf das Ende konzentrieren. Ich sah mein Lebensende vor mir – zeitlich undefiniert, aber es war vor meinen Augen.

Ich schalt mich dafür. Ich hatte doch wohl eine Macke? Ich war frisch verheiratet, das berufliche Projekt war bald beendet, und dann konnte ich doch das Frühjahr genießen.

Heute bin ich mir sicher, dass mein Unbewusstes schon ahnte, dass da was im Busche war. Heute, nach Jahren der Genesung, habe ich gelernt, auf solche komischen Bauchgefühle und Gedanken mehr zu achten. Ich bin immer noch fasziniert, dass unser System so wissend ist, und dass man lernen kann, achtsamer auf diese Signale zu hören.

Nie mehr seit dieser Zeit hatte ich eine derartige Sichtweise auf mein Leben. Ich blicke zurück, ich blicke nach vorn, aber ich kann gut im Hier und Jetzt sein. Es fühlt sich ausgewogen an.

Vieles im Leben kann man erst rückblickend erkennen, verstehen und deuten. Aber es kann einem auch gelingen, der Sprache seiner Seele (oder wie auch immer man es nennen mag) besser zu lauschen.

Später, Monate nach diesem Vorfall beim Osteopathen und zu Beginn des Jahres 2015, als mir gegen Ende des Jahres meine Krebsdiagnose bekannt gegeben wurde, ahnte ich, dass diese unerklärlichen Gedanken und Tränen mehr waren als reine Abreaktionen auf Stress.

Es war das erste Mal, dass ich begann, über meinen Körper und meine Seele und die Weisheit unseres Unbewussten zu staunen.

Aber es würde nicht das letzte Mal sein.

Auch als Trauerrednerin, die ich später sein würde, sind mir solchen Phänomenen öfter von Angehörigen berichtet worden. Also gibt es so etwas wie eine höhere Weisheit.

Kapitel 7

Anfang 2016 – Beginn der Krebstherapie

Vor mir lagen nun spannende Zeiten.

In Gedanken schaute ich mir das Neue Jahr an. Was lag nun alles vor mir? Es stürmte so viel auf mich ein, dass ich es nicht fassen konnte. Das schwierigste daran war, dass ich das meiste gar nicht planen konnte. Ich konnte ja nicht im Voraus wissen, wie mein Körper auf die Behandlungen ansprechen würde, mit welchen Reaktionen ich zu rechnen hätte. Ärzte waren in dieser Phase auch keine Hilfe. Überhaupt hielten sie sich mit Prognosen sehr bedeckt.

Welche weiteren Überraschungen würden auf mich warten? Und das alles mir, die ich so gerne alles im Griff und unter Kontrolle hatte. Die eigentlich im Vorhinein gerne weiß, was auf sie zukommt.

Schon meine Handtasche spricht über mich eine deutliche Sprache: da findet man alles, was man so möglicherwiese über den Tag gebrauchen könnte: vom Schokoriegel bis zum kleinen Werkzeug, von Schrauben über Einmalhandschuhe, von Lippenstift über Zahnpasta… wirklich alles ist da zu finden. Ich bin immer gerne vorbereitet. Kontrolliertes Chaos.

Aber jetzt? Wie sollte ich mich vorbereiten? Keine Chance.

Ich bestellte mir ein Rudergerät – wenn schon Chemotherapie, so würde ich wenigstens zuhause trainieren wollen. Nicht einmal war ich in dieser Zeit darauf – so viel sei verraten.

Konnte man mich nicht einfach Schlafenlegen bis Ende des kommenden Jahres? Wegbeamen, bis alles vorbei wäre? Nein, da musste ich durch. OK, packen wir´s an.

„Auf in den Kampf“, dieser Ausdruck lag mir total fern und traf es nicht. Denn ich wollte nicht kämpfen, der Krebs war kein Gegner für mich. Er wollte mir etwas aufzeigen.

Und ich würde genau hinschauen.

Erstaunlich schnell konnte ich das alles annehmen.

Andere kamen mit meinem Tempo manchmal nicht mit, auch früher schon in meinem Leben. Für mich war es normal. Hier zeigte sich eine ganz besondere Persönlichkeitseigenschaft von mir: annehmen können.

Wir oft in meinem Leben hatte ich mir schon etwas gefallen lassen, ohne Widerstand? Ohne zu kämpfen.

Nein, ich bin kein bequemer Mensch, der zu faul ist zum Kämpfen. Aber es ist nicht meine innere Einstellung.

Heute denke ich, dass auch dies in der kommenden Zeit mein Lernfeld werden sollte: sich wehren, und trotzdem innerlich sanft sein. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem gesunden Kampfgeist und der demütigen Akzeptanz dessen, was ist. Andererseits war ich alles andere als ein Mensch, der sofort alles akzeptierte. Ganz im Gegenteil, ich hinterfragte alles erst einmal. Und das tat ich ja auch jetzt. Ich stellte die Frage, wozu mir das jetzt passierte.

Aber ich unterschied auch: was ich nicht ändern konnte, musste ich ja annehmen. Und das wiederum gelingt mir sehr gut. Was der Unterschied ist? Das innere Gefühl, dass es so sein soll und für mein Leben einen Sinn macht. Es galt nur noch, diesen herauszufinden.

„Wenn du das WOFÜR verstehst, ist das WARUM nicht mehr wichtig!“

Kapitel 8

Wofür oder Warum?

Ich schaute auf den kleinen Tischkalender, den ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Der mit den aufbauenden Sprüchen für das kommende Jahr.

Welche Sprüche berührten mich? Auf dem Blatt, was ich gerade als erstes zufällig aufgeklappt hatte, stand: Ich bin es wert…

Womm – der Spruch haute rein. War ich es wert? Wert, gesund zu sein? Glücklich zu sein? Ich fühlte mich so klein, so unbedeutend. Wieso sollte ausgerechnet ich das Glück haben, was anderen, doch so viel wertvolleren Menschen nicht vergönnt ist? Mir war klar: genau daran musste ich arbeiten. Ich hatte keinen Grund, mich wertlos zu fühlen. Ich musste dahin kommen, mit Fug und Recht zu sagen: ja, ich bin es wert! Eine große Aufgabe lag vor mir. Aber jetzt liefen mir erst einmal die Tränen bei dem Spruch. So sehr berührte er mich.

Mein Mann und ich machten so lange weiter mit unserem normalen Leben, wie es eben ging. Wir beide lieben das Tanzen. Dass ich auch da eine sehr glückliche Frau bin, weiß ich zu schätzen. Wir waren in einem Tanzkreis und tanzten einmal in der Woche. Den Tanzlehrer weihte ich sofort ein – er musste ja wissen, was auf uns zukam.

Dass ich unter Umständen sofort würde aussteigen müssen, wenn ich nicht mehr könnte. Dass zwei Operationen anstanden, die eine Auszeit vom Tanzen bedeuten würden.

Der arme Kerl, er tat mir Leid. Er war noch so jung und sichtlich geschockt, als ich ihm von meiner Krankheit berichtete. Den anderen im Tanzkreis sagte ich erst einmal nichts. Sie würden es früher oder später mitbekommen. An einem der Tanzabende spielte Tristan, unser Tanzlehrer, unseren Hochzeitswalzer. Er kannte ihn, denn wir hatten vor unserer Hochzeit, ganz kurz nach meiner großen Gebärmutter Operation Privatstunden bei ihm genommen, um unseren Hochzeitswalzer perfekt tanzen zu können.

„You light up my life…“

Nun spielte er ihn, ohne Vorwarnung, er wollte mir bestimmt eine Freude machen. Und ich musste mich zusammenreißen. Die Erinnerung an unsere wunderschöne, perfekte Hochzeit, die noch gar nicht so lange her war, berührte mich zu stark. Mein Mann verstand, auch ohne Worte. Es war eine Mischung aus Traurigkeit, Freude und Dankbarkeit. Und vielen Tränen.

Solche emotionalen Momente würden sich ab jetzt immer mehr ergeben. Viele Menschen sind nach einer solchen Diagnose und während der Therapie viel dünnhäutiger und viel schneller den Tränen nahe. Und manchmal dann ihr Leben lang. So ging es mir jedenfalls. Und das ist gut so!

Kapitel 9

Ursachenforschung

Als wenn es so einfach wäre: man ist ein guter Mensch, und schon ist man vor Schicksalsschlägen gefeit.

In meinem Kopf taten sich Gedanken auf, die aus unterschiedlichsten Ecken zu rufen schienen. Das ist die Strafe für…? Ja, wofür denn nur? Dafür, dass ich mal schlecht über jemanden geredet hatte? Dass ich als Kind im Lebensmittelladen meines Großvaters Süßigkeiten „geklaut“ hatte? Weil ich meinen ersten Mann verlassen hatte?

STOPP. Diese Gedankenspirale musste ich umgehend beenden. Sie führte zu nichts. Mit Schuld hatte das Ganze sicher nichts zu tun. Den Gedanken an Schuld wollte ich auf keinen Fall weiterdenken. Es musste etwas anderes sein.

Ich hatte einen anderen Zugang zu diesen Themen. Bereits im letzten Jahr bereitete ich mich vor auf eine Weiterbildung, die nun zu Anfang des neuen Jahres stattfinden sollte. Als Coach wollte ich eine weitere Technik erlernen: Rückführungsbegleitung.

Rückführungen in frühere Leben, um tiefer liegende Ursachen für Beschwerden, Mustern und Blockaden zu erkennen.

Schon als Kind war ich mir sicher, dass ich schon einmal gelebt hatte. Ich „wusste“ es einfach. Spürte es. Da waren so viele Bilder, Wissen, Ahnungen und Puzzleteile in mir, die schon länger da waren als nur aus diesem Leben.

Und selbst als studierte Juristin passte diese Anschauung in mein Weltbild. Für mich war das kein Widerspruch, denn es basierte zum einen auf meinem starken Gefühl, was für mich eine gefühlte Gewissheit war. Zum anderen hatte bislang noch keiner das Gegenteil bewiesen. In dubio pro reo – im Zweifel erst einmal für den Angeklagten.

Auch aus diesen logischen Gründen durfte ich das also glauben. Als Freigeist halte ich es außerdem frei nach Friedrich II.: Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden.

Weder müsste man mich vom Gegenteil überzeugen, noch versuchte ich, andere zu missionieren. So sind sie, die Wassermänner. Und ich war einer.

Ich wollte schon lange kein Jurist mehr sein, und durch meine etlichen Coachingausbildungen durfte ich selbst an mir und an anderen erleben, dass vieles auf einer ganz anderen Ebene als der des Verstandes wirkt. Wie spannend nun diese weitere Erfahrung für mich noch einmal werden sollte, ahnte ich in dem Moment der Krebsdiagnose nur. Aber diese Ebene zeigte sich ja bereits deutlich, als ich weit vor der Diagnose diese unbestimmte Todesangst hatte.

Jetzt jedoch hatte ich die Rollen getauscht. Nicht ich war der Coach, der Helfende, der Ratgeber, sondern ich hörte mir Ratschläge an, war der Hilfesuchende. Die Sichtweise der anderen zu lernen, habe ich schon immer für eine wichtige Erfahrung gehalten. Aber so genau wollte ich es nicht wissen, jedenfalls nicht bei diesem Thema. Krebs.

Als Betroffene. Hätte nicht sein müssen, so dachte ich.

Nun hatte ich also gerade einige Bücher über die Seelenwege gelesen. Wie spannend, von anerkannten und erfahrenen Hypnosetherapeuten über deren Erfahrungen mit Rückführungen zu lesen. Auch wenn es manchmal schwer für unseren Verstand zu begreifen ist: unsere Seele hat sich für dieses Leben genau diesen Weg ausgesucht.

Noch heute staune ich über diesen Satz, und noch heute kann mein Verstand ihn nur schwer annehmen. Und doch hilft mir nur dieses Verständnis von Leben und Schicksalen, das Leben in seiner ganzen Bandbreite, die manchmal sehr grausam und schwer ertragbar ist, anzunehmen. Anzuerkennen als das, was sie sind: Seelenerfahrungen. Mit diesem Bild kam ich gut zurecht.

Aber dass ich selbst das gebucht haben sollte, vor meiner Inkarnation…? Blöd.

Gut, dann hatte da also meine Seele bereits vor meiner Geburt dies so ausgemacht. Aber nun hatte ich etwas anderes vor, war damit nicht einverstanden. Und nun?

Wie bekamen wir die Kuh vom Eis?

Konnte ich mit irgendjemand darüber verhandeln?

Eine meiner Spezialitäten: Verhandeln. Nicht einfach alles akzeptieren. Und ich war stolz darauf, genau durch diese Eigenschaft schon so viel für mich und andere ausgehandelt zu haben. Aber hier kam ich an meine Grenze. Hier gab es keinen Spielraum: wenn ich dies oder jenes tue, bekomme ich ein längeres Leben. Nein.

Dies war der völlige Kontrollverlust. Für mich der Super-GAU.

Mir war klar: hier musste ich Kontrolle abgeben, anderen Vertrauen, teils blind, weil mir die nötige Fachkenntnis fehlte.

Wie verheerend die Recherche im Internet sein kann, wenn es um körperliche Erkrankungen geht, hatte ich bereits erfahren. Schon vor meiner ersten großen OP, der Gebärmutterentfernung ein paar Monate zuvor, las ich etliches darüber. Da gab es sogar so Internetseiten wie „Rettet die Gebärmutter“.

Als ich die Entscheidung traf, die Gebärmutter entfernen zu lassen, weil ich alle anderen Register schon gezogen hatte, schon seit Jahren ein großes Dilemma damit hatte, kam ich mir vor wie jemand, der Tiere schändet. Organe achtlos entfernen lässt. Eine böse Frau. „Das ist doch nicht natürlich, wenn du das tust. Deine Gebärmutter gehört zu dir.“ Und so weiter… So war es manchmal zu lesen.

Natürlich war dem nicht so. Schon da konnte ich mich damit auseinandersetzen, was mir guttut, und was andere für gut halten, selbst wenn sie gar nicht in meinem Körper stecken. Das konnte ich später noch sehr oft erfahren.

Eine Kunst ist es allerdings, seinem Gespür nachzugehen und sich nicht von anderen verrückt machen zu lassen.