Ausflug mit dem Zerberus - Mirko Bonné - E-Book

Ausflug mit dem Zerberus E-Book

Mirko Bonné

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Beschreibung

"Ich stellte mir vor, ich wäre der Hundesitter der Unterwelt, und Persephone hätte mich rufen lassen, damit ich den Zerberus spazieren führe. Wie sieht der dreiköpfige Wachhund des Hades aus? Wohin mit ihm Gassi gehen?" Mirko Bonné wählt die ganze Welt für seinen Spaziergang mit dem Höllenhund. Die Reise führt nach Südamerika und in die Antarktis, nach New York und Amsterdam, an die Orte seiner Kindheit und Familie, auf den Mond und zurück. Den drei Augenpaaren des Zerberus entgeht nichts: Detaillierte, poetische Reisebetrachtungen wechseln in diesen klugen und zugleich unterhaltsamen Beobachtungen ab mit Exkursionen in die Kunstgeschichte, Erinnerungen an Strandurlaube und Clubkonzerte mit Überlegungen zu Leben und Literatur. Unterwegs auf den Spuren von Trakl, Sebald, Camus und Whitman erzählt der Autor auch von der Entstehung seiner eigenen lyrischen Werke und Romane so geistreich wie leichthändig, so kritisch wie weltoffen.

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Seitenzahl: 300

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Inhalt

[Cover]

Titel

Widmung

Zitat

Die Helianloggia

Amsterdamer Epiphanie

1

2

Das Reisen und die Angst

Antarktika, Antarktika

Feuerland

Falkland-Inseln

Südgeorgien

Elephant Island

Antarktis

Drake-Passage

Kap Hoorn

Buenos Aires

Herbst in New York

1

2

3

4

5

Ein unmöglicher Brief

Ausflug mit dem Zerberus

1

2

3

4

5

Die lebenswarme Hand

1

2

Quellenhinweise

Autorenporträt

Über das Buch

Impressum

Für meine BrüderStephan und Andreasim Andenken anManfred Kreher(1925 – 1944)

Es gibt keinen anderen Weg zur Welt als den Weg des Mitgefühls.Zbigniew Herbert

Die Helianloggia

Schön ist der Mensch und erscheinend im DunkelGeorg Trakl

Der Sommer 1986 war einer der heißesten, an die ich mich erinnere. Ich war einundzwanzig und wollte Urlaub – von was? – im Tessin machen. Drei Tage brauchte ich, um per Anhalter von Hamburg nach Bellinzona zu kommen, dann sah ich den Lago Maggiore und sah ihn versinken. Es regnete an dem See so unbändig, dass es die Blüten von den Sträuchern drosch. In den Rinnsteinen der Uferstraßen schwammen Hibiskusblüten, und die Geranien in den Blumenkästen der Pensionen wurden blass und blasser, bis alle ihre Farben davongespült waren.

Auf dem verwaisten Campingplatz zwischen Locarno und Ascona lag ich in meinem Einmannzelt. Im Dröhnen des zur Erde stürzenden Wassers las ich Otto Basils Monografie über das Leben Georg Trakls. Als ich das Buch durchgelesen und im Rucksack verstaut hatte, baute ich das Zelt ab und trampte durchnässt an türkisblauen Alpenseen vorüber, die sich in Regendunst und Nebel so endlos in die Ferne zogen wie Meere, zwei Tage und eine Nacht lang nach Tirol.

Basils Buch mit den grobkörnigen Schwarzweißfotografien darin aufgeschlagen, stand ich vor der Rauchvilla im mittlerweile zu Innsbruck gehörenden Mühlau und verglich das Gebäude mit der Abbildung des Hauses. Ich suchte nach der Loggia im ersten Stock, hinter deren Fenstern Trakl seine Dichtung »Helian« geschrieben haben soll, fand sie jedoch nirgends. Nie und nimmer konnte es demnach dieses Haus sein. Also ging ich weiter, und ich summte dabei:

In den einsamen Stunden des GeistesIst es schön, in der Sonne zu gehnAn den gelben Mauern des Sommers hin.Leise klingen die Schritte im Gras;

Verse, die Trakl in Mühlau geschrieben hatte unter dem Einfluss seiner Lektüre von Johannes Schlafs Übersetzungen der »Leaves of Grass« von Walt Whitman.

Wenig später sprach mich ein Pärchen an, dem mein literarischer Reiseführer aufgefallen war. Der Niederländer mit seiner amerikanischen Begleiterin las gleichfalls in der dunkelblauen Monografie mit dem hellblauen Porträt Trakls als Umschlagbild, er verglich und zweifelte wie ich. Wir beschlossen, im Dorf nach der echten Rauchvilla zu fragen, und saßen eine Stunde darauf im Garten des Hauses, wo uns die Parterremieter mit Limonade bewirteten. Es war ein drückend heißer Julinachmittag. Ich erzählte von der Sintflut am Lago Maggiore. Elstern keckerten dazu in den Tannen, über die hinweg man in den Talkessel blickte, Innsbruck lag dort. Und der Inn durchbrauste grün die von beschneiten Berggipfeln umgebene Stadt.

Pier war Verhaltensforscher. An Georg Trakl interessierten ihn alte physiognomische Studien, die man anhand von Porträts des Dichters angestellt hatte. Ein seltsamer Zugang zur Dichtung, fand ich und sagte das auch, woraufhin Pier, der in Amsterdam Dozent war, mit hellem Lachen erwiderte: »Es geht um Menschen, in der Forschung wie in der Dichtung.« Ich nippte an meinem Glas und schlug, eine Wonne unter diesen Fenstern, den »Helian« auf:

Schön ist der Mensch und erscheinend im Dunkel

Pier scherzte, dass er auch mich untersuchen würde – anhand der Fotos, die seine Freundin Rhonda bereits heimlich von mir gemacht habe. Ein kalter Scherz; die mal unerklärlich traurigen, wie erjagten, mal sich selbst entstellenden, geradezu brutal offensiven Aufnahmen von Trakls Antlitz vor Augen, konnte ich das nicht komisch finden.

Schön ist der Mensch und erscheinend im Dunkel,Wenn er staunend Arme und Beine bewegt,Und in purpurnen Höhlen stille die Augen rollen.

Dennoch musste ich einräumen – wohl kaum damals, aber später, als ich Aufsätze von ihm las –, dass Pier wie ich auf Spurensuche war. Was er in den Bildern las, in Mimik und Gestik, suchte ich in den Zeilen, die Trakl in Tirol geschrieben hatte, in Versen und Briefen. Ich glaube heute, es ging zwischen Pier und mir darum, wessen Georg Trakl der wahrere war, oder besser: ob er oder ich Trakl näher kam, indem er ihm ins Gesicht und ich ihm ins Gedicht schaute.

Rhonda vermittelte. Sie fuhr uns zu Schloss Hohenburg bei Igls, wo Trakl, schon in größter seelischer Not, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Zuflucht gesucht hatte. Eine Aufnahme zeigt ihn eingehakt bei der Besitzerin, freundlich lächelnd, beinahe sanft, und doch mit gekrümmter Haltung. Am Arm der stattlichen jungen Dame wirkt er unpassend, so verloren wie auf jedem Foto, das es von ihm gibt. In seinem Gedicht »Hohenburg« heißt es:

Also zittert im Dunkel der Fremdling,Da er leise die Lider über ein Menschliches aufhebt,Das ferne ist; die Silberstimme des Windes im Hausflur.

So gingen wir vier Sommertage lang durch die Bilder und Aufzeichnungen von Trakls Tirol. Wir schritten Innsbruck ab, sprachen dabei über Venedig, wo er einmal in der Sommerfrische gewesen und wo am Lido ein Foto von ihm entstanden war, das ihn im schwarzen Badeanzug zeigt. Oder wir fuhren nach Lans hinauf und wanderten über die Berghänge zurück nach Mühlau bis zum Neuen Friedhof, wo Georg Trakl seit 1925 beerdigt liegt. Elf Jahre zuvor war er als Medikamentenakzessist »Georg Frankl« im weit entfernten Galizien Gräueln des Großen Krieges ausgesetzt, die ihm auch den letzten Lebensmut nahmen. Zur Beobachtung seines Geisteszustands in ein Krakauer Garnisonsspital abkommandiert, starb er dort an einer Kokainvergiftung. Pier und Rhonda waren wie in Venedig auch in Krakau gewesen und hatten dort das alte Spital gesucht, aber nicht gefunden.

»Ich bin«, schrieb Trakl einmal in einem Brief, »wie ein Toter an Hall vorbeigefahren, an einer schwarzen Stadt, die durch mich durchgestürzt ist, wie ein Inferno durch einen Verfluchten.«

Hätten wir nicht Rhondas Auto gehabt, wir wären in den Zug gestiegen, um einmal an Innsbrucks Nachbarstadt Hall vorbeizufahren.

Während der Fahrt sprachen wir über Walt Whitman, über eines der wenigen Fotos von ihm. George C. Cox machte es 1887, in Trakls Geburtsjahr. Die Aufnahme zeigt den von Schlaganfällen gezeichneten Whitman fünf Jahre vor seinem Tod mit Hut, langem schneeweißen Bart und den hochgezogenen Augenbrauen, von denen es heißt, sie hätten seinem Gesicht den Ausdruck müder Weisheit, sturer Gelassenheit und beständiger leichter Überraschung verliehen. Noch auf dem Totenbett und vierzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung schrieb Whitman Gedichte für seine »Grashalme«. Wie hätte wohl Georg Trakl 1960 ausgesehen, mit Mitte siebzig? Wie, fragte ich, stürzt eine Stadt durch dich hindurch, an der du vorbeifährst?

»Es ist eine Erscheinung«, sagte Pier. »Sie stürzt durch dein Gesicht.«

Amsterdamer Epiphanie

Wir hassen alte Freunde: Wir hassen alte Bücher.William Hazlitt

1

Es ist wohl ein Irrtum, anzunehmen, der Wunsch nach Aussöhnung spiele im Empfinden und Denken eine wichtige Rolle. Warum auch einem verzeihen, der mich verletzt und herabwürdigt. Zum Teufel soll er gehen, zumindest, bis ich ihn vergessen habe. Aussöhnung ist nur ein anderer, mag sein schönerer Begriff für Verdrängung, und das menschliche Drama wird deshalb dort umso dramatischer, wo einer im Spiel ist, der nicht vergessen kann, weil er nicht vergessen will.

So ein Mensch ist mein Großonkel – weshalb meine Großtante, die Tante meiner Mutter, sich täuschte, als sie glaubte, ihr früherer Mann hätte sie gebeten, zu ihm zu kommen, damit sie sich versöhnten. In Wirklichkeit war es ihm egal, was sie fühlte oder dachte, ja im Nachhinein muss man annehmen, dass zumindest damals in Pankow, wo er, meine Mutter und ich unter einem Dach lebten, meinem Großonkel unser aller Gedanken und Empfindungen gleichgültig waren.

Aber auch uns war zutiefst gleichgültig, was ihn zu einem derartigen Ungeheuer hatte werden lassen. Für meine Mutter und mich war er ein alter, mit Diabetes geschlagener Mann, von dem wir außer Rechthabereien und melancholischen Anfällen kaum noch etwas erwarteten. Ich kann nicht behaupten, dass ich ihn liebte. Aber ich glaube, ich tat es nur deshalb nicht, weil ich Angst davor hatte, in den Bann seiner Zerrüttung gezogen zu werden. Nichts ist ja so einem Zweifler durch und durch abscheulicher als die Zufriedenheit eines Kindes. Ich fand die ganze Welt und damit auch ihn erstaunlich. Ihm hingegen erschien alles und damit auch seine Familie als einziges Unglück.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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