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Der ehrwürdige Pfarrer steht an Herberts Bett im Klinikum und erteilt ihm die Letzte Ölung. Das Pulsmessgerät, das Herzschlagmessgerät und das Blutdruckmessgerät sind noch angeschlossen. Die Krankenschwester erscheint und schiebt ihn mit seinem Bett ins Sterbezimmer. Seine Frau Hildegard und ein junger Arzt begleiten ihn auf seiner letzten Fahrt. Das ist also das Ende. Herbert wartet auf seinen übermächtigen Feind, den Tod. Und er kommt. Der Arzt überprüft die drei Geräte und sagt: „Frau Schmid, Ihr Mann ist soeben verstorben“. Sie schreit gequält auf. Die beiden bleiben noch eine Zeitlang bei dem toten Herbert. Sie unterhalten sich über ihn und über den bösartigen Krebs, den er hatte. Herbert ist mittlerweile schon eine halbe Stunde tot. Doch dann passiert etwas, was das Blut seiner Frau und das des Arztes in ihren Adern gefrieren lässt: Er wird wach.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
30
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Horrorthriller
von
Alfred J. Schindler
VORWORT
Der ehrwürdige Pfarrer steht in seiner dunklen Kleidung an meinem Krankenbett im Krankenhaus und erteilt mir die „Letzte Ölung.“ Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass mein letztes Stündlein geschlagen hat. Kein Wort kommt über meine Lippen, die sich trocken und rissig anfühlen. Meine Zunge klebt am Gaumen und meine Augenlider flattern unkontrolliert. Ich trinke einen Schluck Wasser. Es schmeckt bitter. Ich starre den Pfarrer an, und er blickt mich an. Traurig ist sein Gesichtsausdruck. Der Rosenkranz hängt über seiner rechten Hand. Ich habe all meine Sünden bereut und danke dem Pfarrer. Ja, ich danke ihm. Er nickt nur. Es ist Alles gesagt. Schließlich bin ich bei vollem Bewusstsein! Er verabschiedet sich von mir und verlässt das Krankenzimmer, in dem noch zwei weitere Todeskandidaten liegen. Auch sie, die beiden Männer, haben Krebs im Endstadium.
Einige technische Geräte sind noch an meinen Körper angeschlossen: Pulsmessgerät, Herzschlagmessgerät und ein Blutdruckmessgerät.
Tausend Gedanken schwirren durch meinen Kopf: Wenn ich früher zum Arzt gegangen wäre, hätte man mich wahrscheinlich noch operieren können. Aber ich hatte meine Beschwerden, die immer stärker wurden, verharmlost. Sie zur Seite geschoben. Meine innere Haltung passte genau zu meiner Lebenseinstellung: Alles verharmlosen. Nur nichts ernst nehmen! Der Realität nicht ins Auge blicken. Und jetzt liege ich hier in diesem verschwitzten Bett und warte auf meinen erbitterten, übermächtigen Feind:
Den Tod.
01
Hildegard, meine geliebte Ehefrau, betritt das Krankenzimmer. Die Vorhänge sind halb zugezogen, denn die Sonne blendet etwas. Aber die Fenster sind geöffnet. Der Fußboden ist frisch poliert und duftet nach Bohnerwachs. Dies alles fällt mir auf. Meine beiden Mitbewohner schlafen tief und fest. Einer von ihnen schnarcht, was mich sehr stört. Wollen sich die Beiden in den Tod schlafen? Wollen sie nicht mitkriegen, wann sie sterben?
„Herbert, wie geht es dir?“, fragt sie mich tränenerstickter Stimme.
„Was für eine Frage, Hildegard. Der Pfarrer war gerade vorhin bei mir und gab mir die „Letzte Ölung.“ Dicke Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Hildegard wischt sie zärtlich weg.
Eine Fliege, die sich hierher verirrt hat, stört mich sehr. Ungeduldig scheuche ich sie weg. Aber sie kommt immer wieder zu mir. Ahnt sie denn, dass ich schon sehr bald sterbe? Fliegen sind für mich das Symbol des Todes.
Hildegard steht etwas unschlüssig an meinem Bett und nimmt meine klebrige Hand. Eine rote Rose liegt in ihrer anderen Hand. Sie hat sie mir mitgebracht, denn sie weiß, dass ich rote Rosen liebe.
„Wo sind die Kinder, Hildegard?“, fragend blicke ich sie an.
„Sie wollten nicht mitkommen. Sie können dieses Elend nicht länger ertragen. Aber ich soll dich ganz herzlich von ihnen grüßen!“
„Sie sind nicht mitgekommen?“ Ich fasse es nicht.
„Nein, Herbert.“
„Sie wollen mich also nicht mehr lebend sehen.“
„Natürlich wollen sie dich noch sehen!“
„Aber sie kommen nicht.“
Hildegard ist völlig überfordert. Sie weiß nicht mehr, was sie dazu noch sagen soll.
„Die Kinder sind mit den Nerven völlig am Ende. Elfriede schläft schon seit Tagen nicht mehr, und Martin kann nichts mehr essen.“
„Sie warten also auf meinen Tod.“
Hildegard ist schon wieder überfordert. Sie weiß nicht, was sie erwidern soll.
„Es steht mir nicht zu, Herbert, dir in dieser prekären Situation etwas vorzuhalten. Aber wenn du damals, als ich dich eindringlichst darum gebeten hatte, zum Arzt zu gehen, auch gegangen wärst, hätte man vielleicht noch etwas für dich tun können. So aber hatte der Prostatakrebs freie Fahrt. Man konnte dich nicht mehr operieren.“
„Du machst mir in dieser Situation Vorwürfe?“
„Nun, ich meinte ja nur...“
„Ja, Hildegard.“
„Ich hätte dich drängen müssen! Ich mache mir auch große Vorwürfe!“
„Ja, es war ein unverzeihlicher Fehler von mir, mich nicht behandeln zu lassen. Aber jetzt ist es wohl zu spät für irgendwelche Selbstvorwürfe.“
„Sieh es doch so, Herbert: Über kurz oder lang werden wir alle sterben: Der Eine früher, der Andere später.“
„Ein schöner Trost!“
„Vielleicht sterbe ich auch schon sehr bald. Ein Auto könnte mich überfahren.“
„Unsinn. Du wirst hundert Jahre alt.“
„Denke an das, was nachher ist.“
„Wie meinst du das?“
„Das, was dich erwartet! Gott und der Himmel!“
„So anständig war ich ja nun auch wieder nicht.“
„Doch, du warst mir ein guter Mann und ein sehr guter Vater. Außerdem hast du die „Letzte Ölung“ empfangen und du hast gebeichtet.“
„War ich wirklich ein guter Ehemann, ja?“
Sie antwortet nicht. Sie sagte es bereits. Aber ich wollte es noch einmal aus ihrem Mund hören. Wieso? Weil ich bezweifle, dass ich immer ein guter Ehemann war...
„Hast du Angst vor dem Tod?“
„Nein, Hildegard.“