Bailey - Ein Hund kehrt zurück - W. Bruce Cameron - E-Book

Bailey - Ein Hund kehrt zurück E-Book

W. Bruce Cameron

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Beschreibung

Buddy (im Film: Bailey) ist ein guter Hund. Als er beobachtet, wie die kleine Clarity in ernsthafte Schwierigkeiten gerät, ist ihm klar: Dieses Mädchen braucht einen Hund, der es beschützt, und das wäre nur zu gerne er selbst. Doch erst viele Jahre später wird sein Wunsch wahr, und Clarity, die nun ein temperamentvoller Teenager ist und einige Sorgen mit sich herumträgt, nimmt ihn auf. Allerdings heimlich und gegen den Willen ihrer herrischen Mutter. Buddy ist überglücklich, aber dann werden sie getrennt. Wer wird nun auf sein Mädchen aufpassen?

Bereits als TB unter dem Titel „Ich bleibe bei dir“ erschienen.

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Seitenzahl: 454

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DAS BUCH

»Das Fell meiner Mutter war dunkel, kurz und kraus. Auch meine Beine waren dunkel – zumindest soweit ich das mit meinem noch trüben Blick erkennen konnte. Meine Geschwister waren ebenfalls schwarz, doch im allgemeinen Geschiebe und Gedrängel bemerkte ich schnell, dass nur eins das gleiche Fell hatte wie ich. Wir schliefen alle gemeinsam in einer großen Kiste. Als ich kräftiger wurde, begann ich meine neue Umgebung zu erkunden. Sie war so aufregend, wie eine Kiste eben sein konnte.«

DER AUTOR

W. Bruce Cameron, 1960 geboren, ist als Kolumnist und Autor international bekannt. Seine Kolumne zur Erziehung von Teenagern war 1995 so populär, dass sie als Buch veröffentlicht wurde, das als Vorlage für die TV-Serie »Meine wilden Töchter« diente. Bruce Cameron publiziert seine Kolumnen in verschiedenen Zeitungen und arbeitet derzeit an einer Fernseh­adaption von »So erziehen Sie Ihren Mann«. Mit seinem Roman Ich gehöre zu dir landete er 2010 einen Bestseller.

LIEFERBARE TITEL

Ich gehöre zu dir

W. Bruce Cameron

Bailey.Ein Hund kehrt ­zurück

Roman

Aus dem Amerikanischen von Bettina Seifried

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe A Dog’s Journey erschien 2012 bei Forge Book, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Vollständige Taschenbuchausgabe 06/2019

Copyright © 2012 by W. Bruce Cameron

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz, München

unter Verwendung von Film Artwork

© 2019 Storyteller Distribution C0., LLC

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-25701-9V001

www.heyne.de

Eins

Ich lag auf dem Anleger am Teich in der Sonne und wusste genau: Mein Name war Buddy, und ich war ein guter Hund.

Meine Beine waren noch immer schwarz wie der Rest meines Fells, nur an den Pfoten war ich im Lauf der Jahre ergraut. Hinter mir lag ein langes, erfülltes Leben mit Ethan, meinem Jungen, mit dem ich hier am Teich so viele schöne Nachmittage verbracht hatte beim Baden, Faulenzen und Entenankläffen.

Es war der zweite Sommer ohne Ethan. Als er starb, fühlte ich einen so schrecklichen Schmerz in mir wie nie zuvor. Zwar hatte er inzwischen etwas nachgelassen und fühlte sich nur noch wie starke Bauchschmerzen an, aber wirklich weg ging er nie. Nur manchmal im Schlaf vergaß ich meinen Kummer, wenn ich träumte, dass ich mit Ethan um die Wette rannte.

Ich war ein alter Hund und wusste, dass nun bald der tiefe Schlaf kommen würde, wie schon etliche Male zuvor. So wie damals, als ich Toby hieß und ein recht müßiges Leben führte, weil ich nur Spielen und Raufen im Sinn hatte. Oder in meinem Leben als Bailey, in dem ich meinen Jungen kennenlernte, den zu lieben der Sinn meines Lebens wurde. Und wie einst als Ellie, als meine Aufgabe darin bestand, zu arbeiten, Menschen zu suchen und zu retten. Wenn es nun am Ende meines Lebens als Buddy also Zeit für den tiefen Schlaf wurde, dann ging ich davon aus, dass danach kein weiteres Leben folgte. Ich hatte meine Bestimmung erfüllt und es gab für mich keinen Grund, weiterhin Hund zu sein. Ob der große Schlaf nun in diesem oder im nächsten Sommer kam, war nicht wichtig. Ethan zu lieben und für sein Wohl zu sorgen, war der Sinn meines Lebens gewesen, und diese Aufgabe hatte ich erfüllt, so gut ich das konnte. Ich war ein guter Hund.

Doch dann …

Dann sah ich, während ich so dalag, eines der Kinder aus Ethans großer Familie auf wackligen Beinen auf das Ende des Stegs zusteuern. Es war ein kleines Mädchen, das noch nicht lange aufrecht ging und beim Laufen noch ziemlich wankte. Sie trug eine weiße bauschige Hose und ein dünnes Hemdchen. Bei dem Gedanken, sie an diesem winzigen Stofffetzen aus dem Wasser zu ziehen, entfuhr mir ein leises Winseln.

Die Mutter der Kleinen hieß Gloria. Sie war ebenfalls am Steg. Reglos lag sie auf einem nach hinten geklappten Stuhl mit Gemüsestückchen auf den Augen. Sie hatte eine Leine in der Hand gehalten, die zur Hüfte des kleinen Mädchens reichte, doch dann war die Leine plötzlich schlaff geworden und nun zog die Kleine sie hinter sich her, während sie geradewegs auf das Ende des Stegs zusteuerte.

Auch ich hatte als Welpe eine lockere Leine stets genutzt, um auf Entdeckungstour zu gehen, und das tat das Mädchen nun auch.

Gloria war schon zum zweiten Mal zu Besuch auf der Farm. Das erste Mal war sie im Winter gekommen, als Ethan noch lebte. Gloria hatte ihm das Baby gereicht und »Grandpa« gesagt. Nachdem Gloria und das Baby wieder fort waren, hörte ich Ethan und seine Gefährtin Hannah viele Abende lang den Namen Gloria aussprechen, und bei ihren Gesprächen schwangen traurige Gefühle mit.

Auch Claritys Namen sagten sie oft. Clarity war das Baby, aber Gloria rief sie manchmal Clarity June.

Ich war mir sicher, Ethan wollte, dass ich auf Clarity achtgab, die leider öfter in Schwierigkeiten geriet. Erst neulich war sie unters Vogelhäuschen gekrochen und hatte sich haufenweise die am Boden liegenden Körner in den Mund gestopft, während ich ziemlich belämmert daneben stand. Eine meiner Hauptaufgaben war es, Eichhörnchen einzuschüchtern, wenn sie sich übers Vogelfutter hermachten. Als ich Clarity dabei erwischte, wusste ich allerdings nicht so recht, was ich tun sollte, obwohl mir schon klar war, dass Kinder, die Vögeln das Futter wegaßen, garantiert gegen eine Regel verstießen. Und ich hatte recht, denn nachdem ich kurz gebellt hatte, schreckte Gloria hoch von dem Handtuch, auf dem sie mit dem Gesicht nach unten gelegen hatte, und war ziemlich wütend.

Auch jetzt sah ich zu Gloria hinüber. Sollte ich wieder bellen? Viele Kinder sprangen in den Teich, doch normalerweise waren sie älter als dieses kleine Mädchen, deren zielstrebige Schritte unweigerlich dazu führen mussten, im Wasser zu landen. Doch Babys im Teich waren nur auf den Armen von Erwachsenen erlaubt. Ich sah hinüber zum Haus. Hannah kniete in der Einfahrt und spielte wieder mit den Blumen; sie war zu weit weg, um Clarity zu helfen, falls sie in den Teich fiel. Ich war mir sicher, auch Hannah wollte, dass ich auf Clarity aufpasste. Das war jetzt wohl meine neue Bestimmung.

Das Baby hatte den Rand des Stegs fast erreicht. Ich winselte wieder, diesmal lauter.

»Sei still«, sagte Gloria, ohne das Gemüse von den Augen zu nehmen. Dieses Wort kannte ich nicht, doch der scharfe Ton war unmissverständlich.

Clarity drehte sich nicht einmal um. Am Ende des Stegs wankte sie kurz, dann fiel sie vornüber ins Wasser.

Meine Krallen gruben sich tief ins Holz, als ich von der Seite ins warme Wasser sprang. Claritys kleiner Körper bewegte sich im Wasser auf und ab. Wild ruderte sie mit Armen und Beinen, doch ihr Gesicht blieb dabei unter der Ober­fläche. In Sekundenschnelle war ich bei ihr, schnappte mit den Zähnen vorsichtig nach dem Hemd und zog ihren Kopf aus dem Wasser. Dann paddelten wir in Richtung Ufer.

»Um Himmels willen! Clarity!«, schrie Gloria, rannte zu dem Sandstreifen am Ufer und watete in dem Augenblick ins Wasser, als ich schon wieder festen Grund unter den ­Füßen spürte.

»Böser Hund!«, rief sie und riss Clarity an sich. »Du bist ein böser Hund!«

Beschämt ließ ich den Kopf hängen.

»Gloria! Was ist passiert?« Hannah eilte aufgeregt herbei.

»Dein Hund hat das Baby in den Teich gestoßen! Clarity wäre fast ertrunken, ich musste ins Wasser springen, um sie zu retten und bin dabei ganz nass geworden!«

Die Aufregung in ihrer Stimme war unüberhörbar.

»Buddy?«, fragte Hannah ungläubig.

Ich wagte es nicht, sie anzusehen. Also wippte ich ein bisschen mit dem Schwanz und spritzte dabei Wasser auf. Nun waren alle böse auf mich, obwohl ich nicht wusste, was ich falsch gemacht hatte.

Alle außer Clarity. Ich riskierte einen Blick zu ihr hin­über, weil ich merkte, dass sie sich aus den Armen ihrer Mutter wand und ihre kleinen Hände nach mir ausstreckte.

»Bubby«, gluckste sie und aus ihrer Hose floss das Wasser in Strömen. Ich senkte den Blick.

Gloria blies laut Luft aus. »Hannah, kannst du dich um sie kümmern? Ihre Windel ist nass. Ich muss mich noch ein paar Minuten auf den Bauch legen, damit ich vorn und hinten gleich braun werde.«

»Natürlich«, sagte Hannah. »Komm, Buddy!« Wenigstens war das nungeklärt. Schwanzwedelnd hüpfte ich aus dem Wasser.

»Wage es nicht, dich zu schütteln!«, rief Gloria und machte ein paar Trippelschritte rückwärts. Den warnenden Ton in ihrer Stimme hörte ich zwar, aber ich hatte keine Ahnung, was sie mir sagen wollte. Also schüttelte ich mich kräftig, um wieder trocken zu werden.

»Wie ekelhaft!«, kreischte Gloria. Mit ausgestrecktem Finger hielt sie eine strenge Rede mit vielen unbekannten Wörtern. Nur hin und wieder verstand ich »böser Hund«. Blinzelnd senkte ich den Kopf.

»Buddy, komm«, sagte Hannah. Ihre Stimme klang freundlich. Gehorsam folgte ich ihnen zum Haus.

»Bubby«, sagte Clarity immer wieder, »Bubby.«

An der Verandatreppe am Haus hielt ich inne, weil ich diesen unangenehmen Geschmack wieder im Mund hatte. Er erinnerte mich an damals, als ich eine kleine Dose mit süß duftenden Aromen aus dem Müll gezogen hatte. Nachdem ich alles aufgeleckt hatte, versuchte ich, an dem dünnen Metall herumzunagen. Da es ziemlich scheußlich schmeckte, spuckte ich es sofort wieder aus. Doch diesen Geschmack jetzt konnte ich nicht einfach ausspucken, weil er auf meiner Zunge lag und mir von dort aus in die Nase stieg.

»Was ist, Buddy?« Hannah stand oben an der Treppe und sah mich an. »Stimmt irgendwas nicht?«

Ich wedelte mit dem Schwanz und war mit einem Satz bei ihr, um wie üblich als Erster durch die Tür zu gehen.

Es war mir immer eine besondere Freude, durch diese Eingangstür zu laufen, weil es immer bedeutete, dass nun etwas Neues folgte, egal ob beim Rein- oder Rausgehen.

Später hielt ich dann ein wachsames Auge auf Hannah­ und Clarity, die ein neues Spiel spielten: Zuerst trug Hannah­ das Baby die Verandatreppe hoch und dann krabbelte Clarity mit dem Hintern voran rückwärts die Stufen wieder runter. Hannah rief »Bravo!«, und ich klopfte zustimmend mit dem Schwanz auf den Boden. Wenn Clarity unten angekommen war, leckte ich ihr übers Gesicht und sie kicherte vergnügt. Dann streckte sie die Arme nach Hannah aus und rief: »Mehr! Mehr!« Hannah hob sie hoch, küsste sie, und dann ging das Ganze von vorne los.

Nachdem ich sicher war, dass ich die beiden bedenkenlos alleine lassen konnte, trottete ich zu meinem Lieblingsplatz im Wohnzimmer, drehte kleine Kreise und ließ mich seufzend zu einem Nickerchen nieder. Kurz darauf kam auch Clarity mit ihrer Decke angelaufen. Sie hatte wieder dieses Ding im Mund, an dem sie ständig herumkaute, das sie aber nie schluckte.

»Bubby«, sagte sie. Dann ließ sie sich auf alle viere fallen und krabbelte zu mir rüber. Während sie sich an mich kuschelte, zog sie mit ihren kleinen Händen die Decke über sich. Ich schnupperte an ihrem Kopf. Niemand auf der Welt duftete so wie Clarity. Mit ihrem warmen Wohlgeruch in der Nase döste ich langsam ein.

Ich schreckte aus dem Schlaf, als Gloria die Schiebetür geräuschvoll hinter sich schloss und im Zimmer stand. »Oh Clarity!«, rief sie. Verschlafen sah ich, wie Gloria die Kleine von ihrem Schlafplatz wegriss. An der Stelle im Fell, wo sie gelegen hatte, wurde es gleich kühl. Ohne sie fehlte mir ­etwas.

Hannah kam aus der Küche und sagte: »Ich backe gerade Kekse.«

Sofort rappelte ich mich auf. Dieses Wort kannte ich. Mit wedelndem Schwanz lief ich zu Hannah, um ihre süßlich duftenden Hände zu beschnuppern.

»Das Kind hat auf deinem Hund geschlafen!«, rief Gloria­. Ich hörte das Wort »Hund«, das aus ihrem Mund immer klang, als sei sie furchtbar wütend auf mich. Bedeutete das nun keine Kekse, oder was?

»Ja, Clarity hat sich an ihn gekuschelt«, sagte Hannah.

»Ich will nicht, dass mein Kind neben dem Hund schläft. Sorge dafür, dass es nicht wieder passiert. Stell dir vor, Buddy hätte sich umgedreht – er hätte sie ja erdrückt!«

Ich sah Hannah an, um herauszufinden, warum mein Name gefallen war. Sie hielt eine Hand vors Gesicht und sagte: »Ich … Ja gut. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Clarity schlief an der Schulter ihrer Mutter weiter. Gloria­ übergab sie an Hannah und ließ sich mit einem Seufzen am Küchentisch nieder. »Hast du einen Eistee?«, fragte sie.

»Ich hol dir ein Glas.« Mit dem Baby auf dem Arm lief Hannah zur Küchentheke und holte ein paar Sachen aus dem Schrank. Kekse konnte ich nirgends sehen, obwohl der süße, warme Duft sich im ganzen Haus ausbreitete. Ergeben setzte ich mich und wartete ab.

»Solange wir hier sind, sollte der Hund besser draußen im Hof bleiben«, sagte Gloria und nippte an ihrem Glas. Hannah setzte sich zu ihr an den Tisch. Clarity machte eine Bewegung im Schlaf und Hannah tätschelte ihren Rücken.

»Nein, das geht nicht.«

Seufzend ließ ich mich unterm Tisch nieder und fragte mich wieder einmal, warum Menschen erst über Kekse redeten und dann einem Hund, der es wirklich verdient hätte, keinen abgaben.

»Buddy gehört zur Familie«, fuhr Hannah fort. Schläfrig hob ich den Kopf und sah sie an. Keine Kekse weit und breit. »Weißt du nicht, dass er Ethan und mich wieder zusammengebracht hat?«

Als ich »Ethan« hörte, erstarrte ich. Sein Name fiel nur noch selten, doch immer wenn ich ihn hörte, erinnerte ich mich an seinen Geruch und seine Hände in meinem Fell.

»Ein Hund hat euch beide zusammengebracht?«, fragte Gloria.

»Ethan und ich kannten uns schon aus der Schule, ich war seine erste Freundin. Doch nach dem Brand damals, als sein Bein gelähmt war … kennst du die Geschichte etwa nicht?«

»Vielleicht hat dein Sohn mal was erwähnt, keine Ahnung­. Henry redet am liebsten über sich selbst. Du weißt ja, wie die Männer sind.«

»Also, nach dem Brand hat Ethan … er war danach sehr verschlossen und bedrückt. Ich war zu jung, zu unreif, um ihm wirklich helfen zu können, mit der Situation fertigzuwerden.«

Ich hörte die Traurigkeit in Hannahs Stimme und wusste, sie brauchte mich jetzt. Unterm Tisch lief ich zu ihr hin und legte meinen Kopf in ihren Schoß. Sie fuhr mir zärtlich durchs Fell. Claritys nackte Füße baumelten über mir.

»Ethan hatte damals auch einen Hund. Bailey, ein wunderschöner Golden Retriever. Er nannte ihn seinen Schussel-Hund.«

Ich wedelte mit dem Schwanz, als ich »Bailey« und »Schussel-Hund« hörte. Immer wenn mich Ethan Schussel-­Hund genannt hatte, war ihm das Herz vor Liebe übergelaufen. Dann umarmte er mich fest und ich küsste ihn übers ganze Gesicht. Plötzlich hatte ich schreckliche Sehnsucht nach ihm. Auch Hannah vermisste ihn sehr, das spürte ich. Ich leckte ihre Hand, die mich liebevoll streichelte, und Hannah sah lächelnd zu mir herab.

»Auch du bist ein guter Hund, Buddy.« Ich wedelte heftiger mit dem Schwanz, weil sie guter Hund sagte. Es schien mir nun wahrscheinlicher, dass diese Unterhaltung am Ende doch noch auf Kekse hinauslief.

»Wir haben uns getrennt. Dann lernte ich Matthew ­kennen, wir haben geheiratet, dann kamen die Kinder: erst Rachel, dann Cindy und natürlich Henry.«

Gloria machte ein Geräusch, aber ich sah nicht zu ihr hin, weil ich nicht wollte, dass Hannah aufhörte, meinen Kopf zu streicheln.

»Nach Matthews Tod wollte ich wieder näher bei den Kindern sein, deshalb zog ich zurück in die Stadt. Eines ­Tages – Buddy war damals vielleicht ein Jahr alt – folgte er Rachel vom Hundepark nach Hause. Er hatte einen Anhänger am Halsband und zu meiner großen Überraschung stand da Ethans Name drauf. Ethan war noch verblüffter als ich. Seit ich wieder in der Stadt war, hatte ich mir vorgenommen, ihn anzurufen, doch dann hatte ich es immer wieder vor mir hergeschoben. Wir hatten uns damals im Streit getrennt und ich hatte Hemmungen, obwohl es eine Ewigkeit her war.«

»Ungute Trennungen! Davon kann ich ein Lied singen«, knurrte Gloria.

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Hannah und sah lächelnd zu mir hinunter. »Als ich Ethan nach all den Jahren wiedersah, war es, als seien wir nie getrennt gewesen. Wir spürten, wir gehörten zusammen. Das habe ich meinen Kindern nie erzählt, aber wir waren füreinander bestimmt. Doch ohne Buddy hätten wir uns wohl kaum wieder getroffen.«

Es war schön, Ethans und meinen Namen laut ausgesprochen zu hören. Hannah lächelte mich an und ich spürte ihre tiefe Liebe und Traurigkeit.

»Oh, es wird höchste Zeit«, sagte Hannah dann. Sie erhob sich und reichte Clarity ihrer Mutter. Die Kleine machte im Schlaf eine kleine Faust und gähnte. Ich hörte ein blechernes Geräusch, als die Kekse aus dem Ofen kamen und sich eine himmlische Duftwolke ausbreitete. Trotzdem bekam ich keinen Keks.

Da standen frisch gebackene Kekse direkt vor meiner Nase und ich ging leer aus! Das war der endgültige Tiefpunkt des Tages.

»Ich bin jetzt mal für eine Stunde weg«, sagte Hannah. Sie griff nach dem Spielzeug, das sie »Schlüssel« nannte, und ich hörte das metallische Klimpern, das immer eine Autofahrt ankündigte. Ich blieb wachsam, war aber hin und her gerissen zwischen meinem starken Bedürfnis, in der Nähe der Kekse zu bleiben, und dem Wunsch, Auto zu fahren.

»Buddy, du bleibst hier«, sagte Hannah. »Gloria, bitte pass auf, dass die Tür zum Keller geschlossen bleibt. ­Clarity ist ganz versessen darauf, die Treppen runterzukrabbeln, und im Keller ist Rattengift ausgelegt.«

»Ratten? Gibt’s hier Ratten?«, rief Gloria schrill. Clarity war mit einem Schlag hellwach und versuchte sich aus den Armen ihrer Mutter zu winden.

»Ja. Wir leben auf einer Farm und da gibt es nun mal auch Ratten. Nur keine Aufregung, Gloria. Lass einfach die Kellertür zu.« Ich hörte den Ärger in Hannahs Stimme und sah ängstlich zu ihr rüber, um herauszufinden, was nun wieder los war. Doch es war immer dasselbe: Die starken Emotionen, die ich spürte, wurden nie ausgedrückt. Die komplizierten Gefühle der Menschen überstiegen eben den Verstand eines Hundes.

Ich folgte Hannah zum Auto. »Nein, du bleibst hier, Buddy«, sagte sie. Was das bedeutete, begriff ich, als sie ins Auto stieg und mir die Tür vor der Nase zuschlug. In der Hoffnung, sie würde es sich doch noch anders überlegen, wedelte ich mit dem Schwanz. Als der Wagen dann ohne mich die Einfahrt hinunterrollte, war mir klar, dass Autofahren heute ausfiel.

Durch die Hundeklappe ging ich zurück ins Haus. Clarity saß auf ihrem seltsamen Stuhl mit dem Tablett davor. Über sie gebeugt, versuchte Gloria ihr mit einem Löffel Essen in den Mund zu schieben, doch Clarity spuckte es wieder aus. Ich probierte davon und konnte sie sehr gut verstehen. Kleinere Happen durfte Clarity schon selbst mit den Fingern in den Mund stecken, aber das richtig eklige Zeug wurde ihr mit einem Löffel hineingezwungen.

»Bubby!«, gluckste Clarity und patschte fröhlich mit den Händen aufs Tablett. Essenskleckse landeten in Glorias ­Gesicht, und mit einem zischenden Geräusch sprang sie hoch. Sie wischte ihr Gesicht mit einem Tuch ab, dann starrte sie mich an. Ich senkte den Blick.

»Unfassbar, dass sie dich hier frei herumlaufen lässt – als ob dir das Haus gehörte«, murmelte sie.

Ich hatte mir nie große Hoffnungen gemacht, von Gloria je einen Keks zu bekommen.

»Aber solange sie weg ist, läuft es nach meinen Regeln.« Sie sah mich einen Moment schweigend an, dann schniefte sie. »Los, komm her!«, befahl sie.

Gehorsam lief ich zur Kellertür, die sie einen Spaltbreit öffnete. »Runter mit dir!«

Als mir klar wurde, was sie wollte, zwängte ich mich durch den Spalt. Auf dem Treppenabsatz drehte ich mich noch einmal nach ihr um.

»Drinbleiben«, sagte sie und schloss die Tür hinter mir. Um mich herum war es auf einmal viel dunkler.

Die Holzstufen quietschten unter meinen Schritten. Ich war selten im Keller gewesen. Unbekannte, exotische Gerüche kitzelten meine Nase. Ich begab mich auf Abenteuersuche, um etwas Interessantes aufzustöbern. Aufzustöbern und vielleicht sogar zu essen.

Zwei

Da unten war es ziemlich düster, aber die feuchten Ecken und Wände rochen würzig und intensiv. Staubige Flaschen auf Holzregalen und ein modriger Pappkarton voll mit Kleidern der Kinder, die einst auf der Farm gelebt hatten, verströmten die herrlichsten Düfte. Ich sog ihren Geruch ein und erinnerte mich daran, wie wir gemeinsam im Schnee herumgetollt oder im Sommer durchs hohe Gras gejagt waren.

Trotz der wunderbaren Gerüche fand sich aber nichts Interessantes zu essen darunter.

Nach einer Weile hörte ich den Motor von Hannahs ­Wagen in der Einfahrt. Mit einem lauten Klicken ging die Kellertür auf.

»Buddy, hierher, sofort!«, blaffte Gloria von oben.

Hastig rannte ich zur Treppe, doch dann rutschte ich im Dunkeln aus, und ein durchdringender Schmerz schoss mir ins linke Hinterbein. Wie versteinert blieb ich stehen und sah nach oben zu Gloria, die gegen das Licht nur in Umrissen erkennbar war. Ich wollte von ihr hören, dass, was immer mir den Schmerz zugefügt hatte, alles in Ordnung war.

»Ich sagte, sofort hierher!«, rief sie noch einmal lauter.

Leise winselnd erklomm ich die erste Stufe, denn ich musste ihr gehorchen. Ich versuchte, das Bein nicht zu belasten, und das half ein bisschen.

»Wirst du wohl hergehen!« Gloria kam mir ein paar Stufen entgegen und streckte den Arm aus.

Da ich nicht unbedingt ihre Hand in meinem Fell spüren wollte, und sie schon wieder wegen irgendwas wütend zu sein schien, wich ich zurück.

»Wo seid ihr?«, rief Hannah oben. Ich machte ausladendere Schritte und der Schmerz wurde erträglicher. Gloria drehte sich um, und kurz darauf betraten wir gemeinsam die Küche.

»Wo ist Clarity?«, fragte Hannah und stellte braune Tüten auf der Arbeitsplatte ab. Mit wedelndem Schwanz lief ich zu ihr hin.

»Ich habe sie endlich kleingekriegt. Sie schläft.«

»Und was hast du im Keller gesucht?«

»Ich … Ich wollte sehen, ob Wein da ist.«

»Tatsächlich? Dort unten?« Hannah streckte mir ihre Hand hin, damit ich daran schnuppern konnte. Sie roch nach süßen Köstlichkeiten. Ich war froh, dass sie wieder zurück war.

»Nun ja, ich dachte Keller, Weinkeller …«

»Wein ist dort drüben im Schrank unter dem Toaster.« Hannah sah mich an. Ich wedelte mit dem Schwanz. »Was ist denn mit dir los, Buddy? Lahmst du?«

Ich setzte mich. Hannah lief ein paar Schritte rückwärts, dann rief sie mich und ich setzte mich in Bewegung.

»Findest du nicht, dass er humpelt?«, fragte Hannah.

»Woher soll ich das wissen?«, sagte Gloria. »Mit Kindern kenn ich mich aus, mit Hunden nicht.«

»Buddy, hast du dir wehgetan?« Hocherfreut über so viel Aufmerksamkeit, wedelte ich heftiger mit dem Schwanz. Hannah bückte sich und drückte mir einen Kuss auf die Stelle zwischen den Augen. Ich leckte ihr Kinn. Dann richtete sie sich wieder auf und ging zur Küchentheke.

»Ihr habt ja überhaupt keine Kekse gegessen!«

»Kekse kann ich nicht ab«, sagte Gloria zornig.

Noch nie hatte ich das Wort ›Kekse‹ mit so viel Ablehnung in der Stimme ausgesprochen gehört.

Hannah sagte nichts, aber ich nahm ein leises Seufzen wahr, während sie anfing, die Sachen aus den Tüten wegzuräumen. Manchmal war ein Knochen für mich dabei, doch ich hatte schon gerochen, dass sie heute offenbar keinen hatte herbeischaffen können. Trotzdem behielt ich sie im Auge, für den Fall, dass ich mich getäuscht hatte.

»Auch Clarity bekommt keine Kekse«, sagte Gloria. »Sie ist schon pummelig genug.«

Hannah lachte erst laut, doch dann schaute sie ernst. »Du meinst das wirklich ernst, nicht wahr?«

»Natürlich meine ich es ernst.«

Einen Augenblick lang war es still, dann wandte sich Hannah wieder den Tüten zu. »Okay«, sagte sie leise.

Einige Tage später saß Gloria im Garten mit eng angewinkelten Beinen und weißen Fellknäueln zwischen den Zehen. Immer wieder berührte sie die Zehen mit einem Stäbchen, an dem eine Substanz klebte, deren beißender Geruch mir das Wasser in die Augen trieb. Hinterher waren die Zehen vorne dunkler als vorher.

Der Geruch war so eindringlich, dass er sogar den üblen Geschmack auf meiner Zunge überlagerte, der immer schlimmer wurde.

Clarity hatte bis eben im Gras gespielt, doch nun stand sie auf und wackelte davon. Ich sah zu Gloria hin, die mit heraushängender Zunge auf ihre Zehen starrte.

»Hiergeblieben, Clarity!«, sagte sie ohne aufzuschauen.

Clarity konnte bei ihrer Ankunft auf der Farm kaum aufrecht gehen. Ihr Gang war unsicher und oft krabbelte sie noch auf allen vieren. Doch mittlerweile hatte sie einen forschen Laufschritt entwickelt und lief nun zielstrebig auf die Scheune zu. Ich trottete hinterher, obwohl ich auch nicht recht wusste, was zu tun war.

Troy, das Pferd, war im Stall. Ethan war früher manchmal auf ihm geritten, was mir nicht behagte, denn im Unterschied zu Hunden sind Pferde nicht vertrauenswürdig. Als Kind war Ethan einmal von einem Pferd gestürzt. Von einem Hund war noch niemand gestürzt, jedenfalls war mir kein Fall bekannt. Hannah hatte ich nie auf einem Pferd sitzen sehen.

Schon als Clarity und ich die Scheune betraten, schnaubte Troy missbilligend in seiner Box. Es roch nach Heu und Pferd. Clarity flitzte zum Pferdestall. Schnaubend warf Troy seinen Kopf auf und ab. Clarity stand am Gittertor und hielt sich an den Stäben fest. »Ferdi!«, rief sie entzückt.

Von Troy ging eine gereizte Spannung aus. Er beachtete mich nicht, aber von früheren Besuchen wusste ich, dass ihn meine Gegenwart nervös machte. Clarity streckte eine Hand zwischen den Stäben durch, um Troy zu streicheln. Das Pferd scheute.

Ich stupste Clarity mit der Nase an, um ihr zu zeigen, dass es nichts Besseres gab als einen Hund, wenn sie jemanden zum Streicheln suchte. Ihre Augen glänzten, und sie schnappte aufgeregt nach Luft, ließ Troy aber nicht aus den Augen.

Die Gittertür war lose durch eine Kette gesichert, doch als Clarity sich an den Stäben festhielt, straffte sich diese plötzlich und gab einen Spalt frei. Ich ahnte, was nun kommen würde, noch bevor es dazu kam. Fröhlich quietschend hangelte sich Clarity seitwärts am Gitter entlang und zwängte sich durch den Spalt.

Und mitten hinein in Troys Box.

Das Pferd trippelte vor und zurück und warf seinen Kopf schnaubend hin und her. Mit weit aufgerissenen Augen stampfte es nervös mit den Hufen. Ich roch seine Erregung, sie kroch ihm wie Schweiß aus allen Poren.

»Ferdi«, rief Clarity wieder.

Ich schob meinen Kopf durch den Spalt, um die Lücke zu vergrößern, und spürte, wie der Schmerz in meinem Bein heftiger wurde. Doch ich achtete nicht darauf, sondern versuchte, erst die Schultern und dann den restlichen Körper durchzudrücken. Ich schaffte es gerade noch, bevor Clarity mit ausgestreckten Armen auf Troy zugehen konnte, der immer lauter schnaubte und mit den Hufen trampelte. Ich sah ihn schon auf das Baby treten.

Das Pferd machte mir Angst. Troy war riesig und hatte mächtig viel Kraft, und ein Tritt mit diesen Hufen war bestimmt furchtbar schmerzhaft. Rein instinktiv hätte ich am liebsten den Rückzug angetreten. Doch Clarity war in höchster Gefahr, und ich musste etwas unternehmen. Und zwar sofort.

Also unterdrückte ich meine Angst und bellte das Pferd aus Leibeskräften an. Wütend zog ich die Lippen ausei­n­ander, entblößte die Zähne und sprang los, um mich zwischen die beiden zu werfen. Troy gab einen schrillen Laut von sich und bäumte sich auf. Ich bewegte mich im Rückwärtsgang von ihm weg und schob Clarity mit dem Hintern in eine sichere Ecke. Troy trippelte panisch auf und ab und ein Huf zischte knapp an meinem Kopf vorbei. Böse knurrend schnappte ich nach seinem Bein.

»Buddy? Buddy!«, hörte ich Hannah angsterfüllt draußen im Hof rufen. Hinten spürte ich Claritys Hand in meinem Fell. Sie hielt sich an mir fest, damit ich sie nicht umwarf. Sollte mich das Pferd doch treten! Ich war fest entschlossen, zwischen Troy und der Kleinen auszuharren. Gerade pfiff erneut ein Huf dicht an meinem Ohr vorbei und ich biss Troy in die Wade.

Dann kam Hannah angerannt. »Troy!«, rief sie, nahm die Kette ab und riss die Stalltür auf. Wie ein geölter Blitz stürmte das Pferd an ihr vorbei zum Scheunentor hinaus in den Hof.

Ich spürte Hannahs Angst und Wut deutlich. Sie nahm Clarity auf den Arm und sagte: »Zum Glück ist dir nichts passiert!« Clarity klatschte fröhlich in die Hände und lachte. »Ferdi!«, rief sie begeistert.

Hannahs freie Hand streichelte mich freundlich. Ich war erleichtert, dass ich keinen Ärger bekam.

»Ja, mein Liebling, das ist ein großes Pferd. Aber du hast hier im Stall nichts zu suchen.«

Draußen kam uns Gloria entgegen. Sie lief sehr merkwürdig, als ob ihr beide Füße wehtun würden.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

»Clarity war in Troys Stall. Fast wäre sie … es war furchtbar!«

»Clarity, du böses Mädchen!«, sagte Gloria, riss das Kind an sich und drückte es an ihre Brust. »Du darfst Mami nie wieder so erschrecken, hast du mich verstanden?«

Hannah verschränkte die Arme. »Wie ist sie denn überhaupt in die Scheune gelangt, ohne dass du es gemerkt hast?«

»Wahrscheinlich ist sie dem Hund hinterhergelaufen!«

»Verstehe.« Hannah schien noch immer wütend zu sein. Aus reinem Reflex senkte ich beschämt den Kopf.

»Kannst du sie wieder nehmen?«, sagte Gloria und reichte ihr Clarity.

Der Schmerz in meiner Hüfte ging nicht mehr weg. Humpeln musste ich zwar nicht mehr, aber als dumpfe Begleiterscheinung spürte ich ihn bei jeder Bewegung. Dem Bein fehlte aber nichts, jedenfalls fand ich nirgends etwas, was ich ablecken konnte.

Beim Abendessen lag ich meistens unterm Tisch, um den Boden sauber zu halten, falls etwas herunterfiel. Als die vielen Kinder noch auf der Farm lebten, purzelte stets etliches herab; doch nun gab es nur noch Clarity, und ihr Essen­ schmeckte ziemlich scheußlich. Obwohl ich natürlich auch das aufleckte, wenn es herunterfiel. Kurz nach dem Zwischenfall mit dem Pferd lag ich also wie gewohnt unterm Tisch, als ich bemerkte, dass Hannah nervös und angespannt war. Ich setzte mich auf und berührte sie mit der Schnauze, doch sie wirkte abgelenkt, obwohl ihre Hand mich streichelte.

»Hat Bill angerufen? Du weißt schon, dieser Arzt?«, fragte Gloria.

»Nein, das hätte ich dir gesagt.«

»Es ist immer dasselbe mit den Männern. Erst wollen sie unbedingt deine Telefonnummer und dann melden sie sich nicht.«

»Ich muss mit dir reden, Gloria.«

»Was ist los?«

»Ich möchte, dass du weißt, dass du auch nach der Trennung von Henry zur Familie gehörst, selbst wenn ihr nie verheiratet wart. Du bist die Mutter meiner Enkelin und uns immer herzlich willkommen.«

»Danke«, sagte Gloria. »Ich sehe das ähnlich.«

»Ich bedaure sehr, dass Henry wegen seines Jobs ins Ausland musste. Er sagte neulich, er wird sich eine neue Stelle suchen, die es ihm erlaubt, wieder zurückzukehren. Er will in Claritys Nähe sein.«

Als ich Claritys Namen hörte, sah ich hinüber zu ihren kleinen Füßen, weil ich von hier unten nichts anderes sehen konnte. Sie strampelte, wie immer, wenn sie ihr übel schmeckendes Essen selbst mit dem Löffel essen durfte. Wenn Gloria sie fütterte, drehte und wand sie sich auf i­hrem Stuhl.

»Ich weiß, dass du deine Gesangskarriere wieder aufnehmen möchtest«, fuhr Hannah fort.

»Das stimmt. Ein Baby zu bekommen, ist dabei eher hinderlich. Ich muss noch etliche Pfunde runterkriegen.«

»Deshalb wollte ich mit dir reden. Was hältst du davon, wenn Clarity hier bei uns auf der Farm bleibt?«

Es folgte eine lange Stille. »Was willst du damit sagen?«, fragte Gloria leise.

»Nächste Woche kommt Rachel wieder zurück, und wenn die Schule losgeht, hat Cindy jeden Nachmittag ab sechzehn Uhr frei. Wir alle zusammen und Claritys Kusinen könnten uns gemeinsam um sie kümmern, während du in Ruhe deine Karriere in Angriff nimmst. Du kommst zu uns, wann du willst, und bleibst, so lange du möchtest. Hier gibt es genug Platz für alle. Du hättest viel Freiheit und Raum für dich selbst.«

»Darum geht’s also«, sagte Gloria.

»Was meinst du damit?«

»Ich habe mich schon gewundert, warum du ständig betonst, dass wir bleiben können, so lange wir möchten. Jetzt verstehe ich es. Clarity soll also bei euch leben – und ich weiß auch schon, wie es dann weitergeht.«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Gloria.«

»Als Nächstes wird Henry juristisch durchsetzen, dass er keinen Unterhalt mehr bezahlen muss, und dann stehe ich ohne einen Penny da.«

»Wie bitte? Das ist doch absurd …«

»Ihr denkt doch alle, ich hätte Henry in eine Falle gelockt. Aber glaub mir, ich hätte eine Menge anderer Männer haben können. Das habe ich überhaupt nicht nötig.«

»Keiner hat das je behauptet, Gloria.«

Mit einem Ruck stand Gloria auf. »Ich wusste doch, dass da was im Busch ist. Deshalb seid ihr so unheimlich nett zu mir.«

Ich spürte ihre Wut und versuchte, gebührenden Abstand von ihren Füßen zu halten. Plötzlich schaukelte Claritys­ Stuhl heftig hin und her und ihre nackten Füße hoben sich in die Luft.

»Mir reicht’s, ich packe, und dann sind wir weg.«

»Gloria!«

Ich hörte Clarity laut heulen, während Gloria mit ihr die Treppe hochstürmte. Clarity weinte selten, – nur einmal war es so schlimm, als sie im Garten ein Gemüse vom Stängel gerupft hatte, dessen beißender Geruch mir mehr Wasser in die Augen trieb als das Zeug auf Glorias Zehen. Ich wusste gleich, dass das nichts Essbares war, doch Clarity steckte es in den Mund und lutschte daran. Dann guckte sie auf einmal überrascht und heulte laut auf vor Schreck, Schmerz und Wut. So wie jetzt auch.

Hannah weinte auch, aber erst, nachdem Gloria und Clarity fort waren. Um sie zu trösten, legte ich meinen Kopf in ihren Schoß, und ich bin mir sicher, das hat ihr geholfen. Obwohl sie auch beim Einschlafen noch traurig war.

Ich begriff nicht, was passiert war. Gloria und Clarity waren weggefahren, na gut. Doch ich war mir sicher, ich würde sie wiedersehen. Früher oder später kehrten doch alle zur Farm zurück.

Ich schlief auf Hannahs Bett. Seit Ethan tot war, durfte ich das, und am Anfang hielt mich Hannah nachts fest und weinte auch manchmal. Damals wusste ich jedoch, warum: weil sie Ethan vermisste. Wir vermissten ihn alle schrecklich.

Als ich am nächsten Morgen aus dem Bett sprang, hatte ich das Gefühl, dass etwas in meiner linken Hüfte gebrochen war. Vor Schmerz jaulte ich auf.

»Was ist passiert, Buddy? Was ist mit deinem Bein?«

Ich spürte ihre Angst und leckte ihr zur Entschuldigung die Hände, weil ich nicht wollte, dass sie sich meinetwegen Sorgen machte. Doch ich konnte mein linkes Hinterbein nicht mehr aufsetzen, der Schmerz war unerträglich.

»Wir fahren zum Tierarzt, Buddy. Keine Angst, alles wird gut«, sagte Hannah.

Vorsichtig humpelte ich neben ihr auf drei Beinen zum Auto und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie groß die Schmerzen waren. Hannah sollte nicht traurig sein ­wegen mir. Obwohl ich eigentlich ein Vordersitz-Hund war, öffnete Hannah die hintere Tür, und dafür war ich ihr dankbar. Mit nur drei funktionierenden Beinen fiel es mir leichter, über das Brett in den Kofferraum zu kriechen, denn auf den Beifahrersitz hätte ich springen müssen.

Sie ließ den Motor an und wir fuhren los. Plötzlich hatte ich wieder diesen scheußlichen Geschmack im Mund, stärker als je zuvor.

Drei

Als wir das kühle Zimmer betraten und ich auf das Stahlbett gehoben wurde, durchrieselte mich ein freudiger Schauer und ich klopfte mit dem Schwanz aufs Metall. Ich mochte die Tierärztin. Ihr Name war Doktor Deb und ihre Hände rochen intensiv nach Seife, doch an den Ärmeln haftete der Geruch von unzähligen Katzen und Hunden. Als sie mein Bein abtastete, tat es überhaupt nicht weh. Weil Doktor Deb es so wollte, stand ich danach wieder auf und wartete geduldig zu Hannahs Füßen in einem kleinen Raum. Dann gingen wir zurück zu Doktor Deb, die auf ihrem Hocker zu uns herübergerutscht kam.

»Schlechte Nachrichten«, sagte sie.

»Oje«, sagte Hannah und ich spürte, wie sie plötzlich eine große Traurigkeit überkam. Mitfühlend sah ich zu ihr hoch. Gleichzeitig versuchte ich zu begreifen, was hier vor sich ging. In Doktor Debs Zimmer war Hannah noch nie traurig gewesen.

»Natürlich können wir das Bein amputieren, doch großen Hunden wie ihm bereitet das Laufen mit nur einem Hinterbein große Schwierigkeiten. Außerdem wissen wir nicht, ob der Krebs nicht schon Metastasen gebildet hat. Schlimmstenfalls machen wir ihm das kurze Leben, das er noch hat, nur unnötig schwer. An Ihrer Stelle würde ich ihm einfach Schmerzmittel geben und abwarten. Er ist doch schon recht alt, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht genau, wie alt er ist. Aber er dürfte so um die elf Jahre alt sein«, sagte Hannah. »Ist das denn alt für einen Hund?«

»Labradore werden im Durchschnitt knapp zwölfeinhalb Jahre alt, allerdings habe ich auch schon ältere Tiere hier gehabt. Es soll also nichts heißen. Bei älteren Hunden entwickeln sich Tumore oft auch langsamer. Das sollten wir bedenken bei der Frage, ob eine Amputation sinnvoll erscheint.«

»Buddy war ein so lebhafter Hund, kaum vorstellbar, dass ihm ein Bein abgenommen werden soll«, sagte Hannah­.

»Du bist ein guter Hund, Buddy«, murmelte Doktor Deb. Ich schloss genüsslich die Augen und ließ mich hinter den Ohren kraulen. »Am besten fangen wir mit Schmerzmitteln an. Labradore haben eine hohe Toleranzschwelle, was Schmerzen betrifft, sie machen erst sehr spät auf ihre Qualen aufmerksam.«

Zu Hause bekam ich eine extra leckere Portion Fleisch und Käse. Danach wurde ich sehr müde und ging zu meinem Lieblingsplatz im Wohnzimmer, wo ich gleich darauf in einen tiefen Schlummer fiel.

Langsam fand ich heraus, dass es erträglicher war, wenn ich mein Hinterbein anwinkelte und nicht am Boden aufsetzte. In diesem Sommer lernte ich, mich auf die übrigen drei Beine zu verlassen, und das funktionierte gut. Am wohlsten fühlte ich mich beim Schwimmen im Teich, denn das kühle Wasser tat gut und mein Körper fühlte sich dann ganz leicht an. Rachel und ihre Kinder kehrten zurück – von wo auch immer sie gewesen sein mochten –, und Cindys­ Kinder besuchten uns oft auf der Farm. Alle überschütteten mich mit Zuneigung als wäre ich wieder ein kleiner Welpe. Ich legte mich gern auf die Seite, um mir von Cindys Mädchen kleine Schleifen ins Fell binden zu lassen. Die kleinen flinken Hände linderten meine Schmerzen. Hinterher aß ich die Schleifchen dann meist auf.

Hannah versorgte mich ständig mit köstlichen Leckerbissen und ich machte lange Nickerchen. An meinen steifen Gliedern spürte ich, wie alt ich geworden war, auch meine Sehkraft ließ langsam nach. Trotzdem war ich sehr glücklich. Der wunderbare Duft der Blätter, die nun haufenweise zu Boden fielen und sich an den Rändern kräuselten, kitzelte meine Nase, und auch den staubigen Geruch von Hannahs Blumen, die spröde von den Stängeln hingen, mochte ich gern.

»Buddy jagt wieder einmal Hasen.« Ich erwachte, weil ich Hannah meinen Namen sagen hörte. Ich brauchte einen Moment, um zu mir zu kommen, und wusste erst nicht, wo ich war. In meinem Traum war Clarity wieder vom Steg gefallen, aber diesmal war ich kein böser Hund, denn Ethan war da. Er stand bis zu den Knien im Wasser und rief: »Guter Hund!«, und ich war mir sicher, er war froh, dass ich auf Clarity achtgab. Wenn sie wieder zur Farm kam, würde ich gut auf sie aufpassen. Ethan wollte es so, das wusste ich.

Im Lauf der Zeit hatte sich Ethans Geruch im Haus fast verloren, doch an manchen Orten spürte ich seine Anwesenheit noch deutlich. Manchmal ging ich nach oben in sein Zimmer, dann kam es mir vor, als schliefe er dort im Bett oder beobachtete mich von seinem Stuhl aus. Das war ein tröstliches Gefühl. Oft dachte ich auch an Baby Clarity, und wie sie mich »Bubby« genannt hatte. Obwohl ich wusste, dass ihre Mutter Gloria bestimmt auf sie aufpasste, machte ich mir trotzdem ein wenig Sorgen um sie. Hoffentlich kehrte sie bald zurück, dann konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass es ihr gut ging.

Dann kam die kalte Jahreszeit und ich blieb meistens im Haus. Für meine Geschäfte wählte ich stets den nächstliegenden Baum, um es schnell hinter mich zu bringen, und weil ich mein Bein nicht mehr richtig heben konnte, verrichtete ich die Sache in der Hocke. Selbst bei strömendem Regen kam Hannah mit nach draußen und stand neben mir.

Der hohe Schnee war herrlich. Mein Körper fühlte sich so leicht an wie im Wasser, aber es war kühler und das tat mir wohl. Einfach draußen im Schnee zu stehen und die Augen zu schließen, war angenehm – am liebsten wäre ich so eingeschlafen.

Der üble Geschmack im Mund hatte sich festgesetzt; an manchen Tagen war er stärker, an anderen nahm ich ihn kaum wahr. Auch an die Schmerzen im Bein hatte ich mich gewöhnt, trotzdem kam es vor, dass ich plötzlich von einem stechenden Schmerz aus dem Schlaf gerissen wurde und kaum mehr Luft bekam.

Eines Morgens erwachte ich und sah durchs Fenster, dass der Schnee langsam taute. Früher fand ich es herrlich, die ersten Grashalme zu beschnuppern, die aus der feuchten, schlammigen Erde hervorkrochen, doch nun war mir schon der Weg nach draußen zu weit. Hannah sah mich prüfend an. »Okay, Buddy«, sagte sie. »Es ist Zeit.«

An diesem Tag kamen alle Kinder zur Farm, um mich ausgiebig zu kraulen und mit mir zu reden. Ich lag nur da und seufzte vor Wonne wegen der großen Aufmerksamkeit und den unzähligen kleinen Händen, die nicht aufhören wollten, mich zu streicheln und zu liebkosen. Einige Kinder waren traurig, andere schienen gelangweilt, doch alle saßen um mich herum auf dem Fußboden, bis es Zeit war für sie zu gehen.

»Du bist ein guter Hund, Buddy.«

»Du wirst mir sehr fehlen, Buddy.«

»Ich hab dich lieb, Buddy.«

Immer wenn ich meinen Namen hörte, wedelte ich mit dem Schwanz.

In der Nacht schlief ich nicht neben Hannah im Bett, sondern blieb einfach auf dem Platz liegen, an dem mich die vielen kleinen Hände gestreichelt hatten, und schwelgte in der Erinnerung.

Am nächsten Morgen erwachte ich, als die ersten Sonnen­strahlen den Himmel färbten. Es kostete mich unendlich viel Kraft, auf die Beine zu kommen und zu Hannahs Bett zu humpeln. Als ich meinen Kopf hechelnd neben sie auf die Decke legte, wurde sie wach.

Mein Bein pochte heftig und ich hatte auch schlimme Schmerzen im Bauch und im Hals.

Ich sah ihr in die Augen und hoffte, ihr begreiflich zu machen, wozu ich sie brauchte. Ethans Freundin, diese wunderbare Frau, die uns beide so sehr geliebt hatte, würde mich nicht im Stich lassen. Da war ich mir sicher.

»Oh Buddy, du willst mir sagen, dass die Zeit nun gekommen ist«, sagte sie traurig. »Okay, Buddy, okay.«

Sie ließ mich ins Freie und ich humpelte zum nächsten Baum, um mein Geschäft zu erledigen. Dann stand ich einfach nur da und sah über das weite Land der Farm im Licht der aufgehenden Sonne, und alles erstrahlte in leuchtendem Gold und Orange. Kaltes, klares Wasser tropfte von der Dachrinne und der Boden unter meinen Pfoten, aus dem bald frische Gräser und Blumen wuchsen, war ganz feucht. Ich konnte das neue Leben riechen, das unter der Ober­fläche der duftenden, schlammigen Erde zu keimen begann. Es war der perfekte Tag.

Ich schaffte es kaum bis zum Wagen, doch als Hannah die hintere Tür öffnete, ignorierte ich es und drängte zur Vordertür, die ich mit der Schnauze berührte. Sie lachte und half mir dann, auf den Beifahrersitz zu kriechen.

Ich war ein Vordersitz-Hund.

Aus dem Autofenster sah ich den heraufziehenden Tag, der endlich wärmeres Wetter versprach. Dort, wo die Bäume dicht beieinanderstanden, lag noch Schnee am Boden, doch im Garten, wo Ethan und ich so oft gespielt und he­rumgetollt hatten, war er schon geschmolzen. Fast war mir, als hörte ich in diesem Augenblick Ethan sagen, ich sei ein guter Hund. Mein Schwanz wippte vor Freude bei der Erinnerung an seine Stimme.

Auf der Fahrt zu Doktor Deb streichelte mich Hannah unzählige Male. Bei jedem Wort, das sie sagte, schwang so viel Traurigkeit mit, dann leckte ich ihre Hand.

»Ach Buddy«, sagte sie.

Ich wedelte mit dem Schwanz.

»Immer wenn ich dich sehe, muss ich an Ethan denken. Du guter Hund. Du warst sein bester Freund, ein ganz ­besonderer Hund. Du hast mich zu ihm zurückgeführt. Ich weiß, dass du das nicht begreifst, aber Ethan und ich kamen nur deshalb wieder zusammen, weil du damals vor meiner Tür standst. So war das … kein Hund der Welt hat mehr für seine Menschen getan als du, Buddy.«

Ich war glücklich, weil Hannah Ethans Name aussprach.

»Du bist der beste Hund der Welt, Buddy. Ein richtig, richtig guter Hund.«

Ich wedelte mit dem Schwanz, weil sie mich guter Hund nannte.

Vor Doktor Debs Haus öffnete Hannah meine Tür. Doch ich konnte beim besten Willen nicht mehr raushüpfen, mein Bein machte nicht mehr mit. Ich sah sie traurig an.

»Okay, Buddy. Warte hier.«

Hannah schloss die Wagentür und verschwand. Kurze Zeit später erschien Doktor Deb mit einem Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte. Seine Hände rochen nach Katze und ihn umgab ein leichter Geruch nach Fleisch. Er trug mich zusammen mit Doktor Deb ins Haus. Die Schmerzen, die mir dabei durch Mark und Bein schossen, ­versuchte ich mit Fassung zu tragen, aber ich musste furchtbar hecheln. Sie legten mich auf den Stahltisch, doch ich konnte nicht einmal mehr mit dem Schwanz wedeln, sondern ließ meinen Kopf nur matt auf das kühle Gestell sinken und streckte mich der Länge nach aus.

»Du bist ein so guter Hund, Buddy«, flüsterte Hannah.

Ich wusste, dass es nun nicht mehr lange dauerte. Ich blickte Hannah an, die lächelte, aber auch weinte. Doktor Deb streichelte mich und ich spürte, wie ihre Finger nach der Nackenfalte in meinem Fell suchten.

Plötzlich musste ich an Baby Clarity denken. Hoffentlich fand sie bald einen anderen Hund, der auf sie aufpasste. Jeder Mensch brauchte einen Hund, und Clarity ganz besonders.

Mein Name war Buddy. Davor war ich Ellie, und davor Bailey und am Anfang war ich Toby. Ich war ein guter Hund, der seinen Jungen innig geliebt und auch für das Wohl seiner Familie gesorgt hatte. Ich hatte Hannah geliebt. Nun würde ich nicht wiedergeboren, und das war gut so. Denn ich hatte auf dieser Welt alles getan, was man von einem Hund erwarten konnte.

Umfangen von Hannahs Liebe spürte ich nun den feinen Stich zwischen Doktor Debs Fingern. Fast augenblicklich ließen die Schmerzen nach und große Ruhe erfüllte mich. Mein Körper fühlte sich wunderbar leicht an wie im Wasser­ des Teichs. Hannahs Hände in meinem Fell spürte ich nicht mehr. Ich war glücklich, als ich schließlich vom warmen Wasser umhüllt fortgetragen wurde.

Vier

Die Wahrnehmung war noch etwas verschwommen, doch mein Blick wurde langsam schärfer und plötzlich stellte sich die Erinnerung ein. Eben noch war ich ein kleiner Welpe, der kein anderes Ziel, keine andere Richtung kannte, als die Milchquelle bei seiner Mutter zu finden, und nun war ich ein Welpe, der wusste, dass er ich war: Ich war Buddy und all meine früheren Leben hatten genauso begonnen.

Das Fell meiner Mutter war dunkel, kurz und kraus. Auch meine Beine waren dunkel – zumindest soweit ich das mit meinem noch trüben Blick erkennen konnte. Doch mein weiches Fell war nicht gewellt. Meine Geschwister waren ebenfalls schwarz, doch im allgemeinen Geschiebe und Gedrängel bemerkte ich schnell, dass nur eins das gleiche Fell hatte wie ich. Die anderen waren kraus wie unsere Mutter.

Auch wenn mein Blick bald klarer werden sollte, bezweifelte ich doch, dass ich deshalb auch klarer sah, warum ich schon wieder als Welpe geboren worden war. Ich dachte immer, dass ich nur eine wichtige Aufgabe im Leben zu erfüllen hatte und deshalb dauernd neu geboren wurde. All meine früheren Leben hatten den Sinn, Ethan, meinen Jungen, wiederzufinden und ihn bis ans Ende zu begleiten. Das war meine Bestimmung gewesen. Dachte ich jedenfalls.

Und was war das jetzt? Würde es etwa ewig so weitergehen mit diesen Wiedergeburten? Sollte es denn mehr als einen Lebenszweck geben für einen Hund? War das wirklich möglich?

Wir schliefen alle gemeinsam in einer großen Kiste. Als ich kräftiger wurde, begann ich meine neue Umgebung zu erkunden. Sie war so aufregend wie eine Kiste eben sein konnte. Manchmal kamen Schritte die Treppe herab und ein undeutlicher Schatten beugte sich über uns, der einmal die Stimme einer Frau, dann wieder die eines Mannes hatte. Die Art, wie Mutter in solchen Momenten mit dem Schwanz wedelte, ließ mich vermuten, dass es die Menschen waren, die sie auch normalerweise umsorgten.

Bald konnte ich mit eigenen Augen sehen, dass es sich tatsächlich um einen Mann und eine Frau handelte. Das waren sie für mich – der Mann und die Frau.

Eines Tages brachte der Mann einen Freund mit, der uns von oben herab angrinste. Er hatte keine Haare auf dem Kopf, dafür aber sehr viele an seinem Mund.

»Wie niedlich!«, sagte der nackte Kopf mit dem haarigen Mund. »Sechs Welpen, ein schöner Wurf!«

»Du kannst sie gerne auf den Arm nehmen«, sagte der Mann.

Ich erstarrte, als die riesigen Hände direkt auf mich zukamen. Unter seinem Griff wurde mir angst und bang und deshalb hielt ich ganz still. Der Mann mit dem Fellmund hob mich in die Höhe und starrte mir ins Gesicht.

»Die hier ist nicht wie die anderen«, sagte er. Sein Atem roch nach Butter und Zucker, deshalb schleckte ich in die Luft.

»Einer ihrer Brüder ist ähnlich aus der Art geschlagen. Wir können es uns nicht erklären. Sowohl Bella als auch der Vater sind reinrassige Pudel. Wir haben hin und her überlegt … vielleicht ist Bella ja mal ausgebüxt. Eines Nachmittags hatten wir die hintere Tür offen stehen lassen. Oder ein anderer Rüde ist über den Zaun gesprungen«, sagte der Mann.

»Geht das denn überhaupt? Zwei verschiedene Väter?«

Ich hatte keine Ahnung, was sie da redeten, aber wenn er mich bloß hochhalten wollte, um mir verlockende Düfte ins Gesicht zu blasen, dann konnte er mich jetzt wieder runterlassen.

»Der Tierarzt meinte, dass es schon möglich ist, von zwei Rüden gleichzeitig begattet zu werden.«

»Das ist ja ulkig!«

»Ja. Aber wir werden die beiden Kleinen nicht verkaufen können. Willst du sie nicht haben? Umsonst, weil du’s bist.«

»Nein, vielen Dank«, sagte der Mann, der mich hielt, lachend und setzte mich endlich ab. Meine Mutter beschnüffelte die fremden Gerüche an mir und leckte mich vorsichtshalber gründlich ab. Auf wackligen Beinen staksten meine Geschwister herbei und sahen mich herausfordernd an, weil sie mittlerweile wohl vergessen hatten, dass ich einer von ihnen war. Ich ignorierte sie.

»Wie geht es deinem Sohn?«, fragte der Mann mit dem haarigen Gesicht.

»Danke der Nachfrage. Er ist dauernd krank, hustet ständig. Er muss dringend zum Arzt.«

»Hat er die Hundchen schon gesehen?«

»Nein, noch sind sie zu klein. Ich lass ihn erst ran, wenn sie ein bisschen robuster sind.«

Die Männer verloren sich im Dunkel außerhalb meines Gesichtsfelds.

Die Tage vergingen, und ich hörte von oben oft die Stimme eines kleinen Jungen. Das gefiel mir überhaupt nicht, weil ich nicht wollte, dass nun alles an der Seite eines neuen Pimpfs von vorne losging. Erwartete mich da oben etwa meine neue Bestimmung? Es schien mir nicht richtig. Ich wollte kein böser Hund sein, und deshalb auch keinen anderen Jungen als Ethan lieben.

Eines Nachmittags kam der Mann und setzte uns alle in eine kleinere Kiste, die er dann die Treppe hochtrug, während Mutter aufgeregt hechelnd an seinen Fersen klebte. Oben angekommen, stülpte der Mann die Kiste vorsichtig um und wir purzelten heraus.

»So viele kleine Hunde!«, hörte ich die Stimme des Jungen hinter uns.

Um das Gleichgewicht zu halten, spreizte ich die Beine und blickte mich interessiert um. Es sah aus wie das Wohnzimmer auf der Farm mit Sesseln und Sofa. Natürlich strebten meine Geschwister sofort runter von der weichen Decke­, auf der wir abgesetzt worden waren, und verteilten sich in alle Richtungen. Nur ich rührte mich nicht vom Fleck, denn ich wusste ja aus Erfahrung, dass säugende Mutterhunde stets weiche Unterlagen bevorzugten und sich nicht auf den blanken Boden legten. Also war es bestimmt schlauer, in Mutters Nähe zu bleiben.

Lachend fingen der Mann und die Frau die flüchtigen Geschwister wieder ein und setzten sie auf die Decke zurück. Das war wirklich ein Wink mit dem Zaunpfahl. Aber anstatt sitzen zu bleiben, versuchten die meisten gleich noch einmal zu türmen. Aufgeregt hüpfte der Junge um uns her­um. Er war älter als Clarity, aber immer noch ziemlich klein, und ich musste daran denken, wie Clarity damals im Stall beim Anblick des dummen Pferds genauso freudig her­umgewackelt hatte.

Obwohl ich wirklich keinen anderen Jungen als Ethan lieben wollte, fiel es mir schwer, sich der ansteckenden Freude des Kleinen zu entziehen, der uns seine weit geöffneten Arme entgegenstreckte.

Der Junge schnappte sich meinen Bruder, der, so wie ich, längeres, glattes Fell hatte. Ich konnte die Furcht meines Geschwisterchens riechen, als er plötzlich hochgehoben wurde.

»Sei vorsichtig, mein Sohn«, sagte der Mann.

»Pass auf, dass du ihm nicht wehtust«, sagte die Frau.

Für mich stand jetzt fest, dass die beiden seine Eltern sein mussten. »Er küsst mich!«, rief der kleine Junge kichernd, als mein Bruder ihm unterwürfig das Gesicht leckte.

»Alles in Ordnung, Bella. Du bist ein guter Hund«, sagte der Mann und streichelte Mutter, die mit nervösem Gähnen unsere Decke umrundete.

Der kleine Junge hustete. »Geht’s dir gut?«, fragte die Mutter. Er nickte, setzte meinen Bruder ab und nahm meine Schwester hoch. Die anderen Brüder beschnüffelten von der sicheren Decke aus den blanken Fußboden, trauten sich aber nicht mehr auf die glatte Oberfläche.

»Dieser Husten gefällt mir nicht. Es hört sich schlimmer an als vorher«, sagte der Mann.

»Den ganzen Morgen über hat er überhaupt nicht gehustet«, sagte die Frau.

Der Atem des Jungen ging schwer und rasselte beim Luftholen. Er hustete erneut und es hörte sich wirklich noch schlimmer an als zuvor. Die Eltern waren wie versteinert und sahen ihn an.

»Johnny?« Die Stimme der Frau klang ängstlich. Unruhig schwänzelnd lief Mutter zu ihr hin. Der Mann schnappte sich meine Schwester vom Arm des Jungen und setzte sie ab.

»Johnny, kannst du noch atmen?« Er packte den Jungen am Arm.

Mit den Händen auf die Knie gestützt, beugte sich der Junge nach vorn. Er rang um Atem und röchelte.

»Er läuft blau an!«, rief die Frau. Wir alle wichen vor Schreck zurück als wir das Grauen in ihrer Stimme hörten.

»Ruf den Notarzt!«, schrie der Mann. »Johnny, nicht umkippen! Sieh mich an, Kind!«

Instinktiv waren wir zu Mutter gekrochen und kauerten um ihre Beine, weil wir von ihr beruhigt werden wollten. Kurz senkte sie die Schnauze zu uns hinunter, doch sie hechelte und war selbst ängstlich. Dann lief sie zu dem Mann hin und stupste ihn mit der Schnauze an. Er beachtete sie nicht. »Johnny!«, rief er verzweifelt.

Ein paar Geschwister versuchten Mutter zu folgen, doch als sie das bemerkte, drehte sie um und schob sie mit der Schnauze zurück auf die Decke, damit wir nicht im Weg waren.