Ich gehöre zu dir - W. Bruce Cameron - E-Book
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Ich gehöre zu dir E-Book

W. Bruce Cameron

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Beschreibung

Bailey ist clever, faul und ziemlich frech. Am Ende eines tristen Lebens als Straßenköter fragt er sich, wozu er überhaupt auf der Welt war, und ist verblüfft, plötzlich als wunderschöner Rassehund wiedergeboren zu werden. Der achtjährige Ethan nimmt ihn bei sich auf, und Bailey lernt, was es heißt, einen echten Freund zu haben. Aber seine Reise ist noch nicht beendet, er muss weiterziehen und noch viel lernen. Als er Ethan nach vielen Jahren wiedersieht, ergibt alles plötzlich einen Sinn ...

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Seitenzahl: 443

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W. Bruce Cameron

Roman

Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe A Dog’s Purpose erschien bei A Forge Book, New York

Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2011Copyright © 2010 by W. Bruce CameronCopyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbHPrinted in Germany 2011Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München, unter Verwendung eines Fotos von © plainpicture/Fancy ImagesSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-06517-1

www.heyne.de

ZUM BUCH

Was wäre, wenn Hunde mehrere Leben hätten? Und angenommen, sie erinnerten sich an jedes davon? Genau das passiert Bailey, dem Helden von »Ich gehöre zu dir«. Nachdem er als Straßenköter eingeschläfert worden ist, wacht er als süßer Welpe wieder auf. Er findet bei einer liebevollen Familie ein Zuhause und wird der beste Freund des achtjährigen Ethan, mit dem er durch dick und dünn geht. Als Bailey schließlich an Altersschwäche stirbt, wird er in Gestalt eines Schäferhundes wiedergeboren. Wozu das gut sein soll, zeigt sich schnell: Bei der Polizei lernt er, wie man Spuren verfolgt, Personen aufspürt und Menschenleben rettet. Es folgt ein viertes Leben. Mittlerweile kennt unser Held sich aus mit Wiedergeburten, aber den Sinn dahinter versteht er immer noch nicht. Zudem kann er seinen Freund Ethan einfach nicht vergessen. Doch eines Tages ist es soweit: Als er seinen hartherzigen Besitzern davonläuft, steht er plötzlich vor Ethans Haus. Jetzt endlich kann er zeigen, was er alles gelernt hat und die Mission erfüllen, für die er auf der Welt ist …

ZUM AUTOR

Als Bruce Cameron 1995 seine humoristische Internet-Kolume ins Leben rief, kannte ihn noch kein Mensch. Doch ein Jahr später war er bereits der meistgelesene Humorist im Internet. Seine Kolumne zur Erziehung von Teenagern war so populär, dass sie als Buch veröffentlicht wurde, das als Vorlage für die TV-Serie Meine wilden Töchter diente. Bruce Cameron publiziert seine Kolumnen in verschiedenen Zeitungen und arbeitet derzeit an einer Fernsehadaption von So erziehen Sie Ihren Mann.

Für Catherine,die für mich alles tut und ist

Eins

Eines Tages kam mir der Gedanke, dass die warmen, fiependen, müffelnden Dinger, die da um mich herumwuselten, meine Geschwister sein mussten. Ich war ganz schön enttäuscht!

Obwohl ich noch nicht viel mehr erkennen konnte als ein paar verschwommene Konturen, wusste ich ganz genau, dass das herrliche Wesen mit der langen, kräftigen Zunge meine Mutter war. Mit der Zeit wurde mir auch klar, woran es lag, wenn mir plötzlich kalt wurde: Dann war sie fortgegangen. Aber wenn die Wärme zurückkehrte, war es Zeit für die nächste Mahlzeit. Um einen Platz zum Trinken zu finden, musste ich zunächst erst einmal etwas beiseitedrängen, was ich mittlerweile als die Schnauze eines Geschwisterchens identifiziert hatte, das mich um meinen Anteil bringen wollte. Ziemlich mühsam und verwirrend, das Ganze! Ich konnte nicht verstehen, wozu meine Geschwister überhaupt gut waren. Wenn Mutter mir den Bauch leckte, um meine Verdauung anzuregen, blinzelte ich sie selig an und wünschte, sie würde die anderen zur Hölle schicken, denn ich wollte sie ganz für mich allein haben.

Nach und nach akzeptierte ich widerwillig, dass ich den Bau noch länger mit den anderen teilen musste. Meine Nase sagte mir schon bald, dass ich eine Schwester und zwei Brüder hatte. Schwesterchen war fast genauso rauflustig wie meine Brüder. Einer von ihnen war mir immer eine Schnauzenlänge voraus, ihn nannte ich den Schnellen. Der andere war für mich der Hungrige, denn er wimmerte immer sofort los, wenn Mutter sich entfernte. Wenn sie dann zurückkehrte, saugte er so verzweifelt an ihrer Zitze, als ob er nie genug bekommen würde. Er schlief öfter und länger als wir anderen. Das war uns natürlich recht, denn so konnten wir auf ihm herumhüpfen und an seinem Gesicht herumknabbern, ohne dass er sich wehrte.

Unser Bau lag im Wurzelwerk eines Baums, wo es selbst in der größten Tageshitze noch kühl und dunkel war. Als ich zum ersten Mal ins Freie tapste, kamen Schwesterchen und der Schnelle mit. Ich brauche ja wohl nicht extra zu erwähnen, dass der Schnelle sich vordrängelte, um als Erster draußen zu sein.

Von uns vieren war er der Einzige mit einem weißen Fleck im Gesicht, und als er unbeschwert voraneilte, leuchtete dieses Stück Fell im Sonnenlicht. Ich bin etwas Besonderes, schien der helle, sternenförmige Fleck der Welt sagen zu wollen. Sein restliches Fell war genauso unspektakulär braun-schwarz gefleckt wie meines. Der Hungrige war etwas heller, während Schwesterchen Mutters Knubbelnase und ihre flache Stirn geerbt hatte. Trotz dieser Unterschiede waren wir uns aber alle ziemlich ähnlich – daran änderte auch das ständige Herumtänzeln des Schnellen nichts.

Unser Baum stand am Ufer eines Baches, und ich amüsierte mich köstlich, als der Schnelle Hals über Kopf die Böschung hinunterpurzelte. Allerdings muss ich zugeben, dass auch Schwesterchen und ich keine besonders gute Figur machten, als wir unsererseits den Abstieg wagten. Schlüpfrige Steine und das schmale Rinnsal des Baches verbreiteten einen herrlichen Duft, und wir folgten dem Wasserlauf, bis wir zu einer feuchtkühlen Höhle kamen, einer Art Röhre mit Metallwänden. Mir war instinktiv klar, dass dies bei Gefahr ein erstklassiges Versteck war. Aber Mutter war von unserem Fund nicht allzu beeindruckt und beförderte uns ohne viel Federlesens wieder in unseren Bau zurück, als sich herausstellte, dass unsere Beine nicht kräftig genug waren, um die steile Böschung wieder hochzuklettern.

Jedenfalls hatten wir etwas gelernt: Wir konnten nicht ohne fremde Hilfe in unseren Bau zurück, wenn wir die Böschung hinunterkletterten. Sobald Mutter das nächste Mal den Bau verließ, zogen wir also sofort wieder los und versuchten es erneut. Dieses Mal kam sogar der Hungrige mit. Als er die Röhre erreichte, machte er es sich im kühlen Schlamm bequem und schlief ein. Erkundungsausflüge waren jetzt genau das Richtige – immerhin war die Zeit gekommen, da wir uns etwas anderes zu essen suchen mussten. Mutter hatte keine Geduld mehr mit uns und stand oft schon auf, wenn wir noch gar nicht satt waren. Daran waren natürlich die anderen schuld – der Hungrige mit seiner Unersättlichkeit, der Schnelle mit seiner Drängelei und Schwesterchen mit ihrem ewigen Schwanzwedeln. Nur ihretwegen lief Mutter davon, wenn unsere Bäuche noch nicht voll waren. Ich dagegen brachte sie fast immer dazu, sich seufzend wieder hinzulegen, wenn ich zu ihr aufschaute und sie mit den Pfoten anstupste.

Häufig nahm sich Mutter noch zusätzlich Zeit, um den Hungrigen ausgiebig abzulecken, während ich vor Wut über diese Ungerechtigkeit schäumte.

Schwesterchen und der Schnelle waren mittlerweile größer als ich – mein Körper war so groß wie ihrer, aber meine Beine waren kürzer und stämmiger. Der Hungrige war natürlich der Kümmerlichste aus dem ganzen Wurf, und es ärgerte mich, dass Schwesterchen und der Schnelle mich immer im Stich ließen, um miteinander zu spielen, als ob der Hungrige und ich aufgrund irgendeiner naturgegebenen Ordnung im Rudel zusammengehörten. Schwesterchen und der Schnelle interessierten sich mehr füreinander als für die restliche Familie. Aber das zahlte ich ihnen heim, indem ich ihnen meine Gesellschaft versagte und mich, so oft ich Gelegenheit dazu hatte, in die Röhre zurückzog.

Eines Tages erschnupperte ich den köstlichen Geruch von etwas Totem, Verwesendem, als plötzlich genau vor meiner Nase ein winziges Tier explodierte – ein Frosch!

Begeistert stürzte ich darauf zu und versuchte ihn zu fangen, aber der Frosch hüpfte erneut davon. Er hatte Angst, obwohl ich doch nur mit ihm spielen und ihn – wahrscheinlich – nicht essen wollte.

Inzwischen hatten Schwesterchen und der Schnelle mitbekommen, dass ich etwas Interessantes aufgestöbert hatte, und stürmten in die Röhre. Schliddernd kamen sie in dem schlammigen Wasser zum Stehen und waren so ungestüm, dass sie mich umwarfen. Der Frosch hüpfte vor Schreck weiter, und der Schnelle hechtete ihm nach, wobei er meinen Kopf als Sprungbrett benutzte. Ich knurrte böse, aber er ignorierte mich.

Schwesterchen und der Schnelle machten die unmöglichsten Verrenkungen, um den Frosch zu packen, aber der rettete sich in eine größere Wasserlache und schwamm mit gewaltigen Beinstößen davon. Schwesterchen steckte die Schnauze ins Wasser und schnaubte. Es spritzte so sehr, dass der Schnelle und ich ganz nass wurden. Der Schnelle sprang ihr auf den Rücken, und die beiden begannen miteinander zu raufen. Den Frosch – meinen Frosch! – hatten sie schon wieder vergessen.

Traurig zog ich davon. Anscheinend bestand meine Familie nur aus Schwachköpfen.

In den darauffolgenden Tagen musste ich noch oft an diesen Frosch denken, meist kurz vor dem Einschlafen. Und jedes Mal fragte ich mich, wie er wohl geschmeckt hätte.

Immer häufiger knurrte Mutter jetzt leise, wenn wir hungrig zu ihr kamen. Und dann kam der Tag, an dem sie drohend mit den Zähnen knirschte, als wir uns gierig auf sie stürzen wollten. Da erkannte ich verzweifelt, dass meine Geschwister endgültig alles verdorben hatten. Der Schnelle machte sich ganz flach und kroch unterwürfig auf Mutter zu. Sie senkte den Kopf und ließ ihn an ihrer Schnauze lecken. Dann belohnte sie ihn, indem sie ihm etwas zu fressen hinlegte, und alle vier stürzten wir uns darauf. Der Schnelle stieß uns fort, aber jetzt kannten wir den Trick: Wenn ich schnüffelte und dann Mutters Schnauze leckte, gab sie auch mir etwas zu fressen.

Inzwischen kannten wir das Bachbett in- und auswendig. Wir hatten so oft darin herumgetollt, dass die ganze Gegend nach uns roch. Der Schnelle und ich nahmen es mit dem Spielen sehr ernst und verbrachten fast unsere ganze Zeit damit. Irgendwann wurde mir jedoch klar, dass es dem Schnellen immer nur darum ging, mich auf den Rücken zu werfen und meinen Kopf und meine Kehle mit seinen Zähnen zu bearbeiten. Schwesterchen ließ sich nie auf solche Spiele mit ihm ein, und folglich verlor sie auch nie. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob mir das gefiel, was jeder für die natürliche Rangordnung in unserer Familie hielt. Nur dem Hungrigen war es natürlich völlig egal, welchen Rang er einnahm. Also biss ich ihm in die Ohren, wenn mein Frust zu groß war.

Eines Nachmittags lag ich faul herum und beobachtete, wie Schwesterchen und der Schnelle mit einem Stofffetzen spielten, den sie gefunden hatten. Plötzlich stellten sich meine Ohren auf. Irgendein fremdes Tier näherte sich, ein ziemlich großes und lautes. Ich beeilte mich, auf die Füße zu kommen, aber ehe ich zum Bachbett runterrennen konnte, um nachzusehen, was das für ein Geräusch war, stand Mutter vor mir, den ganzen Körper in gespannter Alarmbereitschaft. Ich wusste nicht, warum, und am wenigsten verstand ich, weshalb sie den Hungrigen im Maul trug. So komfortabel wurden wir schon seit Wochen nicht mehr transportiert. Mutter führte uns in die dunkle Röhre und legte sich flach auf den Boden. Sogar die Ohren legte sie an. Das war eine klare Ansage. Wir folgten ihrem Beispiel und krochen mucksmäuschenstill tief in unser Versteck.

Als das große Wesen vor der Röhre auftauchte, sahen wir, dass es auf zwei Beinen ging. Mutters Rückenfell sträubte sich. So ängstlich hatte ich sie noch nie gesehen. Das Wesen hatte etwas im Maul, das einen beißenden Rauch absonderte, und es kam geradewegs auf uns zu.

Völlig fasziniert starrte ich das Wesen an. Merkwürdigerweise fühlte ich mich von ihm stark angezogen, und ich war drauf und dran, aus unserem Versteck zu stürmen, um es zu begrüßen. Doch ein Blick von meiner Mutter genügte, um mich daran zu hindern. Sie schien davon überzeugt zu sein, dass wir diese Kreatur fürchten und unter allen Umständen meiden sollten.

Heute weiß ich, dass es ein Mensch war. Der erste, den ich zu Gesicht bekam.

Er schaute nicht in unsere Richtung, sondern erklomm die Böschung und verschwand. Kurz darauf kroch Mutter aus der Röhre und hob witternd den Kopf, um zu prüfen, ob die Gefahr vorüber war. Dann entspannte sie sich, kam zurück und gab jedem von uns einen beruhigenden Kuss.

Ich rannte als Erster ins Freie, um selbst zu sehen, ob der Mensch wirklich fortgegangen war, und komischerweise war ich regelrecht enttäuscht, dass nichts als der Geruch seines beißenden Rauchs von ihm übrig geblieben war.

Im Laufe der nächsten Wochen bekräftigte Mutter immer wieder ihre Warnung: Meidet die Menschen! Fürchtet sie!

Als Mutter das nächste Mal auf Beutejagd ging, durften wir mitkommen. Sobald wir die nähere Umgebung unseres Baus hinter uns gelassen hatten, verhielt sich Mutter plötzlich ängstlich und scheu, und wir ahmten alles nach, was sie tat. Wir mieden offenes Gelände und schlichen stattdessen dicht an Büschen und Gestrüpp entlang. Wenn ein Mensch in Sicht kam, blieb Mutter wie versteinert stehen, aber an ihren Schultern konnten wir sehen, dass sie bereit war, jederzeit die Flucht zu ergreifen. In solchen Momenten kam uns der weiße Fleck des Schnellen genauso auffällig vor wie wildes Gebell, aber glücklicherweise wurden wir nicht bemerkt.

Mutter zeigte uns, wie wir die glatten Säcke aufreißen mussten, die hinter den Häusern lagen, um dann schnell alles Unbrauchbare wie Papier, Dosen und Plastik zur Seite zu scharren und zu den guten Sachen wie Fleischresten, Brotkrusten und Käserinden vorzustoßen, die wir so gut es ging zerkauten. Der Geschmack war exotisch und die Gerüche wunderbar, aber Mutters Nervosität wirkte auf uns alle ansteckend. Also fraßen wir, so schnell wir konnten, und nahmen uns nicht die Zeit, die Köstlichkeiten richtig zu genießen. Kaum hatten wir alles vertilgt, würgte der Hungrige alles wieder hervor, was ich ziemlich komisch fand, bis sich auch mir die Eingeweide zusammenkrampften und ich würgen musste.

Beim zweiten Versuch ging das ungewohnte Mahl schon viel leichter runter.

Mir war immer klar gewesen, dass es außer mir noch andere Hunde gab, obwohl ich bislang nur die aus meiner eigenen Familie kannte. Manchmal, wenn wir auf Futtersuche waren, hörte ich sie hinter Zäunen kläffen. Ich vermutete, dass sie uns beneideten, weil wir frei herumtollen konnten, während sie eingesperrt waren. Mutter hielt uns immer von ihnen fern, vor allem den Schnellen. Der sträubte sich meist ein bisschen, denn er empfand es wohl als Beleidigung, wenn jemand es wagte, sich darüber zu beschweren, dass er an seinen Baum pinkelte.

Ab und zu sah ich sogar einen Hund in einem Auto! Als das zum ersten Mal passierte, konnte ich es kaum fassen. Es sah aber auch wirklich zu blöd aus, wie er den Kopf aus dem Fenster streckte und dabei die Zunge aus dem Maul hängen ließ. Als er mich erblickte, bellte er freudig drauflos, aber ich war einfach zu verblüfft und konnte nur die Nase heben und ungläubig schnüffeln.

Autos und Trucks gehörten auch zu den Dingen, von denen Mutter uns fernhielt. Ich konnte allerdings nicht verstehen, warum. Was sollte an ihnen gefährlich sein, wenn sogar Hunde damit fahren konnten? Dass sie gemeine Dinge tun konnten, musste ich jedoch zugeben. Ein großer, furchtbar lauter LKW holte nämlich regelmäßig die Säcke ab, die die Menschen für uns hinters Haus stellten. Danach war die Nahrungsbeschaffung dann immer ein, zwei Tage lang schwierig, denn etwas anderes, womit wir uns die Bäuche füllen konnten, gab es kaum. Ich hasste diesen Laster, genau wie die gierigen Männer, die davon heruntersprangen und uns das Futter wegschnappten, weil sie alles für sich haben wollten. Und das, obwohl sie und ihr Lastwagen ganz himmlisch dufteten.

Seit wir unser Futter selbst suchen mussten, hatten wir weniger Zeit zum Spielen. Wenn der Hungrige an Mutters Schnauze leckte, weil er von ihr gefüttert werden wollte, knurrte sie nur noch. Wir anderen verstanden, was das zu bedeuten hatte, und versuchten gar nicht erst, sie anzubetteln. Also schwärmten wir hungrig aus und hofften, etwas Fressbares zu finden. Manchmal war ich danach zu müde, um dem Schnellen Paroli zu bieten, wenn er mich anrempelte, um mit mir zu raufen. Sollte er doch den Boss spielen. Meine kurzen Beine waren ohnehin viel besser geeignet als seine, um sich auf die Weise anzuschleichen, die Mutter uns beigebracht hatte. Wenn der Schnelle sich also für den Boss hielt, weil er größer war und mich leicht aufs Kreuz legen konnte, war er ziemlich auf dem Holzweg. Außerdem war der eigentliche Chef sowieso unsere Mutter.

Bald war unter dem Baum nicht mehr genug Platz für uns alle. Mutter ging immer öfter allein ihrer Wege und blieb dann länger weg als früher. Ich ahnte, dass sie eines Tages überhaupt nicht mehr zurückkommen würde. Dann würden wir selbst für uns sorgen müssen. Bei dem Gedanken wurde mir ganz mulmig zumute – nicht zuletzt, weil ich einen Bruder hatte, der mich andauernd übervorteilte und mir die besten Beutestücke abjagte. Dann würde Mutter nicht mehr da sein und auf mich aufpassen.

Ich begann mir auszumalen, wie es wohl sein würde, unseren Bau zu verlassen.

Der Tag, an dem alles anders wurde, begann damit, dass der Hungrige sich in die Röhre schleppte und sich dort hinlegte, statt mit uns anderen auf die Jagd zu gehen. Er atmete schwer, und die Zunge hing ihm aus dem Maul. Mutter leckte ihn noch mal, ehe sie loszog, und als ich dann an ihm schnupperte, ehe ich ihr folgte, öffnete er nicht einmal mehr die Augen.

Über die Röhre führte eine Straße hinweg. Dort hatten wir einmal einen toten Vogel gefunden und uns hungrig darauf gestürzt, bis der Schnelle ihn uns weggeschnappt hatte und damit fortgelaufen war. Obwohl es ziemlich gefährlich war, weil wir da oben keine Deckung hatten, trieben wir uns oft an dieser Straße herum und hofften auf weitere tote Vögel. Das taten wir auch jetzt, als Mutter plötzlich den Kopf hob und beunruhigt stehen blieb. Dann hörten wir es alle: Ein LKW näherte sich uns.

Es war nicht irgendein Truck, sondern einer, der uns die letzten Tage schon öfter aufgefallen war. Schon allein, weil er ungewöhnlich langsam fuhr. Beängstigend langsam. Fast kam es uns vor, als sei er hinter uns her.

Wir folgten Mutter, als sie zurück zur Röhre rannte. Warum ich nach ein paar Sätzen stehen blieb und mich nach dem monströsen Gerät umschaute, ehe ich mich in den sicheren Tunnel rettete, weiß ich bis heute nicht.

Doch diese paar Sekunden veränderten alles, denn die Männer im Lastwagen hatten mich gesehen. Mit einem tiefen, grollenden Geräusch kam der LKW direkt über uns zum Stehen. Ein letztes Scheppern des Motors, dann wurde es ganz still. Kurz darauf hörten wir schwere Stiefel auf dem Schotter.

Mutter winselte. Das tat sie sonst nie.

Dann tauchten Gesichter an beiden Enden der Röhre auf. Mutter machte sich ganz flach, jeder Muskel ihres Körpers war gespannt. Die Männer zeigten uns die Zähne, aber bei ihnen schien es keine Drohgebärde zu sein. Sie hatten braune Haut und schwarzes Haar, schwarze Augenbrauen und dunkle Augen.

»Hier, Junge«, flüsterte einer. Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber in meinen Ohren klang es so natürlich wie der Wind in unserem Baum. Es kam mir vor, als hätte ich Menschen schon mein Leben lang sprechen hören.

Dann sah ich, dass beide Männer Stangen dabeihatten. An einem Ende der Stangen waren Schlingen befestigt. Sie sahen bedrohlich aus, und ich merkte, dass Mutter Panik bekam. Sie scharrte mit den Pfoten und stürzte mit geducktem Kopf los, genau auf die Lücke zwischen den Beinen des einen Mannes zu. Er senkte seine Stange, ein Schnappgeräusch war zu hören, und dann wand und sträubte sich Mutter, als der Mann sie aus der Röhre ins helle Sonnenlicht zog.

Schwesterchen und ich krochen näher zusammen und machten uns so klein wir konnten. Der Schnelle knurrte, und seine Nackenhaare sträubten sich. Doch dann wurde uns klar, dass der Hinterausgang der Röhre zwar versperrt war, die Luft vor uns aber rein zu sein schien. Wie auf Kommando schossen wir los.

»Da kommen sie«, schrie der Mann hinter uns.

Als wir das Bachbett erreichten, wussten wir nicht weiter. Schwesterchen und ich versteckten uns hinter dem Schnellen. Wenn er unbedingt der Boss sein wollte, dann sollte er jetzt auch sehen, wie er klarkam!

Von Mutter war weit und breit nichts zu sehen. Die Männer standen jetzt auf beiden Seiten der Uferböschung und schwangen ihre Stangen. Der Schnelle duckte sich unter einer weg, aber die andere erwischte ihn, und der Mann zog die Schlinge zu. Schwesterchen nutzte das Durcheinander zur Flucht. Ihre Füße platschten im Wasser, als sie davonhastete. Aber ich stand nur wie angewurzelt da und blickte zur Straße hinauf.

Da oben stand eine Frau mit langem weißem Haar und einem unglaublich freundlichen Gesicht. »Ganz ruhig, Hündchen! Alles in Ordnung«, rief sie. »Komm her! Alles in Ordnung.«

Ich lief nicht weg. Ich bewegte mich, ehrlich gesagt, gar nicht. Stattdessen ließ ich zu, dass mir die Schlinge über den Kopf und dann eng um den Hals gezogen wurde. Dann wurde ich an der Stange die Böschung hinaufgeführt.

»Das ist ein Lieber«, rief die Frau. »Lasst ihn frei.«

»Dann haut er doch ab«, rief ein Mann zurück.

»Ach, was! Nehmt ihm die Schlinge ab!«

Ich hörte alles, verstand aber kein Wort. Ich begriff nur, dass die Frau der Boss zu sein schien, obwohl sie älter und kleiner war als die Männer. Der Mann, der mich gefangen hatte, stieß einen leisen Fluch aus und machte die Schlinge los. Dann streckte die Frau ihre Hände nach mir aus. Sie waren rau wie Leder und rochen nach Blumen. Ich schnupperte daran und senkte ergeben den Kopf. Die Frau roch liebevoll und besorgt.

Sie streichelte mir über den Rücken, und ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Mein Schwanz wippte ganz von allein, und als die Frau mich dann auch noch hochhob, küsste ich ihr das Gesicht, und sie lachte.

Doch dann kippte die Stimmung, als einer der Männer mit dem leblosen Körper des Hungrigen ankam. Sie schüttelte den Kopf und schien sehr traurig zu sein. Der Mann brachte den Hungrigen zum LKW, wo Mutter und der Schnelle schon in einem Metallkäfig hockten. Ich habe heute noch den Geruch des Todes in der Nase, den der Hungrige an diesem Tag in der trockenen, staubigen Luft verströmte, denn die Männer ließen Mutter, den Schnellen und mich ausgiebig an meinem toten Bruder schnüffeln. Offenbar wollten sie uns klarmachen, was mit ihm passiert war.

Dass die Menschen alle so traurig waren, lag wohl daran, dass sie ja nicht wissen konnten, wie krank der Hungrige gewesen war, und zwar von Geburt an, und dass es ihm bestimmt war, nicht lange auf der Welt zu bleiben.

Dann wurde ich zu den anderen in den Käfig gesteckt, und Mutter schnupperte angewidert an mir, da der Geruch der Frau in mein Fell gezogen war. Mit einem Ruck fuhr der LKW an, und ich wurde von den wunderbaren Gerüchen in den Bann gezogen, die mir der Fahrtwind um die Nase wehte. Jetzt durfte auch ich mal in einem Laster fahren! Vor Begeisterung fing ich laut an zu bellen. Mutter und der Schnelle sahen mich tadelnd an, aber ich konnte mich nicht bremsen. Es war das Großartigste, was ich je erlebt hatte. Noch besser als die Sache mit dem Frosch, den ich beinahe gefangen hätte.

Der Schnelle hingegen schien von Trauer überwältigt zu sein, und ich brauchte eine Weile, bis ich verstand, warum: Schwesterchen, seine liebste Spielgefährtin, war aus unserem Leben verschwunden – wahrscheinlich genauso unwiederbringlich wie der Hungrige.

Das gab mir zu denken. Die Welt war offenbar komplizierter, als ich bislang gewusst hatte. Anscheinend bestand sie nicht nur aus Mutter, meinen Geschwistern, Umherschleichen, Jagen und den Spielen in der Röhre. Größere Ereignisse waren in der Lage, das ganze Leben zu verändern – und diese Ereignisse wurden von Menschen bestimmt.

In einem Punkt sollte ich mich jedoch geirrt haben: Der Schnelle und ich würden Schwesterchen wiedersehen. Aber das konnten wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen.

Zwei

Wo unsere Fahrt auch hinführen mochte – ich ahnte, dass es dort noch mehr Hunde geben würde. In unserm Käfig wimmelte es nämlich von Duftmarken, von Urin, Exkrementen, Blut, Haaren und der Spucke anderer Hunde. Mutter hockte zusammengekauert und mit ausgefahrenen Krallen da, um auf der schaukelnden, holpernden Ladefläche Halt zu finden. Der Schnelle und ich liefen auf und ab, die Schnauzen nur Millimeter über dem Boden, und spürten die Gerüche aller Hunde auf, die vor uns hier gewesen waren. Jedes Mal, wenn der Schnelle ans Käfiggitter kam, wollte er es markieren, aber wenn er dann ein Bein hob, fiel er um, weil der Truck so stark schlingerte. Einmal landete er sogar auf Mutter, und sie schnappte nach ihm. Ich sah ihn böse an. Sah er denn nicht, wie unglücklich sie ohnehin schon war?

Irgendwann wurde es mir zu langweilig, Hunde zu erschnüffeln, die gar nicht da waren. Ich presste die Schnauze ans Drahtgitter des Käfigs und sog den Fahrtwind in vollen Zügen ein. Es erinnerte mich an das erste Mal, als ich die Nase in eine der Mülltonnen gesteckt hatte, die neben den glatten Säcken immer für eine Mahlzeit gut waren. Auch dort waren mir tausend neue Gerüche so plötzlich in die Nase gestiegen, dass ich niesen musste.

Der Schnelle gab seine Markierungsversuche auf und legte sich auf die dem Wind abgewandte Seite des Käfigs. Er war zu stolz, um auf meine Seite zu kommen, weil es nicht seine Idee gewesen war. Immer wenn ich nieste, sah er mich tadelnd an, als wollte er sagen: Das nächste Mal fragst du mich gefälligst erst um Erlaubnis! Doch dann blickte ich vielsagend zu Mutter hinüber, die das ganze Erlebnis zwar offensichtlich sehr eingeschüchtert hatte, in meinen Augen aber immer noch das Sagen hatte.

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