Bedrohtes Israel - Avi Primor - E-Book

Bedrohtes Israel E-Book

Avi Primor

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Beschreibung

Israel befindet sich im Krieg. Der Terrorangriff der radikal-islamischen Hamas ist für Israel die größte Katastrophe der letzten Jahrzehnte und vorläufiger, tragischer Höhepunkt des lange andauernden Konflikts. Die grausamen Anschläge haben über Tausend Zivilistinnen und Zivilisten das Leben gekostet. Schlagartig hat sich mit dem Krieg auch der Blick auf Israel gewandelt. Stand vor kurzer Zeit noch die geplante Justizreform der rechtskonservativen und in Teilen rechtsextremen Regierung im Fokus, und damit die Frage, ob Israel noch ein demokratischer Staat bleiben würde, schwankt die Aufmerksamkeit zwischen den Polen der unbedingten und uneingeschränkten Solidarität für Israel und der kritischen Analyse des weiteren Kriegsverlaufs und seiner Folgen für die palästinensischen Zivilisten.
In seinem Buch spricht Avi Primor über die Kriegsführung von Israel und Hamas, und darüber, wie die Zukunft seiner Heimat aussehen kann. Wird es jemals Frieden in Nahost geben?



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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressum1. Erneutes Trauma nach 50 Jahren2. Das seltsamste Land der Welt3. »Kampf um die Unabhängigkeitserklärung«4. Zum sechsten Mal Ministerpräsident5. Das jüdisch-arabische Problem: ein Blick in die Geschichte6. Vom britischen Mandatsgebiet zur Gründung Israels7. Jom-Kippur-Krieg und Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten8. Regierungskoalition mit extremistischen Parteien und rosa Champagner9. Netanjahus Werdegang10. Meine Mutter und ihr Besuch in Frankfurt am Main11. Netanjahu vor Gericht – Einigung mit den Ultraorthodoxen – Israel und der Gaza-Streifen12. Das Vorantreiben der »Justizreform« und der Kampf dagegen13. Ziele der »Justizreform«14. Netanjahu und sein Versuch, die Medien zu kontrollieren15. »Es ist der Staat Israel!«16. Der 7. Oktober 202317. Wie geht es weiter in den von Israel besetzten Gebieten?Schlussbetrachtungen

Über dieses Buch

Israel befindet sich im Krieg. Der Terrorangriff der radikal-islamischen Hamas ist für Israel die größte Katastrophe der letzten Jahrzehnte und vorläufiger, tragischer Höhepunkt des lange andauernden Konflikts. Die grausamen Anschläge haben über Tausend Zivilistinnen und Zivilisten das Leben gekostet. Schlagartig hat sich mit dem Krieg auch der Blick auf Israel gewandelt. Stand vor kurzer Zeit noch die geplante Justizreform der rechtskonservativen und in Teilen rechtsextremen Regierung im Fokus, und damit die Frage, ob Israel noch ein demokratischer Staat bleiben würde, schwankt die Aufmerksamkeit zwischen den Polen der unbedingten und uneingeschränkten Solidarität für Israel und der kritischen Analyse des weiteren Kriegsverlaufs und seiner Folgen für die palästinensischen Zivilisten. In seinem Buch spricht Avi Primor über die Kriegsführung von Israel und Hamas, und darüber, wie die Zukunft seiner Heimat aussehen kann. Wird es jemals Frieden in Nahost geben?

Über den Autor

Avi Primor, geboren 1935, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Er ist Sohn eines niederländischen Emigranten; seine Mutter ging 1932 von Frankfurt nach Tel Aviv, ihre gesamte Familie wurde während des Holocausts ermordet. Avi Primor leitet heute einen trilateralen Studiengang für israelische, palästinensische und jordanische Studenten an dem von ihm gegründeten Zentrum für europäische Studien am Interdisciplinary Center Herzliya in Israel. »Süß und ehrenvoll« ist sein erster Roman.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- undData-Mining bleiben vorbehalten.

Textredaktion: Burkard Miltenberger, Berlin

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille

Einband-/Umschlagmotiv: © Ilan Ejzykowicz/shutterstock

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-6021-8

quadriga-verlag.de

lesejury.de

1.

Erneutes Trauma nach 50 Jahren

Krieg im Nahen Osten.

Am 6. Oktober 1973 wurde Israel völlig überraschend von der ägyptischen Armee angegriffen, die den Suez-Kanal überquert hatte. Der Kanal war seit der Eroberung seines Ostufers von Israel im »Sechstagekrieg« im Jahr 1967 blockiert. Der 6. Oktober 1973 fällt auf Jom Kippur, den heiligsten Tag des jüdischen Volkes. Die meisten Soldaten, die in den Verteidigungsstellungen entlang des Kanals saßen, machten Urlaub in Israel, weit außerhalb der von Israel besetzten Sinai-Halbinsel. Die stark reduzierte israelische Streitkraft, die in den befestigten Stellungen entlang der gesamten Länge des Kanals auf dem Ostufer verblieb, war so klein und dermaßen unvorbereitet, dass sie sich, abgesehen von zwei geschützten Stellungen, nicht nennenswert verteidigen konnte und vollständig in die Hände der Ägypter fiel.

Zusätzlich zu der Katastrophe, die dieser ägyptische Überraschungsangriff für Israel bedeutete, erlebten die Verteidiger des Ostufers des Kanals eine weitere tragische Überraschung, über die man in Israel nicht gerne sprechen möchte: Als Israel im Juni 1967 das Ostufer des Kanals besetzte, führte dies dazu, dass der Kanal sofort für den gesamten Verkehr gesperrt wurde. Die israelische Armee sorgte dafür, dass keine Streitmacht den Kanal von der West- zur Ostseite überqueren konnte. Entlang der östlichen Länge des Kanals wurde eine Treibstoffleitung gebaut, die die israelische Armee im Notfall in Brand stecken sollte, sodass der Kanal auf seiner gesamten Breite in Flammen stehen und jede Möglichkeit einer Überquerung verhindert würde. Leider funktionierte diese Treibstoffleitung einfach nicht, als die israelischen Verteidiger am 6. Oktober 1973 versuchten, sie anzuzünden. Warum? Hierzu gibt es verschiedene Versionen. Manche sagen, die Leitung sei außer Betrieb gewesen, weil sie jahrelang nicht gewartet, gepflegt oder gereinigt worden sei. Andere behaupten, es sei einfach kein Treibstoff drin gewesen. So oder so – sie funktionierte einfach nicht.

Es war klar, dass niemand in Israel einen Krieg erwartet hatte und keiner sich vorstellen konnte, dass eine Kriegsgefahr bestand. Wer sollte uns schon angreifen? Unsere arabischen Nachbarn, die 1967 allesamt von uns geschlagen wurden? Undenkbar! Würden sie es wagen, gegen uns, die großen siegreichen Helden, noch einmal vorzugehen? In Israel herrschten Arroganz und Selbstzufriedenheit auf eine Weise, die sich jeder Logik entzieht. Friedensinitiativen des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, in denen er die Rückgabe aller Gebiete forderte, die Israel 1967 von Ägypten erobert hatte, wurden abgelehnt. Und das, obwohl er im Gegenzug zum ersten Mal einen völligen Frieden zwischen Ägypten und Israel anbot.

Warum kam also der Jom-Kippur-Krieg 1973 für Israel völlig überraschend?

In diesem Jahr diente ich in der israelischen Botschaft in Paris. Etwa zehn Tage vor Kriegsausbruch traf dort Premierministerin Golda Meir ein. Sie kam, um an der Sozialistischen Internationale teilzunehmen. Das Sicherheitspersonal entschied, dass sie im Haus des Botschafters wohnen sollte. Die Verbindung zwischen ihr und Jerusalem wurde durch verschlüsselte Telegramme gewährleistet, die ihr über die Botschaft zugesandt wurden. Mir wurde die Aufgabe übertragen, ihr dreimal täglich die entschlüsselten Telegramme von der Botschaft zum Haus des Botschafters zu überbringen. Im vierten Stock der Botschaft erhielt ich einen versiegelten Umschlag mit den Telegrammen für die Premierministerin. Damit sie diese lesen konnte, waren die Telegramme im Umschlag bereits entschlüsselt. Ich ging also mit dem verschlossenen Umschlag zunächst in mein Zimmer im zweiten Stock. Dort öffnete ich ihn, las die Telegramme, versiegelte den Umschlag noch einmal und fuhr zum Haus des Botschafters. Dort wartete ich, bis Frau Meir mit dem Lesen des Materials fertig war und mir einen weiteren Umschlag mit ihren Antworten überreichte. Auf dem Rückweg zur Niederlassung des Auswärtigen Amtes in der Botschaft traute ich mich nicht, den Umschlag von Golda Meir zu öffnen. Ich hatte Angst, dass die Profis, die dortigen Mitarbeiter, bemerken würden, dass der Umschlag »manipuliert« wurde.

Die Telegramme, die die Premierministerin erhielt, waren voller Befürchtungen vor einem Krieg, den die Ägypter gegen uns vorbereiteten. Sie alle basierten auf Geheimdienstmaterial und kamen fast ohne zusätzliche Kommentare aus. Ich empfand das als beunruhigend, aber als ich im Wohnzimmer des Botschafterhauses vor Frau Meir saß und ihre Ruhe sah, entspannte ich mich. Sie las die Nachrichten, ohne sich weiter zu äußern. Einige der Telegramme übergab sie dem Botschafter Asher »Arthur« Ben-Natan zum Lesen. Irgendwann fragte der Botschafter, ob sie sich wegen der Berichte Sorgen mache. Darauf antwortete sie in einem spöttisch-zynischen Ton: »Wenn Moshe Dayan ›der Große‹ (der damalige israelische Verteidigungsminister) sagt, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, warum sollte ich mir dann Sorgen machen?«

Was die Ministerpräsidentin damals am meisten beschäftigte und ärgerte, war der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky. Es ging um Einwanderer aus der Sowjetunion, die auf dem Weg nach Israel einige Tage in Wien verbrachten. Der Grund dafür war, dass die Behörden in Moskau endlich beschlossen hatten, einer begrenzten Anzahl von Juden die Ausreise aus der Sowjetunion zu erlauben, jedoch unter der Bedingung, dass sie nicht nach Israel kommen würden. Kreisky stimmte zu, das sowjetische Spiel mitzuspielen und so zu tun, als würden die Juden nur nach Österreich ausreisen. Natürlich wussten die Sowjets sehr gut, dass die Juden nur für ein paar Tage in Wien bleiben und dann weiter nach Israel ziehen würden. Sie wussten auch, dass die Juden nirgendwo anders ein Einwanderungsvisum bekommen konnten. Aus internen Gründen war es den Sowjets allerdings genehm, am österreichisch-israelischen Maskenball teilzunehmen. Dann ereignete sich ein schwerer Zwischenfall: Ein Zug, der Juden aus der Sowjetunion nach Wien transportierte, wurde von palästinensischen Terroristen angegriffen, und es wurde Blut vergossen. Kreisky entschied, dass es zu gefährlich sei, die Juden in einem Lager unterzubringen. Er ordnete die Unterbringung an verschiedenen Orten rund um Wien an und schloss das Durchgangslager. Golda Meir verstand darunter die Blockade der österreichischen Transitstation, also die Versperrung des Weges aus der Sowjetunion. Das war das eigentliche Thema, das sie während ihres Aufenthaltes in Frankreich beschäftigte. Sie beschloss, ihre Reiseroute zu ändern und Frankreich in Richtung Österreich zu verlassen, um sich mit dem Kanzler zu treffen. Bei ihrem Besuch in Wien war ich nicht mehr anwesend. Dort wurde sie von Leuten unserer Botschaft in Österreich begleitet.

Am sechsten November, wenige Tage nachdem wir uns von Frau Meir in Frankreich verabschiedet hatten, hörten wir bestürzt vom Ausbruch des Krieges, der später als »Jom-Kippur-Krieg« bezeichnet wurde. Ich erinnerte mich an die geheimen Telegramme, die ich von der Botschaft in Paris nur wenige Tage zuvor zur Residenz der Premierministerin gebracht hatte, und war äußerst erregt. Nicht nur der Ausbruch der Feindseligkeiten erregte mich, wie uns alle. Die Tatsache, dass die Telegramme beinahe exakt den Ausbruch des Krieges vorhergesagt hatten und ich die Gleichgültigkeit der Premierministerin miterlebte – was ich natürlich niemandem erzählen durfte –, war ein doppelter Schock.

Das Letzte, was ich mir hätte vorstellen können, ist, dass fünfzig Jahre und einen Tag später, erneut an einem jüdischen Feiertag, das gleiche Trauma mich wieder heimsuchen würde.

2.

Das seltsamste Land der Welt

Es gibt kein Land auf der Welt, das so seltsam und einzigartig ist wie der Staat Israel, und es gibt und hat auch nie ein so seltsames und besonderes Volk wie das jüdische Volk gegeben.

Am 14. Mai 1948 erklärte der Staat Israel seine Unabhängigkeit. Es handelte sich nicht um einen beliebigen Akt, der auf einer einseitigen Entscheidung, auf selbstsüchtiger Willkür beruhte. Die Juden der britischen Mandatskolonie Palästina stellten ihren Unabhängigkeitskampf gegen die Briten erst nach der UN-Resolution vom 29. November 1947 ein. Diese beendete das britische Mandat und teilte das Gebiet in drei Teile: Ein Teil wurde einem jüdischen Staat zugewiesen, ein ähnlicher Teil einem arabischen Staat, während die Stadt Jerusalem der internationalen Herrschaft unterstellt werden sollte.

Die Juden Palästinas und weitgehend die Juden der ganzen Welt nahmen die Entscheidung der Vereinten Nationen mit beispielloser Freude und mitreißender Begeisterung an, während die arabischen Länder und die dortige Bevölkerung sie strikt ablehnten. Doch sie gaben sich nicht mit verbalem Protest zufrieden, sondern zogen sofort in den Krieg mit dem erklärten Ziel, den dreigliedrigen Bund, den die UN-Versammlung errichten wollte, bereits im Entstehen zu vernichten. Eineinhalb Jahre Krieg endeten mit der Niederlage der Araber. So entstand der jüdische Staat, aber der Krieg gegen ihn endete nicht. Die arabischen Länder stimmten lediglich der Annahme eines Waffenstillstands zu, der naturgemäß vorübergehender Natur war. Sie erkannten den Staat Israel nicht an, einige von ihnen bis heute.

Aber der jüdische Staat entstand und existiert. Und doch ist sein Schicksal einzigartig: Im Gegensatz zu allen Ländern der Welt, die fast automatisch in die UNO aufgenommen wurden, wurde der Staat Israel zunächst nicht Mitglied der Organisation, durch deren Beschluss er gegründet worden war, sondern erst nach einem Jahr erbitterten Kampfes. Die meisten Länder der Welt, nicht nur die arabischen Länder und ihre Verbündeten, erkannten Israel nicht an und stellten sich gegen die Aufnahme Israels in die UNO. Viele Länder, auch im Westen, weigerten sich, irgendwelche Verbindungen mit dem Staat Israel aufzunehmen. Dies geschah nicht nur aus Angst um ihre Beziehungen zur arabischen Welt oder der islamischen Welt insgesamt, sondern auch, weil sie nicht an die Existenzfähigkeit Israels glaubten: Ein winziges Land mit einer Fläche von 20.000 Quadratkilometern, ungefähr so groß wie Hessen, und einer Bevölkerung von nur 650.000 Menschen, was ungefähr der Einwohnerzahl von Frankfurt am Main entspricht. Ein Land, dem jegliche Bodenschätze fehlen. Ein Land, das früher den Großteil seines Bedarfs an landwirtschaftlichen Produkten von seinen arabischen Nachbarn bezog, Quellen, von denen es nun abgeschnitten ist. Ein Land, das sofort eine Flut jüdischer Flüchtlinge aufnimmt, vor allem Überlebende des Holocaust, mittellos, in einer Menge, die fast doppelt so groß ist wie die Zahl seiner eigenen Einwohner bei seiner Gründung. Es war klar, dass das Land keine Chance hatte zu existieren! Kein Wunder, dass die arabische Welt nicht bereit war, es anzuerkennen. Sie bereitete die zweite Kriegsrunde vor, um Israel dann zu eliminieren.

Aber der junge Staat hielt mit aller Kraft durch und verteidigte seine Unabhängigkeit. Mehr noch: Sobald er seine Fähigkeit bewiesen hatte, auf eigenen Beinen zu stehen, kamen ihm die Franzosen entgegen und versorgte ihn mit fast allem, was er militärisch benötigte. Die Boden- und Luftstreitkräfte waren damals hauptsächlich mit französischen Waffen und Ausrüstung bestückt.

Vor allem aber erhielt das kleine und abgeschnittene Land Wirtschaftshilfe aus Deutschland. 1952 schloss die Bundesrepublik in Luxemburg das Reparationsabkommen mit Israel. Das Übereinkommen wurde von Bundeskanzler Konrad Adenauer (der auch als Außenminister fungierte) und dem israelischen Außenminister Moshe Scharet unterzeichnet. Für Letzteren war es nicht der erste Kontakt mit Deutschen: Im Ersten Weltkrieg wurde er als »Palästinenser« für die türkische Armee, die mit Deutschland verbündete Macht, die das Land beherrschte, rekrutiert. Dort erreichte er den Rang eines Hauptmanns und wurde dank seiner umfassenden Fremdsprachenkenntnisse, darunter Deutsch, oft als Verbindungsperson zu den im Nahen Osten stationierten deutschen Streitkräften geschickt, um den Türken zu helfen.

Seitdem sind Jahrzehnte vergangen. Der Staat Israel ist demografisch, wirtschaftlich und technologisch gewachsen. Wir sind global geworden. Israel unterzeichnete sogar Friedensverträge mit einigen der arabischen Länder und nahm diplomatische Beziehungen auf. Alles schien zu wachsen und sich so zu entwickeln, wie es sich für ein Land gehört, das auf Wunder setzt, wenn nicht sogar auf ihnen basiert. Zu diesem Bild der Situation müssen wir allerdings den sprichwörtlichen biblischen Fluch hinzufügen: Auch etwas Gutes birgt bisweilen einen Nachteil. Denn seit 1967 kontrolliert Israel die besetzten Gebiete – also vor allem Westjordanland und Gaza-Streifen –, in denen Millionen staatenloser Palästinenser leben, die keine Grundrechte genießen.

Und nein, hierbei handelt es sich natürlich nicht um Kolonialismus. Schließlich befinden wir uns im Kriegszustand, und in solch einer Situation kann es vorkommen, dass zivile Gebiete unter die Besatzung der gegnerischen Armee fallen. Es sind Kriegsgebiete, die bereits seit 56 Jahren »vorübergehend« besetzt sind! Kein Ausweg in Sicht? Temporäre militärische Besatzungsgebiete mit Siedlern aus dem Besatzungsland? Im Jahr 2023 betrug die Zahl der jüdischen Siedler dort 750.000. »Vorübergehend« natürlich.

In dieser Situation kehrte Benjamin Netanjahu am 29. Dezember 2022 zum dritten Mal nach 1996 an die Macht zurück, diesmal an der Spitze einer rein rechten Koalition inklusive aller religiösen und ultrareligiösen Parteien. Diesmal traten zwei neue Parteien, eine nationalreligiöse und eine ultranationalistische, als treue Partner seiner Regierung bei. Diese sind rassistisch, Araber sind ihnen verhasst, sogar die arabischen Bürger Israels. Und diese stellen im Land keine unerhebliche Minderheit dar: Ihre Zahl beträgt heute über zwei Millionen, also mehr als zwanzig Prozent der Bürger. Sehr schnell begann der neue Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender einer der beiden ultraextremistischen Parteien, die Budgets der Kommunen im arabischen Sektor zu straffen. Eine dieser Maßnahmen sollte eine enorme Finanzspritze für die Siedlungen in »Judäa und Samaria« (Westbank) sein, die bereits seit Langem von den Zuwendungen aus dem Staatshaushalt leben.

Warum tut Benjamin Netanjahu das? Nur aus ideologischen Gründen? Gemäß dem Slogan: »Die Teile des biblischen Landes Israel gehören dem jüdischen Volk, unabhängig davon, ob heute andere darin leben oder nicht.«

Sollte Netanjahu eine solche ideologische Motivation haben, hat sie kein großes Gewicht. Was den Premierminister vor allem beunruhigt und beschäftigt, ist der schwere Korruptionsprozess, der seit drei Jahren gegen ihn läuft. Er vergisst keinen Moment, dass der frühere Staatspräsident Israels, Moshe Katsav, und auch der frühere Premierminister Ehud Olmert ins Gefängnis gesteckt worden waren.

Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, beschloss Netanjahu, das Justizsystem zu kastrieren, es machtlos zu machen und alle Befugnisse der Regierung in den Händen der Exekutive zu konzentrieren. Wie wir wissen, ist in Israel alles einzigartig, auch die Tatsache, dass es keine Verfassung gibt. Das heißt, eine Mehrheit im Parlament kann jedes Gesetz verabschieden, jedes Gesetz aufheben und ändern, auch wenn es grundlegend oder so alt wie der Staat selbst ist.

Acht Tage nach Netanjahus Rückkehr an die Macht, am 7. Januar 2023, kam es in Israel zu Demonstrationen, die in ihrer Größe und Ausbreitung beispiellos waren. Netanjahu geriet jedoch nicht in Panik. Bereits 2011 war es zu großen Demonstrationen gegen ihn gekommen. Damals stand die Forderung nach größerer sozialer Gerechtigkeit im Mittelpunkt der Proteste, denen die breite Öffentlichkeit mit Sympathie begegnete. Die Methode, um auf den Premierminister Druck auszuüben, bestand aus einem großen Zeltlager im Zentrum von Tel Aviv, in dem – es war Sommer, weder Kälte noch Regen drohten – viele der Protestierenden übernachteten.

Netanjahu, der von Natur aus leicht in Panik gerät, fand dennoch einen Ausweg aus der Krise, ohne Zugeständnisse zu machen. Er kündigte an, dass er den Demonstranten ernsthaft entgegenkommen wolle. Er richtete ein öffentliches Komitee ein, dessen Mitglieder und insbesondere dessen Vorsitzender die Protestierenden unterstützten, und beauftragte es, Empfehlungen zur Durchführung der geforderten Reformen abzugeben. Ihm und allen anderen war klar, dass eine gründliche und ernsthafte Arbeit des Komitees Zeit und Geduld erforderte. Was würden die Zehntausenden Demonstranten in der Zwischenzeit tun? Werden sie weiterhin monatelang in den Feldzelten ausharren? Wie Netanjahu erwartet hatte, bauten die Demonstranten die Zelte ab und gingen zufrieden nach Hause, und das Komitee setzte sich ernsthaft und ausführlich mit dem Problem auseinander und arbeitete an Reformvorschlägen. Jeder Vorschlag wurde von Netanjahu positiv und in gutem Geist aufgenommen. Er bat immer um Verbesserungen und Änderungen. Wieder und wieder. Die Zeit verging, die Öffentlichkeit kehrte zum Alltag zurück, und die Mitglieder des Komitees, die erkannten, dass sie getäuscht worden waren, standen schließlich mit leeren Händen da.

Im Januar 2023 erinnerte sich Netanjahu an die Erfolgsformel von 2011 und dachte darüber nach, dieselbe Vorgehensweise zu wiederholen. Diesmal stand er jedoch vor zwei Problemen. Erstens: Er war sehr unter Zeitdruck, die Gefahr eines schwerwiegenden Prozesses gegen ihn belastete ihn. Und außerdem: Trotz der festen und sogar enthusiastischen Unterstützung seitens seiner Koalition stand er dieses Mal vor einer großen und entschlossenen Schar von Gegnern, die mit dem Sommer 2011 nicht zu vergleichen war.

Die Tatsache, dass Netanjahu und seine Leute äußerst darauf bedacht sind, ihre »Justizreform« blitzschnell zu verabschieden, führte dazu, dass der Widerstand seine beispiellosen Protestaktivitäten noch verstärkte.

Im März kam der hochrangige Likud-Verteidigungsminister Yoav Gallant zu dem Schluss, dass die Regierung mit dem Kopf gegen die Wand marschiert, dass das Land vor einer Katastrophe steht. In einer öffentlichen Rede forderte er, die »Justizreform« auszusetzen. Netanjahu reagierte sofort und entließ ihn. In dieser Nacht brachen erneut Demonstrationen aus, begleitet von massiven Blockaden von Hauptstraßen, Demonstrationen, die kurz davorstanden, das Land lahmzulegen. Netanjahu beeilte sich zu verkünden, dass er Gallants Entlassung zurücknehmen würde. Auch General Gallant zog Schlussfolgerungen aus dem Vorfall und achtet seitdem darauf, seinen Mund zu halten.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Netanjahu und seine Partner ihre Bemühungen zur Abschaffung des unabhängigen Justizsystems fortführen werden. Aber bis dahin gibt es noch ein unabhängiges Justizsystem, und es wurden Klagen gegen die »Justizreform« eingereicht. Und am ersten Tag des Jahres 2024 erklärten die Richter Kernelemente der »Justizreform«, die vor allem die Angemessenheitsklausel betreffen, für nichtig. Die Entscheidung fiel mit acht von fünfzehn Richtern denkbar knapp aus. Die Begründung lautet, dass die Gesetzesänderung »den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischer Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt« hat. Außerdem bekräftigte das Gericht mit der Mehrheit von zwölf Richterstimmen seine Autorität, Grundgesetze überprüfen zu dürfen »und in jenen seltenen und extremen Fällen zu intervenieren, in denen das Parlament seine Befugnisse überschreitet«. Was werden Netanjahu und seine Partner tun, wenn festgestellt wird, dass die Gesetzgebung illegal ist? In dieser Angelegenheit herrscht in der Koalition eine peinliche Verwirrung. Werden sie ihren Willen mit aller Kraft durchsetzen? Schließlich haben wir die Sintflut vor uns. Werden sie kapitulieren? Für sie wird es die Sintflut sein. In der Zwischenzeit machen sich viele von ihnen vor, dass das Gericht nicht gegen sie entscheiden und Harakiri begehen wird.

Und während sich alle mit Netanjahu und seinen Rechtsangelegenheiten beschäftigen, bricht um Israel ein Sturm los. Die vom Iran gesteuerten und bewaffneten Feinde Israels schärfen ihre Schwerter. Sie sehen, was alle anderen sehen, und hoffen, dass der Zerfall des verhassten israelischen Staates bevorsteht.

Man kann die Mullahs verstehen. Die internen Kämpfe in Israel sind nicht gewalttätig, aber auch nicht rein rhetorischer Natur. Und man bedenke, dass die israelische Armee größtenteils aus Reservisten besteht. Dies gilt insbesondere für die hochentwickelten Truppen: die Luftwaffe, die Marine, die Wissenschafts- und Technologieeinheiten. Alles, was Israels zahlenmäßige Unterlegenheit in der Qualität wettmacht.

Und somit fragt sich die Mehrheit in Israel: Sind wir auf dem Weg in die Zerstörung?

3.

»Kampf um die Unabhängigkeitserklärung«

Am Samstag, dem 16. September 2023, feierten die Juden auf der ganzen Welt den Feiertag Rosch ha-Schana des Jahres 5784. In der Feiertagsausgabe veröffentlichte Haaretz, die wichtige liberale Zeitung (quasi »die New York Times Israels«), einen Leitartikel unter dem Titel »Der Kampf um die Unabhängigkeitserklärung«. Der Staat Israel ist tatsächlich eines der ganz wenigen Länder, das ohne Verfassung funktioniert. Es gibt kein Gesetz, das nicht durch eine einfache oder gar zufällige Mehrheit erlassen wurde. Daher ist das von den Mitgliedern der »Verfassungsgebenden Versammlung« unterzeichnete Dokument das einzige, dessen Bedeutung einer Verfassung ähnelt.

So heißt es in dem Artikel: »Die vor dem Obersten Gerichtshof abgehaltene Anhörung zu den Petitionen gegen die Angemessenheitsklausel hat bewiesen, was seit Monaten bekannt ist: Es steht nicht nur die Angemessenheitsklausel auf der Tagesordnung, sondern ein viel umfassenderer und gründlicherer Zerstörungsplan.« Vor fünfzehn Richtern des Obersten Gerichtshofs und Millionen israelischer Bürger enthüllte der Anwalt, der die Regierung vertritt, die tiefergehende Motivation hinter der Verfassungsrevolution: die Missachtung der Unabhängigkeitserklärung. Der Anwalt behauptete, dass die Schriftrolle in aller Eile zusammengestellt worden sei und dass die Unterzeichner nicht gewählt wurden. »Undenkbar«, behauptete er, »dass 37 Personen, die nie gewählt wurden … unabsichtlich für uns ein Dokument namens Verfassung erstellt haben, das alle zukünftigen Generationen binden wird.« Er fügte hinzu, dass die Unterzeichner »keine Vertreter der damaligen israelischen Gesellschaft waren. Es gab unter ihnen keine Araber. Insgesamt waren es nur zwei Frauen.«

Abgesehen von der Ironie, die der Tatsache innewohnt, dass die Gesetzesänderung zur Abschaffung der Angemessenheitsklausel, wie jede »Justizreform«, überstürzt durchgeführt wurde und dass die derzeitige Regierung nicht die gesamte israelische Gesellschaft repräsentiert – die Minderheit der Frauen und Araber in ihr schreit zum Himmel –, hat der Anwalt im Namen der Regierung Israel einen großen Gefallen getan: Er gab in aller Öffentlichkeit zu, dass es das Ziel ist, das Gründungsdokument des Staates Israel neu zu schreiben.

Und tatsächlich tun Benjamin Netanjahu und die Minister seiner Regierung alles in ihrer Macht Stehende, um das Versprechen zu untergraben, zum Wohle aller und für die Entwicklung des Landes zu arbeiten, denn für sie sind Araber Bürger zweiter Klasse; die aktuelle Koalition verachtet die Grundlagen von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden; soziale Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sind schon lange kein Thema mehr, und die Kooperation mit den »Institutionen und Vertretern der Vereinten Nationen« hat sich zu einer Zusammenarbeit mit Antisemiten entwickelt, die Israel nur Schaden zufügen wollen.

Am Vorabend des Neujahres wird in Israel ein entscheidender Kampf um den Charakter des Staates ausgetragen: Auf der einen Seite die Anhänger der Unabhängigkeitserklärung, die an die Werte Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit glauben, und auf der anderen Seite die Zerstörer der Unabhängigkeitserklärung, die für Zwang, Diskriminierung, Besatzung und ewigen Krieg stehen. Dies ist Israels zweiter Unabhängigkeitskrieg, und jeder, der weiterhin in einem reformierten und aufgeklärten Land leben möchte, muss sich der Kampagne anschließen, denn diesen Kampf dürfen wir nicht verlieren.

4.

Zum sechsten Mal Ministerpräsident

Das Jahr 2023 begann in Israel mit einem Umbruch. Nicht der Sieg Benjamin Netanjahus und seiner Partei bei den Wahlen und ihre Rückkehr an die Macht waren der Umbruch. Immerhin war es Netanjahus sechster Sieg bei den Wahlen zur Knesset seit 1996, als er zum ersten Mal Ministerpräsident wurde. Allerdings konnte er dieses Mal, anders als alle seine Siege bisher, nur eine Koalition mit rechtsextremen Parteien mit faschistischen und klerikalen Zügen bilden. Neue Parteien, die noch nie in der Knesset vertreten waren.

Wie viele in Israel denken, wurde ihm eine solche Koalition nicht wirklich aufgezwungen, sondern es war vielmehr Netanjahus eigener Wunsch, eine Koalition seiner rechtsnationalistischen Partei mit den ultraorthodoxen Parteien und mit der extremsten Rechten, die es je in Israel gegeben hat, zu bilden.

Niemand erwartet von einer solchen Regierung, dass sie versuchen wird, eine Lösung für das palästinensische Problem zu finden oder eine stabile Friedensordnung im Nahen Osten zu erreichen.

Es stimmt, dass mit Ausnahme des Friedensvertrags mit dem Königreich Jordanien, der von der gemäßigten linken Regierung unter Jitzchak Rabin unterzeichnet wurde, es die rechten Likud-Regierungen waren, die alle bisherigen Friedensverträge mit arabischen Ländern, vor allem mit Ägypten, geschlossen haben. Dabei gaben sie die meisten Gebiete auf, die Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert hatte. Die Likud-Regierungen erreichten auch die »Abraham-Abkommen« mit den Golf-Staaten, und zwar unter Netanjahus Führung. Das waren verhältnismäßig einfache Verhandlungen. Das Zentrale jedoch, das unseren Hunger nach einem stabilen und langfristigen Frieden stillen könnte, ist nur durch ein Abkommen mit den Palästinensern garantiert. Ein Abkommen, das den Aufbau einer aktiven Partnerschaft zwischen Israel und dem unabhängigen palästinensischen Staat in allen Lebensbereichen beinhalten würde, wie es zwischen Völkern erforderlich ist, die nahe beieinander leben und deren Verflechtung in allen Lebensbereichen eng miteinander verbunden ist. Die gesamte Fläche der Palästinenser und Israelis zusammen beträgt nur 30.000 Quadratkilometer, etwa die Größe des Bundeslandes Brandenburg.

Der Frieden zwischen Israel und einigen arabischen Ländern ist ein kalter Frieden, der auf gegenseitigen Interessen basiert, die möglicherweise vorübergehender Natur sind. Es sind bekanntlich die europäischen Völker, die eine Geschichte von Friedensverträgen haben, die durch Kriege ersetzt wurden, und vice versa. Und es sind nicht nur die Friedensverträge von Versailles, die nach dem Ersten Weltkrieg unterzeichnet wurden. Napoleon unterzeichnete zahlreiche Friedensverträge, abwechselnd mit England, mit Russland, mit dem Kaiserreich Österreich, mit Preußen und so weiter. Verträge, die stets erneuert werden mussten, weil sie immer wieder scheiterten und in Schlachten und Kriege übergingen.

Der Frieden Israels mit Jordanien, mit Ägypten, mit den Golf-Staaten und vielleicht auch mit Saudi-Arabien basiert auf oberflächlichen und flüchtigen Interessen. Dahinter stehen keine arabischen Belange, die eine echte Zusammenarbeit, die diese beiden Seiten aneinanderbindet, hervorbringen könnten. Keine Zusammenarbeit und kein Aufbau gemeinsamer Projekte ist dauerhaft oder hat tiefe Wurzeln.

Das erste arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete, war das größte und bevölkerungsreichste. Ägypten hatte zu Beginn der Friedensverhandlungen mit Israel Ende der 1970er-Jahre über einhundertvierzehn Millionen Einwohner. Wie viele Ägypter haben seitdem das Nachbarland Israel besucht? Fast null. Und das liegt nicht daran, dass es in Ägypten nicht genug Neugierige gäbe, die das »verbotene Land« sehen wollten. Auch Jordanier, die aus lebenswichtigen Interessen mit Israel verbunden sind, besuchen das Land nicht, und das ist kein Zufall.