Beflügelst meinen Verstand, bewahrst meine Seele - Claudia Rack - E-Book

Beflügelst meinen Verstand, bewahrst meine Seele E-Book

Claudia Rack

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Beschreibung

Jodie Deveraux, CIA-Agentin und im festen Glauben, dass es Vampire geben muss, ist auf der Jagd. Seit ihrer ersten Begegnung mit einem Vampir kann sie ihn nicht vergessen. Die Tatsache, dass er bei einem ihrer Tatorte anwesend war, lässt sie glauben, dass er ein Mörder sein könnte. Sie muss ihn finden, um Antworten zu bekommen. Als er überraschend bei ihr auftaucht, muss Jodie ihre Absichten ihm gegenüber überdenken. Ihr bisheriges Leben gerät aus den Fugen, desto öfter sie ihm begegnet. Jodie muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen will. Bleibt sie ihrer Berufung als CIA-Agentin treu oder wirft sie alles über Bord und wechselt für ihn die Seiten?

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Seitenzahl: 447

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 12

Kapitel 210

Kapitel 323

Kapitel 437

Kapitel 549

Kapitel 660

Kapitel 771

Kapitel 880

Kapitel 10104

Kapitel 11113

Kapitel 12129

Kapitel 13143

Kapitel 14154

Kapitel 15164

Kapitel 16174

Kapitel 17186

Kapitel 18196

Kapitel 19207

Kapitel 20219

Kapitel 21228

Kapitel 22237

Kapitel 23249

Kapitel 24260

Kapitel 25269

Kapitel 26283

Kapitel 27294

Kapitel 28304

Kapitel 29318

Kapitel 30332

Kapitel 1

Verblüfft starrte Caleb Serrash auf die offene Wohnungstür. Gerade noch stand Frankie vor ihm. Im nächsten Moment verschwand sie aus seinem Sichtfeld. Der innere Aufruhr in ihm schwankte zwischen Zorn und Fassungslosigkeit. Frankie lief vor ihm davon. Zuvor traf ihn dieser anklagende Blick aus ihren wundervollen braunen Augen. Nicht imstande sich zu bewegen, verengte sich sein Sichtfeld. Es schien, als ob er in einen dunkelroten Tunnel sah. Sie wartete nicht auf seine Erklärung. Er verstand sie nicht. Erst die Stimme von Miranda holte ihn aus dem tranceähnlichen Zustand in die Realität.

»Das hast du verbockt«, meinte sie vorwurfsvoll.

Caleb wandte sich ihr zu und furchte die Stirn. Als er ihren überraschten Blick sah, wusste er, dass seine Verwandlung einsetzte. Der Gefühlsausbruch war ihm deutlich anzusehen. »Das hilft mir nicht weiter, Miranda«, fauchte er.

Miranda schüttelte den Kopf und wandte sich von ihm ab. »Was hast du erwartet, Caleb? Es ist deine Schuld, dass sie dir davonläuft. Du hast sie im Ungewissen gelassen.« Mit diesen Worten ging sie zurück in ihr Wohnzimmer. Caleb starrte ihr nach und grübelte. Als er ihr folgen wollte, kam sie ihm zuvor und stoppte ihn mit erhobener Hand. »Oh nein, denk nicht einmal daran. Ich frage mich, wieso du noch hier bist? Wenn sie dir so wichtig ist, wie ich es vermute, solltest du längst auf dem Weg sein, um sie zurückzuholen.« Sie sah ihn abwartend an. Caleb stand wie angewurzelt da und wirkte unbeholfen. Miranda rollte mit den Augen und kam näher. Sobald sie vor ihm stand, nahm sie sein Gesicht in die Hände und sah ihn eindringlich an. »Das, was du mit ihr hast, ist etwas Besonderes. So etwas erlebt man nur einmal oder überhaupt nicht, verstehst du? Unterdrück die Wut, die dich lähmt. Ich rate dir, um sie zu kämpfen, Caleb. Wenn du es nicht tust, wirst du sie für immer verlieren. Viel schlimmer noch, du bist in großer Gefahr. Ihr seid miteinander verbunden. Du wirst früher oder später dem Rausch verfallen. Du begreifst noch nicht alles, kennst den Zusammenhang noch nicht, das verstehe ich. Sie versteht den Zusammenhang ebenfalls noch nicht. Du hast es nicht für nötig gehalten, sie über alles, was dich und deine Welt angeht, zu informieren. Du musst es ihr erklären. Nur so hast du eine Chance, das Ruder herumzureißen.«

Caleb hörte ihre Worte. Einiges davon ergab für ihn keinen Sinn. Der Rausch? Wie konnte das sein? Nur Jungvampire verfielen dem Rausch, wenn sie nicht unter Beobachtung standen. Gut, eventuell befällt der Rausch einigen Vampiren, die sich freiwillig dafür hingeben. Aber das erklärte noch lange nicht, wieso Miranda davon sprach, dass er dem Rausch verfiel, solange er Frankie nicht zurückgewann. Langsam atmete er aus und beruhigte sich. Miranda hatte recht. Es war seine Schuld, dass Frankie davon gelaufen war. Keine Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich ging, mit Sicherheit nichts Gutes. Er musste es ihr erklären. Nickend legte er seine Hände auf Mirandas und gab ihr somit zu verstehen, dass er den Zorn im Griff hatte. Miranda wusste, was es hieß, wenn ein Vampir drohte, die Kontrolle zu verlieren. Erst recht, wenn dieser Vampir ausgehungert war und versuchte, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Gefühlsausbrüche wie dieser waren keine Seltenheit bei Vampiren. Normalerweise reichte es aus, sich zu nähren, um den Ausbruch abzuschwächen. Die Tatsache, dass er für Frankie tiefe Gefühle hegte, machte es schwieriger. Er tauschte mit Miranda noch einen letzten Blick aus, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und ihre Wohnung verließ. In Gedanken längst bei Frankie rannte er los und nahm die Verfolgung auf. Sobald er die Straße entlang lief, spürte er die Angst um sie. Permanent versuchte Caleb ihren Geruch einzufangen oder ihre Stimme auszumachen, erfolglos. Panisch trieb er sich an und beschleunigte das Tempo. Den Regen nahm er kaum wahr. Alles um ihn herum blendete er aus. Seine Konzentration lag einzig auf Frankie und ihre Essenz. Sie musste in der Nähe sein. Es gab keine andere Möglichkeit. Zwei Straßen weiter stoppte er abrupt und reckte die Nase in die Höhe. Es war nur ein Hauch von ihrem Duft, den er in der Luft roch. Er reichte aus, um ihn in ihre Richtung zu führen. An der nächsten Ecke wollte er weiter geradeaus laufen, bis er feststellte, dass ihr Geruch nachließ. Caleb drehte sich um und lief einige Meter zurück. Er sah die Gasse, die rechts von ihm abbog. Der Geruch wurde stärker, vermischt mit einem Gefühl, das er nur zu gut kannte. Angst. Sein Atem ging stoßweise, als er weiter in die Gasse lief, bis er etwas wahrnahm, das ihn sofort stoppen ließ. Er roch es deutlich. Caleb sah sich um und konzentrierte sich auf diesen Geruch. Blut. Caleb versteifte sich. Frankies Blut. Hunger, vermischt mit der Sehnsucht nach ihr, trieb ihn an. Die Sorge um ihr Wohlergehen setzte ihm zusätzlich zu. Er sah einige Müllcontainer an der rechten Mauerwand stehen. Sein Kopf wirbelte zum Mittleren der Container. Der Deckel war weit geöffnet. Instinktiv spürte er die Gefahr. Vorsichtig näherte er sich dem Container, bis er davor stand. Caleb sah nach rechts und links, bereit sich möglichen Angreifern zu stellen, die in der Dunkelheit lauerten. Er lauschte in die Stille hinein. Als sein Blick erneut auf den Container fiel, sah er die Blutspur. Es waren einige Spritzer und es reichte aus, um Caleb aus der Fassung zu bringen. Rasend vor Wut schlug er mit der Faust gegen den Container. Die Beule, die sich daraufhin an dem Container abzeichnete, sprach von der übernatürlichen Kraft, die Caleb anwandte. Er konnte es nicht aufhalten. Die Raserei breitete sich innerhalb von Sekunden aus. Die Tatsache, dass Frankie geblutet hatte, konnte nur eines bedeuten. Jemand hatte sie verletzt. Für Caleb gab es nur einen möglichen Feind. Professor Allan Douglas. Es war die einzig logische Erklärung. Sie hatten Frankie aufgespürt und gewaltsam mit sich genommen. Caleb atmete flach und musste sich mit der Hand am Container abstützen, als er drohte, umzufallen. Niemals zuvor erlebte er so einen schnellen Ausbruch. Es glich einem Schnellzug, der innerhalb von Sekunden über die Schienen entlang fuhr. Er verwandelte sich. Er kämpfte um die Kontrolle. Niemals zuvor war es so schwer gewesen. Mirandas Worte hallten in seinem Kopf wider. Sie hatte es vorhergesagt. Er würde dem Rausch verfallen. Er hatte versagt. Er hatte das Kostbarste verloren, was ihm widerfahren war. Sein Herz drohte zu versagen. Gähnende Leere breitete sich in ihm aus. Anstatt Frankie zu beschützen, trieb er sie in die Hände ihrer Entführer. Und Caleb wusste, wie skrupellos der Professor sein konnte. Sorgenvoll hob Caleb den Kopf und starrte mit seinen schwarzen Augen in den Nachthimmel. Der Halbmond strahlte auf ihn herunter, als ob er ihn schuldbewusst ansah. Caleb ließ seinen Zorn heraus und brüllte aus Leibeskräften.

Frankie Sullivan hockte in der hintersten Ecke ihrer Zelle und zitterte. Die Wut darüber, dass die Wachen des Professors sie erneut in das hässliche Krankenhaushemd steckten, war nichts im Vergleich zu dem, was sie im Moment durchmachte. Diesen Ort wollte sie niemals wiedersehen. Sie hatte geglaubt, sie wäre sicher. Sicher vor dem Professor und seinen Leuten. Sicher vor diesem Labor und den Experimenten. Sicher vor der Welt, die sich ihr offenbarte und ihr Angst einjagte. Vampire, Hexen und der Furcht einflößende Professor, das war einfach zu viel für sie. Ein Schauer durchfuhr sie, als sie an den Blick von Professor Allan Douglas zurückdachte, mit dem er sie bei ihrer Ankunft ansah. Sie wollte nicht wissen, was er plante. Hinzu kam die Sorge um Caleb. Sicher, sie war weggelaufen und wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Inzwischen sah sie ein, dass das ein Fehler war. Ihre Eifersucht hatte sie angetrieben. Und die Unwissenheit darüber, was es mit Caleb und dieser unbekannten Frau auf sich hatte. Sie hätte Caleb damit konfrontieren müssen, anstatt einfach davonzulaufen. Sie war so durcheinander gewesen, dass sie keinen anderen Ausweg sah. Sie brauchte Abstand. Würde sie ihn wiedersehen? Oder hatte er genug von ihr und ihren Eskapaden? Sie konnte es ihm nicht verdenken. Er konnte nicht wissen, was ihr widerfahren war. Sicher suchte er nach ihr. Niemand wusste, dass der Professor sie erneut gefangen hielt. Es gab keine Hoffnung auf Rettung, redete sie sich ein. Dieses Mal hatte sie keine Hilfe innerhalb dieser Mauern. Mit Sicherheit hatte Professor Douglas Vorkehrungen getroffen. Schwach erinnerte sie sich daran, dass er einen zweiten Vampir gefangen hielt, den Caleb kannte. Sie hatte keine Ahnung, ob er noch lebte. Sie wusste nicht, ob dieser Vampir ihr gut gesonnen war. Wütend schnaubte sie. Verdammt, sie wusste überhaupt nichts über Vampire. Erst recht nicht von irgendwelchen Clans oder Vampirgesetzen. Sie hatte es aufgeschnappt, kurz und ohne weitere Erklärung. Das war nicht fair. Die Erinnerungen an die Séance bei Miranda, der Hexe, kamen hervor. Frankie spürte, dass sie bisher nur an der Oberfläche kratzte. Da gab es so viel mehr, was Caleb und seine Welt anging, dass es sie frösteln ließ. Entmutigt legte sie ihren Kopf auf die angewinkelten Knie und schaukelte hin und her. Sie fragte sich, womit sie das verdiente? Sollte das ihr Schicksal sein? Sie traf auf eine übernatürliche Welt, erkannte, dass es nicht nur Menschen gab, verliebte sich in einen Vampir und dann sollte sie als Versuchsobjekt eines verrückten Professors herhalten? Wenn das ihre Bestimmung war, wollte sie das nicht mehr. Sie hatte auch nicht vor, sich kampflos zu ergeben. Sie schwor sich, dass sie ihr alles Mögliche tun würde, um sich vor den Machenschaften des Professors zu wehren. Selbst wenn das ihren sicheren Tod bedeutete. Alles war besser, als hier auf ewig irgendwelchen Experimenten ausgesetzt zu sein. Dieser Gedanke gab ihr Kraft. Es war im Moment das Einzige, was Frankie aufrecht hielt. Und der Gedanke an Caleb tröstete sie. Nicht wissend, ob es eine Zukunft mit ihm gab, glaubte sie fest daran. Die Frage war nur, ob er sie rechtzeitig finden würde. Bis dahin musste sie durchhalten, egal wie.

»Wie weit sind wir?«, erklang eine Stimme hinter ihm. Professor Allan Douglas starrte über den Monitor auf Frankie. Erst als sein Laborpartner näher trat, sah er kurz zu ihm auf. »Sie erfasst gerade ihre aussichtslose Lage«, meinte er gelangweilt.

Dr. Peter Barnaby sah kurz auf den Monitor. Das Neonlicht von der Decke ließ seine Glatze glänzen. »Gut, dann können wir ja bald mit Phase zwei beginnen. Ich möchte keine Zeit verschwenden.« Er schrieb etwas auf und schien sich darauf zu konzentrieren.

Professor Allan Douglas wirbelte in seinem Drehstuhl herum. Sein Laborpartner hielt sich meist bedeckt und meidet die Öffentlichkeit. Von daher war es nicht verwunderlich, dass kaum jemand Kenntnis von ihm hatte. Für den Professor war es eine Art Absicherung. Sollte ihm etwas widerfahren, konnte Dr. Barnaby seine Forschungen fortsetzen. Er war vier Jahre jünger als er und genauso talentiert. In ihrer gemeinsamen Studienzeit hatten sie sich angefreundet und schnell erkannt, dass sie dieselben Ansichten teilten. Dr. Barnaby konzentrierte sich auf die Genforschung und wusste weitaus mehr über den Körper eines Menschen als der Professor. Dafür konnte der Professor sein Wissen über Vampire einbringen. Er hatte sie jahrelang studiert. Das Blut der Vampire war pures Gold in ihren Augen. Als sein Blick auf den Ehering fiel, den der Doktor trug, schmunzelte er. »Was hast du ihr gesagt?«

Der Doktor sah auf und folgte seinem Blick. »Ich bin bei einem wichtigen Ärztekongress in Chicago. Die nächsten drei Tage wird sie mich nicht vermissen.«

Der Professor grinste süffisant. Anders als er war Dr. Barnaby verheiratet und hatte einen Sohn. Sein Partner achtete erpicht darauf, dass er seine äußerliche Fassade aufrechterhielt und niemand Verdacht schöpfte. Nach außen hin war er ein renommierter Arzt, verheiratet und mit einem fünfjährigen Sohn gesegnet. Wenn es ihre Forschung erforderte, ließ er sich etwas einfallen, weshalb er für mehrere Tage nicht zu Hause sein würde. So wie dieses Mal mit dem Ärztekongress in Chicago. »Gut gemacht, ich brauche dich hier. Hast du sie schon untersucht?«

»Nein«, antwortete Dr. Barnaby, »das hole ich direkt nach. Meinst du denn, dass sich da etwas getan hat, während sie nicht unter Beobachtung stand?«

Der Professor sah zum Monitor, bevor er antwortete. »Es wäre erfreulich, wenn es an dem wäre. Wie viel hast du noch von seinem Blut?«

»Nicht genug, zur Not tut es Objekt zwei fürs Erste. Wenn es so ist, wie du sagst, wird sie es brauchen. Du bist doch sicher?«

»Ja«, sagte Professor Douglas,« so, wie sie sich verhält, kann es nicht anders sein. Außerdem wissen wir, dass er sie gezeichnet hat. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis der erste Blutaustausch stattfindet. Ich bin sicher, dass wir bald die ersten Symptome sehen werden.«

»Und was ist, wenn er sie nicht annimmt? Ich muss dich sicher nicht daran erinnern, dass Objekt zwei nicht so kooperativ ist wie Caleb. Oder was ist, wenn sie sich weigert? Hast du daran gedacht?«

Der Professor schnaubte verächtlich und erhob sich. Zusammen gingen sie aus dem Raum, wo die Monitore von den Überwachungskameras standen. Er legte seine Hand auf die Schulter seines Partners und nickte nachdenklich. »Natürlich habe ich das. Ich habe noch nicht herausgefunden, was es mit ihrem Blut auf sich hat. Wenn es tatsächlich so außergewöhnlich ist, wie es schien, wird Objekt zwei nicht lange dagegen an können. Bereite alles vor, wir starten in einer Stunde mit dem ersten Versuch.« Dr. Barnaby nickte ihm zu, als sie sich auf dem Flur voneinander trennten und jeder seiner eigenen Wege ging.

Kapitel 2

Caleb stützte seine Handflächen auf dem nassen Boden ab. Den Kopf gesenkt, war sein unregelmäßiger Atem deutlich zu hören. Sein Puls überschlug sich, als er mit der Kontrolle über seinen Körper kämpfte. Permanent sah er Frankies Antlitz vor sich, wie sie ihn stumm um Hilfe anflehte. Dann veränderte sich das Bild und sie betrachtete ihn schuldbewusst. Zitternd grunzte er verzweifelt. Caleb fürchtete das Schlimmste und musste sich fragen, welche Qualen Frankie in diesem Moment durchstand. Machtlos bahnte sich seine übernatürliche Seite an die Oberfläche. Der Vampir in ihm wollte um sich schlagen, laut brüllen und jedem in seiner Nähe an die Kehle. Sein Atem ging schwer, sodass sein Oberkörper sich hob und senkte.

»Es wird schlimmer werden.«

Alarmiert hob Caleb seinen Kopf, als er die männliche Stimme hörte. Blinzelnd schüttelte er verwirrt den Kopf. Das konnte nicht sein. Seine schwarzen Augen hefteten sich an den Mann, der einige Meter breitbeinig vor ihm stand. Angriffslustig spannte sein Körper sich an und er bleckte die Fangzähne.

»Ich bin nicht dein Feind, Caleb. Beherrsche dich!«, sagte die autoritäre Stimme. Einzig an der Tonlage war die Macht und Bedrohung herauszuhören. Die Körperhaltung entspannt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand er da und sah ihn eindringlich an.

»Gerard«, brummte Caleb fassungslos. Langsam erhob er sich und stellte sich dem Mann, der so viel Macht in sich trug. Innerhalb von Sekunden hatte er vollbracht, was Caleb seit einiger Zeit versuchte. Seine Verwandlung stoppte augenblicklich, sobald Gerard diese Worte ausgesprochen hatte. Ausgerechnet in diesem Moment hätte Caleb niemals mit seinem Erscheinen gerechnet. Zu allem Überfluss entdeckte er den zweiten Mann und die Frau, in gewissem Abstand, rechts und links bei Gerard stehend. Der Mann hatte kurze, schwarze Haare, blaue Augen und war muskulös. Sicher könnte er als Model durchgehen, wenn er kein Vampir wäre. Er trug zwei Dolche mit sich. Die Frau hatte lange blonde Haare und braune Augen. Ihre hübsche Erscheinung konnte täuschen, denn sie galt unter den Vampiren als gerissen. Calebs Blick schwankte zu ihrer Halskette. Das Amulett daran war nicht einfach nur ein Amulett. Sie konnte es im Kampf aktivieren und hielt innerhalb von Sekunden einen Thermodraht in den Händen, der Köpfe abtrennen konnte. Schwach erinnerte er sich daran, dass die beiden ständig in der Nähe waren, sobald Gerard auftauchte. Seine Beschützer. Nicht nur das, soweit Caleb wusste, hegte Gerard weitaus intimere Beziehungen mit den beiden. Jeder unter ihnen vermutete, dass sie eine Dreierbeziehung führten. Doch niemand von den Vampiren sprach es direkt aus oder konfrontierte Gerard damit. Das wagte keiner von ihnen. Immerhin war Gerard das Oberhaupt von ihnen. Nichts geschah ohne sein Wissen oder sein Einverständnis. In diesem Augenblick schwappte eine Erinnerung in Caleb auf. Er sah deutlich Gerard vor sich, der seine Erinnerungen manipulierte. Gerard hatte seine Bestrafung durchgeführt, nachdem Caleb diese auf sich nahm. Er wusste nicht, ob er ihm danken sollte oder doch eher töten wollte. Einerseits hatte Caleb jede Bestrafung auf sich genommen, egal, für welche sie sich entschieden. Andererseits hatte ihm diese Bestrafung so viel genommen. Jahre, die er vergaß. Freunde und Beziehungen zu anderen, die er vergaß. Einfach so. Innerhalb von Sekunden ausgelöscht von keinem anderen als dem Vampir, der sich in diesem Moment vor ihm aufbaute. »Was soll das bedeuten?«, fragte er zornig.

»Das Gefühl, Caleb. Es wird schlimmer, sehr viel schlimmer«, antwortete Gerard gedehnt. Da Gerard ein Franzose war, konnte er seinen Dialekt nicht verhindern. Es hieß, dass er in Frankreich lebte. Caleb musste nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass es wichtig sein musste, wenn Gerard sich bequemte, seine Heimat zu verlassen, und nach Manhattan zu kommen. Oder hatte jemand ihn herbeigerufen? Grübelnd stand Caleb da und schnaufte. Miranda? Nein, das glaubte er eher nicht. Miranda war nicht sicher vor den Vampiren, nachdem sie ihm mehrmals geholfen hatte. Sie würde sich hüten, den mächtigsten Vampir zu rufen. Stirnrunzelnd wappnete sich Caleb. »Wieso bist du hier, Gerard?«

Gerard trat näher, bis sein Gesicht dicht vor ihm aufblitzte. Seine bernsteinfarbenen Augen bohrten sich in seine. Sie strahlten altes Wissen aus, mächtig und unausgesprochen. Caleb konnte nicht verhindern, dass ihm ein Schauer über den Rücken fuhr. Gerard legte eine Hand auf seine Schulter und lächelte leicht. Überrascht folgte Calebs Blick seiner Hand, bis er ihn erneut direkt ansah. Misstrauisch schüttelte er die Hand ab und nahm Abstand. »Ich verstehe das nicht. Ich habe meine Strafe erhalten. Wieso bist du hier, Gerard?«

»Mir ist bewusst, dass die Hexe dir deine Erinnerungen zurückgeben konnte. Deswegen bin ich nicht hier, Caleb. Ich bin hier, weil du auf etwas gestoßen bist, was ich seit Jahrhunderten versuche, aufzuspüren. Und wie ich hörte, bist du nahe dran, es zu verlieren. Das kann ich nicht zulassen.« Seine letzten Worte sprach er eher zu sich. Sie klangen wütend und er schien mit sich zu hadern. Schließlich entspannte er sich und gab sich so unnahbar, wie eh und je.

»Frankie?«, meinte Caleb beunruhigt, »redest du von Frankie?«

Gerard sah ihn direkt an und sprach kein Wort.

Caleb dachte nach und war durcheinander. Es stand in Gerards Augen geschrieben. Er war wegen Frankie nach Manhattan gekommen. Wieso? Er konnte sie unmöglich persönlich kennen. »Was zum Teufel hat das zu bedeuten? Könntest du mich bitte endlich aufklären, Gerard? Ich hasse deine Spielchen, wie du weißt«, meinte Caleb aufgebracht.

»Das werde ich tun, aber nicht hier.« Gerard deutete auf die dunkle Gasse, in der sie standen. »Wir müssen dringend ungestört reden. Uns läuft die Zeit davon, Caleb. Oder besser gesagt, dir läuft die Zeit davon.« Er drehte sich um und ging, gefolgt von seinen beiden Beschützern, voran. Caleb starrte ihm nach. Zweifelnd fragte er sich, ob er ihm trauen konnte. Wollten sie ihn erneut bestrafen, weil er sich der Macht einer Hexe bediente? Das war ein Verbot unter den Vampiren. Oder ging es hier um Frankie und eine Chance, wie er sie befreien konnte? Caleb seufzte und nahm die Verfolgung auf, bevor Gerard aus seinem Sichtfeld verschwand. Seine beiden Beschützer bedachten ihn mit einem warnenden Blick, als er zu ihnen aufschloss und sich neben Gerard gesellte. Gerard ging schnellen Schrittes vorwärts und schien mit seinen Gedanken meilenweit entfernt. Er sprach kein Wort und nahm einfach an, dass Caleb aufschloss. Erst, als er vor Calebs Auto ankam, sah er ihn bedeutend an. Caleb starrte alle drei an und seine Verwirrung nahm zu.

»Worauf wartest du? Wir sollten los, meinst du nicht?«, sagte Gerard ungeduldig.

Caleb verstand und eilte auf die Fahrerseite seines Autos. Im Wageninneren öffnete er die Türverriegelung, sodass die drei einsteigen konnten. Angespannt umfasste er das Lenkrad und beobachte die beiden Beschützer von Gerard im Rückspiegel. Sobald Gerard auf dem Beifahrersitz saß, sah er ihn fragend an. »Wo?«

»Columbus Hotel«, antwortete dieser monoton mit Blick nach vorn. Es klang eher wie ein Befehl.

Caleb verzog kurz den Mund und schluckte seine Wut herunter. Mit quietschenden Reifen brauste er los und sagte die ganze Fahrt bis zum Hotel kein Wort mehr. Froh darüber, dass Gerard und sein Anhang es ihm gleichtaten, konnte er auf dem Weg dorthin seine Gedanken sortieren. Die Ungeduld stand in seinem Gesicht geschrieben. Er hatte nicht die Zeit, um sich jetzt noch mit Gerard zu befassen. Er wollte nur Frankie holen und den Professor büßen lassen. Allerdings musste er in Erfahrung bringen, was Gerard über Frankie wusste. Seine geheimnisvollen Aussagen förderten mehr Fragen zutage, als alles andere. Hinzu kam das Gefühl, dass ihm hier etwas Entscheidendes entging und er auf der Hut sein musste. Caleb rechnete jeden Moment mit einem Hinterhalt oder einem Angriff von den beiden Vampiren auf seiner Rückbank. Regelmäßig beobachtete er sie im Rückspiegel, doch sie starrten stumm aus den Fenstern und schienen entspannt zu sein. Er wusste, dass er keine Chance hätte, sollten sie zum Angriff übergehen. Allein Gerard war so mächtig, sodass er Caleb innerhalb von Sekunden kampfunfähig machen konnte. Als er das Hotel erreichte, bremste er abrupt. Gerard brummte leise und bedachte ihn mit einem erbosten Blick, als er unkontrolliert nach vorn kippte. Caleb versuchte ein entschuldigendes Lächeln und versagte kläglich. Seine Anspannung wollte nicht abnehmen, sodass das Lächeln nicht bis zu seinen Augen durchdrang. Gerard nahm es hin und öffnete die Wagentür, bevor er geschmeidig auf die Straße trat. Der Regen hatte nachgelassen und der Mond schimmerte schwach durch die Wolken hindurch. Die Glastür des Hotels öffnete sich, sobald der Concierge auf sie zukam und sich galant verbeugte. Caleb wusste, dass das Columbus Hotel in dieser Gegend beliebt war. Sowohl bei Touristen als auch bei gehobeneren Gästen. Dass Gerard eher zur zweiten Sorte gehörte, zeigte sich an dem Verhalten des Concierge. Ehrfürchtig betrachtete er ihn und geleitete diesen zum Eingang, um ihnen die Tür aufzuhalten. Gerard nahm kaum Notiz von ihm und ging direkt zum Fahrstuhl. Selbstverständlich hatte Gerard sich in einer Suite auf der obersten Etage niedergelassen. Sobald die Tür der Suite sich hinter ihnen schloss, betrachtete Gerard seine Begleiter mit einem vielsagenden Blick. Sofort nickten die beiden und verschwanden in einem angrenzenden Zimmer. Sie sprachen mittels ihrer Gedanken zueinander. Das erinnerte Caleb an Frankie. Er vermisste die Kommunikation mit ihr. Er sehnte sich nach ihrer Körperwärme, ihren Berührungen, vor allem nach ihrem Geschmack. Als sein Körper darauf reagierte und die Verwandlung einsetzen wollte, zischte er ungehalten. Seit wann geschah die Verwandlung so schnell? Er musste nur an ihr Blut denken und sie setzte ein. Das verunsicherte ihn. Frankie war keine vierundzwanzig Stunden von ihm fort. Caleb ahnte nichts Gutes, desto länger er darüber grübelte.

»Du solltest dich setzen«, sagte Gerard. Er ging zur Bar und goss Rotwein in ein Glas. Fragend warf er Caleb einen Blick zu. Als dieser den Kopf schüttelte, stellte er die Flasche zurück auf ihren Platz. Nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte, kam er auf ihn zu und setzte sich galant auf den Zweisitzer. Den Fuß auf ein Knie bettend, genoss er den Rotwein und wartete. Caleb brauchte einige Sekunden, um sich zu fassen und die Verwandlung zu unterdrücken. Das schien Gerard nicht zu kümmern. Weiterhin konnte Caleb nicht bestimmen, ob Gerard ihm gut gesonnen war oder nicht. Nachdem sein Körper sich entspannte, fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare und stolzierte auf einen Sessel zu, um darin Platz zu nehmen. Die Armlehnen mit den Händen umklammert, saß er angespannt da und starrte zu Gerard. »Ich schwöre dir, wenn du nicht gleich mit der Sprache rausrückst, kann ich für nichts mehr garantieren, Gerard.« Alles in ihm wollte sich auf ihn stürzen und es nötigenfalls mit Gewalt aus ihm herausquetschen. Es fiel ihm schwer, die Ruhe zu bewahren. Gerard stellte das Glas auf dem Marmortisch ab und nickte leicht. »Ich fürchte, ich werde dafür etwas weiter ausholen müssen, Caleb. Du wirst dich noch etwas gedulden müssen. Du solltest aufmerksam zuhören, denn ich werde es kein zweites Mal erwähnen.« Bedeutsam sah er Caleb an. Als dieser zaghaft nickte, lehnte Gerard sich zurück und überschlug ein Bein über das andere. Die Hände auf dem Schoß gefaltet, starrte er nach unten, als er anfing zu erzählen. »Du weißt, dass es einige Geschichten und Legenden über uns Vampire gibt. Einige davon entsprechen der Wahrheit, andere nicht. Und es gibt die Legenden, die so alt sind, dass sie niemand von uns kennt.« Er richtete sich auf und sah Caleb direkt an. »Ich hatte sie als Unwahrheit abgetan, nachdem sie sich bisher nicht bestätigte. Es gab eine Zeit, in der ich dem nachjagte und fest daran glaubte. Keine Ahnung wieso oder ob es an dir liegt, du hast etwas in Gang gesetzt, was alles verändern wird, Caleb. Ich bin sicher, dass die Hexe einige Andeutungen gemacht hat, richtig?« Fragend sah er ihn an.

Caleb dachte an Mirandas Worte in Bezug auf Frankie und dem Rausch. Das schien Gerard auszureichen, denn er nickte wissend. »Du musst es sofort gespürt haben, sobald sie in deine Reichweite kam, oder?« Neugierig beugte Gerard sich vor und betrachtete ihn hoffnungsvoll. Es schien so, als ob er Caleb mit seinen Worten manipulieren wollte, damit er ihm genau das bestätigte. Dabei war das nicht nötig. Caleb wusste sofort, wovon er sprach. Sein Misstrauen wuchs, doch er blieb weiterhin stumm.

»Ja, ich kann es in deinen Augen erkennen, dass es so war, Caleb.« Befriedigt lehnte Gerard sich zurück und breitete seine Arme links und rechts von sich auf der Lehne aus. »Ich möchte von dir ein Versprechen, dass du alles, was du jetzt von mir hörst, vorerst für dich behältst. Es gibt wenige, die diese Legende kennen, einige glauben daran, andere nicht mehr. So lange, bis wir das nicht sicher bestätigen können, bleibt das unter uns. Verstanden?«

Caleb nickte und wollte etwas erwidern, aber Gerard sprach schon weiter. Aufmerksam hörte er ihm zu.

»Vor einigen Jahrhunderten habe ich erfahren, dass es Frauen gibt, die für uns bestimmt sind. Anfangs hatte ich es als lächerlich abgetan. Doch dann bin ich auf etwas gestoßen, was mich umdenken ließ. Du kennst die Fehde zwischen Hexen und unserer Art. Das Verbot, mit ihnen zu agieren, gibt es nicht umsonst. Vor Jahrhunderten gab es eine Hexe, die sich in einen Vampir verliebte. Der Vampir erwiderte die Gefühle für diese Hexe. Damals war es schwierig und sie mussten es geheim halten. Hexen wurden gejagt und verbrannt. Vampire waren den Menschen noch unbekannt und hielten sich bedeckt, um unentdeckt zu bleiben. Die Legende besagt, dass diese Hexe ihren Vampir verfluchte. Sie tat dies nicht, um ihm zu schaden. Eher im Gegenteil. Sie tat es, in dem Versuch, ihn in einen Menschen zurückzuverwandeln. Das schlug fehl. Somit band sie ihn an ihr Blut, sodass er nur noch von ihr trinken wollte. Und das einzig von ihr. Sie dachte, dass sie damit die Menschen vor ihm schützte. Er verwandelte sich zwar nicht in einen Menschen, aber er hatte das Glück, nicht mehr in einen Blutrausch zu verfallen. Es gab nur einen Haken daran. Das gelang nur, sofern er in der Nähe der Hexe blieb. Sobald die beiden sich auf längere Distanz und für längere Zeit trennten, verlor der Vampir mehr und mehr die Kontrolle über sich. Wie das enden würde, kannst du dir sicher denken. Der Vampir würde seine dunkle Seite annehmen und sich nicht mehr zurückverwandeln. Er würde auf ewig in seiner Vampirgestalt bleiben und in einem verheerenden Blutrausch. Allerdings wussten die beiden das damals noch nicht. Der Vampir bemerkte nur, dass etwas nicht mit ihm stimmte, sobald die Hexe außer seiner Reichweite war. Was hat er also getan?«, fragte Gerard ihn direkt.

Caleb starrte ihn schockiert an. »Er hat sie gezeichnet«, hauchte er. Er schluckte schwer, als er begriff.

Gerard nickte bedeutungsvoll. »Das hat er. Nichts ahnend, dass er es damit verschlimmerte. Denn ab diesem Zeitpunkt war die Hexe ebenfalls an ihn gebunden. Sie brauchte seinen Biss, den Blutaustausch, um nicht dem Wahn zu zerfallen. Und wie Frauen nun mal sind, war sie darüber nicht erfreut. Es kam, wie es kommen musste. Die Hexe wurde von Hexenjägern gefangen und sollte auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. In dieser misslichen Lage blieb den beiden kein Ausweg. Die Trennung, durch die Gefangenschaft der Hexe, war für beide mit der Zeit unerträglich. Ihre Körper versagten, spielten regelrecht verrückt. Von ihrem Verstand will ich gar nicht erst sprechen. Der Vampir tat genau das, was jeder von uns ihm geraten hätte. Er fand einen Weg zu ihr und verwandelte sie in einen Vampir. Die Legende wird hier leider etwas ungenau, sodass ich nicht sagen kann, ob mit ihrem Einverständnis oder ohne. Und was ich davon halte, es ohne Einverständnis zu tun, weißt du. Nach ihrer Verwandlung ging es dem Vampir zwar besser, aber die Trennung machte beiden weiterhin zu schaffen. Die Hexe, jetzt ein Vampir, hatte in Gefangenschaft keine Chance. Du weißt, dass Jungvampire gerade nach ihrer Verwandlung nicht zurechtkommen. Sie wurde wütend und ihre Liebe verwandelte sich in Hass. Sie wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Allerdings hatte sie zuvor einen Fluch ausgesprochen. Zuvor eine Hexe war sie nun als Vampir noch mächtiger und beherrschte somit die schwarze Magie perfekt. Sie verfluchte die Vampire, und zwar alle.« Gerard starrte zum Fenster und seufzte schwer, bevor er weitersprach. »Der Fluch besagt, dass kein Vampir in der Lage sein wird, diese eine besondere Frau, die für ihn bestimmt ist, aufzuspüren. Verstehst du jetzt, weshalb ich hier bin, Caleb?« Sein Blick wandte sich zu ihm.

Caleb bekam kein Wort heraus und starrte in Gedanken versunken auf den Boden. Er drehte und wendete die Worte, doch es blieb bei seinem Ergebnis. Er sah auf und blickte zu Gerard, der ihn weiterhin geduldig ansah. »Ich habe sie gefunden«, sagte er ungläubig. »Willst du mir das damit sagen? Diese Legende oder dieser Fluch ist wahr und ich habe meine Frau gefunden?«

»Sie wurde zu dir gebracht, unbeabsichtigt. Du erinnerst dich? Und glaub mir, ich habe es jahrelang versucht, sie zu finden.«

Und ob er sich erinnerte. Der Moment, sobald ihr Geruch in seine Nase stieg, war in seinem Gedächtnis eingebrannt. Als Frankie ins Labor gebracht wurde, setzte der Professor etwas in Gang, wovon er keine Ahnung hatte. Selbst Caleb hatte keine Ahnung davon gehabt. Sein Körper spannte sich an, als er daran dachte, was er instinktiv tat. »Ich habe es getan, Gerard. Ich habe sie gezeichnet. Es war ein Instinkt, unterbewusst, verstehst du?« Er blickte hilflos zu Gerard. So, als ob er diese Tat entschuldigen wollte. Jetzt ergab sein merkwürdiges Verhalten einen Sinn. Die Trennung von ihr. Die Aussetzer, wenn sein Körper sich verwandeln wollte und er es nicht kontrollieren konnte. Der Rausch, der so anders war, als alles, was er zuvor kannte, sobald er sie biss und ihr Blut zu sich nahm. »Du sagtest, du hast es versucht und deine Frau gesucht, richtig? Heißt das für uns, dass wir diese Frauen nicht in einen Vampir verwandeln dürfen, sobald wir sie finden? Ich verstehe noch nicht, wieso es Frauen geben soll, die zu einem bestimmten Vampir gehören. Das muss doch noch eine andere Bedeutung haben, oder?« ,fragte er stirnrunzelnd.

Gerard nickte nur.

»Wieso?« Caleb sah ihn verwirrt an.

»Ist das nicht offensichtlich?«, antwortete Gerard. »Ich bin weitaus länger ein Vampir, als du, Caleb. Was glaubst du, hat es mit mir gemacht, als ich von dieser Legende erfuhr? Ich hatte die Einsamkeit satt. Nach Jahrhunderten des Versteckens und in Einsamkeit lebend hegt man die seltsamsten Wünsche. Ich klammerte mich an diese Legende, war überzeugt davon, dass es wahr sein musste. Es klang herrlich. Die Frau finden, sich mit ihr verbinden und die Möglichkeit haben, kein einsames Dasein zu frusten. Viele Jahre bin ich dem hinterhergejagt, bis ich aufgab und es als Unwahrheit abtat. Doch jetzt«, er sah ihn ernst an, »jetzt scheint es der Wahrheit zu entsprechen. Zumindest sind wir einen Schritt weiter, um zu erfahren, was es mit diesen Frauen auf sich hat. Ich bin sicher, dass die Legende einige Lücken aufweist. Ich habe keine Ahnung, was davon richtig ist und was nicht. Vielleicht sind wir auf ewig verdammt und müssen der Einsamkeit frönen. Oder wir verfallen letztendlich dem Rausch und werden von unseresgleichen getötet. Oder viel wahrscheinlicher, es steckt weitaus mehr dahinter, als wir bisher wissen. Eines ist zumindest sicher. Du zeigst erste Anzeichen, seitdem du sie gezeichnet hast und sie nicht mehr in deiner Reichweite ist. Das bedeutet, wir müssen sie da rausholen. Egal, was an dieser Legende dran ist oder nicht, ich kann nicht zulassen, dass du in einen Rausch verfällst und die Menschen auf uns aufmerksam werden. Und zu deiner zweiten Frage: Ich weiß es nicht. Damals hat der Vampir die Hexe verwandelt und es endete in einem Desaster. Allerdings könnte das auch nur der Fall gewesen sein, weil sie eine Hexe war. Ich habe keine Ahnung, wie das mit Frauen ist, die normale Menschen sind. Fürs Erste würde ich davon abraten, sie in einen Vampir zu verwandeln.«

Caleb sah ihn verwirrt an. »Und was ist, wenn ich das nicht kontrollieren kann? Oder wenn sie es möchte? Du weißt, wie schwer es ist, wenn tiefere Gefühle im Spiel sind.«

»Darauf habe ich leider noch keine Antwort, Caleb. Auf jeden Fall gehst du nicht allein. Wenn es eine Möglichkeit gibt, mehr über diesen Fluch oder die Legende herauszubekommen, will ich die nutzen.«

»Du denkst, dass du deine Frau finden kannst, oder? Heißt das, du hegst immer noch den Wunsch, Gerard?« Er musste nicht aussprechen, welchen Wunsch er meinte. Gerard bedachte ihn mit einem wachsamen Blick und enthielt sich der Antwort. »Du solltest wissen, dass der Professor nicht so einfach überwältigt werden kann. Er hat Unterstützung in den obersten Kreisen. Außerdem fühle ich mich nicht wohl damit, dass er dich zu Gesicht bekommt. Er ist verrückt genug. Wenn er einen so mächtigen Vampir in die Hände bekommt, weiß ich nicht, was er tun wird.«

»Ich fürchte mich nicht vor ihm oder seiner Unterstützung. Du solltest das ebenfalls nicht. Er ist ein Mensch, nichts weiter. Der Professor hat keine Ahnung, mit wem er sich da eingelassen hat. Glaub mir, er wird sich noch wünschen, niemals einem Vampir begegnet zu sein.«

Kapitel 3

Jodie Deveraux fuhr sich mit der Hand durch ihren neuen Haarschnitt und betrachtete sich im Spiegel. Der Pixie Cut gefiel ihr besser. Dennoch kostete es sie einige Überwindung, ihre lange blonde Mähne vom Friseur abschneiden zu lassen. Sicher würde es noch einige Zeit beanspruchen, bis sie sich an ihre neuen kurzen Haare gewöhnte.

»Es steht ihnen gut«, sagte der Friseur, der hinter ihr stand und ihrem Blick im Spiegel begegnete. »Gefällt es ihnen?«

Jodie sah ihn einige Sekunden im Spiegel an, bevor sie mit einem Lächeln nickte. Erleichtert hörte sie ihn ausatmen.

Zufrieden mit seiner Arbeit nahm er ihr den Umhang ab und drehte ihren Stuhl herum. »Freut mich, wenn sie zufrieden sind. Wie möchten sie zahlen?«

Jodie zückte ihre Kreditkarte und reichte sie ihm. Der Bezahlvorgang war innerhalb von Sekunden erledigt und sie verließ den Friseursalon. Ihr geschulter Blick wandte sich nach links und rechts, sobald sie auf der Straße stand. Als niemand zu sehen war, beruhigte sich ihr Puls. Eilig überquerte sie die Straße und stieg in ihren silbernen Honda. Sie startete den Motor und griff nach ihrer Sonnenbrille, bevor sie losfuhr. Ein letzter Blick in den Rückspiegel, um ihre neue Frisur zu betrachten, bevor sie ihre blauen Augen mit der Sonnenbrille abschirmte. Auf dem Weg zu ihrer Arbeit verschlang sie einen Muffin, ihr einziges Frühstück an diesem Tag. Sie hörte den Tadel ihrer Mutter, dass sie zu wenig zu sich nahm. Jodie verdrängte die Stimme ihrer Mutter im Kopf und konzentrierte sich auf den Verkehr vor ihr. Es war ein sonniger Tag, nachdem es die letzten Tage ständig regnete. Das steigerte ihre Motivation. Mit einem Lächeln summte sie mit, als ein Song im Radio lief, den sie mochte. Erst, als sie auf das Firmengelände fuhr, stellte sie das Radio leiser und räusperte sich. Sie suchte einen Parkplatz und stellte ihren Honda ab. Der Parkplatz war brechend voll, was sie alarmierte, sich zu beeilen. Der Termin beim Friseur hatte länger benötigt als geplant. Sie verspätete sich um wenige Minuten. Eilig stopfte sie ihren Laptop in den Rucksack und rannte auf den Eingang zu. Sobald sie vor der verschlossenen Tür stand, schwang eine Kamera zu ihr herum. Sie blickte direkt hinein und nickte stumm. Im Anschluss öffnete sich ein Versteck in der Mauer, als eine Klappe nach oben fuhr. Dahinter erschien eine weitere Kontrollinstanz, in Form eines Augenlasers. Sie beugte sich nach vorn und ließ ihr rechtes Auge abscannen. »Firestorm«, sprach Jodie in das kleine Mikrofon an der Wand. Die Tür schwang auf und sie konnte eintreten. Im Inneren wirkte das Gebäude, wie ein normales Bürogebäude. Es gab einzelne Büros mit Kollegen, die an ihren Schreibtischen saßen und am Computer arbeiteten. Doch Jodie wusste, dass dies nur der äußere Schein war. Sie beeilte sich und lief direkt weiter geradeaus, bis sie vor einer weiteren Doppeltür ankam. Die Tür konnte nur mittels Zahlencode geöffnet werden, den Jodie direkt eingab. Sobald die Tür sich öffnete, stolperte sie herein und platzte mitten in eine Teambesprechung. Sämtliche Köpfe der Kollegen richteten sich auf den Eindringling. Beschämt murmelte Jodie eine Entschuldigung, als ihr Gesicht hochrot anlief.

»Agent Deveraux, wie schön, dass sie es doch noch einrichten konnten. Nehmen sie Platz«, sagte David Jackson ungehalten.

Kommentarlos ging Jodie auf den letzten leeren Stuhl zu und setzte sich. Erst jetzt bemerkte sie die unzähligen Fotos an der Pinnwand, die hinter David Jackson stand. Sie erkannte sofort den Tatort, den sie untersucht hatte. Nervös schluckte sie. David bedachte sie mit einem wissenden Blick, bevor er sich an alle anderen wandte. »Wie sie wissen, haben wir diesen Mord niemals aufklären können. Jodie hat die Leitung zu den Untersuchungen, aber leider haben wir bisher keinen Täter gefunden. Es gibt neue Indizien, die uns zwingen, den Fall erneut zu betrachten.«

Jodie atmete hörbar ein. Fassungslos starrte sie auf die zwei Leichen, die auf einem der Bilder gezeigt wurden. Sie lagen auf dem Boden, umringt von ihren Blutlachen und die Kehlen stark zerfetzt. Sobald sie sich gefasst hatte, sah sie David an. »Indizien?«, unterbrach sie ihn.

»Wir haben einen weiteren Mordfall mit diesem hier in Verbindung bringen können. Dieselbe DNA befindet sich an einem weiteren Tatort. Eine DNA, die wir bis heute nur einer Person gutschreiben konnten. Der Tochter. Wir dachten bisher, dass Nora ebenfalls tot ist oder vom Täter entführt wurde. Doch allem Anschein nach ist sie am Leben. Und ihre DNA tauchte vor zwei Tagen an einem anderen Tatort auf.«

Jodie zählte eins und eins zusammen. »Sie ist der Täter?«

David nickte. »So hat es zumindest den Anschein. Von ihr ist erneut keine Spur aufzufinden, bis auf ihre DNA Spuren.«

»Wollen sie damit allen Ernstes andeuten, dass die eigene Tochter ihre Eltern auf diese bestialische Weise ermordete?«, erboste sich Jodie.

David seufzte und schüttelte seinen Kopf. »Keine Ahnung, Agent Deveraux. Genau das müssen wir herausfinden. Nora ist fürs Erste als Täterin zu betrachten. Wir haben eine Fahndung nach ihr ausgeschrieben. Ich weiß, dass sie eine andere Annahme hegen und der absoluten Überzeugung sind, dass dies ein Akt von Vampiren darstellt. Sie vermuten, dass Nora von diesen Vampiren mitgenommen wurde und gefangen gehalten wird. Beweisen konnten sie diese Vermutung bisher nicht, oder?«

Jodie sah ihn angriffslustig an. Natürlich konnte sie es bisher nicht beweisen. Jeder ihrer Kollegen zog sie seit Jahren damit auf und sie belächelten sie, sobald sie von Vampiren sprach. Dennoch hatte die Leitung diese Operation ins Leben gerufen, weil klar war, dass dieser Mordfall kein gewöhnlicher Mordfall war. Die Bissspuren an den Kehlen der Opfer, der massive Blutverlust … alles deutete daraufhin hin. Keiner, außer ihr, zog die Tatsache in Betracht, dass es Vampire gab. Um die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen, wurde die Aufklärung an die CIA übergeben. Genauer gesagt an ihre Abteilung. Eine geheime CIA Abteilung, beauftragt mit der Operation »Firestorm«. Sie unterdrückte ihre Wut, bevor sie ihrem Chef antwortete: »Nein Sir, bisher gibt es keine eindeutigen Beweise hierfür.«

»Ich würde vorschlagen, sie setzen sich hin und hören weiter aufmerksam zu, Agent Deveraux«, ermahnte David sie streng.

Jodie bemerkte erst jetzt, dass sie aufgesprungen war, und nahm langsam Platz. Den Kugelschreiber in ihrer rechten Hand fest umklammert, sodass die Finger blass wurden, versuchte sie, sich zu beruhigen.

»Wie gesagt, wir rollen den Fall erneut auf, zusammen mit dem aktuellen Mordfall. Die Polizei wurde informiert, dass ab jetzt die CIA übernimmt. Die Leitung hierfür gebe ich an Todd ab. Todd?«, wandte sich David direkt an ihn. »Ab sofort haben sie das Kommando. Ich will über jeden Schritt informiert werden, verstanden?«

Todd Milton nickte stolz. Die Freude war ihm deutlich anzusehen. Als sein Blick zu Jodie schwenkte, lächelte er siegessicher.

Jodie straffte die Schultern und hielt seinem herausfordernden Blick stand. Das bedeutete, dass sie ihr den Fall wegnahmen. Die Enttäuschung setzte ihr zu. Sie ließ es sich nicht anmerken. Erst auf der Damentoilette, als sie ungestört war, ließ sie ihre Wut heraus und brüllte ihr Spiegelbild an. Sie konnten ihr den Fall nicht wegnehmen. Das durften sie nicht tun. All die Jahre, die sie damit verbracht hatte, das durfte nicht umsonst gewesen sein. Jodie erinnerte sich an die Nacht, als sie den Tatort aufsuchte. Sie hatte es eindeutig gespürt, dass sie nicht allein dort gewesen war. Sie hatte sich beobachtet gefühlt. Klug wie sie war, hatte sie sich nichts davon anmerken lassen und war den Hinweisen weiter nachgegangen. Sie hatte ein Bild der Tochter entwendet und es mitgenommen. Das hatte sie in ihren Berichten niemals erwähnt. Es war einfach ein Gefühl gewesen. Nora war bis heute verschollen. Jodie hatte bisher vermutet, dass sie mehr über den Mord an ihren Eltern wusste als angenommen. Als Täterin hatte sie Nora nicht in Betracht gezogen. Sie erinnerte sich daran, dass sie eine Gestalt ausgemacht hatte, die sich vor dem Haus hinter einem Baum versteckt hielt. Jahrelang hatte sie vermutet, dass es ein Mann gewesen sein musste. Als sie jetzt daran zurückdachte, erinnerte sie sich an zwei Stimmen, die sie gehört hatte. Ein Mann und eine Frau. Nora? Wer war der Mann? Bedauerlichweise war sie, aus ihr unerklärlichen Gründen in Ohnmacht gefallen. Sie erwachte Stunden später auf dem Rasen vor dem Haus, kurz vor Sonnenaufgang. Bis heute wusste Jodie nicht, weshalb sie bewusstlos geworden war. Und sie wusste nicht, ob Nora und der unbekannte Mann in ihrer Begleitung etwas damit zu tun hatten. Sie wagte die Vermutung, dass der unbekannte Mann ein Vampir sein konnte. Sie hatte ihn immer als Täter identifiziert, und war seit jener Nacht auf der Suche nach ihm. Bis heute plagten sie Albträume davon. Ihr erschien in diesem Träumen ständig ein verschwommenes Gesicht, genau von diesem Mann. Das war an sich nicht ungewöhnlich. Die Tatsache, dass er schwarze Augen hatte, die sich innerhalb von Sekunden in bernsteinfarbene Augen verwandelten, dagegen schon. Das war nicht normal. Und es war ihre einzige Erklärung dafür, dass er ein Vampir sein musste. Was hatte er mit ihr angestellt? Sie wusste es nicht. Ständig zermarterte sich Jodie darüber den Kopf. Und sie würde nicht ruhen, bis sie ihn gefunden hatte, um die Antwort auf ihre Fragen zu erhalten. Jodie war sicher, dass er existierte und etwas mit dem Fall zu tun hatte. Nur weil sie ihr die Leitung des Falles entzogen, würde sie nicht aufhören, nach ihm zu suchen. Und sobald sie ihn gefunden hatte, würde sie ihn zur Rede stellen. Egal, ob er ein Vampir war oder ein Mensch. Sie starrte ihr Spiegelbild an und sprach sich gedanklich Mut zu. »Ich werde nicht aufhören, nach dir zu suchen. Du entkommst mir nicht, das verspreche ich dir«, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu. Innerlich gestärkt, wusch sie sich die Hände und holte tief Luft. Todd Milton konnte sie nicht aufhalten. Sie würde weiter an dem Fall arbeiten. Sie würde beweisen, dass es Vampire gab. Spätestens dann würden ihr alle glauben.

Frankie wehrte sich aus Leibeskräften, trat und schlug um sich, solange sie die Kraft dazu hatte. Als die beiden Wachmänner in ihre Zelle gekommen waren, sah sie den Schlagstock und wusste sofort, dass die Schonzeit vorbei war. Die schallende Ohrfeige einer der Männer, die sie mit voller Wucht im Gesicht traf, warf sie auf den Boden. Hustend und ihrer Sinne benebelt, versuchte sie, sich aufzurichten. Doch ein Wachmann vereitelte ihren Versuch, indem er seinen Fuß auf ihren Rücken legte und sie nach unten drückte.

»Hör auf, dich zu wehren, Kleine«, meinte er lachend, »du hast keine Chance. Hast du tatsächlich geglaubt, du könntest uns entkommen, als du damals geflohen bist?«

Erbost versuchte Frankie es erneut, sodass der Druck seines Fußes sich verstärkte und sie auf dem Boden aufschlagen ließ. Hoffnungslos gab sie es auf und stöhnte vor Schmerzen. Starke Arme rissen sie nach oben und zerrten sie erbarmungslos aus ihrer Zelle. »Nein, bitte nicht«, schrie Frankie panisch. »Lasst mich los!« Frankie startete einen letzten Versuch, um sich aus dem Griff zu befreien. Der Mann, der sie festhielt, war zu stark. Er zerrte sie auf den Gang, indem seine Faust sich um ihre langen roten Locken wickelte und er sie mit sich zog. Der ziehende Schmerz, als er ihr dabei einige Haare herausriss, bohrte sich in ihren Verstand. Einige Meter weiter wurde sie achtlos vor eine Tür geworfen. Frankie zitterte und sah die beiden Wachmänner ängstlich an. Ihr hämisches Grinsen hasste sie zutiefst. Die beiden Männer schienen es zu genießen. Das Geräusch, als einer der beiden die Tür vor ihr öffnete, ließ Frankie erstarren. Die Dunkelheit im Inneren der Zelle machte es nicht besser, als sie einen Blick hinein wagte. Frankie rührte sich nicht und hielt gebannt den Atem an. Ihre Wange schmerzte. Als sie mit ihrer Zunge ihr eigenes Blut schmeckte, ahnte sie nichts Gutes. Im Inneren der Zelle befand sich der zweite Vampir. Was würde er tun, sobald er ihr Blut roch? Frankie hatte keine Zeit, um weiter darüber nachzudenken. Sie wurde an den Haaren nach oben gezogen und direkt in die Zelle geschoben. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, knallte die Tür hinter ihr zu und sie war mit dem Vampir allein. Frankie breitete die Arme aus. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, in der Dunkelheit Orientierung zu finden. Sie hatte keine Ahnung, wo genau sich der fremde Vampir befand. Panisch huschten ihre Augen in der Dunkelheit umher, obwohl sie nichts sehen konnte. Dann hörte sie ein ihr bekanntes Geräusch. Dieses Summen verfolgte sie heute noch in ihren Träumen. Sie drehte ihren Kopf und entdeckte die Kamera an der Decke. Wütend zischte sie.

»Willkommen Frankie, schön dich genau dort zu sehen, wo du hingehörst«, hörte sie die Stimme des Professors durch die Lautsprecher.

Ertappt wirbelte Frankie herum.

»Dieses Mal wird es etwas anders ablaufen. Unser Vampir hier ist nicht in einem so gut erhaltenen Zustand, wie es Caleb war. Ich bin gespannt darauf, wie er auf dich reagieren wird, Frankie. Sei ein braves Mädchen und wehre dich nicht.«

Frankie hörte dem Professor zu und brauchte einen Moment, um zu verstehen. Langsam drehte sie sich im Kreis, immer darauf gefasst, jeden Moment von dem Vampir umgerissen zu werden. Was hatten sie ihm angetan? Laut dem Professor Schlimmeres als Caleb. Das bedeutete, dass er Nahrung brauchte. Und zwar viel davon. Er brauchte Menschenblut. Ihr Blut war im Moment das Einzige, wozu er Zugang hatte. Die Angst, die jetzt durch ihren Körper jagte, war mit nichts zu vergleichen, was sie bisher erlebte. Es fühlte sich nicht so an wie mit Caleb. Sie wollte seinen Biss, nicht den des anderen Vampirs. Ihr Körper schien das zu wissen, denn ihr wurde speiübel, als sie daran dachte, dass ihr ein Vampirbiss bevorstand, der nicht von Caleb stammte. Frankie krümmte sich und hielt sich ihren Bauch, als schmerzvolle Krämpfe einsetzten. Gott, was war mit ihr los? Wieso spielte ihr Körper so verrückt? Das war nicht normal. Sicher war es nicht das, was der Professor sehen wollte. Ein tiefes Knurren unterbrach ihre Gedanken. Es ließ sie frösteln. Ihr Puls schoss in die Höhe. Zusammen mit den Bauchkrämpfen, die sie plagten, konnte Frankie kaum noch aufrecht stehen.

»Du riechst nach ihm.«

Frankie wirbelte herum zu der Stelle, von der die Stimme kam. Immer noch in völliger Dunkelheit, konnte sie ihn nicht erkennen. Seine Stimme klang tiefer und abgehackt. Er klang so, als ob er sich zwingen musste, zu sprechen. Und das mit qualvollen Schmerzen. Die Tatsache, dass er nicht gedanklich mit ihr sprach, bereitete ihr Sorgen. Sie hatte gehofft, sie könnten sich unterhalten, ohne das der Professor mithörte. Diese Hoffnung erstarb. Frankie hörte schlürfende Geräusche. Er bewegte sich. Den Geräuschen nach zu urteilen, hinkte er. Erst, als der Vampir eine Kerze anzündete, erhellte sich der Raum. Frankie hielt gespannt den Atem an. Der Vampir stand mit dem Rücken zu ihr. Sofort inspizierte Frankie ihn von oben bis unten. Er war kräftiger als Caleb. Sein Rücken war viel breiter. Und er schien größer zu sein. Frankie riss die Augen auf, als er sich langsam zu ihr herumdrehte. Was erwartete sie zu sehen? Ein Monster? Ihr Puls schien sich zu überschlagen, als er sie direkt anstarrte. Erschrocken konnte Frankie nur in seine Augen schauen. Sie kannte diesen Umstand. Oft genug hatte sie es an Caleb gesehen. Seine Augen waren pechschwarz. Seine Fangzähne erkannte sie deutlich. Ihm schien es egal zu sein, dass sie ihn so sah. Seltsam. Frankie runzelte die Stirn. So weit sie wusste, sahen Vampire nur so aus, wenn sie Blut zu sich nahmen oder ihr Gemütszustand in Wut oder Erregung umschlug. Letzteres schloss sie sofort aus. Er kannte sie nicht. Es konnte nur Wut oder Hunger sein. Ängstlich wich sie einige Schritte zurück.

»Es ist gut, dass du dich fürchtest. Ich bin nicht so wie Caleb.« Aus irgendeinem Grund verwandelte sich dieser Vampir nicht zurück. Frankie wusste zu wenig über ihre Art. Was hatten sie ihm nur angetan? »Du kennst Caleb?«, versuchte sie ein Gespräch mit ihm.

Er lehnte sich lässig mit dem Po an den Tisch hinter ihm und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Anstatt ihr eine Antwort zu geben, betrachtete er sie von oben bis unten. Sein lasziver Blick gefiel Frankie nicht. Und die unzähligen Narben auf seinem Oberkörper genauso wenig. Sein Oberkörper war übersät von Folterspuren.

»Das tue ich«, meinte er nur. »Was immer mit ihm geschehen ist, sein Geschmack ist vortrefflich.« Seine schwarzen Augen blieben auf ihrem Dekolleté hängen. Das Krankenhaushemd war ihr viel zu groß, sodass der Ansatz ihrer Brüste zu erkennen war. Frankie verfluchte dieses Hemd. Erst, als sein Blick auf ihren Mund fiel, wurde ihr schlagartig bewusst, dass ihre Lippe blutete. Der Vampir zischte leise und starrte genau an diese Stelle. Frankie hob die Hand und schüttelte den Kopf. »Ich bin hier ebenfalls ein Opfer, genauso wie du. Ich denke nicht, dass es uns weiterhilft, wenn wir uns anfeinden.«

»Du meinst genauso, wie du Caleb umgarnt hast und ihn damit zur Flucht überredet hast?« Seine Stimmlage wurde tiefer und klang bedrohlicher.

Frankie schluckte und wusste darauf nichts zu sagen. Er wusste, dass Caleb ebenfalls hier gewesen war und mit ihr geflohen war. Sicher hatte der Professor ihm davon berichtet.

»So war es doch, nicht wahr?«, forderte er eine Antwort von ihr.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, so war es nicht. Ich habe ihn nicht getäuscht oder betrogen, falls du das denkst«, verteidigte Frankie sich.

Sein lautes Lachen erklang. »Wie du meinst«, zweifelte er an ihrer Aussage. Er drehte sich um und ließ den Kopf hängen. Das einzige, was Frankie noch von ihm hörte, waren sein schwerer Atem und ein klägliches Grunzen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Sie beobachtete ihn genau und bekam es immer mehr mit der Angst zu tun.

»André«, sagte die warnende Stimme des Professors aus dem Lautsprecher. Frankie starrte in die Kamera und verstand nicht, was hier vor sich ging. Es schien, als ob der Professor etwas von dem Vampir verlangte. Das Brüllen, das daraufhin erklang, erschreckte sie, sodass sie zurücksprang, bis sie die Wand an ihrem Rücken spürte. Völlig außer sich wirbelte der Vampir namens André herum und bleckte die Fangzähne vor Wut. Doch seine Wut galt nicht ihr, sondern dem Mann hinter der Kamera.

»Du kannst Brüllen, so viel du willst, André. Entweder gehorchst du oder es wird eine erneute schlimme Nacht für dich werden.«

Das Brüllen wurde lauter, sodass Frankie sich mit den Händen die Ohren zuhielt. Im nächsten Moment rastete André aus. Er brüllte und warf den Tisch um, der krachend auseinanderfiel. Frankie schrie auf, kniete sich auf den Boden und hielt ihre Arme schützend über den Kopf. Die Kerze erlosch, sobald der Tisch umgeworfen wurde und erneut fand Frankie sich in Dunkelheit wider. Sie musste hier heraus, um jeden Preis. Dieser Vampir war außer Kontrolle. Und was der Professor mit der Drohung meinte, wollte sie nicht erfahren. Was immer sie diesem Vampir antaten, es musste Auswirkungen auf seine Vampirgestalt haben. Er wollte oder konnte sie nicht mehr ablegen. Frankie hatte keine Ahnung, wie sie zu ihm durchdringen sollte. In diesem Zustand konnte er jeden Augenblick wie ein wild gewordenes Tier über sie herfallen. Zitternd hockte sie am Boden und brachte keinen Ton heraus.