Forderst dein Recht, unser Schicksal ein Geflecht - Claudia Rack - E-Book

Forderst dein Recht, unser Schicksal ein Geflecht E-Book

Claudia Rack

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Beschreibung

"Es wird Zeit mein Recht einzufordern, denn du gehörst zu mir" Esteban Fairrier hielt sich von ihr fern, so lange es ihm möglich war. Doch die Zeit ist gekommen, sein Recht einzufordern. Lydia, Anführerin des Hexenzirkels, ist alles andere als begeistert, sobald er vor ihr steht. Immerhin war es ihre Mutter, die sie ausdrücklich vor Esteban warnte. "Einem Vampir ist nicht zu trauen, hüte dich vor Esteban Fairrier", das waren ihre Worte. Ausgerechnet dieser Vampir ist ein Mitglied des Vampirrates. Ihr Wort ist Gesetz! Er ist attraktiv, einflussreich und äußerst anziehend. Esteban konfrontiert Lydia mit der Wahrheit über ihrer beider Schicksal. Ihre Prinzipien und Ziele drohen einzustürzen, sodass sie beschließt in die Vergangenheit zu reisen. Wird ihre Zeitreise die Antworten offenbaren, die sie dringend benötigt? Spricht Esteban die Wahrheit oder täuscht er ihr nur etwas vor, um seine Ziele zu erreichen? Und wieso rast ständig ihr Herz so, sobald er vor ihr steht?

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Seitenzahl: 663

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 2

Kapitel 2 8

Kapitel 3 13

Kapitel 4 17

Kapitel 5 22

Kapitel 6 27

Kapitel 7 31

Kapitel 8 36

Kapitel 9 41

Kapitel 10 46

Kapitel 11 51

Kapitel 12 57

Kapitel 13 61

Kapitel 14 66

Kapitel 15 71

Kapitel 16 76

Kapitel 17 80

Kapitel 18 85

Kapitel 19 90

Kapitel 20 94

Kapitel 21 99

Kapitel 22 104

Kapitel 23 108

Kapitel 24 113

Kapitel 25 118

Kapitel 26 123

Kapitel 27 127

Kapitel 28 131

Kapitel 29 135

Kapitel 30 139

Kapitel 31 143

Kapitel 32 148

Kapitel 33 153

Kapitel 34 157

Kapitel 35 162

Kapitel 36 168

Kapitel 37 172

Kapitel 38 177

Kapitel 39 182

Kapitel 40 189

Kapitel 41 194

Kapitel 42 198

Kapitel 43 202

Kapitel 44 207

Kapitel 45 211

Kapitel 46 215

Kapitel 47 219

Kapitel 48 225

Kapitel 49 228

Kapitel 50 232

Epilog 236

Danksagung 238

Weitere Bücher 239

Kapitel 1

Jack riss die Augen auf. Es dauerte einen Moment, bis er sich bewusst wurde, dass er in seinem Bett lag. Doch erst, als er ihren Herzschlag hörte, beruhigte er sich. Er sah zur Seite. Dieses Mal war Quinn nicht geflohen. Sie schlief friedlich neben ihm in seinem Bett. Erleichtert ließ er den angehaltenen Atem langsam entweichen. In seinem Traum war sie erneut vor ihm davon gelaufen. Die Angst, sie für immer zu verlieren, hatte ihn aufschrecken lassen. Nachdem sie am gestrigen Abend miteinander gesprochen hatten, konnte er nicht mit Gewissheit sagen, ob Quinn sich für ein Leben an seiner Seite entschieden hatte. Sie war bei ihm geblieben. Sie hatte ihn nicht von sich gestoßen, als er sie küsste. Jack wertete es als ein gutes Zeichen. Dennoch blieb eine Spur von Ungewissheit. Das Wissen, dass er ohne sie dem Blutrausch verfallen würde, hinterließ einen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Hinzu kam, dass er weiterhin keine Erinnerungen an die Nacht hatte, in der er sie markierte. Den Kopf auf seiner Hand abgestützt, lag er auf der Seite und betrachtete sie. Als seine grünen Augen auf Wanderschaft gingen, blieb sein Blick an ihrem Hals hängen. Seine Bissspuren waren noch zu erkennen. Die Erinnerung daran, wie er letzte Nacht von ihr getrunken hatte, kam in ihm auf. Zum ersten Mal war es einvernehmlich und bewusst geschehen. Und sie hatte es genossen. Quinn hatte sich in seine Arme geschmiegt und sich ihm anvertraut. Sie hatte sich ihm hingegeben. Das überraschte ihn immer noch. Er musste nur daran zurückdenken, wie sie sonst aufeinandergetroffen waren. Sicher, die Anziehung zwischen ihnen war unverkennbar. Sie hatten die Finger nicht voneinander lassen können. Jeder von ihnen hatte mit seinen Ängsten und Zweifeln gekämpft und sich gegen das gesträubt, was so offensichtlich zwischen ihnen lag. Sie jetzt vor sich zu sehen, wie sie friedlich schlief und ihren betörenden Duft in seine Bettlaken verteilte, zauberte ein Lächeln in sein Gesicht. Er wollte das jeden Morgen sehen. Er wollte nicht mehr allein in diesem Bett schlafen. Er fragte sich, ob sie das genauso sehen würde. War sie bereit? Oder würde sie ihres Weges gehen, sobald sie aufwachte? Würde er das zulassen? Ein leises Schnauben entrang sich seiner Kehle. Er wusste nicht, ob er das noch konnte. Allerdings war er kein Mann, der eine Frau zwingen wollte, bei ihm zu bleiben. Sie musste es aus freien Stücken tun. Alles andere war für ihn nicht hinnehmbar. Dennoch spürte er, dass er sie gänzlich für sich beanspruchen wollte. Nicht nur als Mensch, sondern als Vampir. Als er das Ziehen in seinem Mund spürte, schloss er kurz die Augen. Seine Fangzähne fuhren aus. Er konnte nur noch daran denken, sie zu seiner Frau zu machen. Er wollte sie verwandeln. Hier und jetzt. Schwer atmend rang er mit sich und kämpfte, um seine Beherrschung. Das Tier in ihm brüllte auf und verlangte nach Quinn. Er drängte es konsequent zurück und ließ die Verwandlung nicht zu. Wenn er sich jetzt in seiner Vampirgestalt zeigte, könnte er sich nicht zurückhalten. Froh darum, dass sie es nicht mitbekam, sprang er vom Bett auf und eilte ins angrenzende Bad. Eine kalte Dusche würde reichen müssen. Absichtlich ließ er den kalten Wasserstrahl auf seinen nackten Körper prasseln, sobald er unter der Dusche stand. Den Kopf gesenkt, die Hände auf den Fliesen vor sich abgestützt, hing er seinen Gedanken nach. Kurz erinnerte er sich an seine Schwester, die er verloren hatte. Das Band zwischen ihnen war stark gewesen. Nach ihrem Tod hatte er sich keine tiefer gehenden Gefühle mehr erlaubt. Für niemanden. Zu groß war die Angst davor, erneut so einen Verlust erleben zu müssen. Insgeheim wusste Jack, dass er das nicht konnte. Die Gefühle, die er für Quinn hegte und die sich kontinuierlich steigerten, machten ihm Angst. Er hatte keine Ahnung, was er tun würde, sollte Quinn ihren Plan New York zu verlassen weiterhin in Betracht ziehen. Sie hatte zwar angedeutet, dass sie das nicht mehr wollte, aber vielleicht hatte sie das nur im Affekt gesagt. Ihr Gespräch war aufwühlend gewesen. Jack zischte leise, sodass das Wasser um seinen Mund sprudelte. Er hasste seine Gedanken und die Zweifel in ihm. Ein Geräusch ließ ihn den Kopf anheben. Er musste nicht hinsehen. Ihren Geruch würde er jederzeit erkennen. Ein Tapsen verriet ihm, dass ihre Füße auf den Fliesen sich bewegten. Im nächsten Moment spürte er ihren warmen Körper, der sich an seinen Rücken schmiegte. Jack spannte sich an und zog scharf den Atem ein. Er konnte ihre Konturen wahrnehmen und war sofort hellwach. Ihre Brüste drückten sich gegen seinen Rücken, ihre Hände fuhren an seinem Bauch entlang und ihr Mund hinterließ hauchzarte Küsse auf seiner Schulter. 

»Guten Morgen«, erklang ihre wohltuende Stimme hinter ihm. Erst jetzt bemerkte er, dass das Wasser wärmer wurde. Doch das war nicht die Erklärung dafür, dass ihm heiß wurde. Es war ihre Anwesenheit. Als ihre Hände weiter nach unten wanderten und seinem Schaft gefährlich nahekamen, wirbelte er herum. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, sodass er sie direkt ansehen konnte. Im nächsten Moment lagen seine Lippen auf ihren. Quinn seufzte auf und schmiegte sich dichter an ihn. Seine Hand fuhr in ihren Nacken, die andere legte er auf ihren Rücken, um sie an sich zu pressen. Sein Kuss drückte die Verzweiflung aus, die in ihm innewohnte. Wild und leidenschaftlich machte er sich über ihren Mund her, als ob er sie verlieren könnte. Quinn ließ ihn gewähren. Sie vertraute ihm und schien zu spüren, dass er genau das jetzt in diesem Augenblick dringend brauchte. Die Gewissheit, dass sie bei ihm war. Egal, was er mit ihr anstellte. Nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrach Jack nur zögerlich den Kuss und öffnete die Augen. Mit dem Daumen fuhr er über ihre angeschwollenen Lippen. Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er zu ihr.

»Das muss dir nicht leidtun, Jack.«

»Ich war zu grob. Das habe ich nicht gewollt«, klagte er und mied ihren Blick.

»Doch das hast du. Sei so ehrlich und stehe dazu«, meinte sie leicht verärgert. Quinn nahm sein Gesicht in die Hände und zwang ihn damit, sie direkt anzusehen. Das Wasser perlte kontinuierlich über ihre Körper. Dampf bildete sich um sie. Es schien, als ob ihnen nicht bewusst war, dass sie unter der Dusche standen und diskutierten. »Was ist los?« Sie sah ihn fragend an, sich dessen bewusst, dass ihn etwas quälte.

Jack seufzte leise und umgriff mit den Händen ihre Handgelenke. Seine Stirn presste sich gegen ihre. Er inhalierte ihren Duft. »Ich weiß, dass du noch nicht bereit bist, Quinn. Ich versuche, mich zurückzuhalten. Es ist verdammt schwer.« Eingehend betrachtete er sie.

»Ich verstehe nicht. Wovon redest du? Ich bin hier, oder nicht?«

»Das bist du«, antwortete er sofort.

»Aber das reicht dir nicht, nicht wahr?« Quinn sah ihn unsicher an. Sie spürte, dass da etwas zwischen ihnen stand, was ihr Angst machen sollte. Sie schluckte und blieb tapfer vor ihm stehen. Sie würde nicht erneut den Fehler begehen und weglaufen. Das hatte sie in der Vergangenheit zu Genüge getan. Sie hatten sich gestern endlich ausgesprochen, auch wenn vieles noch im Unklaren lag, was ihre Zukunft anging. Sie war überzeugt davon, dass es eine Chance gab. Allerdings schien Jack mit etwas zu hadern. Er litt. Sie konnte es ihm ansehen und das stimmte sie traurig. Sollte er nicht froh sein? Sollte er nicht erleichtert sein, dass sie ihre Differenzen beiseite gelegt hatten und auf einem guten Weg waren zueinanderzufinden?

»Wir sollten das nicht jetzt besprechen«, wehrte er ab und nahm Abstand von ihr. Bevor sie etwas sagen konnte, stellte er die Dusche ab und verließ die Kabine. Er hörte ihren schweren Seufzer, als er sich abtrocknete und anzog. Er war auf dem Weg zur Tür, als er innehielt. Er sah zu ihr und begegnete ihrem Blick. Stocksteif stand sie nackt unter der Dusche und sah ihn verängstigt an. Ihre blauen Augen schimmerten und zeugten von den Tränen, die sich bilden wollten. Zerknirscht umklammerte er den Türgriff fester. Er hatte es vermasselt. Schon wieder. »Wir holen das nach, Quinn. Versprochen«, meinte er noch zu ihr, bevor er das Badezimmer verließ. 

Quinn starrte fassungslos auf die Tür, die sich hinter ihm schloss. Mit der Hand wischte sie sich verärgert die Tränen von der Wange. Wie hatte sie annehmen können, dass er sich ihr mit allem anvertraute, was ihn bewegte? Es war zu früh. Zu frisch war ihre Zweisamkeit, als das er sich dazu herabließ, mit ihr zu reden. Der Schmerz darüber fraß sich in ihr Herz. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Zum einen gab sie sich die Schuld daran. Sie hatte ihm übel mitgespielt, als sie ihm die Erinnerungen nahm. Das war ihr bewusst. Doch das war es nicht, was ihn quälte. Da war sie sicher. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie sich ruhig verhielt, bis er sich dazu bequemte, den Mund aufzumachen. Die Frustration schlug in Wut um. Mit raschen Bewegungen wusch sie sich, bevor sie ihre Morgendusche beendete und sich eilig anzog. Sie entschied sich für eine Jeans und einen schwarzen Cashmere Pullover mit einem Rollkragen. So verdeckte sie die noch frischen Bissspuren. Ihre Haare band sie zu einem Zopf zusammen. Ihr Spiegelbild betrachtend, verzichtete sie auf Make-up. Sie hatte nicht vor auszugehen. Außerdem fühlte sie sich nicht danach, sich zu schminken und schick zurechtzumachen. Ihre gute Laune war verflogen, sobald er den Mund aufgemacht hatte. Sie holte tief Luft und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab. Das Knurren ihres Magens sagte ihr überdeutlich, dass sie hungrig war. Sie hatte seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen. Also steuerte sie direkt die Küche des Hauses an. Sie hob überrascht eine Augenbraue an, sobald sie ihre Schwester am Küchentisch sitzen sah. Zoe blickte nur kurz auf, bevor sie ihr Brötchen weiter mit der Marmelade bestrich. Quinn räusperte sich kurz und begab sich zur Kaffeemaschine. Sobald sie eine Tasse eingeschenkt hatte, setzte sie sich zu Zoe an den Tisch. Mit den Händen hielt sie ihre Tasse umklammert und spürte wie die Wärme in ihre Hände schoss. Zoe reichte ihr wortlos ein Brötchen und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Herzhaft biss sie in ihr Brötchen und sah sie unentwegt an. Quinn nippte an ihrem Kaffee und fühlte sich merklich unbehaglicher. Sie kannte diesen Blick von Zoe nur zu gut. Quinn wappnete sich für das, was kommen musste, und stellte die Tasse vor sich auf den Tisch ab. Mit verschränkten Oberarmen lehnte sie sich ebenfalls zurück und sah ihre Schwester ernst an. »Frag schon, ich sehe doch, dass du dich kaum zurückhalten kannst«, sagte sie zu Zoe.

Zoe blickte zu ihr auf und sah sie lange stumm an. Nach einigen Sekunden veränderte sich ihre Haltung und sie entspannte sich sichtlich. Mit einem Lächeln um den Mund schüttelte sie den Kopf. »Entschuldige Quinn, ich wollte nicht, dass es so herüberkommt. Ich bin nur so…, ach keine Ahnung, ich verstehe dich nicht. Wolltest du tatsächlich gehen, ohne mit mir zu reden?« Ihr anklagender, trauriger Blick traf auf ihren.

Quinn räusperte sich leicht und schüttelte den Kopf. »Ich wollte es nicht, nein. Aber ich hätte es getan, wenn ich keine andere Lösung gefunden hätte. Ich hätte mich bei dir gemeldet, sobald ich angekommen wäre. Ich hätte es dir erklärt, Zoe.«

»Ich verstehe. Also war es eher ein Fluchtgedanke, der dich antrieb. Ist Jack so furchtbar?«, fragte sie irritiert.

Quinn musste ein Lachen unterdrücken und beugte sich vor, bis ihre Unterarme auf dem Tisch lagen. »Nein. Er ist…, er ist nun mal Jack. Ziemlich engstirnig, aufbrausend, leidenschaftlich und er hat mir eine Heidenangst eingejagt.«

Zoe hob eine Augenbraue an. »Das sind zwar nicht die Eigenschaften, die ich für ihn gewählt hätte, aber du kennst eine andere Seite von ihm, als ich.«

Quinn lachte auf. »Das kann ich mir vorstellen. Wir haben miteinander geredet.«

»Deshalb bist du noch hier?«, hakte Zoe vorsichtig nach. Als Quinn sie verwundert ansah, fügte sie hinzu: »Ich meine, sonst hast du eher direkt Reißaus genommen, sobald ihr euch gesehen habt.«

»Ich bin hier, weil ich hier sein will. Aber ja, das Gespräch mit Jack war aufschlussreich und hat mein Denken verändert.« Ein trauriger Unterton schlich sich in ihre Stimme, als sie das sagte.

»Es ist noch nicht überstanden, oder?«, fragte Zoe wissend. Sie legte ihre Hand auf ihren Unterarm, als Zeichen ihres Trostes.

»Sieht nicht so aus, richtig«, sagte Quinn und nickte leicht.

»Jack ist nicht einfach, das weiß ich. Er hat es mit uns allen nicht immer leicht, solltest du wissen. Wir haben erst kürzlich davon erfahren, was er hat durchmachen müssen. Ich glaube, wir verstehen ihn seitdem erst viel besser. Oder zumindest versuchen wir es. Gerard hegt ein gewisses Misstrauen ihm gegenüber, aber ich glaube, das liegt eher daran, weil er für den Vampirrat spionieren sollte. Jetzt, wo er weiß, welche Geschichte Jack in sich trägt, denkt er viel über ihn nach. Ich kann noch nicht sagen, wie sich das zwischen den beiden entwickeln wird. So, wie ich Gerard kenne, wird er mit ihm reden wollen. Unter vier Augen, versteht sich.«

»Ja, er ist verbohrt. Ich spüre gerade, wie sehr. Irgendetwas trägt er mit sich herum und er will sich mir nicht anvertrauen. Und das hat nichts mit der Geschichte, um seine Schwester zu tun. Ich denke, es geht um uns. Ich kann sehen, wie er leidet. Ich weiß nicht, aus welchem Grund? Ich meine, ich bin hier, oder? Das ist es doch, was er wollte. Oder nicht? Ich werde nicht mehr davon laufen, falls er das denkt. Ich will es versuchen und sehen, wo das mit uns hinführt, verstehst du?«

Zoe betrachtete ihre Schwester eingehend, als diese ihre Stimme anhob und der Frust aus ihr sprach. »Mit Gerard und mir war es anfangs ebenfalls nicht leicht.« Zoe senkte beschämt den Kopf.

»Tatsächlich? Was ist passiert?«, fragte Quinn neugierig.

»Ich trage die Schuld daran, dass Maxime vom Professor entführt wurde. Maxime ist seine Ziehtochter, solltest du wissen. Ich habe ihn hintergangen. Und das, obwohl er es war, der mich aus dem Labor herausgeholt hat.«

Quinn begegnete ihrem Blick. Sie sah die Schuldgefühle, die Zoe mit sich herumschleppte. »Das klingt übel, Zoe. Wieso hast du das getan? Du musst einen Grund gehabt haben.«

»Den hatte ich. Du warst der Grund«, meinte Zoe kleinlaut.

»Was? Ich? Wieso?«

»Ich wollte dich da raus holen. Also habe ich mit dem Professor einen Deal gemacht. Ich sollte ihm Maxime ausliefern und im Gegenzug wollte er dich frei lassen. Nur hat er das niemals getan. Er hat mich angelogen.«

»Oh mein Gott, Zoe!«, brach es aus ihr hervor. »Das wusste ich nicht. Du hast es für mich getan?« Fassungslos sah sie ihre Schwester an. Ihr Herz erwärmte sich für sie. Sie hatte sie befreien wollen. Sie hatte ihr helfen wollen und dafür hatte sie den Mann verraten, der für sie bestimmt war. Das war makaber. Quinn sprang auf und umrundete den Tisch. Sie nahm ihre Schwester in die Arme und fuhr mit ihrer Hand über ihren Rücken. »Es tut mir leid, Zoe. Das hättest du nicht tun sollen. Nicht für mich«, flüsterte sie in ihr Ohr.

Zoe schniefte kurz und schüttelte den Kopf. »Natürlich habe ich das tun müssen. Du bist meine Schwester. Du bist die einzige Familie, die ich noch habe. Wie hätte ich da stillhalten sollen, wenn ich doch wusste, welche Qualen du erleidest?«

»Ach Zoe, ich bin dir dankbar, dass du das für mich tun wolltest. Ich hätte niemals gewollt, dass du so eine Gefahr für mich auf dich nimmst.« Sie rückte ein wenig von ihr ab und sah sie an.

»Egal, es ist geschehen, Quinn. Du kannst dir sicher denken, wie wütend Gerard auf mich war. Alles stand auf der Kippe und dabei habe ich etwas für ihn empfunden. Er war so autoritär und so charmant, ich war total durcheinander und ich hatte Angst vor Vampiren. Meine Gefangenschaft beim Professor war alles andere als einfach. Ich hatte ein falsches Bild von ihnen, weißt du? Gerard war wundervoll. Er ist so geduldig mit mir gewesen und hat mir geholfen, es zu verstehen, ihn zu verstehen. Von daher glaube ich daran, dass du mit Jack einen Weg finden wirst. Er wird mit dir sprechen, wenn er so weit ist, glaub mir. Gib ihm einfach ein wenig Zeit, ok? Für ihn ist das sicher nicht einfach. Soweit ich weiß, wollte er niemals etwas mit dem Fluch zu tun haben. Speziell wegen seiner Verachtung gegenüber Hexen.«

Quinn hörte ihr aufmerksam zu. Mit jedem Wort aus Zoes Mund fühlte sie sich besser. Sie musste ihr zustimmen. Vielleicht urteilte sie vorschnell über Jack. Sie nickte zustimmend und setzte sich auf ihren Stuhl.

»Ich war so frei und habe für uns etwas vorbereitet. Ich habe die anderen eingeladen und wir machen uns heute einen schönen Abend. Nur wir Frauen, versteht sich. Ich glaube, das ist längst überfällig. Wir haben uns bisher noch nie ohne die Männer getroffen, weißt du? Ich hätte dich gern mit dabei, Quinn.«

»Was?«, fragte Quinn überrascht. Sofort stellte sich Nervosität ein. Sie wusste sofort, von welchen Frauen Zoe sprach. Nur hatte sie nicht das Gefühl, dass sie zu ihnen gehörte. Und jetzt sollte sie mit ihnen einen Mädelsabend verbringen? Unvorstellbar!

»Jetzt sieh mich nicht so verdattert an, Quinn. Es wird dir gefallen. Wir tauschen uns einfach aus und lernen uns dabei etwas besser kennen. Immerhin tragen wir alle dasselbe Schicksal, mehr oder weniger. Ich finde, es steht uns zu, dass wir uns anfreunden. Findest du nicht?« Zoe wirkte hocherfreut, sobald sie davon sprach.

»Sind einige von ihnen nicht Vampire?«, hakte Quinn unsicher nach.

»Ja, sie wurden verwandelt. Stört dich das denn?«

»Nun ja, ich weiß nicht. Ich kenne sie nicht näher. Außerdem habe ich gerade erst von alldem erfahren und ich bin unsicher, ob ich jetzt schon mit ihnen reden sollte, verstehst du?«

»Du hast Angst vor ihnen? Quinn, das musst du nicht. Sie sind Frauen, genauso wie wir. Ob sie Fangzähne haben oder nicht, wir haben mit ihnen etwas gemeinsam. Ein Austausch kann nicht schaden. Du musst dich nicht ausgegrenzt fühlen, Quinn. Ich bin mit dabei. Ich passe auf dich auf, keine Sorge.« Sie lächelte Quinn frech an.

»Na schön, aber ich kann dir nichts versprechen. Vermutlich werde ich permanent schweigen oder sie blöd anstarren. Das kann niemals gut gehen, fürchte ich.«

»Beruhige dich, es wird super werden, du wirst sehen. Ich habe sie für neunzehn Uhr bestellt. Sieh zu, dass du rechtzeitig fertig bist.«

Quinn biss in ihr Brötchen und nickte leicht. Ihr Unbehagen konnte sie nicht ablegen. Wie sollte sie einen Abend lang mit den Frauen der Vampire überstehen? Sie waren ihr weit voraus. Zoe ließ nicht mit sich reden und plapperte einfach weiter, als ob nichts wäre. Quinn hörte nur mit halbem Ohr zu, denn ihre Gedanken schweiften ab. Sie sah, wie eine der Frauen sich über sie beugte, um ihre Fangzähne in ihren Hals zu bohren. Sie schauderte und schüttelte den Kopf. Auf jeden Fall sollte sie ruhiger werden, wenn sie diesen Abend überstehen wollte. Doch sie wusste, dass sie den ganzen Tag an kaum etwas anderes denken würde.

 

Kapitel2

In der Annahme er wäre allein, zog sich Jack in den großen Salon des Hauses zurück. Doch als er die Türschwelle betrat, stockte er. Gerard saß in einem der Sessel und tippte mit den Fingern auf seinem Handy herum. Mit wem er gerade kommunizierte, konnte er nicht sagen. Anhand der angespannten Miene, die Gerard zeigte, schien es ein ernstes Thema zu sein. Im Begriff den Salon zu verlassen, drehte Jack sich herum.

»Du kannst hereinkommen, Jack«, ertönte die autoritäre Stimme von Gerard.

Jack spannte sich an und unterdrückte einen Fluch, der ihm auf den Lippen lag. Wie hatte er annehmen können, Gerard würde seine Anwesenheit nicht bemerken? Er drehte sich um und sah ihn direkt an. Ohne von seinem Handy aufzusehen, fügte Gerard noch hinzu: »Ich muss mit dir reden. Setz dich!«

Jack trat näher. Anstatt sich zu setzen, ging er zielstrebig zu eines der Fenster. Er stellte sich breitbeinig davor und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Obwohl er ahnte, worum es Gerard ging, konnte er nicht sagen, dass er froh darüber war. Er hatte andere Probleme, die ihn weitaus mehr beschäftigten als seine Vergangenheit. Er sammelte sich und wappnete sich für die anklagenden Worte.

»Ich will eine ganze Weile schon mit dir reden, Jack«, hörte er Gerard hinter sich. Er nickte leicht und wartete einfach ab.

»Ich bin mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass ich dir unrecht getan habe.«

Jack hob überrascht eine Augenbraue an. Er mied weiterhin den direkten Blickkontakt, indem er aus dem Fenster sah. »Wie bist du zu dieser Erkenntnis gelangt?«, fragte er monoton.

»Es hat eine Weile gedauert, das gebe ich gern zu. Du kannst mir nicht verdenken, dass ich dir mit Misstrauen entgegengekommen bin. Wir hatten keinen guten Start, wenn ich dich daran erinnern darf. Jetzt, wo ich weiß, wie die Umstände für dich waren und weshalb du es getan hast, kann ich dich verstehen, Jack.«

Jack drehte sich zu Gerard herum und verschränkte die Oberarme vor der Brust. Engstirnig sah er Gerard direkt in die Augen. »Kannst du das, Gerard? Ich glaube nicht, dass du jemals so einen Hunger verspürt hast, oder? Hast du jemals über Jahre hinweg die Nahrung verweigert oder dich nur von Tierblut ernährt? Ich denke nicht.«

Gerard begegnete seinem Blick und ließ sich nicht anmerken, wie die Worte von Jack an ihm nagten. Er atmete tief durch. Wenn er das hier erfolgreich zum Abschluss bringen wollte, musste er die Ruhe bewahren. Es würde nichts bringen, wenn sie erneut in Streit ausbrachen. Er räusperte sich, schaute kurz auf sein Handydisplay und sah zu Jack. »Du hast allen Grund, meine Worte anzuzweifeln. Ich meinte den Verlust, den du erlitten hast, Jack. Und nein, so einen Hunger habe ich noch nicht gespürt. Ich war bisher wütend auf dich, weil du mich verwandelt hast, obwohl ich dich anflehte, mich sterben zu lassen. Hast du dich irgendwann einmal gefragt, weshalb ich dem Leben abschwören wollte und von dem Kirchenturm gesprungen bin?«

»Zum damaligen Zeitpunkt nicht. Es war mir schlichtweg egal. Aus mir sprach der Hunger, Gerard. Du bist direkt vor meine Füße gefallen, blutüberströmt und dem Tode nahe. Ich hatte keine Chance. Im ersten Moment dachte ich noch daran, dass es ein Wink des Himmels sein muss. Im nächsten Moment dachte ich nur noch daran zu trinken. Die Verwandlung von dir geschah, weil ich mich schuldig fühlte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und du wärst dort gestorben, Gerard. Doch das konnte und wollte ich nicht zulassen. Nicht so. Also entschloss ich mich, dich zum Vampir zu machen. Ehrlich gesagt, habe ich deine Worte kaum vernommen. Ich war wie im Rausch. Erst viel später habe ich erfahren, was deine Beweggründe waren.« 

Gerard hörte ihm aufmerksam zu und nickte leicht. Die Lippen fest aufeinander gepresst, ließ er das sacken. «Es ist geschehen, daran können wir nichts mehr ändern. Vielleicht hast du recht und es war so etwas wie Schicksal, dass wir uns in dieser Nacht begegnet sind. Vielleicht wollte Gott mich noch nicht tot sehen. Keine Ahnung, letztendlich ist das nicht mehr wichtig. Ich vergebe dir, Jack.«

Überrascht sah er ihn an. Vergebung? Und das aus Gerards Mund? Das war kaum zu glauben. »Wir haben beide große Verluste erlitten. Wenn das jemand versteht, dann du, Gerard. Das weiß ich mittlerweile. Ich danke dir für deine Vergebung«, meinte Jack aufrichtig.

Gerard nickte und entspannte sich sichtlich. »Die Sache mit dem Vampirrat ist da eher außen vor. Das will ich direkt klarstellen. Ich mag es nicht sonderlich, wenn man mir auf Schritt und Tritt folgt und mich ausspioniert.«

»Wie du sicher festgestellt hast, habe ich in letzter Zeit keinen Bericht erstattet«, verteidigte sich Jack sogleich.

»Ja, das haben sie dir übel genommen. Ich habe es bemerkt. Jedenfalls hast du in Erik einen Fürsprecher gefunden. Er mag dich. Und ich lege auf Eriks Meinung viel Wert. Von daher möchte ich, dass wir zusammenarbeiten, Jack. Wir können jede Unterstützung gebrauchen.« Fragend sah er ihn direkt an.

»Ich bin noch hier, Gerard. Wenn ich nicht helfen wollte, wäre ich längst verschwunden. Egal, was der Vampirrat dazu sagt. Außerdem schwirren mir die merkwürdigen Aussagen des Hybriden im Kopf herum.«

»Ah du meinst die kryptischen Äußerungen von ihm, was die Zukunft angeht? Ja, das ist beängstigend. Was hat er zu dir gesagt?«

»Er meinte nur, dass ich wichtig bin für den Erfolg unseres Unterfangens. Er hat von mir verlangt, Quinn aufzuhalten und zu mir zu holen. Letztendlich klang es so, als ob er sagen wollte, ich muss alles dafür tun, sodass ich nicht dem Blutrausch verfalle, weil ihr mich noch brauchen werdet. Keine Ahnung, was genau das bedeuten soll.« Er schüttelte ratlos den Kopf.

Gerard betrachtete ihn interessiert. »Ich bin froh, dass du hier bist, Jack. Ich kann somit auf dich zählen?«, hakte er nach.

Jack nickte leicht. »Natürlich. Ich will den Sieg genauso wie ihr.«

Gerard lächelte erleichtert und erhob sich, um zur Bar zu schlendern. Er füllte zwei Gläser mit Bourbon und reichte im Anschluss eines der Gläser an Jack weiter. »Das sollten wir besiegeln.« Er hob sein Glas in die Höhe und sah Jack direkt in die Augen. »Auf uns und unseren Sieg«, prostete er ihm zu.

Jack grinste und erwiderte den Prost, bevor er einen Schluck nahm. »Auf unseren Sieg«, wiederholte er feierlich.

Gerard klopfte mit der Hand auf seine Schulter. »Es tut gut, dass wir das geklärt haben. Ehrlich gesagt, hat Erik mich bedrängt. Er sieht es nicht gern, dass wir uns streiten.«

»Erik ist verdammt optimistisch in vielen Dingen. Keine Ahnung, woher er diesen Optimismus nimmt. Ich muss sagen, dass er mir ein guter Freund geworden ist«, offenbarte Jack ihm.

Gerard konnte ihm nur mit einem Nicken zustimmen. »Ja, er ist ein feiner Kerl. Ich glaube, dass er mittlerweile der Einzige von uns ist, der zu Charlie eine tiefere Bindung aufgebaut hat.«

»Kein Wunder, er weicht kaum von seiner Seite. Habt ihr denn herausgefunden, was der Trigger ist?«

»Nein, noch nicht. Wir arbeiten daran. Doch vorerst müssen wir uns auf ein anderes Problem vorbereiten.« 

»Das Treffen der Frauen heute Abend?« Jack grinste ihn wissend an.

»Du weißt davon?«

Jack lachte lauthals. »Natürlich, deine Frau war zuvor bei mir und hat mich um Erlaubnis gebeten, dass Quinn dazu stoßen darf.«

»Sie hat dich um Erlaubnis gefragt?« Gerard sah ihn erstaunt an. »Das wusste ich nicht. Hättest du es ihr verboten?« Neugierig betrachtete er ihn und studierte seine Reaktion auf seine Frage.

Jack starrte kurz auf den Bourbon in seiner Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, es ist gut, dass sie die anderen Frauen näher kennenlernt.«

Gerard stimmte ihm zu. »Ja da gebe ich dir recht, aber das hatte ich nicht gemeint. Wir haben weitaus größere Schwierigkeiten.«

»Ok, ich höre. Worum geht es?«

»Ich habe gerade mit André geschrieben. Der Journalist, dem sie die Informationen auf dem Stick gegeben haben, ist bereit, sie zu veröffentlichen. Und zwar innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden.«

»Wow, das ging schnell. Ist das nicht gut und genau das, was wir erreichen wollten?«

»Ja und nein. Ich dachte, wir hätten noch ein wenig Zeit. Zumindest so lange, bis wir die Jäger ausgeschaltet haben. Wenn die Informationen ans Licht kommen, wird es für eine Menge Aufsehen sorgen. Die Jäger könnten das zu ihrem Vorteil nutzen und die Menschen auf ihre Seite ziehen.«

Jack verstand seine Besorgnis und nickte leicht. »Ja, das könnte ein Problem werden. Was tun wir also?«

Gerard hörte seine Frage und dachte darüber nach. »Ich bin noch nicht sicher. Ich denke, wir werden abwarten müssen, welche Wellen es schlägt. Und dann entscheiden wir, wie wir vorgehen. Auf jeden Fall werde ich dem Vampirrat berichten müssen. Und das am besten bevor die Presse es öffentlich macht.«

»Ein guter Plan, ich stimme dafür«, sagte Jack zuversichtlich. Daraufhin stoßen sie erneut mit ihren Gläsern an.

»Und jetzt erzähl mir, wie es mit Quinn so läuft?«, fragte Gerard ohne Umschweife.

Jack zuckte mit den Schultern. »Wie soll es laufen? Wir haben uns ausgesprochen und sie scheint nicht mehr davonlaufen zu wollen. Das ist ein Anfang, denke ich.«

»Du hast weiterhin keine Erinnerung an diese Nacht?«

»Nein«, antwortete Jack mit bedauerndem Unterton.

»Dann sollten wir einen von ihnen fragen, ob sie dir damit helfen können.«

Jack sah auf und runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du?«

»Ich rede davon, dass drei der mächtigsten Vampire mit uns unter diesem Dach hausen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie den Zauber oder die Manipulation aufheben können, wenn du sie darum bittest. Deine Erinnerungen wurden dir nicht von einem Vampir genommen, sondern durch Hexen. Die drei kennen sich damit aus und sie haben in der Vergangenheit öfter einen Zauber von einer Hexe aufgehalten.«

Daran hatte Jack noch nicht gedacht. Verwundert sah er Gerard an. »Ich bin nicht sicher, ob sie das können.«

»Ein Versuch ist es wert, Jack. Dann hättet ihr zumindest dieses Thema abgehakt und könnt euch auf die Zukunft konzentrieren.«

»In Ordnung, ich werde sie fragen.«

Gerard sah ihn weiterhin eingehend an und spürte, dass da noch mehr war. »Das ist es nicht, was dich bedrückt, oder?«

Jack schüttelte den Kopf und setzte sich in einen der Sessel. Er bettete seinen Fuß auf ein Knie und schwenkte den Bourbon gedankenversunken im Glas hin und her. »Ich habe Schwierigkeiten, mich zurückzuhalten«, gestand er ihm.

Gerard horchte auf und wusste sofort, wovon er sprach. »Vermutlich liegt es daran, dass du befürchtest, du könntest sie doch noch verlieren. Der Vampir in dir will sie an sich ketten, um das zu verhindern. Ich verstehe, dass das nicht einfach ist. Bedenke, dass du ihr Einverständnis benötigst, Jack. Hast du mit ihr darüber gesprochen?«

»Nein«, sagte Jack bedrückt. »Sie freundet sich gerade erst mit der Situation an. Von daher befürworte ich das Treffen mit den Frauen. Vielleicht können sie ihr helfen oder sie unterstützen. Wieso hast du Zoe noch nicht verwandelt? Es muss dir doch in den Fingern jucken, es endlich zu tun, oder?«

»Wir sind uns einig, dass es dazu kommen wird. Allerdings habe ich ihr die Entscheidung überlassen, zu welchem Zeitpunkt. Mit dieser Regelung bin ich zufrieden oder besser gesagt, der Vampir in mir ist damit besänftigt.«

Jack dachte angestrengt nach und horchte in sich hinein. Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich fürchte, das ist keine Lösung für mich. Nicht nachdem, was ich erlebt habe. Der Vampir in mir kennt die Auswirkungen, wenn ich ihm etwas verweigere. Es würde nicht gut enden, für keinen von uns. Entweder gebe ich ihm, was er will oder es wird noch qualvoller für mich werden.«

Gerard sah ihn mitfühlend an. »Ich verstehe. Du solltest zwingend das Gespräch mit ihr suchen. Erkläre es ihr. Vertraue dich ihr an. Wenn es eine Person gibt, die dich am besten versteht, ist es deine Frau.«

»Und was soll ich tun, wenn sie sich dagegen sträubt? Oder wenn sie ebenfalls noch warten will, und das auf unbestimmte Zeit? Ich habe Angst davor, was geschieht, wenn ich es nicht mehr kontrollieren kann.«

»Wenn es so sein sollte, komm auf mich zu, Jack. Ich helfe dir, die Kontrolle zu behalten, selbst wenn ich dich dafür eigenmächtig anketten muss. Bedenke immer die oberste Regel, wir verwandeln unsere Frauen nicht ohne ihr Einverständnis. Außer es besteht ein ernst zu nehmender Notfall, wie das bei André oder Caleb der Fall war. Verstehen wir uns?«, fragte er mit Nachdruck.

Jack erwiderte seinen Blick und spannte die Kiefermuskeln an. Er nickte leicht und gab Gerard damit sein Einverständnis. »Was willst du mit den Jägern tun?«, lenkte er mit seiner Frage vom Thema ab.

»Markus, der Spitzel von Valerius, ist weiterhin unter ihnen und versorgt uns mit Informationen. Entweder schalten wir sie alle mit einem Mal aus oder wir nehmen sie uns einzeln vor. Auf jeden Fall müssen sie aufgehalten werden. Laut Markus haben sie erste Erfolge erzielt und zwei Vampire umgepolt. Wenn das noch mehr werden, wird es schwieriger, sie zu erledigen.«

Jack behagte dieser Plan nicht sonderlich und das gab er ohne Umschweife zu verstehen. Wenn es nach ihm ginge, wären sie heute Nacht unterwegs und würden sich die Jäger vornehmen. Doch Gerard blieb bei seinem Standpunkt und wollte nicht vorschnell handeln. Nicht nach allem, was gerade im Hintergrund lief.

»Dir ist hoffentlich klar, dass wir für Aufsehen sorgen werden, wenn wir erst starten, nachdem die Presse und die Welt da draußen von uns erfährt, oder? Mit Pech können wir keinen Schritt mehr aus dem Haus wagen, ohne das wir belagert werden. Wie willst du die Jäger aufspüren und ausschalten?« 

Gerard dachte ernsthaft über seine Worte nach. Das war ein Aspekt, der ihm ebenfalls nicht behagte. Sobald ihre Existenz offenbart war und sich die Gerüchte um sie bewahrheiteten, durften sie sich keine Aussetzer leisten. Dann zählte nur noch, dass sie von den Menschen nicht als Feinde angesehen wurden. Sie mussten sich in einem guten Licht präsentieren. Doch wie er das bewerkstelligen sollte, war ihm momentan noch schleierhaft. »Ich muss mit dem Rat sprechen, was das angeht. Eventuell können wir unbemerkt vorgehen. Wir müssen uns nur einen guten Plan zurechtlegen.«

Jack sah ihn zweifelnd an. So oder so werden die nächsten vierundzwanzig Stunden alles verändern. Die Menschen werden erfahren, dass sie längst unter ihnen leben. Sie werden von dem Labor und den Experimenten erfahren, von den Soldaten und dann wird sich zeigen, ob sie gut auf die Vampire zu sprechen waren oder nicht.

 

Kapitel 3

Quinn stand vor der verschlossenen Tür und lauschte dem Gelächter, das von innen zu ihr vordrang. Nervös fuhr sie mit ihren schwitzigen Händen über ihre Jeans. Sie verspätete sich um einige Minuten. Was sollte sie zu ihnen sagen? Wie würden die Frauen sie aufnehmen? Sie wusste, dass sie diese Antworten nur erhielt, wenn sie es hinter sich brachte und den Raum betrat. Dennoch war die Nervosität vorhanden und sie haderte mit sich. Als ob er ihre Unruhe spürte, bemerkte sie seine Anwesenheit. Sie zuckte kurz zusammen, als Jack hinter ihr stand und sie mit dem Rücken an sich zog. Seine Arme legten sich um sie und sein Mund kam ihrem Ohr näher. Ihre Haut kribbelte verräterisch, sobald sie seinen warmen Atem im Nacken spürte.

»Dir wird nichts geschehen. Ich verspreche es dir. Ich bin in der Nähe, falls du mich brauchst. Und jetzt geh da rein, Quinn. Sie beißen nicht«, flüsterte er ihr zu und lachte leise.

Ein Schauer durchfuhr sie, als er ihr so nahe war. Wie zweideutig seine Worte waren, musste sie ihm nicht auf die Nase binden. Sie wusste, dass er absichtlich diese Wortwahl wählte. Doch anstatt verärgert zu sein, lächelte sie leicht und schmiegte sich dichter an ihn. Er hauchte federleichte Küsse auf ihren Hals, sodass sie die Augen schloss und diesen Moment genoss. Ein Luftzug überraschte sie und bevor sie etwas erwidern konnte, war Jack verschwunden. Sie drehte sich um und konnte keine Spur von ihm sehen. Wie hatte er das gemacht? Kopfschüttelnd runzelte sie die Stirn und gab sich einen Ruck. Die Hand auf die Türklinke gelegt, nahm sie einen tiefen Atemzug und öffnete die Tür. Die Stimmen verstummten sofort, sobald die Tür aufging und sie eintrat. Alle Blicke legten sich auf sie. Kurz sah sie zu ihrer Schwester, die ihr aufmunternd zulächelte. Quinn brachte keinen Ton heraus und nahm die Präsenz der Frauen in sich auf. Das Erste, was sie bemerkte, war, wie schön sie alle waren. Jede für sich einzigartig. Frankie stach mit ihren roten langen Locken heraus, Jodie mit ihren kecken blauen Augen und Lexi mit ihren pinken Haaren.

»Du bist die geheimnisvolle Hexe, die es geschafft hat, Jack um den Finger zu wickeln«, sagte Jodie sofort mit einem breiten Grinsen in ihre Richtung.

Quinn sah sie direkt und mit offenem Mund an. Als ihre Blicke sich trafen, sie sich kurz gegenseitig musterten, überkam sie ein merkwürdiges Gefühl. Da waren keine Vorurteile, keine Anklagen oder Hass. Jodie sah sie neugierig und freundlich an. Quinn vergaß, was sie hatte sagen wollen und schloss den Mund.

»Komm zu uns, wir haben auf dich gewartet«, sagte Frankie. »Du musst uns alles erzählen. Wir können es nicht erwarten, die Geschichte von dir und Jack zu erfahren.«

Quinn richtete ihren Blick auf Zoe und sah sie erstaunt an. Sie war überwältigt von der Offenheit, mit der sie von den Frauen empfangen wurde. Sie hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie sie direkt willkommen hießen. Es fühlte sich an, als ob sie seit Jahren befreundet waren. In ihren blauen Augen schimmerten Tränen der Freude. Zoe sah es ihr an, dass sie überfordert war, und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich. Quinn steuerte den Platz an und setzte sich zu ihr. Die Frauen redeten weiter, als ob nichts geschehen war. Sie lachten und plauderten über das, was sie mit ihren Männern erlebten. Es kam Quinn so vor, als ob sie mit ihren langjährigen Freundinnen einen Abend verbrachte, um sich über Männer auszutauschen. Die Erleichterung machte sich in ihr breit und ihr Herzschlag beruhigte sich. Als sie beobachtete, wie die Frauen zu den Chips und den Erdnüssen griffen, vermischt mit der Schokolade, die überall auf dem Tisch herum lag, musste sie schmunzeln.

»Wir wollen dein Blut nicht, keine Sorge«, erklang die Stimme von Frankie. Sie musste ihren Gedankengang erraten haben. Beschämt sah Quinn sie direkt an. 

»Zoe hat uns verraten, dass du da ein wenig Bedenken hast.«

Quinn warf ihrer Schwester einen erbosten Blick zu. Zoe lachte auf und schmiegte sich in einer innigen Umarmung an sie. Quinn konnte ihr nicht böse sein und lachte mit ihr mit.

»Entspann dich und habe Spaß mit uns«, sagte Zoe zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange, als sie die Umarmung löste.

»Genau, so einen Abend werden wir mit Sicherheit eine Weile nicht haben können, wenn erst alles aus dem Ruder läuft. Von daher schieß los und erzähl uns von Jack und dir. Und bitte, verschone uns nicht und lass nichts aus, ok?«, meinte Frankie mit einem Augenzwinkern zu ihr.

Quinn lächelte und gab sich geschlagen, als die Frauen sie abwartend ansahen. Sie erzählte ihnen von der ersten Begegnung mit Jack und ließ nichts aus, was zwischen ihnen geschehen war. Natürlich erwähnte sie keine intimen Details. Dafür waren ihr die Frauen noch zu fremd. Sie schienen ihr das nicht übel zu nehmen und hingen an ihren Lippen.

»Du hast ihm die Erinnerung genommen? Wow das ist echt krass«, sagte Lexi in den Raum. »Nimmt er dir das nicht übel?«

»Anfangs schon, denke ich. Ich vermute, es nagt auch jetzt noch an ihm. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen und das weiß Jack.«

»Er wird eine Lösung für das Problem finden«, erwiderte Jodie zuversichtlich. »Von dem, was ich bisher so über ihn gehört habe, ist er sehr ehrgeizig.«

Quinn runzelte die Stirn. »Ist es denn so wichtig, dass er sich daran erinnert?« Bisher hatte sie nie ernsthaft darüber nachgedacht. Da war stets die Angst davor, dass er es überhaupt herausfand.

»Ganz ehrlich?«, fragte Frankie und sah sie direkt an. Sie schien von den Frauen hier die Einzige zu sein, die sich länger mit der Materie befasst hatte. Soweit Quinn wusste, war sie die erste Frau unter ihnen gewesen, die von dem Fluch betroffen war.

»Ich glaube, dass es die Bindung, die eh zwischen euch besteht, verstärken wird. Dieser Moment, wenn er dich markiert und damit seinen Anspruch auf dich geltend macht, ist überwältigend. Und wenn die Frau es bewusst wahrnimmt, ist es für sie ein einschneidendes Erlebnis. Also ja, ich glaube, dass es wichtig ist, dass er sich daran erinnert. Allein deswegen, damit er sich deiner sicher sein kann. Der Vampir in ihm braucht das, denke ich.«

»Du meinst, so wie ein Tier seine Beute bewacht und sich zu eigen macht?«

Frankie wechselte mit den anderen einen kurzen Blick. »Vielleicht nicht so barbarisch, aber ja, da ist schon etwas dran.«

Sofort dachte Quinn an den Moment unter der Dusche zurück. War es das, was Jack so zusetzte? War er sich ihrer unsicher, weil er sich nicht daran erinnerte, sie markiert zu haben? Das klang für sie absurd. Desto länger sie darüber nachdachte, ergab es dennoch Sinn. Sie war mehr als einmal vor ihm davongelaufen und das nach seiner Markierung. Er hatte nichts, woran er sich festhalten konnte, außer ihrem Wort, dass sie nicht mehr weglaufen würde. Sie verstand die Denkweise eines Vampirs noch nicht so gut, aber im weitesten Sinne war ein Vampir eine Art Monster oder ein Tier. Und Tiere waren auf Beutefang aus. Manche Tierarten fanden einen Partner und blieben ein Leben lang an seiner Seite. Sie dachte sofort an Schwäne. War das mit Vampiren ähnlich? Brauchten sie die Gewissheit und diese holten sie sich mit dieser Markierung? Der Fluch, der sich dahinter verbarg, war ja letztendlich nur ein Auslöser für die Anziehung zueinander. Die Markierung war der entscheidende Zeitpunkt, an dem der Vampir sich für diese Frau entschied und sie beanspruchte.

»Oh je, jetzt haben wir dich durcheinandergebracht, oder?«, fragte Jodie und sah sie mitfühlend an.

Quinn winkte ab und lächelte zaghaft. »Kein Problem, ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich mit jemandem darüber reden kann. Ich verstehe es noch nicht und da hilft es sehr, dass ihr da mehr Erfahrung habt.«

Die Frauen nickten zustimmend. Und dann erzählte jede von ihnen, wie die Markierung bei ihnen ablief. So erfuhr Quinn, dass bei einigen von ihnen dies ohne ihr Wissen geschah. Letztendlich ging es immer vom Vampir aus, dass er die Frau nicht aufgab und nach ihr suchte. Sie bemerkte sofort den Unterschied. Jack hatte eher Abstand gewollt und hatte sie eher von sich gestoßen, auch wenn sein Körper sich dagegen sträubte. Dann noch zu erfahren, dass er sie längst markiert hatte und keine Erinnerung daran hatte, das musste schwer für ihn zu ertragen sein. Sie verstand es so langsam. Und ihre Schuldgefühle verstärkten sich nur noch. Was hatte sie nur getan? Sie schluckte schwer und war den Tränen nahe, sobald sie daran dachte, wie Jack sich damit fühlen musste. »Was habe ich ihm angetan?«, kam es aus ihrem Mund, bevor sie es hätte stoppen können. Ihr Kopf fuhr hoch, als sie bemerkte, dass sie laut sprach. Das hatte sie nicht gewollt. Entschuldigend sah sie in die Runde und versuchte sich an einem Lächeln.

»Wir sind nicht böse auf dich, Quinn. Wir können es verstehen. Du warst in einer angespannten Lage. Du warst eine Hexe und wolltest dein Talent ausbauen«, sagte Frankie zu ihr und betrachtete sie einfühlsam. »Es ist kein Geheimnis, dass eine Bindung zwischen einer Hexe und einem Vampir bisher niemals gut ausging. Was meinst du, wie der Fluch entstand? Es lag an einer Hexe, die unglücklich in einen Vampir verliebt war. Von daher ist es wundervoll, wenn du und Jack beweisen können, dass es dennoch möglich ist. Ihr müsst nur fest an euch glauben. Und ihr müsst miteinander reden, Quinn. Sprich mit ihm über deine Ängste und höre ihm genau zu, selbst wenn er sich sträuben wird. Männer geben ungern zu, dass sie versagt haben, egal, worum es geht. Da sind Vampire nicht anders.«

Die anderen nickten einstimmig. Quinn tat es ihnen nach und wischte sich die Träne aus dem Gesicht. Sie hatte nicht vor den anderen weinen wollen. Von daher war sie froh, dass die Frauen ihr Verständnis entgegenbrachten.

»Und jetzt lasst uns zum eigentlichen Thema des Abends kommen«, meinte Jodie geheimnisvoll.

Sofort richteten sich sämtliche Augenpaare auf sie. Breit grinsend sah sie eine nach der anderen an. »Einige haben es hinter sich und sind verwandelt worden. Wir sollten darüber sprechen. Wie war es für euch? Wie fühlt ihr euch damit? Bereut ihr es?«

Frankie lachte und schüttelte belustigt den Kopf. »War klar, dass du damit kommst, Jodie. Bisher betrifft es ja nur dich und meine Wenigkeit. Ja, ich glaube, die anderen wollen diese Fragen beantwortet haben, oder?«, fragte sie in die Runde.

Quinn, Zoe und Lexi sahen die beiden neugierig an und nickten sofort. Das Funkeln in ihren Augen deutete darauf hin, dass sie es nicht erwarten konnten, mehr über die Verwandlung und die Auswirkungen zu erfahren.

»Wir sind vorher nicht gefragt worden«, sagte Frankie theatralisch und rollte mit den Augen. Gelächter erklang in dem Raum über ihren trockenen Humor.

»Allerdings muss erwähnt werden, dass wir nicht mehr unter euch wären, wenn unsere Männer nicht so gehandelt hätten.«

»Genau, sie haben uns damit das Leben gerettet. Das sollten wir berücksichtigen. Ich glaube, dass es früher oder später eh dazu gekommen wäre. Oder wie seht ihr das? Wie geht es euch damit? Denkt ihr darüber nach? Wollt ihr es bereits?«, fragte Jodie nach.

Die anderen drei sahen sich gegenseitig an. Lexi und Quinn schienen mit dem Thema unsicherer zu sein als Zoe. Dies bestätigte sich, als Zoe als Erste antwortete: »Ich bin bereit dafür. Ich habe mit Gerard gesprochen und ihm gesagt, dass ich es tun werde. Ich warte noch auf den richtigen Moment. Keine Ahnung, als ob ich da auf ein Zeichen von oben warte, versteht ihr, was ich damit meine?«

»Durchaus, es ist ein wichtiges Thema und wirkt sich auf das restliche Leben aus. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst, Zoe. Du wirst es spüren, wenn der richtige Augenblick kommt.« Frankie betrachtete sie wohlwollend und lächelte ihr zu.

»Und was ist mit Kindern? Wollt ihr keine?«, hakte Lexi nach.

»Ich hätte kein Problem damit Kinder zu adoptieren, falls es zu so einem Wunsch kommen sollte«, sagte Jodie. »Gerard hat doch Erik und Maxime bei sich aufgenommen. Und sie blieben Menschen, bis sie eigenmächtig entscheiden konnten, ob sie die Verwandlung wollen oder nicht. Ich denke, genauso würde ich es auch handhaben.«

»Das ist ein schöner Gedanke, Jodie«, sagte Frankie. »Ich muss ehrlich gestehen, dass ich noch nie darüber nachgedacht habe. Ich kann nicht sagen, ob ich Kinder haben möchte oder nicht. Ich bin sicher, dass Caleb und ich einen Weg finden werden. Und wie Jodie schon sagt, es gibt mehrere Möglichkeiten, auch wenn man selbst keine Kinder mehr zeugen oder austragen kann.«

»Wow, ich stelle fest, dass ihr euch wunderbar mit eurer Verwandlung arrangiert habt. Das bestärkt mich in dem Wunsch, es ebenfalls zu tun. Danke für eure offenen Worte«, sagte Zoe lächelnd.

»Gerne meine Liebe. Ich kann euch mit auf dem Weg geben, dass es um einiges leichter ist, wenn euch ein Mann zur Seite steht, der euch anlernt. Wenn ich daran zurückdenke, wie einfühlsam und geduldig André mit mir war, als ich noch lernen musste, ein Vampir zu sein, wird mir warm ums Herz.« Jodie starrte mit verträumtem Blick vor sich hin.

Lexi und Quinn wechselten einen vielsagenden Blick miteinander und grinsten. Lexi spielte unentwegt mit ihrem Haargummi in ihren Händen. Als sie zustimmte, bei diesem Treffen zu erscheinen, hatte sie anfangs Bedenken gehabt. Die Angst davor, von ihren Erlebnissen zu erzählen, hatte sie nervös werden lassen. Doch inzwischen wusste sie, dass sie das nicht tun musste, wenn sie das nicht wollte. Keine der Frauen sprach sie darauf an, als ob sie ihr die Zeit geben wollten, die sie brauchte. Und dafür war sie so dankbar. »Auf jeden Fall denke ich jetzt mit einer gewissen Gelassenheit daran. Und das verdanke ich euch beiden«, sagte sie an Frankie und Jodie gewandt.

»Nehmt es mir nicht übel, dass ich mich mit diesem Gedanken noch nicht beschäftigen kann«, sagte Quinn in die Runde. »Ich glaube, dafür muss ich erst noch mit Jack ins Reine kommen. Ich möchte euch für eure aufrichtigen Worte danken. Das hilft mir weiter.«

Die Stimmung lockerte sich unter den Frauen immer mehr auf. An diesem Abend entstanden neue Freundschaften und sie beschlossen dieses Treffen zu einer Regelmäßigkeit werden zu lassen. Von nun an wollten sie sich mindestens einmal im Monat austauschen und ihre Freundschaft pflegen.

 

Kapitel 4

Schweißgebadet schreckte Lydia in ihrem Bett hoch. Panisch sah sie sich um und spitzte die Ohren. Die Hand ruhte auf ihrer Brust, nahe ihrem Herzen. Ihre Atmung ging flach. Ihr Schlafzimmer lag im Dunkeln. Einzig der Mondschein schimmerte durch das Fenster und spendete ein wenig Licht. Nach und nach kam sie zu der Erkenntnis, dass sie nur geträumt hatte. In ihrem Traum hatte Esteban die Hände um ihre Kehle gelegt. Mit einem mordlustigen Blick hatte er auf sie hinunter geschaut und den Druck seiner Hände nach und nach verstärkt, bis ihr der nötige Sauerstoff kontinuierlich ausging. Kurz bevor sie erstickte, war sie aufgewacht. Die Bilder des Traumes jagten ihr hinterher. Ihre Hand zitterte, als sie ihre Haare aus dem Gesicht strich. Schwer schluckend sammelte sie sich und sagte sich, es war nur ein Traum. Ihr drohte keine Gefahr. Dennoch stand sie auf und lief geradewegs zur Kommode, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Sie murmelte einen Zauberspruch, sodass sie den Türgriff berühren konnte, um diese zu öffnen. Als sie das Buch erblickte, atmete sie erleichtert aus. Seitdem sie es Esteban gestohlen hatte, musste sie mindestens dreimal am Tag nachsehen, ob es noch an Ort und Stelle war. Sie rechnete jeden Moment mit seinem Erscheinen. Und dass er alles andere als nett sein würde, stand außer Frage. Immer noch sah sie seinen wütenden Blick auf ihr ruhen, kurz bevor sie sich aus seinem Zimmer teleportiert hatte. Seine Drohung holte sie mehrmals am Tag ein und wiederholte sich wie ein Mantra in ihren Erinnerungen. »Das hättest du nicht tun sollen«, waren seine letzten Worte an sie. Lydia schluckte und versuchte, die Angst vor ihm zu unterdrücken. Doch ihre Träume seit ihrem Diebstahl ließen sich nicht leugnen. Er verfolgte sie. In ihren Erinnerungen und in ihren Träumen. Bisher hatte sie es nicht gewagt, das Buch zu öffnen, geschweige denn den Spruch zu nutzen, der ihr Problem mit einem Schlag lösen würde. Mit nur einem Zauberspruch konnte sie die Bindung zu ihm kappen. Unwiderruflich und augenblicklich, sobald der Spruch seine Wirkung tat. Das Einzige, worauf sie achten musste, war, dass er sie nicht vorher markierte. Sollte das geschehen, bevor sie den Zauberspruch aussprach, würde er ihr nichts mehr nützen. Immer wieder fragte sie sich, weshalb sie es nicht längst tat? Worauf wartete sie? Sie konnte es sich nicht erklären. Es schien, als ob eine Stimme in ihr, ständig zu ihr sprach und sie davon abhielt. Aber wieso? Sie tat doch das Richtige, oder nicht? Als sie an den Kuss dachte, den sie mit Esteban ausgetauscht hatte, überzog sie ein Schauer. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn so nah an sich heranzulassen. In diesem Augenblick fiel ihr nichts anderes ein, um ihn abzulenken. Also hatte sie sich an ihn geschmiegt und ihre Lippen auf seinen Mund gepresst. Es sollte ein kurzer, flüchtiger Kuss werden. Doch es kam anders. Der Kuss wurde stürmischer, verzweifelter und hielt eindeutig länger an als geplant. Lydia musste sich eingestehen, dass es ihr gefallen hatte. Zum Glück war sie in diesem Moment noch so geistreich gewesen, Esteban mit einem Zauber von sich zu stoßen, bevor weitaus Schlimmeres geschehen wäre. Seitdem waren drei Tage vergangen. Jede Nacht erschien er in ihren Träumen und entledigte sich ihrer. Immer mit einer anderen Methode, letztendlich blieb es bei dem Ergebnis. Er brachte sie um. Einfach so. Lydia schüttelte den Kopf und stand auf. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie zermarterte sich den Kopf, um zu entscheiden, was sie tun sollte. Anstatt das Buch zu öffnen und es endgültig zu beenden, verharrte sie in der derzeitigen Situation. Und das ärgerte sie viel mehr als ihre Träume. In der Küche knipste sie das Licht an und setzte den Wasserkocher auf. Wie jede Nacht setzte sie sich mit einem Tee an den Küchentisch und versank in ihren Gedanken, bis der Sonnenaufgang am Horizont zu erkennen war. Sie wusste, dass sie das nicht weiterbrachte. Es schien so, als ob sie wie gelähmt war. Zu allem Überfluss stand am heutigen Tag ein Treffen mit ihrem Zirkel an. Die Hexen hatten sie darum gebeten. Sie konnte sich denken, worum es ging. Immer noch war sie wütend darüber, dass Esteban ihre Autorität vor ihnen untergraben hatte. Anscheinend war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sie sich dem stellen musste. Sie hatte sich gefragt, wann ihre Hexen damit auf sie zukommen würden. Lydia war nervös. Die Hexen waren eigen und in manchen Dingen engstirnig. Allerdings hatte sie nicht vor dem Treffen fernzubleiben. Sie musste sich dem stellen. Sie war die Anführerin des Hexenzirkels. Irgendwie musste sie ihren Respekt wiederherstellen. Nachdenklich nippte sie an ihrem Tee und genoss es, als die heiße Flüssigkeit in ihrer Kehle herunterrann. Ihr Blick fiel auf den Brief, der vor ihr auf dem Tisch lag. Sie hatte gestern Abend vergessen, ihn an seinen rechtmäßigen Platz zu legen. Das Papier war vergilbt und an einigen Stellen eingerissen. Seitdem sie wusste, dass Esteban vor Ort war, hatte sie den Brief ihrer Mutter hervorgeholt und las ihn mindestens einmal am Tag. Einfach um sich daran zu erinnern, was sie tun musste und um nicht von ihrem Ziel abzuweichen. Die letzten Worte ihrer Mutter an sie waren nicht einfach zu ertragen. Vor allem da Lydia wusste, dass ihre Mutter für den Fluch verantwortlich war. Sie kannte nicht alle Beweggründe, die ihre Mutter dazu veranlasst hatte, aber sie wusste von dem Scheiterhaufen. Die Magie ihrer Mutter umfasste die Möglichkeit von Zeitreisen. Sie selbst versuchte sich ebenfalls daran, bisher gelang es ihr noch nicht. Ihre Mutter wurde bei ihrer letzten unternommenen Zeitreise ins Jahr 1692 versetzt und als Hexe enttarnt auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bisher hatte Lydia nur herausgefunden, dass es eine Gruppe von Priestern gab, die der Hexenverbrennung frönten, anstatt sie zu erhängen, wie es damals üblich war. Zuvor harrte sie in einem Gefängnis aus. In dieser Zeit musste sie ihr diese Zeilen geschrieben haben. Lydia vermutete, dass ihre Mutter mittels einem Zauberspruch dafür gesorgt hatte, dass der Brief sicher verwahrt wurde, sodass sie ihn fand. Tatsächlich hatte sie ihn in den Hinterlassenschaften ihrer Mutter gefunden. Diese Zeilen waren der Grund dafür, weshalb sie den Kontakt zu Esteban einschränkte. Ihre Mutter hatte von ihm gewusst und davon das ihre Tochter mit ihm verbunden war. Sie hatte sie ausdrücklich und namentlich vor ihm gewarnt. Sie sollte sich von Esteban Fairrier fernhalten. Lydia hatte das Puzzle noch nicht zusammengesetzt. Es blieben viele Fragen offen. Zum Beispiel, wie ihre Mutter davon wissen konnte? Schleierhaft war für Lydia auch, weshalb ihre Mutter den Fluch aussprach? Sie glaubte nicht daran, dass es nur daran lag, dass die Vampire sie verrieten und sie dadurch gefangen genommen wurde. Sie hätte den Vampirrat fragen können, doch das hatte sie niemals gewagt. Sie hatte eher alles versucht, um die Aufmerksamkeit des Vampirrates nicht unnötig auf sich zu lenken. Erst in der Nacht, als sie gegen die Soldaten kämpften, hatte sie herausgefunden, dass Esteban längst Bescheid wusste. Er hätte somit jederzeit seinen Anspruch geltend machen können. Er hätte darauf bestehen können, dass es nicht nur beim telefonischen Kontakt blieb, wie sie das verlangte. Wieso hatte er das nicht getan? Diese Frage quälte sie. Irgendwie passte das alles nicht zusammen. Vermutlich war das der Grund, weshalb sie zögerte. Sie musste Klarheit haben. Mit einem tiefen Seufzer nahm sie den Brief ihrer Mutter in die Hand. Vorsichtig faltete sie ihn auseinander. Sie kannte den Inhalt auswendig. Ihre Mutter erklärte ihr in knappen Worten, dass sie sich niemals wiedersehen würden. Sie gab ihr mit auf dem Weg, dass sie an ihrer Magie glauben sollte und diese niemals aufgeben sollte. Sogar eine Warnung gegenüber Vampire hatte ihre Mutter aufgeführt. Sie sprach in ihren Zeilen deutlich davon, dass sie niemals einem Vampir trauen durfte, besonders nicht Esteban. Immer wenn Lydia ihre Zeilen las, wünschte sie sich, dass ihre Mutter diese Zeitreise niemals unternommen hätte. Sie wäre niemals in einem Gefängnis gelandet, geschweige denn auf einem Scheiterhaufen. Diese Zeitreise hatte dafür gesorgt, dass Lydia ihre Mutter verlor, als sie gerade elf Jahre alt war. Inzwischen war sie vierunddreißig Jahre alt. Nach dem Weggang und damit einhergehenden Tod ihrer Mutter hatte sie Unterschlupf bei ihrer Tante gefunden. Die Schwester ihrer Mutter hatte sie bei sich aufgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen. Leider verstarb ihre Tante, als sie einundzwanzig war. Seitdem besaß Lydia keine Verwandten mehr. Wahrscheinlich war das ein Grund, weshalb sie sich an Zeitreisen übte. Für sie war es eine Chance, ihre Mutter noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Sie hatte sich niemals von ihr verabschieden können. Natürlich wusste sie, wie gefährlich es war, Zeitreisen zu begehen. Es gab einige Unwägbarkeiten, die zu berücksichtigen waren. Ihre Mutter war das beste Beispiel dafür, dass es schief laufen konnte. Dennoch hielt sie an ihrem Wunsch fest. Ob sie es schaffen würde, stand auf einem anderen Blatt. Als die ersten Sonnenstrahlen den Raum erhellten, begab Lydia sich ins Badezimmer, um sich für den Tag zurechtzumachen. In weniger als zwei Stunden fand das Treffen mit den Hexen statt. Ihre Nervosität stieg an, desto näher der Zeitpunkt kam. Sie nutzte die ihr verbliebene Zeit, um zu meditieren. Das beruhigte sie.