Die Prophezeiung - Claudia Rack - E-Book

Die Prophezeiung E-Book

Claudia Rack

0,0

Beschreibung

Bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag glaubt Ariana Garet, sie sei eine normale Frau. Doch dann erfährt sie, dass sie Teil einer Prophezeiung ist. Die Engel nennen sie die Auserwählte. Nur sie sei in der Lage, das Portal zum Himmel zu schützen. Und dann ist da auch noch dieser mysteriöse Mann, der sie zu verfolgen scheint und sich als Engel und ihr persönlicher Leibwächter entpuppt. Schnell wird für Ariana klar, dass der Engel an ihrer Seite, ihre Gefühlswelt auf den Kopf stellt. Doch auch für den Anführer der Gefallenen scheint sie Sympathien zu hegen. Wenn da nur nicht dieses eine Gesetz der Engel wäre: "Ein Engel darf sich nicht in einen Menschen verlieben!"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 389

Veröffentlichungsjahr: 2018

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claudia Rack

Die Prophezeiung

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Mit geübtem Blick achtete Jazar auf die Umgebung, ohne seinen Schützling außer Acht zu lassen. Für die Menschen verborgen, lehnte er lässig an einem Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Durch seine Fähigkeit, seine Gestalt zu verschleiern, war er unsichtbar. Die Leute verfolgten stur ihr Ziel: Geschenke besorgen. Jazar verstand nicht, weshalb sie vor Weihnachten nervös die Läden plünderten. Ein frostiger Windzug erwischte ihn, sodass er den Mantelkragen bis zum Kinn zog. Sie saß in einem bescheidenen Café, namens Joes. Sie unterhielt sich angeregt mit ihren Freunden. Wovon sie sprachen, hörte er nicht. Sie lachte und fuhr spielerisch mit einer Hand durch die braune Mähne eines gleichaltrigen Jungen. Jazar wusste, es war ihr Nachbar, mit dem sie aufgewachsen war. Links von ihm saß seine Freundin. Die Geschenke stapelten sich in den Einkaufstüten. Sie ließen den Einkaufsbummel bei einem Kaffee ausklingen. Jazar entspannte sich und roch keine Gefahr. Sie genoss unbeschwert den Tag. Plötzlich spürte er eine Luftveränderung.

   "Du hast dir Zeit gelassen“, begrüßte er ihn. Ramael verzichtete auf die Tarnung und gab sich zu erkennen. Jazar warf ihm einen kurzen Blick zu.

   "Das ist das Schlimme an diesem Job, man steht in der Kälte herum ... ätzend", meinte Ramael angewidert. Jazar verstand ihn nicht. Er tat es freiwillig, um ihre Sicherheit zu garantieren. Die Jahreszeit war ihm egal. "Wie lange stehst du hier schon?", fragte Ramael.

   "Das weißt du genau. Soweit ich weiß, siehst du alles, oder?" Ramael nickte grinsend. Jazar hasste es, ständig unter Beobachtung zu stehen. Allerdings war Ramael sein Mentor und erteilte ihm Befehle. Ab und an ließ er sich sehen, um Details zu besprechen. Oder um seine Macht zu behaupten. Er spürte den angriffslustigen Unterton in Jazars Stimme und zog eine Augenbraue nach oben. Er war es nicht gewohnt, dass man so mit ihm sprach. Ramael schluckte den Zorn kurzerhand herunter. Seine hellblauen Augen schweiften zu dem Café.

   "Ich erinnere dich daran, dass es Zeit ist." Ramael steckte die Hände in die Taschen seines dunkelbraunen Trenchcoat. Jazar schaute zu Boden, um sich zu beruhigen. Mit verschränkten Armen lehnte er lässig an dem Baum. War ihm ein Fehler unterlaufen? Bemerkte Ramael die Gefühle, die er für sie empfand? Scheiterte er bei dem Versuch, sie zu verbergen? Er beobachtete sie unbemerkt seit ihrem dritten Lebensjahr. Der Befehl war unmissverständlich. Jazar war damals der Einzige ohne Auftrag. Das änderte sich, sobald sie ihn als ihren Leibwächter bestellten. Nichtsahnend, welche Folgen dieser Auftrag einbrachte, gehorchte er. Gefühle für die Schutzbefohlenen zu entwickeln, war verboten. Um sich nicht zu verraten, verdrängte er die Gedanken. Jazar ließ sie nicht aus den Augen. Sie strich sich eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr.

   "Ich bin vorbereitet, Ramael", konterte er. Ramael sah ihn zweifelnd an. Er schaute zu dem Mädchen in dem Café und nickte leicht. Seine letzten Worte hallten noch nach, als er sich in Luft auflöste.

   "Ihr Leben wird sich in weniger als vierundzwanzig Stunden verändern. Du weißt, was das bedeutet, Jazar. Enttäusche mich nicht!" Jazar atmete erleichtert aus, sobald die Essenz seines Mentors verschwand. Er freute sich auf das Ereignis. Sein Schattendasein endete damit. Sie würde ihn sehen können. Er schwor, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sie zu schützen.

Ariana schüttelte ihren Kopf. Nicholas verschwamm vor ihren Augen. Blässe überzog ihr Gesicht. Sie hielt den Atem an und schluckte schwer. Mit den Händen suchte sie Halt an der Tischkante.

   „Ari geht es dir nicht gut?“, fragte Nicholas besorgt. Seine Hand legte sich auf ihre und er beugte sich leicht über den Tisch. Ariana blinzelte ihn an und schloss die Augen. Die Übelkeit löste ihren Brechreiz aus. Peinlich! Sie kämpfte dagegen an. Das Letzte, was Ariana wollte, war, dass sie in ihrem Stammcafé erbrach. „Ari?“, erklang die Stimme ihres Freundes erneut. Sie öffnete vorsichtig die Augen und konnte Nicholas klar erkennen. Erleichtert lehnte sie sich zurück und lächelte leicht.

   „Alles gut Nick, mir war schwindelig“, meinte sie lapidar. Nicht überzeugt schenkte Nick ihr einen vorwurfsvollen Blick. Ein kurzer Blickwechsel mit Kate, die ebenfalls nicht überzeugt schien, bestätigte seine Vermutung. Ariana ging es nicht gut.

   „Vielleicht sollten wir nach Hause gehen. Die Geschenke sind erledigt. Was meint ihr?“, fragte Kate hoffnungsvoll. Nick erhob sich und griff nach den Einkaufstüten. Enttäuscht sah Ariana die beiden an. So hatte sie sich den Nachmittag nicht vorgestellt. Gewöhnlich saßen sie länger im Joes. Sie fühlte sich schuldig.

   „Hört mal, wir müssen jetzt noch nicht gehen. Mir geht es gut, ehrlich“, beteuerte sie. Kate tat es Nick nach und stand auf. Bedrückt gab Ariana sich geschlagen und sie gingen aus dem Café. Eisige Luft schlug ihnen entgegen, sobald sie auf die belebte Straße traten. Ariana zog den Reißverschluss ihrer dunklen Jacke zu und stülpte sich die Kapuze über. Schneeflocken legten sich gemütlich auf die Straße und funkelten im Licht der Straßenlaternen. Nick und Kate gingen vor, turtelnd und an den Händen haltend. Es war schön zu sehen, wie verliebt die beiden waren. Ariana spürte Neid in sich aufkommen. Gern hätte sie jemanden an ihrer Seite, dem sie vertraute. Nick warf kurz einen Blick zurück und vergewisserte sich, dass sie noch da war. Hatte er Mitleid? Er zwinkerte ihr zu. Sein warmer Blick aus den braunen Augen spendete ihr Trost. Ariana schloss zu ihnen auf. Es war schwer neben ihnen zu bleiben, da die Straße zu schmal war. Und Kate dachte nicht daran, die Umarmung mit Nick aufzulösen. Ein Mann rempelte sie ungestüm an. Ariana fiel zurück und rieb die schmerzhafte Stelle am Oberarm. Böse sah sie den vorbei laufenden Mann nach. Ein Schatten in ihrem Blickwinkel erregte ihre Aufmerksamkeit. Abrupt blieb sie stehen und sah auf die gegenüberliegende Straßenseite. Sie hätte schwören können, dass dort ein Mann stand und sie beobachtete. Ariana sah zu ihren Freunden, die nichts davon mitbekamen. Erneut blickte sie zur anderen Straßenseite. Der Schatten war verschwunden. Irritiert tat sie den Gedanken ab. Sobald sie aufgeschlossen hatte, verstummten die beiden. Kate und Nick grinsten.

   „Ihr habt über mich gesprochen, oder?“, fragte Ariana. Nick lächelte ihr zu.

   „Immerhin hast du morgen Geburtstag. Wir haben uns etwas Schönes für dich überlegt“, meinte er. Ihre Neugier war geweckt. Was hatten die beiden vor? Ariana gab den Rest des Weges nicht auf und löcherte die beiden mit ihren Fragen. Erfolglos. Nick und Kate schwiegen eisern.

Jazar blieb fast das Herz stehen, sobald sie zu ihm sah. Erkannte sie ihn? Aus dem Konzept gebracht, stand er wie angewurzelt da. Das war unmöglich. Das Ereignis stand unmittelbar bevor, bis dahin sollte er unsichtbar sein. Dennoch hatte er das Gefühl, das sie ihn direkt angesehen hatte. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Es hatte nur Sekunden gedauert, aber für ihn blieb die Zeit stehen. Diese dunklen Augen: warm und mit dieser reizvollen Schärfe, berührten ihn. Ihr dunkler Bob, versteckt unter der Kapuze, wies eine einzelne violette Strähne auf. Jazar holte Luft und straffte sich. Er musste sich konzentrieren. Wo sollte das hinführen, wenn ein einziger Blick von ihr, ihn dermaßen ablenkte? So würde er die Mission nicht erfolgreich abschließen, mahnte er sich. Er nahm die Verfolgung auf, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Im Verborgenen blieb er zurück und versteckte sich im Schatten der Bäume. Er ließ seine Beobachtung Revue passieren. Im Café war etwas mit ihr geschehen. Erste Zeichen der Verwandlung? Jazar ärgerte es, dass er nicht mehr Details darüber wusste. Ramael verschloss sich, sobald er ihn fragte. Beinhalteten seine Fragen Dinge über Ariana, bekam er nichts aus Ramael heraus. Das gefiel ihm nicht. Sein Misstrauen gegenüber Ramael wuchs kontinuierlich.

2. Kapitel

Ariana schlug die Haustür zu und lehnte sich atemlos dagegen. Wohltuende Wärme schlug ihr entgegen, sobald sie ihr Zuhause betrat. Sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen. Die Übelkeit und das seltsame Gefühl, das etwas nicht mit ihr in Ordnung war, ließ sich nicht abschütteln. Auf wackeligen Beinen schleppte sie sich in die dunkle Küche. Sie riss den Kühlschrank auf und griff nach der Wasserflasche. Die kühle Flüssigkeit drang in ihre Zellen. Wieso war ihr so heiß? Und weshalb hatte sie solchen Durst? Ariana wollte in ihr Zimmer, als eine Bewegung draußen vor dem Fenster ihre Aufmerksamkeit erregte. Rasch duckte sie sich und wartete einige Sekunden, bevor sie sich wieder aufrichtete und vorsichtig hinaus spähte. Die Silhouette einer dunklen Gestalt sprang ihr ins Auge. Sie ging ans Fenster heran und blinzelte. Die Gestalt stand im Schatten eines Baumes. Ariana grübelte und runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich an den Mann, den sie auf der anderen Straßenseite gesehen hatte. Wurde sie verfolgt? Hatte sie einen Stalker? Panik ergriff sie. Sie hatte schon davon gehört, dass es Männer gab, die Frauen hinterher spionierten. Sollte sie die Polizei verständigen? Was sollte sie denen sagen, dass sie einen dunklen Mann gesehen hatte? Lächerlich. Sie spähte erneut hinaus und erschrak, als das Licht anging. Sie wirbelte herum und sah ihre Mutter.

   „Ari, wieso stehst du hier im Dunkeln?“, fragte sie. Sofort las sie in ihrem Gesicht. „Was ist los?“, hakte sie besorgt nach. Ariana spähte kurz aus dem Fenster. Der Mann war verschwunden. Ratlos starrte sie auf die Stelle, wo er gestanden hatte.

   „Nichts, ich dachte, ich hätte etwas gesehen“, erwiderte sie. Ihre Mutter trat näher und umfasste ihr Gesicht mit ihren warmen Händen.

   „Du siehst blass aus, Kind. Hast du nicht genügend gegessen? Soll ich dir etwas vom Mittag aufwärmen?“ Ariana befreite sich aus dem Griff und schnappte sich eine Banane, die auf der Arbeitsplatte lag.

   „Nein, die Banane reicht mir. Ich gehe auf mein Zimmer. Ich bin müde“, versuchte sie ihre Mutter abzulenken. Ohne auf die Reaktion ihrer Mutter zu warten, stürmte sie aus der Küche und die Treppe hinauf. Ihre Mutter schüttelte den Kopf und sah ihr Gedanken verloren nach. Irritiert ging Ariana in ihr Zimmer und stellte sich vor dem Spiegel, der an der Tür ihres Kleiderschranks befestigt war. Sie trat an ihr Spiegelbild heran. Sie drehte ihren Kopf leicht nach links und rechts. Sie konnte keine Veränderungen sehen.

   „Ich bin völlig normal. Was rege ich mich auf?“, sprach sie zu ihrem Spiegelbild. Ein Piepen aus der rechten Ecke weckte ihre Neugier. Ariana ging zu ihrem Schreibtisch, auf dem der Computer stand. Sie schaltete den Monitor an. Ein Countdown sprang ihr entgegen. Noch fünf Stunden bis Mitternacht. Fünf Stunden, bis sie einundzwanzig wurde. Sie hatte vergessen, dass sie heute Morgen den Countdown eingerichtet hatte. Es sollte Spaß sein, doch es fühlte sich auf einmal seltsam an, wenn sie den herunterlaufenden Countdown vor sich sah. Sie starrte die roten Ziffern an, die herunter zählten. Erneute Übelkeit brach in ihr aus. Ariana schaltete den Monitor aus und ließ im angrenzenden Bad das Wasser für die Wanne ein. Das wohltuende Bad entspannte Ariana. Es dauerte nicht lange, bis ihre Augen nachgaben und sie im Bad einschlief.

Ihre Füße schmerzten, doch sie konnte nicht stehenbleiben. Ihre Verfolger holten sie ein. Außer Atem kämpfte sie sich vorwärts durch das Dickicht der Bäume. Sie konnte hören, wie sie aufholten. Ihre schwarzen Flügel kreisten über ihr und sie riefen sich Kommandos zu, um sie einzukreisen. Ariana schrie auf, als sie ein Flügel am Arm streifte und sie verletzte. Sie fiel auf den nassen Boden und stöhnte. Sie wollte aufgeben. Eine dunkle Wolke über ihr versperrte ihr die Sicht. Sie umzingelten sie. Sie schlossen zielstrebig zu ihr auf, mit ihren gierigen Händen und ihren dunklen Augen. Sie packten ohne Vorwarnung zu. Ariana schrie lauthals und schreckte in ihrem Bett auf. Die Tür ihres Zimmers wurde aufgerissen. Ihre Eltern stürmten an ihr Bett.

   „Ari! Um Gottes willen was ist los?“, donnerte ihr Vater erschrocken. Ihre Mutter nahm sie in den Arm.

   „Du hast geschrien. Hast du schlecht geträumt?“, fragte sie. Sie wiegte sie in ihren Armen und strich ihr über den Kopf, um sie zu beruhigen. Ariana versuchte, sich zu orientieren. Wie spät war es? Und warum ist es so furchtbar kalt? Ihre Mutter inspizierte sie genauer und sah ratlos zu ihrem Mann. Erst jetzt sah Ariana, dass ihr Schlafanzug durchnässt war. Sie griff an ihren Kopf. Ihre Haare waren klatschnass. Ein Ziehen am Oberarm ließ sie zusammenzucken. „Was ist hier los? Wieso bist du durchnässt und wer hat dich verletzt?“ Ariana starrte die blutende Wunde an ihrem Arm an. Entsetzt erinnerte sie sich an ihren Traum und woher die Wunde stammte. Wie sollte sie das ihren Eltern erklären? Der Monitor ihres Computers sprang an. Ariana sah auf den Countdown. Panik ergriff sie. Oh nein! Die Sekunden zählten herunter. Hilfesuchend sah sie zu ihren Eltern. Ariana öffnete ihren Mund um etwas zu sagen, als der Geburtstagssong aus den Lautsprechern erklang. Mitternacht! Ein Donnergrollen und Blitze erhellten den Nachthimmel. Ariana sah fassungslos zu. Ihr Vater eilte zum Fenster, um es zu verschließen.

   „Du meine Güte, seit wann gewittert es im Winter?“, fragte er überrascht. Ariana hörte die Stimmen ihrer Eltern nicht. Sie sah die Mundbewegungen. Sie konnte nicht hören, was sie sagten. Schüttelfrost setzte ein, gefolgt von unkontrollierten Krämpfen. Entsetzt versuchten ihre Eltern, ihr zu helfen. Innerhalb von Sekunden verschlechterte sich Arianas Zustand. Sie schrie. Ihr Körper bäumte sich auf, bis die Krämpfe sie nach unten drückten. Eine Bilderflut stürzte auf sie ein, sodass sie ihren Kopf hin und her warf.

   „Aufhören“, schrie Ariana. Sie konnte die Flut an Informationen, die auf sie hereinbrach, nicht verarbeiten. „Bitte, hört auf damit!“, flehte sie. Schwärze breitete sich in ihrem Kopf aus. Eine willkommene Ruhe setzte ein und sie verlor das Bewusstsein.

3. Kapitel

Drei Tage waren vergangen, nachdem Ariana ins Krankenhaus kam. Drei Tage, an denen sie im Koma lag. Die Ärzte fanden keine plausible Erklärung für ihren Zustand. Sämtliche Untersuchungen waren fruchtlos. Inzwischen war sie bei Bewusstsein und registrierte die kummervollen Mienen ihrer Eltern, die an ihrem Bett standen und auf sie herunter lächelten. Mit Tränen in den Augen waren sie glücklich, dass sie endlich wach war. Krampfhaft versuchte Ariana sich zu erinnern, was geschehen war. In ihrem Kopf fand sie eine schwarze Leere. Hinzu kam das Gefühl, sich verändert zu haben. Erklären konnte sie es nicht. Sie hatte keine Antworten. Interessiert hörte sie ihren Eltern zu. Sie erzählten ihr von der Nacht, in der sie ins Koma fiel. Das Zittern ihrer Hände ließ sich nicht abstellen. Ein Arzt betrat das Zimmer und begrüßte sie herzlich. Er war groß und drahtig, sodass der weiße Arztkittel ihn fast verschluckte. Seine braunen Augen sahen sie an, versteckt hinter einer Brille.

   „Da haben sie uns einen schönen Schrecken eingejagt. Wie geht es ihnen, Ariana?“, fragte er. Sie sah zu ihm auf.

   „Ganz gut, ich kann nicht glauben, dass ich drei Tage geschlafen habe.“ Der Arzt nickte lächelnd. Mit einer Stiftlampe leuchtete er in ihre Augen. Sein Zeigefinger erschien direkt vor ihrem Gesicht.

   „Folgen sie bitte meinem Finger mit den Augen“, meinte er professionell. Ariana gehorchte bereitwillig. Er schien zufrieden. „Gut, das sieht prima aus. Wir werden noch einige Untersuchungen machen, nur um ganz sicher zu gehen.“ Er wandte sich an ihre Eltern. „Wenn die Untersuchungen gut verlaufen, kann sie morgen nach Hause“, ergänzte er. Erleichterung zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab.

   „Vielen Dank Doktor, wir sind froh, dass es ihr gut geht und sie aufgewacht ist. Wann wollen sie die Untersuchungen durchführen?“, hakte ihre Mutter nach. Er sah auf seine Armbanduhr.

   „Sie können noch eine halbe Stunde bei ihr bleiben. Ich werde der Schwester Bescheid geben. Sie kommt zu ihnen.“ Sobald er das Zimmer verlassen hatte, ergriff ihre Mutter ihre Hand.

   „Es wird alles gut, Ari. Schon morgen bist du daheim.“ Ariana freute sich mit ihr, warf kurz einen Blick zu ihrem Vater, der zustimmend nickte. Es gab keine Erkenntnisse, was ihr Koma ausgelöst hatte. Ariana nahm den verzweifelten Blickaustausch der Ärzte wahr. Sie steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. Schließlich trafen sie gemeinsam eine Entscheidung. Ariana durfte nach Hause. Ihre Eltern blieben noch bis zum Abendbrot und versprachen, sie gleich morgen abzuholen. Nachdem sie allein in ihrem Krankenbett lag, lehnte sie den Kopf zurück und schloss die Augen. Sie war müde, obwohl sie drei Tage durchgeschlafen hatte. Eine Erinnerung blitzte in ihrem Kopf auf. Zuerst konnte Ariana einen Lichtschein erkennen. Sie konzentrierte sich, kniff die Augen zusammen und das Bild wurde klarer. Der Schein fiel auf eine Art Altar, sodass dieser erleuchtet wurde. Ein Gefühl von Wärme breitete sich in ihr aus. Auf dem steinernen Altar lag ein einzelnes Buch, in der Mitte aufgeschlagen. Es handelte sich nicht um diese dicken Wälzer, sondern eher um ein dünnes Buch. Neugier ergriff sie. Ariana stellte sich auf die Zehenspitzen, um über den Rand sehen zu können. Als sie erste Buchstaben sah, umrahmt von seltsamen Symbolen aus einer uralten Zeit, verdunkelte ein Schatten ihr die Sicht. Schwarze Flügel kreisten über ihren Kopf. Sie stürzten auf das Buch zu. Erinnerungen sprudelten auf Ariana ein, Bilder von einer ähnlichen Situation. Nur gab es dort kein Buch, sondern den Wald und die Hetzjagd nach ihr. Bevor sie reagieren konnte, griff die dunkle Gestalt das Buch und verschwand. Ariana riss die Augen auf, krallte sich mit den Händen an die Bettdecke. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass sie träumte. Es schien, als ob die Szene real war. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und kroch unter die Decke. Mit ängstlichem Blick durchsuchte sie das Krankenzimmer, welches durch das Mondlicht im Fenster erhellt wurde. Niemand war hier. Sie lag allein in dem Bett. Was hatte das alles zu bedeuten? Wer waren diese Gestalten mit den Flügeln? Wieso kam ihr dieses Buch so vertraut vor? Ariana konnte keine ihrer Fragen beantworten. Sie gab es auf, zumindest für den Moment. Der Kampf gegen die Müdigkeit war zu schwer. Hoffentlich träumte sie in der Nacht nicht von diesen seltsamen Männern. Sie ängstigten sie.

Am nächsten Morgen saß Ariana fertig angezogen auf dem Bett und wartete ungeduldig auf ihre Eltern. Sie wollte nach Hause. Der beißende Gestank nach Desinfektionsmittel im Krankenhaus drehte ihr den Magen um. Sie grübelte ständig und war deprimiert. Das Buch aus ihrem seltsamen Traum ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie spürte, dass es bedeutsam war. Es hatte mit ihr zu tun. Eine magische Anziehungskraft ging von dem Buch aus. Wenn sie wüsste, was darin stand? Die Stimmen ihrer Eltern unterbrachen ihre Überlegungen. Endlich, sie waren da. Ariana sprang vom Bett und stürmte aus dem Zimmer. Ihre Eltern lächelten und nahmen sie mit. Am Eingang vom Krankenhaus blieb sie stehen und atmete die kalte Winterluft ein. Leichter Schneefall setzte ein. Um diese Zeit herrschte reges Treiben. Die Menschen liefen zielstrebig umher. Niemand achtete auf sie. Ihr Vater legte eine Hand auf ihre Schulter.

   „Zuhause darfst du die Geschenke auspacken“, meinte er freudestrahlend. Ihre Mutter grinste und gemeinsam gingen sie zum Parkplatz. Beim Einsteigen in das Auto nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Sie drehte sich um. Da war er wieder. Der Mann, den sie immer wieder sah und der sie zu beobachten schien. Dieses Mal erkannte sie ihn deutlicher. Zum ersten Mal zeigte er sich am helllichten Tag. Sein durchdringender Blick aus den stahlblauen Augen ließ sie nicht los. Etwas war anders. Bisher hatte sie seinen Schatten gesehen, als ob er nicht gesehen werden wollte. Jetzt versteckte er sich nicht vor ihr. Weshalb?

   „Ari, stimmt etwas nicht?“ Ihre Mutter drehte sich auf dem Beifahrersitz zu ihr herum. Sie folgte ihrem Blick und runzelte die Stirn. „Wohin schaust du?“ Ariana konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Ein Lächeln um seine Mundwinkel ließ ihn noch attraktiver wirken. Ein leichtes Nicken in ihre Richtung gab ihr das Gefühl, ihn zu kennen.

   „Dieser Mann dort, ich habe ihn schon einmal gesehen“, meinte sie abgelenkt zu ihrer Mutter. Diese sah ihren Mann stirnrunzelnd an. Er schaute ebenfalls in die Richtung.

   „Welcher Mann?“, fragte er irritiert. Ariana fuhr ihren Kopf herum.

   „Na dieser Mann auf der anderen Straßenseite“, erklärte sie überzeugt. Sie zeigte mit einem Finger in die Richtung und starrte ins Leere. Unmöglich! Sie hatte ihn gesehen. Verwirrt nahm Ariana die Hand herunter und ließ sich auf die Rückbank sinken. Bildete sie sich das ein?

   „Alles in Ordnung?“ Ihre Mutter warf ihr einen besorgten Blick entgegen. Sie lächelte kurz und nickte. Der Motor ging an und ihr Vater setzte das Auto in Bewegung. Ariana sah zurück, in der Hoffnung, diesen Mann zu sehen. Er tauchte nicht auf. Auf der Fahrt nach Hause bemerkte Ariana, dass ihr Vater sie im Rückspiegel beobachtete. Er grübelte und schien etwas sagen zu wollen, aber er schwieg. Ihre Mutter plapperte unaufhörlich. Ariana hörte nur mit einem Ohr zu. Wer war dieser Mann? Es gelang ihr nicht, sein Bild aus ihrem Kopf zu verbannen. Existierte er wirklich oder war es reine Einbildung?

Nach einer Stunde parkte ihr Vater das Auto vor dem Haus. Sobald ihre Mutter die Haustür öffnete, überraschten sie Kate und Nicholas, die freudestrahlend mit Geschenken in den Händen auf sie warteten. Ariana verdrängte ihre Gedanken. Es war Zeit die Geschenke auszupacken. Eine CD ihrer Lieblingsband prangte ihr entgegen. Ariana bedankte sich bei ihren Freunden. Das Geschenk ihrer Eltern war das nächste. Sie riss das Papier entzwei, bis ein violetter Baumwollpullover zu sehen war, ähnlich dem Farbton ihrer einzelnen Haarsträhne. Ein silbernes Armband lag ebenfalls in dem Karton. Mit Tränen in den Augen umarmte sie ihre Eltern. Bei Kaffee und Kuchen saßen sie noch eine Weile im Wohnzimmer. Keiner sprach die letzten drei Tage an. Nicholas warf ihr neugierige Blicke entgegen. Ariana sah ihm an, dass er viele Fragen hatte. Er musste warten. Sie selbst plagten Fragen, auf die sie noch keine Antworten hatte. Ariana war erleichtert, als ihre Freunde sich verabschiedeten und die Feier zu Ende ging. Müde schleppte Ariana sich die Treppe hinauf.

   „Ach das hätte ich fast vergessen. Hier liegt noch ein Geschenk für dich, Ari.“ Ihre Mutter kam ihr mit einem Päckchen entgegen. Ariana hielt auf der Treppe inne und sah sie verwundert an. Das Paket war in schwarzem Geschenkpapier eingewickelt, welches mit einem roten Band zusammengehalten wurde. Eine Karte darauf sprang ihr ins Auge.

   „Von wem ist das?“, fragte sie. Schulterzuckend übergab ihre Mutter ihr das Päckchen.

   „Ich weiß es nicht. Es lag vor der Haustür an deinem Geburtstag“, antwortete sie. Ein seltsames Gefühl beschlich sie. Ariana kannte niemanden, der sie noch beschenken könnte. Ohne ein Wort ging sie in ihr Zimmer und setzte sich auf das Bett. Das Geschenk lag direkt vor ihr. Die Neugier über den Inhalt siegte. Vorsichtig schlug sie die Karte auf. Zwei Zeilen sprangen ihr entgegen, in einer schönen Handschrift geschrieben. Lies es, wenn du allein bist! Ariana runzelte die Stirn. Die Unterschrift verwirrte sie. Wer war Jazar? Mit dem Daumen strich sie über den geschriebenen Namen. Jazar, das klang schön und altertümlich. Sie sah den mysteriösen, gutaussehenden Mann vor sich und wusste, dass das Geschenk von ihm stammte. Was wollte er ihr damit sagen? Ariana legte die Karte auf das Bett und öffnete die Schachtel. Im Innern fand sie ein Buch. Es war mit einem goldfarbenen Deckel gebunden und die Seitenränder schimmerten golden. Ariana war fasziniert. Es trug den Titel „Die Prophezeiung“. Seltsame Symbole konnte sie auf dem Deckel erkennen, direkt unter dem Titel des Buches. Ihr Herz flatterte vor Aufregung. Alles andere war jetzt unwichtig. Ariana rutschte vom Bett und setzte sich auf den Teppichboden. Mit dem Rücken lehnte sie an der Bettkante und schlug das Buch auf. Der Titel war mysteriös, genauso wie der Name des ersten Kapitels, welches „die Verwandlung“ hieß. Ariana begann zu lesen.

4. Kapitel

An ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr verabschiedet sich die Seele vom ursprünglichen Weg. Sie hört, sieht und kämpft. Flügel jagen sie. Gefährte und Feind kreuzen ihren Weg. Sie vermag Frieden schenken oder Unheil verbreiten.

Ariana musste die Passage mehrmals lesen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es mit ihr zu tun hatte. Sie dachte an die Nacht zurück, als sie das Bewusstsein verloren hatte. Es war die Nacht vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag. Sie hatte den Countdown auf ihrem Computer gesehen. Sie las von vorn. An ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr verabschiedet sich die Seele vom ursprünglichen Weg.Sie hört, sieht und kämpft. Sprach das Buch von ihr? Ariana schüttelte den Kopf. Nein, das war unmöglich. Wie sollte ein Buch das wissen? Sie sah die Bilder der Hetzjagd im Wald vor sich. Die Gestalten mit den Flügeln. Flügel jagen sie. Oh Gott! Ariana schlug das Buch zu. Nein! Sie wollte das nicht glauben. Das Buch konnte nicht sie meinen. Wer war sie schon? Sie war ein normaler Mensch. Das war absurd. Ariana ergriff erneut die Karte. Der Name darauf starrte ihr entgegen. Spielte dieser Mann mit ihr? Wollte er sie mit diesem Geschenk in den Wahnsinn treiben? Wie stand es in dem Buch? Gefährte und Feind kreuzen ihren Weg. War Jazar Gefährte oder Feind? Ariana lief unruhig in ihrem Zimmer hin und her. Ihre Frisur war zerwühlt, da sie ständig mit einer Hand durch ihre Haare fuhr. Sie murmelte vor sich hin und redete mit sich selbst. Sie dachte über die Zeilen nach. Welches Unheil war gemeint? Sie wurde nicht schlau daraus. Ariana fürchtete sich, weiterzulesen. Was stand noch darin? Träumte sie? Sie kniff sich in den Oberarm. Sofort setzte der Schmerz ein. Sie war hellwach. Ein seltsames Stechen in ihrer Brust ließ sie innehalten. Ihre Hand auf dem Herzen konnte sie spüren, wie es heftig schlug. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Der Schmerz zwang sie in die Knie. Ariana krümmte sich und stöhnte qualvoll auf. Plötzlich hörte sie ein unbekanntes Geräusch. Ein Schlagen, gefolgt von einem Poltern über ihr, versetzte sie in Panik. Sie sah zur Decke und runzelte die Stirn. Das Brennen in der Brust erschien ihr unwichtig im Vergleich zu dem, was über ihr geschah. War jemand auf dem Dach? Ein Krachen ertönte und sie fuhr herum. Ariana konnte hören, wie ihre Mutter unten schrie. Ihr Vater schimpfte. Ohne darüber nachzudenken, stürmte Ariana aus ihrem Zimmer. Was sie sah, ließ sie auf der Treppe erstarren. Die Haustür hing nur noch in den Türangeln. Jemand hatte sie aufgebrochen. Zwei dunkle Gestalten standen im Flur. Ihre schwarzen Flügel lugten an den Schulterblättern hervor. Ihre Spitzen schleiften am Boden, verursachten mit jeder ihrer Bewegungen ein unangenehmes Rascheln. Ihr Vater eilte mit einem Messer herbei und stellte sich den Gestalten in den Weg. Ein Fausthieb reichte aus. Er flog hohen Bogens zurück ins Wohnzimmer. Ihre Mutter schrie und rannte zu ihrem Mann, der bewusstlos am Boden lag. Die zwei Gestalten gingen auf ihre Eltern zu. Ihre roten Augen glühten vor Wut. Sie verwendeten eine seltsame Sprache, um untereinander zu kommunizieren. Ariana eilte nach unten. Angst lähmte sie. Die Gestalt holte erneut aus und schlug ihrer Mutter hart ins Gesicht.

   „Nein!“, schrie Ariana auf. Die beiden drehten sich sofort zu ihr um. Entsetzt wich Ariana zurück, immer einen Schritt nach dem anderen. Rote Augen fixierten sie. Derjenige, der zugeschlagen hatte, legte den Kopf schief und schien von ihr angetan. Der andere vollendete, was sie begonnen hatten. Er stellte sich über ihre Eltern und streckte die Hände aus. Eine Hand lag auf dem Kopf ihrer Mutter, die andere auf dem ihres Vaters. Was ...? Die Hände glühten. Erschüttert beobachtete Ariana den Mord an ihren Eltern. Panisch schrie sie auf. Die Gestalten mit den Flügeln kamen angriffslustig auf sie zu. Ariana warf einen letzten bedauernden Blick auf ihre regungslosen Eltern und rannte los. Ihre Füße trugen sie aus dem Haus in die kalte Winternacht. Gehetzt sah sie zurück zu ihren Verfolgern. Orientierungslos, mit Tränen in den Augen, lief sie vor den Gestalten davon. Ariana stolperte und fiel zu Boden. Ariana verdrängte den Schmerz im Knöchel. Sie musste laufen, wenn sie leben wollte. Die Kälte drang in ihre Hände und Füße. Ihr ging die Luft zum Atmen aus. Sie sah kurz nach hinten. Sie hatte ein gutes Stück aufholen können. Beeilten sich ihre Verfolger nicht? Ariana passte nicht auf und fiel über einen Ast. Ariana schrie und stürzte ungebremst auf den kalten Boden. Ein ziehender Schmerz an ihrem Kopf ließ sie taumeln. Beim Abtasten der Wunde entdeckte sie Blut an ihren Fingern. Ein Urschrei erklang. Zitternd fuhr sie herum. Die zwei Gestalten standen vor ihr und sahen sie gierig an. Einer der beiden zog die Nase kraus. Er atmete ein. Dann stierte er auf ihre Hand, die mit ihrem Blut benetzt war. Das Grummeln in der Kehle ließ Ariana erzittern. Das war nicht gut, gar nicht gut. Ariana erstarrte. Die Flügelgestalt kam grunzend zu ihr. Ihr Herz raste. Die Klaue der Gestalt kam auf sie zu. Stocksteif stand sie da und kniff die Augen zusammen. Jetzt war es so weit. Sie würde sterben, genauso wie ihre Eltern. Er streifte ihre Wange, vorsichtig und behutsam. Unsicher öffnete Ariana die Augen. Rote Augen starrten ihr direkt ins Gesicht. Aus einem ihr unerfindlichen Grund wollte er ihr nichts tun. Ehrfürchtig sah er sie an. Mit einem Finger wischte er ihr Blut am Kopf ab und roch daran. Der andere neben ihm beobachtete sie. Zufriedenes Grunzen schlug ihr entgegen. Ihr Blut veränderte alles. Was hatte das zu bedeuten? Ariana setzte an, um die Flügelgestalten zu fragen. Der ohrenbetäubende Schrei eines Mannes unterbrach Ariana. Ein Mann in einem dunklen Ledermantel kam von der Seite angerannt, in den Händen ein Schwert. Die zwei Gestalten kreischten und bereiteten sich auf den Angriff vor. Das Schwert sauste herab und schlug ihnen mit einem Hieb die Köpfe vom Leib. Entsetzt beobachtete Ariana die Szene. Ihr Blick schweifte zu den zwei kopflosen Gestalten im Schnee. Ihre Köpfe lagen rechts und links neben ihnen. Der nächste Schock folgte, sobald die regungslosen Gestalten sich vor ihren Augen in schwarzen Rauch auflösten. Fassungslos starrte sie den Mann im Ledermantel an. Ariana erkannte ihn. Das war ihr Stalker. Schwarze, schulterlange Haare, stahlblaue Augen und einen durchtrainierten Körper. Er schien dunkle Kleidung zu bevorzugen. Er trug unter dem Ledermantel eine schwarze Hose und ein schwarzes Shirt. Nicht, dass es ihm nicht gutstand. Es war eben schwarz. Er nahm das Schwert weg und sah sie an. Sein durchdringender Blick irritierte sie. Er tat es schon wieder. Er sah sie so merkwürdig an. Breitbeinig stand er da und fing auch noch an zu reden:

   „Was hast du dir dabei gedacht, sie an dich heranzulassen?“, poltere er los. Verwirrt zuckte sie zurück. Ariana erinnerte sich, dass einer der Gestalten sie kurz berührte. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er ihr nichts hatte tun wollen. Oder?

   „Ich … ich weiß nicht … ich“, stotterte sie. Der Mann kam auf sie zu und sie wich automatisch vor ihm zurück. Seine Hand schoss hervor und umfasste ihr Kinn. Er drehte ihren Kopf zur Seite. Sein Stirnrunzeln verunsicherte Ariana. Abrupt ließ er sie los.

   „Du blutest. Das war dein Glück“, meinte er. Ariana verstand kein Wort. Wer waren sie? Was war das mit ihrem Blut? Und wer war er? „Waren sie in deinem Haus?“, fragte er energischer. Ariana sah in die Richtung, wo ihr Haus stand. Die Erinnerung an den Überfall kam zurück. Der Mord an ihre Eltern blitzte in ihrer Erinnerung auf. Oh Gott! Eine Flut von Bildern schoss durch ihren Kopf. „Ariana?“, erklang seine Stimme. „Sprich mit mir! Waren sie in deinem Haus?“ Sie brachte keinen Ton heraus. Er umfasste ihre Oberarme und schüttelte sie leicht. Sie wollte nicht mit ihm reden. Sie wollte nach Hause. Sie wollte ihre Eltern wiederhaben. Ariana befreite sich und stiefelte nach Hause. Der Mann fluchte, bevor er ihr folgte. Sobald Ariana ihr Haus sah, rannte sie los. „Halt!“, rief er. Sie hörte nicht auf ihn und stürmte ins Haus, direkt ins Wohnzimmer. Abrupt stoppte Ariana. Ihre Eltern lagen auf dem Boden. Sie registrierte, dass sie nicht träumte. Sie hörte seine Schritte hinter sich. Ariana sprach kein Wort und starrte auf die abscheuliche Tat. „Scheiße“, war das Einzige, was sie aus seinem Mund hörte. Ariana ging vor und hockte sich zu ihren Eltern herunter. Sie strich mit einer Hand über den Kopf ihrer Mutter. Tränen verschleierten ihren Blick. Schluchzend sah zu ihm auf, flehte ihn stumm an, etwas zu unternehmen. Er stand da und sah sie mitfühlend an. Erst jetzt erkannte er das Ausmaß. Wut sprach aus seinen blauen Augen. Er hätte sie nicht aus den Augen lassen sollen. Wenn Ramael ihn nicht gerufen hätte, hätte er ihr helfen können. Er konnte sie nicht leiden sehen, es brach ihm das Herz.

   „Tu etwas! Ich weiß, dass du anders bist. Du musst etwas tun können“, forderte sie. Ihr Schmerz brannte sich in seine Brust. Er sah sie besorgt an. Wieso half er ihren Eltern nicht? Ariana verstand es nicht.

   „Ich kann nicht“, erwiderte er. „Ich kann nichts mehr für sie tun.“ Ariana stellte sich direkt vor ihn. Er war hünenhaft, sodass sie ihren Kopf nach oben streckte, um ihn anzusehen. Dunkelbraune, wütende Augen starrten zu ihm. Eisern hielt er ihrem Blick stand.

   „Wer bist du? Was tust du hier, wenn du sowieso nichts tun kannst?“, schleuderte sie ihm entgegen. Er zuckte kurz zusammen. Ihre Wut traf ihn unerwartet heftig.

   „Du weißt, wer ich bin, Ariana. Wenn ich etwas tun könnte, würde ich es tun. Das musst du mir glauben“, versicherte er ihr. Eingehend schaute sie ihm in die blauen Augen, suchte nach der Wahrheit darin. Er hielt ihrem prüfenden Blick lässig stand, obwohl es in seinem Innern brodelte. Ihre Nähe überwältigte ihn. Ihre Wut lähmte ihn. So hatte er sich die erste Begegnung nicht vorgestellt.

   „Jazar“, schlussfolgerte sie. Sein leichtes Kopfnicken war Antwort genug. Ihr Stalker hatte ihr das Buch geschenkt. Und er war ihr zu Hilfe geeilt. Ihr Blick veränderte sich. Ihre Wut verebbte und Traurigkeit übernahm stattdessen. Eine einzelne Träne lief an ihrer Wange herab. Er fing die Träne mit dem Zeigefinger auf. Ariana schloss die Augen. Seine sanfte Berührung beruhigte sie. Ermutigt legte er seine Hand auf ihre Wange, sodass sie ihren Kopf darin einbettete. Ihr Körper schien ihn zu kennen. Ariana fand keine Erklärung dafür, aber Jazar kam ihr vertraut vor.

   „Es tut mir Leid“, flüsterte er. Ariana holte Luft und ließ ihn gewähren. Er drückte sie an sich. Jazar hielt sie, spendete ihr Trost. Erstaunt, dass sie es zuließ, wollte er sie nicht loslassen. Ariana weinte herzzerreißend an seiner muskulösen Brust. Er strich ihr über den Haarschopf und murmelte beruhigende Worte. Seine Kraft gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Obwohl sie wütend sein sollte, konnte sie es nicht. Zu berauschend war das Gefühl in seinen Armen zu liegen. Sirenen erklangen in der Ferne und kamen auf sie zu. Jazar versteifte sich augenblicklich und nahm Abstand. Die Polizei rückte an. Ratlos sah sie zu Jazar.

   „Was soll ich denen sagen? Ich kann ihnen schlecht erzählen, was passiert ist“, sagte sie verzweifelt. Jazar trat zur Seite und spähte kurz hinaus.

   „Es dauert noch ein paar Minuten, bis sie da sind. Hol deine Sachen“, befahl er, „wir verschwinden“. Irritiert sah Ariana ihn an.

   „Nein, ich kann das nicht“, schüttelte sie trotzig den Kopf. Jazar zischte und schaute sie entschlossen an.

   „Ariana, du hast keine andere Wahl. Wenn du bleibst, wirst du ihnen sagen müssen, was geschehen ist. Hol jetzt bitte das, was du brauchst, ich kümmere mich um den Rest.“ Was hatte er vor? Noch bevor sie ihn fragen konnte, sah er nach oben. „Ramael!“, brüllte er. Ariana zuckte kurz. Ein Lichtblitz tauchte neben Jazar auf und ein fremder Mann materialisierte sich direkt vor ihren Augen. Hellblaue Augen sahen sie an, wechselten daraufhin wütend zu Jazar und schielten letztendlich zu ihren regungslosen Eltern. Er hatte langes blondes Haar, welches zu einem Zopf zusammengebunden war. Eine Narbe an seiner rechten Wange ließ ihn hart wirken.

   „Was um Himmels willen hast du angestellt, Jazar?“, donnerte er los. Jazar grummelte, bevor er ihm kurz erklärte, was geschehen war. Ramael hörte interessiert zu und schaute ins Wohnzimmer. Seine Augen richteten sich auf Ariana. Sein forscher Blick brachte sie durcheinander. Er hatte etwas an sich, was ihr nicht behagte. Da war keine Wärme in seinen Augen.

   „Du musst dich darum kümmern, während ich sie wegschaffe, Ramael“, meinte Jazar zu ihm. Ariana hatte das ungute Gefühl, das es ihr nicht gefallen würde. Sie wollte nachfragen, aber Jazar zog an ihrem Arm und steuerte auf die Treppe zu. „Wenn du nicht in fünf Minuten mit deinen Sachen unten bist, komme ich dich holen“, drohte er ihr. Wütend sah sie ihn an, bevor sie nachgab. Sobald sie aus ihrem Blickwinkel verschwunden war, ging Ramael zu ihren Eltern und schüttelte den Kopf.

   „Verdammt Jazar, hatten wir nicht gesagt unauffällig? Das ist alles andere als unauffällig.“ Er schien nicht glücklich über diese Wendung. Jazar nickte wissend.

   „Ich weiß, sie waren vor mir da. Wie du weißt, war ich bei dir, als es passierte“, betonte er. Ramael sah ihn direkt an. Wollte er ihm damit etwas unterstellen? Er konnte den Argwohn in Jazars Augen erkennen. Die Polizei konnte jeden Moment hier sein, bis dahin mussten sie ihre Spuren verwischen.

   „Ich lasse es wie einen normalen Einbruch aussehen. Ich bin dann wohl ein Onkel, der zu Besuch ist, schätze ich“, meinte er beiläufig. Jazar konnte einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme wahrnehmen. Er wusste noch nicht, wie er das Ariana erklären sollte. Die Erklärung musste warten, beschloss er. Etwas anderes war jetzt viel wichtiger: Ariana musste von der Bildfläche verschwinden, bevor ihre Feinde sie fanden.

   „Was ist mit ihr?“, hakte Jazar nach. Ramael dachte kurz nach.

   „Sie hatten kein Kind, ganz einfach. Ich lösche sie aus, das scheint mir das Beste zu sein.“ Jazar verstand, was er damit meinte. Ramael änderte die Realität. Es sollte wie ein normaler Einbruch aussehen. Er war ein Onkel zu Besuch und hatte sie so vorgefunden, als er von einem Spaziergang zurückkam. Auf die Schnelle hatte Jazar keine bessere Lösung parat. Er hörte, wie Ariana nach unten kam. Jazar bedachte Ramael noch mit einem wissenden Blick, bevor er Ariana aus dem Haus brachte. Sie wollte zurück, doch er hielt sie davon ab.

   „Wir müssen gehen, ich erkläre dir nachher alles“, sagte er. Der Polizeiwagen bog in ihre Straße ein. Eilig rannten sie um die Ecke und verschwanden aus deren Sichtfeld.

5. Kapitel

Ariana konnte kaum mit Jazar mithalten. Immer wieder warf sie einen verstohlenen Blick zu ihm. Er schien verärgert zu sein. Wegen ihr oder wegen Ramael? Ariana war durcheinander und konnte keinen klaren Gedanken fassen. War das tatsächlich passiert? Hatte sie innerhalb von Minuten ihr Zuhause verloren? Ihre Eltern? Was sollte sie jetzt tun? Und wo brachte er sie hin? Es war keine Zeit, um alles einzupacken. Das Nötigste trug sie in ihrem dunklen Rucksack. Seltsam, beim Packen hatte sie instinktiv zuerst nach dem Buch gegriffen. Sie hatte es nicht zurücklassen können. Als Jazar in die nächste Straße abbog, konnte Ariana erkennen, dass sie auf der Hauptstraße gelandet waren. Es war spätabends, dessen ungeachtet waren noch viele Menschen unterwegs. Niemand beachtete sie. Jazar pfiff und winkte ein Taxi heran. Er bugsierte sie auf die Rückbank, bevor er sich daneben platzierte. Der Taxifahrer wartete und ließ den Motor an, sobald Jazar die Autotür zuknallte.

   „Zum Escala bitte, 4th Avenue“, meinte Jazar zum Taxifahrer. Der dunkelhäutige Mann nickte und fuhr zum genannten Ziel. Ariana wusste, dass es sich bei dieser Adresse um eine Gegend in Seattle handelte, die sie eher mied. Dort wohnten vorrangig die wohlhabenden Leute. Sie gehörte eindeutig nicht zu diesem Personenkreis. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick entgegen. Er sah unbeteiligt aus dem Fenster. Was wusste sie über ihn? War er reich? Stammte er aus Seattle? Sie würde ihn gern fragen, wenn sie in seiner Gegenwart nicht so unsicher wäre. Die Tatsache, dass er wütend war, hielt sie zurück. Er bereitete ihr Unbehagen. Sie umfasste ihren Rucksack, der auf ihrem Schoß lag, und drückte ihn trotzig an ihre Brust. Ariana blieb stumm und sah aus dem Fenster, beobachtete die Lichter der Stadt, die sich vor ihr erstreckten. Zum Glück hatte sie ihr Handy mitgenommen. Nachher würde sie mit Nicholas reden. Sie brauchte jemanden, dem sie vertraute. Nicholas war ein ausgezeichneter Freund. Ariana war in ihren Gedanken vertieft, sodass sie erstaunt war, dass das Taxi anhielt. Jazar bezahlte den Taxifahrer und stieg zuerst aus. Der Taxifahrer drehte sich zu ihr, da sie nicht aus dem Auto steigen wollte. Fragend sah er sie an. Der Kopf von Jazar erschien vor ihr, verärgert sah er sie an. Der Blick sagte ihr deutlich, dass sie besser ausstieg, wenn sie keine peinliche Szene wollte. Widerwillig krabbelte Ariana auf die andere Seite und stieg aus. Das Taxi brauste los, sobald sie ausgestiegen war und damit ihre letzte Chance, zu gehen. Ihre Kinnlade klappte herunter, sobald Jazar auf das Gebäude hinter ihnen zusteuerte. Ehrfürchtig sah sie nach oben. Jazar wohnte dort? Diese Adresse zählte mit zu den luxuriösesten in Seattle. Das Escala beherbergte ausschließlich Eigentumswohnungen unter einunddreißig Stockwerken. Ariana vermutete, dass es bis in die Wolken hinein ragte. Jazar berührte sie am Arm und führte sie zum Haupteingang. Sobald sie eintraten, sprang ihr sofort der imposante Kronleuchter ins Auge, der alles perfekt erstrahlen ließ. Die handgefertigte Holzvertäfelung sah edel aus. Jazar unterdrückte ein Schmunzeln, bei ihrer Reaktion und führte sie zum nächsten Aufzug. Die Aufzugtür ging zu und er drückte auf den Knopf mit der Nummer dreitausendundzwei. Der Aufzug führte direkt in die Wohnung. Es war atemberaubend, vor allem der fantastische Ausblick aus der Fensterfront. Sie konnte die Berge und das Wasser sehen, egal, von welchem Fenster aus sie hinaussah.

„Fühl dich wie zuhause“, sagte Jazar, während er auf die Küche zusteuerte. Ariana war verblüfft. Regungslos stand sie da. Jazar öffnete den Kühlschrank und holte zwei Gläser aus dem oberen Schrank. Er goss Wasser in die Gläser und reichte ihr eines davon. Erst jetzt bemerkte sie ihren Durst. Dankbar nahm sie das Glas und trank einen Schluck. Jazar leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf die Theke. Die Oberarme vor der Brust verschränkt, lehnte er rücklings an der Theke. Belustigt sah er zu ihr. Scheinbar fand er ihre Reaktion amüsant. Leicht verärgert verzog sie den Mund und stellte den Rucksack auf den Boden.

   „Ist das deine Wohnung?“, fragte sie. Sein stechender Blick bohrte sich in ihre dunklen Augen. Ihre Knie zitterten, wenn er sie auf diese Weise ansah. Verlegen schaute sie weg und gab vor sich umzusehen. Das Wohnzimmer war weiträumig, ausgestattet mit einer weißen Ledergarnitur und einem imposanten Fernseher, der mittig an der Wand hing. Darunter stand ein Kamin, in dem ein Feuer brannte und wohlige Wärme ausstrahlte.

   „Das könnte man so nennen, ja. Es ist meine Bleibe, wenn ich hier bin“, antwortete er gelassen. Wo hielt er sich abgesehen davon auf? Noch mehr Fragen stöhnte Ariana innerlich. „Wir bleiben erstmal hier, bis wir alles Weitere geklärt haben. Du bist sicher, Ariana“, ergänzte er noch. Sicher? Bei ihm? Ariana zweifelte daran. Sie schlenderte auf die Couch zu und setzte sich. Jazar nahm das als Aufforderung und kam zu ihr. Er wählte den Sessel links von ihr und überschlug ein Bein übers Knie. „Du wirst Fragen haben. Also“, forderte er sie auf. Ariana sah ihn überrascht an. Wo sollte sie anfangen? Ihre Hände zitterten. Sie versteckte ihre Handflächen unter den Beinen. Ariana hasste die Unsicherheit. Sie sah Jazar an. Die Verärgerung schien verflogen, jetzt wirkte er eher gelassen. Sie nahm allen Mut zusammen und setzte an:

   „Dieser Ramael … ist er dein Boss oder sowas?“ Jazar war überrascht, dass Ariana ausgerechnet mit ihm anfing. Er überlegte, was er antworten sollte. Die Erklärung war nicht leicht verständlich, zumindest nicht für die ahnungslose Ariana.

   „Ich schätze, dass die Bezeichnung für Ramael zutrifft. Er überwacht das Geschehen und greift ein, wenn es  nötig ist.“ Ariana sah es in ihrer Erinnerung, wie das Eingreifen von Ramael aussah. Seine Art gefiel ihr nicht. Sie misstraute ihm. Jazar las in ihrem Gesicht und lächelte leicht. „Du scheinst nicht angetan von ihm, das wundert mich nicht“, ergänzte er. Jetzt, wo er es ansprach, verflog ihre Unsicherheit. Sah Jazar es ähnlich?

   „Du hast getan, was er befahl. Du hast die Hilfe benötigt, das verstehe ich. Nur, was hat er genau getan?“ Natürlich musste sie mit dem schwierigen Teil zuerst anfangen. Jazar brummte innerlich. Ariana erkannte den Unwillen in ihm. „Du hast gesagt, ich darf alles fragen“, meinte sie vorwurfsvoll. Jazar nickte und beugte sich leicht vor, die Unterarme auf den Beinen abgestützt.

   „Das, was heute Abend geschehen ist, war nicht geplant. Ich hätte es verhindern können, wenn ich dort gewesen wäre.“ Er bedauerte es.

   „So, wie du gewöhnlich da bist?“, fragte sie herausfordernd. Überrascht sah er auf.

   „Du hast mich gesehen? Wann?“ Jazar war erstaunt. Ariana verstand es nicht.

   „Ja, ich dachte zuerst, du bist ein Stalker oder du verfolgst mich. Ich habe dich gesehen, ab und zu, aber zuletzt öfter.“

   „Du bist weiter, als ich dachte“, meinte er. Das fand Ariana merkwürdig.

   „Was meinst du damit?“ Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich.

   „Normalerweise sehen Menschen mich nicht, zumindest nicht, wenn ich es ihnen nicht gestatte.“ Er war gefährlich. Sie wusste es. Und sie war mit ihm in seiner Wohnung. Panik setzte ein. Er spürte ihre Veränderung und versuchte sie sofort zu beruhigen. „Keine Angst, ich tue dir nichts, Ariana. Ich beschütze dich. Aus diesem Grund beobachte ich dich.“ Er klang aufrichtig.

   „Wovor sollst du mich beschützen? Vor diesen Männern mit den Flügeln?“, fragte sie ängstlich. Jazar räusperte sich und rutschte verlegen hin und her.

   „Wenn du sie so nennen möchtest, ja.“

   „Wie nennst du sie denn?“

   „Wir nennen sie die Gefallenen. Einst waren sie gut, beschützten die Menschen und waren angesehen. Eines Tages stellten sie sich gegen uns. Zur Strafe verbannte man sie. Ihre Flügel erinnern noch daran, wer sie einst waren.“ Ariana hörte gebannt zu.

   „Du redest von Engeln, oder?“, fragte sie nach. Jazar nickte und sah sie aufrichtig an.

   „Hast du in dem Buch gelesen?“ Ariana verstand den Zusammenhang noch nicht. Worauf wollte Jazar hinaus? „In diesem Buch wird viel erklärt, was das betrifft. Darum habe ich es dir geschenkt. Es sollte dir helfen, zu verstehen.“

   „Ich habe angefangen, als sie ins Haus kamen … als sie …“, stockte Ariana. Sie sprach es nicht aus. Die Erinnerung an dem Überfall auf ihre Eltern stürzte über sie ein.

   „Ich verstehe“, meinte Jazar. Er schien enttäuscht und von Schuldgefühlen überwältigt zu werden. Wenn es seine Aufgabe war, sie zu beschützen, musste es hart für ihn sein, dass er versagt hatte. Würde man ihn bestrafen? Angst ergriff Ariana. Angst um Jazar. Sie wollte nicht, dass ihm Schlimmes widerfuhr. Er war ihr zwar fremd, dessen ungeachtet gefiel er ihr. Das konnte sie ihm unmöglich sagen. Ariana vermied den Blickkontakt mit ihm und verdrängte diesen Gedanken.

   „Was hättest du getan?“ Jazar überlegte, bevor er darauf antwortete.