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"Zweifel niemals an meinen Gefühlen zu dir..." Manhattan ist in Aufruhr. Die Existenz der Vampire ist offenbart und die Jagd auf sie droht zu eskalieren. Lexi Higgings, Tochter des Generals des Verteidigungsministeriums, glaubte nie an Liebe auf den ersten Blick. Doch die Begegnung mit Valerius Stark, der ausgerechnet ein Vampir ist, ändert ihre Meinung. Die Anziehung zu ihm ist stark. Der Vampir hat sie für sich auserkoren. Als ein Soldat in Erscheinung tritt und Lexi nachstellt, gerät sie in Lebensgefahr. Wird der Vampir seine Deckung aufgeben, um sie zu retten? Eine Zukunft mit ihm scheint ungewiss...
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Seitenzahl: 512
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Sie starrte auf den Code, der sich auf ihrem Bildschirm zeigte. Lexi Higgings ließ ihre Finger über die Tastatur gleiten. Es war später Nachmittag und sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett. Ihr Laptop lag auf ihren Beinen. Ihr spärliches Zimmer bestand aus einem Bett, einem kleinen Schreibtisch und einem Schrank, der eher einem Spint glich. Poster von Figuren aus Filmen oder Serien, die sie mochte, bedeckten die Wände. Ihre Musikanlage spielte gerade einen ihrer Lieblingssongs von Muse. Solange sie für ihren Vater, General Higgings, arbeitete, hauste sie in einem der Zimmer auf dem Militärstützpunkt. Es war nichts Besonderes. Sie war froh, dass sie hier ungestört arbeiten konnte. Ihr rosafarbenes Haar, das ihren Kopf mit einem Stufenschnitt umrahmte, stach hervor. Auf der Etage, auf der sie ihr Zimmer bewohnte, gab es noch weitere Zimmer, mit derselben Ausstattung wie ihres. Dort wohnten die Soldaten ihres Vaters. Anfangs verlangte er von ihr, dass sie nach getaner Arbeit nach Hause ging, aber sie hatte ihn davon überzeugen können, dass das nicht nötig war. Keiner belästigte sie hier, zumindest nicht ohne den Argwohn ihres Vaters auf sich zu ziehen. Die anderen Soldaten, die sich freiwillig für das neueste Projekt zur Verfügung stellten, waren in abgeschlossene Zellen im Untergeschoss untergebracht. Und das war gut so. Ein Schauder fuhr über ihren Rücken, als sie an den Übergriff zurückdachte. Inzwischen waren zwei Wochen vergangen. Einer der Soldaten, die sich gerade verwandelten, entkam und hatte sie überfallen. Es hatte nicht viel gefehlt und er hätte sie vergewaltigt. Zum Glück war er rechtzeitig erschienen. Der attraktive blonde Vampir mit den stechenden hellbraunen Augen, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Bis heute wusste sie nicht, wer er war oder was er dort zu suchen hatte. Er war keiner der Männer ihres Vaters, so viel wusste sie. Das Einzige, was sie bisher über ihn wusste, war sein Name. Valerius Stark. Sie ließ den Namen über ihre Zunge zergehen und lächelte verschmitzt. Als sie an seine atemberaubende Ausstrahlung dachte und den Moment, als er sie beinahe küsste, zog ein Kribbeln über ihre Haut. Seit dieser Nacht suchte sie nach ihm. Genau in diesem Augenblick richtete sie im Darknet ihre Fühler aus und versuchte, ihn aufzuspüren. Als Hackerin wusste sie genau, wie sie vorgehen musste. Sie musste nur aufpassen, dass ihr Vater sie nicht überraschte. Immerhin beging sie gerade eine Straftat. Die Informationen, die sie im Internet bekam, sollten sie frösteln lassen. Allerdings kannte sie die dunklen Geheimnisse, die es da draußen gab. Die Menschen ahnten nichts von den Wesen, die unter ihnen lebten. Sie wusste von den Hexen, den Vampiren und sicher gab es noch andere Gestalten, die sich im Verborgenen hielten. Allerdings war es nicht einfach, zu unterscheiden, welche Informationen der Wahrheit entsprachen oder nur der Fantasie eines Spinners. Von daher dauerte ihre Suche länger als gedacht. Lexi hatte bisher keine Ahnung, was sie tun sollte, sobald sie ihn fand. Insgeheim hoffte sie darauf, dass er zu ihr zurückkam. Es war seltsam. So, als ob ein unsichtbares Band zwischen ihnen bestand, obwohl sie sich kaum kannten. Lexi spürte diesen inneren Zwang, ihn aufzuspüren. Sie musste ihn wiedersehen. Sie redete sich ein, dass sie ihn nur ausfragen wollte. Allerdings beschlich sie immer mehr das Gefühl, dass das nicht alles war. Sie konnte es nur noch nicht definieren. Jeden Abend hoffte sie auf neue Ergebnisse auf der Suche nach ihm. Sie surfte im Internet, bis ihr die Augen zufielen. Dieses Mal musste sie früher aufhören. Ihr Vater erwartete sie in einer Stunde. Er gab einen Empfang. Dafür musste sie sich noch umziehen. Und sie sollte besser fertig sein, bevor der Wagen ihres Vaters vorfuhr, um sie abzuholen. Die Feier fand in ihrem Anwesen statt. Lexi hatte keine Lust darauf, aber sie war gezwungen, hinzugehen. Der General würde ausflippen, wenn sie nicht kam. Bisher hatte er ihr nicht verraten, was der Anlass war. Sie hasste diese Feierlichkeiten, bei denen ranghohe Regierungsangestellte anwesend waren. In ihren Augen alles Snobs und Menschen, die glaubten, ihnen gehörte die Welt. Seufzend klappte sie den Laptop zu und begab sich zu ihrem Schrank. Sie holte die weiße Schachtel heraus, die ihr Vater ihr geschenkt hatte. Ihre Augen wurden größer, sobald sie den Inhalt vor sich sah. Er hatte ihr ein Cocktailkleid geschenkt. Es war schwarz und kurz, sie vermutete, dass es ihr bis knapp über den Po reichte. Für ihren Geschmack etwas zu anzüglich, aber er wird sich dabei etwas gedacht haben. Als sie es anstarrte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Missmutig schlenderte sie ins Bad, um sich für den Abend fertigzumachen.
Valerius betrachtete die blonde Frau, die sich gerade wollüstig an seinen nackten Oberkörper schmiegte. Angestrengt versuchte er, sich an ihren Namen zu erinnern. Er hatte vorgehabt etwas von ihrem Blut zu nehmen, um seinen Hunger zu bändigen. Doch nachdem er sie gebissen hatte, spürte er sofort, dass es nicht richtig war. Stirnrunzelnd verfolgte er ihren Mund, der hauchzarte Küsse auf seinem Brustkorb hinterließ. Sie schmiegte sich wie eine rollige Katze an ihn und wollte offensichtlich mehr. Der Frust, der sich in ihm ausbreitete, ließ ihn leise knurren. Sie nahm das als Zeichen des Gefallens und strengte sich sogleich noch mehr an, ihn zu verführen. Angewidert richtete er sich auf und entzog sich ihrem Griff. Überrascht hob sie den Kopf und verfolgte ihn mit ihren Blicken, als er aus dem Bett stieg. Ihre braunen Augen blitzten wütend, als er sie verschmähte und Anstalten machte, sich zu bekleiden. »Was soll das werden?«, fragte sie ihn zornig. Sie drehte sich auf dem Bett herum und hockte sich auf ihre Knie. Ihre vollen Brüste kamen in sein Blickfeld. Vor einiger Zeit hätte er dieses Geschenk nur zu gern angenommen. Er war ein Frauenheld durch und durch. Zumindest bisher. Doch in letzter Zeit konnte keine der Frauen, die zu ihm ins Bett kamen, ihn bezirzen. Er verspürte keine Erregung oder Anziehungskraft zu ihnen. Von daher nahm er von ihrem Blut, nur das Nötigste, was er brauchte, um zu überleben. Mehr nicht. Das war selbst für ihn verwunderlich. In seinen Träumen hingegen, die ihn jede Nacht plagten, gab es eine Frau, die seine Lust in Wallung brachte. Seit dem Tag, an dem er ihr geholfen hatte, spukte sie in seinem Kopf herum. Er konnte sie nicht vergessen. Dabei hatte er sie nicht angerührt oder von ihr getrunken. Wie war das also möglich? Waren das erste Anzeichen vom Blutrausch? Er wusste es nicht. Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass er verhungerte. Und er konnte seine Verwandlung kontrollieren. Alles Anzeichen dafür, dass er vom Rausch weit entfernt war. Er dachte an das Gespräch mit Gerard und Jack zurück. Der Fluch, dieses Buch und die Tatsache, dass Gerard, Caleb und André mittendrin waren, sprachen für sich. Damals schon hatte er kurz daran gedacht, dass das eine mögliche Erklärung für die Anziehung zu ihr war. Sofort hatte er diesen Gedanken abgeschüttelt. Es konnte nicht sein. Er hatte sie nicht gebissen. Ihr Duft …, er schnaubte, als die Erinnerung daran aufkam. Sie hatte ihn mit ihrem Duft betört. Das musste er zugestehen. Dennoch hatte er sich gute zwei Wochen von ihr ferngehalten. Sie war die Tochter eines ihrer Feinde. Keine gute Ausgangssituation. Wie lange er sich noch von ihr fernhalten konnte, war ihm schleierhaft. Alles in ihm wollte dem Drang nachgeben und sie aufsuchen. Er nahm an, wenn er ein wenig Zeit vergehen ließ, ließ das Gefühl nach. Im Gegenteil, es wurde unerträglich. Die Tatsache, dass er den Kontakt eh mit ihr suchen musste, schwebte über ihn. Sie war die einzige Person, die die Dateien ihres Vaters öffnen konnte. In der Nacht, als er sie vor dem Übergriff eines Soldaten rettete, stahl er die Dateien. Doch bisher war es ihnen nicht gelungen, sie zu entschlüsseln. Hinzu kam, dass Gerard ihn bedrängte. Er würde sich nicht mehr lange abspeisen lassen. Sein Blick fiel auf die Frau in seinem Bett. Sie zog einen Schmollmund. »Verzeih, ich bin nicht in der Stimmung«, meinte er zu ihr. »Du solltest gehen.«
»Ist das dein Ernst?«, sagte sie ungläubig. »Weißt du, es spricht sich langsam herum, Valerius.« Verärgert stieg sie aus dem Bett und griff nach ihrem Oberteil.
»Wovon sprichst du?« Er ging zur Bar und befüllte sein Glas mit dem Bourbon. Den Rücken ihr zugewandt, nahm er einen Schluck und genoss es, als der Alkohol seine Kehle herunterrann.
»Nun ja, die Frauen, mit denen du bisher verkehrt hast. Sie reden über dich und sind wütend, weil du sie verschmähst. Ich hatte angenommen, bei mir würdest du eine Ausnahme machen. Da habe ich mich getäuscht. Geht es um eine Frau?«
Valerius wirbelte mit dem Glas in der Hand zu ihr herum. »Das geht dich nichts an«, fauchte er. »Du kannst jederzeit aus dem Vertrag aussteigen. Genauso wie die anderen Frauen.«
Sie sah ihn verwundert an und schüttelte den Kopf. Schließlich ging sie zur Tür und verließ wortlos sein Schlafzimmer. Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Das verdiente sie nicht. Sie war immer gut zu ihm und sie konnte den Mund halten. Er würde sich beim nächsten Mal erklären müssen. Falls es ein nächstes Mal gab. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie ihm ab sofort die kalte Schulter zeigte. Ein Piepen riss ihn aus den Gedanken. Als er den Ton erkannte, sah er zu seinem Laptop herüber, der auf seinem Schreibtisch lag. Neugierig trat er näher und öffnete ihn. Das Briefsymbol am unteren Rand gab ihm Gewissheit. Er hatte eine E-Mail bekommen. Valerius öffnete sein Postfach und prüfte den Absender. Einer seiner Informanten. Als er die Nachricht öffnete und die Zeilen las, verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen. General Higgings gab heute Abend einen Empfang in seinem Haus. Er kannte den General gut genug, um zu wissen, dass sie anwesend sein würde. Immerhin war er lange Zeit als Spion in seinen Reihen unterwegs gewesen. Natürlich getarnt als sein persönlicher Assistent Christopher Douglas. Er hatte seinen Posten vor zehn Tagen offiziell gekündigt. Seine Tarnung war nicht mehr erforderlich, dennoch ließ er den General von seinen Leuten beobachten. Er war zu gefährlich. Vor allem seine neuen Soldaten, die mit Stammzellen von den Vampiren herumliefen. Doch das war es nicht, was ihn gerade so breit grinsen ließ. Es war die Aussicht darauf, sie wiederzusehen. Solange sie auf dem Stützpunkt war, war es kaum möglich, zu ihr zu gelangen. Es war besser geschützt als Fort Knox. Aber auf diesem Empfang? Valerius klappte den Laptop zu, trank seinen Whisky in einem Schluck aus und fasste einen Entschluss. Heute Abend würde er dem Ganzen auf den Grund gehen. Er hatte genug von den Träumen. Er musste nur darauf acht geben, dass er unentdeckt blieb.
Lexi starrte ihr Spiegelbild an. Was hatte ihr Vater sich bei diesem Kleid gedacht? Es war viel zu weit ausgeschnitten. Zum Glück besaß sie kleine Brüste, sonst würden sie ihr mit Sicherheit aus dem Dekolleté fallen. Sie musste aufpassen, dass sie sich nicht großartig bückte. Es war so kurz, dass jeder einen Blick auf ihren Hintern erhaschen könnte, wenn sie es tat. Mürrisch stöhnte sie leise vor sich hin. Das ungute Gefühl kam erneut zum Vorschein. Niemals würde er sie so vor fremden Leuten herumstolzieren lassen. Außer er hatte einen triftigen Grund. In Lexi hegte sich immer mehr der Wunsch, fernzubleiben. Sie dachte ernsthaft daran, irgendeine Krankheit vorzutäuschen, damit sie nicht dort erscheinen musste. Ein leises Klopfen an ihrer Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie lief zu ihrem Bett und schloss schnell den Laptop, um ihn in eine der Schubladen ihres Schreibtisches zu verstauen. Sobald sie die Tür öffnete, sah sie ihren Chauffeur mit stoischem Gesichtsausdruck vor ihr stehen. Er sagte kein Wort und sah sie abwartend an. Eilig schnappte Lexi ihre kleine schwarze Handtasche und folgte ihm. Als sie ins Freie trat, war sie froh, dass sie ihren Mantel übergezogen hatte. Die eisige Luft bescherte ihr ein Frösteln und ihr Körper verkrampfte sich. Der Chauffeur hielt ihr die Tür auf und sie beeilte sich, in die Limousine einzusteigen. Die Kälte ließ sich nicht abschütteln, sodass sie den Mantel enger um sich zog. Die Umrisse des Stützpunktes verblassten, desto weiter die Limousine fuhr. Gern hätte sie ein wenig Small Talk mit dem Chauffeur gehalten, doch er wechselte niemals ein Wort mit ihr. Er wirkte auf sie wie ein Roboter, der nur das tat, wofür er angestellt war. Er würde sie nach A und B bringen, mehr nicht. Seufzend lehnte sie sich an den Rücksitz und schloss die Augen. Ihre innere Unruhe wurde mit jedem Kilometer, den sie näher an das Anwesen ihres Vaters kam, stärker. Der Höhepunkt wurde erreicht, als die Tür der Limousine sich öffnete und sie ausstieg. Mit einem nervösen Blick sah Lexi auf das Anwesen vor ihr. Ihre Familie lebte in einer viktorianischen Villa, strahlend weiß und umrundet mit einem ordentlichen Garten. Die breite Treppe, die zum Eingang führte, war für den heutigen Abend mit einem roten Teppich drapiert. Stirnrunzelnd sah sie kurz zum Chauffeur, als ob er ihre stumme Frage beantworten würde. Im Augenwinkel entdeckte sie den schwarzen Transporter, der in der Einfahrt stand. Getönte Scheiben zierten das Ungetüm. Sofort fragte sie sich, welche Gäste mit einem Transporter herkamen? Als Gänsehaut ihre Arme emporstieg, beeilte sie sich, um ins Innere zu gelangen. Kaum hatte sie die Türschwelle betreten, wurde sie vom grellen Licht des goldenen Kronleuchters geblendet. Die Eingangshalle war festlich geschmückt und eigens für diesen Empfang hatte ihr Vater eine Garderobe in der hinteren Ecke einrichten lassen. Eine junge schwarzhaarige Dame stand hinter dem Tresen und nahm die Mäntel der Gäste mit einem Lächeln entgegen. Lexi ahnte, dass dieser Abend anders verlaufen würde. Ihr Vater scheute keine Kosten.
»Ah da bist du ja endlich, Lexi.«
Sie wirbelte herum und sah ihren Vater auf sich zueilen. Die Arme ausgebreitet, strahlte er sie an. Erst als er direkt vor ihr stand und ihr aus dem Mantel half, inspizierte er sie von oben bis unten. Lexi beschlich erneut ein merkwürdiges Gefühl.
»Du siehst umwerfend aus«, erklang seine Stimme, die geschwollen klang. Seit wann gab er ihr Komplimente? Bisher machte er keinen Hehl daraus, dass er ihre Aufmachung nicht mochte. Ihre pinken Haare entfachten normalerweise seinen Unmut. Überrumpelt ließ sie sich von ihm mitführen, als er sie in den großen Saal brachte. Eine Schar von Anzugträgern stach ihr ins Auge. Die Frauen trugen alle schicke Abendkleider. Am anderen Ende des Saales prangte das üppige Buffet und Kellner stolzierten mit den Tabletten umher, auf denen Champagner verteilt wurde. Lexi spürte die Hand ihres Vaters auf ihrem Rücken, der sie zielsicher zu einer Gruppe von Männern führte. Alles in ihr wollte umdrehen und verschwinden. Die Männer mit ihren Smokings und diesem aufgesetzten Lächeln widerten sie an. Sie wusste sofort, dass es ranghohe Mitglieder der Regierung waren oder Kollegen, mit denen ihr Vater an dem neuen Projekt arbeitete. Noch ein Grund mehr, sich unwohl zu fühlen. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie einen Käfig erblickte, der in einer der Ecken des Saales stand. Lexi schluckte schwer. Was hatte ihr Vater vor? Wer sollte in den Käfig gebracht werden und wozu? Sie warf ihm einen schockierten Seitenblick zu, doch er nahm keine Notiz davon. Als sie kurz ins Stolpern geriet, legte seine Hand sich um ihren Oberarm, um sie aufzufangen. Sein Griff war fest und unangenehm. Doch sie sagte nichts und verzog verärgert den Mund. »Wo ist Mutter?«, fragte sie ihn leise.
»Sie wird heute nicht anwesend sein. Nur eingeweihte Mitglieder sind eingeladen. Du weißt, dass deine Mutter hiervon nichts wissen darf«, tadelte er sie.
»Natürlich«, murmelte sie leise. Wo hatte er sie hingebracht? Um zu gewährleisten, dass sie ungestört waren, musste er sie weggebracht haben. Lexi versuchte, ihre Wut zu unterdrücken. Wie konnte er es wagen, so eine Veranstaltung in ihrem Haus zu veranstalten? Es ging um seine Arbeit. Das sollte er nicht mit dem Privaten vermischen. Erst recht nicht wenn das hieß, dass ihre Mutter dafür aus dem Haus geworfen wurde. Sie wollte ihn gerade zurechtweisen, als sie die Männergruppe erreichten, die er ansteuerte.
»Lexi, darf ich vorstellen? Das sind gute Freunde und Kollegen von mir. Meine Herren, meine Tochter Lexi.«
Jedes Augenpaar dieser Männer richtete sich sofort auf sie. Genüsslich ließen sie ihre Blicke über ihren schlanken Körper wandern und verbargen kaum ihr Interesse. Lexi versteifte sich sofort und konnte nur leicht nicken. Diese Männer waren doppelt so alt wie sie. Sie fühlte sich deutlich unwohl und unterdrückte ein Zittern.
»Im Besonderen möchte ich dir Luke Bellington vorstellen«, hörte sie ihren Vater. Besagter Mann trat einen Schritt vor und verbeugte sich vor ihr. Er war jünger als die anderen Männer. Sie vermutete ihn über dreißig. Seine braunen kurzen Haare lagen wellig um seinen Kopf und seine hellblauen Augen starrten sie interessiert an. Als er ihre Hand ergriff und ihr darauf einen Kuss hinterließ, schauderte sie. Eilig entzog sie ihm ihre Hand. Er quittierte ihr die Geste mit einem amüsierten Grinsen. »Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Lexi. Ich habe viel von dir gehört«, sagte er mit seidiger Stimme. Seine Augen bohrten sich in ihre. Da war so viel Dunkelheit in ihnen, sodass sich ihr Herz krampfhaft zusammenzog. Er verschleierte nichts und das, was sie in seiner Seele las, ließ sie steif dastehen. Dieser Mann war gefährlich. Sie spürte es sofort. Sie konnte nur nicken und brachte keinen Ton heraus. Als sein anzüglicher Blick auf ihr Dekolleté fiel, presste sie die Lippen fest aufeinander. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und sah ihren Vater mit funkelnden Augen an. Es schien, als ob sie gerade eine stumme Abmachung trafen.
»Luke ist der Oberbefehlshaber meiner Soldaten. Er ist direkt an der Front, wenn es darum geht, diesen Monstern Feuer unter dem Arsch zu machen. Sehr talentiert, äußerst loyal und die absolute Nummer eins bei den Männern«, betonte ihr Vater stolz.
Lexi sah von einem zu anderen. Mit anderen Worten, Luke war ein Elitekämpfer durch und durch. Und er unterstand den Befehlen ihres Vaters. Wenn sie das beeindrucken sollte, konnte sie nur gedanklich mit dem Kopf schütteln. Er war einer von diesen Männern, die alles und jeden aus dem Weg räumten, die nicht die Prinzipien ihres Vaters teilten oder die zu seinen Feinden gehörten. Luke lächelte leicht bei seinen Worten und fühlte sich sichtlich geschmeichelt.
»Ich habe ihm versprochen, dass er heute Abend dein Begleiter sein darf. Er möchte dich näher kennenlernen, Lexi.« Ihr Vater sah sie streng an.
Lexi zog den Atem ein und blinzelte ungläubig. Er hatte was getan? Sein Blick drückte klar aus, dass jede Widerrede von ihr im Keim erstickt wurde. Sie musste sich fügen, ob sie wollte oder nicht. Lexi konnte nicht umhin, sich zu denken, dass sie gerade wie eine Ware angepriesen wurde. Wütend starrte sie zu Boden und presste die Lippen fest zusammen. Die Krönung des Ganzen war, dass er sie zu Luke schob, bis sie direkt neben ihm stand. Er legte demonstrativ seine Hand auf ihren Rücken und zog sie näher an seine Seite. Mit einem siegessicheren Lächeln sah er sie an, bevor er sich an die Männer in der Runde wandte und mit in das Gespräch einstieg. Lexi wusste, das er ihre Abneigung spüren musste. Sie konnte es nicht abstellen. Seine Hand auf ihrem Rücken schien ein Brandzeichen zu hinterlassen. Als er ihr ein Glas Champagner reichte und ihre Blicke sich trafen, verkrampften sich ihrer Finger um den Stiel des Glases. Er musste kein Wort sagen, sein Blick sagte ihr, dass sie gerade in sein Besitz übergegangen war. Was immer das zwischen Luke und ihrem Vater war, er hatte ihn eindeutig in der Hand. Die Furcht davor, was Luke damit bezweckte, schnürte ihr die Kehle zu. Eilig nahm sie einen großen Schluck Champagner. Es war nicht genug. Also leerte sie ihr Glas in einem Zug und wunderte sich nicht, dass Luke das nächste Glas für sie parat hielt. Das verräterische Zucken um seinen Mund sprach Bände. Er wusste es. Er wusste genau, welche Ängste sie gerade durchmachte. Doch anstatt sie zu beruhigen oder ihr zu versichern, dass es nicht an dem war, tat er so, als ob alles normal war. Sie hasste ihn. Die wenigen Minuten, die sie jetzt in seiner Gesellschaft war, hatten ausgereicht, um sich dieses Urteil über ihn zu bilden. Dieser Mann war ihr zuwider. Sie hoffte inständig, dass ihr Vater nicht noch mehr versprochen hatte. Sie hatte nicht vor, Luke nach diesem Abend wiederzusehen. Als die Männer um sie herum das Gespräch auf den Käfig lenkten, wurde sie hellhörig. Sie durchlöcherten ihren Vater mit Fragen, denen er gekonnt auswich. Jeder wollte wissen, wofür dieser Käfig gedacht war. Luke beugte sich zu ihr herunter, bis sein warmer Atem ihr Ohr streifte. Sofort versteifte sie sich. Jedes Wort, dass er ihr zuflüsterte, löste Schrecken und Angst in ihr aus.
»Genieße es, kleine Lexi. Heute Abend werden wir live miterleben können, zu was diese Monster fähig sind.« Er richtete sich auf und lächelte.
Lexi starrte zum Käfig und schluckte. Luke schien Gefallen daran zu finden, was immer ihr Vater heute demonstrieren wollte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ruhig bleiben sollte. Sie wollte das nicht sehen, egal was es war. Doch sie konnte nicht verschwinden. Luke hielt sie an seine Seite gepresst wie einen Schraubstock. Mit Entsetzen bemerkte Lexi in diesem Augenblick, wie das Licht gedimmt wurde. Sämtliche Gäste stießen überraschte Laute aus. Als der DJ das Mikrofon an ihren Vater übergab und seine Stimme durch den Saal donnerte, zuckte sie zusammen. Das bewirkte, dass Luke sie noch dichter an sich zog. Angewidert hielt sie still.
»Meine lieben Gäste, es ist endlich so weit. Heute Abend werden sie hautnah miterleben, weshalb wir tun, was wir tun. Es gibt nichts zu beschönigen. Im Gegenteil, die Zeit ist gekommen, um sich mit ihren eigenen Augen davon zu überzeugen, mit was für Monster wir es zu tun haben. Es versteht sich von selbst, dass die Ereignisse dieses Abends diese vier Wände nicht verlassen dürfen. Ihnen kann nichts geschehen, keine Sorge. Wir haben entsprechende Vorkehrungen getroffen, die ihre Sicherheit gewährleisten. Und nun, meine Damen und Herren, sehen sie aufmerksam zu.« Mit einem Kopfnicken gab er der Security ein Zeichen. Daraufhin wurde die Tür auf der anderen Seite geöffnet. Mit angehaltenem Atem starrte Lexi auf das Geschehen vor sich. Zwei Soldaten zerrten einen Mann mit sich. Seine Hände waren mit Eisenhandschellen gefesselt und um seinen Hals lag ein Halsband aus Eisen. Die Kette daran ließ darauf schließen, dass er normalerweise daran in einem Raum angekettet wurde. Entsetzt riss Lexi die Augen auf. Sie sah kurz zu ihrem Vater, der sie mit einem warnenden Blick ansah. Als ihr Blick auf den gefesselten Mann fiel, der alles andere als gesund aussah, stockte ihr Atem. Er hob langsam den Kopf, bis seine schwarzen Augen sich auf die anwesenden Gäste legten. Als er den Mund aufstieß und sie anfauchte, konnte sie die Fangzähne erkennen. Ein Raunen ging durch die Menge. Schließlich bugsierten sie den Vampir in den Käfig. Er schien orientierungslos zu sein. Erst, als zwei weitere Männer von der Securtiy eintraten und eine junge Frau hereinbrachten, wurde es still im Saal. Lexi schluckte und versuchte, sich abzuwenden. Doch Luke hielt sie eisern fest und bedachte sie mit einem strengen Blick. Er wollte, dass sie zusieht. Es schien, als ob er ihr damit etwas sagen wollte. Seine Augen verengten sich und starrten sie gefährlich funkelnd an. »Sieh hin, Lexi«, befahl er ihr.
Sie sah ihn entgeistert an und zitterte. »Das kann ich nicht«, wisperte sie leise. Sie dachte, er hätte sie nicht verstanden, bis er ihr Gesicht in die Hände nahm. »Du wirst es dir ansehen. Du musst wissen, wie gefährlich sie sind. Ich mag es, mit anzusehen, wie eine Frau vor Angst bettelt und um Gnade fleht. Bald werde ich dich so winseln hören, kleine Lexi.« Sein böses Lächeln traf auf sie. Dann wandte er sich dem Käfig zu.
Schockiert über seine Drohung stand sie da und dachte, sie sei in einem falschen Film. Hatte er gerade angedeutet, dass er sie quälen wollte? Oh Gott! Ein Brüllen erklang in dem Saal, sodass sie zusammenzuckte. Der Vampir wehrte sich und warf sich gegen die Eisengitter des Käfigs. Einer der Männer hob den Schlagstock und presste ihn auf den Rücken des Vampirs. Sobald der Stromschlag daraus hervorschoss, zuckte der Vampir zusammen und brüllte vor Schmerz. Lexi war sprachlos. Die junge Frau wurde unachtsam zu dem Vampir in den Käfig geworfen. Sie sah sich verängstigt um und zitterte am ganzen Körper. Die Tatsache, dass sie nackt war, machte es nicht besser. Diese Demütigung war furchtbar. Dann ging alles so schnell, sodass Lexi mit Sicherheit noch tagelang Albträume davon haben würde. Der Vampir fiel über die junge Frau her und biss zu. Sie konnte nur fassungslos zusehen, wie er ihr Blut trank und sich wie ein wildes Tier über die Frau hermachte. Die Menge grölte und feuerte ihn noch an. Für Lexi unverständlich. Wie konnten sie nur? Als der Vampir zur Seite rollte und die Frau sich nicht mehr bewegte, wurde es ruhig im Saal. Angespannt beobachtete Lexi, wie die Frau hinausgetragen wurde. Im Anschluss brachten sie den Vampir aus dem Saal. Sie wusste, dass er in sein Gefängnis gebracht wurde. Doch für die Frau war es zu spät. Sie war tot. Ihr Vater hatte gerade diese junge Frau ermordet und das vor einer großen Schaar von Gästen. Es war nicht der Vampir. Er wurde gezwungen und musste mit Sicherheit länger ohne Blut ausharren, sodass er ausgehungert war. Er hätte nicht anders gekonnt. Fassungslos stand Lexi da. Ihr Verhältnis zu ihrem Vater war nie sonderlich schön gewesen. Doch in diesem Moment spürte sie die Verachtung, die sie für ihn hegte. Mit dieser Aktion hatte er ihr gerade bewiesen, zu welchen abscheulichen Taten er fähig war. Ihr drehte sich der Magen um. Als sie das euphorische Grinsen in Lukes Gesicht sah, ahnte sie, dass sie in großer Gefahr schwebte. Luke war kein Mann, der Frauen mit Respekt behandelte. Sie erinnerte sich an seine Worte. Er war ein Sadist und liebte es, Frauen zu quälen. Und anscheinend war sie seine neue Trophäe.
Valerius beobachtete die Szene und kämpfte mit dem Zorn, der in ihm wütete. Er verzichtete auf eine Tarnung. Jeder in diesem Saal war auf den Käfig fixiert. Niemand beachtete ihn, als er etwas abseits an der Wand stand und zusah. Dennoch achtete er darauf, unscheinbar zu bleiben. Inzwischen war ihm klar, weshalb er die E-Mail erhalten hatte. Sein Spitzel, der unter den Soldaten von General Higgings diente, hatte recht behalten. Dieses Zurschaustellen von seinesgleichen hatte er mit eigenen Augen sehen müssen. Nicht mehr lange und die Menschen würden nicht mehr davor zurückschrecken, seine Leute auf offener Straße zu jagen. Die Zeiten, in denen sie in Ruhe im Verborgenen leben konnten, waren endgültig vorbei. Die Demonstration auf diesem Empfang sollte nur der Anstoß sein. Die anwesenden Gäste waren hochrangige Personen der Regierung und des Verteidigungsministeriums. Es war abzusehen, welche Beweggründe General Higgings dazu verleiteten. Sie sollten mit eigenen Augen sehen, zu was ein Vampir fähig war. Er wollte sie als Monster oder wilde Tiere darstellen. Und als ernsthafte Bedrohung für die Menschheit. Die Tatsache, dass der Vampir unter Zwang und Hungersnot handelte, interessierte nicht. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und er wäre zu dem Käfig gestürmt, um dem Vampir zu helfen. Er hätte mit Sicherheit die Frau nicht sterben lassen. Es kostete ihm große Anstrengung, ruhig zu bleiben. Vor allem als sein Blick auf Lexi traf, die auch noch ziemlich besitzergreifend von einem Mann im Smoking im Arm gehalten wurde. Er sah es ihr an, sie wollte es nicht. Die Aura, die um diesen Mann lag, sagte ihm alles. Er war kein Frauenliebhaber. Am liebsten würde er Lexi aus seinen Armen ziehen und von hier fortbringen. Bisher war er ihr noch nicht näher gekommen. In guter Voraussicht. Er wusste, was ihr Geruch mit ihm anstellte. Dennoch blühte sein Herz auf, sobald er sie sah. Die Anziehung war nach wie vor da. Er wollte sie. Jeder Mann, der ihr zu nahe kam, war ein toter Mann. Zumindest wenn es nach ihm ginge. Doch er konnte hier keine Szene machen. Damit würde er sich verraten. Er hatte eh damit zu kämpfen, seine Vampirgestalt zurückzuhalten. Als seine Augen Lexi näher in Augenschein nahmen, zog er scharf den Atem ein. Sie sah wundervoll aus in diesem schwarzen Kleid. Es war gewagt, aber mit ihrer schlanken Figur konnte sie es tragen. Er ertappte sich dabei, wie er daran dachte, es von ihrem Körper zu schälen. Langsam, sodass er es genießen konnte. Würde sie ihn von sich stoßen, wenn er das tat? Als ob sie seine Gedanken hörte, drehte sie sich in diesem Augenblick um und ihre Augen legten sich auf ihn. Sofort wurde die Luft um ihn herum wärmer. Sie sah ihn mit Erstaunen und Freude an. Sie erkannte ihn. Stumm wechselten sie einen Blick miteinander. Sie wollte hier weg und fühlte sich unwohl. Das konnte er ihr nicht verdenken. Lässig stand er an der Wand, die Schulter daran angelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und die Füße überkreuzt. Doch in seinem Inneren herrschte ein Tornado. Dieses unsichtbare Band, das zwischen ihnen stand, drängte ihn zu ihr. Ihre hellblauen Augen blitzten ihm entgegen und schienen eine ernst gemeinte Aufforderung zu enthalten. Er konnte das nicht länger mitansehen. In seinem Kopf malte er sich aus, wie er ihr helfen könnte. Der Mann, der Lexi an seine Seite presste, war ihm kein Unbekannter. Er war die Nummer eins bei der Elitetruppe von General Higgings. Besonnen zog Valerius sein Handy aus der Hosentasche und tippte eine Nachricht darauf ein. Es gab nur eine Chance, wie er den Mann von ihr fortlocken konnte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis einer von der Security auf Luke zuging und ihm ins Ohr flüsterte. Sofort nickte dieser ihm zu und entschuldigte sich bei den anderen, bevor er eilig den Saal verließ. Nicht ohne Lexi noch einen besitzergreifenden Blick zuzuwerfen. Valerius zischte leise und sah sofort zu Lexi. Sie zitterte. Kein Wunder, die Nummer eins war alles andere als ein Gentleman. Er hatte genug Geschichten über ihn gehört, um das zu wissen. Und wenn Luke an Lexi Interesse bekundete, schwebte sie in größerer Gefahr, als sie dachte. Er beobachtete sie dabei, wie ihr erleichtert der Atem entwich, sobald Luke verschwand. Im nächsten Moment wirbelte sie auf dem Absatz herum und lief aus dem Saal. Valerius stieß sich sofort von der Wand ab und folgte ihr.
Lexi rannte panisch davon. Sie lief durch den Eingangsbereich und störte sich nicht daran, dass die Dame von der Garderobe ihr überrascht hinterher sah. Sie lief einfach weiter. Egal, wohin, Hauptsache fort von hier. Ihre Füße trugen sie in den Garten. Erst als sie sicher war, dass niemand von den Gästen, der Security oder ihr Vater sie sehen konnten, blieb sie außer Atem stehen. Geschützt durch die meterhohen Hecken fühlte sie sich besser. Doch ihr Zittern wollte einfach nicht nachlassen. Der Gedanke an Luke und was sie gerade mitangesehen hatte, ließ sich nicht abschütteln. Das alles hier war so falsch. Sie wollte nicht dazugehören. So war sie einfach nicht. Wie konnte ihr Vater nur so skrupellos sein? Langsam fragte sie sich, ob er weitaus schlimmer war, als Professor Douglas. Schritte ließen sie herumfahren und die Augen geschockt aufreißen. Doch als sie sah, wer ihr gegenüber stand, beruhigte sie sich. Er war hier. Sie hatte es gehofft und sich gewünscht, ihn wiederzusehen. Allerdings nicht so. Wie musste es ihm gehen? Er hatte diese Szene mit dem Vampir ebenfalls beobachtet. Sie konnte sich nicht ausmalen, was er darüber dachte. Es musste furchtbar sein. Sie schämte sich für ihren Vater. »Valerius«, hauchte sie fassungslos.
Er kam näher, bis er dicht vor ihr stand und zu ihr hinunter sah. Da war es. Dieses Kribbeln und die Hitze, die sich in ihr ausbreitete, sobald er ihr nahe war. Sein Geruch nach Leder und frischem Regen, der sich auf die Bäume im Wald legte, legte sich auf sie. Instinktiv inhalierte sie seinen Duft. Es beruhigte sie. Valerius zog sie ohne ein Wort an seine breite Brust. Er spürte ihren inneren Aufruhr. Langsam fuhr er mit der Hand über ihren Rücken und spendete ihr damit Trost. Sie ließ es zu und lehnte sich an ihn, bis ihr Kopf an seinem pochenden Herzen ruhte. Gott, es fühlte sich so richtig an, in seinen Armen zu liegen. Dabei waren sie sich erst einmal begegnet. Sie kannte ihn kaum. Der Umstand, dass er ein Vampir war, störte sie nicht. Für sie war er wie ein Fels in der Brandung, der sie beschützte und behütete. Die Angst, ihn niemals wiederzusehen, hatte sie in den letzten Tagen gelähmt. War es ihm ähnlich ergangen? Fragend blickte sie zu ihm auf und begegnete seinem Blick. Seine hellbraunen Augen lasen in ihr. Seine blonden Haare wehten leicht im Wind und ließen ihn verwegen aussehen. Er nahm einen tiefen Atemzug und presste sie näher an seine breite Brust, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Seine Hand legte sich um ihren Nacken, als er den Kopf senkte. Lexi hielt gebannt den Atem an. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Gesicht. Als er mit der anderen Hand ihre Taille umfasste und sie dicht an sich zog, spürte sie einen Schauer ihr Rückgrat entlang fahren. Doch erst als er seine Lippen auf ihre legte und sie küsste, kam es ihr vor, als schwebte sie. Sanft und unglaublich langsam bewegten sich seine Lippen auf ihren Mund. Als ob sie alle Zeit der Welt hätten. Seine Zunge kam hervor, nur um über ihre Lippen zu streichen. Gänsehaut überzog ihre Haut und sie seufzte leise. Sie konnte nicht anders, als den Mund zu öffnen, sodass seine Zunge eindringen konnte. Sie umschlang ihre und nahm sie in Besitz. Sein Kuss wurde tiefer und leidenschaftlicher, sodass Lexi sich mit den Händen an seinen Schultern festkrallte. Sie wollte nicht mehr aufhören. Dieser Kuss versprach so viel, sodass sie leise wimmerte und sich ihm hingab. Ihr Seufzen ging in einen Klagelaut über, als er den Kuss sanft unterbrach. Langsam öffnete sie die Augen und starrte in seine. Er sah sie mit schwarzen Augen begierig an. Ein Lächeln lag um seinen Mund, als ob er genau wusste, dass sie nicht aufhören wollte, ihn zu küssen. Da seine Augen sich verwandelt hatten, wusste sie, dass es ihn innerlich genauso aufwühlte, wie es mit ihr geschah. Sie gehörten zusammen. Es schien unfassbar, aber alles zeugte davon. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie gespürt, dass er mehr für sie bedeutete. Sie hatte niemals an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Doch jetzt kamen ihr ernste Zweifel. Langsam löste er sich von ihr, um Abstand zu gewinnen. Sein Gesichtsausdruck deutete davon, dass er es ungern tat. »Ich kann nicht bleiben«, sagte er und vermied es, sie direkt anzusehen.
Enttäuscht ließ Lexi die Schultern hängen und trat einen Schritt zurück. »Ich weiß«, sagte sie leise und starrte auf ihre Schuhe.
Mit dem Finger an ihrem Kinn zog er ihren Kopf hoch, bis sie ihn ansehen musste. »Wir sehen uns wieder, Lexi«, versprach er ihr. »Ich kann gar nicht anders. Die letzten zwei Wochen waren eine Qual«, gestand er leise. »Ich wünschte, du hättest das nicht mitansehen müssen.«
Sie spannte sich sofort an, als er von dem Vampir in dem Käfig sprach. »Es war abscheulich.« Angewidert schüttelt sie den Kopf.
Valerius runzelte die Stirn. Würde das, was sie gerade gesehen hatte, alles zerstören? Würde sie sich von ihm beißen lassen, nachdem sie das mitangesehen hatte? Nichts an dieser Szene zeigte, wie es tatsächlich sein konnte. Es hatte nichts mit roher Gewalt und Gier zu tun. Wie konnte er ihr das nur verständlich machen? Er dachte ernsthaft daran, dass sie sich vor ihm fürchtete. Er war ein Vampir, genau wie dieser im Käfig. Er konnte es nicht beschönigen. Die Tatsache, dass alles in ihm drängte, seine Zähne in ihren Hals zu fahren, machte diese Situation nicht einfacher. Er konnte es nicht. Sie hatte gerade beobachtet, wie ein ausgehungerter Vampir eine junge Frau blutleer getrunken hatte. Lexi studierte seine Gesichtszüge. Alles an ihm sprach von seiner Qual. Als sie ahnte, woran er dachte, holte sie tief Luft. »Das habe ich nicht damit gemeint, Valerius. Es war furchtbar, was mein Vater da drinnen zugelassen hat. Aber ich trauere eher, als dass ich den Akt an sich verabscheue.«
Erstaunt sah er sie an. »Du fürchtest dich nicht davor?«
»Nein. Ich habe keine Abneigung gegen euch, wenn es das ist, was du denkst. Ich weiß, wie die Welt da draußen ist. Ich weiß, dass es Vampire, Hexen und sicher noch weitaus schlimmere Monster gibt. Das da drinnen«, sie zeigte mit dem Finger auf das Haus, »war eine verdrehte Version davon. Mein Vater wollte es genauso haben, um die Angst der Menschen zu schüren und damit seine Taten in einem guten Licht dastehen zu lassen. Und das ist es, was daran so furchtbar für mich ist. Ich verachte ihn, obwohl er mein Vater ist. Das, was er da tut, hat nichts mehr mit Verteidigung oder Gerechtigkeit zu tun. Er sperrt Vampire ein, experimentiert zusammen mit Professor Douglas an ihnen, er quält unschuldige Frauen …«, sie zitterte vor Aufregung, als sie sich so in Rage redete.
Er schoss vor und nahm sie in die Arme. Sofort verstummte sie. Tränen brachen aus ihr hervor. Der Schock saß tief. Behutsam strich er über ihren Kopf und sie ließ alles heraus. »Du musst dich von ihnen fernhalten«, bat er eindringlich. »Es ist nicht sicher für dich.«
»Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll«, schniefte sie an seiner Brust. »Mein Vater würde es nicht zulassen. Er hat irgendetwas mit seiner Nummer eins vor, was mich mit einbezieht. Das macht mir am meisten Angst. Luke ist so …«, sie schüttelte sich, als sie an ihn dachte.
Valerius spannte sich sichtlich an und knurrte leise. »Luke ist niemand, mit dem du allein sein solltest. Sieh immer zu, dass andere Leute in der Nähe sind, wenn er bei dir ist«, betonte er nachdrücklich.
Die Angst vor Luke bahnte sich erneut einen Weg in ihr. So, wie Valerius über ihn sprach, hatte sie sich nicht getäuscht. Luke war gefährlich. »Kannst du mich nicht einfach mitnehmen?« Ihr flehender Blick richtete sich auf ihn.
Valerius hielt den Atem an und starrte auf ihre tränen verschleierten Augen. Wie sollte er ihr das abschlagen? Vor allem, wenn sie ihn so ansah. Hilfe suchend, ängstlich und sichtlich fertig mit der Welt. »Lexi«, fing er vorsichtig an. Sein entschuldigender Blick bestätigte es. Er konnte es nicht.
Enttäuscht wand sie sich aus seinen Armen und trat zurück. »Dann weiß ich nicht, wieso du hergekommen bist, Valerius? Was war der Grund, außer das du mich nicht mitnehmen willst?« Sie wurde wütend. Ihre Wangen färbten sich rot, als sie ihn anklagend ansah.
»Es geht um so viel mehr. Dinge, die du noch nicht weißt und die dich nur noch mehr in Gefahr bringen, wenn du davon wüsstest. Das kann ich nicht zulassen. Du musst hierbleiben und so tun, als wäre alles wie immer. Nur so kannst du dich schützen. Bei mir bist du im Moment nicht sicher.«
Ungläubig sah sie ihn an. »Was soll das heißen? Wenn ich bei dir nicht sicher bin, wo dann? Du hast mich vor diesem Soldaten beschützt. Du weißt, zu was mein Vater fähig ist. Du weißt von Luke, der ein Auge auf mich geworfen hat. Trotzdem willst du, dass ich hierbleibe? Wieso? Ich dachte, zwischen uns wäre etwas. Ich dachte, du spürst es ebenfalls.« Verzweifelt drehte sie sich um und konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen.
»Ich würde dich sofort mitnehmen, wenn ich das könnte, Lexi.« Er seufzte schwer und starrte auf ihren Rücken. »Natürlich spüre ich es. Du gehörst zu mir, da gibt es keinen Zweifel. Wenn ich könnte, würde ich meinen Anspruch auf dich sofort besiegeln. Aber ich brauche dich im Inneren. Du bist direkt an der Quelle. Deine Fähigkeiten sind für uns von unschätzbarem Wert. Ich muss an meine Leute denken, an ihr Überleben. Dein Vater und die Regierung sind auf der Jagd nach uns. Es spitzt sich zu und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Menschen da draußen uns als Monster sehen.«
»Das ist es? Dir geht es nur darum, dass ich für dich spioniere?«, fragte sie ihn erbost, als sie sich zu ihm wandte.
Frustriert stand er da und verfluchte seine Worte. Er hatte es total falsch angestellt. Eigentlich wollte er sie sanft darum bitten. Doch in seiner Wut und der Verzweiflung, dass er sie noch nicht haben konnte, waren die Worte herausgesprudelt, bevor er sie hätte aufhalten können. »Tut mir leid, so hatte ich das nicht sagen wollen. Ich versuche, mich zu beherrschen. Weißt du, wie schwer es mir fällt, mich nicht auf dich zu stürzen, dich zu markieren und mit mir zu nehmen? Ich will dich seit der ersten Sekunde, in der ich dich sah. Ich begehre dich. Ich will von deinem Blut kosten. Ich will dich für mich beanspruchen. Ist es das, was du hören wolltest? Normalerweise solltest du eher davor zurückschrecken. Du kennst mich nicht. Du weißt längst nicht alles über Vampire, geschweige denn über mich«, wurde er lauter.
Entsetzt sah sie Valerius ins Gesicht. Seine Worte hallten in ihrem Kopf, aber sie brauchte einen Moment, um den Sinn dahinter zu verarbeiten. Er wollte sie. Alles von ihr. Du meine Güte! Erst jetzt begriff sie den Ernst der Lage. Bisher war sie benebelt von der rosaroten Brille, die diese Schwärmerei für ihn hervorbrachte. Doch es war weitaus ernster als angenommen. Zum ersten Mal, seitdem sie ihn gesehen hatte, wurde ihr bewusst, wohin das führen konnte. Er wollte sie beißen. Ein Vampir wollte seine Fangzähne in ihren Hals bohren und von ihrem Blut trinken. Sie sollte sich davor fürchten. Oder nicht? Sie sollte angeekelt davon sein. Würde nicht jeder normale Mensch so darauf reagieren? Sie tat es nicht. Und das war die erschreckende Erkenntnis, die sie gerade mit voller Wucht traf. Viel schlimmer noch als das, war der Umstand, dass sie es nur von ihm zulassen würde. Von keinem anderen Vampir. Hatte er sie verhext? Oder war das normal? Sprachlos stand sie da und begegnete seinem aufgewühlten Blick. Er versuchte, die Kontrolle zu bewahren. Doch das heftige Heben und Senken seines Oberkörpers zeugte davon, wie viel an Kraft es ihn kostete. Er wollte sich verwandeln. Sie konnte es ihm ansehen. Doch er hielt sich eisern zurück. Wie lange konnte er das noch? Leise räusperte sie sich. »Was soll ich tun?«, fragte sie ergeben. Lexi war bewusst, dass sie nachgab. Sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie ihren Vater aufhalten wollte, mussten sie zusammenarbeiten. Und wenn das hieß, dass sie nicht mit Valerius mitgehen konnte, musste sie das vorerst hinnehmen. Es gefiel ihr nicht. Er deutete an, dass es mehr gab, was dahinter steckte. Obwohl er nichts Näheres sagte, glaubte sie ihm. Er war mit Sicherheit nicht ohne Grund auf dem Stützpunkt gewesen. Sie hätte früher darauf kommen sollen. Doch die Erinnerungen an den Übergriff von dem Soldaten an ihr hatten es verdrängt. Bis jetzt. Allerdings konnte sie nichts dagegen tun, dass sie eine Abwehrhaltung einnahm. Er hatte sie verletzt. Er hatte sie gerettet, sie getröstet und letztendlich geküsst. Nur um sie dann zurückzuweisen, weil er noch nicht mit ihr zusammen sein wollte. Das tat weh.
»Ich habe an dem Abend auf dem Stützpunkt Dateien von deinem Vater gestohlen«, erklärte er. Valerius spürte, wie verletzt sie war. Er hoffte inständig, dass sie ihm die Zurückweisung verzeihen würde.
»Du hast was?«, schnappte sie empört nach Luft.
Er nickte nur und zuckte mit den Schultern. »Deshalb habe ich dich hören können, als du um Hilfe geschrien hast. Wir können diese Dateien nicht öffnen, sie sind verschlüsselt.«
»Ich verstehe«, nickte sie. »Du willst, dass ich sie für euch entschlüssele. Wo sind die Dateien jetzt?«, fragte sie im geschäftlichen Ton. In ihrem Gesicht war nichts mehr von den tieferen Gefühlen zu erkennen.
Valerius seufzte tief, als ihn die Erkenntnis traf, was er angerichtet hatte. Sie war verletzt. Das war seine Schuld. Er hatte ihr Hoffnungen gemacht, die er im Moment noch nicht erfüllen konnte. Er würde es wiedergutmachen, versprach er sich. Er hoffte nur, dass es dann noch nicht zu spät war. »Ich habe sie hier auf dem Stick«, er hielt ihr den USB Stick entgegen.
Langsam trat sie näher und nahm ihn an sich. Sie ließ ihn in ihrer Manteltasche verschwinden. »Ich sehe, was ich tun kann«, sagte sie mit gesenktem Kopf.
Als er sich auf sie zubewegte, zuckte sie zurück, bis er stehen blieb und sie direkt ansah. »Gib mir dein Handy«, sagte er. Natürlich hatte er bemerkt, dass sie zurückgezuckt war. Genau das hatte er vermeiden wollen. Würde Lexi ihn jemals wieder an sich heranlassen? Zaghaft übergab sie es ihm. Traurig sah er auf das Display des Handys, als er seine Nummer unter ihren Kontakten abspeicherte. Sie verstaute es in ihrer Handtasche, als er es ihr zurückgab. »Ich melde mich bei dir.«
Lexi nickte stumm und sah ihn abweisend an. Mit einem schweren Seufzer drehte er sich auf dem Absatz um und ging los. Lexi ließ den angehaltenen Atem entweichen und sah ihm nach. Plötzlich stockte er und drehte sich zu ihr um. Ihre Blicke begegneten sich. »Ich werde dich bald zu mir holen, Lexi. Du gehörst zu mir. Ich verspreche es dir«, sagte er noch, bevor er sich umwandte und aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Valerius stiefelte beunruhigt vorwärts. Seine Gedanken waren immer noch bei Lexi. Hätte er sie mitnehmen sollen? Sie hatte Angst, so viel war ihm klar. Sie war in einer gefährlichen Situation. Vor allem wenn er an Luke dachte. Ihr Vater schien es gutzuheißen. Er verstand zwar nicht, aus welchem Grund, er es zuließ, aber es musste einen geben. General Higgings war verbohrt, was seine Arbeit anging, aber bisher hatte er Lexi immer beschützt. Wieso jetzt nicht mehr? Was hatte Luke gegen ihn in der Hand? Er würde gern umkehren und sie mitnehmen. Ihr flehender Blick würde ihn von nun an verfolgen. Allerdings würde es merkwürdig erscheinen, wenn sie spurlos verschwand. Der General und seine Leute würden sie suchen und sicher die Vampire damit in Zusammenhang bringen. Die Spur würde unweigerlich zu ihm führen. Und das galt es zu vermeiden. Zumindest so lange, bis sie mehr Informationen hatten. Es war ihm unglaublich schwergefallen, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Erst recht nach diesem Kuss. Ihre Körper passten perfekt zueinander. Keine Frau zuvor hatte solche Gefühle in ihm ausgelöst. Valerius spürte, dass er es nicht lange ohne sie aushielt. Er musste sie da rausholen, besser früher als später. Wenigstens hatte sie seine Nummer und konnte ihn kontaktieren. Ein schwacher Trost, wo sein Körper weitaus mehr wollte. Er hatte so knapp davor gestanden, sie zu markieren, als sie in seinen Armen lag. Doch er hatte sich an den Fluch erinnert. Wenn er es getan hätte, würde er sich nicht mehr von ihr fernhalten können. Und für Lexi würde es noch qualvoller werden als jetzt schon. Sie verstand es noch nicht. Woher auch? Er hatte mit keinem Wort den Fluch erwähnt. Und dass sie seine Frau war und er somit ebenfalls von dem Fluch betroffen war, stand für ihn nach dieser Begegnung mit ihr außer Frage. Gerade, als er sein Haus vor sich sah, spürte er die Vibration seines Handys in der Hose. Valerius hielt vor der Eingangstür inne und prüfte seine Nachrichten. Sie kam von Lexi.
Ich muss dich vorwarnen. Ich bin nachtragend, wenn jemand ein Versprechen nicht einhält.
Das Emoji mit dem Augenzwinkern im Anschluss ließ ihn grinsen. Sie kam ihm ein Stück weit entgegen. Und das, obwohl er ihren Wunsch gerade abgelehnt hatte. Das war ein gutes Zeichen, oder? Sein Grinsen wurde breiter, als er die Antwort schrieb.
Sei ebenfalls gewarnt, meine Schöne. Ich halte für gewöhnlich meine Versprechen.
Im Gegenzug zu ihr scheute er sich nicht davor einen Kuss als Emoji anzuhängen. Immer noch grinsend betrat er sein Haus. Sein Grinsen erstarb, sobald eines seiner Clanmitglieder auf ihn zueilte. Sein besorgter Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes erahnen. Valerius bevorzugte es, dass sein Clan mit ihm unter einem Haus lebte. Sein Anwesen war dafür groß genug. Es erstreckte sich über vier Etagen. Im Kellergewölbe befanden sich die Unterkünfte der Bediensteten, die Küche und einige Zellen, für den Fall das sie mögliche Feinde unterbringen mussten. Auf den zwei obersten Etagen befanden sich die privaten Zimmer der Mitglieder. Ihm gehörte die gesamte zweite Etage, auf der sein Schlafzimmer, zwei Bäder, ein Gästezimmer und ein Salonzimmer waren. Im Erdgeschoss gab es einen größeren Salon, der für größere Versammlungen gedacht war. Ein gemütliches Wohnzimmer mit Kamin und Bücherregalen lag dem großen Salon gegenüber. Finanziell machte er sich keine Sorgen. Er lebte über 130 Jahre, sodass er sein Vermögen gut genug angelegt hatte. Inzwischen lebte er nur noch von den gewinnbringenden Zinsen. »Was ist los?«, bellte er Rick an, als er seine Auffassung wahrnahm.
»Es geht um Henry. Es geht ihm deutlich schlechter«, antwortete dieser besorgt.
Valerius hob eine Augenbraue an und ließ sich von dem Butler den Mantel abnehmen. »Ich dachte, er hätte das Gröbste überstanden?«, erwiderte er.
»Ich fürchte, dem ist nicht so.«
»Na schön, ich sehe ihn mir an.«
Rick nickte beruhigt und rannte voraus. Henry war einer der Vampire aus seinem Clan, der nur knapp der Gefangenschaft von Professor Douglas entkommen war. Sein Zustand war dramatisch und sie hatten befürchtet, dass sie ihn aufgeben mussten. Doch in den letzten Wochen schien es bergauf zu gehen. Anscheinend war das ein Trugschluss. Valerius seufzte, als er Rick ins Untergeschoss folgte. Henry lag seit Wochen in einem der Krankenzimmer, die im Untergeschoss lagen. Als er eintrat und Henry mit eigenen Augen sah, erkannte er es sofort. Henry war kurz davor, dem Rausch zu verfallen. Seine körperlichen Wunden waren zwar geheilt, aber der Wahnsinn in seinen dunklen Augen sprach Bände. Er lag nicht auf dem Bett, sondern tigerte im Raum hin und her. Da er vor sich hin murmelte, mit einem Zischen in abwechselnden Abständen, verstand er kein Wort von dem, was er sagte. Rick blieb im Türrahmen stehen und schüttelte traurig mit dem Kopf. Er sah es ebenso. Henry gebar sich wie ein Tier, dem man die Nahrung verweigerte. Oder wie ein Junkie, der nach seinen Drogen gierte. Seine Hände fuchtelten nervös auf und ab. Er nahm Valerius und Rick nicht wahr. Traurig beobachtete er ihn. Henry war einer seiner besten Männer. Das war ein schwerer Verlust für seinen Clan. Als er daran dachte, wem er es zu verdanken hatte, kochte er vor Wut. Valerius spannte sich an und sah betreten zu Boden. »Wir können nichts mehr für ihn tun«, sagte er leise zu Rick.
Dieser nickte und hatte es geahnt. Kurz fragte sich Valerius, ob Henry von dem Fluch betroffen war? Wenn sie es mit Gewissheit wüssten und sie die Frau finden könnten, die zu ihm gehörte, könnten sie das Schlimmste abwenden. Aber in seinem derzeitigen Zustand konnte Henry ihnen nicht sagen, ob es so war oder nicht.
»Wir könnten vierundzwanzig Stunden warten und ihn festbinden. Vielleicht sieht es morgen anders aus«, lenkte Rick hoffnungsvoll ein.
Valerius sah ihn direkt an. »Sieh ihn dir an! Denkst du allen Ernstes, in vierundzwanzig Stunden ist er der Alte? Es wird eine Erlösung für ihn sein.«
Rick zuckte kurz zusammen, als er Valerius bitteren Unterton heraushörte. »In Ordnung, wie soll es geschehen?«
Valerius seufzte und betrachtete Henry eingehend, der nichts von den beiden mitbekam. »Überbringe Gerard Thigaud eine Nachricht. Er muss davon erfahren. Inzwischen bereite ich alles für die Zeremonie vor. Henry wird es auf die schnelle Art bevorzugen.« Im Grunde hieß das nichts anderes, als das sie ihm den Kopf abschlagen mussten. Rick sah bedauernd zu Henry, bevor er sich in Bewegung setzte. Valerius nahm einen tiefen Atemzug. Als Clanoberhaupt war es seine Aufgabe, Henry zu erlösen. Er wusste nicht, ob er das tun konnte. Zum ersten Mal, seitdem er ein Vampir war, war er gezwungen, zu diesem Mittel zu greifen. Er mochte Henry. Sie hatten viele Jahre Seite an Seite in enger Freundschaft gelebt. Allerdings konnte er es nicht zulassen, dass der Rausch Besitz von ihm ergriff. Sein Freund war für immer verloren. Er wendete sich von dem Anblick ab, sperrte Henry in dem Zimmer ein und ging langsam nach oben.
Lexi saß auf ihrem Bett und starrte auf ihr Handy. Die Antwort von Valerius brachte ihr Herz zum Rasen. Auf dem Rückweg vom Empfang waren ihre Gedanken ein einziges Durcheinander. Die Fahrt in der Limousine nahm sie nur verschwommen wahr. Der Chauffeur musste sie zweimal auffordern, auszusteigen, weil sie abgedriftet war. Sie hatte den ganzen Abend Revue passieren lassen und war am Ende übergegangen, ihre Dummheit zu ohrfeigen. Schlimmer noch, sie hatte wie ein kleines Kind darum gebettelt, dass Valerius sie mitnahm. Das war so peinlich. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er Abstand von ihr genommen hätte. Deshalb hatte sie seine letzten Worte womöglich falsch verstanden. Also hatte sie ihm diese Nachricht geschickt, einfach um sicherzugehen. Seine Antwort war eindeutig. Er würde ihr helfen und sie zu sich holen. Was das genau hieß, wurde ihr immer mehr bewusst. Die unmöglichsten Fragen kursierten in ihrem Kopf. Führten Vampire Beziehungen, so wie die Menschen es taten? Oder war das nur so eine Sache, in der es einzig um den Blutaustausch ging? Sie hatte absolut keine Ahnung. Vielleicht hätte sie besser fragen sollen, bevor sie so etwas von ihm verlangte. Lexi stöhnte innerlich auf. Gott, wo hatte sie sich da nur hinein manövriert? Sicher, sie fühlte sich zu Valerius hingezogen. Und das war eher noch untertrieben. Ihr Körper reagierte sofort auf ihn. Allerdings wusste sie nicht, was er von ihr erwartete, wenn er sie holen kam? Und sie wollte sicher nicht nur als Blutbraut zur Verfügung stehen und das war es dann. Sie haderte mit sich, ob sie ihn fragen sollte. Mit dem Handy war es zumindest leichter, als wenn er ihr gegenüber stand. Sobald das geschah, war ihr Verstand völlig benebelt. Es ging auf Mitternacht zu, als Lexi sich ins Bad schleppte und eine Dusche nahm. Im Anschluss würde sie sich einen Ruck geben und Valerius eine Nachricht schreiben. Sie achtete erpicht darauf, nicht daran zu denken, dass sie es hinauszögerte, weil sie Angst vor seiner Reaktion hatte. Doch was konnte passieren? Entweder lachte er sie aus und wollte zukünftig nichts mehr mit ihr zu tun haben. Oder es war halb so schlimm und sie interpretierte es total falsch. Eines wusste sie mit Sicherheit. Sie würde kein Auge zu tun können, solange sie keine Gewissheit bekam. Die Dusche ging kürzer als sonst. Es war zum Verrücktwerden. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie annehmen, er hatte sie mit einem Zauber belegt. Sie bekam ihn nicht aus ihrem Kopf. Sobald sie an den Kuss dachte, war es vorbei. Ihre Haut kribbelte, ihr Herz klopfte gefühlt stärker gegen ihre Brust und sie bekam wackelige Knie. Das war doch nicht normal. Als sie ihre Schlafkleidung, die nur aus einem Top und Slip bestand, angezogen hatte, schlüpfte sie unter die Bettdecke und griff zu ihrem Handy.
Ich muss dich etwas fragen. Ich hoffe, du schläfst noch nicht.
Sie starrte auf die Punkte, die ihr zeigten, dass die Nachricht verschickt wurde. Als das Symbol aufpoppte, das ankündigte, die Nachricht wurde empfangen und gelesen, wurde sie noch nervöser.
Solange du nicht neben mir liegst, kann ich nicht beruhigt schlafen. Nur zu, stelle deine Frage.
Lexi atmete hektischer, als sie ihre Antwort schrieb. Sogar in seinen Nachrichten schaffte er es, dass ihr Herz einen Doppelsalto vollführte.
Wenn du mich zu dir holst, was geschieht dann? Ich meine, sind wir dann zusammen oder was erwartet mich dann?
Lexi klatschte ihre Hand auf die Stirn. Gott, was für eine idiotische Frage. Sie wurde knallrot, obwohl er es nicht sehen konnte.
Es wird nichts geschehen, was du nicht willst, Lexi. Du wirst sicher sein. Aber du wirst niemals mehr in deine bisherige Welt zurückkehren können. Wenn ich dich erst einmal an meiner Seite weiß, lasse ich dich nicht mehr gehen. Meinst du nicht, das hättest du vorher fragen sollen, bevor du mich darum bittest?
Als sie seine Antwort las und das lachende Emoji am Ende sah, hielt sie die Luft an. Er lachte. Lachte er sie jetzt aus oder amüsierte er sich köstlich über ihre Frage? Er hatte nicht unrecht, musste sie zugeben. Sie hätte vorab fragen sollen. Anscheinend brauchte sie zu lange mit einer Antwort, denn sie konnte die Punkte sehen, die ihr anzeigten, dass er weiterschrieb.
Du hast Angst. Ich kann es zwischen deinen Zeilen lesen. Hast du Angst vor mir?
Angespannt tippte sie mit dem Daumen gegen ihr Handy. Sie horchte in sich hinein, um eine Antwort darauf zu finden. Schließlich erinnerte sie sich an die bisherigen Begegnungen mit Valerius.
Ich habe keine Angst vor dir. Ich habe nur keine Ahnung, wie das bei Vampiren so abläuft. Sicher nicht so, wie bei einer Beziehung zwischen Menschen, oder?
Gedanklich malte sie sich aus, wie er erneut lachte und breit grinste. Sie kam sich dumm vor. Aber wenn jemand sie verstand, war es Valerius. Da war sie sich sicher.
Ein Vampir hegt keine enge Bindung zu Frauen. Außer er trifft auf die eine Frau, die zu ihm gehört. Dann gibt es kein Zurück mehr. Die Bindung zwischen den beiden währt ewig. Es wird keine anderen Partner mehr geben. Nicht weil sie es sich verbieten oder weil es gefordert wird. Sondern weil beide es nicht anders wollen. Ein Vampir ist monogam, sobald er seine Frau gefunden hat. Ansonsten ist es ähnlich wie bei den Menschen. Wir haben Sex. Zwar heißer und viel intensiver, sicher öfter, aber der Akt an sich ist genauso. Einzige Ausnahme ist das Blut. Ein Vampir braucht das Blut von ihr. Die Frau kann ohne sein Blut auskommen. Zumindest solange sie noch ein Mensch ist.
Lexi las seine Antwort mehrmals. Für immer und ewig schloss sie daraus. Heißer, intensiver Sex? Du meine Güte! War das nicht ein Traum von jeder Frau, die nach einem Partner mit ernsten Absichten suchte? Ja! Wie konnte eine Frau sicher sein, dass sie diese eine Frau für einen Vampir war? Es half alles nichts, sie würde ihn fragen müssen.
Glaubst du, ich bin diese eine Frau für dich?
Ihr Finger schwebte gefährlich nahe auf dem Button fürs Senden. Lexi atmete tief ein und rang mit sich. Schließlich kniff sie die Augen fest zusammen und drückte auf Senden. Entweder machte Valerius jetzt alles zunichte und sie würde sich für immer wie ein Idiot fühlen. Oder er gab ihr Gewissheit und ihre Gefühle trogen sie nicht.
Mit absoluter Gewissheit.
Ihr Herz setzte aus, als sie seine Antwort las.
Es gibt noch mehr, was ich dir sagen muss. Aber nicht über das Handy. Du wirst frei wählen können, ob du diese Bindung mit mir eingehen möchtest oder nicht. Ich werde dich zu nichts zwingen, Lexi. Ich hoffe, das ist dir klar. Du solltest jetzt schlafen. Es ist spät und du hast morgen eine wichtige Aufgabe zu erledigen.
Seine Erinnerung daran, was sie für ihn tun sollte, drang in den Vordergrund. Sie musste die Dateien ihres Vaters entschlüsseln. Seine kryptische Antwort hinterließ weitere Fragen, aber sie musste Geduld haben. Vielleicht war es ganz gut so, dass sie noch ein wenig Zeit hatte, bis er vor ihr stand. Sie musste die Tatsache noch verarbeiten, dass Valerius sie als seine Frau bezeichnete. Und dabei gab es nur einen Kuss zwischen ihnen. Einen innigen und heißen Kuss. Sie grinste bei der Erinnerung daran und ihr wurde warm.
Du hast recht. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Valerius.
Schlaf gut, Lexi.
Erneut hinterließ er ein Emoji in Form eines Kusses. Seufzend legte sie das Handy beiseite und zog die Bettdecke bis an ihr Kinn. Mit einem Lächeln um den Mund schloss sie die Augen und hieß den Schlaf willkommen.