Before We Fall - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Before We Fall E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Kann man sich in den Mann verlieben, dessen Ehefrau die Affäre des eigenen Ehemannes ist? Miranda hatte schon in ihrer Kindheit mit den Seitensprüngen ihres Vaters zu kämpfen. Deshalb steht für sie fest: Bowie verdient keine zweite Chance. Dass sie in all dem Neufindungs- und Umzugschaos mit ihrem Sohn Kingston ausgerechnet von Tucker Beckett unterstützt wird, einem ebenfalls Betrogenen, zeugt von sehr viel Humor des Universums. Allerdings dauert es nicht lange, bis der Funke überspringt, und Miranda feststellen muss, dass Liebe gar nicht so kompliziert zu sein scheint. Das Leben hingegen oftmals schon ...

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Seitenzahl: 372

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Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2023 unter dem

Titel Before We Fall von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht.

Deutsche Erstausgabe © 2024 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH, 8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Eva Leitold

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-85-6

ISBN-EPUB: 978-3-903413-86-3

www.romance-edition.com

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Epilog

DANKE

1. Kapitel

Miranda

Mir wird übel.

Ich halte meine geballte Hand gegen meinen Bauch und lese den Text noch einmal, der gerade auf Bowies Computer erschienen ist.

Es klappt nicht. Egal, wie oft ich die Nachricht lese, dort steht immer noch das Gleiche.

Wann, glaubst du, wirst du hier sein? Tucker arbeitet lange, also müssen wir uns keine Sorgen um ihn machen.

Die einfache Frage scheint unschuldig genug zu sein, aber das der Nachricht beigefügte Foto einer schönen Frau mit dunklen Haaren, die ein rotes Spitzennachthemd trägt, beweist, dass ich keine falsche Annahme getroffen habe.

»Mommy!«, ruft Kingston und lässt mich zusammenzucken. Ich klappe den Laptop zu und beobachte, wie mein hübscher Junge mit seinen dunklen Haaren und braunen Augen – beides Merkmale seines Vaters – aus dem Wohnzimmer in die Küche hüpft. »Können wir jetzt nach draußen gehen?«

»Ja.« Ich rutsche von dem Hocker, den ich unter der Theke herausgezogen hatte, um ein Rezept für das Abendessen nachzuschlagen – ohne zu ahnen, dass das alles ändern würde. »Lass Mommy ihre Schuhe anziehen.«

»Okay«, singt er und folgt mir zur Eingangstür.

»Wie wäre es, wenn wir in den Park gehen?«, schlage ich vor und ziehe ihm den Mantel an. Ich brauche ein paar Versuche, bis ich den Reißverschluss zubekomme, weil meine Hände so zittern.

»Jaaa.« Seine kleinen Arme schießen in die Luft, und ich kann nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen legt.

»Gut, lass uns gehen.« Ich öffne die Tür, und er hüpft vor mir hinaus und wartet, bis ich abgeschlossen habe, bevor er nach meiner Hand greift.

Ich halte mich an ihm fest und laufe auf Autopilot den Bürgersteig entlang. Vorbei an einem Haus nach dem anderen, die alle dem Haus ähneln, in das wir nur wenige Wochen später eingezogen sind, nachdem wir von der Schwangerschaft erfahren hatten. Unser Junge war ein Überraschungsgeschenk von unserer Hochzeitsreise nach Jamaika und ein völliger Schock für mich. Ich hatte damals verhütet und nicht vor, Mom zu werden.

Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben.

Damals arbeitete ich in einem Friseursalon als Stylistin mit dem Ziel, in den nächsten Jahren meinen eigenen Laden zu eröffnen. Die Schwangerschaft änderte diesen Plan. In den ersten fünf Monaten ging es mir so schlecht, dass ich kaum aus dem Bett kam, und in den letzten vier Monaten musste ich das Bett hüten, weil meine Ärzte andernfalls eine Fehlgeburt befürchteten.

Bowie hat sich großartig um alles gekümmert, auch später, als ich nicht mehr arbeiten konnte. Nachdem Kingston geboren war, beschlossen wir, dass ich zu Hause bleiben würde, bis der Kleine in die Vorschule kam. Da Bowie Polizist ist, konnte er immer wieder eine Extraschicht übernehmen, sodass wir finanziell nie Probleme hatten.

Jetzt frage ich mich, ob das alles zu viel war. Ob die Verantwortung und der Stress, den er als Alleinversorger für unsere Familie übernommen hatte, seine Gefühle für mich, für uns, verändert hat.

Mit einem Kloß in der Kehle schiebe ich den Gedanken beiseite. Ich arbeite zwar nicht außer Haus, aber als Mom und Hausfrau habe ich sieben Tage die Woche rund um die Uhr zu tun. Ich habe keine Freizeit. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich zuletzt alleine auf der Toilette war, geschweige denn das Haus verlassen habe. Wenn Bowie mal einen Tag frei hat, sorge ich dafür, dass er sich nie um Kingston oder andere Dinge im Haus kümmern muss. Erst letztes Wochenende war er mit Freunden zum Angeln in der Stadt.

Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hat er das Wochenende mit einer anderen Frau verbracht, während ich mit unserem Sohn zu Hause war.

Habe ich die Zeichen übersehen?

Wie lange geht das schon so?

Die Dinge zwischen uns waren ... nun, wenn ich ehrlich bin, nicht so toll. Aber das kommt vor, oder? Das Auf und Ab in Beziehungen, die Zeiten, in denen du dich von deinem Partner völlig abgekoppelt fühlst. Ich weiß, dass ich mich schon lange so gefühlt habe – länger, als ich es mir eingestehen möchte. Ich habe mir eingeredet, dass alles besser werden würde, wenn Kingston etwas älter wird und er mich nicht mehr so sehr braucht.

»Mommy, darf ich auf die Rutsche gehen?«, fragt Kingston und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schaue mich um und stelle fest, dass wir bereits die fünf Blocks zum Park geschafft haben.

»Ja, sei nur vorsichtig auf dem Weg nach unten.«

»Ich weiß«, stöhnt er, als hätte ich ihn sechzehn Jahre lang mit meiner Überfürsorglichkeit genervt und nicht nur drei.

Ich sehe ihm zu, wie er über den Mulch zum Klettergerüst mit der Rutsche rennt, und setze mich auf die Bank. Mein Handy aus der Tasche holend, tippe ich auf den Bildschirm und sehe eine Nachricht von Bowie. Er teilt mir mit, dass er heute Abend später kommen wird und ich nicht auf ihn warten soll.

Betäubt schicke ich ihm ein kurzes Okay zurück, obwohl ich wütend sein will. Ihm sagen will, dass ich weiß, dass er ein Lügner ist, und ihn fragen will, wie er uns das antun konnte. Er weiß, dass ich Betrug niemals verzeihen würde, nicht nach den Dingen, die ich in meinem Elternhaus erlebt habe. Meine Kindheit war voller Drama, Herzschmerz und Chaos. Ich musste mitansehen, wie meine Mom von meinem Dad betrogen wurde, und obwohl sie wusste, dass er es wieder tun würde, nahm sie ihn jedes Mal zurück.

Das ist nicht das Leben, das ich mir für unseren Sohn wünsche. Er soll nicht denken, dass diese Art von Beziehung normal sei, denn das ist sie nicht. Und ich verdiene etwas Besseres als einen Mann, der mir so etwas antut.

»Mommy, komm, und schieb mich!«, ruft Kingston. Ich verdränge den Schmerz und gehe über den Mulch, mich zu einem Lächeln für mein Baby durchringend.

Es gibt eine Menge, worüber ich nachdenken muss, denn ich bin nicht die Einzige, die von dieser Situation betroffen sein wird. Und da ich völlig abhängig von Bowie bin, werde ich ihn nicht von heute auf morgen verlassen können.

2. Kapitel

Miranda

Mit dem Babyfon auf dem Tisch, damit ich mitbekomme, wann Kingston aufwacht, sitze ich auf meiner Terrasse und kaue auf der Innenseite meiner Wange, während meine beste Freundin Emma verdaut, was ich ihr gerade auf Bowies Computer gezeigt habe.

Und das war weit mehr als die Nachricht, die ich vorhin entdeckt hatte.

Bowie und Naomie, die Frau, mit der er sich getroffen hat, haben wochenlang Nachrichten hin und her geschrieben. In den letzten zwei Monaten sagte Bowie mir immer wieder, dass er länger arbeiten muss, doch da war er bei ihr. Letztes Wochenende, als er mit Freunden angeln gehen wollte, waren sie zusammen in einer Hütte, die er für sich und Naomie gemietet hatte.

»Dieser Wichser«, flüstert Emma nach einem langen Moment und hebt ihren Blick aus hübschen grünen Augen vom Computerbildschirm, um mich anzuschauen. »Wie bescheuert ist er denn?«

Wie es sich für eine gute beste Freundin gehört, überrascht mich ihre Empörung nicht. Genauso wie es mich nicht überrascht hat, dass sie wusste, dass etwas nicht stimmt, als ich sie während des Kochens heute Abend anrief. Ohne zu zögern, schlug sie vor, mit Wein vorbeizukommen, sobald ich Kingston ins Bett gebracht hätte.

»Ich schätze, ihm ist nicht klar, wie dumm er ist. Wahrscheinlich weiß er nicht, dass seine Texte von seinem Computer aus gelesen werden können. Oder er hat einfach nicht erwartet, dass ich seinen benutzen könnte, weil ich meinen eigenen habe.« Ich nehme einen Schluck von dem Wein.

»Wer ist Tucker?«

»Ich habe keine Ahnung. Ihr Ehemann oder Freund, schätze ich.« Meine Kehle wird eng, und ich frage mich, ob der andere Mann weiß, was seine Partnerin treibt, oder ob er genauso überrascht sein wird wie ich.

»Sie weiß, dass Bowie verheiratet ist.«

»Ja.« Naomie bezog sich in den Nachrichten mehr als einmal auf mich und fragte nach, ob ich etwas ahnte. Sie fragte auch nach Kingston, als würde sie ihn kennen und sich um sein Wohlergehen sorgen. Was für ein verdammter Witz. »So einfach es auch wäre, ich weigere mich, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich bin mit Bowie verheiratet, nicht mit ihr. Er hätte das verhindern müssen.«

»Du bist ein besserer Mensch als ich.« Ihr Blick fällt zur Glasschiebetür, durch die man in mein Wohnzimmer sehen kann. Auf der Wand über dem Kamin hängt das Familienfoto von Bowie, Kingston und mir. Ein Foto, das wir vor einem Monat aufgenommen haben. Wenn ich es jetzt betrachte und das Lächeln auf Bowies Gesicht sehe, wird mir ganz schlecht. »Was wirst du jetzt tun?«

»Ihn verlassen.«

»Gut.«

»Ist es das?« Ich schüttle den Kopf. »Darf mir diese Entscheidung so leichtfallen? Sollte ich nicht wenigstens darüber nachdenken, die Dinge zu regeln, oder es um Kingstons willen versuchen, mir die Sache mit Bowie auszureden?«

»Auf keinen Fall, M. Da gibt es nichts zu klären. Wir wissen beide, wie diese Geschichte endet. Du stellst ihn zur Rede, er verspricht, es nie wieder zu tun, und in einem Jahr oder fünf oder auch nur in einem Monat findest du heraus, dass er es wieder mit einer anderen treibt. Vergiss es.«

Ich schließe die Augen, lehne meinen Kopf zurück und fahre mir mit den Fingern durch die Haare. »Ich muss mir einen Job suchen. Eine Wohnung oder ein Haus für Kingston und mich. Ich muss ... Es gibt so viel, was ich tun muss.«

»Du weißt, dass Polly immer eine Stelle im Salon für dich hat, und ich habe eine Kundin, die in der Immobilienbranche arbeitet und dir sicher helfen kann, eine Wohnung zu finden. Du wirst schon klarkommen.« Emma greift nach meiner Hand. »Wann wirst du ihm sagen, dass du es weißt?«

»Ich muss meine persönlichen Dinge klären, bevor ich ihn zur Rede stelle. Du weißt, er kann ...«

»Ein Arsch sein?«, wirft sie ein.

Ich gebe ihr einen leichten Tritt, und sie presst die Lippen zusammen. Sie hat Bowie nie gemocht. Keiner meiner Freunde und auch meine Familie mochte ihn nicht, aber sie alle lieben mich und haben ihre Gefühle beiseitegeschoben, weil sie wussten, dass ich in ihn verliebt war. Bowie war auch kein Fan meiner Liebsten, also blieben sie sich nichts schuldig. Ich musste nur schnell lernen, mit jeder Beziehung sorgfältig zu jonglieren.

»Er wird es dir nicht einfach machen.«

»Ich weiß.« Und das in jeder Hinsicht. Ich bin sicher, dass er mich in die Mangel nehmen wird, wenn es um Besuchsrechte und alles andere geht, was mit Kingston zu tun hat. Wahrscheinlich wird er es mir auch schwer machen, ihn zu verlassen. »Deshalb muss ich alles klären und mich informieren, bevor ich ihn zur Rede stelle. Sonst wird es ein harter Kampf.«

»Ich würde dir ja anbieten, bei Eli und mir zu bleiben, aber unsere Wohnung ist ...«

»Ich weiß«, unterbrach ich sie. Das Studio, in dem sie und ihr Freund wohnen, ist klein. Es ist unmöglich, dass zwei weitere Personen dort wohnen können.

»Aber ich kann dir ein Darlehen geben, wenn du willst, damit du dir eine eigene Wohnung leisten kannst.«

Zum ersten Mal am heutigen Tag füllen sich meine Augen mit Tränen, und ich atme zittrig ein. »Danke.«

»Du weißt, dass ich immer für dich da bin, egal, was du brauchst.«

»Ich weiß.« Ich umarme sie zurück, nachdem sie aufgestanden ist und mich an sich gezogen hat.

»Du wirst das durchstehen, M. Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne«, flüstert sie, und ich schließe meine Augen.

Ich bin stark, aber manchmal ist es scheiße, immer stark sein zu müssen.

Vor allem, wenn du keine andere Wahl hast.

3. Kapitel

Miranda

Ich stehe in meinem Badezimmer und verpasse meinem Make-up den letzten Schliff, während Kingston mit seinem iPad auf dem Tresen sitzt und sich ein Video über Nutztiere ansieht. Es ist sieben Tage her, dass ich herausgefunden habe, dass Bowie eine Affäre hat. Seitdem habe ich meinen Job im Salon zurückbekommen und dank einer Immobilienmaklerin namens April, von der Emma mir erzählt hat, eine Wohnung zur Miete gefunden. Kingston habe ich inzwischen auf die Warteliste einiger Kindertagesstätten setzen lassen, da ich tagsüber arbeiten werde und ihn nicht mitnehmen kann.

Ich habe den Kontakt zu meinem baldigen Ex-Mann auch fast vollständig vermieden, was einfacher war, als es hätte sein sollen. Wenn man es genau nimmt, ist er es, der es mir leicht gemacht hat. Er kommt abends erst spät nach Hause und behauptet dann, er sei erschöpft.

Heute kann ich ihm allerdings nicht aus dem Weg gehen, sondern muss mich herrichten, um ihn zu begleiten. Am Abend findet der alljährliche Polizeiball statt, auf den ich mich bisher immer gefreut habe, weil ich mir dann ein hübsches neues Kleid kaufen und mich herausputzen konnte – zwei Dinge, die ich sehr gerne mache. Dieses Mal habe ich mir nichts Neues gekauft. Stattdessen habe ich die dreihundert Dollar, die Bowie mir gegeben hat, auf mein neues Bankkonto überwiesen und mir ein Kleid von meiner Freundin Whinny geliehen, die gerne an Schönheitswettbewerben teilnimmt.

»Du siehst hübsch aus, Mommy«, sagt Kingston, und ich schaue zu meinem süßen Jungen hinüber.

»Danke, mein Schatz.« Ich beuge mich vor und küsse ihn auf die Stirn, bevor ich mich wieder auf mein Spiegelbild konzentriere.

Ich trage mein langes blondes Haar in Wellen und mein Make-up dunkler als gewöhnlich, denn Bowie hasst es, wenn ich Make-up trage. Ich war mir nicht sicher, ob ich das smaragdgrüne Kleid anziehen soll, das Whinny für die beste Wahl hält. Seit der Geburt von Kingston hat sich mein Körper sehr verändert; der seidige Stoff umspielt meine Brüste, die jetzt größer sind, meine breiteren Hüften und streift den Boden, da ich noch keine Absätze trage. Der Stoff ist unnachgiebig, aber ich muss zugeben – er steht mir gut.

»Mommy holt ihre Schuhe.« Ich hebe Kingston von der Theke und halte ihn an meiner Hüfte, während ich zum Schrank trete. »Dann gehen wir nach unten. Tante Emma sollte bald hier sein.«

»Ich will bei dir bleiben.«

»Ich weiß, Schatz, aber Mommy muss mit Daddy ausgehen. Und vergiss nicht, dass du gerne mit Tante Emma Zeit verbringst.« Ich stelle ihn auf seine Füße, damit ich an eines der höheren Regale herankomme, wo meine hohen Schuhe mit den Riemchen stehen. »Morgen gehen du und ich in den Park, okay?«, schlage ich in der Hoffnung vor, ihn abzulenken.

»Ich mach das für dich.« Bowie drückt seinen Körper gegen meinen Rücken, und meine Haut kribbelt, als er über mir nach den Riemchenschuhen greift, die ich runterholen wollte.

»Danke.« Ich nehme die Schuhe von ihm entgegen, halte sie gegen meine Brust und bringe Abstand zwischen uns. Sein Blick wandert über mich, während auch ich ihn betrachte.

Als wir uns das erste Mal begegneten, kam er in seiner Uniform zum Haareschneiden in den Salon. Damals war ich nicht einmal ein bisschen beeindruckt. Ich meine, klar, er war und ist ein gut aussehender Mann mit seiner olivfarbenen Haut, den dunklen Haaren und den braunen Augen. Aber sein arrogantes Auftreten hat die Warnglocken in mir zum Schrillen gebracht, also lehnte ich die Einladung zu einem gemeinsamen Date ab. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn wiedersehe, aber er überraschte mich und besuchte mich fast jeden Tag bei der Arbeit, bis ich mich schließlich auf ein Date einließ.

Damals fand ich heraus, wie witzig, charmant und aufmerksam er sein konnte. Nicht einmal vier Monate später war ich verliebt und plante unsere Hochzeit. Wenn ich ihn jetzt ansehe, fühle ich nichts. Die Liebe, die ich einst für ihn empfand, ist verschwunden und wurde durch Enttäuschung ersetzt. Wenn er ehrlich zu mir gewesen wäre und mir gesagt hätte, dass er mich nicht mehr liebt und etwas anderes will, hätte es zwar wehgetan, aber ich hätte ihn für seine Ehrlichkeit respektiert. Und jetzt? Jetzt habe ich nicht einmal mehr das für ihn übrig.

»Findest du nicht, dass der rote Lippenstift zu viel ist?«, fragt er, und ich zwinge mich zu einem Lächeln, als ich an ihm vorbeigehe.

»Nö.«

»Nö«, wiederholt Kingston, der mir folgt, und ich setze mich auf die Bettkante. Nachdem ich die goldenen Riemchenschuhe angezogen habe, stehe ich auf und gehe zurück zum Schrank, um meine Clutch zu holen, gerade als es an der Tür klingelt. »Kannst du Kingston mitnehmen und öffnen? Das ist Emma«, rufe ich.

»Ja«, höre ich ihn zustimmen.

Nachdem ich alles Nötige in meine perlenbesetzte Clutch gesteckt habe, schnappe ich mir meinen Mantel und betrete vorsichtig auf meinen Absätzen die Treppe, um in die Küche zu gehen, wo ich Emma mit Kingston lachen höre.

»Bist du fertig?«, fragt Bowie, sobald ich um die Ecke komme – ohne auch nur einen anerkennenden Blick in meine Richtung zu werfen.

»Ja.« Ich schaue von ihm zu Emma. »Danke.«

»Jederzeit.« Sie stellt Kingston auf seine Füße, dann kommt sie zu mir und umarmt mich. »Geht es dir gut?«, flüstert sie, und ich nicke. »Nur damit du es weißt, wenn ich nicht so sehr auf Schwänze stehen würde, würde ich dich nicht von der Bettkante stoßen.«

»Halt die Klappe.« Ich lache, und sie lässt mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht los.

»Ich sag ja nur.«

»Was sagst du?«, will Bowie wissen und schaut mit einem Stirnrunzeln zwischen uns hin und her.

»Nichts«, entgegnen wir gleichzeitig, und ich hocke mich mit ausgestreckten Armen hin. Kingston rennt auf mich zu und wirft mich fast um. »Sei brav bei Tante Emma. Mommy kommt bald wieder nach Hause.«

»Versprochen?«

»Versprochen.« Ich küsse ihn auf die Wange und wische den roten Fleck weg, den mein Lippenstift hinterlassen hat. »Ich liebe dich.«

»Ich dich auch.« Er drückt mich ein letztes Mal und umarmt dann seinen Dad, bevor Emma ihn zu sich ins Wohnzimmer ruft, wo sie ein Spiel herausholt.

Ich gehe vor Bowie in die Garage, setze mich auf den Beifahrersitz seines Trucks und schnalle mich an, während er sich hinter das Steuer setzt. Wir reden die ganze Fahrt über nicht miteinander, und er macht keine Anstalten, mich zu berühren. Ob er nicht erleichtert sein wird, wenn ich ihm sage, dass ich von Naomie weiß?

Vielleicht ist er in sie verliebt.

Vielleicht sind sie ineinander verliebt.

Dieser Gedanke sollte schmerzen, tut er aber nicht. Ich bin gefühllos, völlig emotionslos, was ihn betrifft.

Als wir an dem Hotel ankommen, in dem die Veranstaltung stattfindet, stellt er das Auto am Eingang ab, und wir gehen Seite an Seite hinein. Er berührt mich erst, als wir den Ballsaal betreten und die Leute auf uns aufmerksam werden, dann legt er seine Hand auf meinen unteren Rücken.

»Willst du etwas trinken?«, fragt er, und ich trete von ihm weg.

»Ja. Ich sehe inzwischen nach, wo wir sitzen. Ich treffe dich an der Bar.« Ich wende mich ab, bevor er etwas erwidern kann, und gehe hinüber zu einem langen Tisch, auf dem in Gold bedruckte Karten mit den Tischzuweisungen stehen. Gerade als ich Bowies und meine Karte finde, fällt mir der Name Tucker Beckett auf.

Das kann doch nicht sein. Oder doch?

Ich sehe mir Tuckers Karte genauer an, und mein Herz fängt wild an zu klopfen, als ich Naomie Beckett darunter stehen sehe.

Arbeitet sie mit Bowie zusammen oder mit Tucker? Wie auch immer, ich habe das nicht geplant. Ich war nicht darauf vorbereitet, der Frau zu begegnen, mit der Bowie schläft, und ihren Mann, den sie betrügt.

»Pardon«, sagt eine tiefe Stimme, als die Person auch schon an mir vorbeigreift und überaus männliche Finger die Karte berühren, auf die ich gerade noch geschaut habe. Wie in Zeitlupe lasse ich meinen Blick von seiner Hand über den Ärmel einer schwarzen Anzugsjacke zu einer breiten Brust und schließlich zu einem umwerfenden Gesicht wandern.

Mein Herz rast. Meine Handflächen sind plötzlich schweißnass, und ich atme tief ein, als mir ein Paar unglaublicher kristallklarer blauer Augen mit dichten Wimpern begegnet.

Ich werde ohnmächtig.

»Geht es dir gut?«, fragt er und fasst nach meinem Oberarm, als sich einer meiner Absätze am Saum meines Kleides verheddert, nachdem ich den Versuch gestartet habe, einen Schritt zurück zu machen. Weg von ihm.

»Alles gut, entschuldige bitte.« Ich richte mich auf und spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht, als eine dunkelhaarige Frau in einem roten Kleid auf uns zukommt und Tuckers Namen ruft. Die gleiche Frau, die ich auf dem Foto auf Bowies Computer gesehen habe. »Es tut mir leid.« Ich stolpere zurück. »Es tut mir so verdammt leid«, flüstere ich, und seine Augenbrauen ziehen sich zusammen.

Ich stürze aus dem Ballsaal und suche nach einem Ort, an dem ich mich zusammenreißen kann. Zum Glück finde ich eine kleine Nische ein Stück weiter unten in der Empfangshalle. Mit zitternden Händen ziehe ich mein Handy aus der Tasche und wähle Emmas Nummer. Sie ist die Einzige, die weiß, was los ist. Die Einzige, mit der ich im Moment reden kann.

»Hey, kommst du schon nach Hause?«

»Sie ist hier.«

»Was?«

»Sie und ihr Mann sind hier.« Ich schüttle den Kopf. »Ich habe seinen Namen auf den Tischzuweisungen entdeckt ... und ihren ... Sie sind beide hier«, plappere ich.

»Atme, M. Ich verstehe kein Wort.« Sie klingt verwirrt, und ich schließe die Augen.

»Naomie und Tucker.« Ich schlucke. »Bowie musste wissen, dass die beiden hier sein würden, nicht wahr? Er musste es wissen. Es ist offensichtlich, dass er mit einem von ihnen zusammenarbeitet. Vielleicht arbeitet er auch mit beiden zusammen. Ich weiß es nicht.«

»M, du musst sofort nach Hause kommen!«, ruft Emma und klingt panisch.

»Ich kann nicht. Du weißt, dass ich das nicht kann.« Ich senke den Blick auf meine Füße. »Wenn ich jetzt abhaue, wird ihm sofort klar, dass etwas nicht stimmt.« Ich spüre, dass mich jemand beobachtet, und drehe mich um. Tucker steht nur wenige Meter entfernt, und mir entgleitet mein Handy.

Oh Gott.

Er kommt auf mich zu, und ich weiche vor ihm zurück, bis ich gegen die Wand hinter mir stoße. Wie in Zeitlupe beobachte ich, wie er sich bückt, um mein Handy vom Boden aufzuheben, das zwischen uns liegt.

»Beende den Anruf«, verlangt er und hält mir mein Mobiltelefon entgegen, was meinen Puls erneut ins Schwanken bringt.

Mit zitternden Händen halte ich es an mein Ohr. »Emma, ich muss auflegen.«

»Wer ist das? Was ist los?«

»Tucker ist hier.«

»Oh Jesus, M. Ich muss dir etwas sagen.«

»Beende den Anruf«, wiederholt Tucker.

»Ich habe ihn angerufen!«, brüllt Emma, und mein Herz fällt mir in den Magen. »Ich ... Ich habe ihn ausfindig gemacht und ihm von der Affäre erzählt. Dabei habe ich so getan, als wäre ich du. Ich habe ihn um etwas Zeit gebeten. Ich wollte nicht, dass er es auf eine andere Weise herausfindet und dass dein Plan dann in die Hose geht.«

»Oh Gott«, flüstere ich und sehe, wie Tuckers Gesichtsausdruck kalt wird.

»Es tut mir so leid, M. Ich hatte keine Ahnung, dass er heute Abend da sein würde.«

»Ich rufe dich zurück«, flüstere ich, lege aber nicht auf. Stattdessen nehme ich das Handy vom Ohr und halte es an meine Seite. Nur für den Fall, dass sich die Wut in seinem Blick, auf mich richtet.

»Du bist Bowies Frau?«, will er wissen, und ich kann nur dümmlich nicken, während ich ihm in die Augen schaue. Ich kann nicht glauben, dass das wirklich passiert. »Was zum Teufel ...?«

»Ich ... Ich habe dich nicht angerufen. Ich meine, ich hätte dich anrufen und es dir sagen sollen, aber ... ich habe einfach ...« Ich reibe meine Lippen aneinander, als sein stoppelbehafteter Kiefer zuckt. »Als ich es erfahren habe, habe ich an mich und meinen Sohn gedacht.« Ich schlinge die Arme um meine Mitte und unterdrücke ein Schluchzen. Gott, ich will nicht weinen. Nicht jetzt. »Ich versuche, meine persönlichen Angelegenheiten so zu regeln, dass es meinem Sohn und mir gut geht, ehe ich ihm die Stirn biete.«

»Wer auch immer mich angerufen hat, hat genau dieselben Dinge gesagt und sich dabei für dich ausgegeben.« Tucker fährt sich mit den Fingern durch sein dunkelblondes Haar und blickt zur Wand über mir.

»Es tut mir leid, dass Emma das getan hat«, flüstere ich, und sein Blick kehrt zurück zu meinem.

»Wäre es dir lieber, wenn ich nichts davon wüsste?«

»Natürlich nicht.« Schuldgefühle machen sich in mir breit, und seine Hände ballen sich an seinen Seiten zu Fäusten, während er eine einzelne Träne beobachtet, die mir über die Wange läuft.

»Kümmere dich um deine Angelegenheiten, damit ich mich um meine kümmern kann.« Damit dreht er sich ohne ein weiteres Wort um und geht davon.

Ich sehe zu, wie er um die Ecke verschwindet. Mein Herz bleibt mir im Hals stecken, und mein Verstand dreht sich um das, was gerade passiert ist.

»M!«, ruft Emma durch das Telefon, das ich immer noch in der Hand halte, und ich hebe es an mein Ohr.

»Ich bin hier.«

»Geht es dir gut?«

»Ja.« Ich wische mir über die Wangen und laufe zurück in den Flur, wo ich in beide Richtungen nach der Toilette suche.

»Es tut mir so leid. Ich ... Gott, ich hätte dir sagen sollen, dass ich ihn kontaktiert habe.«

»Das hättest du tun sollen.« Ich bleibe vor der Tür stehen. »Ich schicke dir gleich eine Nachricht.«

»Bist du wütend?«

»Verdammt wütend«, flüstere ich.

»Okay, vergiss trotzdem nicht, dass ich dich liebe.«

»Ich weiß, und ich liebe dich auch.« Das tue ich tatsächlich, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich sie am liebsten erwürgen würde. Sie ist zu weit gegangen, und schlimmer noch, sie hat mich nicht vorgewarnt, was in dieser Situation sehr, sehr schlimm ist.

Nach einer kurzen Verabschiedung stecke ich mein Handy zurück in meine Clutch, betrete die Toilette und schiebe mich an den wenigen Frauen in der Schlange vorbei, um mein Aussehen im Spiegel über dem Waschbecken zu überprüfen. Zum Glück ist meine Wimperntusche noch an Ort und Stelle, sodass ich nur meinen Lippenstift auffrischen muss, bevor ich die Toilette verlasse.

Meine Nerven liegen blank, als ich in den schwach beleuchteten Ballsaal zurückkehre und einen Blick durch die Leute werfe, die sich in kleinen Gruppen zusammengefunden haben. Ich halte nach Bowie Ausschau, obwohl ich nicht bereit bin, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Nicht, solange ich mich so aufgewühlt und nervös fühle und aus meiner Haut fahren könnte. Ich suche nach unserem Tisch, als ich Nova bemerke, die Frau von Bowies Chef, die sich mit einer Gruppe von Frauen unterhält. Als sie mich sieht, legt sich ein Strahlen auf ihr hübsches Gesicht, und sie eilt in meine Richtung.

»Oh mein Gott, Mädchen, sieh dich an!« Sie ergreift meine Hände und hält sie von meinem Körper weg. »Du siehst toll aus.«

»Danke.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln und schüttle den Kopf, als ich ihr Kleid betrachte, das nur eine Frau wie sie anziehen kann. Das kurze, roségoldene Paillettenkleid sieht an ihr umwerfend aus, besonders auf ihrer wunderschönen braunen Haut. Ich habe in ihr allerdings auch nie etwas anderes als das Model gesehen, das sie einmal war. »Du siehst umwerfend aus.«

»Ich weiß, nicht wahr?« Sie wirft ihre Arme in der Luft. »Als ich dieses Kleid im Sommer entdeckt habe, habe ich es sofort für den heutigen Anlass gekauft. Ich wusste, dass es perfekt für diesen Abend ist.«

»Das ist es wirklich.« Ich schaue mich nach ihrem Mann um, der sich normalerweise nie weit außerhalb ihrer Reichweite befindet. »Wo ist Devon?«

»Er sitzt mit einem Drink am Tisch. Er hat schlechte Laune.« Sie rollt mit den Augen. »Und wie geht es dir? Wie geht es meinem Baby-König?«

»Gut, er wächst viel zu schnell und treibt mich an den meisten Tagen in den Wahnsinn.«

»Jungs sind so.« Sie lacht. »Du und Bowie, ihr braucht ein Mädchen, um die Dinge auszugleichen.«

»Das wird niemals passieren«, erwidere ich, ohne nachzudenken, und ihre Augen verengen sich misstrauisch.

»Was ist los zwischen euch?«

»Nichts.«

»Miranda Owens.«

»Sprich nicht mit deiner Mom-Stimme zu mir.« Ich schaue mich um. »Ich kann hier nicht darüber reden.«

»Geht es dir und Kingston gut?«, flüstert sie, und meine Gesichtszüge werden weich.

»Ja«, versichere ich ihr, und sie greift nach meiner Hand.

»Du weißt, wenn du etwas brauchst, bin ich nur einen Telefonanruf entfernt.«

»Danke«, flüstere ich, denn das ist tatsächlich kein leeres Angebot. Als Bowie und ich zusammenkamen, unterstützte sie mich bereits. Wofür ich unglaublich dankbar war, vor allem in der Anfangszeit, als ich damit klarkommen musste, mit einem Polizisten zusammen zu sein. Und auch, als ich Kingston bekommen und keine Ahnung vom Mom-Sein hatte, da keine meiner Freundinnen Kinder hatte.

»Ich gehe zu unserem Tisch«, wirft eine Frau an Nova gewandt ein, als die Musik stoppt und das Essen serviert wird.

»Ich komme mit«, sagt Nova und schaut wieder zu mir. »Lass uns nach dem Essen etwas trinken und uns austauschen.«

»Sehr gerne.« Ich drücke ihre Hand und sehe zu, wie sie sich entfernt.

Ich werfe einen Blick auf die Karte in meiner Hand und suche nach der Nummer, die zu unserem Tisch passt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als mein Blick auf Tucker und Naomie fällt, die direkt neben dem Tisch sitzen, den Bowie und ich zugewiesen bekommen haben.

Das kann doch nicht wahr sein.

»Ich habe schon nach dir gesucht. An welchem Tisch sitzen wir?« Bowies Aussage lässt mich zusammenzucken, und meine Hände zittern, als ich ihm die Karte zeige.

»Fünfunddreißig.«

»Komm schon«, drängt er mich und legt seine Hand auf meinen unteren Rücken. Die Muskeln meines ganzen Körpers spannen sich schmerzhaft an, als wir uns auf den Weg durch den Raum machen.

Ich versuche – wirklich – nicht in Naomies Richtung zu schauen, als wir uns unserem Tisch nähern, aber mein Blick wird trotzdem von ihr angezogen. Sie ist wunderschön – umwerfend sogar – und mit ihren dunklen Haaren, ihrer sonnengebräunten Haut und ihrer schlanken Figur das komplette Gegenteil von mir. Sie ist die Art von Frau, mit der Bowie vor mir ausging.

Als sie mich entdeckt und ihre Lippen sich zu einer dünnen Linie verziehen, als wäre sie verärgert, mich hier mit meinem Mann zu sehen, senke ich den Blick auf meine Füße und konzentriere mich auf das Atmen.

Bowie und ich erreichen unseren Tisch. Höflich stellt er mich den Leuten als seine Frau vor, und ich lächle angemessen, fühle mich jedoch wie eine Betrügerin. Vielleicht gehe ich mit der gesamten Situation völlig falsch um. Vielleicht sollte ich dieses Pflaster einfach abreißen und es hinter mich bringen.

Als ich nach meinem Wasserglas greife, schaue ich zu Tucker hinüber und stelle fest, dass sein Gesichtsausdruck leer ist. Ich kann mir nur vorstellen, was er denkt, was er gerade fühlt. Und bekomme Schuldgefühle, weil er meinetwegen so tun muss, als sei alles wie immer, obwohl es das nicht ist.

4. Kapitel

Tucker

Als ich meine Frau kennenlernte, war ich überwältigt von ihrer Schönheit, beeindruckt von ihrer Intelligenz und naiv genug, um zu glauben, dass sie echt ist.

Vier Jahre später sind die Scheuklappen weg.

Ich nehme einen Schluck Scotch aus meinem Glas und lasse das Brennen der bernsteinfarbenen Flüssigkeit etwas von der Wut in meinem Bauch wegspülen.

Wut, die vor ein paar Tagen noch viel stärker war, als mich eine Unbekannte anrief, um mir mitzuteilen, dass meine Frau mit ihrem Mann schläft.

Ich war nicht überrascht, von der Affäre zu erfahren. Die Beziehung zwischen Naomie und mir ist schon sehr viel früher in die Brüche gegangen. Schlimmer wurde alles, als sie mir vor Monaten gestand, dass sie nach der Fehlgeburt unseres Kindes bei meinem Bruder Clay Trost suchte und versuchte, ihn zu küssen. Ich war wütend und schob dummerweise die Schuld auf ihn anstatt auf meine Frau. Ich ließ mich von meiner eigenen Trauer leiten und redete mir ein, dass es seine Schuld war. Dass Naomie verletzlich war und er sie in diesem Moment ausgenutzt hatte.

Ihr Verrat trifft mich nicht einmal. Wie gesagt, unsere Ehe stand ohnehin kurz vor dem Ende. Sie wusste seit Monaten, dass ich bereits mit einem Fuß außerhalb unseres gemeinsamen Lebens stand.

Was mich hingegen wirklich sauer macht, ist, dass sie einen Mann vögelt, der eine Frau und ein Kind hat, denn das wusste Naomie zweifelsohne von Anfang an. Sie ist eine Frau, die ihre Konkurrentinnen kennt. Wenn es darum geht, das zu bekommen, was sie will – was auch immer das sein mag –, weiß sie genau, mit wem sie es zu tun hat. Sie ist keine dumme Frau; jeder Zug von ihr ist kalkuliert.

Verdammt, manchmal frage ich mich, ob unser zufälliges Treffen gar kein Zufall war, sondern ein abgekartetes Spiel. Ein Spiel, das nicht so lief wie geplant. Dass sie damals versuchte, meinen Bruder eifersüchtig zu machen, weil sie in Wirklichkeit hinter ihm her war. Nur dass er den Köder nicht schluckte und ihr Vorhaben so nicht zum Ziel führte.

Das Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich ziehe es aus der Tasche und schaue auf den Bildschirm, wo ich eine Nachricht von Miles, einem meiner Brüder, vorfinde. Er fordert mich auf, ihn anzurufen, also stecke ich mein Handy weg und schiebe meinen Stuhl vom Tisch zurück.

»Du gehst doch nicht etwa, oder?«, fragt Naomie. Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange, als sie nach meinem Handgelenk greift.

»Ich muss telefonieren.«

»Kommst du danach zurück und tanzt mit mir?« Sie schmollt.

»Ich bin sicher, du findest jemanden zum Tanzen.« Ich nicke den anderen Männern zu, die mit ihren Frauen an unserem Tisch sitzen, und verlasse den Ballsaal. Draußen angekommen, rufe ich Miles an.

»Sorry, dass ich dich störe, aber ich habe gerade den Anruf eines Detectives aus Madison County bekommen, in dessen Zuständigkeitsbereich die Leiche eines Mädchens aufgetaucht ist.«

Fuck.

»Konnten sie die Leiche bereits identifizieren?«

»Noch nicht, aber ihre Beschreibung passt zu Kristen Stable«, sagt mein Bruder leise. Meine Hand ballt sich zu einer Faust.

Kristen, das siebzehnjährige Mädchen, das immer wieder weggelaufen war, war von ihrer Mom vor zwei Wochen als vermisst gemeldet worden. Aufgrund ihrer Vorgeschichte hatten die diensthabenden Polizisten sie nicht ernst genommen, als sie bei der Aufnahme der Anzeige erklärte, dass das Verhalten ihrer Tochter so nicht typisch wäre. Als der Fall auf meinem Schreibtisch landete, war mir klar, dass sie recht hatte. Wie die meisten Kinder war auch Kristen besessen von ihrem Handy und postete den ganzen Tag über regelmäßig Videos. An dem Tag ihres Verschwindens hörten alle Aktivitäten auf, und ihr Telefon wurde ausgeschaltet.

»Die Todesursache?«

»Unbekannt. Sie wurde im Wald gefunden, und du weißt ja, wie so was läuft.«

»Ja.« Mein Kiefer krampft sich zusammen. »Fährst du raus?«

»Ich verlasse gerade die Stadt.«

»Dann treffen wir uns dort«, erwidere ich.

»Ich mach das schon und gebe dir morgen alle nötigen Informationen durch.«

»Wir treffen uns dort.« Ich lege auf, bevor er seine Aussage wiederholen kann, stecke mein Handy weg und gehe zurück in das Gebäude, um Naomie aus reiner Höflichkeit mitzuteilen, dass ich wegfahre. Unter anderen Umständen wäre es das Normalste der Welt, ihr Bescheid zu geben, doch heute spüre ich keine Lust dazu.

Nachdem das Abendessen inzwischen vorbei ist, ist die Tanzfläche voll, und Musik erfüllt den Saal. Ich suche nach Naomie, entdecke jedoch Bowies Frau, die allein an ihrem Tisch sitzt und ihren Blick durch den Raum schweifen lässt. Auch wenn ihr Gesichtsausdruck emotionslos ist, kann ich in ihren Augen erkennen, dass sie ihr Bestes gibt, um sich zusammenzureißen. Ich folge ihrem Blick und sehe, dass Naomie und Bowie eng aneinandergeschmiegt tanzen. Enger, als es ein Mann und eine Frau tun sollten, die mit anderen Menschen verheiratet sind.

Als ich wieder zu Bowies Frau schaue, sitzt sie nicht mehr am Tisch. Aber ich erhasche einen Blick auf sie, kurz bevor sie durch eine Glastür auf der linken Seite des Raumes verschwindet.

Ich sollte ihr nicht folgen.

Ich sollte sie einfach in Ruhe lassen.

Meine Füße tragen mich trotzdem in ihre Richtung. Genau wie früher am Abend, ehe ich wusste, wer sie ist.

Ich trete hinaus ins Freie und stehe auf einer überdachten Terrasse mit Liegestühlen und Stühlen, die um Gaskamine herum angeordnet sind. Ich spähe durch das schummrige Licht und entdecke sie, wie sie sich an ein Glasgeländer lehnt, von dem aus man einen Teil der Stadt überblicken kann. Sie sieht aus wie ein Standbild aus einem alten Film, mit ihrem kurvigen Körper in grüner Seide, ihren vollen roten Lippen und ihrem rauchigen Blick, der ins Leere starrt, während ihr langes Haar in goldenen Wellen über ihren Rücken fällt. Ich nehme meine Zigarettenschachtel aus der Tasche, ziehe eine Zigarette heraus und zünde sie an, während ich auf sie zugehe.

»Du solltest nicht rauchen«, murmelt sie und dreht ihren Kopf in meine Richtung, woraufhin ich Rauch ausstoße.

»Ich weiß.« Ich lehne mich gegen das Geländer neben ihr.

»Sie verstecken es nicht einmal«, flüstert sie und bricht nach einem langen Moment das Schweigen.

»Das habe ich mitbekommen.«

»Vielleicht sollte ich ihm einfach sagen, dass ich es weiß. Es einfach hinter mich bringen.«

»Was wird passieren, wenn du das tust?«

»Keine Ahnung.« Sie reibt ihre Lippen aneinander. »Ich habe angenommen, er würde in Panik geraten und es mir schwer machen, ihn zu verlassen, aber inzwischen denke ich ...« Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube, er wird erleichtert sein, dass die Karten auf dem Tisch liegen.«

»Du hast den Stein bereits für uns beide ins Rollen gebracht, Babe. Ich denke, du solltest deinem Bauchgefühl folgen und dich um deine Angelegenheiten kümmern, bevor du ihn zur Rede stellst.«

»Miranda.«

»Pardon?«

»Mein Name ist Miranda, nicht Babe.«

»Genau.« Ich lächle.

Jesus, ich sollte nicht lächeln. Nicht bei ihr.

»Vielleicht hast du recht.« Sie seufzt. »Ich will nur ... Gott ... Ich will ihm eine Ohrfeige verpassen und ihm sagen, was für ein Arschloch er ist.«

»Du wirst deine Chance bekommen.«

»Stimmt.« Ihr Blick trifft auf meinen, und ihre Stimme wird zu einem Flüstern. »Es tut mir leid.«

»Entschuldigst du dich dafür, dass dein Mann meine Frau gefickt hat?«

»Nein.« Sie stößt ein hohles Lachen aus. »Es tut mir leid, dass du sie nicht zur Rede stellen kannst ... Du weißt schon – tun, was auch immer du tun willst.«

»Ich habe auch einige Dinge zu erledigen. Die zusätzliche Zeit könnte mir auf lange Sicht nützlich sein.«

»Habt ihr Kinder?«

»Nein.« Erleichterung und Verzweiflung mischen sich in meinem Inneren. Dieser Traum zerplatzte nach der Fehlgeburt, als mir klar wurde, dass meine Ehe vorbei ist, aber noch bevor ich bereit war, das Handtuch zu werfen.

»Gott sei Dank.« Sie zittert. Ich werfe meine halb gerauchte Zigarette in einen paar Meter entfernten Aschenbecher.

»Du solltest reingehen. Es ist kalt hier draußen.«

»Da hast du wahrscheinlich recht.« Sie stößt sich vom Geländer ab und geht auf die Türen zu. Bevor sie diese erreicht, bleibt sie stehen und schaut mich über ihre Schulter hinweg an. »Viel Glück, Tucker. Ich hoffe, dass sich für dich alles zum Guten wendet.«

»Das wünsche ich dir auch, Babe.« Ich beobachte, wie sie nach drinnen verschwindet, und warte einen Moment, bevor ich ihr folge. Als ich weder Naomie noch Bowie sehe, dafür aber Miranda, die sich mit einer Frau in der Nähe der Bar unterhält, mache ich mich auf den Weg zum Parkplatz und warte darauf, dass sie meinen SUV holen.

5. Kapitel

Tucker

Als ich am nächsten Morgen auf der Veranda von Kristens Mutter stehe, berührt die Sonne gerade erst den Himmel. Barbara Stable öffnet die Tür, und alle Farbe weicht aus ihrem Gesicht. Ich weiß nicht, ob es mütterliche Intuition oder ein sechster Sinn ist, aber sie weiß, warum wir hier sind, bevor Miles oder ich auch nur ein Wort gesagt haben.

»Mrs Stable«, begrüße ich sie und senke mein Kinn. »Dürfen wir reinkommen, um ein paar Minuten mit Ihnen zu reden?«

Ohne ein Wort zu sagen, hält sie uns die Tür auf, damit wir eintreten können. Ihre schlanke Gestalt, die seit unserer ersten Begegnung nur noch zerbrechlicher geworden ist, zittert, als sie uns in ihre Wohnküche führt.

»Möchte einer von euch einen Kaffee?« Sie schaut sich um, als würde sie erst jetzt bemerken, wo sie steht.

»Nein, danke, Ma’am.« Miles zieht ihr einen Stuhl heran und wartet, bis sie Platz genommen hat. Als er sich ihr gegenüber hinsetzt und ihre Hände nimmt, ist die Kraft, mit der sie die Tränen zurückhalten wollte, verflogen.

»Bitte sagen Sie mir nicht, dass sie weg ist.« Das geflüsterte Flehen ist durch den starken Schmerz in ihrer Stimme kaum zu hören.

»Es tut uns leid«, sage ich leise und hasse diese verdammte Floskel. Diese vier Worte werden niemals das Bedauern, die Traurigkeit oder die Wut ausdrücken, die ich über einen solchen Verlust empfinde. Wie auch? Aber was soll man schon zu jemandem sagen, der leidet? Kein Wort wird jemals ausreichen, um den Schmerz zu lindern, nicht in so einer Situation. Nicht wenn eine Mutter ihre siebzehnjährige Tochter an ein Monster verloren hat, das nicht existieren sollte.

»Wie?« Sie schaut zwischen uns hin und her. Ich höre Miles’ Erklärung zu, was wir heute Morgen herausgefunden haben. Jedes Detail reißt Wunden auf, die niemals wirklich heilen werden. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich meinen Job hasse.

Doch es wird nicht aufhören.

Es gibt immer ein weiteres Opfer, immer eine weitere Familie, die zurückbleibt und sich nach dem tragischen Verlust eines geliebten Menschen hilflos fühlt.

Als ich gestern Abend nach Madison kam, war der Gerichtsmediziner bereits vor Ort. Noch bevor die Sonne heute Morgen aufging, hatte er die Autopsie des im Wald gefundenen Mädchens abgeschlossen.

Das Mädchen war Kristen Stable, wie wir bereits vermutet hatten. Was wir bis heute Morgen nicht wussten, war, wie sie gestorben war. Doch als wir sein Büro verließen, hatten wir auch diese Information. Sie war auf eine Weise misshandelt worden, wie es keine Frau erleben sollte, und dann mit einem Gürtel erwürgt worden. Ihr Tod war weder schmerzlos noch schnell. Sie hat gelitten und um ihr Leben gekämpft. Ihre Stärke in ihren letzten Momenten gibt mir Hoffnung, dass wir den Mann finden werden, der ihr das angetan hat.

Als er sie niederrang, wehrte sie sich heftig. Der Gerichtsmediziner fand Spuren ihres Angreifers unter ihren Nägeln, zwischen ihren Beinen und auf ihrer Kleidung. Der Mann, der sie getötet hat, war kein Profi. Er hinterließ viele weitere Spuren und ging wahrscheinlich davon aus, dass der natürliche Verwesungsprozess sämtliche Indizien beseitigen würde, falls jemand irgendwann auf ihre Leiche stoßen würde.

Wie es schien, hatte er keine Ahnung, dass das Stück Land, auf dem er Kristen zurückgelassen hatte, einer Familie mit drei Jungen gehörte, die jeden Zentimeter davon als Spielplatz nutzten. Als einer von ihnen gestern Nachmittag Kristens Leiche fand, rannte er nach Hause und erzählte es seinem älteren Bruder. Der fuhr mit seinem Vierrad los, um zu überprüfen, ob der Kleine die Wahrheit sagte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Bruder nicht log, rief er den Notruf an.

Zum Glück war der Sheriff so schlau, nicht nur die Vermisstenmeldungen für seinen Bezirk, sondern auch für die umliegenden Bezirke zu überprüfen. Als er Kristens noch offenen Fall und ihr Foto sah, rief er Miles an.

»Ich weiß, dass Sie damit beschäftigt sein werden, Freunde und Familie zu verständigen, aber ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, mit wem Kristen Zeit verbracht hat. Vielleicht fällt Ihnen jemand ein, der ein besonderes Interesse an ihr hatte«, erklärt Miles und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich konzentriere mich auf Barbara Stables tränenüberströmtes Gesicht.

»Meinen Sie, es war jemand, den sie kannte?« Sie schüttelt den Kopf, dann schlingt sie die Arme um ihre Mitte. »Alle haben sie geliebt. Niemand, den sie kennt, hätte ihr so etwas angetan.«

Verdammt, ich wünschte, das wäre wahr, aber in neun von zehn Fällen ist das nicht so.

»Wir wissen, dass es schwierig ist«, füge ich leise hinzu, »zu denken, dass jemand, dem Ihre Tochter vertraut hat, sie verraten haben könnte. Aber gibt es jemanden ... jemanden, von dem Sie uns noch nicht erzählt haben? Ein Lehrer, die Eltern eines Freundes, irgendjemand, von dem Ihre Tochter Ihnen erzählt hat, dass sie sich komisch in dessen Gegenwart fühlt?«