Bekenntnisse eines Economic Hit Man - erweiterte Neuausgabe - John Perkins - E-Book

Bekenntnisse eines Economic Hit Man - erweiterte Neuausgabe E-Book

John Perkins

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Beschreibung

John Perkins weiß, wovon er spricht. Er war ein Economic Hit Man. Im Auftrag von Großkonzernen hat der Wirtschaftskiller weltweit Länder zu überdimensionierten Investitionen bewegt, verbunden mit Großkrediten und Auftragsvergabe an amerikanische Unternehmen. Die einkalkulierte Verschuldung gab der US-Regierung ein Druckmittel, um politisch-ökonomische Eigeninteressen im Land durchzusetzen. Perkins Geschichte dokumentiert die Skrupellosigkeit von Wirtschaftskillern, die ihre betrügerischen Methoden perfektionieren und selbst vor Mord nicht zurückschrecken.

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Seitenzahl: 614

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Buch

Die Spezies des Economic Hit Man (EHM) ist ein Produkt unserer Zeit, in der Kriege gegen andere Länder durch aggressiven Wirtschaftsimperialismus geführt werden. Im Auftrag von Großkonzernen betrügen hoch intelligente, hoch bezahlte Profis weltweit Länder, indem sie deren Machthabern überdimensionierte, überteuerte Großprojekte verkaufen. Zu ihrem Instrumentarium gehören gezinkte Wirtschafts- und Finanzprognosen, Wahlmanipulationen, Schmiergelder, Erpressung und Mord. Sie treiben ein Spiel, das so alt ist wie Macht und Herrschaft. Doch im Zeitalter der Globalisierung hat es eine neue und bedrohliche Dimension angenommen. John Perkins war ein Economic Hit Man, ein Wirtschaftskiller und er berichtet über internationale politische Intrigen auf höchster Ebene. Er benennt u.a. die wahren Hintergründe für den Fall des Schahs von Persien sowie für die US-Invasionen in Panama und dem Irak. Seine Geschichte dokumentiert die Skrupellosigkeit von Wirtschaftskillern und die perfiden Methoden der Einflussnahme in die Politik bis hin zu Mord.

Autor

John Perkins wurde vom NSA und der internationalen Beratungsfirma MAIN als idealer Economic Hit Man entdeckt und dafür undercover ausgebildet. Von 1970 bis 1982 beriet er im Auftrag von MAIN unter anderem zahlreiche Entwicklungsländer in Afrika, Asien und Lateinamerika und veranlasste sie durch übertrieben optimistische Prognosen zu überdimensionierten Technikprojekten. Er verließ MAIN aufgrund von Gewissenskonflikten und gründete die Firma IPS (Independent Power Systems), die sich auf die Entwicklung nachhaltiger Energiesysteme spezialisierte. 1992 verkaufte er IPS. John Perkins ist Mitbegründer der gemeinnützigen Organisationen »Dream Change« und »Pachamama Alliance«, die zusammen mit den indigenen Völkern Südamerikas deren Umwelt und Kulturen schützen.

JOHNPERKINS

Bekenntnisseeines Economic Hit Man

Unterwegs im Dienstder Wirtschaftsmafia

Erweiterte Neuausgabe

Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Hans Freundl

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »The New Confessions Of An Economic Hit Man« bei Berett-Koehler Publishers, Inc., Oakland, CA, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung,Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischerForm, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Taschenbuchausgabe April 2016

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2016 der Originalausgabe by John Perkins

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Published by arrangement with Maria Pinto-Peuckmann,

Literary Agency, World Copyright Promotion, Kaufering, Germany

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Wes Youssi, M.80 Design LLC

Redaktion: Werner Wahls, Dr. Ulrich Mihr

KF · Herstellung: Str.

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-20024-4V002

www.goldmann-verlag.de

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

TEIL EINS1963–1971

1 Schmutzige Geschäfte

2 Ein Economic Hit Man wird geboren

3 »Lebenslänglich«

4 Indonesien: Lektionen für einen EHM

5 Ein Land soll vor dem Kommunismus bewahrt werden

6 Die Seele verkaufen

TEIL ZWEI1971–1975

7 Meine Rolle als Inquisitor

8 Die Zivilisation am Pranger

9 Die Chance meines Lebens

10 Panamas Präsident und Volksheld

11 Piraten in der Kanalzone

12 Soldaten und Prostituierte

13 Gespräche mit dem General

14 Eine neue und finstere Epoche der Wirtschaftsgeschichte

15 Das saudi-arabische Geldwäscheprojekt

16 Zuhälterei und Finanzierung von Osama bin Laden

TEIL DREI1975 – 1981

17 Verhandlungen über den Panamakanal und eine Begegnung mit Graham Greene

18 Irans König der Könige

19 Der Bericht eines Gefolterten

20 Der Sturz eines Königs

21 Kolumbien: Eckpfeiler Lateinamerikas

22 Amerikanische Republik gegen globales Imperium

23 Die trügerische Personalakte

24 Der Präsident von Ecuador wagt den Kampf mit den großen Ölgesellschaften

25 Ich kündige

TEIL VIER1981 – 2004

26 Ecuador: Tod eines Präsidenten

27 Panama: Tod des zweiten Präsidenten

28 Meine eigene Energiefirma, Enron und George W. Bush

29 Ich lasse mich bestechen

30 Einmarsch der USA in Panama

31 Das Versagen der EHM im Irak

32 Der 11. September und die Folgen für mich

33 Venezuela: Von Saddam gerettet

TEIL FÜNFVon 2004 bis heute

34 Verschwörung: Wurde ich vergiftet?

35 Ein Schakal meldet sich zu Wort: Die Seychellen-Verschwörung

36Ecuadorianische Rebellen

37 Honduras: Die CIA schlägt zu

38 Ihr freundlicher Banker als EHM

39 Vietnam: Lektionen im Gefängnis

40 Istanbul: Moderne Herrschaftsinstrumente

41 Ein Coup gegen die Fundación Pachamama

42 Ein weiterer EHM-Bankenskandal

43 Wer sind die Economic Hit Men von heute?

44 Wer sind die Schakale von heute?

45 Lektionen für China

46 Was Sie tun können

47 Was wir alle tun können

ANHANG

Dokumentation der EHM-Tätigkeit, 2004–2015

Dank

Lebenslauf von John Perkins

Anmerkungen

Für meinen Großvater Lula Brisbin Moody, der mich die Macht der Wahrheit, der Liebe und der Fantasie lehrte, und für meinen Enkel Grant Ethan Miller, der mich inspiriert, alles Notwendige zu tun, um eine Welt zu schaffen, die er und seine Brüder und Schwestern weltweit einmal erben wollen.

Vorwort

Economic Hit Men (EHM) sind hoch bezahlte Experten, die Länder auf der ganzen Welt um Billionen Dollar betrügen. Sie schleusen Geld von der Weltbank, der US Agency for International Development (USAID) und anderen ausländischen »Hilfsorganisationen« auf die Konten großer Konzerne und in die Taschen weniger reicher Familien, die die natürlichen Rohstoffe unseres Planeten kontrollieren. Die Mittel der Economic Hit Men sind betrügerische Finanzanalysen, Wahlmanipulationen, Bestechung, Erpressung, Sex und Mord. Ihr Spiel ist so alt wie die Macht, doch heute, im Zeitalter der Globalisierung, hat es neue und erschreckende Dimensionen angenommen.

Ich weiß das, ich war ein EHM.

Das schrieb ich 1982 als Einleitung für ein Buch mit dem ArbeitstitelGewissen eines Economic Hit Man. Das Buch war den Präsidenten von zwei Ländern gewidmet, zwei Männern, die meine Klienten gewesen waren, die ich respektiert und als Gleichgesinnte betrachtet hatte: Jaime Roldós, Präsident von Ecuador, und Omar Torrijos, Präsident von Panama.

Beide waren damals gerade eines gewaltsamen Todes gestorben, aber ihr Tod war kein Unfall. Sie wurden ermordet, weil sie gegen diese Verschwörung von Wirtschaftsbossen, Regierungen und Banken kämpften, deren Ziel die Weltherrschaft ist. Wir EHM schafften es nicht, Roldós und Torrijos mit unseren Mitteln zu überzeugen, daher griffen die anderen Hit Men ein: die mit Billigung der CIA arbeitenden Schakale, die immer im Hintergrund lauerten.

Ich wurde gedrängt oder genötigt, nicht weiter an meinem Buch zu schreiben. In den folgenden zwanzig Jahren fing ich noch viermal damit an. Jedes Mal ging meine Entscheidung, noch einmal einen Anfang zu wagen, direkt auf aktuelle politische Ereignisse zurück: der Einmarsch amerikanischer Truppen in Panama 1989, der erste Golfkrieg, Somalia, der Aufstieg Osama bin Ladens. Doch Drohungen oder Bestechungsgelder überzeugten mich jedes Mal, die Arbeit wieder beiseitezulegen.

2003 las der Leiter eines großen Verlags, der zu einem mächtigen internationalen Konzern gehört, das Exposé zu meinem Buch, das mittlerweile Bekenntnisse eines Economic Hit Man hieß. Er bezeichnete es als »eine fesselnde Geschichte, die erzählt werden muss«. Dann lächelte er traurig, schüttelte den Kopf und sagte mir, die Konzernleitung sei wahrscheinlich gegen das Buch, deshalb könne er eine Veröffentlichung nicht riskieren. Er riet mir, die Geschichte zu einem Roman umzuschreiben. »Wir könnten Sie als Thrillerautor im Stil von John le Carré oder Graham Greene vermarkten.«

Aber das hier ist kein Roman. Es ist die wahre Geschichte meines Lebens. Ein mutiger Verleger, der nicht zu einem internationalen Konzern gehört, erklärte sich bereit, mir zu helfen, damit ich meine Geschichte veröffentlichen konnte.

Was hat mich schließlich davon überzeugt, die Drohungen zu ignorieren und die Bestechungsgelder auszuschlagen?

Kurz gesagt lautet die Antwort, dass mein einziges Kind, meine Tochter Jessica, ihren Abschluss am College machte und ein eigenes Leben zu führen begann. Als ich ihr vor Kurzem erzählte, dass ich mit dem Gedanken spiele, dieses Buch zu veröffentlichen, aber Angst habe, sagte sie: »Mach dir keine Sorgen, Dad. Wenn sie dich kriegen, mache ich für dich weiter. Wir müssen das wagen, allein schon für die Enkelkinder, die du hoffentlich eines Tages haben wirst!« Das ist die kurze Antwort.

Die präzisere Begründung der Antwort hängt mit dem Land zusammen, in dem ich aufwuchs, mit meiner Liebe zu den Idealen unserer Gründerväter, mit dem tiefen Pflichtgefühl, das ich gegenüber der amerikanischen Republik empfinde, die heute allen Menschen überall »Leben, Freiheit und das Streben nach Glück« verspricht, und mit meinem Vorsatz, nach dem 11. September nicht mehr länger tatenlos zuzusehen, wie die EHM diese Republik in ein weltweites Imperium verwandeln. Das ist die Kurzversion der langen Antwort, die Einzelheiten werden in den folgenden Kapiteln dargestellt.

Warum wurde ich nicht dafür umgebracht, dass ich meine Geschichte erzählte? Wie ich weiter unten noch ausführlich erklären werde, ist das Buch quasi meine Lebensversicherung.

Das ist eine wahre Geschichte. Ich habe jede Minute davon erlebt. Die Situationen, die Menschen, die Gespräche und Gefühle, die ich beschreibe, waren alle Teil meines Lebens. Es ist meine persönliche Geschichte, aber sie spielt im Kontext von Ereignissen, die unsere Vergangenheit geprägt haben. Sie haben uns dorthin gebracht, wo wir uns heute befinden, und bilden damit die Grundlage für die Zukunft unserer Kinder.

Ich habe mich bemüht, die Erfahrungen, Menschen und Gespräche so genau wie möglich wiederzugeben. Dabei habe ich verschiedene Hilfsmittel benutzt: veröffentlichte Dokumente, persönliche Aufzeichnungen und Notizen, Erinnerungen (meine eigenen und die anderer Beteiligter), die fünf Manuskripte, die ich zu schreiben begonnen hatte, und historische Darstellungen anderer Autoren, vor allem vor Kurzem veröffentlichte, die Informationen enthalten, die früher der Geheimhaltung unterlagen oder aus anderen Gründen nicht zugänglich waren. Quellenangaben werden in den Anmerkungen genannt, damit interessierte Leser sich zu einem Thema weiter informieren können. In einigen Fällen kombinierte ich mehrere Dialoge miteinander, um den Lesefluss zu erleichtern.

Mein Verleger fragte, ob wir uns selbst wirklich Economic Hit Men nannten. Ich versicherte ihm, dass wir das taten, allerdings gebrauchten wir normalerweise nur die Anfangsbuchstaben.

An jenem Tag im Jahr 1979, als ich mit meiner Ausbilderin Claudine zu arbeiten begann, erklärte sie mir: »Ich habe die Aufgabe, aus Ihnen einen Economic Hit Man zu machen. Niemand darf etwas von Ihrer Arbeit wissen, nicht einmal Ihre Frau.« Dann wurde sie ernst: »Wenn man einmal dabei ist, bleibt man es sein Leben lang.«

Claudine nahm kein Blatt vor den Mund, als sie mir beschrieb, was ich in Zukunft tun würde. Meine Arbeit, sagte sie, solle »Staats- und Regierungschefs dafür gewinnen, Teile eines ausgedehnten Netzwerks zu werden, das den wirtschaftlichen Interessen der USA dient. Am Ende haben sich die Staatschefs in einem Netz von Schulden verstrickt, und das garantiert uns ihre Loyalität. Wir können auf sie zurückgreifen, wann immer wir wollen– um unsere politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Bedürfnisse zu befriedigen.

Umgekehrt sichern die Politiker ihre Position ab, indem sie Fabriken, Kraftwerke und Flughäfen bauen lassen. Und die Besitzer von amerikanischen Ingenieurbüros und Bauunternehmen werden sagenhaft reich.«

Wenn wir zögern, übernimmt eine bösartigere Form der Hit Men die Vertretung und Gestaltung dieser Interessen: die »Schakale«. Und wenn der Schakal scheitert, greift das Militär ein.

*

Heute, fast zwölf Jahre nachdem Confessions of an Economic Hit Man zum ersten Mal veröffentlicht wurde, ist es Zeit für eine neue, erweiterte Ausgabe. Die Leser des 2004 erschienenen Buchs schickten mir Tausende E-Mails, in denen sie fragten, wie sich die Veröffentlichung des Buches auf mein Leben ausgewirkt habe, was ich tun würde, um meine Schuld wiedergutzumachen und das EHM-System zu verändern, und vor allem, was sie tun könnten, um etwas zu bewirken. Dieses neue Buch ist meine Antwort auf ihre Fragen.

Es ist aber auch Zeit für eine neue Ausgabe, weil sich die Welt radikal verändert hat. Das EHM-System– das hauptsächlich auf Angst und Schulden basiert– ist heute noch tückischer als 2004. Heute sind deutlich mehr EHM aktiv, in neuen Verkleidungen und unter Einsatz neuer Mittel. Und auch wir in den USA sind betroffen. Die ganze Welt ist betroffen. Wir wissen, dass wir uns am Rande des Abgrunds bewegen– kurz vor einer wirtschaftlichen, politischen, sozialen und ökologischen Katastrophe. Wir müssen uns verändern.

Diese Geschichte muss erzählt werden. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und der Krisen, die uns aber auch ungeheure Chancen bietet. Meine Karriere als Economic Hit Man zeigt, wie es so weit gekommen ist und warum wir uns derzeit in einer Krise befinden, die unüberwindlich scheint.

Dieses Buch ist das Geständnis eines Mannes, der als EHM noch zu einer relativ kleinen Gruppe gehörte. Heute gibt es viel mehr Personen, die ähnliche Funktionen ausüben. Sie haben euphemistischere Bezeichnungen und tummeln sich in den Führungsetagen von Monsanto, General Electric, Nike, General Motors, Wal-Mart und fast jedem anderen großen Konzern der Welt. Sie nutzen das EHM-System, um ihre eigenen Interessen voranzubringen.

In einem sehr realen Sinn ist Bekenntnisse eines Economic Hit Man die Geschichte dieser neuen Klasse der Economic Hit Men.

Und es ist Ihre Geschichte, lieber Leser, die Schilderung Ihrer und meiner Welt. Wir alle tragen Schuld an dieser Situation. Wir müssen Verantwortung für unsere Welt übernehmen. Die EHM haben Erfolg, weil wir mit ihnen kollaborieren. Sie verführen, beschwatzen und bedrohen uns, aber sie gewinnen nur, wenn wir wegschauen oder einfach nachgeben und sie machen lassen.

Wenn Sie diese Sätze lesen, werden Dinge geschehen sein, die ich mir heute beim Schreiben noch nicht vorstellen kann. Betrachten Sie mein Buch bitte als Angebot, es soll Ihnen die Möglichkeit bieten, diese und zukünftige Ereignisse zu verstehen.

Ein Problem einzugestehen ist der erste Schritt zur Lösung. Eine Sünde zu bekennen ist der Beginn der Vergebung. Mein Buch soll der Beginn unserer Rettung sein, es soll uns inspirieren, uns zu engagieren, und uns dazu bringen, unseren Traum von einer gerechteren, ehrbaren Gesellschaft zu verwirklichen.

John Perkins

Oktober 2015

Einleitung

Die neuen Bekenntnisse

Jeden Tag werde ich von meinen Taten als Economic Hit Man (EHM) heimgesucht. Mich verfolgen die Lügen, die ich damals über die Weltbank erzählte. Ich habe Gewissensbisse, wenn ich daran denke, wie die Bank, verschiedene Organisationen und ich amerikanische Konzerne darin unterstützten, sich wie ein Krebsgeschwür über die ganze Welt zu verbreiten. Ich habe Schuldgefühle beim Gedanken an die Schmiergeldzahlungen an Staatschefs armer Länder, an die Erpressung und die Drohungen, wenn sie nicht kooperierten, wenn sie sich beispielsweise weigerten, Kredite anzunehmen, die ihre Länder versklaven würden, dann, so erklärten wir, würden die Schakale der CIA sie stürzen oder ermorden.

Manchmal wache ich auf und sehe schreckliche Bilder von Staatschefs vor meinem inneren Auge; Freunden von mir, die einen gewaltsamen Tod starben, weil sie sich geweigert hatten, ihr Volk zu verraten. Wie Shakespeares Lady Macbeth versuche ich, das Blut von meinen Händen zu waschen.

Aber das Blut ist nur ein Symptom.

Das tückische Krebsgeschwür unter der Oberfläche, das ich in Bekenntnisse eines Economic Hit Man offenlegte, hat zahlreiche Metastasen gebildet. Es hat von den Entwicklungs- und Schwellenländern auf die USA und die restliche Welt übergegriffen und bedroht nun die Fundamente unserer Demokratie und die lebenserhaltenden Systeme unseres Planeten. Alle Instrumente der EHM und Schakale– schöngerechnete Wirtschaftsdaten, falsche Versprechungen, Drohungen, Bestechung, Erpressung, Schulden, Täuschung, Staatsstreiche, Attentate und uneingeschränkte militärische Macht– sind heute weltweit im Einsatz, sogar noch mehr als vor einem Jahrzehnt, als ich die Mittel des Systems offenlegte. Das Krebsgeschwür hat sich weiter ausgebreitet und überall eingenistet, dennoch wissen die wenigsten Menschen etwas darüber; dabei wird der Zusammenbruch, in den es unausweichlich führt, uns alle treffen. Das EHM-System dominiert Wirtschaft, Regierung und Gesellschaft von heute.

Angst und Schulden sind die treibenden Kräfte des Systems. Unablässig werden wir mit beunruhigenden Nachrichten bombardiert, damit wir glauben, wir müssten jeden Preis bezahlen und ständig neue Schulden machen, um den Feind aufzuhalten, der angeblich vor unserer Tür lauert. Die Ursache des Problems kommt vermeintlich von außen. Aufständische. Terroristen. »Die anderen«. Und die Lösung erfordert natürlich enorme Geldsummen, die man für die Güter und Dienstleistungen der »Korporatokratie« ausgibt– so nenne ich das Netzwerk aus Unternehmen, Banken, Regierungen und den Reichen und Mächtigen, die damit verbunden sind. Wir verschulden uns massiv; unser Land und seine Handlanger bei der Weltbank und ähnlichen Institutionen zwingen andere Länder, sich massiv zu verschulden; die Schulden machen uns und auch die anderen Länder abhängig.

Durch diese Strategie ist eine »Ökonomie des Todes« entstanden– die auf Kriegen oder der Androhung von Kriegen basiert, auf Schulden und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten. Eine nicht nachhaltige Wirtschaftsform, die immer mehr und immer schneller die Ressourcen verbraucht, auf die sie angewiesen ist, die die Luft verpestet, die wir atmen, das Wasser verunreinigt, das wir trinken, und die Lebensmittel vergiftet, die wir essen. Die Ökonomie des Todes basiert zwar auf einer Form des Kapitalismus, doch bei dem Begriff Kapitalismus handelt es sich eigentlich um ein wirtschaftliches und politisches System, bei dem Handel und Gewerbe nicht vom Staat kontrolliert werden, sondern von Privatleuten. Dazu gehören lokale Bauernmärkte genauso wie die sehr gefährliche Form des globalen Konzernkapitalismus, die von der Korporatokratie kontrolliert wird. Dieser Raubtierkapitalismus hat eine Ökonomie des Todes geschaffen und wird sich am Ende selbst zerstören.

Ich habe die erweiterte Neuausgabe der Bekenntnisse eines Economic Hit Man geschrieben, weil sich in den vergangenen zehn Jahren viel verändert hat. Das Krebsgeschwür hat sich überall in den USA und auf der Welt ausgebreitet. Die Reichen sind noch reicher und alle anderen sind noch ärmer geworden.

Ein mächtiger Propagandaapparat, kontrolliert von der Korporatokratie, spinnt seine Geschichten, um uns zu überzeugen, ein Dogma zu akzeptieren, das den Interessen der Korporatokratie dient, nicht unseren. Diese Geschichten machen uns vor, dass wir ein System auf Grundlage von Angst und Schulden unterstützen müssen, das nach dem Leitsatz »teile und herrsche« verfährt und auf Konsum basiert. Der Propagandaapparat gaukelt uns vor, dass das EHM-System unsere Sicherheit gewährleistet und wir nur damit glücklich leben können.

Unsere aktuellen Probleme werden gern mit einer organisierten globalen Verschwörung erklärt. Ich wünschte, es wäre so einfach. Es gibt zwar, wie ich später noch erklären werde, Hunderte Verschwörungen– und nicht nur eine große–, die uns alle betreffen, doch das EHM-System stützt sich auf etwas viel Gefährlicheres als eine globale Verschwörung. Es basiert auf Grundsätzen, die wir zu unserem Evangelium gemacht haben. Wir glauben, dass Wirtschaftswachstum in jeder Form der Menschheit nützt, je größer das Wachstum, desto mehr Vorteile für alle. Und wir glauben, dass diejenigen, die das Feuer des Wirtschaftswachstums schüren, erhöht und belohnt werden sollten, während diejenigen, die am Rand stehen, problemlos ausgebeutet werden können. Und wir glauben, dass alle Mittel– auch die, die heute von den EHM und Schakalen angewandt werden– gerechtfertigt sind, solange sie nur das Wirtschaftswachstum vorantreiben, um unseren angenehmen, westlichen Wohlstand und Lebensstil zu bewahren. Deshalb führen wir Krieg gegen jeden (auch gegen islamistische Terroristen), der unseren Wohlstand, Komfort und unsere Sicherheit gefährdet.

Auf Wunsch vieler Leser habe ich mein Buch um viele neue Details ergänzt und beispielsweise beschrieben, wie wir unsere Arbeit während meiner Zeit als EHM machten; außerdem habe ich einige Punkte in den bereits veröffentlichten Kapiteln verdeutlicht. Doch vor allem habe ich einen ganz neuen Teil verfasst, in dem erklärt wird, wie das Spiel der EHM heute abläuft– wer die Economic Hit Men von heute und wer die Schakale sind, welche Mittel und Täuschungsmanöver sie anwenden und wie weit ihre Aktionen reichen, die uns heute noch abhängiger machen als früher.

Ebenfalls auf Wunsch der Leser enthält der neue Teil 5 Hinweise, was für den Sturz des EHM-Systems erforderlich ist und welche Taktik man dabei am besten verfolgt.

Das Buch endet mit einer »Dokumentation der EHM-Tätigkeit von 2004 bis 2015«. Dieser Anhang ergänzt meine persönliche Geschichte um detaillierte Informationen für Leser, die gern weitere Belege für die im Buch angesprochenen Vorfälle hätten oder ihnen genauer auf den Grund gehen wollen.

Trotz der deprimierenden Situation und der Versuche der modernen Räuberbarone, unsere Demokratie und unseren Planeten zu zerstören, habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich weiß, wenn genügend von uns die Funktionsweise des EHM-Systems durchschauen, wenn wir als Einzelne und in der Gemeinschaft aktiv werden, können wir das Krebsgeschwür unter Kontrolle bringen und wieder gesunden. Mein Buch zeigt, wie das System heute funktioniert und was Sie und ich– wir alle– dagegen tun können.

Thomas Paine, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, inspirierte die amerikanischen Revolutionäre mit den Worten: »Wenn es Auseinandersetzungen geben muss, dann sollen sie zu meiner Zeit sein, damit mein Kind eines Tages in Frieden leben kann.« Diese Worte gelten heute noch genauso wie im Jahr 1776. Mit meinem neuen Buch will ich ähnlich viel wie Thomas Paine erreichen: Uns alle inspirieren und uns die Kraft geben, alles Erforderliche zu unternehmen, damit unsere Kinder in Frieden leben können.

TEIL EINS

1963–1971

KAPITEL 1

Schmutzige Geschäfte

Als ich 1968 mein Studium der Wirtschaftswissenschaften abschloss, war ich fest entschlossen, nicht im Vietnamkrieg zu kämpfen. Kurz zuvor hatte ich meine Freundin Ann geheiratet. Auch sie war gegen den Krieg und so abenteuerlustig, dass sie sich wie ich dem Peace Corps anschloss.

1968 kamen wir zum ersten Mal nach Quito in Ecuador. Ich war 23 Jahre alt und hatte mich freiwillig gemeldet, um Kredit- und Anlagekooperativen in Dörfern tief im Regenwald des Amazonasgebiets zu entwickeln. Ann sollte die Frauen der indigenen Stämme in Hygiene und Kinderpflege schulen.

Ann war schon in Europa gewesen, aber für mich war das die erste Reise außerhalb Nordamerikas. Ich wusste, dass Quito eine der am höchsten liegenden Hauptstädte der Welt– und eine der ärmsten– war. Ich rechnete damit, dass Ecuador anders sein würde als alles, was ich bisher gesehen hatte, dennoch war ich völlig unvorbereitet auf das, was ich tatsächlich erlebte.

Wir waren in Miami gestartet. Beim Landeanflug auf Quito war ich schockiert angesichts der armseligen Hütten entlang der Landebahn. Ich beugte mich über Ann, die in der Mitte saß, zu dem ecuadorianischen Geschäftsmann am Gang, deutete zum Fenster und fragte: »Leben da wirklich Menschen?«

»Wir sind ein armes Land«, antwortete er und nickte ernst.

Was wir auf der Fahrt mit dem Bus in die Stadt sahen, war noch schlimmer– zerlumpte Bettler mit selbst gebauten Krücken auf müllübersäten Straßen, Kinder mit entsetzlich aufgeblähten Bäuchen, bis aufs Skelett abgemagerte Hunde und Slums aus Kartons, in denen Menschen wohnten.

Der Bus brachte uns zum Fünf-Sterne-Hotel InterContinental. Eine Insel des Luxus in einem Meer der Armut und der Ort, wo ich und etwa dreißig andere Freiwillige des Peace Corps eine mehrtägige Einführung erhalten sollten.

Beim ersten von vielen Vorträgen erfuhren wir, dass Ecuador eine Mischung aus mittelalterlichem Europa und dem amerikanischen Wilden Westen war. Unsere Lehrer bereiteten uns auf sämtliche Gefahren vor: Giftschlangen, Malaria, Anakondas, tödliche Parasiten und feindselig gesinnte Stammeskrieger, die der Kopfjagd nachgingen. Dann kamen die guten Nachrichten: Texaco hatte große Ölfelder nicht weit von dort entdeckt, wo wir im Regenwald stationiert waren. Uns wurde versichert, dass das Öl Ecuador verwandeln würde, von einem der ärmsten Länder würde es sich zu einem der reichsten der Hemisphäre entwickeln.

Eines Nachmittags kam ich, während wir auf den Aufzug im Hotel warteten, ins Gespräch mit einem hochgewachsenen blonden Mann mit texanischem Akzent. Er war Seismologe und für Texaco tätig. Als er erfuhr, dass Ann und ich arme Freiwillige des Peace Corps waren, die im Regenwald arbeiten würden, lud er uns zum Abendessen in das elegante Restaurant in der obersten Etage des Hotels ein. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hatte die Speisekarte gesehen und wusste, dass unser Essen mehr kosten würde als das, was wir monatlich beim Peace Corps für unseren Lebensunterhalt bekamen.

Während ich an jenem Abend durch die Restaurantfenster auf den Pichincha blickte, den gigantischen Vulkan, der die Hauptstadt Ecuadors überragt, und an meiner Margarita nippte, fand ich immer mehr Gefallen an diesem Mann und dem Leben, das er führte.

Er erzählte uns, dass er manchmal in einem Firmenjet direkt von Houston zu einer Flugzeugpiste flog, die in den Dschungel geschlagen worden war. »Die Einwanderungsbehörde oder der Zoll kümmern uns nicht«, prahlte er. »Die ecuadorianische Regierung hat uns eine Sondergenehmigung erteilt.« Wenn er sich im Regenwald aufhielt, hatte er einen klimatisierten Wohnwagen und musste weder auf Champagner noch auf Filet Mignon verzichten, das auf feinem Porzellan serviert wurde. »Nicht ganz das, was Sie erwartet«, sagte er mit einem Lachen.

Dann erzählte er von dem Bericht, an dem er arbeitete und der sich mit dem »großen Ölsee unter dem Regenwald« befasste. Der Bericht, erklärte er, sollte die Weltbank überzeugen, Ecuador enorme Kredite zu gewähren, und die Wall Street dazu bringen, in Texaco und andere Unternehmen zu investieren, die vom Ölboom profitieren würden. Als ich mich erstaunt zeigte, dass der Fortschritt so schnell kommen würde, sah er mich seltsam an. »Was haben Sie denn auf der Uni gelernt?«, fragte er. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.

»Hören Sie«, sagte er, »das ist das alte Spiel. Ich habe es in Asien erlebt, im Mittleren Osten und in Afrika. Und jetzt hier. Die Berichte der Seismologen in Kombination mit einem ordentlichen Ölvorkommen, eine sprudelnde Quelle wie die, auf die wir gerade gestoßen sind …« Er lächelte. »Und schon kommt der Boom!«

Ann erwähnte die Begeisterung, dass das Öl den Ecuadorianern Wohlstand bringen würde.

»Nur denen, die schlau genug sind, beim Spiel mitzumachen«, sagte er.

Die Stadt, in der ich in New Hampshire aufgewachsen bin, ist nach einem Mann benannt worden, der in einem Herrenhaus auf einem Hügel gelebt hat, mit Blick über die ganze Stadt. Er hat ein Vermögen damit gemacht, den Goldgräbern beim Goldrausch 1849 Schaufeln und Decken zu verkaufen.

»Die Kaufleute«, sagte ich. »Die Geschäftsleute und Banker.«

»Genau. Und heute auch die großen Konzerne.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Dieses Land gehört uns. Wir kriegen noch viel mehr, nicht nur Sondergenehmigungen, mit unseren Flugzeugen ohne Zollformalitäten irgendwo zu landen.«

»Was denn noch?«

»Oh mein Gott, Sie müssen noch viel lernen.« Er hob sein Martiniglas Richtung Stadt. »Zuerst mal kontrollieren wir das Militär. Wir bezahlen den Sold und kaufen die Ausrüstung. Das Militär beschützt uns gegen die Indianer, die nicht wollen, dass auf ihrem Land nach Öl gebohrt wird. In Lateinamerika kontrolliert derjenige, der das Militär kontrolliert, auch den Präsidenten und die Gerichte. Letztendlich diktieren wir die Gesetze– die Strafen bei Ölkatastrophen, Löhne und Tarife –, alle Gesetze, die für uns wichtig sind.«

»Texaco bezahlt das alles?«, fragte Ann.

»Na ja, nicht direkt …« Er langte über den Tisch und tätschelte ihren Arm. »Sie zahlen. Oder vielmehr Ihr Vater. Der amerikanische Steuerzahler. Das Geld kommt über USAID [United States Agency for International Development] ins Land, über die Weltbank, die CIA und das Pentagon, aber hier«– er wies mit dem Arm zum Fenster und zur Stadt– »wissen alle, dass es um Texaco geht. Vergessen Sie nicht, dass in Ländern wie diesem Staatsstreiche eine lange Tradition haben. Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass die meisten Staatsstreiche immer dann passieren, wenn die Regierungschefs dieser Länder bei unserem Spielchen nicht mitmachen wollen.«[1]

»Wollen Sie damit sagen, dass Texaco Regierungen stürzt?«, fragte ich.

Er lachte. »Sagen wir einfach, dass Regierungen, die nicht kooperieren wollen, als Marionetten der Sowjetunion betrachtet werden. Sie bedrohen die amerikanischen Interessen und die Demokratie. Das gefällt der CIA gar nicht.«

Dieser Abend gab mir einen ersten Einblick in das EHM-System, wie ich es später nannte.

Ann und ich verbrachten die nächsten Monate im Amazonasregenwald. Dann wurden wir in die Anden versetzt, wo ich die Aufgabe hatte, einer Gruppe Campesinos zu helfen, die als Ziegelmacher arbeiteten. Ann bereitete Behinderte auf eine Arbeitsstelle bei lokalen Unternehmen vor.

Mir wurde gesagt, dass die Ziegelmacher effizienter arbeiten und die archaischen Ziegelöfen verbessern müssten, in denen sie ihre Ziegel trockneten.

Doch ein Ziegelmacher nach dem anderen kam zu mir und beklagte sich über die Männer, denen die Lastwagen und Lagerhäuser in der Stadt gehörten. Ecuador war ein Land mit geringer sozialer Mobilität. Einigen reichen Familien, den ricos, gehörte fast alles, sie bestimmten über die lokalen Unternehmen ebenso wie über die Politik. Ihre Agenten kauften die Ziegel von den Ziegelmachern zu extrem niedrigen Preisen und verkauften sie für ungefähr das Zehnfache. Ein Ziegelmacher ging zum Bürgermeister der Stadt und beschwerte sich. Einige Tage später wurde er von einem Lastwagen erfasst und getötet.

Die Dorfgemeinschaft war zutiefst verängstigt. Die anderen Ziegelmacher versicherten mir, dass er umgebracht worden sei. Auch ich hatte diesen Verdacht, der noch dadurch verstärkt wurde, dass der Polizeichef verkündete, der Tote sei an einer kubanischen Verschwörung beteiligt gewesen, die in Ecuador den Kommunismus einführen wolle (Che Guevara war nicht einmal drei Jahre zuvor in Bolivien durch CIA-Agenten getötet worden). Der Polizeichef erklärte, jeder Ziegelmacher, der Probleme mache, werde als Aufständischer verhaftet.

Die Ziegelmacher flehten mich an, zu den ricos zu gehen und die Sache in Ordnung zu bringen. Sie waren bereit, alles zu tun, um die gefürchteten herrschenden Familien zu beschwichtigen, und redeten sich ein, wenn sie nachgaben, würden die ricos sie beschützen.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte beim Bürgermeister keinen Einfluss, außerdem würde die Intervention eines 25-jährigen Ausländers wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen. Also hörte ich ihnen einfach zu und bedauerte ihr Schicksal.

Doch schließlich erkannte ich, dass die ricos Teil einer Strategie waren, eines Systems, das die Andenvölker seit der spanischen Eroberung durch Angst unterworfen hatte. Durch mein Mitleid bestätigte ich die Ziegelmacher darin, nichts zu unternehmen. Sie mussten lernen, sich ihrer Angst zu stellen, sie mussten die Wut zulassen, die sie unterdrückt hatten, sie mussten gegen die erlittene Ungerechtigkeit aufbegehren, sie mussten aufhören, auf mich zu hoffen, damit ich die Dinge wieder in Ordnung brachte. Sie mussten sich gegen die ricos zur Wehr setzen.

Eines Nachmittags sprach ich mit den Ziegelmachern und sagte ihnen, dass sie aktiv werden mussten. Sie mussten das Nötige tun– auch wenn sie damit riskierten, getötet zu werden–, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft hatten und in Frieden leben konnten.

Die Erkenntnis, dass ich die Gemeinschaft dazu bringen musste, selbst aktiv zu werden, war für mich enorm wichtig. Ich verstand, dass die Betroffenen bei dieser Verschwörung im Grunde genommen kollaborierten. Der einzige Ausweg bestand darin, sie zu überzeugen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und es funktionierte.

Die Ziegelmacher gründeten eine Kooperative. Jede Familie spendete Ziegel, und mit dem Erlös wurden ein Lastwagen und ein Lagerhaus in der Stadt gemietet. Die ricos boykottierten die Kooperative, doch eine lutherische Missionsgesellschaft aus Norwegen bestellte bei der Kooperative alle Ziegelsteine für den Bau einer Schule. Die Norweger zahlten etwa das Fünffache dessen, was die ricos den Ziegelmachern gezahlt hatten, was aber immer noch nur halb so viel war, wie die ricos von den Norwegern verlangt hatten– eine Win-win-Situation für alle außer den ricos. Danach liefen die Geschäfte der Kooperative gut.

Knapp ein Jahr später beendeten Ann und ich unseren Dienst beim Peace Corps. Ich war sechsundzwanzig und musste nicht mehr befürchten, eingezogen zu werden. Ich wurde ein Economic Hit Man.

Am Anfang sagte ich mir, dass ich das Richtige tun würde. Südvietnam war gefallen und gehörte zum kommunistischen Norden, zudem drohten von der Sowjetunion und von China neue Gefahren. Bei meinem Wirtschaftsstudium hatten die Professoren immer behauptet, dass die Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch Kredite der Weltbank den Schwellenländern helfen würde, sich aus der Armut zu befreien, und sie vor dem Kommunismus bewahren würde. Experten der Weltbank und von USAID bekräftigten diese Haltung.

Als ich erkannte, dass das nicht stimmte, war ich bereits zu tief im System verstrickt. Auf dem Internat in New Hampshire war ich der mittellose Außenseiter gewesen, doch jetzt verdiente ich viel Geld, reiste erster Klasse in Länder, von denen ich mein ganzes Leben lang geträumt hatte, übernachtete in den besten Hotels, aß in den teuersten Restaurants und wurde von Staatschefs empfangen. Ich hatte es geschafft. Wie konnte ich auch nur daran denken auszusteigen?

Dann kamen die Albträume.

Ich wachte schweißgebadet in dunklen Hotelzimmern auf, gequält von Bildern, die ich wirklich gesehen hatte: Leprakranke ohne Beine, die festgebunden auf Holzkisten mit Rädern durch die Straßen von Jakarta rollten; Männer und Frauen, die in schmutzig grünen Kanälen badeten, während andere neben ihnen ihr Geschäft verrichteten; eine Leiche, verlassen auf einem Müllhaufen, übersät von Maden und Fliegen, Kinder, die in Kartons schliefen und sich mit Rudeln streunender Hunde um Essensreste im Müll prügelten. Ich erkannte, dass ich eine emotionale Distanz zu diesen Dingen aufgebaut hatte. Wie viele Amerikaner hatte ich diese Menschen nicht als richtige Menschen betrachtet, sie waren »Bettler«, »Außenseiter«– »die anderen«.

Eines Tages hielt die Limousine, die mir von der indonesischen Regierung gestellt wurde, an einer Ampel. Ein Leprakranker schob die blutigen Stummel seiner Hand durchs Fenster. Mein Fahrer schrie ihn an. Der Leprakranke grinste, ein schiefes, zahnloses Grinsen, und wich zurück. Wir fuhren weiter, aber der Anblick ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Als ob er mich gesucht hätte; sein blutiger Stumpf war eine Warnung, sein Lächeln eine Botschaft. »Ändere dich«, schien er zu sagen. »Bereue.«

Ich begann, die Welt um mich herum genauer zu betrachten. Und mich selbst. Ich begriff, dass ich zwar alle Insignien des Erfolges besaß, aber trotzdem unglücklich war. Jeden Abend warf ich ein paar Valiumtabletten ein und trank jede Menge Alkohol. Morgens stand ich auf, würgte einen Kaffee und verschiedene Tabletten hinunter und schleppte mich dann zu Vertragsverhandlungen, bei denen es um Hunderte Millionen Dollar ging.

Ich hatte mich an dieses Leben gewöhnt. Ich hatte die Lügen geglaubt. Ich machte selbst Schulden, um meinen Lebensstil zu finanzieren. Ich handelte aus Angst– die Angst vor dem Kommunismus, die Angst, meinen Job zu verlieren, vor dem Versagen und davor, nicht die materiellen Dinge zu haben, die ich angeblich so dringend brauchte.

Eines Nachts wachte ich auf und erinnerte mich an einen anderen Traum.

Ich befand mich im Arbeitszimmer eines Staatschefs, in dessen Land man gerade große Ölvorkommen entdeckt hatte. »Unsere Baufirmen«, sagte ich ihm, »werden die Maschinen von dem John-Deere-Franchise-Unternehmen Ihres Bruders mieten. Wir zahlen das Doppelte des üblichen Tarifs; Ihr Bruder kann seinen Gewinn mit Ihnen teilen.« In meinem Traum erklärte ich weiter, dass wir ähnliche Deals mit Freunden des Staatschefs abschließen würden, denen Coca-Cola-Abfüllanlagen gehörten, sowie mit anderen Lebensmittel- und Getränkeherstellern und Arbeitsvermittlern. Er musste nur einen Kredit bei der Weltbank aufnehmen und US-Firmen beauftragen, Infrastrukturprojekte in seinem Land umzusetzen.

Nebenbei erwähnte ich, dass eine Weigerung die Schakale auf den Plan rufen würde. »Denken Sie daran«, sagte ich, »was mit… passiert ist.« Ich ratterte eine Liste mit Namen wie Mossadegh im Iran, Arbenz in Guatemala, Allende in Chile, Lumumba im Kongo, Diem in Vietnam herunter. »Alle«, erklärte ich, »wurden gestürzt oder …«– ich fuhr mir mit dem Finger über die Kehle–, »weil sie sich nicht auf unser Spiel einlassen wollten.«

Ich lag in meinem Bett, wieder einmal schweißgebadet, und erkannte, dass dieser Traum meine Realität darstellte. Das alles hatte ich getan.

Es war kein Problem gewesen, den Staatschefs wie in meinem Traum beeindruckendes Material vorzulegen, mit dem sie die Kredite gegenüber ihrem Volk rechtfertigen konnten. Mein Stab aus Wirtschaftswissenschaftlern, Finanzexperten, Statistikern und Mathematikern war sehr geschickt darin, komplizierte Wirtschaftsmodelle zu entwickeln, die belegten, dass derartige Investitionen– in Kraftwerke, Schnellstraßen, Häfen, Flughäfen und Industriegebiete– das Wirtschaftswachstum ankurbeln würden.

Jahrelang hatte auch ich diesen Modellen vertraut, um mir einzureden, dass ich in bester Absicht handelte. Ich hatte meinen Job damit gerechtfertigt, dass das Bruttoinlandsprodukt nach der Umsetzung der Infrastrukturmaßnahmen tatsächlich stieg. Jetzt musste ich mich den Fakten hinter der Mathematik stellen. Die Statistik war einseitig und stark verzerrt zugunsten der Vermögen der Familien, denen die Industrieunternehmen, Banken, Einkaufszentren, Supermärkte, Hotels und verschiedene andere Unternehmen gehörten und die von diesen Infrastrukturmaßnehmen profitierten.

Nur sie.

Alle anderen mussten leiden.

Geld, das für die Gesundheitsfürsorge, für Bildung und den sozialen Bereich vorgesehen war, wurde zur Tilgung der Zinsen verwendet. Trotzdem konnte der Kredit nicht abgezahlt werden, und am Ende war das Land durch die Schulden in eine tiefe Abhängigkeit geraten. Dann kamen die EHM des Internationalen Währungsfonds (IWF) und verlangten, dass der Staat seine Ölvorkommen oder andere Rohstoffe den US-Unternehmen zu günstigen Preisen überließ und dass das Land seine Stromerzeugung, Wasserversorgung, Abwasseranlagen und andere Versorgungsunternehmen der öffentlichen Hand privatisierte und an die Korporatokratie verkaufte. Gewinner waren am Ende immer die Konzerne.

Eine wesentliche Bedingung solcher Kredite war in jedem Fall, dass die Projekte von unseren Ingenieurs- und Baufirmen umgesetzt wurden. Ein Großteil des Geldes verließ daher nie die USA; es wurde einfach von den Banken in Washington an die Unternehmen in New York, Houston oder San Francisco überwiesen. Wir EHM sorgten auch dafür, dass das Schuldnerland Flugzeuge, Medikamente, Traktoren, Computer und andere Güter und Dienstleistungen von US-Unternehmen kaufte.

Obwohl das Geld fast umgehend zurück an die Mitglieder der Korporatokratie ging, musste der Kreditnehmer (das Schuldnerland) alles zurückzahlen, also Kreditsumme plus Zinsen. Wenn ein EHM seine Sache richtig gut gemacht hatte, waren die Schulden so hoch, dass der Schuldner nach ein paar Jahren zahlungsunfähig war und den Kredit nicht mehr bedienen konnte. Wenn das passierte, verlangten wir wie die Mafia gnadenlos unseren Anteil. Dazu gehörte: Kontrolle über das Abstimmverhalten bei den Vereinten Nationen, die Errichtung militärischer Stützpunkte und/oder der Zugriff auf wertvolle Bodenschätze wie beispielsweise Öl. Natürlich schuldete uns der Schuldner trotzdem noch das Geld– und so kam ein Land nach dem anderen zu unserem globalen Imperium hinzu.

Meine Albträume halfen mir zu erkennen, dass das Leben, das ich führte, nicht das war, was ich mir wünschte. Ich begriff, dass ich wie die Ziegelmacher in den Anden die Verantwortung für mein Leben und für das übernehmen musste, was ich mir und vor allem den Menschen in den Schuldnerländern antat. Aber bevor ich die tiefere Bedeutung dieser Erkenntnis, die sich in mir regte, begreifen konnte, musste ich eine entscheidende Frage beantworten:

Wie war ein netter Junge aus dem ländlichen New Hampshire in derart schmutzige Geschäfte hineingeraten?

KAPITEL 2

Ein Economic Hit Man wird geboren

Alles begann ganz harmlos.

Ich war ein Einzelkind und wurde 1945 in eine Familie der Mittelschicht hineingeboren. Meine Eltern stammten beide aus Yankee-Familien, die seit drei Jahrhunderten in Neuengland lebten; ihre strenge Moral und aufrecht republikanische Haltung war seit Generationen durch die puritanischen Vorfahren geprägt. Sie waren die Ersten in ihrer Familie, die aufs College gingen – mit Hilfe von Stipendien. Meine Mutter wurde Lateinlehrerin an der Highschool. Mein Vater ging im Zweiten Weltkrieg zur Marine und führte als Leutnant die bewaffnete Mannschaft an Bord eines Tankers der Handelsmarine im Atlantik, die das Schiff vor deutschen Angriffen schützen sollte. Als ich in Hanover, New Hampshire, geboren wurde, kurierte er gerade seine gebrochene Hüfte in einem Militärkrankenhaus in Texas. Er sah mich das erste Mal, als ich ein Jahr alt war.

Er bekam eine Stelle als Sprachlehrer an der Tilton School, einem Jungeninternat im ländlichen New Hampshire. Der Campus lag hoch auf einer Anhöhe, stolz (manche würden sagen arrogant) überragte das Schulgebäude die Stadt gleichen Namens. Die exklusive Schule beschränkte die Schülerzahl auf 50 Schüler in jeder Klassenstufe, von der 9. bis zur 12. Klasse. Die Schüler waren meist die Abkömmlinge reicher Familien aus Buenos Aires, Caracas, Boston und New York.

In meiner Familie war Geld knapp, dennoch betrachteten wir uns keineswegs als arm. Die Lehrer verdienten sehr wenig, aber alles, was wir zum Leben brauchten, wurde kostenlos gestellt: Lebensmittel, Unterkunft, Heizung, Wasser und die Arbeiter, die unseren Rasen mähten und den Schnee schippten. Ab meinem vierten Geburtstag aß ich im Speisesaal der Schule, sammelte die übers Feld hinausgeschossenen Bälle für die Fußballmannschaft wieder ein, die mein Vater trainierte, und verteilte im Umkleideraum die Handtücher.

Dass die Lehrer und ihre Frauen sich den Einheimischen bloß überlegen fühlten, wäre eine Untertreibung. Meine Eltern scherzten gerne, sie seien die Gutsherren im Herrenhaus und würden über die niedrigen Landarbeiter – die Bewohner im Städtchen – herrschen. Ich wusste, dass dies nicht nur scherzhaft gemeint war.

Meine Freunde in der Grund- und Mittelschule gehörten zu diesen »niederen Arbeitern«, sie waren sehr arm. Ihre Eltern waren Kleinbauern, Holzfäller oder arbeiteten im Sägewerk. Sie verabscheuten die »Snobs auf dem Hügel«. Umgekehrt versuchten meine Eltern zu verhindern, dass ich allzu viel Kontakt mit den Mädchen aus der Stadt hatte, die sie als »Flittchen« und »Schlampen« bezeichneten. Ich hatte mit diesen Mädchen seit der ersten Klasse Buntstifte und Schulbücher geteilt und verliebte mich im Lauf der Jahre in drei von ihnen: Ann, Priscilla und Judy. Es war schwer für mich, die Haltung meiner Eltern zu verstehen, trotzdem fügte ich mich ihren Wünschen.

Jedes Jahr verbrachten wir die dreimonatigen Sommerferien meines Vaters in einem Häuschen am See, das mein Großvater 1921 gebaut hatte. Es lag mitten in den Wäldern, nachts hörten wir die Rufe von Eulen und das Gebrüll von Berglöwen. Wir hatten keine Nachbarn, ich war das einzige Kind weit und breit. In den ersten Jahren stellte ich mir immer vor, dass die Bäume die Ritter der Tafelrunde waren, und die Burgfräulein in Gefahr nannte ich (je nach Jahr) Ann, Priscilla oder Judy. Meine Leidenschaft war, da hatte ich keine Zweifel, so groß wie die von Lancelot für Guinevere – und ich musste sie sogar noch sorgfältiger geheim halten.

Mit vierzehn erhielt ich kostenlos Unterricht an der Tilton School. Unter dem Einfluss meiner Eltern lehnte ich alles ab, was mit der Stadt zu tun hatte, und sah meine alten Freunde nie wieder. Wenn meine neuen Klassenkameraden in den Ferien nach Hause zu ihren Villen und Penthäusern fuhren, blieb ich allein auf dem Hügel zurück. Ihre Freundinnen waren Debütantinnen, ich hatte keine Freundinnen. Alle Mädchen, die ich kannte, waren »Schlampen«; ich hatte sie fallen gelassen, und sie hatten mich vergessen. Ich war allein – und schrecklich frustriert.

Meine Eltern waren Meister der Manipulation; sie versicherten mir immer wieder, was für ein Privileg es sei, eine solche Chance zu bekommen. Eines Tages würde ich dafür dankbar sein. Ich würde die perfekte Frau finden, eine, die unseren hohen moralischen Ansprüchen genügte. Innerlich schäumte ich vor Wut. Ich sehnte mich nach einer Freundin – nach Sex. Der Gedanke an eine Schlampe war sehr verführerisch.

Aber anstatt zu rebellieren, unterdrückte ich meine Wut. Meiner Frustration machte ich mit hervorragenden Leistungen Luft. Ich war ein Musterschüler, Kapitän von zwei Schulmannschaften und Chefredakteur der Schulzeitung. Ich war entschlossen, meine reichen Klassenkameraden weit in den Schatten zu stellen und Tilton für immer hinter mir zu lassen. In meinem letzten Jahr erhielt ich ein Sportstipendium für die Brown University und ein akademisches Stipendium für Middlebury. Ich wollte auf die Brown University, vor allem, weil ich gern Sport trieb und weil die Universität in einer Stadt lag. – Meine Mutter hatte in Middlebury ihren Abschluss gemacht, und mein Vater hatte dort seinen Master gemacht, daher bevorzugten sie Middlebury, obwohl Brown zu den Ivy-League-Universitäten zählte.

»Was ist, wenn du dir ein Bein brichst?«, fragte mein Vater. »Nimm lieber das akademische Stipendium.« Ich fügte mich.

Middlebury war meiner Meinung nach nur ein aufgeblähter Abklatsch von Tilton – wenn auch im ländlichen Vermont anstatt im ländlichen New Hampshire gelegen. Gut, dort studierten Jungen und Mädchen, aber ich war arm, und fast alle anderen waren reich, außerdem war ich seit vier Jahren nicht mehr mit Mädchen zur Schule gegangen. Mir fehlte das Selbstvertrauen, ich fühlte mich als Außenseiter und war unglücklich. Ich bat meinen Vater, die Schule verlassen oder ein Jahr aussetzen zu dürfen. Ich wollte nach Boston ziehen, das Leben und die Frauen kennenlernen. Er wollte nichts davon hören. »Kann ich die Kinder anderer Leute fürs College vorbereiten, und dann will mein eigener Sohn nicht studieren?«, fragte er.

Mittlerweile weiß ich, dass im Leben eine Reihe von Zufällen entscheidend ist. Entscheidend ist, wie wir darauf reagieren (was manche als Akte des freien Willens bezeichnen); die Entscheidungen, die wir innerhalb der Grenzen von Schicksalswendungen treffen, bestimmen auch, wer wir sind. In Middlebury kam ich an zwei Wendepunkte meines Lebens. Die eine Wendung trat in Gestalt eines Iraners auf, der Sohn eines Generals, der persönlicher Berater des Schahs war, die andere war eine schöne junge Frau, und sie hieß Ann wie der Schwarm meiner Kindheit.

Der Iraner, den ich hier Farhad nenne, war in Rom Profifußballer gewesen. Er hatte einen athletischen Körper, lockige schwarze Haare und sanfte walnussbraune Augen. Seine Herkunft und sein Charisma machten ihn für Frauen unwiderstehlich. In vieler Hinsicht war er das genaue Gegenteil von mir. Ich bemühte mich sehr, seine Freundschaft zu erringen, und er brachte mir Dinge bei, die mir in den kommenden Jahren noch von Nutzen sein sollten. Außerdem kamen Ann und ich uns näher. Obwohl sie mit einem jungen Mann ernsthaft liiert war, der ein anderes College besuchte, nahm sie mich unter ihre Fittiche. Unsere platonische Beziehung war die erste wirklich liebevolle Beziehung meines jungen Lebens.

Farhad ermunterte mich zum Trinken und Feiern. Er bestärkte mich darin, mich von meinen Eltern zu lösen. Ich entschied mich bewusst dafür, nicht mehr zu studieren. Ich wollte mir mein akademisches Bein brechen und es so meinem Vater heimzahlen. Meine Noten sackten in den Keller; ich verlor mein Stipendium. Nachdem mein zweites Jahr am College zur Hälfte vorüber war, beschloss ich, das Studium zu schmeißen. Mein Vater drohte, mich zu verstoßen; Farhad stachelte mich weiter an. Ich stürmte in das Büro des Dekans und verließ die Schule. Das war ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben.

Farhad und ich feierten meinen letzten Abend in der Stadt zusammen in einer Kneipe. Ein betrunkener Farmer, ein wahrer Riese, beschuldigte mich, mit seiner Frau zu flirten, packte mich am Kragen und schleuderte mich gegen die Wand. Farhad ging dazwischen, zog ein Messer und schlitzte dem Farmer die Wange auf. Dann schleppte er mich durch den Raum und schob mich durchs Fenster, auf ein Fensterbrett hoch über dem Otter Creek. Wir sprangen hinaus und gingen am Fluss entlang zurück zu unserem Wohnheim.

Am nächsten Morgen wurde ich von der Campus-Polizei verhört. Ich log und behauptete, ich wisse nichts von dem Vorfall. Trotzdem wurde Farhad vom College verwiesen. Wir zogen nach Boston und teilten uns ein Apartment. Ich bekam einen Job bei einer Zeitung und arbeitete für den Record American und den Sunday Advertiser, die beide zum Hearst-Imperium gehörten. Ich war persönlicher Assistent des Chefredakteurs vom Sunday Advertiser.

Später im Jahr 1965 wurden einige meiner Freunde aus der Redaktion zum Militär eingezogen. Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, schrieb ich mich am College of Business Administration der Boston University als Student ein. Zu der Zeit hatte Ann mit ihrem alten Freund Schluss gemacht und besuchte mich oft in Boston. Ich genoss ihre Zuwendung sehr. Sie machte 1967 ihren Abschluss, ich dagegen hatte noch ein Jahr Studium vor mir. Sie weigerte sich hartnäckig, mit mir zusammenzuziehen, solange wir nicht verheiratet waren. Ich scherzte, das sei Erpressung, ich bezichtigte Ann der archaischen und prüden Moralvorstellungen meiner Eltern, doch ich genoss unsere gemeinsame Zeit und wollte mehr. Wir heirateten.

Anns Vater war ein hervorragender Ingenieur und hatte das Navigationssystem für einen wichtigen Raketentyp entwickelt. Für seine Arbeit wurde er mit einer hohen Position im Marineministerium belohnt. Sein bester Freund, ein Mann, den Ann Onkel Frank nannte (nicht sein richtiger Name), arbeitete in den höchsten Rängen der National Security Agency (NSA), dem am wenigsten bekannten (nach den meisten Darstellungen aber größten) US-Geheimdienst.

Kurz nach unserer Heirat musste ich zur Musterung. Ich war tauglich und musste nun damit rechnen, dass ich nach meinem Studium nach Vietnam kam. Die Vorstellung, in Südostasien zu kämpfen, zerriss mich innerlich. Krieg hat mich immer fasziniert. Ich wuchs mit Geschichten über meine Vorfahren in der Kolonialzeit auf (zu denen unter anderem auch der Publizist Thomas Paine und der Kriegsheld Ethan Allen gehörten) und hatte alle Schlachtfelder des Britisch-Französischen Kolonialkriegs und des Unabhängigkeitskriegs in Neuengland und im nördlichen Staat New York besucht. Ich las jeden historischen Roman, den ich in die Finger bekam. Als die ersten Spezialeinheiten in Südostasien landeten, wollte ich mich sogar freiwillig melden. Aber dann wurden in den Medien die Gräueltaten und Widersprüche der amerikanischen Politik offengelegt, und ich änderte meine Meinung. Ich fragte mich, auf welcher Seite Tom Paine gestanden hätte. Ich war überzeugt, er hätte sich unseren Feinden, den Vietkong, angeschlossen.

Onkel Frank rettete mich. Er sagte mir, dass man mit einer Stelle bei der NSA nicht zum Militär eingezogen würde, und arrangierte für mich eine Reihe von Vorstellungsgesprächen, darunter eine eintägige zermürbende Befragung, bei der ich an einen Lügendetektor angeschlossen war. Mir wurde gesagt, mit diesen Tests werde untersucht, ob ich für eine Rekrutierung und Ausbildung durch die NSA geeignet sei. Man erhalte damit ein Profil meiner Stärken und Schwächen und könne meine weitere Laufbahn planen. In Anbetracht meiner Einstellung zum Vietnamkrieg war ich überzeugt, dass ich bei den Tests durchfallen würde.

Beim Verhör gestand ich, dass ich zwar Amerika gegenüber loyal sei, den Krieg jedoch ablehne. Ich war überrascht, dass meine Gesprächspartner das Thema nicht weiter verfolgten. Stattdessen konzentrierten sie sich auf meine Erziehung, meine Einstellung zu meinen Eltern, auf die Emotionen, die durch die Tatsache hervorgerufen wurden, dass ich als armer Puritaner unter vielen reichen, hedonistischen Snobs aufgewachsen war. Auch meine Frustration darüber, dass ich nicht genug Frauen, Sex und Geld in meinem Leben gehabt hatte, wurde unter die Lupe genommen. Ich war erstaunt, wie viel Aufmerksamkeit man meiner Freundschaft zu Farhad widmete und welches Interesse meine Bereitschaft hervorrief, die Campus-Polizei anzulügen, um meinen Freund zu schützen.

Zuerst nahm ich an, dass ich aufgrund dieser Biografie und dieser Taten, die mir so negativ erschienen, für die NSA nicht in Frage käme. Doch die Befragungen und Gespräche wurden fortgesetzt, und allmählich zeichnete sich ein anderes Ergebnis ab. Erst viele Jahre später erkannte ich, dass diese negativen Eigenschaften aus Sicht der NSA positiv waren. Ihr Urteil hatte weniger mit meiner Loyalität zu meinem Land zu tun als mit den Enttäuschungen in meinem Leben. Die Wut auf meine Eltern, meine Besessenheit, was Frauen anging, und mein Ehrgeiz, eines Tages ein Leben in Wohlstand zu führen, machten mich verführbar. Meine Entschlossenheit, in der Schule und beim Sport hervorragende Leistungen zu bringen, meine Rebellion gegen den Vater, meine Fähigkeit, mit Ausländern gut auszukommen, und meine Bereitschaft, die Polizei anzulügen, waren genau die Eigenschaften, die die NSA suchte. Ich entdeckte später auch, dass Farhads Vater für den amerikanischen Geheimdienst im Iran arbeitete; meine Freundschaft mit Farhad erwies sich als wichtiger Pluspunkt.

Einige Wochen nach den Tests der NSA wurde mir eine Ausbildung in der Kunst der Spionage angeboten, die ich einige Monate nach meinem Abschluss an der Universität beginnen konnte. Bevor ich offiziell zusagte, besuchte ich aus einer Laune heraus ein Seminar an der Boston University, bei dem Freiwillige für das Peace Corps rekrutiert wurden. Für das Peace Corps sprach, dass man wie bei der NSA vom Militärdienst befreit war.

Die Entscheidung, das Seminar zu besuchen, war einer dieser Zufälle, die im ersten Moment unbedeutend erscheinen, aber das Leben für immer verändern. Der Seminarleiter beschrieb verschiedene Regionen auf der Welt, für die Freiwillige besonders dringend gebraucht wurden. Eine davon war der tropische Regenwald im Amazonasgebiet, wo, wie er erzählte, die Indios ganz ähnlich wie die Ureinwohner Nordamerikas bis zur Ankunft der Europäer lebten.

Ich hatte schon immer davon geträumt, wie die Abnakis zu leben, die New Hampshire bewohnten, als meine Vorfahren sich dort als Siedler niederließen. Ich wusste, dass Abnaki-Blut in meinen Adern floss, und wollte das jahrhundertealte überlieferte Wissen der Indianer kennenlernen. Nach dem Seminar wandte ich mich an den Leiter und fragte ihn, ob es möglich sei, mit dem Peace Corps ins Amazonasgebiet zu gehen. Er antwortete, in der Region herrsche großer Bedarf an Freiwilligen, meine Chancen seien daher hervorragend. Ich rief Onkel Frank an.

Zu meiner Überraschung ermutigte mich Onkel Frank, zum Peace Corps zu gehen. Er vertraute mir an, dass nach dem Sieg in Vietnam (der damals von Männern in seiner Position als Gewissheit betrachtet wurde) das Amazonasgebiet der nächste Krisenherd sein werde.

»Massenhaft Öl«, sagte er. »Wir werden dort gute Agenten brauchen – Leute, die die Einheimischen verstehen.« Er versicherte mir, das Peace Corps sei ein ausgezeichnetes Übungsfeld, und drängte mich, Spanisch und die Sprachen der Indios zu lernen. »Vielleicht«, kicherte er, »arbeitest du zu guter Letzt für ein privates Unternehmen anstatt für die Regierung.«

Ich verstand damals nicht, was er meinte. Ich wurde vom Spion zum EHM befördert, obwohl ich die Bezeichnung noch nie gehört hatte und sie in den nächsten Jahren auch nicht hören sollte. Ich hatte keine Ahnung, dass Hunderte von Männern und Frauen auf der ganzen Welt für Unternehmensberatungen und andere private Unternehmen arbeiteten, Leute, die nie einen Cent von einer Regierungsorganisation bekamen und trotzdem den imperialen Ambitionen der USA dienten. Ebenso wenig konnte ich ahnen, dass ein neuer Typ mit eher euphemistischen Titeln gegen Ende des Jahrtausends zu Tausenden aktiv sein und ich eine wichtige Rolle bei der Ausbildung dieser neuen Armee spielen würde.

Ann und ich bewarben uns beim Peace Corps und baten um einen Einsatz im Amazonasgebiet. Als die Zusage kam, war ich zuerst enttäuscht. Im Brief stand, dass wir nach Ecuador geschickt werden würden.

Oh nein, dachte ich. Ich wollte doch ins Amazonasgebiet, nicht nach Afrika.

Ich holte mir einen Atlas und suchte Ecuador. Zu meiner Bestürzung konnte ich es nirgends auf dem afrikanischen Kontinent finden. Im Index stellte ich fest, dass Ecuador in Lateinamerika liegt. Auf der Karte sah ich, dass das Flusssystem, das von den Andengletschern gespeist wird, die Quellflüsse für den mächtigen Amazonas bildet. Bei der weiteren Lektüre erfuhr ich, dass der Regenwald von Ecuador zu den artenreichsten und eindrucksvollsten der Welt gehört und die Eingeborenen größtenteils noch so lebten, wie sie es seit Jahrtausenden getan hatten. Wir sagten zu.

Ann und ich absolvierten die Ausbildung für das Peace Corps in Südkalifornien und brachen im September 1968 nach Ecuador auf. Wir lebten im Amazonasgebiet mit Menschen, deren Lebensstil tatsächlich dem der nordamerikanischen Ureinwohner vor der Kolonialzeit ähnelte. In den Anden arbeiteten wir auch mit Nachfahren der Inka zusammen. Wir lernten eine Welt kennen, deren Existenz ich nicht in meinen kühnsten Träumen für möglich gehalten hätte. Die einzigen Südamerikaner, die ich bis dahin kennengelernt hatte, waren die reichen Snobs, die mein Vater unterrichtet hatte. Ich empfand große Sympathie für die Indios, die von der Jagd und der Landwirtschaft lebten. Ich fühlte mich ihnen merkwürdig verbunden. Irgendwie erinnerten sie mich an die Leute in meiner Heimatstadt, die ich stets gemieden hatte.

Eines Tages landete ein Mann im Anzug auf der Flugpiste unseres Dorfes. Er hieß Einar Greve und war Vizepräsident bei Chas. T. Main, Inc. (MAIN), einer internationalen Unternehmensberatung, die sich gern im Hintergrund hielt, aber großen Einfluss ausübte. MAIN führte Wirtschaftsanalysen durch, mit denen entschieden wurde, ob die Weltbank Ecuador und seinen Nachbarländern Milliarden Dollar zum Bau von Staudämmen und anderen Infrastrukturprojekten lieh. Einar war außerdem Oberst der Reserve der US Army.

Er sprach mit mir über die Vorteile, wenn man für ein Unternehmen wie MAIN arbeitete. Als ich erwähnte, dass ich vor meiner Anstellung beim Peace Corps von der NSA angenommen worden sei und mit dem Gedanken spiele, für diesen Geheimdienst zu arbeiten, sagte er mir, dass er manchmal als Verbindungsmann der NSA tätig sei. Der Blick, den er mir dabei zuwarf, weckte bei mir den Verdacht, dass er den Auftrag hatte, meine Fähigkeiten einzuschätzen. Heute glaube ich, dass er mein Profil aktualisierte und vor allem meine Fähigkeiten bewertete, in einer Umgebung zu überleben, in der die meisten Nordamerikaner sich nicht zurechtfinden würden.

Wir verbrachten einige Tage zusammen in Ecuador und hielten danach Briefkontakt. Er bat mich, ihm Berichte zu schicken, in denen ich die wirtschaftlichen Aussichten Ecuadors bewertete. Ich hatte eine kleine Reiseschreibmaschine, schrieb gerne und freute mich, seiner Bitte nachzukommen. Im Lauf von etwa einem Jahr schickte ich Einar mindestens fünfzehn lange Briefe. In diesen Briefen spekulierte ich über die wirtschaftliche und politische Zukunft Ecuadors. Ich berichtete über die wachsende Unzufriedenheit der Indiogemeinschaften und über ihren Kampf gegen Ölgesellschaften, internationale Entwicklungsagenturen und andere Versuche, sie gegen ihren Willen in die moderne Welt zu holen.

Als meine Zeit beim Peace Corps vorüber war, lud mich Einar zu einem Bewerbungsgespräch in die MAIN-Zentrale nach Boston ein. Bei einer privaten Unterhaltung betonte Einar, das Hauptgeschäft von MAIN sei die Entwicklung und Planung von Bauprojekten, aber der größte Kunde, die Weltbank, bestehe seit kurzer Zeit darauf, dass er auch Wirtschaftswissenschaftler beschäftige. Sie sollten kritische Wirtschaftsprognosen erstellen, mit deren Hilfe man die Machbarkeit und den Umfang der Projekte einschätzen könne. Er vertraute mir an, er habe vor Kurzem drei hochqualifizierte Wirtschaftswissenschaftler mit makellosen Zeugnissen eingestellt – zwei mit einem Master und einen mit einem Doktortitel. Sie waren kläglich gescheitert.

»Keiner von ihnen«, erklärte Einar, »war in der Lage, Wirtschaftsprognosen für Länder zu erstellen, in denen es keine verlässlichen Statistiken gibt.« Er fuhr fort, alle wären außerstande gewesen, die Konditionen ihres Arbeitsvertrags zu erfüllen, zu denen auch Reisen in ferne Länder wie Ecuador, Indonesien, Iran und Ägypten gehörten. Dort sollten sie mit lokalen Politikern sprechen und die Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung der Region persönlich beurteilen. Einer hatte in einem abgelegenen Dorf in Panama einen Nervenzusammenbruch erlitten, er wurde von der panamaischen Polizei zum Flughafen eskortiert, in ein Flugzeug gesetzt und zurück in die USA geschickt.

»Die Briefe, die Sie mir geschickt haben, zeigen, dass Sie sich vorwagen, selbst wenn es keine harten Fakten gibt. Und in Anbetracht Ihrer Lebensumstände in Ecuador bin ich mir sicher, dass Sie fast überall überleben können.« Einar sagte mir, er habe bereits einen Wirtschaftsexperten entlassen und werde auch die beiden anderen feuern, wenn ich die Stelle annehmen sollte.

Im Januar 1971 wurde mir also eine Position als Wirtschaftswissenschaftler bei MAIN angeboten. Ich war gerade 26 geworden – das magische Alter, in dem mich die Einberufungsbehörde nicht mehr wollte. Ich beriet mich mit Anns Eltern, sie ermutigten mich, die Stelle anzunehmen. Ich nahm an, dass sie damit auch Onkel Franks Meinung zum Ausdruck brachten. Ich erinnerte mich, wie er gesagt hatte, dass ich womöglich eines Tages für ein privates Unternehmen arbeiten würde. Es wurde nie ausgesprochen, aber ich war mir sicher, dass meine Anstellung bei MAIN Teil jener Arrangements war, die Onkel Frank vor drei Jahren getroffen hatte. Dazu kamen natürlich noch meine Erfahrungen in Ecuador und meine Bereitschaft, über die politische und wirtschaftliche Situation des Landes zu berichten.

Das Angebot stieg mir zu Kopf, und ein paar Wochen lang trug ich die Nase sehr hoch. Ich hatte an der Boston University nur den Grad eines Bachelor erworben, was nicht gerade als Qualifikation für eine Stelle als Volkswirt bei einer renommierten Unternehmensberatung taugte. Ich wusste, dass viele meiner Kommilitonen an der BU, die untauglich gewesen waren und daher bis zum Master und anderen akademischen Graden weiterstudiert hatten, sich vor Neid verzehren würden. Ich sah mich selbst als schneidigen Geheimagenten, der in exotische Länder reiste und sich mit einem Martini in der Hand, umringt von schönen Bikinimädchen, lässig in einem Liegestuhl am hoteleigenen Swimmingpool herumlümmelte.

Das waren freilich Hirngespinste, doch ich sollte bald feststellen, dass meine tatsächlichen Aufgaben meine Fantasien weit übertrafen. Ich war James Bond näher, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.

KAPITEL 3

»Lebenslänglich«

Rechtlich betrachtet würde man MAIN als ein nicht börsennotiertes Unternehmen bezeichnen, dessen Anteile von wenigen Gesellschaftern gehalten wurden; konkret gesagt, MAIN gehörte etwa 5 Prozent der 2000 Mitarbeiter. Sie wurden Partner oder Teilhaber genannt, und ihre Position war sehr begehrt. Die Partner hatten nicht nur Macht über alle anderen, sondern verdienten auch das große Geld. Diskretion war ihr Markenzeichen; sie verhandelten mit Staatschefs und hochrangigen Managern, die von ihren Beratern ähnlich wie von ihren Rechtsanwälten und Psychotherapeuten absolute Diskretion erwarteten. Gespräche mit der Presse waren tabu. Dergleichen wurde einfach nicht toleriert. Folglich hatte außerhalb von MAIN kaum jemand je von uns gehört, allerdings kannten viele unsere Konkurrenten wie Arthur D. Little, Stone & Webster, Brown & Root, Halliburton und Bechtel.

Ich verwende den Begriff Konkurrenten im weiteren Sinn, weil MAIN in einer eigenen Liga spielte. Unsere Mitarbeiter waren größtenteils Ingenieure, allerdings besaßen wir keine Maschinen und hatten noch nie etwas gebaut, noch nicht einmal einen Lagerschuppen. Viele Mitarbeiter von MAIN waren früher beim Militär gewesen, allerdings arbeiteten wir nicht für das Verteidigungsministerium oder andere militärische Stellen. Unsere Arbeit war so völlig anders, dass selbst ich in den ersten Monaten nicht begriff, was wir eigentlich machten. Ich wusste nur, dass mich mein erster richtiger Auftrag nach Indonesien führen und ich Teil eines elfköpfigen Teams sein würde, das einen Masterplan für die Stromversorgung der Insel Java entwickeln sollte.