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Ein Roman, der nach der französischen Revolution entstanden ist und als bitterböse Politsatire bekannt wurde. Obwohl einer der großen Aufklärer, ist Knigge hauptsächlich für seine Benimmregeln bekannt.
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Seitenzahl: 471
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
oder Nachricht von seinem und seines Herrn Vetters Aufenthalte an dem Hofe des großen Negus oder Priesters Johannes
Adolph Freiherr von Knigge
Inhalt:
Adolf Knigge – Biografie und Bibliografie
Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Vorbericht
Erster Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebenzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Zweiter Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebenzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes, letztes Kapitel
Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien , A. von Knigge
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849629656
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Schriftsteller, geb. 16. Okt. 1752 in Bredenbeck unweit Hannover, gest. 6. Mai 1796 in Bremen, studierte in Göttingen die Rechte, ward 1771 vom Landgrafen von Hessen zum Hofjunker und Assessor der Kriegs- und Domänenkammer in Kassel ernannt, wo er sich aber bald durch amtliche und gesellige Mißhelligkeiten unmöglich machte, und führte dann eine Weile hindurch ein Wanderleben, bis er sich 1777 in Hanau niederließ, wo er, zum weimarischen Kammerherrn ernannt, als gern gesehener Kurzweilmacher viel am dortigen Hofe verkehrte. 1780 siedelte er nach Frankfurt a. M. über, wo er einige Jahre in Zurückgezogenheit lebte, um 1783 in Heidelberg, später in Hannover, 1791 in Bremen seinen Wohnsitz zu nehmen, wo er Landdrost wurde. K. wurde 1780 Mitglied des Ordens der Illuminaten und entfaltete in diesem unter dem Namen Philo eine einschneidende Tätigkeit mit polemischer Spitze gegen Jesuiten und Rosenkreuzer. Wenige Tage nach dem Verbot aller geheimen Gesellschaften in Bayern schied K. durch Vertrag aus dem Orden aus. 1788 erschien in Hannover »Philos endliche Erklärung und Antwort auf verschiedene Anforderungen und Fragen, die an ihn ergangen, seine Verbindung mit dem Orden der Illuminaten betreffend«, und 1793 von gegnerischer Seite »Die neuesten Arbeiten des Spartacus und Philo in dem Illuminatenorden jetzt zum ersten mal gedruckt, und zur Beherzigung bei gegenwärtigen Zeitläuften herausgegeben«. K. war als Romanschreiber, Popularphilosoph, dramatischer Dichter, Publizist, Musiker etc. produktiv. Seine bekannteste Schrift ist die »Über den Umgang mit Menschen« (Hannov. 1788 u. ö.; hrsg. von Berends, Gera 1904; auch in Reclams Universal-Bibliothek), eine einst vielgelesene Sammlung von Lehrsätzen, Lebensregeln und Erfahrungsmaximen, die von großer Weltbeobachtung und Menschenkenntnis zeugt, aber von einer beschränkt-egoistischen Grundansicht ausgeht. Die zahlreichen Romane Knigges (»Der Roman meines Lebens«, 1781–87, 4 Bde.; »Geschichte Peter Clausens«, 1783–85, 3 Bde.; »Geschichte des armen Herrn v. Mildenburg«, 1789–90; »Des seligen Herrn Etatsrats Samuel Konrad v. Schafskopf hinterlassene Papiere«, 1792; »Die Reise nach Braunschweig«, 1792; Neudruck in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, u. a.) sind im ganzen flüchtige Arbeiten und trotz der überall darin prunkenden Stichwörter Humanität und Aufopferung ohne festen sittlichen Kern und Gehalt; am besten hat der Verfasser den niedrig-komischen Ton getroffen. Eine Sammlung von Knigges Schriften erschien in 12 Bänden (Hannov. 1804–06). Vgl. Goedeke, Adolf Freiherr K. (Hannov. 1844); »Aus einer alten Kiste. Originalbriefe, Handschriften und Dokumente aus dem Nachlaß eines bekannten Mannes« (hrsg. von Klencke, Leipz. 1853). Über Knigges Verhältnis zu den Illuminaten vgl. Kluckhohn in den »Vorträgen und Aufsätzen« (Münch. 1894).
Ich überreiche hier dem hochgeneigten Leser – doch sage ich das nicht etwa, um mich zu rühmen – ein äußerst interessantes Werk. Ohne die Wahrheit und Bescheidenheit zu verleugnen, von welchen die ältern und neuern Reisebeschreiber und alle statistischen und politischen Schriftsteller sich so ungern zu entfernen pflegen, kann ich mit Recht behaupten, es werde Ihnen ein solches Buch noch gar nicht vorgekommen sein. Sie finden darin nicht etwa Beschreibungen von längst und oft beschriebnen Städten und Gegenden; nicht etwa unterwegens in Wirtshäusern und andern unbedeutenden Gesellschaften aufgesammelte Anekdoten; nicht etwa ärgerliche Nachrichten und falsche Schilderungen von der sittlichen und politischen Verfassung gewisser Städte und Länder, in dem Umgange mit unzufriednen, unruhigen Köpfen aufgeschnappt und ohne weitre Untersuchung nacherzählt; nicht etwa einseitige Urteile über Menschen und Weltbegebenheiten, nach gewissen Lieblingsideen und herrschenden Vorurteilen gemodelt oder mit den freien Mahlzeiten in Verhältnis gesetzt, die dem Reisebeschreiber in besagten Städten sind gereicht worden; noch verliebte Abenteuer, kleine bunte Bilderchen von empfindsamen Szenen, und was dergleichen Materialien mehr sind, woraus unsre lieben Landsleute und Nachbarn ihre Reisebeschreibungen zusammensetzen: – nein! ich liefre Ihnen die Beschreibung eines großen, wichtigen, bis jetzt fast gänzlich unbekannt gewesenen Reichs in Afrika, von welchem diejenigen, die bis auf den heutigen Tag darüber geschrieben (wie Sie aus meiner so glaubwürdigen Erzählung sehen werden), ganz falsche Nachrichten gegeben haben; zugleich aber auch enthält mein Buch die Erzählung einer höchst merkwürdigen Revolution, welche in diesem Reiche, durch mich und meinen Herrn Vetter, den jetzigen Herrn Notarius Wurmbrand in Bopfingen, ist bewirkt worden.
Es wird manchen Leser befremden, daß von allen diesen Dingen sowie von dem großen Zuge, den wir, mein Herr Vetter und ich, mit dem ältern Prinzen des großen Negus, an den deutschen Höfen umher, unternommen haben und von welchem ich in diesem Werke gleichfalls Nachricht gebe, noch gar nichts in Zeitungen und Journalen ist bekanntgemacht worden; allein diese Verwundrung wird aufhören, wenn man erstlich bedenkt, daß wir die Reise im strengsten Inkognito vorgenommen, und dann am Ende des zweiten Teils die Beschreibung des traurigen Unfalls lieset, durch welchen alle mit uns in Abyssinien gewesenen Europäer ihren Tod in den Wellen gefunden haben.
Etwas von der Familie und den übrigen Verhältnissen des Verfassers
Ich weiß wohl, daß man es Schriftstellern, und besonders einigen neuern Reisebeschreibern, sehr übel auslegt, wenn sie in ihren Werken viel von sich selber, ihren Freunden und Verwandten reden; und da ich mir fest vorgenommen habe, in diesem Buche einen ganz andern Weg zu gehn als den gewöhnlichen, so sollte ich mich freilich hüten, gleichfalls in diesen Fehler zu verfallen; allein ich halte es doch für Pflicht, bevor ich zu der Erzählung der Begebenheiten selber schreite, die Leser zuerst genauer mit den Personen bekannt zu machen, von deren Abenteuern und Unternehmungen ich ihnen Rechenschaft geben will. Meine Geschichte gewinnt dadurch an Glaubwürdigkeit; und wenn ich mich kurz fasse, so hoffe ich auch, Sie sollen, meine wertesten Herren und Damen, nicht ungebührlich viel Langeweile dabei haben. – Also frisch daran!
Mein Vater, seligen Andenkens, war ein Bierbrauer in Goslar und verfertigte die vortreffliche Gose, von welcher der große Hübner, was ihren Geschmack und ihre eröffnende Wirkung betrifft, rühmlichst Erwähnung tut. Wir hielten zugleich ein Wirtshaus und hatten immer die Stube voll lustiger Gäste. Hier fielen dann sehr angenehme Gespräche, besonders über politische Gegenstände, Krieg und Frieden vor; reisende Handwerksburschen, Soldaten u. dgl. erzählten von fremden Ländern und Städten; und wenn ich, als ein Knabe, mit meinen Büchern aus der Schule kam (wo man mir zehn Jahre lang hauptsächlich mit Gesenii Katechismus-Lehren und nebenher mit einigen nützlichen weltlichen Kenntnissen das Gedächtnis schmückte, die Bildung des Herzens nebst der Übung des Scharfsinns und der richtigen Beurteilungskraft aber der Zeit und den Umständen überließ), verweilte ich oft in dem allgemeinen Gastzimmer, um jenen Erzählungen zuzuhören, und ließ schon früh die Lust zum Reisen und Wandern in mir erwecken.
Es hatten aber meine Eltern beschlossen, mich die Rechte studieren zu lassen und aus mir einen Advokaten zu machen. Von dieser wohltätigen und nützlichen Menschenklasse befanden sich damals kaum funfzig in Goslar, von denen einige, die schon sehr alt waren, vermutlich bald aus dieser Welt heraus kontumaziert werden mußten; und so war denn Hoffnung da, daß ich, nach vollbrachten Studien, in meiner Vaterstadt als Sachwalter Brot finden würde. Man schickte mich zu diesem Endzwecke, sobald ich konfirmiert war, auf die Schule zu Holzmünden und dann, im zwanzigsten Jahre meines Lebens, nach Helmstedt, woselbst ich von einem kleinen Stipendio lebte und, in einer großen Fütterungsanstalt für arme Studierende, mit derber Kost versehen wurde, die in der Tat wohl passender für Tagelöhner, als für Gelehrte gewesen wäre, jedoch meinen Vater, der monatlich ein paarmal bei Trompeten- und Paukenschalle beträchtliche Summen im braunschweigschen Lotto verspielte, von der Sorge befreiete, sehr viel auf meinen Unterhalt zu verwenden.
Im Jahre 1764 befahl mir mein Vater, nach Goslar zurückzukehren. Ich fand ihn in sehr zerrütteten Gesundheits- und Vermögensumständen. Es schien, als wenn die ungerechten Flüche derer, denen seine Gose zuweilen Leibschmerzen verursachte, alles nur mögliche Ungemach über sein Haupt brächten. Außer dem Verluste, den er in der Zahlenlotterie erlitten hatte, war er noch auf andre Weise unglücklich gewesen. Die Sache ging also zu. Der berühmte Graf St. Germain, der bekanntlich ein großer Alchimist und Universalarzt war oder vielmehr ist (denn den Gerüchten, als sei er kürzlich in Schleswig gestorben, darf man keinen Glauben beimessen; ein solcher Mann stirbt nicht; und wäre dem so und hätte man am Ende entdeckt, daß er ein Betrüger gewesen, so würden ja doch die Leute, bei denen er zuletzt gelebt, es für Pflicht der Rechtschaffenheit gehalten haben, seine Schelmereien, zur Warnung des abergläubischen Publikum, öffentlich bekanntzumachen, möchte man auch ein bißchen über ihre Leichtgläubigkeit lächeln oder seufzen!), dieser Mann nun bereisete den Harz und hielt sich einige Wochen lang in Goslar auf, wo er seinen herrlichen Tee, den er wohltätigerweise, das Pfund für einen Karlsdor, verkaufen ließ, debitierte. Dieser Tee hatte, wie man weiß, die unvergleichliche Gabe, wenn er lange genug gebraucht wurde, von allen Sorgen dieses Lebens zu befreien und zu einer bessern Welt vorzubereiten. Der Graf war damals in seinen besten Jahren, kaum eintausendachthundert Sommer alt. Einer seiner Lakaien, der noch nicht viel über fünfhundert Jahre bei ihm diente, kam täglich in meiner Eltern Haus, war sehr geschwätzig, redete viel von den Arzeneimitteln seines Herrn und machte endlich meinem Vater begreiflich, daß, wenn er dem Herrn Grafen einen großen Vorrat von dem Wundertee auf Spekulation abkaufte und damit den ganzen Unterharz laxierte, er nicht nur an manchen Familien zum Wohltäter werden, sondern auch ein ansehnliches Kapital gewinnen könnte. Mein Vater ließ sich ankörnen, erhandelte zweihundert Pfund von der wohltätigen Ware, und der Wundermann reisete weiter. Die ersten Proben, welche Herr Noldmann mit diesem Universalmittel machte, fielen unglücklich aus; die Patienten hatten nicht Geduld genug, so lange zu leben, bis die eigentliche Wirkung des Tees erfolgen konnte, und der Stadtphysikus, der sein Privilegium, für die Bevölkerung des Paradieses zu sorgen, mit niemand teilen wollte, verklagte meinen Vater bei dem Magistrate. Der Prozeß fiel zum Nachteile des Beklagten aus; der Tee wurde konfisziert, von Sachkundigen geprüft und, da man ihn aus äußerst gemeinen, wohlfeilen, aber bei unvorsichtigem Gebrauche schädlichen Kräutern zusammengesetzt fand, ins Wasser geworfen, mein armer Vater aber zu einer großen Geldstrafe verurteilt. Aus Kummer über diesen neuen Unfall und über seine täglich sich verschlimmernden häuslichen Umstände fiel er in eine gefährliche Krankheit. In dieser Zeit schrieb er mir, ich möchte zu ihm kommen, indem er durch meine Praxis sich wieder in eine beßre Lage zu versetzen hoffte. Was aber seine Gesundheit betraf, so war er jetzt gegen den Arzt aufgebracht und wollte sich also seiner Hülfe nicht bedienen; noch hatte er ein paar Pfunde von seinem Tee heimlich gerettet, und da sein Glaube an die Wirkung desselben um nichts schwächer geworden war, so trank er selbst fleißig davon. Vierzehn Tage nach meiner Ankunft brachten ihn so weit, als die beharrlichsten unter St. Germains Patienten früher oder später zu kommen pflegten; er starb in meinen Armen und hinterließ seiner Familie drückende Sorgen für die Zukunft.
Meine Mutter, von der ich noch nichts gesagt habe, lebte damals noch; mein Vater hatte für sie in eine auswärtige Witwenkasse gesetzt; allein da die Einrichtung derselben auf unrichtigen Berechnungen beruhete, so konnte sie keinen Bestand haben; die Direktion der Kasse hatte daher schon vor einigen Jahren bekanntgemacht, daß sie nicht Wort halten könnte; das ganze Institut zerfiel; eine Menge von Familien verloren ihren Unterhalt, ihre von der Landesherrschaft gesicherten Forderungen, die armen Weiber ihre Aussichten, ihre Hoffnungen, künftig vor Mangel geschützt zu sein; und unter diesen war denn auch meine Mutter.
Da es meinem Vater gefallen hatte, aus mir das zu machen, was man einen Gelehrten nennt, so schickte es sich nicht für mich, als Bierbrauer und Schenkwirt in seine Fußstapfen zu treten; auch fanden sich so viel Schulden, daß wir Haus und Inventarium verkaufen mußten, um diese zu tilgen. Ich mietete also ein paar kleine Zimmer, tat den sehr unbedeutenden Rest, der von unserm Vermögen übrigblieb, auf Zinsen aus und beschloß, vorerst davon, und dann von meiner Arbeit als Advokat, mich und meine Mutter, so gut es gehen wollte, zu unterhalten.
Fortsetzung des vorigen
Soviel von meiner eignen werten Person bis zu der Katastrophe, die mich bewog, auf Reisen zu gehen! Jetzt muß ich von den übrigen Personen meiner Familie, besonders von meinem Herrn Vetter reden, dessen Schicksale mit den meinigen zusammenhängen.
Ich war nicht der einzige Sprößling des Noldmannschen Geschlechts, sondern hatte eine ältere Schwester, die, als ich noch ein Knabe von sechs Jahren war, mit dem Prediger Wurmbrand im Eisenachschen getraut wurde. Dieser Mann war reich und schon verheiratet gewesen. Mit der ersten Frau hatte er zehn Söhne erzeugt; meine Schwester beschenkte ihn mit dem eilften, den er, indem ihm der Erzvater Jakob im Kopfe steckte, Joseph taufte. Die Jungen sollten sämtlich Theologie studieren; das war denn so die geistliche Grille des Herrn Pastors; doch wurde sein Plan vereitelt. Zwei von den jungen Herren liefen aus der Schule weg und ließen sich zu Soldaten anwerben; einer wurde blödsinnig und deswegen in ein Hospital gesteckt; der vierte starb auf Universitäten, an der zurückgetriebnen Krätze; der fünfte ertrank auf der Reise, als er eben nach Ilefeld auf das Gymnasium ziehen wollte; einer wurde Landprediger und lebt noch; ein andrer ließ sich verleiten, mit den spanischen Luftspringern in die Welt hinein zu gehen und die hohen Herrschaften in den Frankfurter Messen durch seine Gaukeleien zu unterhalten; der achte verschwand auf einmal, nachdem er sich auf Schulen allerlei Ausschweifungen ergeben hatte, soll gegenwärtig Schauspieler sein und edle Heldenrollen spielen; der neunte, welcher Isaschar hieß, plagte seine Eltern so lange, bis sie einwilligten, daß er Bartscherer und Wundarzt würde (zwei Künste, die in Deutschland, wie jedermann weiß, zur Ehre der gesunden Vernunft in einem Stande vereinigt sind); Sebulon aber, als der zehnte Sohn, vollendete seine Studia, war ein wenig taub und kurzsichtig, wurde daher zum Informator gut genug befunden, in welcher Qualität er sich vielleicht noch jetzt herumtreibt. Der kleine Joseph, der wenig Jahre jünger als ich war, blieb am längsten in seines Vaters Hause und wurde also, wie sich das versteht, von Vater und Mutter verzogen. Gern hätten Seine Hochehrwürden noch einen kleinen Benjamin geliefert; allein so gut wurde es ihnen nicht; es blieb also Joseph Wurmbrand der Liebling der Eltern. Er war ein lebhafter Knabe, voll Mutwillen und unruhigen Geistes. Da die kleinen Tücken, die er ausübte, als Zeichen seines aufgeweckten Temperaments ausgelegt und seine Naturgaben bei jeder Gelegenheit zur Ungebühr erhoben wurden, so gewann der Junge bald eine große Meinung von seinem eignen Ich. Der Vater pflegte ihm oft in der Bilderbibel die Geschichte von Jakobs Söhnen aufzuschlagen. Wenn dann das naseweise Kind auf dem Holzschnitte den ägyptischen Finanzminister Joseph, mit königlichen Kleidern angetan, auf einem großen Stuhle sitzen sah, wie er seine Brüder, die als lumpige Juden vor ihm erscheinen und seine Füße küssen, von oben herab seiner Gnade versichert, so dachte der kleine Wurmbrand, es könne ihm auch wohl noch so gut werden; und dann kam es ihm im Schlafe vor, als wenn er dem Oberschenken und dem Schloßhauptmanne in Weimar ihre Träume ausgelegt hätte und dieser merkwürdige Umstand der durchlauchtigsten Herzogin Regentin wäre berichtet worden, da er dann einen Ruf bekommen, vor Ihrer Durchlaucht zu erscheinen, und der erhabenen Fürstin den Rat gegeben, zu rechter Zeit Magazine anzulegen, und wie er darauf stante pede zum Kammerpräsidenten wäre ernannt worden, wodurch er dann Gelegenheit erhalten hätte, seine ganze Familie zu hohen Ehren zu bringen, und was dergleichen Torheiten mehr waren.
Indessen ließen sich solche erhabne Gedanken nicht wohl mit seines Vaters Plane, ihn der Gottesgelahrtheit zu widmen, vereinigen; deswegen empfand er denn auch sehr wenig Neigung, diesen Stand zu wählen. Wenn der alte Pastor mit seinem Ideenschwunge nicht weiter hinauf konnte, als daß er in Gedanken seinen lieben Sohn auf dem Consistorio in Weimar sein examen rigorosum rühmlichst aushalten sah, indes der Alte hinter dem grünen Schirm auf jede Frage und Antwort lauerte und unter der Hand zu erfahren suchte, ob der hoffnungsvolle junge Kandidat bene oder valde bene zum Urteil erhalten habe, so flog Joseph mit seiner Phantasie viel höher. Er erblickte sich als Minister an der herzoglichen Tafel auf dem großen Schlosse (dessen prächtige Merkwürdigkeiten sowohl als die schönen Gärten, Lust- und Jagdschlösser sich der Herr Pastor nebst seiner Familie bei einer Reise nach Weimar einmal hatte zeigen lassen), sah sich da den herrlichen Pasteten und Fleischmassen gegenüber, woran die herzoglichen Mundköche ihre Kunst verschwendet hatten, und erlauerte den Augenblick, da er, durch irgendein Abenteuer in die Residenz geführt, dort einer vornehmen Dame Liebe einflößen, von ihr, nach vorhergegangener Mantel-Szene, auf die Wartenburg verwiesen werden und dort, durch Traumdeuterei, den Grund zu jener glänzenden Laufbahn legen würde.
Es war aber im Buche des Schicksals anders beschlossen. Sein Vater unterwies ihn selbst bis in das funfzehnte Jahr, nach der damals allgemein üblichen alten Methode, und in der Tat war über seinen Fleiß nicht zu klagen. Dann wurde er nach Eisenach auf die Schule geschickt, wo er bei seinem Oheim, einem Kantor, im Hause wohnte. Hier geriet er mit andern wilden jungen Leuten in Verbindung; man wachte nicht sorgfältig genug über seine sittliche Aufführung; sein Kopf war voll von Erwartungen sonderbarer Abenteuer; es dauerte ihm zu lange, ehe sich eine Aussicht zeigte, die Träumereien seiner Kindheit realisiert zu sehen; es wurde nun immer ernstlicher davon geredet, daß er sich den theologischen Wissenschaften widmen sollte; das Ding gefiel ihm nicht; er geriet über einige Reisebeschreibungen, die ihm die Lust einflößten, fremde Länder zu sehen; er fing an zu glauben, Weimar sei wohl nicht der Ort, wo er die große Josephs-Rolle würde spielen können, und da ihn die Abenteuer nicht suchten, so beschloß er, sie aufzusuchen. In dieser Stimmung wurde er durch einen andern jungen Menschen bestärkt, der ihm den Plan entwerfen half, fortzulaufen und mit ihm auf gutes Glück in die weite Welt zu gehen. Hierzu kam, daß er ein wenig zu bekannt mit des Herrn Kantors Tochter geworden, woraus Folgen entstanden waren, die bald sichtbar werden mußten und die ihn in große Verlegenheit setzten. In diesem Punkte ahmte er also seinem ägyptischen Helden nicht nach, der sich bei Madam Potiphar ganz anders betragen hatte; allein das hielt ihn nicht ab zu glauben, er könne wenigstens im übrigen sein Vorbild erreichen. Er ging also fort, und um die Leser nicht mit einer weitläuftigen Beschreibung seiner Wanderschaften zu ermüden, will ich davon nur das Hauptsächlichste erzählen.
Joseph Wurmbrand erlebte, was jedem leichtsinnigen Knaben begegnen muß, der, ohne zu wissen wohin und ohne alle Erfahrung, in die Welt hinein läuft. Daß man wohl tue, sich mit Gelde zu versehen und einen bestimmten Plan zu entwerfen, bevor man einen solchen Schritt wagt, daran hatte der junge Herr sowenig wie sein Reisegefährte gedacht. Einige Tage lag es ihnen nur am Herzen, ihre Tritte zu beschleunigen, weil sie fürchteten, man möchte ihnen nachsetzen. In dieser Zeit nun waren sie bis an die preußische Grenze gekommen, fühlten sich aber so ermüdet und, da sie indes fast gar nichts genossen hatten, einer guten Mahlzeit so bedürftig, daß sie sich entschlossen, hier haltzumachen, sich mit Speise und Schlaf zu erquicken und inter pocula miteinander zu beratschlagen, wohin nun eigentlich die Reise gehen sollte. Ein einsam liegendes Wirtshaus ladete sie eines Abends ein, hier Quartier zu nehmen. Sie fanden darin, außer dem dicken einäugigen Gastwirte und seinem buckligen Weibe, noch zwei große, starke Kerle um den Tisch herum sitzen, die zuvorkommend freundlich gegen sie waren und mit denen sie bald in allerlei vertrauliche Gespräche gerieten. Dabei ließen sie sich zu essen und zu trinken geben.
Die beiden Fremden nötigten sie, ein paar Gläser Wein mit ihnen auszuleeren, wobei unsre jungen Abenteurer treuherzig genug waren, ihre Geschichte zu erzählen, nämlich: wie sie, um sich dem Schulzwange und dem ewigen Einerlei einer sitzenden Lebensart zu entziehen, sich mit der Absicht auf den Weg gemacht hätten, die Welt zu sehen, und daß es nun ihr Plan sei, nach Holland zu reisen und dort, weil sie doch im Schreiben und andern nützlichen Kenntnissen erfahren wären, sich zu bemühen, auf einem Schiffe, das zu einer großen Reise bestimmt wäre, als Schreiber oder dergleichen angesetzt zu werden. Die übrige Gesellschaft lobte diesen Entschluß, und weil es indes spät geworden war und die beiden jungen Leute sich ungewöhnlich schläfrig fühlten, so wurde Anstalt zu einer Streue gemacht, auf welcher Joseph mit seinem Gefährten und bald nachher auch ihre neue Bekannte Platz nahmen.
Es war schon heller Tag, als mein Herr Vetter von seinem festen Schlafe erwachte; er rief seinem Freunde, aber niemand antwortete; er stand auf, fragte den Wirt und die Wirtin, wo denn die andern wären, und bekam zur Antwort, daß sie das nicht wüßten. Schon vor Tage habe einer von ihnen die Magd geweckt, habe die Zeche für sie alle bezahlt und sei weitergereiset; vermutlich sei der junge Mensch mit den beiden Männern gegangen. Sowenig dies nun mein Herr Vetter begreifen konnte, so blieb ihm doch nichts übrig, als sich in Geduld zu fassen. Vergebens wartete er bis zum Mittage auf die Zurückkunft seines Freundes; er erschien nicht, und Joseph mußte sich entschließen, einsam seine Reise fortzusetzen. Er ließ sich den nächsten Weg, der auf die holländische Heerstraße führte, beschreiben, nahm sein Bündelchen und ging fort.
Unterwegens gesellte sich ein Mann zu ihm, mit dem er bald eine Unterredung anfing und dem er den ihn betroffenen Unfall klagte. Der Mann schien großen Anteil an der Sache zu nehmen und erklärte ihm zugleich, wie es damit zugegangen wäre. Er sagte ihm, dies Wirtshaus sei eine Herberge für preußische Werber und die beiden gestrigen Gäste seien dergleichen gewesen; er wisse auch recht wohl, wie es diese Herrn machten. Sehr wahrscheinlich hätten sie ihm und seinem Freunde einen Schlaftrunk in den Wein geschüttet, dann in der Nacht den jungen Menschen von der Streue aufgenommen, auf einen Wagen gelegt und wären mit ihm nach Magdeburg gefahren. Dies war auch in der Tat also geschehen, und was meinen Vetter von einem gleichen Schicksale gerettet hatte, war der Umstand gewesen, daß er nicht sehr ansehnlich von Figur ist, dahingegen der andre ein schlanker, hübscher Pursche war. Der ehrliche Mann beschloß seine Rede mit der ziemlich bekannten Anmerkung, daß es allerorten böse Leute gebe und daß ein junger Mensch sich auf Reisen sehr in acht nehmen müßte.
Schon am folgenden Morgen hatte Joseph Gelegenheit, die Wahrheit und Wichtigkeit dieser Bemerkung zu fühlen; denn nachdem er mit seinem neuen Bekannten in einem kleinen Städtchen übernachtet hatte und nun weiter seiner Straße ziehen wollte, fand sich's, daß der Fremde vorausgegangen war und, teils um ihn von der Last zu befreien, gar zu schwer tragen zu müssen, teils um seine Lehre von der Vorsichtigkeit auf Reisen ihm anschaulicher zu machen, sein Bündel mitgenommen hatte.
Das war denn ein harter Schlag für meinen armen Herrn Vetter; denn das Päcklein enthielt seine besten Sachen an Wäsche, silbernen Schnallen und dergleichen, und nun hatte er, außer der Kleidung, die er auf dem Leibe trug, und einem halben Taler barer Münze, nichts im Vermögen, das ihm hätte die Mittel verschaffen können, Holland zu erreichen. Er schritt also, traurig und unentschlossen, was er anfangen wollte, weiter. Indessen machte er es hier wie die mehrsten Menschen; denn er nahm sich jetzt, da es zu spät war und er nichts mehr zu verlieren hatte, vor, künftig behutsamer zu sein.
Der halbe Taler, der Josephs ganzen Reichtum ausmachte, war nun auch bald ausgegeben, und so blieb ihm denn, nach einigem Kampfe zwischen seinem hungrigen Magen und dem Ehrgeize, nichts übrig, als mitleidige Menschen um einen Zehrpfennig anzusprechen. In dieser Lage wünschte er wohl freilich zuweilen, daß irgendeine reiche Madam Potiphar ihn in Versuchung führen möchte; allein so gut wurde es ihm nicht; doch bettelte er sich, mit ziemlichem Anstande und Erfolge, noch einige Tage lang weiter.
Ich habe vorhin gesagt, daß der jetzige Herr Notarius Wurmbrand, von dem hier die Rede ist, keine vorzüglich schöne Leibesgestalt besäße. Hierdurch habe ich aber keineswegs eine nachteilige Schilderung von meinem Herrn Vetter entwerfen wollen. – Im Gegenteil! er hat gewiß keine ganz gemeine Notariatsphysiognomie, und was ich jetzt erzählen will, wird dies beweisen. Als er nämlich auf dieser Wanderschaft einen westfälischen Edelmann um eine kleine Gabe ansprach, gefiel diesem Herrn seine Gesichtsbildung so vorzüglich, daß er ihm den Antrag tat, ihn als Lakaien zu sich zu nehmen. Des armen Josephs Erwartungen von seinem künftigen Schicksale waren nun schon durch die ersten Widerwärtigkeiten ziemlich herabgespannt, und so besann er sich denn nicht lange, ob er ein so gütiges Anerbieten annehmen sollte oder nicht.
Unter den westfälischen Edelleuten, sowie überhaupt unter der deutschen auf ihren Gütern wohnenden Noblesse, gibt es, wie bekannt, ungemein viel feine, gebildete und gelehrte Männer. Sie nützen die glückliche Muße des Landlebens zu Ausbildung ihres Geistes, und da sie sehr wohl fühlen, daß ein bloßer Stammbaum noch nicht beweiset, daß der Abkömmling von sechzehn adelig gebornen Personen ein edler Mann und kein Tölpel sei, so suchen sie sich wirkliche Vorzüge des Geistes und Herzens zu erwerben und, durch Beförderung einer weisen Aufklärung und durch väterliche Sorgfalt für die ärmern Landleute, ihren Mitmenschen wahrhaftig nützlich zu werden. Ja, in der Tat, so sind die deutschen Edelleute, und ich kann es nicht begreifen, wie manche Menschen das Gegenteil behaupten können. – Ein solcher Mann war denn auch der Kavalier, der meinen Herrn Vetter zu sich nahm. Er besaß eine große Büchersammlung, in vergoldetes Leder gebunden und mit seinem Wappen geziert, und da er fand, daß Joseph nicht ohne Kenntnisse und nicht ohne gute Anlagen zu weitrer Ausbildung derselben war, so verstattete er ihm den freien Gebrauch dieser Bibliothek, ließ ihn auch nicht lange die Livree tragen, sondern nützte ihn, als eine Art von Schreiber, zu Führung seines Briefwechsels und zu andern Geschäften.
Hier lebte Herr Wurmbrand zwei Jahre lang, fand Gelegenheit, bei dem Prediger des Orts Unterricht in einigen Sprachen und Wissenschaften zu erlangen, befestigte sich aber, besonders durch Lesung vieler Reisebeschreibungen, immer mehr in dem Vorsatze, ferne Länder und Völker kennenzulernen.
Einstens erhielt der Edelmann Besuch von einem Professor aus Frankfurt an der Oder, der sehr stark in orientalischen Sprachen war. Dieser lernte meinen Vetter kennen, gewann ihn lieb und tat dem gnädigen Herrn den Vorschlag, er möchte ihm den jungen Menschen überlassen, indem er für seine weitern Studien und für sein Fortkommen zu sorgen versprach. Der Herr Professor hatte großen Einfluß an Höfen, den er auf edlere Art nützte als wohl mancher andrer Professor der Philologie, den ich kenne. Der Edelmann willigte ein, und Joseph reisete mit dem Professor nach Frankfurt.
Drei Jahre brachte Herr Wurmbrand bei diesem Gelehrten hin, war sein Amanuensis, schrieb das, was dieser drucken ließ, ins reine, übernahm die Korrekturen, gab sich ein wenig mit Rezensieren ab, studierte aber und las dabei fleißig, was nicht jeder Rezensent tut, hörte indessen nicht auf, seinen Wohltäter zu bitten, er möchte ihn doch irgendeinem vornehmen Herrn, der eine weite Reise vorhätte, als Gesellschafter empfehlen, wozu man, wie billig ist, gern Leute wählt, die sich auf orientalische Sprachen gelegt haben.
So standen die Sachen, als ein pommerscher Edelmann, welcher Deutscher Ordensritter war, sich eine Zeitlang in der dortigen Gegend aufhielt und sich an verschiedne Personen mit dem Anliegen wendete, sie möchten ihm doch einen geschickten Sekretär verschaffen; da dann mein Vetter, durch Vorsprache seines Beschützers, diese Stelle erhielt.
Den in diesen Dingen etwa unwissenden Lesern dient zur Nachricht, daß der Deutsche Orden ein für die Menschheit sehr nützliches Institut ist. Der Hauptgegenstand der Bemühungen desselben bleibt, seitdem seine Bestimmung am Heiligen Grabe wegfällt, die Ausrottung der Erbfeinde der Christenheit, der vermaledeieten Türken. Es wäre wohl zu wünschen, daß andre, der Welt ebenso nützliche Unternehmungen, zum Beispiel: die Erziehung der Jugend, die Beförderung der Wissenschaften, die Aufmunterung unterdrückter Talente, die Minderung der Not und Armut, der Sturz des Fürstendespotismus und der Ungerechtigkeit, die Beschützung der unterdrückten Hülflosen, die Ermunterung des echten Verdienstes und dergleichen, den Hauptzweck ebenso reicher und mächtiger Gesellschaften ausmachen möchten – doch vielleicht erleben wir auch das noch. Obgleich nun der Deutsche Orden mit der menschenfreundlichen Absicht, die Ungläubigen zu vertilgen, in den letztern fünfhundert Jahren nicht sehr weit fortgerückt ist, so muß doch jeder Ritter drei Feldzüge gegen die Türken tun, das heißt, er muß drei verschiedne Kampagnen hindurch bei irgendeiner Armee, die gegen den Erbfeind in Bewegung ist, sich aufhalten und sich's im Hauptquartiere wohl sein lassen. Der Orden hat auch Priester, die aber den Türken keinen Abbruch tun und, nach Priesterweise, statt gegen sie zu fechten, sie nur anathematisieren. Um Deutscher Ritter zu werden und Anspruch auf reiche Kommentureien machen zu dürfen, muß man das Gelübde der Armut und auch die des Gehorsams und der Keuschheit, welche auf ebensolche Weise in Erfüllung gebracht werden, eidlich ablegen.
Ein strenger Beweis von sechzehn echten Ahnen beurkundet die Würdigkeit, in den Orden aufgenommen zu werden, welches mit kirchlichen Zeremonien geschieht, die, besonders einem Protestanten, gar sonderbar mitzumachen vorkommen müßten, wenn die Menschen nicht einmal daran gewöhnt wären, Spielereien Feierlichkeiten zu nennen und das Alte ehrwürdig zu finden, wenn auch gar kein Sinn darin liegt.
Der Ritter, welcher den Herrn Wurmbrand zu sich nahm, war in der Jugend ein wenig zu kavaliersmäßig erzogen worden; man hatte vergessen, ihn das Schreiben und Lesen gehörig zu lehren, und mein Herr Vetter war ihm also ein sehr nützlicher Mann zu Führung seines Briefwechsels. Da sich sonst keine Gelegenheit fand, wider die Türken zu Felde zu ziehen, so beschloß er, nach Malta zu reisen und mit den Galeeren, die jahraus, jahrein von dort aus auf die Kinder Muhameds Jagd machen, gegen die Ungläubigen zu kreuzen.
Gleich bei der ersten Expedition dieser Art, wenig Wochen nach ihrer Ankunft auf der Insel (mein Vetter wich seinem Herrn nicht von der Seite), hatten sie das Unglück, einem barbarischen Seeräuber in die Hände zu fallen, der sich, ohne großen Widerstand, ihres Fahrzeugs bemächtigte und die ganze Equipage zu Gefangnen machte. Der Ritter schaffte in wenig Monaten ein ansehnliches Lösegeld herbei und wollte auch seinen Sekretär loskaufen, allein der Korsar hatte den Herrn Wurmbrand so liebgewonnen, daß er ihn durchaus nicht wollte fahrenlassen. Hierzu trug nicht wenig meines Herrn Vetters Kenntnis der orientalischen Sprachen bei. Der Seeräuber war übrigens ein Mann von Kopf und von menschenfreundlichem Herzen. Er hielt und behandelte seinen Sklaven so wohl, daß dieser oft in Versuchung geriet zu glauben, man könne in der türkischen Gefangenschaft fast ebensoviel Freiheitsgefühl schmecken als in den Diensten manches alten Edelmanns in Deutschland. Ali Muski (so hieß der Korsar) war ein deutscher Renegat, der, nachdem er in Europa lange genug von kleinen und großen Despoten, Schelmen und Pinseln war herumgehudelt worden, sein Glück zur See versucht hatte. Sein Schicksal hatte ihn nach Tripoli geführt; er war einem billigdenkenden Manne in die Hände gefallen, hatte den Vorteil gehabt, diesem einst das Leben zu retten; wurde aus Erkenntlichkeit in Freiheit gesetzt; hielt es für vernünftig, den Gottesdienst des Landes anzunehmen, und bekam von seinem ehemaligen Herrn einen Vorschuß, womit er anfing Handel zu treiben und Fahrzeuge auszurüsten. Die Vorsehung begünstigte sein Unternehmen; er wurde reich; eigne Erfahrungen hatten ihn Mitleiden mit fremdem Kummer gelehrt; er behandelte seine Sklaven mit Milde und Schonung, hatte Sinn für fremden Wert und Dankbarkeit für erwiesene Dienste.
Ali Muski hatte ein wichtiges Geschäft in Kairo zu besorgen; dies trug er meinem Vetter auf, der es zu seiner Zufriedenheit ausrichtete und zum Preise seiner Bemühung die Freiheit erhielt.
Nun erwachte in Josephs Kopfe der Gedanke, in diesen Weltgegenden die Rolle zu spielen, von welcher er in seinen Kinderjahren so schön geträumt hatte. Er fand, daß unter den Menschen, welche wir Räuber und Barbaren nennen, wohl ebensoviel Treue und Glauben herrschen als in unsern sogenannten verfeinerten bürgerlichen Verbindungen; er beschloß also, in Afrika zu bleiben, wo man ihn wenigstens nicht zwang, Candidatus Theologiae zu werden. Er kleidete sich nach Landessitte, und was die Religion betraf, so war der Renegat billig genug, von ihm nicht zu fordern, daß er seinem Beispiele folgen sollte. Ali Muski versicherte ihn, daß, wenn er sich nur enthielte, gegen die herrschenden Meinungen und Gebräuche zu eifern, so könnte er ungestört bei seinem Luthertume bleiben.
Jetzt kam es nur darauf an, einen Plan für die Zukunft zu entwerfen. Handel zu treiben, wozu ihm Ali Muski gern Geld vorgestreckt haben würde, war seine Sache nicht; und der Gedanke, in einem von den unzähligen großen afrikanischen Reichen eine wichtige Rolle zu spielen, blieb immer herrschend bei ihm, zu welchem Endzwecke er denn die koptische Sprache und die von Tigre oder Geez und die amharische fleißig studierte. – Im Arabischen war er schon geschickt.
Indessen fügte es sich, daß er bald noch eine Reise nach Kairo, in Geschäften seines ehemaligen Gebieters, zu machen hatte. Er traf dort einige Abyssinier an, die ihm so viel Gutes von ihrem Vaterlande sagten, daß er, nachdem er vorher in Tripoli Ali Muski Rechenschaft von seinen Verhandlungen gegeben hatte, sich entschloß, nach Gondar zu gehen und dort sein Glück zu versuchen. Da er, der Kleidung und Sprache nach, völlig wie ein Muselman aussah, so hatte er auf der Reise nichts zu fürchten; allein sein Wohltäter erwies ihm noch die Großmut, dafür zu sorgen, daß es ihm nicht an Gelde oder vielmehr an wollnem Zeuge fehlte, welches in Abyssinien statt der Silbermünze gebraucht wird, und daß der Bassa von Ägypten ihm eine Bedeckung von Sklaven und so dringende Empfehlungsschreiben an die Nayben oder Statthalter an der Grenze mitgab, daß mein Herr Vetter in der Tat in jenen unbekannten Ländern allerorten so freundlich aufgenommen und bewirtet wurde als ein junger Gelehrter in Deutschland, der, um die schönen Franzbände der öffentlichen Bibliotheken und die Studierzimmer der Bücherschreiber zu beäugeln, versehen mit einem Firman oder mit einem Hirtenbriefe von irgendeinem Stimmführer in der Literatur, seine Wanderschaft mit dem Postwagen von Zürch bis Kiel oder von Wien bis Bonn antritt.
Da indessen die Türken vom festen Lande Abyssiniens vertrieben sind, so war es nötig, gleich bei seiner Ankunft in Adova, der Hauptstadt von Tigre, für einen koptischen Christen zu gelten. Übrigens versah er sich mit einigen einfachen Arzeneimitteln und gab sich für einen Medikus aus, welches, so unwissend er auch in dieser Wissenschaft war, in den dortigen Gegenden, wo die Heilkunde eben keine große Fortschritte gemacht hatte, durch Hülfe der den europäischen Scharlatanen abgelernten Windbeuteleien sehr leicht auszuführen war.
Auf diese Weise kam er glücklich nach Gondar, der Residenz des Königs von Abyssinien, wurde dem Monarchen vorgestellt, hatte das Glück, demselben einige Würmer abzutreiben und ihn, durch Gebrauch einer Merkurialsalbe, von dem Aussatze zu befreien – zwei der gewöhnlichsten Krankheiten in diesen afrikanischen Ländern, die aber unter unsern europäischen Fürsten noch nicht eingeführt sind –, und kam durch diese Kur zu hohen Ehren.
In seinem Glücke nun erinnerte er sich seiner Verwandten in Deutschland, und ich bekam im Jahre 1766 einen Brief von ihm, wovon ich im folgenden Kapitel Rechenschaft geben werde.
Der Verfasser erlebt unangenehme Schicksale in Goslar und reiset zu seinem Herrn Vetter nach Abyssinien
Ich habe vorhin erzählt, daß ich nebst meiner Mutter eine kleine Wohnung in Goslar bezog, um dort mit ihr, so gut es gehen wollte, zu leben; allein neue Widerwärtigkeiten trafen mich ohne Unterlaß. Im ersten Jahre wollte es mit meiner Praxis gar nicht fort. Bei den kleinen Zwistigkeiten unter den Bürgern, Bauern und Bergleuten war wenig Geld zu verdienen; ich verstand die eigentliche Advokatenkunst nicht, klare Sachen dunkel zu machen, friedliebende Leute vom Vergleiche abzuhalten, wenig Sachen mit viel Worten zu sagen und dann meine Schriften nicht nach der Wichtigkeit der Arbeit, sondern nach der Anzahl der unnütz vollgeschriebnen Bogen mir bezahlen zu lassen; ich nahm von armen Leuten kein Geld, und reichre wendeten sich nicht an mich, sondern an irgendeinen alten Advokaten, der schon, durch vieljährigen Besitz, sich das Recht erworben hatte, ein Organ der Schikane zu sein und dasjenige in seinen Beutel zu spielen, worüber sich zwei andre Leute zankten. Zu Anfange des andern Jahrs geriet endlich ein etwas wichtigrer Prozeß in meine Hände, allein ich mußte in dieser Sache nach Wetzlar appellieren – das hieß denn, in gewissem Sinne, für die Ewigkeit arbeiten, brachte aber kein Geld ein. Der Reichskammergerichtsassessor, in dessen Hände die Akten fielen, legte sie zu den übrigen hundertundfunfzig Prozessen, aus denen er Relationen schuldig war; und jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, da ich dieses schreibe, werden sie noch wohl an demselben Platze liegen, wenn die Parteien nicht etwa Mittel gefunden haben, durch Sollizitieren einige Beschleunigung auf Unkosten andrer, vielleicht noch ängstlicher nach Recht und Gerechtigkeit Seufzenden, zu bewirken.
Es ging also sehr schlecht mit meiner Einnahme, und die Ausgaben hingegen vermehrten sich, da meine Mutter erkrankte und nach dreimonatlichem Leiden starb. Ich mußte unser kleines Kapitälchen angreifen und war in der Tat in der traurigsten Lage, als ich von meinem Herrn Vetter den obenerwähnten Brief erhielt, dessen Inhalt ungefähr folgender war: Er sei, nach mancherlei erlebten Schicksalen, nach Abyssinien geraten und habe jetzt die Ehre, daselbst erster Staatsminister des Königs oder großen Negus zu sein, den wir irrigerweise den Priester Johannes nennten. Dieser Monarch nun beglücke ihn mit seiner vorzüglichen Gunst, habe auf seinen Rat verschiedne gute Einrichtungen, nach dem Muster der europäischen Staaten, in seinem weitläuftigen Reiche gemacht und wünsche, noch mehr Europäer dahin zu ziehen, auch Bücher, Maschinen und andre Dinge, wovon das Verzeichnis hiebei erfolge, aus unserm Vaterlande zu erhalten. Er, der Herr Minister, habe diese Gelegenheit, mich glücklich zu machen, nicht entwischen lassen wollen, da ich von den Personen seiner Familie der einzige Mann sei, von dem er glaubte, er könne ihn in seinem großen Vorhaben unterstützen. – Mein Herr Vetter bat mich daher, mich auf die Reise nach Afrika zu machen, schrieb mir den Weg vor, den ich nehmen sollte, schickte mir die nötigen Adressen, für die verschiednen Handlungsplätze nebst den Anweisungen, wo ich das Geld zur Reise und zu Anschaffung der Bücher und andern Sachen, die ich mitbringen sollte, heben könnte, versicherte mich der besten Aufnahme, seiner hohen Protektion und versprach mir ein glänzendes Glück, das meine Erwartungen weit übertreffen würde. Übrigens kam mir die Auswahl der Bücher, welche ich anschaffen sollte, sonderbar genug vor; ich werde in der Folge wohl noch etwas darüber zu sagen haben, wenn ich von dem Grade der Aufklärung rede, zu welchem ich den Hof des großen Negus durch meines Herrn Vetters Bemühungen erhoben fand.
Der Vorschlag, den mir Joseph Wurmbrand tat, hatte in meinen dürftigen Umständen viel Anlockendes. Ich bekenne zwar, daß es meinen Stolz ein wenig empörte, die bessern Aussichten, welche mir derselbe eröffnete, weniger meinen eignen Verdiensten als der Vetterschaft des Herrn Ministers zu danken zu haben. Der Nepotismus war mir stets ein Greuel gewesen; allein die Not wurde bei mir dringender. Die Begierde, fremde Länder zu sehen, war denn auch noch immer bei mir sehr lebhaft geblieben, und obgleich mein Vetter ein wenig aus einem hochtrabenden Tone von der Wohltat sprach, die er mir zu erweisen dachte, so war es doch auch sehr bemerklich, daß er meiner zu Ausführung seiner dortigen Plane bedurfte, und es blieb mir ja noch die Erwartung übrig, daß ich selbst mich vielleicht bei dem Könige durch eigne Geschicklichkeit in Gunst setzen könnte, besonders im juristischen Fache, wenn es mit der Aufklärung in Abyssinien schon so weit sollte gekommen sein, daß man dort Prozesse führte.
Ich erschien nun in meiner besten Kleidung, die, im Vorbeigehen zu sagen, in einem leberfarbenen Rocke mit gelben Knöpfen und einer blauen Weste mit Silber bestand, vor dem Magistrate in Goslar und hielt eine lange Rede, in welcher ich feierlich meinem Bürgerrechte entsagte und den hochweisen Herrn anzeigte, daß ich meine Vaterstadt auf immer verlassen würde. Der hohe Magistrat schien dies als eine sehr unwichtige Sache anzusehen, und einige von den Gliedern desselben verwiesen es mir, daß ich mit dieser feierlichen Anzeige einer so unbedeutenden Begebenheit ihre Aufmerksamkeit gespannt und sie von der Mittagstafel abgehalten hätte. »Und wo geht denn die Reise hin?« fragte der regierende Bürgermeister. Da erzählte ich denn, daß ich von dem Könige in Abyssinien, durch seinen Minister, der mein Herr Vetter wäre, sei eingeladen worden, dorthin zu ziehen und ein wenig an dem Aufklärungswesen mitzuarbeiten. Weil nun die Herren vom Magistrate nicht sehr erfahren in der Geographie waren und in den Zeitungen nie etwas von einem solchen Könige gelesen hatten, so hielten sie meine Erzählung für eine Fabel, glaubten, ich wollte sie zum besten haben oder sei närrisch geworden, und gaben mir deswegen die ernstliche Weisung, sie mit meinen Torheiten zu verschonen. Allein nach einem paar Tagen erschienen in Goslar zwei ägyptische Kaufleute, welche meinem Herrn Vetter versprochen hatten, mich abzuholen. Sie waren von einigen teils schwarzen, teils braungelben Sklaven begleitet und erregten unter dem Pöbel gewaltigen Auflauf.
Nun sahen die Herren vom Rate wohl, daß es mit der Einladung nach Abyssinien seine gute Richtigkeit hatte, und dies versetzte das ganze Publikum in Goslar in eine sehr verschiedne Stimmung. Einige, die bisher den armen Advokaten Noldmann nicht der geringsten Aufmerksamkeit gewürdigt hatten und die zu der Klasse von Menschen gehörten, welche jedes fremde Glück beneiden, sie mögen selbst darauf Anspruch machen wollen oder nicht, erlaubten sich hämische und spöttische Bemerkungen über diesen Vorfall, bemüheten sich, mich auf alle Weise zu verkleinern und mein Vorhaben lächerlich zu machen. Andre, aus denen das Häuflein der in allen großen und kleinen Staaten zu findenden Unzufriednen bestand, denen die Regierung nichts recht machen kann, suchten, sowenig sie auch von mir und meinen Verdiensten wußten, diese Gelegenheit zu nützen, um laut darüber zu schreien, daß der Magistrat, welcher es, wie sie sagten, zur Schande der Republik Goslar, immer also mache, hier nun wiederum einen geschickten und fähigen Mann, den ein großer König mit offnen Armen aufnehme, aus dem Lande gehen ließe. Die Andächtigen und Schwachen an Geist, von der Geistlichkeit gestimmt, verfehlten nicht, bei dieser Veranlassung ihren Eifer für die Religion zu zeigen, indem sie riefen, es sei ein Greuel, daß ein christlich geborner Einwohner in Goslar sein Vaterland und die Gemeine verließe, um bei verdammten Heiden, Türken und Mohren zu leben und sein Seelenheil zu verscherzen. Der größte Teil des Magistrats aber wollte gern die Ehre, welche mir widerfuhr, auf die Stadt lenken. Man beschloß, mir aufzutragen, dem Könige von Abyssinien, im Namen der Reichsstadt, zu danken für die Ehre, welche er einem ihrer Bürger erwiese, Seine Majestät um ferneres gutes Vernehmen mit der Republik Goslar und, bei etwa entstehendem Kriege, um Schutz und Beistand zu bitten. Ich hatte Mühe zu verhindern, daß man mir nicht, zum Geschenke für den König, einige Krüge des besten Goslarschen Bieres mitgab; und acht Tage nachher las man in der Braunschweigschen Zeitung einen Artikel des Inhalts: Es habe Seine Majestät der König von Abyssinien die Freie Reichsstadt Goslar durch eine eigne Deputation ersuchen lassen, ihm aus ihren Mitteln einen geschickten Rechtsgelehrten zu senden, der das dortige Justizwesen auf einen soliden Fuß bringen sollte, und habe der hochweise Magistrat, um diesem königlichen Verlangen ein Gnüge zu leisten, den Advokaten Herrn Benjamin Noldmann dahin abgehen lassen.
Ich machte mich indessen mit meinen Reisegefährten auf den Weg und will nun über den Verfolg meiner Begebenheiten in den nachstehenden Kapiteln Bericht erstatten.
Benjamin Noldmanns Abreise von Goslar am Harz, um nach Gondar in Abyssinien zu gehen, nebst den Nachrichten von seiner Audienz bei dem Kaiser von Marokko
Auf meiner Reise zu Lande bis Stade begegnete mir nichts Merkwürdiges, als daß in den Städten und Dörfern zwischen Goslar und jener Stadt Kinder und erwachsene Leute hinter uns herliefen, weil die schwarzen und braunen Gesichter meiner Begleiter ihnen sehr auffallend waren. Von da mußten wir zu Wasser nach Plymouth gehen, weil ich dort verschiedne englische Ware einzukaufen hatte. Dort wurden wir bald nachher wieder eingeschifft und erreichten, ohne widrige Vorfälle, die Kanarischen Inseln.
Mein Herr Vetter war so sorgsam gewesen, mir einen geschickten Sprachmeister zu senden, und ich wendete die ganze Zeit, die wir auf der Nordsee, auf dem Atlantischen und nachher auf dem Mittelländischen Meere zubringen mußten, dazu an, mir die gehörigen Kenntnisse zu erwerben, um wenigstens nicht ganz unwissend in den Sprachen der Länder zu sein, in denen ich nun künftig leben sollte.
In Madeira fand ich das Schiff, welches mich nach Marokko führen sollte. Daß wir dazu mit den nötigen Pässen versehen waren, versteht sich von selber; ich hatte aber einen wirklichen Auftrag an dem marokkanischen Hofe von dem Könige in Abyssinien auszurichten. Mein Herr Vetter wollte, daß ich hier die erste Probe ablegen sollte, ob ich zum Staatsmanne taugte, und der Zweck meiner Gesandtschaft war, Seiner Kaiserlichen Majestät ein Bündnis anzubieten und zugleich mit dem braunen Monarchen einen Handlungstraktat zu schließen.
In dem Schiffe fand ich eine vollständige afrikanische Garderobe für mich, und sobald wir die Kanarischen Inseln aus den Augen verloren hatten, vertauschte ich meinen braunen Rock und die blaue Weste mit einer prächtigen abyssinischen Kleidung. Mein Herr Vetter hatte von mir verlangt, daß ich meiner Bierbrauers-Genealogie nicht Erwähnung tun, sondern mich für einen deutschen Kavalier von altem Adel ausgeben sollte. Es tat mir weh, daß ich mir eine solche Lüge erlauben mußte, und ich seufzte darüber, daß auch in Abyssinien die Abstammung eines Menschen, die doch weder persönlichen Wert gibt noch persönliche Unvollkommenheiten tilgt, für etwas Wesentliches gelten sollte; weil es nun aber einmal erfordert wurde und ich so wohlfeil dazu kommen konnte, ohne die gewöhnlichen Gebühren zu bezahlen, so reisete ich als ein Edelmann von Madeira ab.
Unter den Büchern, deren ich im vorigen Kapitel Erwähnung getan habe und die ich mit nach Gondar bringen sollte, hatte mir der Minister von Wurmbrand auch den Titel des sehr interessanten großen Werks aufgeschrieben, welches der Freiherr von Moser in Quarto herausgegeben hat und das die Beantwortung der wichtigen Frage enthält, ob die Gesandten vom zweiten Range den Titel Exzellenz fordern dürfen oder nicht. Dies schätzbare Buch war, so wie noch ähnliche andre, welche Gegenstände des Staatsrechts abhandeln, die einen beträchtlichen Einfluß auf die Wohlfahrt des Heiligen Römischen Reichs haben, eigentlich zu meinem Gebrauche mitgenommen worden, indem ich daraus den nötigen Unterricht erhalten sollte, wie ich es anzufangen hätte, meiner eignen und des allergnädigsten Königs Ehre an dem marokkanischen Hofe nichts zu vergeben. Sobald ich daher im Hafen Mazagan angekommen war, schickte ich meinen Dolmetscher voraus nach Marokko, um vorläufig jeden kleinen Punkt des Zeremoniells bei meiner feierlichen Audienz ins reine bringen zu lassen. Nun gingen fast täglich Kuriere hin und her zwischen Mazagan und Marokko; die dortigen Zeitungsschreiber urteilten, es müßten am Hofe äußerst wichtige Dinge verhandelt werden, um so mehr, da binnen den sechs Wochen, die ich im Hafen zubrachte, um über jene Punkte bestimmte Erklärung zu erhalten, alle, auch die wichtigsten einländischen Geschäfte im marokkanischen Ministerio liegenblieben. Anfangs begnügten sich die öffentlichen Blätter, nur oft wiederholt zu erzählen, es sei schon wieder ein Kurier durchpassiert, von dessen Ausrichtung – man nichts wisse. Als aber dem Publiko die Zeit zu lange dauerte und ich die strengste Verschwiegenheit beobachtete, erfanden die Zeitungsschreiber allerlei zuverlässige Nachrichten von bevorstehenden Kriegen und Ländertausch, bis endlich die ganze Sache klar wurde. Man erlaubte sich nämlich am Hofe des Kaisers von Marokko die unerhörte Anmaßung, zu fordern, der abyssinische Gesandte sollte in des Kaisers Gegenwart durchaus sich nicht unterstehen zu niesen. Nun hatte ich aber nicht nur, durch Verkältung auf der Reise, einen ungeheuern Schnupfen bekommen, sondern es stand auch bestimmt in meiner Instruktion, daß ich auf diesem höchst wichtigen Punkt, weswegen schon einmal ein zehnjähriger Krieg war geführt worden, mit aller Beharrlichkeit bestehen sollte. Es glückte mir endlich, durch ernstliche Bedrohung, daß man wieder zu den Waffen greifen würde, nicht nur die Freiheit zu erlangen, bei Hofe ungehindert zu niesen, sondern auch, daß man mich von dem ärgerlichen Zeremoniell befreiete, während der Audienz eine Pomeranze im Munde zu führen. Da indessen mein Katarrh vorübergegangen war und ich mich doch in den Besitz des Rechts zu niesen setzen wollte, so versah ich mich mit dem grünen Schneeberger Schnupftobake, der auch solche Wirkung hervorbrachte, daß darüber ein großer Teil der schönen Reden verlorenging, die bei dieser Gelegenheit gehalten und verdolmetscht wurden.
Ich verschone die Leser mit Beschreibung meines feierlichen Einzugs und schweige über den übrigens sehr glücklichen Erfolg meiner Verhandlungen am marokkanischen Hofe, als welche, wie billig, ein Geheimnis bleiben müssen; dagegen aber will ich einiges von der Person des Kaisers, von dem Lande selber und von einem sehr interessanten Gespräche, das ich mit Seiner Majestät führte, hier erzählen.
Der damalige Kaiser von Marokko war ein stattlicher, korpulenter Herr, der einen vortrefflichen Appetit bei Tafel hatte und die Frauenzimmer ungemein liebte. Die Zeit, welche er diesen beiden Gegenständen widmete, erlaubte ihm nicht, sich sehr viel um Regierungsgeschäfte zu bekümmern. Diese waren deswegen gänzlich den Händen seines Premierministers überlassen, der ein Jude und ein wenig schmutzig in seinem Äußerlichen war. Der Kaiser schien, wenn ich die wenigen Stunden zwischen dem Frühstücke und der Mittagsmahlzeit ausnehme, fast immer schläfrig und abgespannt zu sein, und dann begegnete es ihm wohl, Gespräche zu führen, die man bei einem Privatmanne äußerst albern finden würde, welches aber bei einem großen Herrn der Fall nie sein kann. Mitunter kam indessen auch wohl einmal etwas in seinen Reden vor, das nicht ohne Vernunft war, und dann pflegte er dies einigemal zu wiederholen und zu erwarten, daß man ihm darüber eine Schmeichelei sagte. Eines Morgens war ich nebst meinem Dolmetscher und dem Oberzeremonienmeister bei dem Kaiser allein, und da fiel folgendes Gespräch unter uns vor:
KAISER: Das Europa, wo du zu Hause bist, mein lieber Gesandter, mag ein ganz hübsches Ländchen sein; es ist schade, daß es nicht einem einzigen Herrn gehört.
OBERZEREMONIENMEISTER: Und einem so weisen Monarchen, als Euer Majestät sind.
KAISER: Halte jetzt dein Maul! Ich rede mit dem Gesandten. Wenn ich einmal des Nachmittags auf dem Ruhebette liege, so sollst du mir dergleichen vorsprechen. Also, was ich sagen wollte! Fürchten sich eure Könige und Fürsten nicht, daß ich sie einmal absetze?
ICH: Man kennt die edle Denkungsart Euer Majestät, rechnet auf die Verträge und Friedensschlüsse und dann auch ein wenig auf die weite Entfernung.
KAISER: Laß sehen! Was sagtest du? Es war viel auf einmal, aber ich kann es noch alles zusammenbringen. Man rechnet auf die Entfernung? Ja, man kennt mich noch nicht; wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, so muß das gehen, und wenn es auch noch soviel Schwierigkeiten hat. Meine edle Denkungsart? – Nun! das ist etwas. Ja, wenn man mich nicht in Zorn bringt, so geht alles gut. Aber was die Verträge betrifft, Herr Gesandter, so lasse ich mich darauf mit den europäischen Fürsten nicht ein, weil sie unter sich selber auch nicht Wort halten. Wenn meine Schiffe fremden Fahrzeugen begegnen, und sie haben Lust dazu, so nehmen sie sie weg, und damit Punktum!
ICH: Aber, allergnädigster Kaiser, doch nicht, wenn diese fremden Fahrzeuge solchen Mächten gehören, mit denen Euer Majestät Frieden haben?
KAISER: Gesandter! Du hast den Sinn meiner Worte nicht begriffen. Ich schließe mit keinem europäischen Könige Frieden, weil sie ihn doch nicht halten, sobald sie glauben, daß sie ungestraft nehmen können. Plündern sie sich doch selber einer den andern und nehmen sich Länder weg, die ihnen sowenig zugehören als mir deine Nase!
ICH: Euer Majestät halten zu Gnaden! Wenn einer unsrer Könige in die Notwendigkeit versetzt wird, seinem Nachbar den Krieg anzukündigen –
KAISER: Dein Wort in Ehren! aber ich sehe es nicht ein, wie dabei eine Notwendigkeit eintreten kann – doch nur weiter!
ICH: Dann läßt er, durch einen geschickten Rechtsgelehrten, eine Deduktion verfertigen –
KAISER: Was ist das für ein Ding?
ICH: Das ist eine Schrift, darin bewiesen wird, daß dieser König ein Recht auf diese oder jene Provinz habe.
KAISER: Ich möchte, bei meiner Seele! wohl einmal sehen, wie man es anfängt, wenn man beweisen will, daß irgendein Mensch oder irgendein Volk auf irgendein Stück der Welt ein andres Recht habe als das, was ihm die Stärke gibt. Aber laß hören! Wird nun der andre dadurch überzeugt? Und wenn er es nicht wird, wer entscheidet dann? Wer ist Richter?
ICH: Der Gegenteil schreibt gleichfalls eine Deduktion, und dann greifen sie zu den Waffen.
KAISER: Das ist eine dumme Einrichtung. Was kann die unnütze Schmiererei helfen, wenn man sich einmal vorgenommen hat, seinem Kopfe zu folgen? Ist es nicht viel ehrlicher gehandelt, wenn man grade zugreift und hinnimmt, ohne den andern mit Heucheleien zu betriegen? Ist es nicht ehrlicher gehandelt, gar keinen Frieden zu versprechen, wenn man voraus weiß, daß einmal das, was du Notwendigkeit nennst, uns bewegen kann, über den Nachbar herzufallen? Wer hält da mehr Treue und Glauben, ihr oder wir? Aber ohne alle diese unnützen Versicherungen lassen wir unsre Nachbarn in Ruhe, und nur die falschen Europäer glauben wir nicht schonen zu dürfen, weil sie unsrer nicht schonen. Wenn wir uns auf ihre Bündnisse und beschwornen Frieden einließen, so würden sie auch bald gegen uns mit ihren Deduktionen, oder wie die Dinger heißen, angezogen kommen. Jetzt hält die Furcht sie beständig im Zaume, weil sie wissen, daß mit uns nicht zu scherzen ist.
Ich sahe wohl, daß ich den mohrischen Kaiser nicht überzeugen konnte, und schwieg also, da ich ohnehin in Marokko nicht als ein Europäer, sondern als abyssinischer Abgesandter erschien. Übrigens gefiel es mir sehr gut an diesem Hofe, und ich kann nicht sagen, daß ich, während meines zweimonatlichen Aufenthalts, die geringste Ungerechtigkeit ausüben gesehen hätte, sowenig gegen mich als gegen andre. Wenn die Seeräuber die Sache mit dem wahren Namen nennen und kein anders Recht als das des Stärkern respektieren, so erkennen sie doch zugleich die Pflicht des Mächtigern, den Schwächern zu schützen, und da sie wohl einsehen, welche Verwirrung daraus entstehen würde, wenn kein Privatmann sicher sein könnte, die Früchte seines Fleißes einzuernten, so ist das wahre, selbst erworbne Eigentum, ohne geschriebne Gesetze, durch Herkommen heilig und gesichert, außer unter den herumziehenden Horden.
Die Königreiche Fes und Marokko haben einen Überfluß an allem, was zur Annehmlichkeit des Lebens dienen kann; sie bestehen aus den schönsten, reizendsten Gegenden, in einem milden, gemäßigten Himmelsstriche gelegen. Die Einwohner haben Verstand, Witz und Liebe zu den Wissenschaften – mit einem Worte! ich bin überzeugt, daß, wenn unsre europäischen Majestäten hoffen dürften, mit einigem Erfolge die Sache betreiben zu können, man schon längst einem Professor aufgetragen haben würde, in einer gründlichen Deduktion das Recht zu beweisen, sich in Seiner Marokkanischen Majestät Provinzen zu teilen.