Über Eigennutz und Undank - Adolf Freiherr von Knigge - E-Book

Über Eigennutz und Undank E-Book

Adolf Freiherr von Knigge

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Beschreibung

Laut Knigge selbst das "Gegenstück" zu seinem bedeutendsten Werk "Über den Umgang mit Menschen". Knigge war einer der großen Aufklärer, ist aber weitestgehend für seine Benimmregeln bekannt.

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Seitenzahl: 264

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Über Eigennutz und Undank

Ein Gegenstück zu dem Buche: Ueber den Umgang mit Menschen

Adolph Freiherr von Knigge

Inhalt:

Adolf Knigge – Biografie und Bibliografie

Über Eigennutz und Undank

Vorrede.

Erste Haupt-Abtheilung - Ueber den Eigennutz

Erster Abschnitt.

Zweyter Abschnitt.

Zweyte Haupt-Abtheilung - Ueber den Undank

Einleitung.

Über Eigennutz und Undank, A. von Knigge

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849629649

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Adolf Knigge – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 16. Okt. 1752 in Bredenbeck unweit Hannover, gest. 6. Mai 1796 in Bremen, studierte in Göttingen die Rechte, ward 1771 vom Landgrafen von Hessen zum Hofjunker und Assessor der Kriegs- und Domänenkammer in Kassel ernannt, wo er sich aber bald durch amtliche und gesellige Mißhelligkeiten unmöglich machte, und führte dann eine Weile hindurch ein Wanderleben, bis er sich 1777 in Hanau niederließ, wo er, zum weimarischen Kammerherrn ernannt, als gern gesehener Kurzweilmacher viel am dortigen Hofe verkehrte. 1780 siedelte er nach Frankfurt a. M. über, wo er einige Jahre in Zurückgezogenheit lebte, um 1783 in Heidelberg, später in Hannover, 1791 in Bremen seinen Wohnsitz zu nehmen, wo er Landdrost wurde. K. wurde 1780 Mitglied des Ordens der Illuminaten und entfaltete in diesem unter dem Namen Philo eine einschneidende Tätigkeit mit polemischer Spitze gegen Jesuiten und Rosenkreuzer. Wenige Tage nach dem Verbot aller geheimen Gesellschaften in Bayern schied K. durch Vertrag aus dem Orden aus. 1788 erschien in Hannover »Philos endliche Erklärung und Antwort auf verschiedene Anforderungen und Fragen, die an ihn ergangen, seine Verbindung mit dem Orden der Illuminaten betreffend«, und 1793 von gegnerischer Seite »Die neuesten Arbeiten des Spartacus und Philo in dem Illuminatenorden jetzt zum ersten mal gedruckt, und zur Beherzigung bei gegenwärtigen Zeitläuften herausgegeben«. K. war als Romanschreiber, Popularphilosoph, dramatischer Dichter, Publizist, Musiker etc. produktiv. Seine bekannteste Schrift ist die »Über den Umgang mit Menschen« (Hannov. 1788 u. ö.; hrsg. von Berends, Gera 1904; auch in Reclams Universal-Bibliothek), eine einst vielgelesene Sammlung von Lehrsätzen, Lebensregeln und Erfahrungsmaximen, die von großer Weltbeobachtung und Menschenkenntnis zeugt, aber von einer beschränkt-egoistischen Grundansicht ausgeht. Die zahlreichen Romane Knigges (»Der Roman meines Lebens«, 1781–87, 4 Bde.; »Geschichte Peter Clausens«, 1783–85, 3 Bde.; »Geschichte des armen Herrn v. Mildenburg«, 1789–90; »Des seligen Herrn Etatsrats Samuel Konrad v. Schafskopf hinterlassene Papiere«, 1792; »Die Reise nach Braunschweig«, 1792; Neudruck in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, u. a.) sind im ganzen flüchtige Arbeiten und trotz der überall darin prunkenden Stichwörter Humanität und Aufopferung ohne festen sittlichen Kern und Gehalt; am besten hat der Verfasser den niedrig-komischen Ton getroffen. Eine Sammlung von Knigges Schriften erschien in 12 Bänden (Hannov. 1804–06). Vgl. Goedeke, Adolf Freiherr K. (Hannov. 1844); »Aus einer alten Kiste. Originalbriefe, Handschriften und Dokumente aus dem Nachlaß eines bekannten Mannes« (hrsg. von Klencke, Leipz. 1853). Über Knigges Verhältnis zu den Illuminaten vgl. Kluckhohn in den »Vorträgen und Aufsätzen« (Münch. 1894).

Über Eigennutz und Undank

Dem uneigennützigen, Dank verdienenden Menschenfreunde, Herrn Doctor Reimarus, in Hamburg, widmet dieses Buch über Eigennutz und Undank der Verfasser.

Vorrede.

Nicht ohne Mistrauen wage ich die öffentliche Bekanntmachung dieser Schrift, welche die Untersuchung einiger Gegenstände der Sittenlehre zum Zwecke hat. Der größte Theil des heutigen Publicums pflegt keinen Geschmack an ernsthaften Abhandlungen von der Art zu finden, sondern wenigstens zu verlangen, daß die moralischen Lehren in das gefällige Gewand eines Romans gehüllt, oder sonst hinter irgend einer reizenden Bekleidung versteckt, erscheinen sollen. Mehr als Eine Ursache aber hat mich diesmal abgehalten, eine andre Form, als die der ungeschmückten Darstellung, zu wählen. Es ist unmöglich, Leser, die ohne Unterlaß Neuheit in Materie und Einkleidung fordern, zu allen Zeiten zu befriedigen. Nicht jeder Stoff verträgt eine solche Bearbeitung, ohne an seiner Würde zu verliehren und in einem gewissen Alter fehlt auch oft dem Schriftsteller diejenige Geschmeidigkeit und Lebhaftigkeit, die erfordert wird, um sich nach allen Umwandlungen der Mode zu richten und von der Phantasie eine günstige Aufnahme für das, was die Vernunft hergiebt, zu gewinnen. Neue Entdeckungen in dem Gebiethe der Sittenlehre zu machen, ist wohl unsern Zeiten nicht mehr vorbehalten; daß aber manche moralische Vorschriften noch nicht zu oft sind in Erinnerung gebracht worden, beweiset leider! die schlechte Befolgung dieser Vorschriften. Eigennutz und Undank sind Laster, über die man, bey dem mit dem Luxus zugleich einreißenden Sittenverderbnisse, häufig klagen hört. Habe ich diese Gegenstände nicht so behandeln können, daß ich auf den Beyfall aller

Erste Haupt-Abtheilung - Ueber den Eigennutz

Le soin d'avancer, autant qu'il est en notre pouvoir, le bien commun de tout le système des agens raisonnables, sert à procurer, autant qu'il dépend de nous, le bien de chacune de ses parties, dans lequel est renfermée notre propre félicité, puisque chacun de nous est une de ces parties. D'où il s'ensuit, que les actions, contraires à ce désir produisent des effets opposés, et par conséquent entraînent notre misère aussi bien que celle des autrer.

Traité philosophique des loix naturelles, par Cumberland, traduit par Barbeyrac.Amsterd. 1744. Discours prélimin. de l'auteur, §. IX pag. 11.

Erster Abschnitt.

Von den Bewegungsgründen welche den Menschen zu moralischen Handlungen bestimmen und in wie fern dabey die Beförderung seines eigenen Nutzens und seiner Glückseligkeit die Haupt-Triebfeder sey und seyn dürfe.

1.

Ist es wahr, daß die Haupt-Triebfeder aller menschlichen Handlungen der Eigennutz, und daß auch da, wo großmüthige Aufopferungen jenen Vorwurf zu widerlegen scheinen, dennoch die Beförderung des eignen Vergnügens des eignen Genusses, des eignen, wahren oder eingebildeten Glücks, heimlich im Spiele sey? Oder vermag der Mensch in seinem irdischen, sinnlichen Zustande, nach höhern Bewegungsgründen, nach angebohrnen, unwandelbaren Gesetzen zu handeln, die, fern von aller Rücksicht auf seinen individuellen Zustand, nur die Ausübung des reinen Guten, nur die Erfüllung der Pflicht, ohne Absehn auf Erfolg und Nützlichkeit, zum Gegenstande haben? Ist dies allein Tugend zu nennen und darf nur der auf moralische Vollkommenheit Anspruch machen, der nach solchen Motiven handelt, die in allen Lagen, in allen Verhältnissen, was für Folgen auch daraus entspringen mögten, wie allgemeine Gesetze betrachtet werden müssen? Giebt es endlich solche Bewegungsgründe? – das sind Fragen, die seit einiger Zeit wieder so oft unter den Philosophen zur Sprache kommen, daß es wohl der Mühe werth scheint, ohne Systemgeist und ohne Vorurtheil, mit der Fackel der Vernunft, noch einmal diesen Gegenstand zu beleuchten, der vielleicht längst nicht mehr im Dunkeln liegen würde, wenn nicht unglückseliger Weise, durch die mystische Kunstsprache gewisser Gelehrten, die einfachsten, klarsten Wahrheiten, zu deren Ergründung nichts als ein gesunder Hausverstand erfordert wird, so entstellt würden, daß sie einen Anstrich von neuer Weisheit erhalten. Hierdurch gewinnen freylich die Nachahmer dieser Lehrart den Vortheil über ihre Gegner, daß, wenn man die unter einer so barbarischen Firma zugleich mit durchschleichenden Irthümer widerlegt, sie vorgeben und auch würklich glauben können, man habe sie nicht verstanden. Fragt man aber, woher es komme, daß ein so dunkles System so viel Anhänger findet; so ist nicht schwer darauf zu antworten. Alles Neue reizt die Wißbegierde; dem großen Haufen scheint nichts erhabner, als was dunkel ist; eine Menge sonst vernünftiger Menschen schämt sich, zu bekennen, daß sie nicht verstanden habe, was sie mit Aufmerksamkeit gelesen hat; wem es aber gelungen ist, nach fleißigem Studio, den Sinn jener abstracten Abhandlungen in verlohrnen Stunden zu entziffern, der wird nicht das Verdienst dieser Bemühung verliehren und gestehn wollen, daß er nichts Neues daraus gelernt habe. Allein wir, die wir immer der Meinung bleiben werden, daß solche Wahrheiten, die allen und jeden vernünftigen Menschen nöthig und wichtig zu wissen sind, auch so vorgetragen werden können und müssen, daß sie allen und jeden vernünftigen Menschen verständlich werden, wir wollen ihnen in jener Kunst nicht nachahmen, sondern uns bestreben, die Frage: in wie fern die Beförderung eigner Glückseligkeit als ein erlaubter und edler Bewegungsgrund zu moralischen Handlungen angesehn werden könne, so deutlich wie möglich aus einander zu setzen und zu beantworten.

2.

Um zu entwickeln, wie etwa der Mensch, ohne Betrachtung der Würkung seiner Handlungen auf die Verhältnisse, darinn er sich befindet, handeln würde, wird es nicht unnütz seyn, ihn uns ganz ohne jene Verhältnisse, isolirt, zu denken; also nicht den Menschen, der schon mit den Rechten, Vortheilen und Verbindlichkeiten, welche ihm die bürgerliche Gesellschaft gewährt und auflegt, gebohren wird, sondern den einzeln stehenden Natur-Menschen. Und da fragt sich's dann: wie kann und wird dieser die Tugend kennen, lieben und ausüben?

3.

Der Natur-Mensch hat mit den übrigen Thieren das gemein, daß er durch körperliche Anreizung, durch Gefühl, durch Instinct, zu gewissen Handlungen hingezogen wird. Er hat aber das vor andern lebendigen Geschöpfen voraus, daß die Vernunft ihn die Anwendung jenes Gefühls und Instincts zu bestimmten sichern Zwecken lehrt und ihn determinirt, gewisse Handlungen aus gewissen Ursachen zu unternehmen, andre hingegen zu unterlassen.

4.

Sein Gefühl treibt ihn ohne Ordnung und Gesetz, zu Allem, was ihm einen angenehmen Genuß der ihm bekannten Gegenstände in der Welt gewähren und zusichern kann. Höchstens lehrt ihn sein Instinct durch Erfahrung, sich das Uebermaß des Genusses zu versagen, überhaupt dasjenige nicht zu begehren, was ihm einmal unangenehme Empfindungen erweckt hat, und also wieder erwecken kann. Auch zieht ihn sein Instinct unwillkührlich hin, zu andern lebenden und todten Gegenständen um ihn her, jedoch ohne deutliche Unterscheidung der Ursachen dieser Triebe. Seine Vernunft hingegen nützt diese Erfahrungen, ordnet sie und zieht daraus Vorschriften ab, die seinen Willen bestimmen und gewisse Entschlüsse für die Folge in ihm erzeugen.

5.

Diese Entschlüsse nun können sich nicht weiter erstrecken, als auf solche Fälle, über welche er würklich Erfahrungen gemacht hat, und er kann nur Vorsätze fassen, die auf diejenigen Verhältnisse anwendbar sind, welche er kennt. Da ihn nun seine eigne Existenz jeden Augenblick seines Lebens am mehrsten beschäftigt und ihm das Gefühl derselben am lebhaftesten und beständigsten gegenwärtig ist; so wird die erste Sorgfalt seiner Vernunft auf Erhaltung und Vervollkommung seines Daseyns gerichtet seyn und wenn er sich Gesetze und Pflichten vorschreibt; werden diese gewiß das Wohlbehagen seines eignen Ichs zum vornehmsten Augenmerke haben. In dem Maße aber, in dem seine Bedürfnisse, Erfahrungen und Verhältnisse sich vervielfältigen, entstehen bey ihm auch neue Ueberlegungen und Vorsätze, die ihn dann zum Handeln bestimmen, also neue Pflichten, die er sich auflegt. Je näher ihm dann das Interesse an irgend einem Gegenstande liegt, desto wichtiger werden ihm die Motive seyn, die ihn determiniren, in Rücksicht auf diesen Gegenstand so und nicht anders zu handeln. Je weiter entfernt hingegen, desto unwichtiger; Thorheit würde es ihm seyn, sich Pflichten in Verbindung mit Gegenständen aufzulegen, mit welchen er in gar keinen Verhältnissen steht.

6.

Es giebt also nur Ein von der Natur uns eingepflanztes allgemeines Gesetz, nämlich das: der Vernunft zu folgen. Die Anwendung hängt von den Erfahrungen und Verhältnissen ab. Wo diese gänzlich fehlen, da kann keine Idee von Entschlüssen, die darauf Bezug haben, Statt finden. Und so wie andre, neue Erfahrungen und Verhältnisse eintreten, müssen auch die Motive zu den Handlungen sich verändern.

7.

Ohne Zweck handelt die Vernunft nicht, denn dadurch unterscheiden sich ja ihre Antriebe von denen, die der Instinct und das dunkle Gefühl bewürken. Wo also keine Zwecke sich darstellen, da wird die Vernunft nicht zum Handeln bestimmt. Deswegen ist alles, was wir Tugend, Pflicht und Gesetz nennen, nur Resultat der Vernunft, gezogen aus der Ueberlegung des Zwecks und der dadurch herbeyzuführenden Folgen, die diese oder jene Handlung, wie die Erfahrung lehrt, hat und haben wird. Das heißt mit andern Worten: ein vernünftiges Wesen wird nur solche Handlungen mit Ueberlegung begehn, die zu etwas nützen, irgend eine Art von Vortheil bringen. Je näher ihm, seiner Person, seinem eignen Ich, dieser Vortheil, dieser Nutzen liegt, desto einfacher und dringender sind die Bewegungsgründe, denselben zu befördern.

8.

Hieraus folgt also, daß unsre jetzigen Begriffe von Tugend und Pflicht gar keine allgemeine, ewige, unwandelbare Wahrheiten, sondern nach den verschiedenen Erfahrungen und Verhältnissen auch verschieden sind und seyn müssen, ja! daß dieselbe Handlung, unter andern Umständen, gut, gleichgültig oder sträflich seyn, und daß Ein verständiges Wesen von gewissen Pflichten die erhabensten Begriffe haben, indeß das andre sich gar keine Vorstellung davon machen kann und noch ein andres dasselbe, was jenem Pflicht scheint, für ein Verbrechen hält. Um davon ein Paar Beyspiele zu geben; so frage ich: ob wohl ein vernünftiges Geschöpf einen Begriff von der Tugend der Mäßigkeit haben würde, wenn ihn nicht die Erfahrung schon gelehrt hätte, welche nachtheilige Folgen der unmäßige Genuß hat, wie doppelt schmackhaft uns das vorkommt, was wir eine Zeit lang entbehrt haben, und welche Freuden man fühlen kann, wenn man einen Theil seines Genusses aufgiebt, um die Wünsche und Triebe Andrer zu befriedigen? Es würde, behaupte ich, ohne diese Erfahrung gar keinen Begriff von der Tugend der Mäßigkeit haben; ja; die Mäßigkeit würde für ein solches Geschöpf keine Tugend seyn; vielmehr müßte das erste Gesetz in dem Codex seiner Pflichten also lauten: »Es ist der Vernunft und dem Gefühle gemäß, von allem, was man erlangen kann, so viel zu nehmen und zu geniessen, als Appetit und Vermögen verstatten.« Man frage ferner: was für reine Begriffe von der Heiligkeit eines rechtmäßigen Besitzes derjenige Mensch würde haben können, der nichts von Eigenthum wüßte? – Gewiß gar keine! Und so ist es mit allen übrigen Tugenden beschaffen. Und wie viel Fälle giebt es nicht in der bürgerlichen Zusammenlebung, wo das, was unter andern Umständen für die erhabenste Tugend gelten würde, wegen der zu erwartenden schädlichen Folgen würklich unverantwortliches Verbrechen wird!

9.

Um nun noch einmal das Ganze zusammen zu fassen; so giebt es keine reine, angebohrne, allgemeine Begriffe von Tugend und Pflicht; der Mensch, wenn man ihn von allen äußern Verhältnissen frey betrachtet, kennt nur Ein Gesetz, und das ist: die Gefühle und Triebe, welche ihn zum Handeln bewegen, durch die Vernunft zu gewissen Zwecken leiten zu lassen; bey diesen Zwecken nimmt die Vernunft auf die zu erwartenden Folgen Rücksicht, wobey ihm die Erfahrung zur Lehrmeisterinn dient; und da diese Folgen nach der Verschiedenheit der Verhältnisse, darinn er sich befindet, verschieden sind; so können auch seine Bewegungsgründe zum Handeln und die Gesetze, welche er sich dabey vorschreibt, nur nach diesen Verhältnissen beurtheilt werden. Endlich, er handelt also der Vernunft gemäß, zweckmäßig, richtig, gut, tugendhaft und pflichtmäßig, wenn seine Handlungen die Harmonie in diesen Verhältnissen, das heißt, wenn sie seine Glückseligkeit als isolirtes Wesen und als Theil des Ganzen befördern.

10.

Kindisch und von eingeschränkten Begriffen zeugend, ist es daher, wenn man höhern Wesen, und sogar der Gottheit, Tugenden beymißt. Da wir die Verhältnisse der höhern Wesen nicht kennen; so können wir nicht nur nicht wissen, welche Zwecke ihre Vernunft zum Augenmerke haben muß, sondern es ist uns auch gänzlich unbekannt, ob nicht andre Kräfte als die, welche wir Kräfte der Vernunft nennen, die höhern Wesen leiten.

11.

Um nun moralisch gut, tugendhaft und pflichtmäßig, das heißt, um so zu handeln, daß der Mensch seine Glückseligkeit, als isolirtes Wesen und als Theil des Ganzen, befördert, würken folglich drey Triebfedern: erstlich sein Gefühl oder Instinct, wodurch er unwillkührlich zu gewissen Handlungen hingezogen wird; zweytens seine Vernunft, die dies Gefühl auf bestimmte Zwecke leitet und seinen Verhältnissen anpaßt, und drittens die Uebereinkunft mit andern Menschen, die sich gegenseitig Vorschriften und Gesetze auferlegt haben, wozu endlich bey den mehrsten Völkern noch viertens religiöse Motive und Pflichten kommen, die aber so unendlich verschieden sind, wie die Vorstellungen, welche man sich unter den verschiedenen Völkern von der Gottheit und den Verhältnissen der Menschen zu derselben macht. Jede dieser Triebfedern einzeln würde uns oft misleiten, und nur eine wohl geordnete Zusammenwürkung derselben kann die höchste Moralität bewürken. Daß der, welcher bloß seinen Gefühlen folgt, keinen Anspruch auf moralische Vollkommenheit machen könne, bedarf keines Beweises. Wer bloß die Vernunft zu Rathe zieht, wird aber nicht weniger oft unmoralisch und egoistisch handeln; will er dann auch jedesmal die zu erwartenden nahen und fernen Folgen genau calculiren; so wird er oft den günstigen Augenblik zu guten Thaten darüber verstreichen lassen. Sollen dagegen die so genannten reinen Vernunft-Begriffe von dem, was Pflicht und Tugend ist, uns bestimmen; so werden wir nie feste moralische Grundsätze haben, indem die Vorstellungsarten der Menschen sehr verschieden sind und auch die richtigsten Vorstellungsarten nicht auf jede Verhältnisse passen. Wer ferner bloß den Gesetzen der Uebereinkunft folgt, wird in unzählichen Fällen, wo die Ahndung der Gesellschaft ihn nicht erreichen kann, oder nichts darüber vorgeschrieben ist, wie ein Bösewicht oder wie ein Pinsel handeln, oder ganz unthätig bleiben. Endlich wer immer nur auf religiöse Hinsichten fortwürkt, verfällt leicht in Schwärmerey, in speculativen Müßiggang und gar in Fanatismus und Intoleranz.

12.

Wem ist es je mehr darum zu thun gewesen, reine, erhabene Moral zu lehren, als dem großen, göttlichen Stifter unsrer Religion, Jesu von Nazareth? Und welche Bewegungsgründe zur Tugend, welche Stufen in der Pflicht-Erfüllung schreibt er den Menschen vor? Zuerst, weil er überzeugt ist, daß, um den schwachen, sinnlichen Sterblichen zu höherer Würksamkeit und zu Aufopferungen nahe liegender Privat-Vortheile zu bewegen, er eines stärkern Antriebes bedürfe, als den, welcher bloß die Rücksicht auf Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung erzeugen kann, empfiehlt er Liebe Gottes über alles. Wir sollen vor allen andern die Gefühle der Liebe und Dankbarkeit gegen das höchste Wesen, gegen unsern ersten und vornehmsten Wohlthäter, in unsern Herzen herrschen lassen, um ermuntert zu werden zur Nachstrebung höherer Vollkommenheit und um nicht zu vergessen, daß wir Theile des großen Ganzen sind, dessen Harmonie auch durch unsre tugendhaften Handlungen befördert wird. Dann folgt Liebe des Nächsten, Eifer für das Wohl der geselligen Bande. Und wie sollen wir unsern Nächsten, unsern Mitmenschen lieben? Wie uns selbst! das heißt: unser Betragen in Rücksicht Andrer wird gewiß tadellos seyn, wenn wir ihr Interesse uns so theuer seyn lassen, wie unser eignes. Denn was kann dem Menschen näher liegen, als sein eignes Wohlseyn, seine Erhaltung, sein eignes Ich, an das ihn jeder Othemzug erinnert? Die Beförderung dieser eignen Glückseligkeit schreibt Jesus dann auch als das kräftigste Motiv zu Erfüllung der Pflichten gegen Andre vor: »Handelt« sagt er »so gegen sie, wie Ihr wünscht, daß sie gegen Euch handeln sollen!«

13.

Der Bewegungsgrund gut zu handeln, um dadurch unsre eigne Glückseligkeit zu befördern, ist also so einfach, so natürlich, so dringend jedem Menschen eingepflanzt, daß es der gesunden, reinen Vernunft angemessen ist, ihn zur Richtschnur aller Handlungen zu machen. Man sieht aber bey genauerer Beleuchtung bald ein, daß diese eigne Glückseligkeit des fühlenden, denkenden und in Verbindung lebenden Wesens nur allein durch die genaueste Beobachtung aller moralischen Pflichten erlangt werden könne, und daß, wenn Jeder an der Hand der Vernunft, nach diesem Bewegungsgrunde handelt, es um die Ordnung und Harmonie des Ganzen sehr gut stehn werde.

14.

Zuerst ist es gleich einleuchtend, daß wenn jeder Mensch egoistisch nur die Pflichten gegen sich selbst ausüben, nur an seinen augenblicklichen Genuß, ohne Rücksicht auf die entfernten Folgen denken, nur den Antrieben seines Gefühls Raum geben wollte, und dann jeder Andre nach eben diesem Systeme handelte, das Leben der Menschen neben einander ein immerwährender Streit ihrer sich durchkreuzenden Wünsche und Begierden seyn würde, und daß man also eigne Ruhe und Glückseligkeit nur durch gegenseitige, gleichmäßige Schonung, Nachgiebigkeit und Aufopferung erkaufen könne.

15.

Es ist aber auch sehr natürlich, daß, je näher uns das eigne Interesse bey einer Handlung liegt, je leichter zu übersehn die Reihe der für uns zu erwartenden Folgen ist; auch der Antrieb zu dieser Handlung dringender seyn werde. Deswegen ist nichts gewisser, als daß die Sorgfalt für unser Leben, für unsre Gesundheit und unsern äußern Wohlstand, in Collisions-Fällen, wenn wir bloß der Vernunft folgen, allen andern Rücksichten wird vorgehn müssen. Nächstdem wird uns die Sorgfalt für die Personen unsrer Familie; dann das Band, das uns an das Vaterland fesselt; hierauf das Wohl aller lebendigen Wesen, endlich der Zusammenhang des ganzen Weltgebäudes am Herzen liegen, und es würde thöricht seyn, von einem irdischen Wesen zu verlangen, daß ihm zum Beyspiel die Wohlfarth der Mond-Bürger eben so wichtig seyn sollte, wie die Gesundheit seiner Kinder, und doch müßte, wenn wir alle Rücksicht auf individuelle Vortheile und Nützlichkeit aus unsern Bewegungsgründen verbannen wollten, uns die Harmonie der Sphären mehr interessiren, als die Einigkeit in unsrer Familie, welches in der Theorie ganz erhaben klingen mag, in der Ausübung aber die Kräfte des sinnlichen Menschen überschreitet. Wir ziehen hieraus nun folgende Schlüsse: Erstlich: Je entfernter dem Menschen das Interesse an einem Gegenstande von dem Einflusse auf seine eigne Glückseligkeit vorkömmt, desto weniger wird ihn seine Vernunft zu moralischen Handlungen bestimmen, die auf diesen Gegenstand abzielen, und umgekehrt, je näher, desto lebhafter wird sie ihn dazu treiben. Zweytens: je einleuchtender ihm die Folgen, der Zweck und die Nützlichkeit einer Handlung scheinen, desto dringender werden die Bewegungsgründe seiner Vernunft seyn, diese Handlung zu unternehmen. Je dunkler und ungewisser hingegen, desto weniger dringend. Drittens: je nützlicher eine Handlung in ihren Folgen für das Ganze würklich ist, desto verdienstlicher ist sie in sich selbst, desto edler ihr Zweck. Viertens: eine Handlung, wobey gar keine Folge, gar kein Nutzen vorauszusehn ist, hat gar keinen moralischen Werth, die Vernunft kann kein denkendes Wesen dazu bestimmen, und es wäre Unsinn, Pflichten von der Art anzunehmen.

16.

Bis hierher haben wir es nur mit den Bewegungsgründen der Vernunft zu thun gehabt; indessen ist schon vorhin gesagt worden, daß diese allein leicht zu einem, der Gesellschaft schädlichen Egoismus verleiten könnte, und daß der, welcher bey jedem Schritte nur allein ihre Gründe zu Rathe ziehn und die sichern Folgen calculieren wollte, vielleicht manche sehr edle, große und nützliche Handlung unterlassen würde. Dafür nun aber, daß das nicht geschehe, hat die schaffende Natur gesorgt, indem sie dem Menschen die Anlage zu Gefühlen gegeben hat, die ihn unwillkührlich zum Wohlwollen gegen andre Wesen, zu rastloser Thätigkeit und zu solchen Handlungen treiben, wovon er seiner Vernunft keine Rechenschaft geben kann, die seinem eignen Interesse ganz entgegen zu seyn scheinen, die ihm gar keinen sinnlichen Genuß gewähren, und bey welchen er doch eine Freude, ein Behagen empfindet, das er sich nicht erklären kann. Allein weil doch auch selbst in diesen Fällen die Hofnung eines höhern Genusses ihn treibt, dem gröbern sinnlichen zu entsagen; so scheint auch diese Art von moralischen Handlungen die Beförderung der eignen Glückseligkeit zum versteckten Motive zu haben. Um also den Menschen auch zu solchen Thaten zu bewegen, bey welchen gänzliche Aufopferung des eignen Nutzens und Vergnügens zum Besten des Ganzen Statt findet, wird eine Ueberspannung, ein Enthusiasmus erfordert, zu welchem gleichfalls der Keim in der menschlichen Seele liegt, die große Thaten gebiehrt, welche man aber nicht eigentlich in die Reihe moralischer Handlungen setzen darf, das heißt, in die Reihe solcher Handlungen, wozu uns die nüchterne, reine Vernunft die Motive eingiebt. Endlich kommen dann noch zu diesem Allen die religiösen Bewegungsgründe hinzu, nämlich die Aussicht in ein künftiges Leben, der Drang sich das Wohlgefallen des vollkommensten Wesens zu erwerben, und die Hofnung, in einem seligen Zustande nach dem Tode, die Folgen und die Belohnung solcher Thaten einzuerndten, die in dieser Welt für uns keine wohlthätige Folgen haben können. Daß abermals auch hierbey die Beförderung der eignen Glückseligkeit, obgleich von höherer und reinerer Art, das Haupt-Motiv sey, fällt in die Augen.

17.

Ich habe vorhin gesagt und zu beweisen gesucht, daß bey allen Antrieben zu unsern Handlungen, auch zu solchen, wozu uns Sinnlichkeit, Instinct und religiöses Gefühl hinziehen, die Vernunft unsre Leiterinn und Regiererinn seyn müsse, wenn diese Handlungen moralisch gut ausfallen sollen, das heißt, daß die Rücksicht auf Zweck, Folge und Nützlichkeit zum Besten des Ganzen, in so fern dies unser eigenes Wohl mit befördert, in Betracht kommen müsse. Nun aber könnte man einwenden: es gäbe Fälle, wo das eigne specielle Interesse und Vergnügen dem Handelnden so nahe liegen, der entferntere, damit streitende Vortheil des Ganzen hingegen ihm unmöglich so dringend vorkommen könnte, wo er auch unbemerkt und ungeahndet von Seiten der bürgerlichen Gesellschaft, eine That verüben könne, die seinen Wohlstand befördern, hingegen freylich der geselligen Zusammenlebung nachtheilig seyn müßte; und endlich, wenn er nun gar auf die Vortheile Verzicht thun wollte, die durch Unterlassung einer solchen Handlung zum Besten des Ganzen auf ihn zurückfiele; so würde ihn, in diesen Fällen, seine überlegende Vernunft bewegen, das entferntere Wohl des Ganzen dem nähern Privat-Vortheile aufzuopfern. Allein hierauf antworte ich erstlich: es liegt ein philosophischer Widerspruch darinn, behaupten zu wollen, ein einzelner Theil könne Vortheil davon haben, wenn das Ganze leidet, zu dem er gehört und zweytens: es steht gar nicht in der Willkühr des, in gesellschaftlicher Verbindung lebenden Menschen, vie Vortheile abzuleugnen, oder ihnen zu entsagen, die durch die Ordnung im Ganzen auf ihn zurückfallen; denn er hat ja diese Vortheile von Jugend auf schon voraus genossen. Die Erziehung, die Pflege, die Sicherheit seiner Person und seines Eigenthums, die ihm zu Theil geworden sind, bevor er selbst das Geringste dazu mitgewürkt hatte, haben ihn längst in Rückstand gesetzt und eine Schuld auf ihn geladen, die er nur dadurch abtragen kann, daß er wiederum so viel für Andre thut, als Andre schon für ihn gethan haben.

18.

Es ist jedoch freylich gewiß, daß der, welcher für diese Verpflichtungen keinen Sinn hat, den auch die Furcht vor der Strafe, welche die conventionellen Gesetze auf gewisse, der Gesellschaft schädliche Handlungen gelegt haben, nicht abhält und endlich der, in dessen Herzen religiöse Gefühle unwürksam sind, daß ein Solcher, Trotz seiner Vernunft, unmoralisch handeln wird. Es ist eben so gewiß, daß wer unfähig ist, von einem gewissen Enthusiasmus für große, uneigennützige Thaten beseelt zu werden, zu höhern Aufopferungen nicht fähig seyn wird. Auch ist es nicht weniger ausgemacht, daß Fälle eintreten, zum Beyspiel bey der Nothwehr, bey Diebstahl aus drückendem Hunger, bey Noth-Lügen u.d. gl. wo das Gefühl der Selbst-Erhaltung auch den vernünftigsten, von der Heiligkeit seiner Pflichten überzeugten Menschen, bewegen kann, eine That zu begehn, welche gegen die Regeln der Ordnung des Ganzen ist; allein was folgt hieraus? Was anders, als daß wir unvollkommne, sinnliche Geschöpfe sind?

19.

Es ist aber leicht einzusehn, daß diese Unvollkommenheit der menschlichen Natur sich bey den Motiven zu moralischen Handlungen, die aus der Nützlichkeit derselben hergenommen sind, nicht mehr offenbahren werde, als bey denen, die aus so genannten reinen Begriffen von Tugend und Pflicht sind abgezogen worden. Im Gegentheil! wen weder Gewissenhaftigkeit, noch Achtung für die bürgerlichen Gesetze, noch religiöse Empfindungen bemeistern, der wird mir gradezu die Aechtheit solcher reinen Begriffe abstreiten, und ich werde kein Mittel haben, ihn zu überzeugen; da hingegen aus der Nützlichkeit jeder Handlung Argumenta ad hominem hergenommen werden können, die sich demonstriren lassen und nicht abzuleugnen sind. Man sieht also, daß dies ein weit sichrers, allgemeiner würksames Principium, ein festeres System liefert, als jenes speculative, von der Verschiedenheit der Vorstellungsarten eines Jeden abhängige und veränderliche Grundgebäude.

20.

Man hat hie und da behauptet, der Grundsatz: daß man seine moralischen Handlungen nur nach solchen Motiven bestimmen müsse, die in allen Fällen als allgemeine Gesetze gelten könnten, könne wenigstens theoretisch zum Probiersteine jeder Handlung und jedes Bestrebens dienen, wenn er auch nicht immer practisch auszuüben wäre. Allein das heißt nichts gesagt; denn wenn es solche Motive giebt; so müssen sie immer zur Richtschnur dienen und immer practisch angewendet werden können. Allein noch einmal! es giebt dergleichen allgemeine Gesetze nicht und von den Bewegungsgründen eines vernünftigen Wesens, dies oder jenes zu thun oder zu unterlassen, läßt sich die Rücksicht auf den Zweck, das heißt, auf das, was durch dies Thun oder Lassen bewürkt werden soll, mit Einem Worte! was es nütze oder schade, gar nicht trennen.

21.

Daß aber die ausschließliche Befolgung allgemeiner Gesetze im practischen Leben unendlichen Schaden stiften würde, ist leicht zu beweisen. Was würde aus der würklichen Welt werden, wenn wir bey unsern Handlungen nie den Umständen nachgeben, jene nicht diesen anpassen wollten? Kann nicht in Einer Staats-Verfassung, in Einem Himmelsstriche, in einem Zeitalter, etwas zu sagen, oder zu thun, Verbrechen oder Thorheit seyn, was in einem andern Clima, unter andern Regierungen, zu andern Zeiten, für Tugend und Weisheit nicht nur gilt, sondern auch dadurch würklich Tugend und Weisheit wird, daß es am würksamsten die Harmonie des Ganzen befördert? Ist es nicht der Klugheit gemäß, und, um eine größere Summe des Guten zu bewürken, des tugendhaften Mannes würdig, gewisser Vorurtheile zu schonen, gewisse kleine Uebel zu dulden, denen man mit aller Kraft widerstehn müßte, wenn man nur nach allgemein gültigen Gesetzen handeln dürfte? Wie würde es um den Krieg, wie um die Politik – zwey unvermeidliche menschliche Uebel – aussehn? Kurz! jenes so genannte reine Moral-Princip ist durchaus nicht für diese Erde gemacht. Wenn wir hingegen den Zweck jeder Handlung, den Grad des Nutzens vor Augen haben, den sie bey Beförderung unsrer Glückseligkeit gewährt, welche zu suchen und zu finden, wir von dem Schöpfer auf die Welt gesetzt sind und zu welcher die Mitwürkung zum Wohl unsrer Nebenmenschen und zur Harmonie des Ganzen nothwendig mit erfordert wird; so handeln wir gewiß nach den reinsten moralischen Grundsätzen, für welche die menschliche Natur empfänglich ist. Das Andre ist Ueberspannung, so wie die reine, uneigennützige Liebe zu Gott, welche einige Theologen dem Christen haben zur Pflicht machen wollen, da doch selbst der erhabene Stifter unsrer Religion die Bewegungsgründe zur Gottesliebe aus den Verhältnissen herleitet, in welchen wir zu dem höchsten Wesen als dem Vater, Wohlthäter, Regierer, Richter und Vergelter stehen. Man nehme diese Verhältnisse weg; und der sinnliche Mensch wird nichts für das höchste Wesen empfinden können, als kalte Bewunderung, Gefühl von weitem Abstande und von der Unmöglichkeit einer Annäherung. Man nehme von den Bewegungsgründen zur Tugend den Zweck, dadurch unsern Zustand vollkommner zu machen, hinweg; und wir werden gar keinen bestimmten Begriff damit verbinden; ja! selbst die innere Stimme unsers Gewissens muß, wenn sie uns richtig über das, was recht und unrecht ist, belehren soll, von der Vernunft geleitet werden, indem diese die Regelmäßigkeit einer Handlung nach dem Zwecke beurtheilt, welcher, je nachdem er nützlich oder nicht nützlich ist, wohlthätige oder schädliche Folgen vorausahnen läßt. Ließe sich's denken, daß eine Handlung gar keine Folgen haben könnte; so würde diese weder recht, noch unrecht, also gleichgültig für die Moralität seyn. Allein solche Handlungen giebt es, genau betrachtet, wohl gar nicht. Und das ist denn endlich der letzte Vorzug unsers Systems, daß es den Werth aller Handlungen, nach den Graden ihrer Nützlichkeit bestimmen kann, da hingegen die so gepriesenen reinen Begriffe von Recht und Unrecht sich auf eine große Anzahl von Handlungen gar nicht anwenden, folglich den Werth derselben unbestimmt lassen.

22.

Wie wenig fest und haltbar überhaupt die von den Philosophen der neuern Schule aufgestellten Grundsätze seyen, davon hat mich noch kürzlich, so wie manche andre Stelle in ihres, übrigens sehr achtungswerthen Lehrers Schriften, vorzüglich eine Anmerkung, die ich in einem seiner Werke finde, das den Titel führt: Die Religion, innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft, überzeugt. Hier, wo er sich bemüht, sein System so zu zerren, daß es auch über den Leisten der theologischen Orthodoxen passen, folglich auch der Lehre von der Erbsünde keinen Abbruch thun soll, sagt er: »Es sey eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Menschen und seines practischen Vernunftvermögens, sich bey allen Handlungen nach dem Erfolge davon umzusehn.« Nun dann! wenn dies eine für ihn unvermeidliche Einschränkung ist; so scheint es doch wohl der Vernunft nicht gemäß, von ihm zu fordern, daß er nach Bewegungsgründen handeln solle, die gar keinen Bezug auf den Erfolg haben, und die also für seinen eingeschränkten Geist zu hoch sind.

23.

Und nun zum Schlusse dieses, vielleicht manchem Leser zu trocken scheinenden Abschnittes, noch einige Bemerkungen! Ich habe oben die Würklichkeit angebohrner, allen Menschen eingepflanzter bestimmter