Bereit für die Zukunft - Jane McGonigal - E-Book

Bereit für die Zukunft E-Book

Jane McGonigal

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Beschreibung

Niemand weiß, was die Zukunft bringt – aber mit diesem Buch sind wir auf alles vorbereitet
»Ein so kurzweiliges wie leicht anzuwendendes Gegenmittel zur Apokalypse.« Douglas Rushkoff


Wie wird unsere Welt in zehn Jahren aussehen? Welche Folgen werden Klimawandel, technologischer Fortschritt und gesellschaftliche Umbrüche haben? Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Wir aber können uns auf das vorbereiten, was heute noch niemand kommen sieht. Mit verblüffend realistischen Szenarien lässt uns »Bereit für die Zukunft« die Fähigkeiten entwickeln, die es dazu braucht: Ein Denken, das auf unvorhergesehene Herausforderungen schneller reagiert; die Inspiration, heute die richtigen Weichen für unser Leben in der Zukunft zu stellen; die Kreativität, Probleme auf nie dagewesene Weise zu lösen. So gerüstet können wir selbstsicher auf künftige Entwicklungen reagieren, die jetzt noch unvorstellbar scheinen und sind damit in der Welt von Morgen allen anderen einen Schritt voraus.

Ausgestattet mit einem Wendeumschlag: Wir entscheiden, wie unsere Zukunft aussieht!

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Seitenzahl: 610

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Niemand weiß, was die Zukunft bringt – aber mit diesem Buch sind wir auf alles vorbereitet.

Wie wird unsere Welt in zehn Jahren aussehen? Welche Folgen werden Klimawandel, technologischer Fortschritt und gesellschaftliche Umbrüche haben? Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Wir aber können uns auf das vorbereiten, was heute noch niemand kommen sieht. Mit verblüffend realistischen Szenarien lässt uns »Bereit für die Zukunft« die Fähigkeiten entwickeln, die es dazu braucht: Ein Denken, das auf unvorhergesehene Herausforderungen schneller reagiert; die Inspiration, heute die richtigen Weichen für unser Leben in der Zukunft zu stellen; die Kreativität, Probleme auf nie dagewesene Weise zu lösen. So gerüstet, können wir selbstsicher auf künftige Entwicklungen reagieren, die jetzt noch unvorstellbar scheinen, und sind damit in der Welt von Morgen allen anderen einen Schritt voraus.

Jane McGonigal ist Spieleentwicklerin und Forschungsleiterin am Institute for the Future (IFTF) in Palo Alto/Kalifornien. Laut BusinessWeek gehört sie zu den weltweit zehn wichtigsten und innovativsten Entwicklerinnen. Zu ihren vielfach gelobten Planspielen gehören »Evoke« und »Superstruct«, mit denen sie die Finanzkrise sowie die Coronapandemie in ihren Verläufen und Auswirkungen treffsicher vorhersagte. Als einer der einflussreichsten Zukunftsforscherinnen gehören zu ihren Arbeit- und Auftraggebern u. a. die Weltbank, die National Academy of Sciences, das US-amerikanische Verteidigungsministerium, McDonald’s, Intel, die Corporation for Public Broadcasting und das Internationale Olympische Komitee. Aufgewachsen in New York, lebt sie heute mit ihrem Mann Kiyash und ihrem Schäferhund Meche in San Francisco.

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JANE MCGONIGAL

BEREIT

FÜR

DIE ZUKUNFT

DAS UNVORSTELLBARE

DENKEN UND KOMMENDE

KRISEN BESSER MEISTERN

Aus dem amerikanischen Englisch

von Jürgen Neubauer

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Imaginable bei Spiegel & Grau, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2022 Jane McGonigal

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Ulrike Strerath-Bolz

Umschlaggestaltung: total italic/Thierry Wijnberg

Umschlagmotiv: Unsplash/Gradienta (Verlauf)

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-29405-2V002

www.penguin-verlag.de

Für Kelly McGonigal, der sechs Minuten in der Zukunft lebt

INHALT

Einleitung

TEIL 1  STREIFEN SIE IHRE DENKFESSELN AB

1. Eine Zeitreise in die zehn Jahre entfernte Zukunft

2. Werden Sie zum Zeitreisenden

3. Spielen Sie mit Zukunftsszenarien

4. Lassen Sie ruhig zunächst Lächerliches zu

5. Stellen Sie die Welt auf den Kopf

TEIL 2  DENKEN SIE DAS UNDENKBARE

6. Suchen Sie Indizien

7. Suchen Sie Ihre Zukunftskräfte

8. Entwickeln Sie schwieriges Mitgefühl

9. Heilen Sie die wahre Krankheit

TEIL 3  STELLEN SIE SICH DAS UNVORSTELLBARE VOR

10. Folgen Sie dem Ruf des Abenteuers

11. Simulieren Sie die Zukunft, die Sie wollen

12. Zehn Tage in der Zukunft (Das Spiel)

Schluss

Dank

Anmerkungen

SPIELE, SZENARIEN UND SIMULATIONEN

Aufwärmspiel 1: Wann beginnt die Zukunft?

Aufwärmspiel 2: Hau den Zukunftsforscher

Aufwärmspiel 3: Hundert Dinge, die in Zukunft anders sein können

Zukunftsszenario 1: Tag des Dankeschöns

Zukunftsszenario 2: Haben Sie die Asteroidenvorhersage gesehen?

Zukunftsszenario 3: Die Globale Samenspendeaktion

Zukunftsszenario 4: Die Gesundheitstasche

Zukunftsszenario 5: Gesicht googeln unerwünscht

Zukunftsszenario 6: Haben Sie Ihre große Aufgabe schon gewählt?

Zukunftsszenario 7: Der große Blackout

Zukunftsszenario 8: Verdoppeln Sie Ihr Geld

Zukunftsszenario 9: Heulen

Zukunftsszenario 10: Die Alpha-Gal-Krise

Zukunftsszenario 11: Fühl die Zukunft

Zukunftssimulation 1: Der Weg in die Nullophorie

Zukunftssimulation 2: Die Begrüßungsparty

Zukunftssimulation 3: Der zehnjährige Winter

EINLEITUNG

Willkommen im Zeitalter der undenkbaren Ereignisse und unvorstellbaren Veränderungen

Unser Planet befindet sich im kollektiven Schockzustand.

Allein in den Jahren 2020 und 2021 kam in 2,5 Millionen englischsprachigen Nachrichtenartikeln das Wort »unvorstellbar« vor, und in über drei Millionen das Wort »undenkbar«.1

Wir haben diese Geschichten gemeinsam erlebt.

Geschichten über die einst unvorstellbaren Auswirkungen einer Pandemie: Gesundheitssysteme am Rande des Kollapses, Hunderte Millionen »verzichtbare« Arbeitsplätze über Nacht verschwunden, die durchschnittliche Lebenserwartung weltweit um Jahre eingebrochen.

Geschichten über früher undenkbare Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um die Pandemie zu überleben: Grenzschließungen, Lockdown, Schulschließungen, Maskenpflicht, Homeoffice, Home alles.

Geschichten über beispiellose Wetterereignisse und die Opfer, die sie uns und unseren Städten abverlangen: Hitzerekorde, Hochwasser, Stürme, Waldbrände, Luftverschmutzung.

Geschichten von unerhörten Vorfällen, wie wir sie so nicht kannten: Ein vom Klimawandel zerfressener Wohnblock fällt mitten in der Nacht in sich zusammen. Ein Mob stürmt das Kapitol in Washington, um eine Präsidentschaftswahl zu kippen. Eine erschreckend wirkungsvolle Desinformationskampagne redet 20 Prozent der amerikanischen Bürger ein, dass ihre Regierung mit einer Impfung Mikrochips implantiert, und veranlasst sie, eine kostenlose und lebensrettende Maßnahme auszuschlagen.

Ein weiterer Schock war der Überfall Russlands auf die Ukraine Anfang 2022. Nun folgten Artikel über das unvorstellbare Ausmaß der neuen Flüchtlingskrise und die schnellste Massenvertreibung von Kindern seit dem Zweiten Weltkrieg. Als Russland den Einsatz von Atomwaffen ins Spiel brachte, drohten plötzlich Gefahren, die geopolitische Experten noch wenige Wochen zuvor für undenkbar gehalten hatten. Und als der Westen beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängte, sprachen Wirtschaftsexperten von der schwersten Erschütterung der Märkte seit Jahrzehnten.

Die Allgegenwart der Wörter »undenkbar« und »unvorstellbar« in unseren Geschichten verrät uns viel über den Zustand der Welt. Wir fühlen uns von der Wirklichkeit überrumpelt. Wir tun uns schwer, die Ereignisse zu verstehen, die unsere Annahmen erschüttert und unsere Überzeugungen infrage gestellt haben.

Dass wir das alles nicht haben kommen sehen, ist die eine Sache. Aber in diesen beiden Wörtern schwingt auch Trauer mit. Wir verwenden das Wort »unvorstellbar« ebenso im Sinne von »schmerzhaft« – etwa in »unvorstellbares Leid« oder »unvorstellbarer Verlust«, der unser Mitfühlenwollen übersteigt. Wir verwenden das Wort »undenkbar« auch im Sinne von »ungerecht«, »grausam« oder »unannehmbar« – etwa in »undenkbares Politikversagen« oder »undenkbarer Mangel« an Fürsorge für die Mitmenschen. Diese beiden Wörter, die wir heute so häufig verwenden, sind Ausdruck des Entsetzens, aber auch des Traumas.

Wie plant man die Zukunft in einer Zeit, in der scheinbar ein Schock auf den anderen folgt? Wie können wir uns heute sicher fühlen, wenn wir uns ständig auf das nächste »undenkbare« Ereignis oder die nächste »unvorstellbare« Veränderung einstellen müssen? Wie können wir optimistisch in die Zukunft blicken, wenn wir nicht einmal sagen können, was nächste Woche sein wird, vom nächsten Jahr ganz zu schweigen?

Aber vielleicht sollten wir mit grundsätzlicheren Fragen anfangen. Waren die erschreckenden Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wirklich unvorstellbar, bevor sie eintraten? Waren ihre Folgen wirklich undenkbar, ehe wir sie erlebten?

Dazu möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen.

◆ ◆ ◆

Anfang Januar 2020, als die Pandemie allmählich auf dem Radar einiger Leute erschien, bekam ich eine Menge interessanter E-Mails und SMS mit Fragen wie: »Jane, hast du nicht mal eine Simulation für eine Atemwegspandemie gemacht? Kannst du uns erklären, was da gerade vorgeht? Was sollen wir tun?« Diese Fragen stellten mir nicht nur Freunde und Verwandte, sondern auch Spitzenmanager der Technologiekonzerne in Silicon Valley, Behörden und internationale NGOs. Und sie hatten recht: Ich hatte tatsächlich einmal eine Pandemie simuliert.

Ich bin Spieledesignerin und spezialisiert auf die Entwicklung von Simulationen, die uns dabei helfen sollen, uns die größten globalen Herausforderungen der Zukunft vorzustellen. Im Jahr 2008 war ich Chefentwicklerin einer sechswöchigen Prognose-Simulation namens Superstruct. Die Simulation wurde vom Institute for the Future in Palo Alto in Auftrag gegeben. Dabei ging es darum, die ganze Bandbreite von wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und emotionalen Auswirkungen globaler Gefahren wie zum Beispiel einer Pandemie zu verstehen. Wir verlegten das Spiel zehn Jahre in die Zukunft, in den Herbst 2019. Über sechs Wochen hinweg simulierten fast zehntausend Menschen in aller Welt fünf unterschiedliche Bedrohungen, darunter auch den Ausbruch eines fiktiven Virus namens ReDS, das die menschlichen Atemwege befällt.

Unsere Simulation arbeitete nicht mit mathematischen Modellen, sondern mit Menschen. Wir baten unsere Teilnehmer vorherzusehen, wie sie sich persönlich fühlen und was sie während einer rasch um sich greifenden Infektionskrankheit tun würden. Wie würden sie ihre alltäglichen Gewohnheiten verändern? Welche sozialen Interaktionen würden sie vermeiden? Würden sie von zu Hause aus arbeiten? War das überhaupt möglich? Würden sie sich freiwillig in Selbstisolation begeben, und wenn ja, wann, warum und für wie lange? Welche Probleme hätten sie während eines von den Behörden angeordneten Lockdowns? Welche Unterstützung und welche Ressourcen würden sie benötigen? Wie würden sie versuchen, anderen Menschen zu helfen? Unsere Simulation suchte Antworten nicht in Algorithmen, sondern in der sozialen und emotionalen Intelligenz. Die Teilnehmer erzählten uns in Tausenden Geschichten, wie sie sich während einer pandemischen Atemwegserkrankung verhalten würden, und wir sammelten diese Geschichten online und werteten sie aus.

Als Anfang 2020 das neuartige Coronavirus in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte, wollte ich vor allem die Prognosen der Mitspieler unserer Simulation weitergeben. Eine meiner zentralen Forschungsfragen war beispielsweise gewesen: Unter welchen Umständen würden sich die Menschen einer freiwilligen Selbstisolation und sozialen Abstandsregeln widersetzen? Aus unseren Daten ging hervor, dass besonders Gottesdienste zu Superspreader-Events werden konnten, gefolgt von Hochzeitsfeiern und Bestattungen. Die Menschen würden sich sehr wahrscheinlich nicht von der Teilnahme an solchen Veranstaltungen abhalten lassen, egal, wie hoch das wahrgenommene Risiko war. Und wir sahen auch, dass viele junge und unverheiratete Menschen nach wie vor in Clubs und zu Partys gehen würden, selbst wenn solche Versammlungen verboten wären.

Aus diesen Erkenntnissen stellte ich zusammen mit meiner Kollegin Vanessa Mason vom Institute for the Future ein öffentliches Webinar zusammen, das wir Anfang Februar 2020 anboten. Dort gaben wir dringende Ratschläge für die aufkommende Pandemie weiter, die damals noch nicht einmal einen richtigen Namen hatte. Zum Beispiel: »Wenn Sie eine religiöse oder andere Gemeinschaft leiten, dann müssen Sie einen virtuellen Raum für Ihre Veranstaltungen schaffen.« Oder: »Wenn Sie eine Hochzeit, Konferenz, Großveranstaltung oder Party planen, sollten Sie diese schon jetzt absagen, denn in Zeiten der Pandemie gefährden die Besucher solcher Veranstaltungen ihre Gesundheit.« Die Schlagzeilen der folgenden Monate zeigten, dass die Erkenntnisse aus unserer Simulation sowohl hilfreich als auch praktisch umsetzbar waren. Während der realen Pandemie verhielten sich viele Menschen genau wie von den Mitspielern unserer Simulation vorhergesehen: Sie veranstalteten große Hochzeitsfeiern, obwohl das untersagt war, sie besuchten Diskotheken, obwohl dringend davon abgeraten wurde, sie nahmen an Gottesdiensten teil, obwohl sie positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, sie wohnten Bestattungen bei, obwohl sie sich krank fühlten und aufgefordert worden waren, sich in Isolation zu begeben. Und alle diese Situationen wurden in der Realität immer wieder zu Superspreader-Events.2

Im Webinar und in meinen E-Mails an Menschen, die mir geschrieben hatten, gab ich auch unsere Erkenntnisse darüber weiter, wie unwohl sich viele Menschen mit Masken fühlen würden. Während der Superstruct-Simulation forderten wir die Teilnehmer auf, in ihrem realen Alltag in verschiedenen sozialen Umgebungen Masken zu tragen. Wir wollten die Teilnehmer daran gewöhnen, damit es ihnen in einer realen Pandemie leichter fiel. Aus ihren Berichten wussten wir allerdings, wie hoch die soziale Hürde war. Und während der Coronapandemie erlebten wir dann genau dieses Problem in viel größerem Maßstab.

Wir konnten auch auf die Schwierigkeiten hinweisen, die berufstätige Mütter haben würden, wenn die Schulen während der Pandemie geschlossen würden, denn die Mütter, die an unserer Simulation teilgenommen hatten, hatten uns bereits geschildert, dass es unmöglich wäre, in diesem Fall Arbeit und Beaufsichtigung der Kinder unter einen Hut zu bringen. Heute wissen wir, dass viele Mütter während der Coronapandemie freiwillig ihre Stellen kündigten, damit sie sich zu Hause um ihre Kinder kümmern können.3

Aus unserer Simulation konnten wir im Webinar auch berichten, wie schwer es für viele Menschen sein würde, sich an die Hygieneregeln zu halten, zu Hause zu bleiben oder sich in Quarantäne zu begeben, wenn sie keine finanzielle Unterstützung erhielten. Wir wiesen darauf hin, wie wichtig staatliche Zahlungen wären, und heute ist klar, dass die Bürger in den Ländern, in denen der Staat Betriebe unterstützte und Löhne fortzahlte, die Regeln strikter einhalten und die Verbreitung des Virus besser eindämmen konnten.4

Unsere Prognosen erwiesen sich als erstaunlich korrekt. Aber wenn wir uns heute ansehen, wie langsam die Gesellschaft auf die anschwellende Bedrohung reagierte und wie viele Politiker in alten Denkweisen verhaftet waren, komme ich zu der Überzeugung, dass es bei groß angelegten gesellschaftlichen Simulationen wie Superstruct gar nicht in erster Linie darum geht, das Verhalten der Menschen vorherzusehen. Viel wichtiger ist es, uns mental vorzubereiten und unsere kollektive Vorstellungskraft zu trainieren, um flexibler, anpassungsfähiger, agiler und widerstandsfähiger zu sein, wenn das »Undenkbare« eintritt.

Aus unseren Erfahrungen mit Superstruct wissen wir, dass Zukunftssimulationen diesen positiven Effekt haben können. Im Januar 2020 erhielt ich E-Mails von den damaligen Teilnehmern. Sie schrieben zum Beispiel: »Ich habe keine Angst, weil ich die Panik schon vor zehn Jahren durchgespielt habe.« Sie schrieben mir: »Masken auf!« und: »Zeit, mit Social Distancing zu beginnen!« und: »Ich mache mich jetzt schon startklar« – Wochen bevor es der breiten Bevölkerung außerhalb Chinas bewusst wurde, dass wir unsere Gewohnheiten und Pläne drastisch verändern mussten. Teilnehmer der Simulation schrieben mir immer wieder, wie sehr ihnen die emotionale Vorbereitung auf die Zukunft half, jetzt mit ihren Sorgen, der Ungewissheit und dem Gefühl der Ohnmacht umzugehen, sich rasch auf die Situation einzustellen und widerstandsfähig zu handeln, als die simulierte Zukunft Wirklichkeit wurde.

Die E-Mails, die ich Anfang 2020 von den Teilnehmern erhielt, erinnern mich an das, was während der Coronapandemie in Hongkong, Taiwan und Singapur passierte. Experten beobachteten, dass in Regionen, die 2003 von der SARS-Pandemie betroffen waren, die Behörden und Unternehmen weniger Zeit mit Debatten darüber verloren, ob die Eindämmung des neuartigen Virus drastische Maßnahmen verlangte. Sie handelten schneller, weil sie aus eigener Erfahrung wussten, wie schlimm die Lage werden konnte. Und die Bürger dieser Länder hielten sich schneller und bereitwilliger an Maßnahmen wie Masken und Social Distancing als die Menschen im Westen.5 Daher wurde das Virus dort deutlich effektiver eingedämmt. Ein ähnliches Phänomen war in Westafrika zu beobachten: Nach der Erfahrung des Ebola-Ausbruchs im Jahr 2014 ergriffen diese Länder deutlich schnellere und schärfere Maßnahmen als in Europa oder auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Auch Masken wurden bereitwilliger getragen. Die rasche Reaktion aufgrund früherer Pandemieerfahrungen wird als Grund dafür genannt, dass die meisten afrikanischen Länder während der ersten beiden Wellen der Pandemie deutlich glimpflicher davonkamen als westliche Industrienationen, obwohl sie weniger Mittel haben.6

Auch die Teilnehmer unserer Simulation brachten eine Art eigene Pandemieerfahrung in die Coronakrise ein. Sie waren mental darauf vorbereitet, schneller zu handeln und sich anzupassen. Weniger Schock, mehr Widerstandsfähigkeit. Und das nicht nur, weil sie sich zehn Jahre zuvor vorgestellt hatten, eine Pandemie zu erleben. Viele hatten dank der Simulation die Gewohnheit entwickelt, Nachrichten über reale Pandemien ernster zu nehmen. Eine Teilnehmerin schrieb mir: »Ich habe die Nachrichten aus Wuhan genau verfolgt; man könnte sagen, dass ich seit Superstruct einen Radar für Meldungen über Pandemien habe. Ich habe es mir angewöhnt, genau hinzuhören.« Diese »Nebenwirkung« der Teilnahme an Zukunftssimulationen habe ich unzählige Male beobachtet. Das Eintauchen in eine mögliche Zukunft schafft neue Denkgewohnheiten, und man hält in der wirklichen Welt die Augen nach allem offen, was auf ein etwaiges Eintreten der simulierten Möglichkeit hinweist.

Es ist eine Sache, einen Glückstreffer zu landen und eine korrekte Simulation durchzuführen. Aber wenn ich Sie davon überzeugen will, den Rest dieses Buchs zu lesen und das Zukunftsdenken in Ihren Alltag zu integrieren, dann sollte ich Ihnen eine weitere Geschichte erzählen.

Im Jahr 2010 leitete ich eine andere groß angelegte Zukunftssimulation, diesmal im Auftrag der Weltbank. Sie hieß EVOKE und spielte im Jahr 2020. Diesmal nahmen fast zwanzigtausend Mitspieler teil und sollten vorhersehen, was sie tun würden, um im Falle einer künftigen Krise – zum Beispiel einer Pandemie und gleichzeitiger durch den Klimawandel verursachten Extremwetterereignisse – anderen Menschen zu helfen. EVOKE lief über einen Zeitraum von zehn Wochen, und jede Woche kam eine erschwerende Krise hinzu.

Die Teilnehmer tauchten in eine Zukunft ein, in der eine globale Atemwegspandemie namens Pearl-River-Grippe von China ausging … und über die sozialen Medien Desinformationen und Verschwörungsmythen zur Pandemie verbreitet wurden … und an der Westküste der Vereinigten Staaten beispiellose Waldbrände wüteten, die durch den Klimawandel geschürt wurden … und die Stromversorgung durch eine altersschwache Infrastruktur und Extremwetterereignisse zusammenbrach. Die Desinformation und die Verschwörungsmythen gingen in unserer Simulation von einer Gruppe aus, die wir »Citizen X« nannten; sie erschwerten es den Bürgern, sich einen Überblick über die tatsächlichen Ereignisse zu verschaffen und sich zu informieren, was sie zu ihrem Schutz tun konnten. Und die Waldbrände und Stromausfälle zwangen viele Menschen, ihr Zuhause zu verlassen, während es die Pandemie eigentlich gebot, nicht aus dem Haus zu gehen.

Die Geschichten, die wir ein Jahrzehnt im Voraus entwickelten, hatten verblüffende Ähnlichkeit mit den realen Schlagzeilen der Jahre 2020 und 2021. Auf die weltweite Ausbreitung des Coronavirus Anfang 2020 folgten im Sommer beispiellose Waldbrände an der Westküste der Vereinigten Staaten, die Millionen von Menschen zur Evakuierung zwangen. In den sozialen Medien verbreitete die QAnon-Bewegung eine »Infodemie« der Desinformation, der zufolge das Coronavirus eine Erfindung war und mit Impfungen Mikrochips implantiert werden sollten. Nach einem »undenkbaren« Stromausfall in Texas saßen drei Millionen Menschen im Dunkeln; schuld war ein »unvorstellbarer« Kälteeinbruch, dem die altersschwache Infrastruktur nicht gewachsen war. EVOKE enthielt keine Prognose, die nicht eingetreten wäre, und sogar das Jahr war korrekt.

Weshalb ich Mitte 2020 einen Anruf von Robert Hawkins erhielt, einem Vorstandsmitglied der Weltbank, der für die Öffentlichkeitsarbeit und technische Leitung von EVOKE zuständig gewesen war. Er sagte: »Schauen Sie sich mal an, wie viele der konkreten Prognosen von EVOKE heute eintreten! Das ist ja richtig unheimlich! Wie haben Sie das geschafft?«

Die Antwort auf diese Frage finden Sie in diesem Buch.

In Teil 1: Streifen Sie Ihre Denkfesseln ab möchte ich Ihnen einige der Denkgewohnheiten von Zukunftsforschern vorstellen sowie einige der Spiele, mit denen wir unser Denken für »undenkbare« und »unvorstellbare« Möglichkeiten offen halten. Mit diesen Gewohnheiten und Spielen können Sie Ihrem Gehirn beibringen, zu denken wie ein Zukunftsforscher.

Zu denken wie ein Zukunftsforscher bedeutet auch, kreativer zu denken. Sie klammern sich nicht an alte Muster und bleiben nicht bei dem, was in der Vergangenheit zutraf. Diese Gewohnheiten und Spiele bereiten Sie jedoch nicht nur auf die Zukunft vor, sondern Sie helfen Ihnen schon hier und jetzt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen nämlich, dass sie Optimismus und Motivation verbessern und Depression und Angst lindern. Wenn die Pandemie und die übrigen Erschütterungen der jüngsten Zeit also bei Ihnen – genau wie bei Millionen von Menschen in aller Welt – emotionale Wunden hinterlassen haben, dann können Ihnen diese Techniken auch hier helfen. Sie ermöglichen vielleicht so etwas wie ein posttraumatisches Wachstum für unseren Planeten nach der Pandemie.

Damit Sie diesen Techniken nicht blind vertrauen müssen, stelle ich Ihnen wissenschaftliche Untersuchungen vor, die zeigen, wie das Zukunftsdenken entscheidende neuronale Verbindungen in Ihrem Gehirn kräftigt, die Ihren realistischen Optimismus und Ihre Kreativität stärken und Sie unter Belastung widerstandsfähiger machen. Ich kann Ihnen zwar nicht auf einem Hirnscan vorführen, wie das Zukunftsdenken genau Ihr Gehirn aktiviert, aber ich kann Ihnen wissenschaftliche Bewertungsverfahren vorstellen, mit denen Sie die positiven Auswirkungen des Zukunftsdenkens an sich selbst beobachten können. So können Sie Ihren eigenen Fortschritt messen und Ihren Lernprozess verfolgen.

In Teil 2: Denken Sie das Undenkbare bringe ich Ihnen die Techniken bei, mit denen wir im Institute for the Future unsere hochgradig korrekten Superstruct- und EVOKE-Prognosen entwickelt haben. Damit lernen auch Sie zu sehen, was auf uns zukommt. Mithilfe dieser Techniken werden Sie Veränderungen schneller erkennen – so können Sie zügiger handeln und werden nicht von überraschenden Ereignissen auf dem falschen Fuß erwischt.

In Teil 3: Stellen Sie sich das Unvorstellbare vor spielen wir schließlich gemeinsam ein brandneues Spiel, bei dem Sie die Macht der Simulation selbst erleben. Ich nehme Sie mit in eine zehntägige Simulation einer möglichen Zukunft im Jahr 2033. Sie werden in eine Welt eintauchen, in der vieles von dem, was uns heute noch selbstverständlich erscheint, über Nacht verschwunden ist, und neue soziale Bewegungen, Technologien und Strukturen jeden Aspekt unseres Lebens auf verblüffende Weise umgekrempelt haben. Sie können sich an dieser Simulation beteiligen, indem Sie dieses Buch lesen und zehn Tage lang Tagebuch über Ihre Reise ins Jahr 2033 führen. Wie würden Sie sich fühlen? Was würden Sie denken und tun? Wie würden Sie anderen helfen? Wenn Sie sich mit anderen Menschen austauschen und sehen möchten, was sie sich für die Zukunft vorstellen, wird es im Internet einen Ort dafür geben.

Diese Simulation stellt die Fähigkeiten und Gewohnheiten auf die Probe, die Sie in den ersten beiden Teilen dieses Buchs erworben haben. Das Szenario des Jahres 2033 wird Ihnen genauso »weit weg« und unvorstellbar vorkommen wie die Szenarien, mit denen die Teilnehmer unserer Superstruct- und EVOKE-Simulationen konfrontiert wurden. Aber wenn Sie im Buch bis zu diesem Punkt gekommen sind, werden Sie bereit und in der Lage sein, sich diese Szenarien vorzustellen.

Dann ist es an Ihnen, die Gestaltung der Zukunft in die Hand zu nehmen. Ich erkläre Ihnen, wie ich soziale Simulationen entwickle, und gebe Ihnen alles an die Hand, was Sie brauchen, um Ihre eigenen Szenarien zu entwickeln, und zwar zu jedem beliebigen Zukunftsthema.

Nebenbei stelle ich Ihnen eine Menge Prognosen für das kommende Jahrzehnt der undenkbaren Veränderungen vor, von der Zukunft des Lernens und der Arbeit bis zur Zukunft der Ernährung und des Geldes, von der Zukunft der sozialen Medien und des Gesundheitswesens bis zur Zukunft der Klimapolitik und des Staates. So bekommen Sie eine bessere Vorstellung von den Risiken, Chancen und Problemen, die auf uns zukommen.

Diese Zehnjahresprognosen machen Sie widerstandsfähiger gegen Zukunftsschocks. Sie helfen Ihnen zu akzeptieren, dass es keine »Rückkehr zur Normalität« geben wird. Außerdem zeigen sie Ihnen, wie Sie diese historische Phase der Verwerfung und Neuerfindung nutzen können, um Ihr Leben, Ihre Gemeinschaft und die Welt zum Besseren zu verändern. Wahrscheinlich gab es nie eine größere Chance als im kommenden Jahrzehnt, unsere Gesellschaft wirklich zu verändern – und wir alle können einen Beitrag zum positiven langfristigen Wandel leisten.

Es gibt eine Menge Bücher über Zukunftsprognosen. Was macht dieses Buch so besonders? Nun, zum einen bin ich Zukunftsforscherin und zum anderen Spieleentwicklerin. Das ist eine etwas ungewöhnliche Kombination – soweit ich weiß, bin ich damit die Einzige auf der Welt. Aber es ist eine sinnvolle Kombination. In meinen beiden Rollen als Spieleentwicklerin und als Zukunftsforscherin geht es mir darum, Menschen in Welten zu versetzen, die es nicht gibt – weil es virtuelle Welten sind oder weil sie in der Zukunft liegen und noch nicht eingetreten sind oder nie eintreten werden. Ich möchte, dass sich die Menschen nach dem Verlassen dieser vorgestellten Welten kreativer und optimistischer fühlen und dass sie mehr Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, Einfluss auf diese Welten zu nehmen, also Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen, die diese Wirklichkeit gestalten.

Im Spiel ist es einfach, sich stark und kreativ zu fühlen. Mit jedem Zug und jeder Handlung – ob beim Kartenspiel, im Sport, bei einem Brettspiel oder in einem Videospiel – nehmen wir Einfluss auf den Spielstand. Aber wenn wir an unsere eigene Zukunft denken, fällt es uns schwerer, uns ähnlich handlungsfähig zu fühlen. Wir haben nicht dasselbe Zutrauen, dass wir mit unseren Handlungen und Entscheidungen tatsächlich Einfluss auf das künftige Geschehen nehmen können, besonders wenn diese Zukunft uns alle angeht: die Gesellschaft und unseren Planeten.

Daher versuche ich, diese beiden Formen der Gestaltung fiktiver Welten – Spieleentwicklung und Zukunftsforschung – einander anzunähern. Seit fünfzehn Jahren bin ich Leiterin der Abteilung für Spieleentwicklung am Institute of the Future, des weltweit ersten Zukunftsforschungsinstituts, das 1968 gegründet wurde und zahlreiche Methoden hervorgebracht hat, die heute zum Handwerkszeug der Zukunftsforschung gehören. Meine Aufgabe besteht darin, Spiele zu erfinden, mit deren Hilfe die Teilnehmer die Fähigkeit des Zukunftsdenkens erlernen und sich zur Gewohnheit machen sollen. Ich habe mich auf die Entwicklung groß angelegter sozialer Simulationen der Zukunft mit vielen Tausend Teilnehmern spezialisiert. Bei diesen Simulationen geht es zum einen darum, die Vorstellungskraft jedes Einzelnen zu trainieren. Darüber hinaus entwickeln sie aber auch die praktische kollektive Intelligenz, indem sie Phänomene und Dominoeffekte sichtbar machen, die auf anderem Wege schwer vorherzusehen wären. Im Institut sagen wir: »Besser, man wird von einer Simulation auf dem falschen Fuß erwischt als von der Realität.« Tatsächlich messen wir den Erfolg einer Simulation auch daran, wie überraschend ihre Ergebnisse für Experten auf dem jeweiligen Gebiet sind.

In meinen fünfzehn Jahren am Institut habe ich Prognosen, Schulungen und Simulationen für eine ganze Reihe von Experten und Konzernen entwickelt – darunter Google, IBM, Cisco, Intel, Disney, GSK, die Rockefeller Foundation, das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten, die Nationale Akademie der Wissenschaften und das Weltwirtschaftsforum. Doch am liebsten sind mir Arbeiten, mit denen ich der Öffentlichkeit das Zukunftsdenken nahebringen kann, ob durch Simulationen oder Vorträge. Ich freue mich zu sehen, wenn die Teilnehmer ihre anfängliche Ungewissheit und Sorge über die Zukunft ablegen und sie mit Selbstvertrauen, Optimismus und Energie angehen. Deshalb habe ich den Kurs »Denken wie ein Zukunftsforscher« für das Erwachsenenbildungsprogramm der Stanford University entwickelt, wo es in den vergangenen fünf Jahren zu den beliebtesten Kursen gehörte und Teilnehmer aus aller Welt an die Universität brachte. Und deshalb habe ich zusammen mit dem Institute of the Future einen Kurs zum Zukunftsdenken entwickelt, der auf der Bildungsplattform Coursera angeboten wird, wo er zurzeit über dreißigtausend Teilnehmer hat. Und deshalb stellte ich den Start des Coursera-Kurses – der ersten kostenlosen massiven Onlineschulung im Zukunftsdenken – unter das Motto »Weitblick ist ein Menschenrecht«.

Es ist meine Mission, so vielen Menschen wie möglich die Fähigkeiten an die Hand zu geben, nicht nur Einfluss auf das Ergebnis eines Spiels zu nehmen, sondern auch auf unsere Zukunft.

Ich freue mich auf diese Reise mit Ihnen. Bevor wir loslegen, möchte ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben – mein Lieblingsmotto zur Zukunftsforschung:

Beim Blick in die Zukunft sind Fantasie und Beobachtung wichtiger, als recht zu haben.7

Dieser weise Satz stammt von Alvin Toffler, Autor des Buchs Der Zukunftsschock (1970). Tofflers Buch steht am Anfang der Zukunftsforschung, wie wir sie heute kennen. Hier erklärt er, dass Gesellschaften hin und wieder anhaltende und tiefe Umbrüche durchmachen, die zuvor als undenkbar galten und bei den Beteiligten einen »Zukunftsschock« auslösen. Wir verlieren die Orientierung. Unsere Strategien für ein glückliches, gesundes und erfolgreiches Leben greifen nicht mehr. Alte Annahmen treffen nicht mehr zu. Wir verstehen nicht mehr, was da passiert und warum. Es ist ein kollektives Trauma, und wir fühlen uns, als hätte uns ein Bus gestreift. Die turbulenten 1960er Jahre, in denen Toffler dieses wegweisende Buch schrieb, waren für viele Menschen so ein Zukunftsschock. Und unsere 2020er Jahre werden ein noch größerer Schock werden.

Man könnte jetzt meinen, dass wir uns vor diesem Trauma bewahren können, wenn wir die Zukunft möglichst korrekt vorhersagen. Es stimmt schon: Es ist auf keinen Fall ein Fehler zu sehen, was auf uns zukommt, um nicht überrollt zu werden. Doch das Zukunftsdenken hat einen tieferen Sinn, bei dem es um mehr geht als darum, mit unserer Prognose recht zu haben.

Recht zu haben bedeutet, dass wir unsere beste Prognose aufstellen und dann abwarten, ob sie eintritt oder nicht. Aber was, wenn Sie diese wahrscheinlichste Zukunft gar nicht wollen? Wenn sie eine Katastrophe ist? Wenn sie ungerecht ist? Was wäre Ihnen lieber: recht zu haben oder sich selbst zu widerlegen – und das, was heute am wahrscheinlichsten erscheint, zum Besseren zu wenden?

Ja, wir wollen plausible und wahrscheinliche Zukunftsszenarien entwerfen und nutzen dafür unsere Prognosen. Aber wenn wir Glück haben, kann uns die Beobachtung künftiger Risiken und Herausforderungen auch dabei helfen, uns schon heute an die kreativen Lösungen dieser Probleme zu machen. Wir können unseren Weitblick nämlich nicht nur dazu nutzen, um uns auf die Zukunft einzustellen, sondern auch dazu, uns schon jetzt neue Chancen vorzustellen, innovativ zu sein und etwas zum Besseren zu verändern.

Dazu zwei Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung.

Ich nehme immer an den Simulationen teil, die ich entwickle, um mein Wissen beizusteuern und denselben Lerneffekt zu haben wie die Teilnehmer. Während der Superstruct-Simulation des Jahres 2008 überlegte ich, was ich während einer Pandemie tun könnte, um anderen Menschen zu helfen. Was könnte ich mit meinen einmaligen Fähigkeiten und Erfahrungen bewirken?

Also überlegte ich, wie mein Beitrag als Spieleentwicklerin aussehen könnte. Mir fiel ein, dass das Stereotyp der Daddler, die den ganzen Tag allein zu Hause vor dem Bildschirm hocken, während einer Pandemie sogar ein vorbildliches Verhalten sein könnte. Während der Ausbreitung eines gefährlichen Erregers raten Gesundheitsexperten schließlich: »Bleiben Sie zu Hause! Allein!«

Also beschrieb ich ein hypothetisches Spielprojekt, das mein künftiges Ich entwickelte – eine Art virtueller Tanzklub, in dem man sich online treffen und vor der Webcam mit anderen tanzen konnte, als eine Möglichkeit, zu Hause und in Kontakt zu bleiben. Diese Idee legte ich in der Datenbank der Simulation ab, die andere Spieler nach Anregungen für eigene Projekte durchsuchen konnten. Schon bald kontaktierte mich eine Mitarbeiterin der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC, die ebenfalls an Superstruct teilnahm und der die Idee des Tanzklubs gefiel. In echten Pandemien seien reale Clubs oft regelrechte Virenschleudern, schrieb sie mir. Sie könne sich vorstellen, dass Seuchenschützer während einer echten Pandemie mit Spieleentwicklern zusammenarbeiten und Spiele verbreiten könnten, die während der Phasen hoher Ansteckung zum Zuhausebleiben animieren. Im weiteren Verlauf der Simulation tauschten wir uns darüber aus, wie Behörden und Spieleentwickler in Zukunft zusammenarbeiten und Ärzte Spiele verschreiben könnten, um die Patienten zu motivieren, das Haus nicht zu verlassen. Es war eine faszinierende Unterhaltung, doch ich hatte keine Ahnung, dass sie mich kaum ein Jahr später zu einem Projekt inspirieren würde, das mein Leben verändern sollte.

Neun Monate nach dem Ende der Simulation erlitt ich ein Schädeltrauma, das mein Leben buchstäblich auf den Kopf stellte. Mein Gehirn war wie vernebelt, ich litt unter starken Kopfschmerzen, Schwindel und Gedächtnisverlust. Die Symptome hielten sich hartnäckig, obwohl ich mir viel Ruhe gönnte. Monatelang hatte ich Panikattacken und schwere Depressionen und dachte sogar an Selbstmord. Auf dem Tiefpunkt beschloss ich, ein Spiel zu entwickeln, um mich selbst zu kurieren. Ich wusste, dass Spiele Motivation, Optimismus, Aufmerksamkeit, Kreativität und Zusammenarbeit fördern können, und das alles brachte ich ein. Es funktionierte. Ich beschrieb dieses Spiel namens SuperBetter in einem TED-Talk, der bis heute über sieben Millionen Mal angeklickt wurde, in einem Bestseller mit demselben Titel und in einer App, die mehr als einer Million Menschen geholfen hat, ihre gesundheitlichen Probleme in den Griff zu bekommen. Vielleicht haben Sie ja davon gehört – aber was Sie nicht wissen: Ich hatte nur deshalb das Selbstbewusstsein, anderen von meinem Spiel zu erzählen und später eine App daraus zu machen, weil ich zuvor mit einer Wissenschaftlerin der Gesundheitsbehörde darüber gesprochen hatte. Mit ihrer Begeisterung für meine Vision der Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Spieleentwicklern und ihrer Bereitschaft, den schrägen Gedanken des Videospiels auf Rezept ernst zu nehmen, hatte sie die Saat gelegt. Nur deshalb konnte ich mir vorstellen, dass mich jemand ernst nehmen könnte und dass es einen Versuch wert war.

Die Simulation vermittelte mir eine Vorstellung davon, welchen Beitrag ich in der wirklichen Welt leisten konnte – nicht nur im Falle einer Pandemie, sondern bei Gesundheitsproblemen ganz allgemein. Als sich dann die Gelegenheit bot, war ich bereit. Ich würde mir wünschen, dass das Zukunftsdenken ein ähnliches Geschenk für Sie ist: die Chance, schon jetzt kreativ und selbstbewusst darüber nachzudenken, was Sie unternehmen, welche Lösungen Sie beisteuern und wo Sie anpacken können.

Meine Teilnahme an der Simulation bescherte mir noch ein weiteres bedeutsames und sehr persönliches Aha-Erlebnis. Zu Beginn der Superstruct-Simulation sollten wir Teilnehmer auf unserem sozialen Netzwerk ein Zukunftsprofil anlegen. Dazu sollten wir zunächst die üblichen Fragen beantworten – Alter, Wohnort, Familienstand, Kinder, Beruf, Vereine und so weiter. Das Schwierige war, dass ich diese Fragen für mein künftiges Ich beantworten sollte, das noch zehn Jahre entfernt war. Als ich das Profil ausfüllte, schrieb ich etwas, mit dem ich mich selbst überraschte. Ich schrieb nämlich, dass ich mit meinem Mann Kiyash – mit dem ich damals bereits verheiratet war – und meiner siebenjährigen Tochter Pepper zusammenlebte. Ich sah sie lebhaft vor mir – ein munteres und verspieltes Mädchen, das dann tatsächlich zehn Jahre später im Mittelpunkt unserer Abenteuer stand.

Doch 2008, als wir die Simulation durchführten, hatten mein Mann und ich keine Kinder. Wir waren seit drei Jahren verheiratet und hatten es nicht eilig damit, eine Familie zu gründen. Wir hatten noch keine konkreten Pläne, und ich hatte nie daran gedacht, Kinder zu bekommen. Doch als ich mir für die Simulation eine Tochter vorstellte, erschien sie mir ganz real. Sie spielte eine wichtige Rolle in dem Leben, das ich führen wollte. Ich sah sie deutlich vor mir: Pepper, die es noch gar nicht gab, die aber in meinem weiteren Leben einen zentralen Platz einnahm. Nur indem ich den Fragebogen ausfüllte, hatte ich etwas über mich erfahren, was mir bis dahin nicht bewusst war. Zu meiner eigenen Verwunderung wollte ich Mutter werden.

Die Erkenntnis kam zum rechten Zeitpunkt. Für die Gründung unserer Familie sollten viele Jahre und künstliche Befruchtungen nötig sein. Sieben Jahre nachdem ich mir eine Tochter vorgestellt hatte, wurde ich schließlich Mutter von Zwillingstöchtern, und das ist das Beste, was mir je passiert ist. Ich weiß nicht, ob wir es geschafft hätten, wenn wir nicht so viel Zeit gehabt hätten, um die erträumte Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen.

Natürlich konnte ich mit meinen Erkenntnissen die Coronapandemie nicht aufhalten. Ich konnte nicht einmal verhindern, dass ich mich selbst infizierte – auch wenn ich mich als gute Zukunftsforscherin natürlich frühzeitig ansteckte: Anfang 2020, als noch niemand so richtig wahrhaben wollte, dass das Virus bereits in den Vereinigten Staaten angekommen war. Aber im Vergleich zu anderen verspürte ich während der langen Pandemie sicherlich weniger Angst, denn ich fühlte mich gut vorbereitet. Was ich mir während der Superstruct-Simulation ausgemalt hatte, gab meinem Leben und meiner Zukunft zweifellos eine Wende zum Besseren. Es half mir vorherzusehen, was ich wirklich wollte. Und es vermittelte mir das Zutrauen, dass ich anderen helfen konnte, in einem Ausmaß, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Wenn wir uns vorstellen, wie wir Einfluss auf die Zukunft nehmen können, verstehen wir auch besser, wie wir unsere eigene Zukunft in die Hand nehmen können.

Deshalb trägt dieses Buch den Titel Bereit für die Zukunft. Es soll Sie zum einen in die Lage versetzen, sich die »undenkbaren« Risiken vorzustellen, auf die wir uns vorbereiten müssen, und das »unvorstellbare« Leid, das wir vermeiden wollen – um sie verhindern oder wenigstens die Auswirkungen lindern zu können. Aber ich möchte auch, dass Sie sich vorstellen, wie Sie in den nächsten zehn Jahren und darüber hinaus etwas völlig Neues und Aufregendes mit Ihrem Leben anstellen. Ich möchte, dass Sie sich vorstellen können, wie Sie der historischen Herausforderung der Zeit nach der Pandemie gewachsen sind und anderen Menschen auf eine Weise helfen können, die diesem Leid, das wir alle durchgemacht haben, mehr Sinn verleiht. Ich möchte, dass Sie sich vorstellen können, Erstaunliches zu vollbringen und Dinge zu schaffen, die Sie vor Ihrer Begegnung mit dem Zukunftsdenken für »undenkbar« und »unvorstellbar« gehalten hätten.

Es wird natürlich immer Kräfte geben, die sich unserer Kontrolle entziehen. Aber Sie sollen ja auch kein Superheld werden und die Welt vor dem Untergang bewahren. Zukunftsdenken ist keine Superkraft, und Sie müssen nicht alles und jeden retten. Zukunftsdenken ist allerdings ein unglaublich nützliches und praktisches Werkzeug, das Ihr Denken darauf einstellt, schneller auf neue Herausforderungen zu reagieren, Hoffnung und Widerstandsfähigkeit aufzubauen, Angst und Depression abzubauen, und Sie anregt, heute die Weichen für Ihr künftiges Glück und Ihren Erfolg zu stellen.

Wenn wir alle unsere kollektive Vorstellungskraft bemühen, werden wir uns schneller vom Zukunftsschock der 2020er Jahre erholen. Aber nicht, weil wir mit unseren Zukunftsprognosen recht haben. Wir werden uns schneller kurieren, weil wir nicht herumsitzen und darauf warten, was das kommende Jahrzehnt mit uns macht. Wir werden dieses Jahrzehnt gemeinsam gestalten.

Zu Beginn der Coronapandemie schrieb die indische Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy: »Frühere Pandemien haben die Menschen gezwungen, mit der Vergangenheit zu brechen und sich ihre Welt neu vorzustellen. Diese Pandemie ist nicht anders. Sie ist ein Tor, ein Durchgang von einer Welt zur nächsten.«8 Ich hoffe, dieses Buch ist auch für Sie ein Tor – von unserer aktuellen Welt, die von der langen Pandemie, der tiefen sozialen Spaltung und der Klimakrise genesen muss, zu einer Welt, in der wir neue Hoffnung schöpfen und uns auf alles vorbereitet fühlen – selbst auf Dinge, die heute unvorstellbar scheinen.

◆ ◆ ◆

Ehe wir mit dem Training loslegen, möchte ich Ihnen drei Fragen stellen, die Ihnen einen Eindruck von Ihrem jetzigen »Zukunfts-Mindset« geben.

Frage 1: Wenn Sie an die nächsten zehn Jahre denken, glauben Sie dann, dass die Dinge mehr oder weniger so bleiben, wie sie sind, und normal weitergehen? Oder gehen Sie davon aus, dass wir uns und unser Verhalten dramatisch neu denken und erfinden werden? Bewerten Sie Ihre Erwartung auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 bedeutet, dass alles gleich bleibt, und 10, dass sich fast alles dramatisch verändern wird.

Frage 2: Wenn Sie sich vorstellen, wie sich die Welt und Ihr Leben in den kommenden zehn Jahren verändern werden, sind Sie dann eher besorgt oder optimistisch? Bewerten Sie Ihre Erwartung auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 für große Sorge steht und 10 für großen Optimismus.

Frage 3: Welchen Einfluss haben Sie persönlich darauf, wie sich die Welt und Ihr Leben in den kommenden zehn Jahren verändern werden? Bewerten Sie Ihre Erwartung auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 für minimalen Einfluss steht und 10 für absolute Kontrolle.

Diese drei Fragen vermitteln Ihnen einen guten Eindruck von dem Training der Vorstellungskraft, das Sie in diesem Buch erwartet. Jeder der drei Teile des Buchs zielt darauf ab, Ihr Ergebnis in einer der drei Fragen um mindestens einen Punkt zu verbessern.

Zunächst konzentrieren wir uns auf die Möglichkeit des Neudenkens und Neuerfindens. Aber warum Neudenken und Neuerfinden? Nun, es wäre einfach, sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die sich von der Gegenwart nicht sonderlich unterscheidet. Es sind die dramatischen Brüche, die uns auf dem falschen Fuß erwischen. Deshalb ist es wichtig, sich auf Dinge einzustellen, die sich fremd und weniger vertraut anfühlen. Wenn wir uns auf Neudenken und Neuerfinden konzentrieren, sind wir außerdem besser in der Lage mitzuentscheiden, wie sich die Zukunft von der Gegenwart unterscheidet. Nach der Erfahrung der Coronapandemie wissen wir alle für den Rest unseres Lebens, dass sich fast alles quasi über Nacht verändern kann – zum Besseren wie zum Schlechteren. Wir wissen, dass es absolut möglich ist, Alltag, Arbeit, Bildung und Zusammenleben radikal auf den Kopf zu stellen, und zwar von einem Tag auf den anderen. Das verleiht unserer kollektiven Vorstellungskraft Flügel, wie sie die Menschheit in ihrer Geschichte noch nicht hatte. Wir müssen diesen Moment kreativ und strategisch nutzen.

Zweitens will ich Ihnen helfen, eine Einstellung zu finden, die Zukunftshoffnung und Zukunftssorge ins Gleichgewicht bringt. Im Institute for the Future sprechen wir davon, dass wir unsere helle Vorstellungskraft und unsere dunkle Vorstellungskraft verwenden.

Die helle Vorstellungskraft stellt die Frage: Was könnte Gutes passieren? Sie schafft Zuversicht, dass die Zukunft besser wird.

Die dunkle Vorstellungskraft stellt die Frage: Was könnte Schlechtes passieren? Sie macht uns bereit, uns künftigen Herausforderungen zu stellen.

Mit welchen Gefühlen Sie auch spontan der Zukunft begegnen, Sie werden auf jeden Fall etwas davon haben, wenn Sie das gegenteilige Gefühl zumindest ein wenig pflegen. Daher zeige ich Ihnen Techniken zum Training der Vorstellungskraft, mit denen Sie beide Seiten der Zukunft sehen können: die Gefahren, über die Sie sich zu Recht Sorgen machen, und die Chancen, die Grund für Optimismus sind.

Eines ist wichtig: Wo auch immer Sie heute mit Ihrer Zukunftserwartung stehen, es ist in Ordnung. Egal, ob Sie extrem pessimistisch, extrem optimistisch oder irgendwo dazwischen sind – seien Sie bereit, Ihre Vorstellungskraft auch in die Gegenrichtung zu öffnen, um Hoffnung und Sorgen gleichzeitig denken zu können.

Wenn Sie Ihre helle und dunkle Vorstellungskraft trainieren, könnten Sie verblüfft feststellen, dass Ihnen eine schärfere Wahrnehmung der Risiken und Ihrer Sorgen zu mehr Optimismus verhelfen kann. Wenn Sie globale Probleme besser absehen können, werden Sie insgesamt optimistischer. Das mag widersprüchlich klingen, hat aber einen guten Grund: Sie schärfen nicht nur Ihr Bewusstsein dafür, was alles schiefgehen könnte, sondern Sie sehen auch die kühnen Pläne und innovativen Lösungen, die schon heute erdacht und umgesetzt werden. Und Sie verschaffen sich eine gute Ausgangsposition, um sich und anderen zu helfen, weil Sie künftige Krisen nicht leugnen, sondern Ihnen ins Auge sehen.

Und schließlich stärken wir Ihr Zutrauen, dass Sie die Zukunft mitgestalten können. In diesem Buch geht es nicht darum, die Zukunft möglichst korrekt vorherzusehen. Es geht darum, die Zukunft zu schaffen, die Sie sich wünschen: zufriedener, gesünder, sicherer, gerechter, nachhaltiger und schöner. Daher stelle ich Ihnen auch Prognosetechniken vor, mit deren Hilfe Sie Ideen darüber entwickeln können, welchen Beitrag Sie zu einer besseren Zukunft leisten können, und zwar schon ab heute. Und ich zeige Ihnen, wie Sie Ihre Vorstellung von künftigen Veränderungen so kommunizieren können, dass andere Ihnen zuhören und sich von Ihnen inspirieren lassen. Wenn Ihnen etwas mehr Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft gibt, dann das: die Saat der Vorstellungskraft in die Köpfe von Dutzenden, Hunderten oder Tausenden Menschen zu pflanzen, die Ihnen dabei helfen, die Veränderungen herbeizuführen, die Sie sich wünschen.

Diese drei Mini-Mindsets – der Fokus auf Neudenken und Neuerfinden, der Einsatz der hellen und dunklen Vorstellungskraft sowie die Suche nach praktischem Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft – ergeben in der Summe das wichtigste Resultat des Trainings Ihrer Vorstellungskraft: dringlichen Optimismus.

Dringlicher Optimismus ist ein ausgewogenes Gefühl. Er erkennt an, dass die Zukunft tatsächlich große Probleme und Bedrohungen bringen wird, doch er ist zugleich realistisch zuversichtlich, dass wir etwas zur Lösung dieser Probleme und zum Umgang mit diesen Gefahren beitragen können. Dringlicher Optimismus bedeutet, dass Sie nicht nachts wach liegen und sich Sorgen machen über all das, was passieren könnte. Es bedeutet, dass Sie morgens aus dem Bett springen und die Energie verspüren, etwas dagegen zu unternehmen. Dringlicher Optimismus bedeutet zu wissen, dass Sie Handlungsmöglichkeiten haben und dass Sie Ihre einmaligen Talente, Fähigkeiten und Erfahrungen nutzen können, um die Welt mitzugestalten, in der Sie leben wollen.

Notieren Sie sich die Punktzahlen, die Sie in den drei Fragen von eben erzielt haben. Sie werden diesen Fragen in den drei Phasen Ihres Trainings der Vorstellungskraft wieder begegnen. Wenn ich Sie Ihnen am Ende des Buchs ein weiteres Mal stelle, können Sie die Punktzahl vergleichen und selbst sehen, wie viel Sie gelernt und wie sich Ihr Denken verändert hat. Ich habe die Hoffnung, dass die Lektüre dieses Buchs Ihren dringlichen Optimismus um mindestens einen Punkt steigert, vielleicht sogar um zwei oder drei. Wobei das nicht nur eine Hoffnung ist, sondern eine Erwartung, ausgehend von Forschungsergebnissen und von den Erfahrungen, die ich in meinen Kursen gemacht habe. Wenn ich an der Stanford University meinen Kurs zum Denken der Zukunftsforscher halte, stelle ich am Anfang und Ende genau diese Fragen, und dabei geht die Punktzahl der Teilnehmer durchweg nach oben. Auf Coursera habe ich inzwischen fast fünfzigtausend Kursteilnehmern diese Fragen gestellt, und ich kann Ihnen versichern, dass auch sie drastischere Veränderungen erwarten, optimistischer in die Zukunft blicken und größeres Zutrauen haben, diese Zukunft mitgestalten zu können.

Am meisten überzeugt mich jedoch ein Experiment von Wissenschaftlern der Weltbank, die mit dreihundert Studenten und unserem Programm EVOKE ein Zukunftsszenario für das Jahr 2026 simulierten. In diesem Experiment belegte die Hälfte der Teilnehmer (die Kontrollgruppe) ein normales Seminar zu sozialer Innovation und globalen Problemen, während die andere Hälfte an einer sechzehnwöchigen EVOKE-Simulation teilnahm und sich vorstellen sollte, was sie in einer künftigen Krise unternehmen würde, in der es unter anderem um Schlepperbanden und um Menschen ging, die durch einen Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Verglichen mit der Kontrollgruppe waren die EVOKE-Spieler optimistischer, dass sich die globalen Probleme lösen lassen. Nach der Simulation äußerten sie sich zuversichtlicher, dass sie mit ihrer Stimme und ihren Entscheidungen zu einer besseren und friedlicheren Zukunft beitragen können.9

Aber mehr noch: Die EVOKE-Spieler schärften konkrete Aspekte ihrer Vorstellungskraft, die zu Beginn und Ende der Simulation gemessen und während der Simulation durch Mitspieler bewertet wurden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserten sie ihre Fähigkeit, »Vertrautes in neuem Licht zu sehen«, »originelle Ideen hervorzubringen, Risiken einzugehen und Neues auszuprobieren« und »zukunftsorientierte Lösungen anzustoßen«. Klingt gut, oder? Wer wollte das alles nicht besser können? Vor allem war der Lernerfolg unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildung. Das heißt, die Schulung des Zukunftsdenkens und die Teilnahme an sozialen Simulationen kann alle Menschen zu optimistischen Gestaltern der Zukunft machen – also auch Sie!

Und nun auf zu unserem ersten gemeinsamen Ausflug in die Zukunft!

TEIL 1

STREIFEN SIE IHRE DENKFESSELN AB

Hoffnung heißt, sich über die Zukunft im Unklaren zu sein, sich für Möglichkeiten zu öffnen und mit ganzem Herzen für Veränderung einzutreten.

Rebecca Solnit, Historikerin und Aktivistin

Veränderung lässt sich nur verstehen, wenn man hineinspringt, mitgeht, mittanzt.

Alan Watts, Philosoph

Wachsen tut weh. Veränderung tut weh. Aber nichts tut so weh, wie an einem Ort festzustecken, an den man nicht hingehört.

Mandy Hale, Autorin

Wenn Sie an die nächsten zehn Jahre denken, glauben Sie dann, dass die Dinge mehr oder weniger so bleiben, wie sie sind, und normal weitergehen?

Oder gehen Sie davon aus, dass wir uns und unser Verhalten dramatisch neu denken und erfinden?

•  •  •  •  •

Bewerten Sie Ihre Erwartung auf einer Skala von 1 bis 10.

1 bedeutet, dass alles gleich bleibt, 10 bedeutet, dass sich fast alles dramatisch verändern wird.

1

EINE ZEITREISE IN DIE ZEHN JAHRE ENTFERNTE ZUKUNFT

Du bist nicht verrückt. Du bist nur reif für Veränderung.

Nnedi Okorafor, Autorin

Vielleicht kennen Sie den Spruch »Die Zukunft beginnt jetzt«. So knackig das klingt, es ist falsch. Die Zukunft beginnt nicht jetzt oder morgen oder nächsten Monat – zumindest nicht, wenn Sie das Beste aus Ihrer Zeitreise herausholen wollen. Sie brauchen viel mehr Zeit, wenn Sie das Beste aus der Zukunft machen wollen. Aber wann genau die Zukunft beginnt, hängt von Ihnen und Ihren Lebensumständen ab. Lassen Sie mich von einem einfachen Spiel erzählen, das ich erfunden habe. Wenn Sie mitspielen, bekommen Sie eine gute Vorstellung davon, wann die Zukunft für Sie anfängt.

Zur Einstimmung auf meine Kurse zum Zukunftsdenken spiele ich immer eine schnelle Runde »Wann beginnt die Zukunft?« Dazu frage ich die Teilnehmer: »Wenn die Zukunft eine Zeit ist, in der sich viele oder die meisten Dinge in Ihrem Leben verändert haben, wann beginnt diese Zukunft dann?« Die Teilnehmer sollen die Antwort in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren auf einen Zettel notieren. Das ist keine Scherzfrage, und es gibt auch keine falschen Antworten. In der Regel gibt es Dutzende Antworten, und alle sind richtig: in einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn Jahren, in zwanzig Jahren. (Wenn Sie mitspielen wollen, dann überlegen Sie jetzt, wie Sie diese Frage beantworten würden.) Dann bitte ich die Teilnehmer, das Blatt mit ihrer Antwort hochzuhalten, damit alle sie sehen können, und lasse sie sich dann in einer Reihe aufstellen – oder besser, einer Zeitleiste. Die Person mit der kleinsten Zahl macht den Anfang, die mit der größten den Abschluss, der Rest steht irgendwo dazwischen.

Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie groß die Bandbreite ist. Also bitte ich einige Teilnehmer, ihre Antwort zu erklären. Sie sind oft sehr persönlich. »In sechs Monaten«, sagte einmal eine Frau in einem Kurs in Stanford. Dann berichtete sie, dass ihr Mann vor Kurzem unerwartet gestorben sei. Über Nacht hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Sie empfand große Ungewissheit und wusste nicht, ob irgendetwas für längere Zeit Bestand haben würde. Das passiert immer wieder: Wer die Frage »Wann beginnt die Zukunft?« mit einem besonders kurzen Zeitraum beantwortet, hat oft gerade einen Verlust oder Schock erlitten.

Ein junger Mann, der in einem Schulworkshop »drei Monate« antwortete, hatte jedoch einen ganz anderen Grund. In drei Monaten sollte er nämlich sein Abitur bekommen, und das markierte für ihn den Anfang von etwas ganz Neuem. Das bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen: Wenn wir uns einem langfristigen Ziel nähern, öffnen wir uns für die Möglichkeit der Veränderung.10 Wir nehmen das Ende einer Reise vorweg und blicken in die Zukunft, wo ein neuer Anfang auf uns wartet.

»Fünfhunderteinundzwanzig Tage«, sagte ein anderer Teilnehmer. Er war gut im Kopfrechnen und hatte schnell ausgerechnet, dass er dann seinen dreißigsten Geburtstag feiern würde. Auch runde Geburtstage geben uns oft Anlass, große Veränderungen zu erwarten, nicht nur für uns persönlich, sondern auch in unserer Umgebung.11 Es mag ein wenig egozentrisch sein anzunehmen, dass die ganze Welt eine andere sein wird, nur weil wir uns verändern. Trotzdem ist es hilfreich, regelmäßig Momente zu setzen, in denen wir einen Umbruch forcieren.

Wann kann die Zukunft noch beginnen? »Am Dienstag, dem dritten November zweitausendzwanzig«, erwiderte jemand im Jahr 2017. »Das ist das Datum der nächsten Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten«, fügte er hinzu, offenbar in der Hoffnung, dass diese Wahl einen anderen Ausgang nehmen würde als die vorige. Nicht alle haben ein so präzises Datum im Kopf. Aber viele Menschen sehen drastische Veränderungen als eine Art regelmäßigen Prozess, sodass die Hoffnung auf etwas Neues und anderes immer am Horizont bleibt. Das können Wahlen sein oder der Saisonbeginn (für Sportfans) oder sogar die Bekanntgabe des Vogels des Jahres, wie ein Naturliebhaber unter meinen Studenten meinte.

Andererseits wissen viele meiner Kursteilnehmer gar nicht so genau, warum sie eine bestimmte Zahl nennen. »Die Zukunft beginnt in zehn Jahren – das klingt, als wäre es weit genug weg«, könnte jemand sagen. Die Zukunft ist die Zeit, die so weit weg ist, dass die Dinge wirklich anders sein können. Wann das ist, ist völlig subjektiv. Die Zukunft beginnt, wenn Sie für eine drastische Veränderung bereit sind: große Veränderungen, beängstigende Veränderungen, herbeigesehnte Veränderungen, verrückte Veränderungen.

Deswegen mag ich das Spiel »Wann beginnt die Zukunft?« Die Antworten verraten etwas über die Gefühlslage eines Menschen. Eine kurze Zeitspanne – weniger als fünf Jahre – bedeutet, dass die Betreffenden entweder sehr sensibel oder sehr offen für Veränderung sind oder dass sie sich gerade mittendrin befinden. Eine ungewöhnlich lange Zeitspanne – vierzig, fünfzig oder hundert Jahre – lässt andere Schlüsse zu: Hier fühlt sich jemand gefangen oder ist frustriert über das Tempo der gesellschaftlichen Veränderungen und kann sich nicht vorstellen, dass sich jemals etwas bewegen wird. Oder es handelt sich um einen sehr geduldigen Menschen mit Mumm und Entschlossenheit, der langfristig plant. Oder vielleicht sieht dieser Mensch auch schlicht keinerlei Notwendigkeit für Veränderungen und wünscht sich, dass alles so lange wie möglich bleibt, wie es ist. Wenn man wissen will, was zutrifft, muss man nachfragen, doch meiner Erfahrung nach lohnt es sich immer, ein Gespräch zu diesem Thema mit der Frage »Wann beginnt die Zukunft?« einzuleiten.

Bei allen Schwankungen lautet die verbreitetste Antwort auf unsere Frage nach dem Beginn der Zukunft: »In zehn Jahren«. Von den gut zehntausend Antworten, die ich inzwischen gesammelt habe, sind sich die meisten einig: Zehn Jahre reichen aus, um die Gesellschaft und mein eigenes Leben drastisch zu verändern.

Wieso sind zehn Jahre eine so magische Zahl?

Die meisten von uns haben durch eine Mischung aus eigener Erfahrung und gesellschaftlichen Gepflogenheiten verinnerlicht, dass das Jahrzehnt ein Zeitraum der Veränderung ist. Wir stellen uns unsere eigene Biografie als Abfolge von Lebensjahrzehnten vor: unsere Zwanziger, unsere Dreißiger, unsere Vierziger und so weiter. An runden Geburtstagen denken wir darüber nach, wie unser nächstes Jahrzehnt aussehen soll. Auch die Phasen unserer Gesellschaft sehen wir gern in Jahrzehnten und überlegen, wie sich die 1920er von den 1910ern unterschieden oder die 2020er von den 2010ern. Wer mehr als ein Jahrzehnt durchlebt hat oder sich mit der Geschichte beschäftigt, bekommt einen guten Eindruck davon, wie viel sich innerhalb von zehn Jahren verändern kann.

Wenn wir in die jüngere Geschichte zurückblicken, scheinen zehn Jahre tatsächlich so etwas wie eine magische Zahl zu sein. Wir finden zahllose Beispiele für neue Ideen und Handlungen, die innerhalb eines Jahrzehnts (plus/minus ein paar Monate) die Realität in vormals unvorstellbarer Weise verändert haben. Das trifft besonders auf gesellschaftliche Bewegungen zu, die Historisches erreicht haben, aber auch auf neue Technologien, die sich international durchgesetzt haben. Nehmen wir nur die folgenden Beispiele – es verging mehr oder weniger ein Jahrzehnt …

•  vom Beginn der Busboykotte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (1955) bis zur Verabschiedung der ersten Bürgerrechtsgesetze (1964);

•  von den ersten internationalen Wirtschaftssanktionen gegen das Apartheidregime Südafrikas (1985) bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung, mit der Schwarze und andere ethnische Gruppen das Wahlrecht erhielten (1996);

•  von der umstrittenen Einführung der Ehe für alle in den Niederlanden (2001) bis zu ihrer Befürwortung durch eine Mehrheit von Menschen in der Mehrzahl von Ländern (2010);

•  von der Legalisierung von Marihuana im amerikanischen Bundesstaat Colorado (2012) bis zur Entkriminalisierung in 44 Bundesstaaten (2021);

•  bis das Internet von rund 16 Millionen überwiegend wissenschaftlichen Nutzern (die meinten, dass das Netz nur dem Austausch wissenschaftlicher Daten dienen werde) auf eine Milliarde Nutzer wuchs (2001);

•  zwischen der Markteinführung des ersten iPhones (2007) und dem Tag, an dem die Mehrheit aller Menschen ein Smartphone hatte und eine neue Ära der Kommunikation anbrach (2017);

•  bis Facebook vom ersten Nutzer (2004) auf eine Milliarde tägliche Besucher kam (2015) und auf dem besten Weg war, das erste Produkt zu werden, das von einem Drittel der Menschheit genutzt wurde;

•  bis Bitcoin von einer Idee in einem Fachartikel (2008) zu einer Kryptowährung im Wert von einer Billion Dollar wurde (2019) – mehr als die drei größten Banken der Vereinigten Staaten zusammengenommen;

•  von der Gründung von AirBnB und Uber (2008) bis zu dem Tag, an dem 36 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer Teil der »Gig-Ökonomie« waren (2018);

•  bis aus der ersten Testversion von Zoom (2011) ein lebenswichtiges Lern- und Kommunikationsmedium der Coronakrise wurde (2020).

Mit anderen Worten: Dinge, die sich heute noch in der Experimentierphase befinden, können in nur zehn Jahren allgegenwärtig sein und die Welt verändern. Ein gesellschaftlicher Wandel, der heute unwahrscheinlich oder unvorstellbar erscheint, kann sich in zehn Jahren durchgesetzt haben.

Natürlich lassen sich nicht alle Veränderungen innerhalb von zehn Jahren erreichen – viele gesellschaftliche Bewegungen brauchen sehr viel länger. Und natürlich endet eine Entwicklung auch nicht in zehn Jahren. Wenn wir hier zehn Jahre in die Zukunft blicken wollen, dann nicht, weil in diesem Zeitraum alles passiert, sondern weil fast alles passieren könnte. Daher helfen uns diese zehn Jahre, Denkfesseln abzulegen. Zehn Jahre geben uns den Freiraum, über Möglichkeiten nachzudenken, die wir sonst nicht ernst nehmen würden. Wenn wir uns vorstellen sollen, wie wir mit dramatischen Brüchen konfrontiert werden oder unsere Normalität radikal überdenken, dann entspannt uns dieser Zeitraum ein wenig, denn er gibt uns genug Zeit, uns vorzubereiten. Wenn ich in meinen Kursen Zukunftsreisen unternehme, dann wähle ich daher immer einen Sprung von zehn Jahren. Zukunftsforscher wollen, dass wir uns an einen Ort begeben, an dem alles anders sein könnte – selbst Dinge, die uns heute unveränderbar vorkommen.

Wenn wir in Zeiträumen von zehn Jahren denken, dann nicht nur, weil wir eher bereit sind, uns vorzustellen, dass sich dramatische Veränderungen einstellen können. Wir sehen auch optimistischer und hoffnungsvoller auf das, was wir mit unserem Einsatz selbst verändern können. Das hängt mit einem psychologischen Phänomen zusammen, das man auch als »Zeitgeräumigkeit« bezeichnet könnte. Es entspannt und beflügelt uns, wenn wir glauben, dass wir genug Zeit haben, um wirklich etwas zu bewegen – unsere Optionen abzuwägen, einen Plan zu fassen und die Zukunft zu gestalten, so, wie wir sie wollen. Dieses Gefühl der Zeitgeräumigkeit kommt nicht auf, wenn wir nur in Tagen oder Wochen denken. Aber wenn wir zehn Jahre in die Zukunft blicken – das gibt uns so viel Zeit! Wenn wir in einem Zeitraum von zehn Jahren denken, müssen wir uns nicht hetzen. Wir haben ausreichend Gelegenheit, neue Fähigkeiten zu erwerben, Ressourcen anzulegen, Bündnisse zu schmieden, aus Fehlern zu lernen, uns von Rückschlägen zu erholen und alles zu tun, um das Bestmögliche zu erreichen. Dieses Gefühl der Fülle nimmt uns die Risikoscheu und macht uns kreativer. Wir haben genug Zeit, um mit Ideen zu spielen, Neues auszuprobieren und zu experimentieren, bis wir herausgefunden haben, was funktioniert.

Interessanterweise reagiert unser Gehirn auf weite Räume genauso wie auf weite Zeiträume. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir kreativer denken und uns ambitioniertere »Maximalziele« stecken, wenn wir in Räumen mit hohen Decken oder im Freien in einer offenen Umgebung sind.12 Mit Maximalzielen richten wir den Blick auf die Obergrenze: Was ist das beste Ergebnis, das wir uns vorstellen können? Deshalb ist der Zeitraum eines Jahrzehnts so etwas wie eine Kathedrale des Geistes: Er hebt die Decke unserer Vorstellungskraft an.

Wenn wir dagegen das Gefühl haben, dass unsere Zeit knapp ist, dann ist das so, als wären wir in einem fensterlosen Kämmerlein eingesperrt. Wir machen uns klein und schränken unsere Vorstellungskraft ein. Wir suchen Minimalziele, das heißt, wir tun gerade genug, um ein schlechtes Ergebnis abzuwenden. Ein Psychologe hat es so ausgedrückt: »Ein Maximalziel ist das Höchste, was man sich wünschen kann; ein Minimalziel ist das Allernotwendigste und gerade noch Erträgliche.«13

Haben Sie ein Gespür dafür, ob Sie morgens beim Aufstehen an Maximal- oder Minimalziele denken? Ob Sie das Gefühl haben, viel oder keine Zeit zu haben? Wenn Sie sich für Ihre Ziele (oder die Ihrer Familie, Gemeinschaft oder Organisation) einen zu engen Zeitraum vorgeben, fühlen Sie sich in der Regel gehetzt. Genau wie wenn Sie das Gefühl haben, zu viel zu tun zu haben, auch wenn wir das oft nicht kontrollieren können. Statt also Ihre Aktivitäten drastisch zu reduzieren, ist es einfacher, den Zeitraum zu verändern, in dem Sie Veränderungen erreichen wollen.

Vielleicht sind Sie es nicht gewohnt, in Zeiträumen von zehn Jahren zu planen. Oft planen wir persönliche Veränderungen von einem Jahr zum nächsten, beispielsweise mit guten Neujahrsvorsätzen. Doch mit Einjahresplänen denken Sie nicht maximal, und wenn Sie ein wichtiges Ziel innerhalb von nur einem Jahr erreichen wollen, verspüren Sie keine Zeitgeräumigkeit. Probieren Sie am kommenden Silvesterabend doch einmal etwas anderes aus. Wie wäre es mit einem Vorsatz für das nächste Jahrzehnt? Was können Sie (beziehungsweise Ihre Familie, Gemeinschaft oder Organisation) erreichen, wenn Sie sich zehn Jahre Zeit geben? Wie würde sich eine neue Gewohnheit langfristig auswirken, wenn Sie sie zehn Jahre lang pflegen? Spielen Sie mit größeren Möglichkeiten. Das mag zunächst abschreckend klingen. Sie wollen ja nicht erst in zehn Jahren anders sein, sondern so bald wie möglich! Also nehmen Sie sich ruhig weiterhin kurzfristige Veränderungen vor. Aber wenn Sie schon dabei sind, versuchen Sie gleichzeitig, Ihre Vorstellungskraft auch zehn Jahre weit zu strecken.

Wenn Sie jetzt wissen wollen, wie sich Zeitgeräumigkeit anfühlt, dann probieren Sie mal folgenden Trick: Nehmen Sie sich eine kleine Aufgabe vor, zum Beispiel dieses Buch zu Ende zu lesen, und geben Sie sich dafür zehn Jahre Zeit. Sie denken vielleicht, dass Sie es aufschieben und gar nicht lesen werden, wenn Sie so viel Zeit haben. Aber Aufschieben ist interessanterweise etwas, was wir tun, wenn wir glauben, dass wir keine Zeit haben.14 Je weniger Zeit wir für etwas zu haben glauben, desto weniger tun wir. Aber wenn wir meinen, reichlich Zeit zu haben, dann tun wir mehr. Untersuchungen zeigen, dass das völlig unabhängig davon ist, wie viel Zeit wir wirklich zur Verfügung haben. Das Entscheidende ist, ob Ihr Gehirn glaubt, dass es reichlich Zeit hat. Probieren Sie es aus. Gönnen Sie sich den Luxus von Zehn-Jahres-Deadlines. Sie werden staunen, wie viel schneller und zufriedener Sie Dinge erledigen, die Sie andernfalls vielleicht gar nicht erst in Angriff genommen hätten – nur weil Sie das Gefühl haben, reichlich Zeit und damit die Kontrolle über Ihre Zeit zu haben.

Im Ernst, probieren Sie es aus: Geben Sie sich einen Termin in zehn Jahren, bis zu dem Sie dieses Buch gelesen oder irgendein anderes kleines Ziel auf Ihrer To-do-Liste erreicht haben wollen. Im Kalender auf Ihrem Handy können Sie sich auch zehn Jahre entfernte Termine eintragen. Wenn Sie wollen, können Sie sogar einen Termin in hundert Jahren eintragen, wenn Sie sich Ereignisse vorstellen, die dann eintreten – ein Gedankenexperiment, das ich Ihnen sehr empfehlen würde!

Während Sie Ihren mentalen oder digitalen Kalender öffnen, unternehmen Sie eine Gedankenreise: Stellen Sie sich vor, es ist heute in zehn Jahren, und Sie freuen sich über … etwas. In Ihrem Kalender steht ein besonderes Ereignis – was ist es?

Um sich diese Zukunft besser vorstellen zu können, springen Sie in Ihrem digitalen Kalender auf das heutige Datum in zehn Jahren. Suchen Sie die leere Seite. Was haben Sie für heute in zehn Jahren geplant? Mit wem? Welche Kleidung tragen Sie? Was benötigen Sie dazu? Warum ist Ihnen diese Aktivität wichtig, was freut Sie daran? Und was empfinden Sie jetzt, da dieser Tag gekommen ist? Versuchen Sie, diese Fragen zu beantworten und sich den Tag so lebendig wie möglich auszumalen. Stellen Sie sich vor, wie sich Ihre Lebensumstände von Ihren heutigen unterscheiden und welchen Einfluss diese Unterschiede darauf haben, was Sie tun wollen oder können.