Besser als die Wirklichkeit! - Jane McGonigal - E-Book

Besser als die Wirklichkeit! E-Book

Jane McGonigal

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Beschreibung

Warum Computerspiele nicht blöd, sondern schlau machen

Die Menschheit spielt. Immerzu. Überall. Ununterbrochen. Über 3 Milliarden Stunden werden jede Woche weltweit mit Spielen verbracht. Und die Zahl wächst, denn immer mehr Menschen erliegen der Faszination von Computerspielen. Aber muss man deshalb klagen über Isolation und Kulturverfall? – Jane McGonigal, laut »BusinessWeek« eine der zehn wichtigsten und innovativsten Spieleentwicklerinnen der Welt, kehrt die Perspektive um und stellt die spannende Frage: Was, wenn wir die immense Kreativität, die Leidenschaft und das Engagement, das wir ins Spielen investieren, für die reale Welt nutzbar machen?

Computerspiele bieten Belohnungen, Herausforderungen und Siege, die uns die reale Welt nur allzu oft vorenthält. Aber wer sagt, dass wir das Potenzial von Spielen allein zur Wirklichkeitsflucht und zu Unterhaltungszwecken nutzen müssen? Für Jane McGonigal sind Gamer hoch kompetente Problemlöser und passionierte Teamplayer. Ihre bestechende These: Nutzen wir diese enormen Ressourcen doch, um unsere sozialen, wirtschaftlichen oder medizinischen Probleme zu lösen! Ein überwältigend neuer und überzeugender Blick auf die positive Wirkung, die im Spielen steckt – eine bahnbrechende Analyse, mit der Jane McGonigal eindrucksvoll bestätigt, dass sie von der Zeitschrift »Fast Company« zu Recht unter die »100 kreativsten Menschen der Wirtschaft« gewählt wurde!

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Seitenzahl: 613

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Jane McGonigal

besser als die

Wirklichkeit!

Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern

Aus dem Amerikanischen von Martina Gaspar

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Reality Is Broken. Why Games Make Us Better and How They Can Change The World bei The Penguin Press, New York.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier

Super Snowbright liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.

© Jane McGonigal, 2011

© 2012 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Redaktion: Timo Braun

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-09741-7

www.heyne.de

Für meinen Mann Kiyash,

der in jedem Spiel besser ist als ich.

Außer bei Werwolf.

Spiele geben uns eine Beschäftigung, wenn wir sonst nichts zu tun haben. Deshalb betrachten wir sie als »Zeitvertreib« und kleine Ablenkung, nachdem die Aufgaben des Alltags erfüllt wurden. Doch sie sind eigentlich viel wichtiger als das: Sie sind der Schlüssel zur Zukunft. Und ihre intensive Pflege ist womöglich unsere einzige Rettung.

– Bernard Suits, Philosoph1

1 Suits, Bernard. The Grasshopper. Games, Life and Utopia. Ontario: Broadview Press 2005, S. 159.

EinleitungDie zerbrochene Wirklichkeit

Wer einen Orkan herannahen sieht, sollte andere vor ihm warnen. Ich sehe einen solchen Orkan.

Im Lauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte werden Hunderte Millionen von Menschen in virtuelle Welten und Online-Spiele abtauchen. Zugleich wird das, was wir bislang in der »Wirklichkeit« außerhalb der Spielwelten getan haben, nicht mehr oder auf eine völlig andere Art und Weise stattfinden. Es ist unmöglich, einer Gesellschaft Millionen Stunden menschlicher Schaffenszeit zu entziehen, ohne dass dies gewaltige Konsequenzen mit sich bringt.

Sollte es innerhalb einer Generation so weit kommen, wird das 21. Jahrhundert meiner Einschätzung nach eine soziale Umwälzung erfahren, die um einiges radikaler verläuft als jene, die Autos, Radios und das Fernsehen zusammen verursacht haben. […] Die Flucht der Menschen aus der Wirklichkeit und dem gewöhnlichen Alltag wird einen sozialen Klimawandel auslösen, der die globale Erwärmung wie einen Sturm im Wasserglas erscheinen lässt.

– Edward Castronova,

Exodus to the Virtual World2

2 Castronova, Edward. Exodus to the Virtual World. New York: Palgrave Macmillan 2007, S. xiv-xvii. Der gekürzte Abschnitt aus dem Vorwort des Werks erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Gamer haben genug von der Wirklichkeit.

Sie entfliehen ihr scharenweise zugunsten von simulierten Welten und Online-Spielen – ein paar Stunden hier, ein Wochenende dort oder über längere Zeit hinweg jede freie Minute am Tag. Vielleicht sind Sie selbst ein Gamer. Falls nicht, kennen Sie bestimmt den einen oder anderen.

Wer sind diese Leute? Es sind Vollzeitbeschäftigte, die nach Hause kommen und mit all ihrem Geschick und Wissen, das sie am Arbeitsplatz nicht nutzen konnten, in Online-Spielen wie Final Fantasy XI oder Lineage schwierige Raids und Quests planen und durchführen. Es sind Musikliebhaber, die Unsummen in Plastikinstrumente stecken und jeden Abend bis zum Umfallen die Songs von Rock Band und Guitar Hero üben, bis sie irgendwann eine meisterhafte Performance abliefern.

Es sind die Fans von World of Warcraft, die so darauf versessen sind, jede Aufgabe in ihrem Lieblingsspiel zu lösen, dass sie gemeinsam eine Viertelmillion Einträge für das WoWWiki geschrieben und somit das größte Wiki nach Wikipedia erstellt haben. Es sind Brain-Age- und Mario-Kart-Spieler, die ohne Handheld-Konsole nie das Haus verlassen und, wo immer sie sind, kurze Rätsel, Wettrennen und Minispiele einschieben, sodass ihr Geist nahezu ununterbrochen auf Hochtouren läuft.

Es sind im Ausland stationierte US-Truppen, die jede Woche Stunden damit zubringen, ihren Leistungsstand in Halo 3 zu verbessern, sodass der Verdienst virtueller Abzeichen weithin als Lieblingsbeschäftigung in der einsatzfreien Zeit von Soldaten gilt. Es sind junge Erwachsene in China, die so viel Spielgeld, oder »QQ-Münzen«, für magische Schwerter oder andere mächtige Spielobjekte ausgegeben haben, dass die Chinesische Volksbank einschreiten musste, um die Abwertung des Yuan, Chinas echter Währung, zu verhindern.3

Vornehmlich sind es jedoch Kinder und Jugendliche aus aller Welt, die viel lieber stundenlang vor prinzipiell jedem Computer- oder Videospiel sitzen würden, als irgendetwas anderes zu tun.

Diese Gamer entziehen sich der Realität nicht gänzlich. Sie haben Jobs, Ziele, Schulaufgaben, Familien, Verpflichtungen und demnach ein echtes Leben, das ihnen wichtig ist. Doch da sie immer mehr Freizeit in Spielwelten verbringen, gewinnt man zunehmend den Eindruck, der echten Welt würde etwas abhandenkommen.

Gamer fragen sich: Wo gibt mir die echte Welt das Gefühl, in jedem Moment vollkommen aktiv, konzentriert und engagiert zu sein? Wo lässt mich die echte Welt Macht, Heldentum und Gemeinschaft erleben? Wo werde ich mit berauschenden Emotionen belohnt, wenn ich zu kreativen Bestleistungen aufgelaufen bin? Wo verspüre ich die ausufernde Freude nach einem erreichten Teamerfolg? Gamern sind diese positiven Reize im realen Leben nur gelegentlich vergönnt – in ihren Lieblingsspielen hingegen nahezu andauernd.

Die echte Welt wartet nicht so ohne Weiteres mit sorgsam vorbereiteten Belohnungen, spannenden Aufgaben und sozialen Kontakten auf, wie das in virtuellen Umgebungen der Fall ist. Die Wirklichkeit motiviert uns nicht stark genug. Sie wurde nicht so konstruiert, dass wir unser Potenzial jederzeit völlig ausschöpfen können. Sie wurde nicht von Grund auf dazu geschaffen, uns immerzu glücklich zu machen.

So entsteht bei Gamern allmählich folgender Eindruck: Die Wirklichkeit ist – anders als in Spielen – zerbrochen.

Doch das ist deutlich mehr als ein bloßer Eindruck; es ist ein Phänomen. Der Wirtschaftswissenschaftler Edward Castronova spricht von einer »Massenflucht« in Spielwelten, und aktuelle Zahlen geben ihm recht. Auf der ganzen Welt klinken sich Abermillionen von Menschen immer länger aus der Wirklichkeit aus. In den Vereinigten Staaten allein leben 183 Millionen aktive Gamer (Personen, die Umfragen zufolge von sich behaupten, »regelmäßig«, also im Schnitt 13 Stunden pro Woche, Computer- oder Videospiele zu spielen).4 Die Gemeinschaft der Online Gamer (dazu gehören Konsolen-, PC- und Handyspieler) umfasst mehr als 4 Millionen im Nahen Osten, 10 Millionen in Russland, 105 Millionen in Indien, 10 Millionen in Vietnam, 10 Millionen in Mexiko, 13 Millionen in Zentral- und Südamerika, 15 Millionen in Australien, 17 Millionen in Südkorea, 100 Millionen in Europa und 200 Millionen in China.5

Obwohl der typische Gamer meist nur ein, zwei Stunden am Tag spielt, gibt es in China bereits über 6 Millionen Menschen, die jede Woche mindestens 22 Stunden spielen, was einer herkömmlichen Teilzeitbeschäftigung entspricht.6 In Großbritannien, Frankreich und Deutschland spielen mehr als 10 Millionen »Hardcore« Gamer mindestens 20 Stunden pro Woche.7 An der Spitze dieser Wachstumskurve tummeln sich über 5 Millionen »Extreme« Gamer in den USA, die im Schnitt 45 Stunden pro Woche spielend verbringen.8

Infolge dieses Spieltriebs haben wir das Geschäft mit digitalen Spielen für Computer, Mobiltelefone und andere Systeme zu einer Industrie erhoben, die nach 2012 schätzungsweise 68 Milliarden Dollar jährlich umsetzen wird.9 Zudem wächst ein gigantisches Vermögen an geistiger Anstrengung, emotionaler Energie und kollektiver Aufmerksamkeit heran, das wir nicht auf die echte Welt, sondern auf Spielwelten verwenden.

Die unaufhaltsam wachsende Menge an Zeit und Geld, die wir in Spiele investieren, wird von besorgten Eltern, Lehrern und Politikern nervös beobachtet. Den zahllosen Technologiekonzernen hingegen, die vom boomenden Videospielmarkt im höchsten Maß profitieren, stehen Dollarzeichen in den Augen. Freilich sind immer noch fast die Hälfte aller Amerikaner Nicht-Gamer, von denen viele den Spielekonzernen mit Verständnislosigkeit und Missbilligung begegnen. Die meisten Nicht-Gamer halten Spiele für pure Zeitverschwendung. Ihre Zahl jedoch sinkt rapide.

Während wir uns mit derlei Werturteilen beschäftigen, moralische Diskussionen über das Suchtpotenzial von Spielen führen und gleichzeitig darum bemüht sind, die Industrie im großen Stil voranzutreiben, vergessen wir einen entscheidenden Punkt. Der Befund, dass auf der ganzen Welt so viele Menschen aller Altersgruppen freiwillig einen großen Teil ihrer Zeit in Spielwelten verbringen, müsste uns doch auf eine bedeutende Wahrheit hinweisen.

Diese Wahrheit lautet, dass Computer- und Videospiele in der heutigen Gesellschaft grundlegende menschliche Bedürfnisse erfüllen und dass die echte Welt diese Bedürfnisse derzeit nicht befriedigen kann. Spiele überhäufen uns mit Belohnungen, wie sie in der Wirklichkeit nicht üblich sind. Sie lehren, inspirieren und begeistern uns, wie diese es nicht vermag. Sie bringen uns näher zusammen, als es der Realität gelingt.

Und solange kein dramatischer Einschnitt diese fortschreitende Fluchtbewegung aufhält, verwandeln wir uns unaufhaltsam in eine Gesellschaft, in der ein Großteil der Bevölkerung seine Kräfte für Spiele aufspart, seine schönsten Erinnerungen aus künstlichen Umgebungen bezieht und seine wichtigsten Erfolge in simulierten Welten feiert.

Das mag schwer zu glauben sein. Für jemanden, der nicht spielt, klingt diese Prognose surreal oder nach Science-Fiction. Stürzen wir uns tatsächlich kopfüber in eine Zukunft, in der die meisten von uns ihre wichtigsten menschlichen Bedürfnisse durch Spiele befriedigen?

Sollte dies der Fall sein, so haben wir es hier nicht mit der ersten Massenflucht aus der Wirklichkeit zu tun. Die früheste schriftliche Abhandlung zum Thema »Menschen und Spiele« sind Herodots Historien, eine mehr als 3000 Jahre zurückreichende Geschichte der Perserkriege zur Zeit der griechischen Antike. Sie schildern ein nahezu identisches Szenario. Das älteste heute bekannte Spiel, ein Rechenspiel namens Mancala, wurde erwiesenermaßen schon vom 15. bis 11. Jahrhundert v. Chr. im alten Ägypten gespielt. Doch erst Herodot kam auf die Idee, den Ursprung und die kulturellen Funktionen von solchen Spielen zu erforschen. Aus seinem historischen Text können wir ungemein viel über die heutigen Vorgänge lernen – und darüber, wie sich mit größter Wahrscheinlichkeit die Dinge entwickeln werden.

Es mag nicht sofort ersichtlich sein, warum es sich lohnt, die Zukunft mit Blick auf die Vergangenheit zu betrachten. Doch als Forschungsleiterin am Institute for the Future (IFTF) – einer gemeinnützigen Denkfabrik in Palo Alto, Kalifornien, und der weltweit ältesten Organisation, die sich mit Zukunftsprognosen beschäftigt – habe ich eine wichtige Sache gelernt: Um vorausschauen zu können, muss man zurückblicken. Technologien, Kulturen und Klimaverhältnisse mögen sich ändern, doch die grundlegenden Wünsche und Bedürfnisse des Menschen – überleben, für die eigene Familie sorgen, ein glückliches, zweckgerichtetes Leben führen – bleiben bestehen. Am IFTF heißt es: »Wer die Zukunft begreifen will, muss mindestens doppelt so weit in die Vergangenheit reisen.« Was Spiele betrifft, können wir zum Glück noch weiter zurückgehen. Spiele sind schon seit Tausenden von Jahren ein elementarer Bestandteil der menschlichen Zivilisation.

Herodot schreibt im ersten Buch seiner Historien:

Zur Zeit des Königs Atys, des Sohnes des Manes, herrschte in ganz Lydien große Hungersnot. Eine Zeitlang ertrugen sie die Lyder geduldig. Als sie aber immer länger dauerte, suchten sie Abhilfe, und jeder ersann etwas anderes. Damals wurden das Würfel-, das Knöchel- und das Ballspiel und alle anderen Arten von Spielen erfunden. […] Durch diese Kurzweil vertrieben sie den Hunger, indem sie einen ganzen Tag hindurch spielten, um die Esslust nicht aufkommen zu lassen. Den nächsten Tag wieder aßen sie und spielten nicht. So lebten sie 18 Jahre lang.10

Wie hängen nun uralte Würfel aus Schafsknöcheln mit der Zukunft von Computer- und Videospielen zusammen? Enger, als Sie glauben mögen.

Herodot prägte unser heutiges Geschichtsverständnis nachhaltig. Die Aufgabe der Geschichte bestand für ihn darin, ethische Maßstäbe und moralische Probleme anhand konkreter Erfahrungswerte erkennbar werden zu lassen. Herodots Erzählung über die 18 Jahre währende Hungersnot, die dank Spielen überstanden wurde, könnte wahr oder auch erfunden sein, wie viele moderne Historiker vermuten. Gleichwohl verraten uns die geschilderten moralischen Hintergründe eine Menge über das Wesen von Spielen.

Oft bezeichnen wir Hingabe an Spielerlebnisse als »Eskapismus«, als passiven Rückzug aus der Wirklichkeit. Doch in Herodots Historien sehen wir, dass Spiele eine sinnspendende, wohlüberlegte, aktive und vor allem eine äußerst nützliche Flucht sein können. Das regelmäßige gemeinsame Spiel gab den Lydern die Möglichkeit, sich schwierigen Umständen leichter anzupassen. Das Leben gestaltete sich erträglicher – einer hungernden Bevölkerung vermittelten die Spiele in Zeiten der Schwäche das Gefühl von Stärke, und in einer chaotischen Umgebung stifteten sie Ordnung. Sie sorgten für ein angenehmeres Leben, obwohl die Gesamtsituation an sich aussichtslos und kaum auszuhalten war.

Machen wir uns nichts vor: Wir unterscheiden uns kein bisschen von den alten Lydern. Auch heute leiden viele von uns an einem riesigen, alles verzehrenden Hunger. Nur hungern wir nicht nach Nahrung, sondern wir hungern danach, an der Welt um uns herum intensiver und umfassender beteiligt zu sein.

Wie die alten Lyder haben viele Gamer bereits herausgefunden, wie sie die immersive Kraft von Spielen nutzen können. Sie hungern nach einer befriedigenden Arbeit, nach einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl und einem bedeutungsvolleren Alltag. Die Spiele befriedigen diesen Hunger und helfen ihnen, sich davon abzulenken.

Die Welt verbringt momentan jede Woche mehr als drei Milliarden Stunden mit Spielen. Ja, wir haben Hunger. Und die Spiele ernähren uns.

Folglich stehen wir vor einer wichtigen Entscheidung.

Wir können weiterleben wie bisher und unseren großen Hunger mit mehr und mehr Spielen stillen. Und der Spieleindustrie dabei zusehen, wie sie immer größere, immer bessere und immer faszinierendere virtuelle Welten erzeugt und uns immer spannendere Alternativen zur Wirklichkeit liefert.

In diesem Fall wird die Flucht aus der Wirklichkeit zweifellos andauern. Schließlich steuern wir bereits auf eine Welt zu, in der viele Menschen, ganz wie die alten Lyder, die Hälfte ihrer Zeit spielen. Und viele würden fragen, was denn so schlimm daran sei, in Anbetracht all der im Lauf der nächsten Jahrzehnte zu erwartenden Probleme dem Vorbild der Lyder zu folgen.

Oder aber wir können den Kurs ändern. Können versuchen, Gamer an ihrer Flucht vor der Wirklichkeit zu hindern, indem wir Videospiele von Kindern fernhalten oder kulturellen Druck ausüben, der die Menschen von einem Rückzug in virtuelle Welten abschreckt; oder, wie einige amerikanische Politiker bereits vorschlugen, indem wir hohe Steuern auf Spiele erheben und sie somit in ein unbezahlbares Luxusgut verwandeln.11

Um ehrlich zu sein, möchte ich weder in der ersten noch in der zweiten beschriebenen Zukunft leben.

Warum sollten wir das Potenzial von Spielen auf eskapistische Unterhaltungszwecke reduzieren?

Warum sollten wir das Potenzial von Spielen gänzlich vergeuden und das gesamte Phänomen eindämmen?

Wir müssen eine dritte Option finden. Wie wäre es, wenn wir den Absprung wagen und etwas völlig Neues ausprobieren, anstatt weiter auf dem schmalen Grat zwischen Spielen und Wirklichkeit unsicher hin und her zu balancieren?

Was wäre, wenn wir all das Wissen nutzen, das uns im Hinblick auf Spieledesign zur Verfügung steht, um die zerbrochene Wirklichkeit wiederherzustellen? Was wäre, wenn wir den Alltag spielerischer gestalten, Betriebe und Kommunen wie Spieleentwickler leiten und die Lösung realer Probleme wie Computerspieltheoretiker angehen würden?

Stellen Sie sich einmal eine nahe Zukunft vor, in der die meisten Bestandteile der realen Welt wie Spiele funktionieren. Meinen Sie, es wäre möglich, eine solche Zukunft zu schaffen? Würden wir damit vielleicht eine Wirklichkeit kreieren, in der wir glücklicher leben? Und auf diese Weise womöglich die Welt zu einem besseren Ort machen?

Wenn ich über diese potenzielle Zukunft nachdenke, erscheint sie mir keinesfalls hypothetisch. Ich habe sogar schon diejenigen, die mit Spielen ihr Geld verdienen, zur praktischen Umsetzung dieses Szenarios aufgefordert. Denn die nötige Initiative muss aus den Kreisen der Spieleentwickler kommen – zu denen ich übrigens seit zehn Jahren ebenfalls gehöre. Und ich glaube, dass jemand, der weiß, wie man Spiele designt, sich der Aufgabe widmen sollte, möglichst vielen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Zu dieser Überzeugung bin ich nicht von heute auf morgen gelangt. Es gingen gut zehn Jahre Forschung und die Beteiligung an einer Reihe zunehmend ambitionierterer Spieleprojekte voraus.

2001 begann meine Laufbahn am äußersten Rand der Spieleindustrie für kleine Start-up-Unternehmen und experimentelle Designlabore. Meistens entwarf ich ohne Bezahlung Rätsel und Missionen für Computer- und Handyspiele mit kleinem Budget. Ich war mehr als zufrieden, wenn sie von ein paar hundert oder – wenn ich richtig Glück hatte – von ein paar tausend Menschen gespielt wurden. Diese Personen beobachtete ich ganz genau. Ich behielt sie ständig im Auge, während sie spielten, und befragte sie hinterher über ihr Erlebnis. Mir war bis dato nicht einmal annähernd klar, worin eigentlich die Macht besteht, die Spiele auf uns ausüben.

In dieser Anfangsphase war ich zudem als »hungernde« Doktorandin an der University of California in Berkeley eingeschrieben, um im Fachbereich Performance Studies zu promovieren. In diesem Zweig war ich die Erste, die sich intensiver mit Computer- und Videospielen befasste. Deshalb musste ich viel improvisieren und verschiedene Erkenntnisse aus der Psychologie, der Kognitionswissenschaft, der Soziologie, der Wirtschafts- und Politikwissenschaft sowie der Performancetheorie zusammentragen, um in allen Einzelheiten bestimmen zu können, wie ein gutes Spiel funktioniert. Besonders interessierte mich die Frage, ob und wie Spiele alltägliche Denk- und Handlungsweisen verändern. Damit hatten sich damals, wenn überhaupt, nur wenige Forscher auseinandergesetzt.

Aus meiner Arbeit gingen zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen (einschließlich einer 500 Seiten langen Dissertation) hervor, in denen ich untersuchte, wie wir die Macht von Spielen nutzen können, um Regierungsformen, das Gesundheitssystem, das Bildungswesen, die klassischen Medienbereiche, Marketingmethoden oder das Unternehmertum neu zu erfinden. Ich gelangte sogar zu dem Schluss, mit Spielen lasse sich Weltfrieden erzielen. Immer öfter engagierten mich große Konzerne und Organisationen, um ihnen bei der Übertragung von Spieledesign in innovative Unternehmensstrategien zu helfen – zu nennen wären die Weltbank, die American Heart Association, die National Academy of Sciences, das US-amerikanische Verteidigungsministerium, McDonald’s, Intel, die Corporation for Public Broadcasting und das Internationale Olympische Komitee. In diesem Buch werden Sie einiges über die Spiele erfahren, die ich gemeinsam mit obigen Partnern kreiert habe. Zudem gebe ich Aufschluss über die Absichten und Konzepte, die dem Design meiner Spiele zugrunde liegen.

Die Idee zu diesem Buch entstand im Frühjahr 2008, als ich gebeten wurde, auf der Game Developers Conference, dem wichtigsten Treffen der Entwicklerbranche, den alljährlichen »Rant« zu übernehmen. Diese nett gemeinte Schimpftirade soll ein Weckruf sein und dazu dienen, die Industrie wachzurütteln. Mithin zählt der Rant zu den beliebtesten Programmpunkten bei der Konferenz. In jenem Jahr war der Saal bis auf den letzten Stehplatz mit über 1000 der weltweit besten Spieleentwickler gefüllt. In meinem Rant führte ich jene Theorie aus, über die Sie eben gelesen haben: dass die Wirklichkeit zerbrochen sei und dass wir Spiele erfinden müssen, die sie wiederherstellen könnten.

Als ich fertig war, wollten der Applaus und die Jubelschreie gar nicht mehr aufhören. Ich hatte eigentlich befürchtet, dass meine Kollegen ablehnend reagieren würden. Doch stattdessen schien ich einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben. Jeden Tag erhielt ich E-Mails von Leuten, die von meinem Rant gehört oder die Mitschrift im Internet gelesen hatten und mir Unterstützung anboten. Einige waren erst vor Kurzem in die Branche eingestiegen und wussten nicht recht, wie sie anfangen sollten. Bei anderen handelte es sich um führende Persönlichkeiten der Szene, die ernsthaft danach strebten, die Richtung des Mediums nachhaltig zu verändern. Scheinbar über Nacht wurde Kapital beschafft und wurden Start-up-Unternehmen gegründet, die inzwischen Hunderte von Spielen entwickeln, mit deren Hilfe die Wirklichkeit positiv verändert werden soll. Ich würde natürlich niemals behaupten, allein für diesen Umschwung verantwortlich zu sein. Ich war nur zufällig eine der Ersten, die seine Notwendigkeit erkannten und ihn seitdem mit lauter Stimme forderten und unterstützten.

2009 wurde ich wieder zur Game Developers Conference eingeladen, um einen Vortrag darüber zu halten, was Spieleentwickler in den nächsten Jahren leisten müssen, um die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, neu zu erfinden. Es überraschte mich kaum, dass sich die gefragtesten Präsentationen in diesem Jahr mit Themen wie »Spielen für den individuellen und sozialen Wandel«, »Serious Games« und »Spielen für den Umweltschutz« befassten. Wohin ich auch blickte, durfte ich feststellen: Mein Wunsch, die Macht von Spielen für etwas Größeres zu nutzen, hatte offensichtlich längst weite Kreise gezogen. Und plötzlich erschien mein großer Traum, in den nächsten 25 Jahren einen Spieleentwickler den Friedensnobelpreis gewinnen zu sehen, gar nicht mehr so absurd.

Wenn ich mir die bemerkenswerte Arbeit jener Entwickler betrachte, die die Welt verändern wollen, glaube ich fest daran, dass wir die noch junge Geschichte der Spiele des 21. Jahrhunderts umschreiben können.

Vor gut 2500 Jahren blickte Herodot zurück in die Vergangenheit und erkannte, dass die Griechen mit den ersten Spielen, an denen sie sich versuchten, zweifelsohne das Leid zu lindern beabsichtigten. Ich blicke nach vorn und sehe eine Zukunft, in der Spiele erneut darum bemüht sind, die Lebensqualität eines jeden Menschen zu steigern, Leid zu verhindern und echte Glücksgefühle zu erzeugen.

Herodot stellte bei seinem Blick in die Vergangenheit fest, dass Spiele großflächig angelegte Systeme seien, die riesige Menschenmengen organisieren und ganze Bevölkerungsgruppen widerstandsfähiger machen sollten. Ich schaue in eine Zukunft, in der Mehrspieler-Games wiederum dazu dienen, unsere Gesellschaft besser zu strukturieren und Ziele zu erreichen, die uns bislang noch unmöglich erscheinen.

Herodot betrachtete Spiele als originelles, erfinderisches und effektives Mittel, um einer sozialen Krise beizukommen. Auch ich sehe Spiele als potenzielle Lösung für die dringlichsten Probleme der Menschheit. Herodot wusste, dass Spiele unsere stärksten Überlebensinstinkte ankurbeln. Ich bin mir sicher, dass sich Spieler abermals einen Entwicklungsvorsprung anderen gegenüber verschaffen werden.

Herodot zeigte auf, dass die Griechen ihre Spiele als virtuelle Taktik im Kampf gegen eine kaum auszuhaltende Hungersnot konzipierten. Ich blicke in eine Zukunft, in der Spiele erneut unseren Hunger stillen werden – einen Hunger danach, gefordert und belohnt zu werden, kreativ und erfolgreich zu sein und sich im gesellschaftlichen Miteinander als Teil von etwas Größerem zu fühlen. Und ich sehe eine Zukunft, in der Spiele die Menschen dafür mobilisieren, sich verbindlich in ihrer Umwelt einzubringen.

Die Geschichte der Computer- und Videospiele handelt von Spieledesignern, die in der Gesellschaft eine äußerst einflussreiche Position einnehmen. Ihre Kompetenz liegt nämlich darin, in die Herzen und Köpfe vieler Menschen vorzudringen und deren Tatkraft und Aufmerksamkeit ihrem Wunsch gemäß zu lenken. Die heutigen Game-Designer können mit dieser Macht äußerst geschickt umgehen, zweifellos besser als jeder Spieleentwickler vor ihnen. Seit 30 Jahren feilen sie an ihrem Handwerk und ihren Strategien. Von daher scheint es nur logisch, dass immer mehr Menschen sich zu Computer- und Videospielen hingezogen fühlen und im Lauf ihres Lebens immer mehr Zeit mit ihnen verbringen.

Es erstaunt mich, dass einige Leute keinerlei Interesse an diesem Sachverhalt zeigen, ihn weder verstehen noch darüber nachdenken wollen, wie wir ihn fruchtbar gestalten könnten. Sie würden niemals zu einem Buch über Spiele greifen, da sie glauben, bereits ganz genau zu wissen, wozu Spiele gut sind: Sie sind lediglich dazu da, Zeit zu vertrödeln, das echte Leben auszublenden und es auf diese Weise zu verpassen.

Diejenigen, die Spiele weiterhin ignorieren, werden in den kommenden Jahren gravierende Nachteile davontragen. Wer meint, Spiele seien weder Zeit noch Aufmerksamkeit wert, der kann auch nicht herausfinden, wie weit ihr Machtpotenzial für die eigene Gemeinde, das eigene Unternehmen oder das eigene Leben nutzbar ist. Diesen Menschen wird es wesentlich schwerer fallen, die Zukunft mitzugestalten. Und deshalb versäumen sie einige höchst vielversprechende Gelegenheiten, Probleme zu lösen, neue Erlebnisräume zu schaffen und die Wirklichkeit wiederherzustellen.

Erfreulicherweise schließt sich die Lücke zwischen Gamern und Nicht-Gamern langsam. In den Vereinigten Staaten, dem größten Spielemarkt der Welt, sind die Gamer bereits in der Überzahl. Hier einige aktuelle und einschlägige Ergebnisse aus der jährlich von der Entertainment Software Association veröffentlichten Studie zum Spielerverhalten – dem größten und anerkanntesten Marktforschungsbericht seiner Art:

69 Prozent aller Haushaltsvorstände spielen Computer- und Videospiele.

97 Prozent aller Jugendlichen spielen Computer- und Videospiele.

40 Prozent aller Gamer sind Frauen.

Jeder vierte Spieler ist älter als 50.

Der durchschnittliche Spieler ist 35 und spielt bereits seit zwölf Jahren.

Die meisten Gamer glauben, dass sie ihr ganzes Leben lang weiterspielen werden.12

2009 berichtete die wissenschaftliche Fachzeitschrift Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, dass 61 Prozent aller von ihr befragten leitenden Angestellten wie Geschäftsführer oder Finanzvorstände zugeben würden, bei der Arbeit täglich kurze Pausen zum Spielen einzulegen.13

Diese Zahlen verdeutlichen, wie schnell sich eine Spielekultur durchsetzen kann. Rund um die Welt – von Österreich, Brasilien und den Vereinigten Arabischen Emiraten bis hin zu Malaysia, Mexiko, Neuseeland und Südafrika – boomen Spielemärkte vor völlig unterschiedlichen demografischen Hintergründen. Im Lauf der nächsten Jahre werden diese neuen Märkte sich den auf dem Spielesektor führenden Ländern wie Südkorea, USA, Japan oder Großbritannien immer weiter annähern und vielleicht sogar mit ihnen gleichziehen.

Der Spielejournalist Rob Fahey verkündete 2008 freudig: »Es lässt sich nicht vermeiden: Bald sind wir alle Gamer.«14

Wir müssen diese wachsende Mehrheit ernst nehmen – wir leben in einer Welt voller Spiele und Gamer. Also müssen wir jetzt entscheiden, was für Spiele wir gemeinsam entwickeln wollen und wie wir sie gemeinsam spielen können. Wir brauchen einen Plan, um zu bestimmen, wie Spiele die Gesellschaft und das echte Leben beeinflussen dürfen. Wir brauchen ein Grundkonzept, an dem wir uns orientieren, wenn wir diese Entscheidungen treffen und Pläne entwerfen. Ich hoffe, mein Buch kann ein solches Konzept liefern. Geschrieben habe ich es für alle Gamer und solche, aus denen irgendwann Gamer werden – also im Prinzip für jeden Menschen auf der Welt. Dieses Buch hilft Ihnen zu verstehen, wie Spiele funktionieren, warum Menschen so fasziniert von ihnen sind und wie wir sie für die echte Welt nutzen können.

Wenn Sie selbst spielen, brauchen Sie deswegen kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Sie haben mit Spielen keine Zeit verschwendet, sondern sich über all die Jahre hinweg einen virtuellen Erfahrungsschatz aufgebaut, der Ihnen, wie die erste Hälfte des Buchs verdeutlicht, einiges über Ihr wahres Selbst beibringen kann: wo Ihre größten Stärken liegen, was Sie am meisten motiviert und was Sie rundum glücklich macht. Darüber hinaus werden Sie sehen, dass Sie sich Denk-, Organisations- und Verhaltensweisen angeeignet haben, mit denen Sie in der Lage sind, die Welt zu verändern. Und dieses Buch zeigt Ihnen zahlreiche Wege auf, wie Sie das Ganze in der Wirklichkeit positiv anwenden können.

Falls Sie bisher eher wenig mit Spielen in Berührung gekommen sind, ist dieses Buch eine gute Starthilfe, um sich näher mit dem wichtigsten Medium des 21. Jahrhunderts zu beschäftigen. Nach der Lektüre sind Sie nicht nur mit den wichtigsten Spielen vertraut, die uns heute zur Verfügung stehen. Sie werden sich auch ausmalen können, welche bahnbrechenden Spiele wir in den nächsten Jahren noch entwickeln und spielen werden.

Sollten Sie kein Gamer sein, ist es gut möglich, dass aus Ihnen auch in Zukunft nicht der Typ Mensch wird, der Stunden vor einem Videospiel zubringt. Doch wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie diejenigen, bei denen dies der Fall ist, immerhin besser verstehen. Und selbst wenn Sie niemals Computer- oder Videospiele spielen, geschweige denn Spiele erfinden, wird es Ihnen von großem Nutzen sein zu wissen, wie gute Spiele funktionieren und wie man sie gebrauchen kann, um reale Probleme zu lösen.

Spieleentwickler wissen am besten, wie man Menschen zu Höchstleistungen anspornt und harte Arbeit belohnt. Sie wissen, wie man Kooperation und Kollaboration in zuvor ungeahntem Ausmaß fördert. Und sie entwerfen ständig neue Methoden, mit denen sie Spieler dazu bringen, sich noch länger und in noch größeren Gruppen an noch schwierigeren Herausforderungen zu versuchen. Ihre für das 21. Jahrhundert entscheidenden Fähigkeiten können uns allen neue Wege aufzeigen, um einen intensiven und nachhaltigen Einfluss auf unsere Umwelt auszuüben.

Spieledesign ist nicht nur technisches Geschick, sondern auch eine für das 21. Jahrhundert relevante Denk- und Führungsweise.

Antoine de Saint-Exupéry schrieb einmal:

Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.

Spiele werden im 21. Jahrhundert eine der wichtigsten Plattformen sein, die unsere Zukunft möglich machen.

Lassen Sie mich die Zukunft beschreiben, die ich gerne realisiert sehen möchte.

Anstatt Gamern immer hochwertigere und fesselndere Alternativen zur Wirklichkeit zu bieten, wünsche ich mir, dass die reale Welt durch unseren Einsatz zu einer hochwertigeren und fesselnderen Wirklichkeit wird. Ich wünsche mir, dass alle Menschen spielen, weil sie wissen, dass Spiele tatsächliche Probleme bewältigen und reale Glücksgefühle erzeugen können. Ich wünsche mir, dass alle Menschen lernen, wie man Spiele designt und entwickelt, und erkennen, dass Spiele ein effektives Medium für Veränderung und Motivation sind. Und ich wünsche mir, dass Familien, Schulen, Unternehmen, Industrien, Städte und Länder aus der ganzen Welt zusammenkommen, um zu spielen, und dass endlich mehr Spiele geschaffen werden, mit denen wir die Nöte dieser Welt angehen und die allgemeine Lebensqualität verbessern können.

Wir sollten all das, was Spieleentwickler über das Erzeugen eindrucksvoller Erfahrungen und das Organisieren von Teamstrukturen gelernt haben, aufs echte Leben übertragen. Wenn uns dies gelingt, dann sehe ich Spiele, die uns helfen, morgens gut gelaunt aufzustehen und uns freudig in den Tag zu stürzen; ich sehe Spiele, die den Stress am Arbeitsplatz reduzieren und unsere berufliche Zufriedenheit enorm steigern; ich sehe Spiele, die das Bildungssystem revolutionieren; ich sehe Spiele, die Depressionen, Fettleibigkeit, Angstzustände und ADS behandeln; ich sehe Spiele, die älteren Menschen das Gefühl geben, sich sinnvoll zu beschäftigen und mit der modernen Gesellschaft verbunden zu sein; ich sehe Spiele, die mehr demokratische Beteiligung möglich machen; ich sehe Spiele, die Probleme von globalem Ausmaß, etwa den Klimawandel oder Armut, bekämpfen; ich sehe Spiele, die die wichtigsten Begabungen des Menschen, nämlich glücklich, widerstandsfähig und kreativ zu sein, nachhaltig fördern; ja, ich sehe Spiele, die uns die Fähigkeit verleihen, die Welt im großen Stil zu verändern. Auf den folgenden Seiten erfahren Sie, dass solche Spiele tatsächlich schon in der Entwicklung sind.

Die von mir beschriebene Zukunft scheint mir erstrebenswert und logisch zugleich. Doch damit diese Vision Wirklichkeit wird, müssen wir einiges leisten.

Wir müssen die vorherrschenden kulturellen Vorurteile Spielen gegenüber beseitigen, denn sonst bleibt nahezu der halben Welt die Macht der Spiele verwehrt.

Wir müssen Hybridindustrien aufbauen und ungewöhnliche Bündnisse eingehen. Spieleforscher, -designer und -entwickler müssen gemeinsam mit Ingenieuren, Architekten, politischen Entscheidungsträgern und anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um das Potenzial von Spielen nutzbar zu machen.

Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt lautet aber: Alle Menschen müssen individuelle Spielkompetenzen ausbilden, um ihre Lebensqualität aktiv zu verbessern und für die Zukunft fit zu sein. Dazu will dieses Buch beitragen.

Im ersten Teil: Warum Spiele uns glücklich machen, erhalten Sie Einblick in die Gedanken der besten Game-Designer und Spieleforscher der Welt. Sie erfahren, welche Emotionen genau die erfolgreichsten Spiele dank sorgfältiger Programmierung hervorrufen und wie diese Emotionen positiv und auf überraschende Weise ins echte Leben und in echte Beziehungen mit einfließen können.

Imzweiten Teil: Die Wirklichkeit neu erfinden, treffen Sie auf die sogenannten Alternate Reality Games. Sie gehören zu jenem schnell wachsenden Angebot von neuen Softwareprogrammen, Dienstleistungen und Erfahrungserweiterungen, die uns im wahren Leben genauso glücklich und erfolgreich machen sollen, wie es unseren Lieblingsspielen auf virtueller Ebene gelingt. Wenn Sie noch nie von ARGs gehört haben, wird es Sie vermutlich verblüffen, wie viele Menschen diese Spiele bereits entwerfen und spielen. Hunderte von Start-up-Unternehmen und unabhängigen Entwicklern haben sich der Aufgabe verschrieben, unseren Alltag mithilfe von erstklassigem Spieledesign und Spitzentechnologien schöner zu gestalten. Und Millionen Spieler haben die Vorzüge von ARGs bereits hautnah erleben dürfen. Sie werden lesen, wie ARGs die menschliche Lebensqualität zu Hause, in der Schule oder Universität, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz heute schon steigern.

Im dritten Teil: Wie Computerspiele die Welt verändern, erhalten Sie einen Ausblick auf die Zukunft. Ich stelle Ihnen zehn Spiele vor, die entwickelt wurden, um ganz normale Menschen für die dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit zu sensibilisieren und sie aufzufordern, sich mit ihren Fähigkeiten einzubringen. Etwa ein Heilmittel gegen Krebs zu finden, den Klimawandel zu stoppen, Frieden zu verbreiten und Armut zu beenden. Sie erfahren, wie neue Plattformen und kollaborative Strukturen es jedem Menschen ermöglichen, durch bloßes Spielen eine bessere Zukunft zu schaffen.

Schlussendlich werden die Menschen, die das weltverändernde und glücksstiftende Potenzial von Spielen erkennen, unsere Zukunft maßgeblich gestalten. Und nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, sind auch Sie Experte für gutes Spieledesign. Sie werden sich ab sofort bewusster dafür entscheiden, welche Spiele Sie wann spielen. Sie werden sogar in der Lage sein, sich selbst neue Spiele auszudenken und fesselnde alternative Wirklichkeiten zu kreieren – sei es für Sie persönlich und Ihre Familie, für Ihre Freizeit, Ihre Schule oder Universität, Ihr Unternehmen, für einen ganzen Industriezweig, Ihre Nachbarschaft oder sonstige Gruppen, die Ihnen am Herzen liegen. Vielleicht lösen Sie sogar eine gänzlich neue Bewegung aus.

Wir können alles spielen, was wir wollen. Wir können jede Zukunft schaffen, die wir uns erträumen.

Lasst die Spiele beginnen.

3 »China Bars Use of Virtual Money for Trading in Real Goods.« Pressemitteilung des Handelsministeriums der Volksrepublik China, 29. Juni 2009. http://english.mofcom. gov.cn/aarticle/newsrelease/commonnews/200906/20090606364208.html.

4 »Newzoo Games Market Report: Consumer Spending in US, UK, GER, FR, NL, & BE.« Newzoo, Amsterdam, Mai 2010. http:// corporate.newzoo.com/press/GamesMarketReport_FREE_030510.pdf; »Games Segmentation 2008 Market Research Report.« The NPD Group, Mai 2010. http://www.npd.com/press/releases/press_ 100527b.html.

5 Diese regionsspezifischen Statistiken sind einer Reihe von Industrieberichten und Marktforschungsstudien aus den letzten drei Jahren entlehnt: »An Analysis of Europe’s 100 Million Active Gamers.« Strategy Analytics, September 2008. http:// www.strategyanalytics.com/reports/ix7hx8in7j/single.htm;

»IA9 Interactive Australia 2009.« Landesweite Forschung der Bond University für die Interactive Games & Entertainment Association, August 2009. www.igea.net/wp…/2009/08/IA9-Interactive-Australia-2009-Full-Report.pdf; »Online Games Market in Korea.« Pearl Research, Juli 2009. http://www. researchandmarkets.com/reportinfo.asp?report_id=1208384; »Games Market Summary: Russia.« Von Piers Harding-Rolls für Games Intelligence/Screen Digest, Juni 2010. http://www. screendigest.com/intelligence/games/russia/games_intel_russia_100/view.html?start_ser=gi&start_toc=1; »Emerging Markets for Video Games.« Chris Stanton-Jones für Games Intelligence/Screen/Digest, März 2010. http://www.screen digest.com/reports/10_03_18_emerging_markets_video_games/10_

03_18_emerging_markets_video_games/view.html; »Online Games Market in Vietnam.« Pearl Research, November 2008. http:// www.mindbranch.com/Online-Games-Vietnam-R740-14/; »Study: Vietnam, India Gaming Population To Hit 25 Million By 2014.« Pearl Research, März 2010. http://www.gamasutra.com/view/news /27525/Study_Vietnam_India_Gaming_Population_To_Hit_25Million_By_2014.php; »Gaming Business in the Middle East.« Game Power 7 Research Group, Februar 2010. http://images.bbgsite. com/news/download/gaming_business_in_the_middle_east_KOGAI_2009.pdf; Menon, Naveen. »Insights on Mobile Gaming in India.« Vital Analytics. März 2009. http://www.telecomindiaonline.com /telecom-india-daily-telecom-insightson-mobile-gaming-in-urban-india.html. »The Global Entertainment & Media Outlook: 2010-2014.« PricewaterhouseCoopers, Juni 2010. http://www.pwc .com/gx/en/global-entertainment-media-outlook.

Die Marktstatistiken ändern sich ständig; da sich jedoch weltweit starke Aufwärtstrends beobachten lassen, liegen mittlerweile in jeder genannten Region vermutlich höhere Zahlen vor.

6 »Major Findings of the 2008 Annual Review & Five-Year Forecast Report on China’s Video Game Industry.« Niko Partners Research, San José, 2. Mai 2008. www.nikopartners. com/pdf/npr_050208.pdf.

7 »Games Segmentation 2008 Market Research Report.« The NPD Group.

8 Dromgoole, Sean. »A View from the Marketplace: Games Now and Going Forward.« GameVision Europe Ltd., März 2009. http://www.scribd.com/doc/13714815/Sean-Dromgoole-CEO-Some-Research-Gamevision.

9 2009 lagen die jährlichen Ausgaben für Spiele in den Vereinigten Staaten bei 25,3 Milliarden Dollar, in Großbritannien bei 3,8 Milliarden Pfund, in Deutschland bei 3,7 Milliarden Euro und in Frankreich bei 3,6 Milliarden Euro. »Newzoo Games Market Report«.

10 Herodot: Historien. Erster Band. Deutsch von Joseph Feix. München: Heimeran Verlag 1977, S. 93.

11 Die ersten Steuern dieser Art wurden bereits 2006 in Texas und 2008 von Gesetzgebern in New Mexico beantragt. Nachzulesen unter: »Texas Politician Proposes 100 Percent Game Tax.« GameSpot, 25. Januar 2006. http://www.gamespot.com /news/6143114.html; und »New Mexico’s Videogame Nanny Tax.« CNET News, 11. Februar 2008. http://news.cnet.com/New-Mexicos-video-gamenanny-tax/2010-1043_3 6229759.html.

12 »Essential Facts About the Game Industry: 2010 Sales, Demographic and Usage Data.« Entertainment Software Association, 16. Juni 2010. http://www.theesa.com/facts/pdfs/ ESA_Essential_Facts_2010.PDF.

13 Reinecke, Leonard. »Games at Work: The Recreational Use of Computer Games During Work Hours.« Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking (ehemals CyberPsychology & Behavior), August 2009, 12(4): S. 461–65. DOI: 10.1089/cpb.2009.0010.

14 Fahey, Rob. »It’s Inevitable: Soon We Will All Be Gamers.« The Times (UK), 7. Juli 2008. http://www.timesonline.co.uk/ tol/comment/columnists/guest_contributors/article4281768.ece.

Erster TeilWarum Spiele uns glücklich machen

Soll die menschliche Evolution weitergehen, müssen wir auf die eine oder andere Weise lernen, uns an unserem Leben intensiver zu erfreuen.

– Mihály Csíkszentmihályi15

15 Csíkszentmihályi, Mihály. Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Urs Aeschbacher. Stuttgart: Klett-Cotta 1985, S. 236.

Erstes KapitelWas genau ist ein Spiel?

Heutzutage ist praktisch jeder Mensch Spielen gegenüber voreingenommen – sogar die Gamer selbst. Wir können nichts dafür. Diese Befangenheit ist Teil unserer Kultur, Teil unserer Sprache. Sie zeigt sich nicht selten darin, wie wir die Begriffe »Spiel« und »spielen« im Alltag gebrauchen.

Denken Sie nur mal an die gängige Redewendung »gegeneinander ausspielen«. Wer zwei Menschen gegeneinander ausspielt, will einen Konflikt provozieren und sich durch dessen Folgen persönlich bereichern. Wer so handelt, setzt sich über Konventionen hinweg und spielt nach eigenen Regeln. Für gewöhnlich schätzen wir ein solches Verhalten nicht. Doch wir raten anderen häufig, sich »ins Spiel zu bringen«, also in irgendeiner Form aktiv zu werden und positiv Eindruck zu schinden. Doch wer sich »ins Spiel bringt«, läuft Gefahr, die eigenen moralischen und ethischen Grundsätze zu verwerfen, um in der Gunst eines anderen zu steigen.

Wer »mit Gefühlen spielt«, manipuliert seine Mitmenschen und nutzt sie für eigene Zwecke aus. Einem solchen Menschen vertrauen wir nicht. Wir müssen uns vor derartigen »Spielern« in Acht nehmen – deshalb ermahnen wir andere, mit uns »keine Spielchen zu treiben«. Wir wollen nicht, dass jemand im Umgang mit uns eigennützige Strategien verfolgt oder uns zu seiner Belustigung um den Finger wickelt. Wir wollen nicht, dass man mit uns spielt. Und wenn wir anmerken, etwas sei »kein Spiel«, dann meinen wir, dass jemand sich leichtsinnig verhält oder eine Situation nicht ernst genug nimmt. Damit behaupten wir implizit, dass Spiele Verhaltensweisen fördern, die im wahren Leben unangebracht sind.

All diese Redensarten spiegeln freilich nicht im Entferntesten wider, was wirklich passiert, wenn wir ein gut designtes Spiel spielen. Vielmehr machen sie deutlich, wie suspekt uns Spiele grundsätzlich erscheinen. Unsere Alltagssprache verrät unsere Angst vor dem, wozu Spiele uns anstiften und was für Menschen sie aus uns machen können.

Allerdings fürchten wir uns eigentlich nicht vor den Spielen selbst, sondern nur davor, nicht mehr unterscheiden zu können, wo das Spiel aufhört und wo die Wirklichkeit beginnt.

Wollen wir die Wirklichkeit mithilfe von Spielen wiederherstellen, dann müssen wir diese Angst überwinden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie gute Spiele funktionieren, und beobachten, wie wir handeln und interagieren, wenn wir ein Spiel spielen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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