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Der 84jährige Unternehmensgründer Friedhelm Richter will das 60igste Firmenjubiläum der mittelständigen "KME GmbH" mit einer Betriebsfeier würdig begehen. Die "KME GmbH" ist ein Dienstleister im Bereich des Maschinenbaus. Richter selbst hat sich schon lange aus dem Geschäft zurückgezogen und die Leitung seinem Schwiegersohn Hubertus Kriegel übertragen. Dieser hat als ehemaliger Verkäufer für Damenmode erstens keine Ahnung von den Abläufen im Unternehmen, und zweitens auch keinerlei Interesse daran. So organisiert sich der Laden ohne jegliche Führung durch die Mitarbeiter von selbst. Zwangsläufig tanzen dann die Mäuse auf dem Tisch. Zusätzlich sorgt der Systemadministrator durch bestimmte NSA-ähnliche Aktionen für Durcheinander und Misstrauen unter den Mitarbeitern. Kriegels Sohn Gunter ist ein ziemlich erfolgloser BWL-Student, der dennoch große Ambitionen hat, als Unternehmensführer zu wirken. Der Mann hängt sich in die Geschicke der Firma mit rein und tritt arrogant auf, obwohl er wegen mieser Leistungen bereits von der Uni geflogen ist. Die Feier findet dann in einem heruntergekommenen Hotel statt, in dem dessen Direktor größte Mühe hat die Dinge in den Griff zu bekommen, da er wegen fehlender Auslastung und der damit verbundenen schlechten finanziellen Situation sowohl Rezeptionist, Koch und Reinigungskraft in Personalunion ist. Dass er dadurch in Stress gerät ist naheliegend und auch die daraus resultierenden Pannen sind verständlich. Warum das Schwimmbad zu einer Gefahrenquelle wird, der Alleinunterhalter nackt aus dem Hotel flüchten muss, der Controller Schutz in einer Jauchengrube sucht, und noch viele andere skurrile Dinge passieren, all das sind ganz eigene Geschichten, die das ungeheure Chaos dieser Veranstaltung beschreiben.
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Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Impressum
Betriebsfeier(n) bis die Hütte brennt!
oder:
Die Chronik einer total chaotischen Firmenjubiläumsfeier mit vielen skurrilen Ereignissen
Copyright: © 2014 Ronald Weißig
Published by: epubli GmbH, Berlin
Die Firma
Der Gigolo
Bettina Richter
Die Bilanzbuchhalterin
Der Strippenzieher
„Der Arsch“
Erwin Kunze
Vorbereitung des Betriebsausfluges
Das Geschäftsmodell der KME Export-Import GmbH
Das Bürohaus
Der Systemadministrator lauscht
Der Unternehmensgründer lässt sich in der Firma blicken
Die Außendienstler
Der Controller
Die Lagerarbeiter
Arbeitsanalyse
Birgit Frenzel kommt ans Ziel
Gunter Kriegels akademische Karriere endet abrupt
Der Admin startet den ersten Test
Anreise
Ankunft
Die Wanderung
Besuch im Schwimmbad
Die Eröffnung der Betriebsfeier
Das Abendbuffet
Die Party beginnt
Das Einschleimen von Ahlhaus geht nach hinten los
Muschter schwärzt den Admin und Wildmann Muschter an
Der Alleinunterhalter wird ausgeknockt
Karl Waldner will Feierabend machen
Holger Holzapfel will die Kurve kratzen
Showdown im Außengelände
Das Agreement
Die Katastrophe
Erwin Kunze hatte sich in seiner 17jährigen Betriebszugehörigkeit kontinuierlich den Ruf eines absoluten Arschlochs erarbeitet. Besonders mühselig war das nicht gewesen, denn die „KME Export-Import GmbH“ (KME stand für „Klein Maschinen Elemente“) war ein überschaubarer Betrieb, in dem so im Schnitt dreißig Leute arbeiteten und man sich demzufolge zwangsläufig fast täglich über den Weg lief und die Eigenarten der anderen zur Genüge kannte. Von dem beschäftigten Personal arbeitete die überwiegende Anzahl, nämlich so um die zwanzig Leute, jeweils in der Beschaffung und im Vertrieb im Innendienst. Diese Mitarbeiter spürten Bedarfe an Maschinenteilen auf und organisierten die Transaktionen zu den Nachfragern, so dass sie Beschaffung und Vertrieb gleichermaßen übernahmen. Fünf von ihnen hatten Kontakte zu ausländischen Firmen in der jeweiligen Landessprache. Drei Angestellte waren für das Rechnungswesen verantwortlich, vier stellten den Außendienst sicher und zwei bewirtschafteten das Lager. Dazu kamen noch die Sekretärin des Geschäftsführers, der Controller und ein Mann für die IT, der Systemadministrator. Das Geschäftsmodell der „Klitsche“, wie die Mitarbeiter ihre Brotquelle nicht sonderlich respektvoll bezeichneten, ging auf den Inhaber, Friedhelm Richter, zurück.
Richter war jetzt 84 Jahre alt und verfügte neben seiner ausgeprägten Vorliebe für unverdünnten Gin über ein weiteres herausstechendes Merkmal, nämlich eine wie im Zeitraffer zunehmende Senilität, die bei seinen häufigen Besuchen im Betrieb immer mehr sichtbar wurde. Hinter seinem Rücken nannten ihn die Angestellten recht despektierlich den „Alten Trottel“. 1930 geboren und noch mit 15 Jahren zum Volkssturm eingezogen, war der alte Mann durch und durch Pazifist, und wünschte sich eigentlich auch für seine Firma eine produktive, friedvolle und harmonische Arbeitsatmosphäre. Er lag allerdings weit daneben wenn er vermutete, dass dies tatsächlich an dem wäre.
An diesem Zustand war der von ihm als Geschäftsführer eingesetzte Hubertus Kriegel nicht ganz unschuldig. Kriegel hatte vor kurzen seinen 56. Geburtstag gefeiert und war Richters Schwiegersohn. Abgesehen davon, dass Kriegel für sein Alter mehr als passabel aussah, brachte der Mann keinerlei weiteren Talente mit, außer einem ordentlichen Handicap beim Golfspielen und einem Faible für modische und teure Anzüge. Kriegel hatte man den Spitznamen „Das tapfere Schneiderlein“ verliehen. Bettina Kriegel, seine stockhässliche Gattin, erschien mehrmals in der Woche im Büro ihres Gatten und ließ sich offensichtlich von diesem in Modefragen beraten, denn bei ihren nächsten Besuchen führte sie dann jedes Mal neue Sachen vor. Da sie mit Vorliebe protzigen Schmuck trug, wurde sie „Die Goldmarie“ genannt. Wahlweise konnte man ihr auch den Namen „Die Kleckserin“ geben, denn in unregelmäßigen Abständen tauschte sie ihre selbst gefertigten und furchtbaren Bilder in den Büroräumen aus. Manchmal kreuzte auch noch ihr Sohn Gunter in der Firma auf, der zwar das gute Aussehen von seinem Vater geerbt hatte, aber wegen seiner arroganten Art kurz und bündig „Der Arsch“ tituliert wurde.
Friedhelm Richter hatte sich nach dem Krieg in einigen Betrieben als Angestellter nützlich gemacht und bald erkannt, dass in der schnell wieder auf die Beine kommenden Wirtschaft mehr drin sein könnte, als ein schmaler monatlicher Lohn. Der junge Mann war zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen tatkräftig. Deutschland war schon immer führend im Werkzeugmaschinebau gewesen und Richter schlussfolgerte, dass dieser traditionsreiche Industriezweig das Wachstum noch weiter anfeuern würde. 1954 hatte er etwas zusammengespart (Geld konnte ihm niemand leihen, da Richter durch die Kriegsereignisse Vollwaise war) und gründete die „F. Richter Export-Import GbR“. Der einzige Angestellte zu diesem Zeitpunkt war er selbst.
In einem mit Aktenschränken vollgestopftem Büro hing Richter fast den ganzen Tag am Telefon und klapperte die Unternehmen nach Nachfragewünschen in Bezug auf Maschinenteile ab. Die Bestellungen notierte er fein säuberlich auf einer jeden Tag neu anzulegenden Karteikarte. Richter hatte stets zugesagt, die gewünschten Teile beschaffen zu können, obwohl das damals ein schwieriger Akt war. Während er durch seine Telefonate auf der einen Seite Nachfrage generierte, musste er diese auf der anderen Seite aber auch durch Lieferung befriedigen. Also rief er bei in Frage kommenden Unternehmen an. Hatte er ein Geschäft soweit vorbereiten können, schaltete er Horst Bachmann ein.
Bachmann war ein knorriger Mann von schätzungsweisen 45 Jahren und hatte im Krieg einen Unterschenkel eingebüßt, weswegen er schlecht zu Fuß war. So lag es für ihn nahe, sich mit Maschinenkraft zu bewegen. Bachmann war zudem gelernter Maschinenschlosser und hatte sich bald nach Kriegsende aus verschiedensten Teilen erst einen, und dann noch einen zweiten kleinen Laster zusammengebaut. Das war nicht einfach gewesen, aber Bachmann besaß derartig gute Improvisationsfähigkeiten, dass er Teile verschiedenster Herkunft kombinieren konnte. Der Tank seines ersten Lasters stammte beispielsweise von einem zerschossenen Wehrmachtskrad, das Lenkrad aus einer demolierten Zugmaschine. Das größte Problem waren damals die Reifen gewesen, aber irgendwie hatte sie Bachmann dann doch noch auftreiben können. Er hatte noch einen alten Kriegskameraden angeheuert und die beiden transportierten dann alles Mögliche, konnten sich aber mehr schlecht als recht über Wasser halten, weil die Nachfrage nur sporadisch war.
Das änderte sich, als Richter eines Tages einen Auftrag an Bachmann vergab. Das Teilebeschaffungsgeschäft lief immer besser an und Richter hatte zwei Leute einstellen müssen, um die Transaktionen bewältigen zu können. Da er emsig war und für sich selbst und seine Leute die Devise ausgegeben hatte, auch das Unmöglichste möglich zu machen, hatte es sich schnell rumgesprochen, dass auf Richters Firma Verlass war. Er musste demzufolge bald eine größere Bürofläche anmieten und abermals Leute einstellen. Auch Bachmann profitierte von diesem Aufschwung und konnte dann auch den ersten von ihm selbst zusammengebastelten Laster verschrotten und einen neuen kaufen.
Friedhelm Richter war bald klar geworden, dass er immer ein kleiner Krauter bleiben und eventuell von größeren Konkurrenten geschluckt werden würde, wenn er seinen Radius nur auf die Großstadt und deren Umland beschränken würde. Momentan war das zwar noch ausreichend, aber der Mann dachte weiter. 1963 stellte er zwei neue Leute ein. Paul Yates war nach dem Krieg in Deutschland hängengeblieben und nicht wie seine Offizierskameraden nach England zurückgekehrt. Dafür hatte er zwei Gründe gehabt. Das ständig miese Wetter auf der Insel und Helga Bräuer. Ähnlich war es Jean Travidue gegangen, den es aus irgendwelchen Gründen, über die er aber nie sprach, nicht mehr nach Frankreich zurückgezogen hatte. Yates sprach naturgemäß perfekt Englisch, Travidue neben Französisch noch Spanisch und Portugiesisch und konnte auch ganz gut Italienisch parlieren. Die „KME Export-Import GmbH“ streckte ihre Finger somit also schon damals vorsichtig in andere Länder aus.
Zu dieser Zeit bestand die nunmehr in eine GmbH umgewandelte Firma aus immerhin schon fünfzehn Mitarbeitern. Richter war der ganze finanzielle Kram mittlerweile über den Kopf gewachsen, so dass Katrin Beyer in das Unternehmen kam, um sich um die Buchhaltung zu kümmern. Die Bilanzsumme betrug zu diesem Zeitpunkt knapp drei Millionen D- Mark. Forderungen und Verbindlichkeiten hielten sich in etwa die Waage, so dass die Liquidität nie in Gefahr war.
Hubertus Kriegel kam 1958 als Kind einer alleinstehenden Mutter zur Welt und hatte erwartungsgemäß nicht unbedingt eine leichte und sorgenfreie Kindheit durchleben können. Geld war fortlaufend mehr als knapp, und somit wurde er auch kurzerhand in schon abgetragene Sachen gesteckt, die ihm eine Bekannte seiner Mutter dann zusteckte, wenn die eigenen Kinder aus diesen herausgewachsen waren. Kriegel kannte es gar nicht anders, als in bunt zusammen gewürfelten Arrangements herumzulaufen. Seine Mutter kam nur über die Runden, weil ihr ihre Eltern ab und an einmal einen Schein zusteckten. Später in der Schule wurde der Junge dann natürlich wegen seinem eigenartigen Bekleidungsstil gehänselt. Bereits in dieser Zeit wurde ihm klar, dass man, wenn man Geld hatte, besser wegkam. Das war zu diesem Zeitpunkt nur ein kindliches Bauchgefühl gewesen, aber als er älter wurde merkte er an vielen kleinen Begebenheiten, dass es leider tatsächlich so war.
Hubertus Kriegel war keine Geistesleuchte und ging bereits mit der 8. Klasse aus der Schule ab. Da er nicht vorhatte, sich die Hände in irgendeiner Klitsche schmutzig zu machen, schlug er eine Lehre als Schneider ein. Es kam wie es kommen musste. Kriegel war wegen seiner nur rudimentär vorhandenen mathematischen Fähigkeiten vollkommen unfähig, Teile eines Kleidungsstückes richtig auszumessen. Dazu kam noch ein fehlendes räumliches Vorstellungsvermögen. Sein Lehrmeister gab ihm nach drei Monaten entnervt den Rat, sich doch besser etwas anderes zu suchen, er könnte den vielen Verschnitt jetzt nicht mehr vor dem Chef rechtfertigen. Tatsächlich hatte Kriegel in der vergangenen Lehrzeit kein einziges Werk komplett fertigstellen können. Dennoch fühlte er sich irgendwie zur Mode hingezogen und fand dann eine Ausbildungsstelle als Verkäufer für Damenmode in einem kleinen Laden.
Dort machte er sich gut, denn was er nicht im Kopf hatte, glich er mit einem überwältigenden Charme aus. Dazu kam, dass der junge Mann ganz hervorragend aussah. In der letzten Zeit hatte er sich auf 1 Meter 85 Zentimeter gestreckt und ein schwarzer Bartschatten rahmte sein ebenmäßiges Gesicht ein. Man schrieb das Jahr 1975 und Hubertus Kriegel war wie viele andere junge Leute von der auf einer Erfolgswelle schwimmenden Band Led Zeppelin begeistert. Wie es der Zufall so wollte hatte er lange blonde Haare, die ihm wie dem Sänger Robert Plant lockig bis auf die Schultern fielen. Kriegel eignete sich den Slang der Verkäufer schnell an, denn rhetorisch war er gut. Dass er viel hohles Gewäsch von sich gab fiel den Kundinnen nicht auf, denn sie hatten eigentlich mehr Augen für den Mann, als für die auf den Kleiderbügeln hängende Ware.
Nach zwei Jahren hatte Hubertus Kriegel seine Lehre abgeschlossen und fühlte sich nunmehr zu Höherem berufen. Er wechselte sehr zum Leidwesen der Inhaberin des kleinen Ladens in ein größeres Geschäft in Innenstadtlage. Der junge Mann kam dort so gut an, dass sich die Kundinnen um ihn rissen. Wenn ein Einkauf besonders üppig ausfiel konnte Kriegel das Fahrzeug des Ladens nutzen und die Käuferin mitsamt der Sachen am Vormittag nach Hause fahren. Es handelte sich bei den gelangweilten Gattinnen von Ingenieuren oder vermögenden Handwerkern überwiegend um schon etwas ältere Jahrgänge (jedenfalls aus Kriegels Sicht, dabei waren die Frauen gerade so um die Vierzig), aber der junge Mann war auch reiferem Fleisch nicht abgeneigt. Den Beischlaf mit den Kundinnen betrachtete er sozusagen als eigenes Vergnügen während der Arbeitszeit, und zudem noch als Service des Hauses. Außerdem waren seine Bemühungen immer mit einem üppigen Salär verbunden gewesen. Da Kriegel diskret war und jeder der Kundinnen das Gefühl gab er sei nur an ihr interessiert, tanzte er auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig, ohne dass es auffiel. So langsam fühlte er sich in der Rolle des Verkäufers unterfordert und war zu der Auffassung gelangt, dass sein Betätigungsfeld eher im Bereich des Modedesign liegen würde. Also studierte er die einschlägigen Journale und fertigte zu Hause Skizzen von Entwürfen für Jacken, Hosen und Blusen an. Diese schickte er diversen Firmen zu, aber kassierte nur Absagen oder erhielt gar keine Antwort. Davon unbeeindruckt arbeitete Kriegel unverdrossen weiter und hoffte auf einen Durchbruch, der allerdings nicht eintrat.
Als er verinnerlicht hatte, dass sich sein Traum als erfolgreicher Designer wohl nicht so schnell erfüllen würde, beschloss er, wenigstens einer der Starverkäufer der Stadt zu werden. Aus diesem Grund bewarb er sich beim führenden Haus für Damenbekleidung und wurde sofort genommen, da er sich schon einen gewissen Ruf erarbeitet hatte. Kriegel machte da weiter, wo er aufgehört hatte, aber diesmal auf einem höheren Niveau. Das bedeutete konkret, dass er für die vermögenden Ärzte- und Anwaltsgattinnen als persönlicher Berater abgestellt wurde, und sich seine Tätigkeit jetzt neben dem Verkauf und dem Beischlaf um eine kulturelle Komponente erweiterte. Da die Ehemänner der Kundinnen beruflich mächtig eingespannt waren und fast alle auf einen Porsche sparten, ließen sie ihren Frauen freie Hand, ohne jedoch zu wissen, welches Maß die Bemühungen von Hubertus Kriegel mittlerweile angenommen hatten. Dieser begleitete die Frauen also nach dem Einkauf nach Hause, vögelte dann relativ lustlos mit ihnen ein bisschen herum, und ließ es sich danach noch bei einem erlesenen Essen gut gehen. Später erschien er dann noch einmal im Laden, plauderte noch ein wenig mit den anderen Angestellten, und ging nach Hause.
1989, da war er 31 Jahre alt geworden, hatte er die Lust an den immer gleich bleibenden Tätigkeiten verloren und etwas Geld aufgrund seiner Verkaufserfolge und den geheimen Salären seiner Kundinnen angespart. Konkret waren es 124.565,72 D-Mark, die auf seinem Bankkonto lagen. Als wenig später die Mauer fiel witterte Kriegel eine Chance, im Osten ordentlich Geld verdienen zu können. Er ging nach Potsdam, da sich im Umland von Berlin doch einige Leute ansiedeln würden, die Geld hatten. Er mietete einen Laden an und kaufte eine Grundausstattung von Damenbekleidung ein, die im höheren Preissegment lag. Zwar rannten ihm die Leute die Bude ein (da er einer der ersten Anbieter direkt vor Ort war), aber kaum jemand kaufte etwas, da die Preise für die Einheimischen schlichtweg zu hoch waren. Vielmehr bestellten die Interessenten lieber über Kataloge. Hubertus Kriegel saß auf einem Hocker hinter dem Verkaufstresen und auf seiner Ware. Dieser Zustand hielt knapp anderthalb Jahre an, dann musste er den Laden aufgeben.
Friedhelm Richter hatte seine spätere Frau Helga 1967 kennengelernt. Zu dieser Zeit lief die „KME Export-Import GmbH“ schon ganz gut und der 37jährige Unternehmer hatte mächtig zu tun. Er war täglich so um die zehn Stunden auf Arbeit und ging auch am Wochenende noch ins Büro, um ein paar unerledigte Sachen aufzuarbeiten. Die Arbeit war für ihn wie eine Droge, zumal sich auch erste greifbare Erfolge einstellten. Am Sonntag saß er dann abends allein in seiner Wohnung und fühlte sich einsam. Im Sommer rückte Richter allerdings gern mal in einen der vielen Biergärten der Stadt ein und beobachtete bei einigen Bieren sitzend seine Umgebung. An einem dieser Tage fiel ihm eine junge Frau von vielleicht Mitte der zwanziger Jahre in einer Gruppen von Freundinnen auf. Sie war nicht sonderlich attraktiv, aber lachte viel und verbreitete gute Laune. Richter hatte seine Ansprüche an eine Frau für sich selbst schon lange definiert. Sie musste fleißig sein, diszipliniert, ihm sexuelle Dienste leisten können und später dann eine gute Mutter werden. Erfahrungen auf sexuellem Gebiet besaß er noch keine, aber er ging davon aus, dass die Sache ja im Wesentlichen abgeschirmt im Dunkeln des Schlafzimmers stattfinden würde, und übermäßige Schönheit dann ihren Reiz wohl kaum entfalten könnte. Wozu also sollte er in der ihm nur knapp zur Verfügung stehenden freien Zeit Klimmzüge anstellen, um eine Frau zu bezirzen, die womöglich gut aussah, aber sich keinen Deut darum scherte, mit Einsatzbereitschaft etwas zu schaffen. Am Günstigsten wäre eine, die in seinem eigenen Betrieb mitarbeiten könnte. Richter traute sich an diesem Tag noch nicht, die Frau anzusprechen. Als er wieder einmal im Biergarten saß nahm die Freundinnengruppe zufällig neben ihm Platz, und die ihn interessierende Frau saß direkt neben ihm. Da sie wie üblich wild gestikulierte riss sie aus Versehen Richters Bierglas um und das Getränk kippte auf seine Hose.
„Oh, Entschuldigung“ rief die junge Frau aus, denn Friedhelm Richter war erschrocken aufgesprungen.
„Wie kann ich das bloß wieder gut machen“ fragte sie noch.
Der Mann stand hilflos mit seiner nassen Hose da und wusste nicht so recht was er antworten sollte.
„Ach, kein Problem“ stotterte Richter „die Hose tue ich zu Hause in die Waschmaschine, es ist ja weiter nichts passiert.“
„Sie“ fragte die Frau zurück „warum nicht Ihre Frau?“
„Äh, ich bin nicht verheiratet.“
„Dann kann ich Sie sozusagen als Entschädigung einmal zum Essen einladen“ lachte die junge Frau.
Friedhelm Richter war so perplex gewesen, dass er sich für den kommenden Sonntag zum Abendessen einladen ließ.
Helga Brauer war 28 Jahre alt, Sekretärin, und schon lange auf der Suche nach einen Ehemann. Sie wusste genau um ihre fehlenden fraulichen Reize und versuchte demzufolge möglichst schnell unter die Haube zu kommen. Der ganz vernünftig aussehende Mann schien ihr eine gute Beute zu sein, zumal sie dann im Gespräch mit Richter auch noch erfahren hatte, dass er eine eigene Firma besaß. Sie beschloss Nägel mit Köpfen zu machen und lud Richter kurzerhand zu sich nach Hause ein. Diesem wurde ob der Forsche der Frau immer bänger, aber er hatte auch nicht Traute, einen Rückzieher zu machen. Helga Brauer wickelte den verschüchterten Mann in den kommenden Wochen immer mehr um den Finger und bekam ihn schließlich ins Bett. Der Abend verlief nicht unbedingt desaströs, aber war bei Weitem kein Glanzlicht der Leidenschaft gewesen. Bei den folgenden Versuchen kamen sie beide besser miteinander zurecht und Richter gelangte schließlich zu der Überzeugung, dass er nicht weiter rumexperimentieren, und eventuelle Vergleiche zu anderen Frauen anstellen müsste. Ein Zurück gab es für ihn ohnehin nicht mehr, denn bereits nach drei Monaten war Helga Brauer schwanger. Sechs Wochen später wurde sie Richters Ehefrau.
Bettina Richter kam vom Aussehen her nach ihrer Mutter, sie war also keine Schönheit. Eher musste man sie ehrlicherweise als stockhässlich bezeichnen. Das pferdekopfähnliche Gesicht wurde von dünnen Haaren eingerahmt, der Hintern war mehr als breit und über einen Busen verfügte sie auch mit 18 Jahren noch nicht, wohl aber über das Abitur. Ihr Vater hätte es gern gesehen, wenn sie Interesse für die Firma gezeigt hätte, aber Bettina Richter hatte ganz andere Ambitionen. Ein nach vorgeschriebenen Regeln verordnetes Arbeitsleben kam für sie überhaupt nicht in Frage. Vielmehr wollte sie ihre künstlerischen Neigungen ausleben und teilte ihren Eltern kurzerhand mit, dass sie Malerei studieren würde. Auch der Hinweis ihres Vaters, dass man damit kaum Geld verdienen könnte schlug bei ihr nicht an, und so begann sie das Studium. Anfangs machte sie ganz gute Fortschritte, aber es stellte sich bald heraus, dass sie ziemlich talentlos war. 1989, im Alter von 22 Jahren, händigte man ihr zwar einen Abschluss aus, aber dieser war so katastrophal ausgefallen, dass sich damit nirgendwo – zum Beispiel bei einer Werbeagentur - vorstellen konnte. Das hatte sie auch nicht vorgehabt, denn in ihren Augen waren die Lehrkräfte allesamt Ignoranten gewesen, die ihr Potential bloß nicht erkannt hatten. Bettina Richter schwebte schon immer ein eigenes Atelier vor und ihr Vater konnte seinem einzigen Kind keinen Wunsch abschlagen. Also mietete er einen größeren Raum an und stellte die erforderlichen Utensilien für die Malerei bereit. Seine Tochter legte mit Elan los und Friedhelm Richter sah sich fassungslos die Ergebnisse ihres Wirkens an. Von da war ihm klar geworden, dass er seine Tochter wohl noch lange finanziell unterstützen müsste. Tatsächlich gelang es Bettina Richter innerhalb des ersten Jahres als Malerin, nur ein einziges Bild für 100 D-Mark zu verkaufen. Auch in den folgenden Zeiten lief es nicht besser.
Obwohl sie aufgrund dieses Ergebnisses Bescheidenheit an den Tag hätte legen müssen tat sie nichts dergleichen, und nervte ihre Eltern immer wieder mit Geldforderungen. Um ihr unvorteilhaftes Äußeres wenigstens etwas zu kaschieren hatte sie die Angewohnheit, sich ständig neue Sachen zu kaufen. Friedhelm Richter zog zwar ordentlich Gewinn aus seiner Firma, aber es tat ihm in der Seele weh, dass seine Tochter so gar nicht auf eigene Beine kam und ihm auf der Tasche lag. Schließlich überwies Richter seinem Kind zähneknirschend monatlich 2.000 D-Mark. Bettina Richter war somit in der Lage weiter zu pinseln, und ihre üppigen Konsumwünsche zu erfüllen. Dabei stieß sie im Jahr 1991 auf das Geschäft, in welchem der 33jährige Hubertus Kriegel arbeitete. Dieser hatte nach den vielen Jahren in der Branche langsam die Nase von den aufdringlichen Kundinnen voll und seinen Traum als Modedesigner bei weitem noch nicht beerdigt und wieder aufleben lassen. Die hässliche junge Frau kaufte immer recht ordentlich bei ihm ein und Kriegel kam mit ihr ins Gespräch. So erfuhr er, dass sie Malerin war. Scheinbar war er auf eine Geistesverwandte gestoßen. Der Mann hatte sich bei seinen vielen Kundinnen mehr als ausreichend sexuell ausgetobt und das ewig gleiche Verfahren langweilte ihn mittlerweile schon. Hubertus Kriegel war sich durchaus bewusst, dass er keine Schönheitskönigin vor sich hatte. Da die Frau ihm aber auch noch von der Firma ihres Vaters erzählt hatte, die scheinbar blendend lief, sah er seinem Traum als Modedesigner arbeiten zu können ein ganzes Stück näher rücken, wenn er denn bestimmte Kompromisse einging.
Die Bilanzbuchhalterin Birgit Frenzel wirkte wie eine graue Maus, die sich offensichtlich nur ihren Zahlen mit Leidenschaft widmete. Dabei hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Sie war seit 11 Jahren bei der KME beschäftigt und kannte die Firma in- und auswendig. Die ehemals durch und durch korrekte Frau war bei ihrem damaligen Arbeitgeber hochkant rausgeflogen, weil sie den Leuten vom Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung durch die Blume gesteckt hatte, dass der Geschäftsführer etliche Einkäufe im SELGROS als Materialverbrauch des Unternehmens deklariert hatte, aber die Großpackungen an Muscheln, französischem Käse, italienischer Wurst und diversen Alkoholika für den Eigenbedarf abgezweigt hatte. Das hätte sie durchaus verschweigen können, weil es kaum nachprüfbar gewesen wäre, aber ihr Chef hatte auch noch inventarisierungspflichtige Gegenstände wie Fernseher, einen Computer, Drucker und andere Dinge gekauft, die ihr dann natürlich körperlich im Inventar fehlten. Sie hatte das den Prüfern zwar nicht explizit mitgeteilt, aber bei der stichprobenhaften Prüfung der Kontenblätter hatte sie ganz bewusst diese unter die angeforderten geschmuggelt, die den Schwindel dann auffliegen ließen. Birgit Frenzel war es gar nicht darum gegangen den Geschäftsführer bloßzustellen, aber sie fand zu dieser Zeit kaum noch Schlaf, weil sie wegen ihrer korrekten Art solch ein Gebaren strikt ablehnte.
Die Quittung folgte prompt auf dem Fuße, und ihr wurde fristlos gekündigt. Die Beurteilung fiel dann naturgemäß katastrophal aus. Birgit Frenzel war alleinerziehende Mutter und dringend auf ein Einkommen angewiesen, denn ihr sechsjähriger Sohn war für sie das ein und alles. Sie selbst hatte nur wenige Ansprüche, aber ihrem Kind sollte es an nichts fehlen. Sie wusste ganz genau, dass sie mit der absichtlich bösartig geschriebenen Beurteilung niemals eine neue Anstellung finden würde und entschloss sich schweren Herzens dazu, dieses Papier zu fälschen. Als sie damals ihren Schreibtisch ausräumen musste hatte sie wie abwesend neben den paar persönlichen Sachen auch einige leere Briefbögen des Unternehmens mit eingepackt. Birgit Frenzel hatte lange mit sich gerungen, sich selbst eine falsche Beurteilung zu schreiben, aber das dann schweren Herzens mit zitternden Händen an ihrem privaten Computer erledigt. Dann versuchte sie bestimmt mehr als einhundert Mal die Unterschrift des Geschäftsführers nachzuahmen. Als sie den richtigen Schwung raushatte beging sie mit der getürkten Unterschrift eine weitere Fälschung. An diesem Tag, das war Birgit Frenzel sehr klar geworden, war sie auf die schiefe Bahn geraten.
Hubertus Kriegel hatte die Beurteilung damals nur kurz überflogen und Birgit Frenzel dann mit „na dann mal ran an die Zahlen“ in ihre Arbeit eingewiesen. Die Bilanzbuchhalterin war froh gewesen, einen neuen Job gefunden zu haben, aber im Vergleich zu ihrer vorherigen Anstellung hatte sich ihr Verdienst nahezu halbiert. Jetzt würde es ihr bald nicht mehr möglich sein, die Kreditraten für ihre Eigentumswohnung aufzubringen. Dieses Investment sah sie als Zukunftssicherung für ihren Sohn an. Als Birgit Frenzel die scheinbar ausweglose finanzielle Situation in ihrer ganzen Tragweite verinnerlicht hatte war ihr klar geworden, dass sie mit ehrlicher Arbeit nicht aus dieser Zwickmühle herauskommen würde. Nach gut acht Wochen bei der KME hatte sie genug Überblick gewonnen um zu erkennen, dass es eine Lösung für ihr Problem geben könnte. Der Geschäftsführer Hubertus Kriegel interessierte sich nur einmal im Monat für das finanzielle Ergebnis und gab sich mit einer verbalen Einschätzung zufrieden. Zahlen wollte er weder sehen noch hören.