Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie - Jörn Kolder - E-Book

Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie E-Book

Jörn Kolder

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Beschreibung

Anton Bockelmüller ist ein sehr erfolgreicher und nach viel Geld riechender Unternehmer, aber allerdings auch ein grantiger und menschenunfreundlicher Familienpatriarchat. Trotz dieser Eigenschaften ist er Vater von vier Töchtern geworden, welche zum Entstehen einer großen Familie beigetragen haben. Bockelmüller verpflichtet seine Sippe jährlich zum Erscheinen zu seinem Geburtstag und nutzt die Gelegenheit, ihm missliebige Clanmitglieder zu demütigen und verächtlich zu machen. Da aber alle Familien auf einen guten Anteil am Erbe von Bockelmüller hoffen, spielen die meisten dieses üble Spiel mit zusammengebissenen Zähnen mit. Zu Bockelmüllers 90. Geburtstag will dieser eine Regelung zur Verteilung seines Erbes bekanntgeben. Zum Entsetzen der Familien werden sie danach alle weitestgehend leer ausgehen müssen. Bockelmüller segnet allerdings am Tag seines 90. Geburtstages und eigenartigerweise vollkommen unverhofft bei bester Gesundheit das Zeitliche, und die Kripo tritt auf den Plan. Nach und nach zeigt sich, dass sich der Unternehmer über viele Jahre hinweg etliche Feinde geschaffen hatte, die aber lange Zeit in der Deckung geblieben waren und nur heimlich an seiner Beseitigung gearbeitet hatten. Letztlich ergibt sich nach vielen überraschenden Ereignissen ein absolut unerwartetes Motiv für sein unfreiwilliges Dahinscheiden und bestätigt schlussendlich seinen ziemlich schlechten Charakter.

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Seitenzahl: 344

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impressum

Der 90igste Geburtstag

Eine rabenschwarze Kriminalkomödie

Copyright: © 2021

Jörn Kolder

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Renate und Jürgen Fuchs

Henriette und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach

Gisela und Frank Krause

Helga und Herbert Baumann

Die Einladung

Erster Anlauf zum E-Auto-Kauf

Anreise aus Niedersachsen

Fernsehabend

Zweiter Anlauf zum E-Auto-Kauf

In der Modellbauwerkstatt

Anreise aus Niedersachsen

Dritter Anlauf zum E-Auto-Kauf

Die Vorbereitung der Geburtstagsansprache

Mechanische Feinarbeiten, 6 Wochen vor dem Treffen

Immer noch auf der Anreise aus Niedersachen

Das "NS-Institut"

Anreise aus der Hauptstadt

Anreise im Oldtimer

Eine gewagte Aktion

Im Krankenhaus

Das Hotel "Zum Mohren"

Krauses fahren vor

Die Niedersachsen kommen

Kleiderwechsel und Einchecken

Kaffeetrinken

Abstimmungen

Abendessen

Fatale Nachrichten

Polizeiliche Ermittlungsarbeit

Erste Erkenntnisse zum Todesfall

Ein Geistesblitz

Gemeinsame Denkarbeit

Ernsthafte Überlegungen

Fortsetzung der Überlegungen

Bittere Erkenntnisse

Hans von Schwarzbach

Ein neuer Denkansatz

Showdown

Geheime Absprachen

Renate und Jürgen Fuchs

"Gottverdammte Scheiße, ich habe es geahnt, dass wir diesem alten Trottel nicht entkommen können. Der bestimmt unser Leben noch bis zu unserem letzten geheimen Furz in der hintersten Ecke unseres Klos! Ich werde dorthin nicht mitfahren, ich bin eben krank oder mir fällt noch was anderes ein. Ich ertrage diese Unterwürfigkeit und diesen Personenkult nicht mehr. Das ist doch schlimmer als bei Stalin damals. Oder wie bei der Murksel heute. Ohne mich, ich lehne die Teilnahme an dieser verlogenen Jubelorgie ab!"

"Das wird dir nicht gelingen, Jürgen" sagte Renate Fuchs zu ihrem Mann "wir haben ihm immerhin einiges zu verdanken. Und wenn wir uns nicht zu blöd anstellen, kann für uns später noch einiges rausspringen. Mein Vater ist ein sehr vermögender Mann, vergiss das nicht."

" Aber das verpflichtet mich nicht, ihm meine untertänigste Huldigung vorzutragen. Du weißt, dass ich mit ihm keinen guten Faden spinnen kann. Um bei diesem Bild zu bleiben, ich würde ihm gern einen Strick drehen. Mit großer Freude!"

"Jetzt reiß dich mal zusammen und bleib' auf dem Teppich. Vater feiert seinen 90igsten Geburtstag. So wie er momentan aufgestellt ist, kann er durchaus 100 werden."

"Davor bewahre uns der liebe Gott. Wir sind beide jetzt 65. Ich bin vor zwei Jahren aus dem Job rausgegangen und hatte eigentlich vor, mit dir dann unser Rentnerleben zu genießen. Aber der Alte hat ja schon öfter anklingen lassen, dass er das wechselseitige Erscheinen der Sippe an seinem Fürstenthron erwartet. Nicht erwartet, voraussetzt. Gut, dass du drei Geschwister hast. Da sind wir ja bloß aller vier Wochen dran. Ich bin ein sehr friedfertiger Mensch, aber wenn ich diesen arroganten alten Gockel mehr als zweimal im Jahr sehen muss, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich meine es ernst. Todernst!"

"Du bist und bleibst ein Sprücheklopfer Jürgen. Bei den Begegnungen der Sippe bist du ja immer schön in der Deckung geblieben. Nur der Katie hast du schöne Augen gemacht. Ich verstehe gar nicht, was du an dieser alten Schlampe mit den Hängetitten so findest. Aber das ist nicht so wichtig. Ich möchte dich nur noch einmal daran erinnern, dass Vater in den vielen Jahren höchstwahrscheinlich doch schon einiges zusammengetragen hat. Vermutlich weiß er das nur allein. Und der Notar. Oder sein Anwalt. Mutter hat er ja mit seiner üblen Knauserei und seinen endlosen Weibergeschichten schon vor 15 Jahren in den Tod getrieben. Und das verzeihe ich ihm nie. Auch ich habe mit ihm also noch eine Rechnung offen. Aber man muss versuchen, rational zu denken. Gefühle waren noch nie ein guter Ratgeber bei wichtigen Entscheidungen."

"Das schätze ich so an dir, Renate" erwiderte ihr Mann "du bist ja nicht umsonst Analyst bei der Hypersuperbank gewesen. Oder muss ich heute Analystin oder Analystende sagen? Spaß beiseite. Du hast recht. Wir wollen noch was von diesem alten Geizhals und Menschenfeind abgreifen. Aber es sind ja auch noch etliche andere mit im Spiel, die ebenfalls nicht unbedingt seine Freunde sind. Es dürfte in der Sippe ein allgemeines großes Bedürfnis geben, ein ordentliches Stück vom Kuchen abzubekommen."

"Das wird so sein. Aber es gibt wie meistens im Leben viele Unsicherheiten und fehlende Informationen. Bevor wir uns hier großartig erregen und irgendwelche Pläne schmieden brauchen wir eben diese Informationen. Damit wir uns richtig verstehen: ich bin sehr dafür, Vater auszunehmen. Sozusagen als Schmerzensgeld für den vorzeitigen Verlust meiner Mutter. Aber alles was wir tun wollen muss vollkommen legal sein. Wenn wir dorthin fahren, treffen wir auf zirka 30 Leute. Wir, meine drei Schwestern mit ihren Männern. Deren Kinder. Und die Enkel. Die sind ja auch schon alle um die Zwanzig. Das ist ja die magische Altersgrenze: 20 Jahre. Wer jünger ist, muss nicht antreten."

"Da bin ich aber froh, dass dein Vater nicht Adolf Hitler heißt. Der hat nämlich im Volkssturm noch 16-jährige Burschen verheizen lassen. Ja, ich weiß, das war unsachlich. Aber dieser alten Knacker ist für mich genau wie der Adolf damals ein Diktator. Ich bin zwar kein Stauffenberg, aber befinde mich trotzdem im Widerstand gegen diesen Tyrannen. Jedenfalls im passiven."

"Das bringt uns nicht weiter. Ich sage es mal so. Wir beide haben aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran, dass mein Vater möglichst bald das Zeitliche segnet. Das werden wir nicht beeinflussen können, es sei denn, wir mieten uns einen Auftragskiller. Und so etwas schließe ich aus. Es muss subtilere Wege geben. Aber wir stehen ja ganz am Anfang unserer Überlegungen. Alles ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn es sich tatsächlich lohnt. Und das wissen wir eben nicht. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen herausbekommen, was der Alte an Vermögenswerten hat. Da kann ich mal ein paar alte Beziehungen spielen lassen. Aber, was dann genauso wichtig wäre zu wissen ist, wie denn ein eventuell vorhandenes Testament aussieht. Hat er keins, gelten die gesetzlichen Regelungen. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich mir meine sauberen Schwestern so ansehe hat sich die eine oder andere schon immer große Mühe gegeben, sich bei ihm einzuschleimen. Das würde ich auch noch in Kauf nehmen, wenn ich sicher wüsste, dass wir bei ihm auf dem Zettel stehen. Wir haben also einige Kopfarbeit vor uns."

Die Ehe von Renate und Jürgen Fuchs konnte man als den üblichen Normen entsprechend bezeichnen. Sie waren jetzt 46 Jahre verheiratet und es gab rein gar nichts mehr, was der eine noch vor dem anderen zu verbergen hätte, weil sie sich in verschiedensten guten oder schlechten Lebenslagen freiwillig oder gezwungenermaßen vor ihrem Partner hatten entblößen müssen. Sie waren aber beide sehr intelligente Menschen die das einordnen konnten, und das nicht als erniedrigend, sondern eher klärend eingeschätzt hatten. Es war die gute geistige Verwandtschaft, die sie immer noch eng zusammenhielt. Renate Fuchs hatte in einer Bank Karriere gemacht und die sie störenden Männer in den oberen Funktionen elegant aus dem Weg geräumt. Sie hatte immer wieder darüber gestaunt, für wie unverwundbar sich diese nur durchschnittlich schlauen Kerle gehalten hatten. Sie hatte deren Verhalten immer erst eine Weile aufmerksam beobachtet und dann schnell herausfinden können, dass fast jeder von ihnen gegen irgendwelche internen Regeln des Hauses verstieß. Das waren keine großen Sachen gewesen, aber diese Typen waren so von sich selbst eingenommen, dass sie ernsthaft geglaubt hatten, sich alles erlauben zu können. Sie lancierte Gerüchte über den Missbrauch von Spesengeldern, der unzulässigen Nutzung von Repräsentationsfonds und der extremen privaten Nutzung von Fahrzeugen und Auslandsreisen. An allem war natürlich immer etwas dran gewesen, so dass die Männer entweder degradiert wurden, oder sogar rausflogen. Sie bahnte sich kontinuierlich ihren Weg nach oben, und war dann zum Leitenden Risikoanalysten (damals wurde die Funktion noch so im generischen Maskulinum bezeichnet, und niemand hatte sich daran gestört) aufgestiegen. Da sie fachlich firm war und auch sehr umgänglich, war auch keiner auf den Gedanken gekommen, dass sie die Strippen für die symbolischen Männermorde gezogen hatte.

Ihr Mann Jürgen hatte ihr, da sie immer alles miteinander besprachen, den einen oder anderen Tipp geben können, denn er war immerhin Leitender Kriminaldirektor in einer Hansestadt gewesen. Berufsbedingt war seine Arbeitsweise stets gut strukturiert gewesen. Er sammelte Fakten, Informationen, Hinweise, dachte über Motive nach, analysierte Zusammenhänge, studierte Tatortberichte, sprach mit Sachverständigen und musste all dies so ordnen, dass er irgendeinen Sinn erkennen konnte. Das hatte er vor seinen Beförderungen im realen Kripoalltag getan, viele Erfahrungen gesammelt, aber auch in etliche seelischen Abgründe blicken können. So etwas sah er auch bei seinem Schwiegervater, aber den hatte er damals nicht heiraten wollen, sondern Renate. Es war ein harter Kampf um sie gewesen, denn seine Frau war in jüngeren Jahren eine Schönheit gewesen, von der man selbst heute noch etwas sehen konnte. Ihr hingen damals ganze Gruppen von Verehrern an den Röcken. Jürgen Fuchs war aber nicht bloß ziemlich intelligent, sondern auch sehr hartnäckig. Letztlich hatte er das Rennen gemacht und wenn er es heute ehrlich einschätzen sollte könnte er aus vollem Herzen sagen, dass die vielen gemeinsamen Jahre trotz aller Tiefen und Höhen für ihn ein großer Gewinn gewesen waren. Er würde seine Renate heute noch einmal heiraten. Ihre drei Söhne waren gut geraten, die Familie hielt zusammen. Gemeinsam würden sie diesen Plagegeist an der Spitze der Sippe irgendwie zur Strecke bringen, natürlich nur mit friedlichen Mitteln. Fürs erste erstellte er sich eine Aufgaben- und Rechercheliste.

Jürgen Fuchs hatte wieder Blut geleckt. Seit seiner Pensionierung und auch in den letzten Jahren als Kriminaldirektor hatte er keinen richtigen Fall mehr bearbeitet. Er fühlte sich jetzt wie vor 30 Jahren, als er irgendwelchen, ihm vollkommen unbekannten Kriminellen auf der Spur gewesen war. Diesmal kannte er das Zielobjekt genau: es war sein Schwiegervater.

Henriette und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach

"Natürlich werden wir deinem Vater unsere besten Wünsche zu dessen runden Geburtstag persönlich überbringen, das ist doch wohl selbstverständlich, mein Schatz" sagte Klaus-Rüdiger von Schwarzbach zu seiner Frau "und es sollte doch ein angemessenes Geschenk sein."

"Das wird nicht ganz so einfach werden, mein Liebling" erwiderte seine Frau "wir stecken schon wieder einmal ziemlich tief im Dispo. Vielleicht solltest du deine Besuche auf der Pferderennbahn einmal für eine Weile einstellen. Oder du trennst dich von deinem Oldtimer."

"Beides sind ungebührliche Vorschläge, Henriette. Ein von Schwarzbach fährt standesgemäß zum Rennen vor. Außerdem gehe ich davon aus, dass dein Vater nicht mehr das ewige Leben haben wird, und dann könnten wir ja eventuell mit einer finanziellen Spritze rechnen. Nun, ich will es nicht beschreien, aber bei unserem letzten Treffen erschien er mir schon etwas hinfällig. Vielleicht macht er es nicht mehr lange."

"Das sind böse Worte, Klaus-Rüdiger. Er ist mein Vater."

"Der dich zu seinem 85igsten Geburtstag vor allen gedemütigt hat. Und mich mit. Und das vergesse ich ihm nicht. Dieser alte Sack beherrscht nicht einmal die Regeln des menschlichen Anstands. Aber weil alle auf sein Vermögen scharf sind, schlucken sie alles runter und ducken sich weg. Gut, er hat uns vor 30 Jahren mal 10.000 D-Mark geschenkt. Aber so wie ich ihn kenne, war das doch eine Idee von seinem Steuerberater gewesen. Vielleicht ist das als Spende deklariert worden. Diesem raffgierigen Kerl traue ich alles Schlechte zu."

"Bedenke doch bitte, dass er in seinem Leben viel durchgemacht hat. Als halbes Kind musste er noch in den Krieg ziehen. Das hat ihn sicher traumatisiert und könnte so manche unbedachte Äußerung erklären."

"Aber dass er uns allen beim letzten Familientreffen ausgerechnet zum Essen von seinen Kriegserlebnissen erzählt hat, das war schon ein starkes Stück. Ich habe mir jedes Wort gemerkt, weil ich so schockiert gewesen bin. Ich will dir das noch einmal in Erinnerung rufen. Er hat wörtlich gesagt: "Und dann bin ich mit 16 noch zum Volkssturm geholt worden. Zusammen mit nem Schulkumpel hab ich in nem Schützengraben gestanden. Der Rudi hatte ne alte Jagdflinte, ich ne Panzerfaust und ne klapprige Pistole mit drei Schuss Munition. Da kommt so ein T 34 angefahrn. Ich peile den mit der Panzerfaust an und drücke ab. Es kracht mörderisch, das Ding bleibt stehen, fängt an zu qualmen, die Luken gehen auf, und zwei Kerle kommen aus dem Panzer raus. Die brennen und schreien wie am Spieß. Mein Kumpel will sich das Theater genauer ansehen und kuckt aus dem Schützengraben raus. Wutsch, er kriegt ne Kugel in die Rübe, und mir spritzen sein Blut und Gehirn ins Gesicht. Ich schaue mir meinen Kumpel an und dem seine Birne is zur Hälfte weg. Das Zeug in seinem Schädel sah so n bisschen aus wie der Schweinebraten dort, so von der Farbe her. Dann kuck ich mir die toten Russen an. Die sind so verschmort, wie die Kruste hier auf den Hühnerbeinen. Na ja, dann bin ich abgehauen."

"Klaus-Rüdiger, bitte. Ja, es war schlimm. Seitdem esse ich keine Hühnerbeine mehr."

"Ich will dir eins sagen, Henriette, dein Vater ist nicht traumatisiert, er ist ein Perverser. Da kommt auch seine Lust her, andere vor allen anderen Gästen zur Sau zu machen. Der sollte mal von einem Gehirnklempner untersucht werden."

Klaus-Rüdiger von Schwarzbach war eigentlich schon immer chronisch pleite. Vermutlich lag das auch an seiner Herkunft, denn er war elternlos aufgewachsen. Man hatte ihn als frischgeborenes Baby vor einem Krankenhaus einfach in einem Körbchen abgestellt und seinem Schicksal überlassen. Zu seinem Namen war er gekommen, weil er in dem katholischen Waisenhaus "Am Schwarzbach" aufgewachsen war. Die herzensguten Nonnen hatte den Jungen ins Herz geschlossen, und ihm seinen dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Namen gegeben. Im Heim hatte man ihm eine gute Bildung angedeihen lassen. Er hatte sich nach dem Abitur für ein Studium der Germanistik mit der Spezialisierung auf die altdeutsche Sprache entschieden. Schwarzbach liebte es, über die so zwischen den Jahren 750 und 1050 gepflegte Sprachform zu sinnieren. Er war dann in einem Institut untergekommen, in welchem weiter daran geforscht wurde, ob man dieses oder jenes Wort mit "ae" oder "ä" oder statt "ss" mit "sz" schreiben sollte. Die Diskussionen darüber hielt er für hochstehenden wissenschaftlichen Meinungsaustausch. Leider wurde seine Tätigkeit ziemlich mies vergütet, was eigentlich nicht zu seinen Ansprüchen an eine angemessene Lebensführung als Akademiker passte. Schwarzbach kannte einen vermutlich sehr wahren Spruch: Wer nichts erheiratet oder ererbt, bleibt arm, bis er sterbt. Erben konnte er von seinen Eltern nichts, weil er keine hatte. Jedenfalls war nicht bekannt, wer seine Eltern waren. Also musste er sich auf dem Heiratsmarkt umsehen. Er hatte durch seine Ausbildung einen sehr umfassenden Wortschatz erworben, besaß angenehme Umgangsformen, und sah gut aus. Obwohl er kein Logiker war, verfügte er doch über eine gewisse Bauernschläue, und legte sich einen Plan zurecht. Er musste ein Elternhaus finden, welches gut situiert war, so dass er mit finanzieller Unterstützung rechnen konnte. Die Firma "Anton Bockelmüller Bau GmbH" schien ein geeigneter Kandidat zu sein, denn deren Fahrzeuge und Arbeiter sowie die Firmentafeln sah er sehr oft in der Gegend. Er fand auch heraus, dass der Inhaber vier Töchter hatte, die damals allesamt noch unverheiratet waren. Da er immer knapp bei Kasse war, verfügte Schwarzbach nur über ein Fahrrad, aber das hinderte ihn nicht, damit den Umkreis des Wassergrundstück dieses Bockelmüller zu erkunden. Die gesamte Familie schien im Sommer ab Samstag bis Sonntagabend dort zu wohnen. Zum Grundstück gehörte ein Bootssteg, und dort lag ein motorgetriebenes Kajütboot. Daneben war von der Firma Bockelmüller selbst ein etwa drei Meter breites Stück Sandstrand von gut 10 Meter Länge vor der Uferböschung angelegt worden. Wie das hatte genehmigt werden können war Schwarzbach ein Rätsel, aber offensichtlich verfügte dieser Bockelmüller über beste Kontakte zur Politik und den Behörden.

Schwarzbach drückte sich unauffällig im angrenzenden Gelände herum, und konnte so einige Blicke auf die vier Töchter erhaschen. Eine hob sich von den anderen drei ab, denn sie war nicht so groß und schlank wie die anderen jungen Frauen, sondern, er suchte nach einem passenden Begriff, denn er war ja Sprachwissenschaftler. So wie er es auch drehte oder wendete, ein Wort beschrieb die Gestalt der Frau gut: ein Kasten. Schwarzbach empfand das nicht als abwertend, denn das Mädchen war etwa ein Meter und fünfundfünfzig groß, und in der Breite zwar nicht so ausladend, aber doch schon ordentlich bestückt. Soweit wie er es erkennen konnte, hatte sie eine ordentliche Oberweite und ein hübsches Gesicht. Äußerlichkeiten spielten für ihn als Schöngeist eine untergeordnete Rolle, es kam ihm auf den geistigen Austausch an. Er konnte natürlich noch nicht einschätzen was die junge Frau zu bieten hatte, aber er beschloss fürs Erste, sich diese eventuell in vieler Hinsicht sprichwörtlich fette Beute zu angeln. Von Schwarzbach war zu dieser Zeit, 1976, 24 Jahre alt, Henriette Bockelmüller 20. Die junge Frau war offensichtlich nicht mit allzu vielen intellektuellen Gaben gesegnet, weswegen sie wohl als Verkäuferin in einem Modeladen arbeitete.

Er kreuzte dort auf und gab vor, ein neues Hemd zu suchen. An diesem Tag hatte er noch 12 Mark im Portemonnaie und wartete auf sein Gehalt, es waren aber noch vier Tage bis dahin. Henriette Bockelmüller beriet ihn, und er konnte sie näher beäugen. Sie war tatsächlich recht hübsch und sehr angenehm im Auftreten. Außerdem roch sie sehr gut. Schwarzbach nahm Witterung wie ein scharfer Jagdhund auf und war sich sicher, dass er nun auf der richtigen Fährte war. Er salbaderte die junge Frau schwindlig und lud sie für die kommende Woche (da würde sein Konto wieder etwas gefüllt sein) in ein Kaffee ein. Sie fanden sich ganz sympathisch. Obwohl Schwarzbach feststellte, dass ihr Horizont nur vom Kuchenbacken bis zu Damenunterwäsche reichte war er entschlossen, jetzt Nägel mit Köpfen zu machen. Was sollte er mit einer bildhübschen und hochgebildeten Frau anfangen, da bestünde immer die Gefahr, dass er ihr zu wenig bieten könnte. Hier hätte er ein Objekt, welches er nach seinem Willen formen könnte. Er ließ sich nach einer Weile zum Vorstellungsgespräch bei Henriettes Eltern und Schwestern einladen. Voller Spannung trat er dort an und brillierte mit seiner Redekunst und seinem Charme. Die Frauen hatte er sofort auf seine Seite gezogen, nur der ihn verächtlich ansehende Anton Bockelmüller schien nicht beeindruckt gewesen zu sein. Dieser grimmige Patron war aber offensichtlich von der Damenriege so bearbeitet worden, dass Schwarzbach dann gnädig aufgenommen wurde. Er ließ noch eine Schamfrist von zwei Wochen vergehen, dann bat er um die Hand von Henriette. Bald darauf fand die Hochzeit statt, und Schwarzbach rechnete mit einer üppigen Mitgift. Er hatte sich total verkalkuliert. Eigentlich hätte der ständig missgelaunte Bauunternehmer doch mehr als froh sein müssen, dass er ihm seine schwervermittelbare Tochter abgenommen hatte. Sie bekamen ein Kaffeeservice im Wert von 128,83 Mark, denn der Kassenzettel lag noch bei.

Schwarzbachs Plan einer recht sorgenfreien Zukunft war vollkommen in die Hose gegangen. Jetzt konnte er nur das Beste daraus machen. Henriette war tatsächlich sehr liebevoll und fürsorglich und gerade einmal neun Monate nach der Hochzeit kam schon Hans zur Welt, und zwei Jahre später Claudia. Henriettes Mutter steckte ihnen ab und zu mal einen Hunderter zu, aber finanziell kam die neue Familie nie auf einen grünen Zweig. Es sah so aus, als ob es immer dabei bleiben sollte.

Gisela und Frank Krause

"Und ob ich darauf freue, mit dem alten Schwerenöter wieder mal einen zu trinken" erklärte Frank Krause seiner Frau "bei so einer Feier kann man doch schöne Studien treiben. Alle haben Schiss vor dem Alten und scheißen sich fast ein, dass er sie wieder mal Maß nehmen könnte. Dann haben aber alle aber wenig später mächtig einen in der Krone und werden plötzlich ganz mutig. Das ist dann der Augenblick, wo sich alle irgendwie gegenseitig angehen und vorwerfen, was sie doch für fiese Schweine sind. Und der Pascha beobachtet das alles und schießt dann noch zusätzlich seine Giftpfeile ab. Mal ist der dran, dann jener. Ob eigenes Kind, Schwiegersohn, Enkel oder Urenkel, alle kriegen ihr Fett weg, quer durch die verschiedenen Familien. Zum Schluss weiß dann keiner mehr was so alles an Anschuldigungen ausgesprochen worden ist, was stimmt, und was nur Gerüchte sind. Dann hat der Alte wieder genau das erreicht was er wollte: alle sind total verunsichert und sich spinnefeind. So kann man doch gut einen geschlossenen Widerstand verhindern."

"Warum sollte es einen geschlossenen Widerstand gegen meinen Vater geben müssen" fragte Gisela Krause "nun gut, er ist nicht der Feinste in seinen Umgangsformen, er ist manchmal jähzornig, aber er hat auch schon öfter geholfen. Allerdings hat er ein Herz aus Stein, und wenn er hilft tut er das nur zum eigenen Vorteil und holt sich alles dreifach wieder zurück. Aber keiner hat die Traute gegen ihn aufzubegehren."

"Ja, zum Beispiel diesem arroganten Schnösel von Schwarzbach, diesem Möchtegern-Adligen, diesem arbeitsscheuen Subjekt, dem hat er geholfen. Der hat mir beim letzten Mal erzählt, dass dein Vater ihm einen Kredit mit 8 Prozent Zinsen gegeben hat. Du kriegst heute einen Kredit fast umsonst. Aber Monsieur von Schwarzbach ist wohl so pleite, dass ihm keine Bank mehr was leiht. Deine Schwester tut mir leid."

"Wir haben sie damals alle gewarnt, aber sie hat ja nicht auf uns gehört. Aber sie ist schon ein bisschen geistig minderbemittelt. Ich meine das nicht böse, aber es ist leider die Wahrheit. Die hat ja schon in der Schule nichts auf die Reihe gekriegt. Und das Aussehen! Gut, da kann sie nichts dafür, aber sag mir mal als Mann, wie wird denn der Adlige damals einen hochgekriegt haben? Das ist doch bei mir etwas anders, oder, du geiler Bock?"

"Warte ab, du elende Nutte, wenn wir mit diesem Gespräch fertig sind, vögele ich dich so durch, wie du es lange nicht mehr erlebt hast. Ja, bei dir kriege ich immer noch einen zuverlässig hoch. Der Sport hält dich jung, alle schätzen dich mindestens 15 Jahre jünger. Und du fickst immer noch wie eine läufige Hündin. Aber erst mal zurück zu unserem Casanova. Ist doch vollkommen klar, der hat immer eine gute Balance zwischen dem Alkohol und dem Trieb finden müssen. Genug, dass er den Anblick vergisst und draufrutschen kann, aber nicht zu viel, damit er noch einen hochkriegt. So einfach ist das."

Gisela Krause war die schönste der Bockelmüller Töchter gewesen, noch schöner als ihre Schwester Renate. Alles an ihr hatte gestimmt: der Körperbau, das schöne Gesicht, die langen vollen Haare, ihre Stimme. Dazu war sie noch klug, aber in ihrem Auftreten sehr feminin. Ihre Lebensfreude strahlte auf andere aus und ihr Optimismus gab ihr Kraft. Den hatte sie auch benötigt, als ihr Sohn Bernd vor nun schon 20 Jahren bei einem Motorradunfall im Alter von 23 Jahren ums Leben gekommen war. Ihr Vater hatte ihr in dürren Worten schriftlich sein Beileid ausgesprochen und geschrieben, dass es bei dieser mittlerweile weitverbreiteten Raserei eines Tages dazu kommen musste. Wenigstens war er mit seinem mürrischsten Gesichtsausdruck auf der Beerdigung erschienen. Vielleicht hatte ihn einmal in seinem Leben so etwas wie ein schlechtes Gewissen geplagt, denn er hatte Bernds Witwe 20.000 DM überwiesen. Vorsorglich hatte Bockelmüller aber auf die Überweisung "Familienhilfe, ohne Eingestehen eines Rechtsgrundes" geschrieben, was viele Spekulationen angeheizt hatte, dass einer seiner LKW der Unfallverursacher gewesen sein könnte, denn am Unfallort war angeblich nur der verunglückte Bernd Krause aufgefunden worden. Aber wie üblich, wenn Bockelmüller im Spiel war, hatte sich nichts gegen ihn ergeben.

Frank Krause war eine schillernde Persönlichkeit. Er war eine Mischung aus Arnold Schwarzenegger, Martin Heidegger und Götz George. Seine körperliche Ausstrahlung war raumgreifend, seine Stimme dröhnte im Bass, und er konnte aus dem Stehgreif heraus philosophische Exkurse absondern. All das, und auch sein ausdrucksstarkes Gesicht, hatten ihn für die Schauspielerei prädestiniert. Er war ohne Mühe zum Studium angenommen worden und hatte im ersten Semester seine vordringliche Aufgabe darin gesehen, sich erst einmal durch das annehmbare weibliche Material durchzuvögeln. Seine speziellen Talente in dieser Hinsicht waren auch einer Sprachausbilderin aufgefallen und es lag nahe, dass Krause bei einer Sprachlehrerin, die auch über Zungenstellungen beim Sprechen unterrichtete, vor allem seine besonderen Fähigkeiten im Cunnilingus geschickt einsetzte. Nachdem er der Leckerei allerdings überdrüssig geworden war, wanderte er zu einer Tanzpädagogin weiter. Diese Frau verblüffte ihn mit ihrer enormen Beweglichkeit, und er lernte ganz neue, eigentlich für von ihm beim Beischlaf für unmöglich gehaltene Stellungen kennen. Die dritte im Bunde war eine Gesangslehrerin, die ihn durch ihre Atemübungen beeindruckte, denn sie konnte ganz hervorragend blasen. Er hatte sich nie ganz von einer der Frauen getrennt, sondern musste damals einen Kalender führen, um bei seinen Verpflichtungen nicht durcheinander zu kommen. Er verließ die Ausbildungsstätte mit besten Noten und ganz hervorragenden Empfehlungen der Lehrerschaft.

Er blieb seiner Strategie treu und machte sich am Theater seines ersten Arrangements an die Intendantin heran. Die etwa 50jährige Frau war schon ziemlich leichtfertig mit ihren körperlichen Ressourcen umgegangen, denn sie rauchte wie ein Schlot, und hing (das war allen am Theater beschäftigten Personen bekannt) an der Flasche. Krause näherte sich dieser nach Mülleimer und Schnaps Destille stinkenden Gestalt nur a tergo, und hatte vor dem Akt auch immer einen großen Schluck genommen. So kam er gut rein und auch wieder raus, und dann schnell weg. Seine Bemühungen wurden honoriert, er bekam erste größere Rollen. Da er sich jetzt erst einmal ziemlich ausgelaugt fühlte, konzentrierte er sich auf seine eigentliche Arbeit und wurde schnell zum Star der Bühne. Sein natürliches Talent brachte ihn schnell voran, und auch das Fernsehen wurde auf ihn aufmerksam. Er konnte mittlerweile auswählen, wo er ein Engagement annahm. In dieser Phase traf er nach einer Vorstellung auf Gisela Bockelmüller. Im Ergebnis seiner bisherigen Erfahrungen sah er sofort, dass ihm hier ein ausgesprochen heißer Besen vor die Flinte gelaufen war. Krause hatte sich die Hörner abgestoßen, wollte etwas zur Ruhe kommen und sich vor allem seiner Karriere widmen.

Gisela Bockelmüller machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung und trieb ihn mit ihren sexuellen Spielchen immer wieder auf die Palme, so dass er gar nicht mehr anders konnte, als sie zu heiraten. Seine Überlegung war die gewesen, dass dann in der Ehe in dieser Hinsicht Alltag und Gewöhnung einziehen würde, und er dann mit einem Mal pro Woche davonkommen könnte. Er hatte sich verrechnet, und auch nach der Geburt von Bernd und Gabi ging es munter weiter. Es gab Zeiten, da flüchtete er regelrecht zu einem auswärtigen Engagement. War er wieder zu Hause, überfiel ihn eine Furie, die ihn aussaugte. Aber mit der Zeit lernte er, sich gesünder zu ernähren und bewusster zu leben, und trieb sogar etwas Sport. Ihr Sexualleben war erfüllend, und ihr übriges Zusammensein auch. Frank Krause würde sich selbst als einen glücklichen Ehemann bezeichnen, wenn da nicht ständig im Hintergrund die böse Fratze seines Schwiegervaters drohen würde. Schon bei seinem ersten Treffen mit der Sippe im Anwesen des Patriarchen war er mit einige der Anwesenden aneinandergeraten, weil man ihm aus seiner Sicht als landesweit bekannten Mimen zu wenig Aufmerksamkeit und Respekt entgegengebracht hatte. Der alte Bockelmüller hatte dem dann doch recht lautstarken Treiben grinsend zugesehen und dann sein Fazit gezogen.

"Ein richtiger Mann muss eine richtige Arbeit leisten können. Auf dem Bau zum Beispiel. In einem Blaumann. Wer auf einer Bühne in rosa Klamotten wie eine Schwuchtel herumspaziert, den kann man nicht ernst nehmen."

Das brüllende Gelächter hatte Krause zutiefst getroffen, und er hatte für diese Demütigung Rache geschworen. Gerade seine Rolle des Papst Pius VVI. im "Der Stellvertreter" von Hochhuth hatte in der Kritik Begeisterungsstürme ausgelöst, weil Krause das sensible Thema Kirche und Holocaust darstellerisch so genial bewältigt hätte, wie keiner je vor ihm.

"Ihr unwissenden Ignoranten" hatte er in den aufgeheizten Raum gerufen "das Schicksal der Juden interessiert euch wohl gar nicht? Ihr hättet nach dem Krieg sicher auch gesagt, dass ihr von all den Verbrechen nichts gewusst habt. Immer schön die Augen zumachen, ihr satten Spießbürger!"

Damit hatte er alles noch zu seinen Lasten verschlimmert, denn er war ausgebuht, und dann von allen geschnitten worden. Keiner sprach mit ihm, nur die hässliche Frau des Adligen versuchte ihn zu trösten. Er war zu diesem Zeitpunkt schon einigermaßen angetrunken und hatte Henriette von Schwarzbach nur angeblafft:

"Zieh Leine, du hässlicher Kasten!"

Bei den nächsten Veranstaltungen hatte er seine intellektuellen Ansprüche an das Publikum der Sippe deutlich heruntergeschraubt und sich volksnah gegeben. Das war besser angekommen, und er versuchte herauszubekommen, wer mit dem alten Bockelmüller auch noch eine Rechnung offen hatte. Es schienen einige zu sein. Aber so richtig bekam er nicht heraus, was so wirklich bei den einzelnen Leuten abgelaufen war. Alle waren aber offensichtlich darauf erpicht, in der Gunst von Bockelmüller möglichst weit oben zu stehen. Der Fall war klar, es könnte viel Geld lachen. Im Straßenverkehr der Region waren die Firmenfahrzeuge sehr präsent, an jeder zweiten Baustelle stand eine Tafel von Bockelmüller. Er versuchte sich an Baumann ranzumachen, der ja in der gleichen Branche tätig war.

"Da ist schon einiges an Kapital vorhanden" sagte der "du kannst dich im Bundesanzeiger informieren, dort müsste er seine Bilanz veröffentlichen. Aber daraus siehst ja nur, wie die Firma dasteht, nicht was er privat auf der Kante hat. Aber er ist Alleingeschäftsinhaber und damit gehört ihm auch die Firma. Mit ihrem Vermögen, und mit ihren Schulden. Kuck mal, so ein Muldenkipper kostet vielleicht im Schnitt, ich sage bewusst im Schnitt, sagen wir mal 80.000 Euro. Wenn er acht davon hat, hat er schon 640.000 Euro im Anlagevermögen. Sicher, die Fahrzeuge werden abgeschrieben, weil sie verschleißen und an Wert verlieren. Aber es geht doch nur mal um eine Größenordnung. Der hat auf seinem Firmengelände bestimmt an die 50 Maschinen stehen. Und das sind keine alten Kisten. Und was der so an Gewinn rausholt weiß ich nicht, es wird ordentlich sein. Sagen wir mal, der hat eine Umsatzrendite von 3 Prozent. Das bedeutet, dass er bei 100 Euro Umsatz 3 Euro Gewinn macht. Ich weiß wirklich nicht wie viel der an Umsatz hat, aber das dürften einige Millionen sein. Rechne mal mit 10 Millionen. Was kommt da raus?"

"3.000?"

"Man merkt, dass du nicht rechnen kannst. 300.000! Und bei 20 oder 30 Millionen Umsatz sind das dann 600.000 oder 900.000. Eventuell jedes Jahr, und das seit vielen Jahren. Du kannst alle möglichen Zahlenkombinationen verwenden, aber du weißt eben nicht, wie es wirklich aussieht. Ich sage dir, der hat wie Dagobert Duck einen geheimen Geldspeicher und geht zum Frühsport dort baden."

In diesem Moment hatte sich Krause gesagt, dass er zwar nicht zum Killer geboren wäre, aber vielleicht zum Erpresser. Sein schauspielerisches Talent könnte ihm eventuell helfen, irgendeine Schwachstelle im Leben des alten Bockelmüller zu finden. Jetzt musste er noch geeignete Ansatzpunkte finden.

Helga und Herbert Baumann

"Also wieder zwei Tage voller Anspannung und Stress, ja nichts Falsches sagen, sich ja nicht mit den falschen Leuten unterhalten, jedes Wort vorher auf die Goldwaage legen, das kann ja wieder lustig werden."

"Es gibt Schlimmeres Herbert" sagte Helga Baumann zu ihrem Mann "schließlich sind ja auch vernünftige Leute dabei. Wir sollten ganz unbefangen an die Sache herangehen und uns mehr mit der jüngeren Generation abgeben. Bei meinen Schwestern ist Hopfen und Malz verloren, die suchen doch alle krampfhaft nach irgendwelchen Wegen, an das Erbe ranzukommen. Gott sei Dank haben wir das nicht nötig."

"Ich habe das nicht nötig, ich" stellte Herbert Baumann fest "es ist immer noch meine Firma, die uns unseren Wohlstand garantiert. Dafür habe ich mir in den letzten 30 Jahren täglich den Arsch aufgerissen und keinen Feierabend gekannt. Tagsüber die Arbeiten auf den Baustellen kontrolliert, dann neue Kunden und Aufträge aufgerissen, und abends dann noch den Bürokram erledigt. Gut, dass Martin und Bianca bald übernehmen werden."

"Die Abende im Büro sind aber doch nicht nur Stress pur gewesen. Frau Lauermann hat dir die Stunden doch dort öfter mal versüßt. Dieser unscheinbaren Buchhaltungstante hätte ich gar nicht zugetraut, dass sie dich noch mal so aufgeilen konnte."

"Tja Helga, wenn zu Hause nichts mehr auf den Tisch kommt, geht man eben mal auswärts essen. So einfach ist das. Aber das ist ja schon etwas länger her und abgehakt. Oder etwa nicht?"

"Doch. Wir haben uns arrangiert, und das ist vernünftig gewesen. Wegen so was rennt man nach den vielen gemeinsamen Jahren nicht gleich auseinander. Außerdem soll man nach gemeinsam bewältigten Krisen besser miteinander umgehen können. Ich für meinen Teil kann das bestätigen. Aber dir scheint irgendwas Sorgen zu machen, oder täusche ich mich?"

"Ich habe keine Sorgen, da liegst du falsch. Ich fühle mich fit, der Laden läuft, den Kindern geht es gut. In meiner großen Modellbauwerkstatt kann ich mich herrlich mit den Bastelarbeiten ausleben, ich bin sehr zufrieden."

Herbert Baumann hatte nicht die Wahrheit gesagt. Als ihre beiden Töchter Anna und Petra geboren worden waren, war Helga Baumann zu Hause geblieben, und als dann noch Friedrich dazukommen war, ganz in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau aufgegangen. Ihre Eheregelungen waren klar: Herbert verdiente mit der Baufirma das Geld, Helga war für Haus und Kinder verantwortlich. Baumann hatte die Firma relativ zeitig, da war er gerade einmal 23 Jahre alt, übernehmen müssen, weil sein Vater an Krebs erkrankt und dann auch schnell verstorben war. Es war für ihn ein enormer Kraftakt gewesen, der ihn manche Nacht hatte nicht schlafen lassen. Aber er hatte sich durchgebissen und nach zwei Jahren enorm viel dazugelernt, und Selbstbewusstsein und Sicherheit gewonnen. Im Nachbarkreis gab es einen mächtigen Konkurrenten, die "Bockelmüller Bau GmbH". Bislang war man sich nur am Rande begegnet und nicht in die Quere gekommen. Baumann hatte damals sieben Angestellte und einen überschaubaren und schon älteren Fuhrpark. Ihm war schnell klar geworden, dass er mit dieser Größe nicht allzu lange überleben würde. Seine Firma musste wachsen, und das ging nur über eine Auftragsausweitung. Er ließ seine Angestellten die Ohren spitzen und konnten den einen und anderen Neukunden gewinnen. Im Nachbarkreis gelang ihm jedoch gar nichts. Dort hatte dieser Bockelmüller offensichtlich ein Monopol. Rein zufällig war er einmal am Wochenende in der Nachbarkreisstadt zu einem Clubkonzert mit einer Jazzband gewesen, und hatte dort eine nette junge Frau getroffen. Sie waren ins Gespräch gekommen und es hatte sich herausgestellt, dass sie eine Tochter von Bockelmüller war. Dass sie das war, war ihm völlig egal gewesen, er hatte sich für die Frau interessiert, und nicht für ihren Vater und dessen Geschäft. Sie hatten sich dann recht regelmäßig getroffen und eines Tages war er zur Vorstellung eingeladen worden. Er hatte Helgas Mutter sofort sympathisch gefunden, und sie ihn offensichtlich auch. Der alte Bockelmüller hatte aber nur eine Botschaft für ihn gehabt:

"Wenn Helga dich will, soll sie dich haben. Das ist mir egal, muss sie ja wissen. Aber eins sag ich dir: die Kreisgrenze ist deine Grenze, dahinter ist der Zutritt für deine Firma verboten. Ist das klar? Hier gelten nämlich meine Regeln. Und es gibt hier viele Leute, die von meiner Firma profitieren. In vielen verschiedenen Positionen. Also halt dich dran, sonst wirst du es bereuen."

Da sich seine Frau überhaupt nicht für die Entwicklungen in seiner Baufirma interessierte, war sie auch nicht über deren Lage im Bilde. Baumanns Unternehmen war im Verlaufe vieler Jahre tatsächlich gut gewachsen, und er war neben Bockelmüller der Platzhirsch in der Gegend geworden. Vor gut zwei Jahren hatte er die Zeit für reif gehalten, den Konkurrenten nach und nach auszubooten. Bockelmüller war da 88 Jahre alt gewesen und führte seinen Laden immer noch mit eiserner Hand. Er zahlte gut, schmierte unauffällig viele Behördenrädchen und war eine kreisbekannte Größe. Dazu kam, dass er sich in den vergangenen Jahrzehnten wie eine Spinne ein verfilztes Netz von Abhängigkeiten geschaffen hatte, in denen viele Entscheidungsträger gefangen eingeflochten waren, und nicht mehr herauskamen. Alle schuldeten Bockelmüller etwas, und er hatte sie in der Hand. Baumann hatte einen Versuch gewagt, Bockelmüller einen Auftrag in dessen Revier wegzuschnappen. Er war um läppische 80.000 Euro gegangen. Er war abserviert worden, und zwei Wochen später begann der Rachefeldzug des alten Bockelmüller erste Formen anzunehmen. In Baumanns Kreis gab es auf einmal gehäuft Probleme bei der Abnahme von Leistungen. Während die Behördenmitarbeiter früher gnädig über kleinere Mängel hinweggesehen hatten, waren sie jetzt so pingelig, dass Baumann äußerst aufwendige Nacharbeiten ausführen lassen musste. Die Zahlungen erfolgten erst nach nochmaligen Abnahmen, und offensichtlich auch noch absichtlich schleppend. Bei Ausschreibungen zog er jetzt immer öfter den Kürzeren. Die Liquidität seiner Baufirma nahm erschreckend schnell ab. In Erwartung einer weiteren Expansion hatte er in seinen Maschinenpark investiert. Jetzt saßen ihm die Banken mit den Zins- und Tilgungsplänen im Nacken.

Herbert Baumann war 67 Jahre alt, und hatte seinen Kindern eine gut aufgestellte Firma übergeben wollen. Er hatte sicher einen großen Fehler gemacht, und den Großteil der Überschüsse wieder in den Betrieb investiert. Dort sah er eine auf den ersten Blick beeindruckende Bilanzsumme (das große Anlagevermögen in Gestalt der teuren Maschinen), aber auch einen großen Batzen an Fremdkapital. Wenn es so weiterging, würde ihm der Laden bald nicht mehr gehören, und sein Lebenswerk wäre im Eimer. Das wollte er nicht hinnehmen und hatte mit seinen Kindern Bianca und Martin schonungslos Klartext gesprochen. Beide hatte er viele Jahre behutsam so gelenkt, dass Martin Bauingenieur, und Bianca Betriebswirtin geworden waren. Sie sollten sein Erbe übernehmen und die Firma weiter fortführen. Jetzt sah es so aus, als würde der Krake aus der Nachbarkreisstadt seine Tentakelarme um den Hals der Familie legen, um ihnen die Luft abzuschnüren und sich mit der Beute, der "Baumann-Baumeister GmbH", aus dem Staub zu machen.

Herbert, Martin und Bianca Baumann waren sich einig gewesen, dass sie sich nicht ergeben würden. Da sie den Filz in der Verwaltung nicht durchdringen konnten, kamen nach ihrer gemeinsamen Auffassung nur unorthodoxe Methoden in Frage, die sie höchstwahrscheinlich mit dem Rechtsstaat in Konflikt bringen würden. Aber so wie es aussah, konnten sie eine Katastrophe nur noch abwenden, wenn sie eben nicht rechtsstaatlich handelten. Ihr Gegenspieler tat das ungestört seit Jahrzehnten.

Die Einladung

"Einer guten Tradition folgend, lade ich euch dieses Jahr zu einem besonderen Ereignis ein: meinem 90. Geburtstag" hatte Anton Bockelmüller als ersten Satz geschrieben.

Dann hatte er gleich noch eine Drohung hinzugefügt:

"Da mir mein Hausarzt eine gute Gesundheit bescheinigt und ich mich selbst noch ausgesprochen fit fühle kann ich wohl davon ausgehen, euch noch viele Jahre in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu können."

Er feixte vor sich hin.

Diesen Erbschleichern würden die Gesichter einschlafen, und seine verdeckte Ankündigung, auch noch die 100 zu schaffen, wohl etlichen die letzte Hoffnung auf einen Anteil an seinem Vermögen rauben. Sie würden vor Gram noch vor ihm in die Grube fahren, weil ihr jahrelanges Wegducken und ihre Arschkriecherei kein Ergebnis haben würden. Außerdem war er so schlau gewesen, schon vor Jahren auf seinen Steuerberater zu hören, und zu "diversifizieren". Er hatte es auf seine Art als "Geld streuen und das Risiko verteilen" genannt. So gehörte ihm beispielsweise das von seinem Grundstück keine 300 Meter entfernte Hotel, welches aufgrund seines guten Rufes und der schönen Umgebung ganzjährig ausgebucht war. Das war nicht das einzige Engagement Bockelmüllers neben seiner Baufirma gewesen. Er war Inhaber einer Bäckereikette, zweier Metzgereien, betrieb zwei Fitnessstudios, drei kleine Supermärkte und noch ein paar landwirtschaftliche Lohnarbeitsfirmen. Nur sein Steuerberater, der Anwalt, der Notar, und er selbst, waren im Bilde über dieses Firmenimperium.

Das mit dem beschiedenen Heim hatte er absichtlich so formuliert. Auf einem Grundstück von etwa 800 Quadratmetern Fläche hatte er von seiner eigenen Firma einen Gebäudekomplex errichten lassen, der sich hinter denen amerikanischer Millionäre nicht verstecken musste. Allerdings waren die Gebäudeteile im traditionellen Stil der Gegend errichtet worden und wirkten zwar ausgesprochen hochwertig, aber nicht protzig. Innen waren dann aber keine Mittel gescheut worden, den Reichtum seines Besitzers zu zeigen. Erlesene Fliesen und edle Hölzer, sowie feinste Stofftapeten kündeten von Geschmack. Auf der anderen Seite verfügten die Räume über modernste Technik, womit Bockelmüller bei der jüngeren Generation immer mächtig Eindruck schinden konnte. Für die älteren Semester war ein Weinkeller aufwendig in den Untergrund gegraben worden. Das Tonnengewölbe lag 8 Meter unter dem Erdgeschoss, und war über eine Treppe sowie einen gläsernen Lift erreichbar.

"Wie üblich habe ich euch im Hotel "Zum Mohren" Zimmer auf eure eigene Rechnung reserviert. Wir hier in der Gemeinde sind sehr heimatverbunden und wissen ganz genau, dass "Mohr" Ausdruck für das hohe Wissen der Mauren über Arzneien und Kräuterkunst gewesen ist. Da es diesen Begriff schon seit vielen Jahrhunderten bei uns hier gibt hat auch niemand ein Interesse daran, sich von ein paar durchgeknallten arbeitsscheuen und noch nichts geleistet habenden Wohlstandsflegeln eine Tradition kaputt machen zu lassen. Übrigens gibt es in dem Hotel keine Toiletten für das dritte oder das vierundzwanzigste Geschlecht. Und dort wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Wer damit ein Problem hat, muss sich anderweitig kümmern."

Bockelmüller hatte sich diesen Seitenhieb nicht ersparen können. Er wurde bald 90, und all die Jahre hatte sich niemand über einen "Mohren" echauffiert. Auch nicht über "Zigeunersoße". Erst seit ein paar Jahren waren alle wie vom wilden Affen gebissen und witterten überall Herabwürdigungen, Rassismus und sonst welche Hirngespinste. Für ihn stand fest, dass es den Leuten eindeutig zu gut ging und sie mittlerweile total verblödet waren, sonst würden sie sich nicht in solche Nichtigkeiten verbeißen. Er war selbst heute fast noch rund um die Uhr beschäftigt und hatte gar keine Zeit, sich mit solchem Schwachsinn zu befassen.

"Die Veranstaltung beginnt am Samstag 15 Uhr mit dem Kaffeetrinken. Wir werden schön über die Vergangenheit plaudern, und einen Blick in die Zukunft wagen. Was wird uns in den nächsten Jahren als Familienverbund erwarten? Welche Ziele sollten wir uns stellen? Was wollen wir noch erreichen?"

Das wird ihnen den Rest geben, dachte er hämisch. Nun musste auch dem letzten Trottel klarwerden, dass er leer ausgehen würde. Aber er hatte noch ein Ass im Ärmel.

"Wie ihr alle wisst, bin ich nicht ganz unvermögend. Alles habe ich mir über viele Jahre mit viel Einsatz selbst erarbeitet. Und ich möchte der Nachwelt, der Gesellschaft, etwas hinterlassen. Und das möchte ich mit euch diskutieren, so wie es in einer guten Familie üblich ist. Ich habe erste vage Ideen, vielleicht sollte ich eine Stiftung gründen. Oder etwas Ähnliches. Aber wie gesagt, darüber möchte ich in aller Offenheit mit euch reden, so wie wir es die ganzen Jahre schon handhaben."



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