Bevor du sagst »Ich will« - Clare Lydon - E-Book + Hörbuch

Bevor du sagst »Ich will« E-Book und Hörbuch

Clare Lydon

0,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Eine bezaubernde Liebesgeschichte über die alles entscheidende Frage: Willst du diesen Mann heiraten? Oder lieber deine Brautjungfer?  Abby Porter hat einen tollen Job und mit Marcus Montgomery den perfekten Verlobten. Als er merkt, dass Abby bei den Hochzeitsvorbereitungen unter Stress gerät, engagiert er eine professionelle Brautjungfer zu ihrer Unterstützung – nicht ahnend, was er damit anrichtet. Denn als Abby Jordan Cohen zum ersten Mal sieht, bleibt ihr schier die Luft weg. Und auch Jordan fühlt sich von der zukünftigen Braut sofort angezogen, und es fällt ihr zunehmend schwerer, ihre professionelle Distanz zu bewahren. Bis zur Hochzeit sind es noch Wochen, aber je näher der große Tag rückt, desto nervöser wird Abby. Ist Marcus der Mensch, mit dem sie ihr Leben verbringen will? Soll sie mit Jordan weiter an den Vorbereitungen arbeiten oder lieber ganz andere Pläne machen? Wird Abby es bis zum Altar schaffen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 367

Veröffentlichungsjahr: 2020

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:8 Std. 39 min

Veröffentlichungsjahr: 2020

Sprecher:Lisa Rauen

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Clare Lydon

Sie möchten keine Neuerscheinung verpassen?

Dann tragen Sie sich jetzt für unseren Newsletter ein!

www.ylva-verlag.de

Kapitel 1

Jordan Cohen bewegte ihre Schulter ein winziges Stück nach hinten. Dann noch ein bisschen. Mehr konnte sie nicht riskieren. Verdammt, es gab wirklich keinen ungünstigeren Zeitpunkt für ein Jucken zwischen den Schulterblättern. Nicht, wenn man als professionelle Brautjungfer neben Emily, der Braut und Auftraggeberin, vor dem Altar stand und den wachsamen Blicken von 120 Gästen ausgeliefert war.

»Willst du Max zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen?« Das Geschwafel des Pastors neigte sich endlich dem Ende entgegen.

Jordan umfasste ihr kleines Blumenbouquet, das sie als Trauzeugin in den Händen hielt, ein wenig fester, während sie darauf wartete, dass Emily antwortete. Das Jucken zwischen den Schultern war plötzlich wie weggeblasen. Sie ließ den Blick kurz über Emilys perfekte Frisur und die runden Diamantohrringe gleiten, die selbst im gedämpften Licht der Kirche funkelten. Nicht einmal Emily konnte das hier noch versauen, oder?

Die Sekunden verstrichen.

Dann noch ein paar weitere.

Aus Richtung der Sitzbänke ertönte ein Husten.

Bitte, Emily. Jordan blickte zu Max, dem Bräutigam. Sie wusste, dass er gerade genau das Gleiche dachte.

Hitze kroch erst Jordans Rücken und dann ihren Nacken hinauf. Sachte und unauffällig strich sie mit den Fingerspitzen über Emilys Arm.

»Ich will«, murmelte Jordan gerade laut genug, um von Emily gehört zu werden, aber nicht so laut, dass Max am Ende noch dachte, Jordan wolle ihn heiraten. Nichts läge ihr ferner. Emily und Max waren das perfekte Paar. Es mochte nicht die große Liebe sein, aber bei beiden tickte wohl die biologische Uhr.

Emily zuckte zusammen und drehte den Kopf in Jordans Richtung.

Jordan nickte in Max’ Richtung. Hoffentlich verstand Emily, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war »Ich will« zu sagen. Das gehörte dazu, wenn man heiraten wollte, und Jordan war davon ausgegangen, dass Emily das auch klar war. Sie hatten zusammen geübt, wie man im Hochzeitskleid ging, Posen einnahm, lächelte und sogar, wie man richtig atmete. Den Teil mit dem »Ich will« hatten sie bei den Proben allerdings ausgelassen. Rückblickend war das möglicherweise ein Fehler gewesen.

Stirnrunzelnd schaute Emily ihr einen Moment lang in die Augen, bevor sie sich wieder Max und dem Pastor zuwandte. Letzterer lächelte Emily mittlerweile unsicher an und nickte ihr auffordernd zu.

Jordan unterdrückte den Impuls Emily zu schütteln, um sie aus ihrer Trance zu reißen. Mit verzweifeltem Blick formte Max an Emilys Seite mit den Lippen die alles entscheidenden Worte.

Endlich, nachdem weitere wertvolle Sekunden verstrichen waren, öffnete sie den Mund. »Ich will.« Ihre Stimme klang laut und fest. Fast so, als würde sie es ernst meinen.

Max wirkte sichtlich erleichtert und auch durch die Reihen der Hochzeitsgäste ging ein hörbares Aufatmen.

Für einen Moment wurde Jordan vor Erleichterung schwindelig.

Es war geschafft. Sie hatte Emily im Vorfeld beruhigt, als diese kalte Füße bekommen hatte, dann dafür gesorgt, dass sie beim Schminken nicht allzu viel Champagner trank, und sie nun erfolgreich vor den Altar gebracht. Genau das war der Auftrag gewesen, den Jordan vor vier Wochen von Emilys Familie erhalten hatte. Ihr Honorar als professionelle Brautjungfer war zwar nicht davon abhängig, ob die Braut schlussendlich vor dem Altar landete, es erleichterte aber das Ausstellen der Abschlussrechnung enorm.

»Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut nun küssen!«, verkündete der Pastor und riss Jordan damit aus ihren Gedanken.

Rasch setzte sie ihr strahlendstes Lächeln für die Kamera auf. Ein Lächeln, das auf den Bildern später beweisen würde, wie großartig diese Hochzeit gewesen war. Dann schob sie ihre schulterlangen, blonden Haare nach hinten, stellte sich noch aufrechter hin und glättete den Stoff ihres hellgrünen Brautjungfern-Kleids mit den Händen. Es war auch hier wie bei jeder anderen Hochzeit wichtig, den Eindruck zu erwecken, dass sie noch nie etwas Schöneres getragen hatte.

Was nicht stimmte. Das Ding war ein formloser Sack, in dem sie aussah wie ein Stangensellerie.

Jordan konnte es kaum erwarten, sich umzuziehen und sich später mit Freundinnen auf ein Glas Sauvignon in ihrem Stamm-Pub zu treffen.

Doch das musste noch acht Stunden warten. Zuerst musste sie das Hochzeitsessen hinter sich bringen, die Reden über sich ergehen lassen und das Tanzen überstehen. Immerhin war das Ende ihres Arbeitstages jedoch schon in Sicht.

Als Max sich vorbeugte und zärtlich Emilys Gesicht mit den Händen umfasste, erlaubte Jordan sich ein ehrliches Lächeln. Ja, sie war unglaublich zynisch, wenn es um Liebe und Beziehungen ging, aber dieser Teil des Prozederes gab ihr immer auch ein wenig Hoffnung. Eine Hochzeit war der Beginn von etwas Neuem, ein frischer Wind in der Beziehung. Selbst für Emily und Max.

Das glückliche Paar küsste sich und die Gäste applaudierten begeistert. Jordan warf einen Blick hinüber zu dem anderen Trauzeugen, einem Mann namens Rob, der ihr sein charmantestes Lächeln schenkte. Ihn hatte sie heute erst kennengelernt, was nicht allzu unüblich war. Vielleicht war er ebenfalls engagiert. Max hatte sie wissen lassen, dass Rob sich darauf freute, mit ihr zum Altar zu schreiten und später, ganz der Tradition entsprechend, mit ihr zu tanzen. Jordan lächelte tapfer weiter, als Rob ihr vielsagend zuzwinkerte, doch innerlich verdrehte sie genervt die Augen.

Wieder ein Punkt mehr auf ihrer To-do-Liste.

Erstens: Dafür sorgen, dass Emily sich nicht so sehr betrank, dass sie über ihre eigenen Füße stolperte.

Zweitens: Honig um das Maul des Brautvaters schmieren, weil der ihre Rechnung bezahlte. Vielleicht sprang sogar ein Trinkgeld dabei heraus, wenn sie sich ordentlich ins Zeug legte.

Drittens: Dem Trauzeugen erklären, dass er bei ihr definitiv an der falschen Adresse war.

~ ~ ~

Jordan lenkte ihren uralten Ford Capri auf einen freien Parkplatz vor ihrer Wohnung in Brighton und schaltete den Motor aus. Einen Moment lang blieb sie einfach sitzen und lauschte dem Grölen einer kleinen Gruppe von Menschen, die gerade Jordans Stamm-Pub The Rusty Bucket verlassen hatte und nun die Straße hinunterging. Als sie ihre Handtasche öffnete, sah sie den Umschlag, den der Brautvater ihr zum Abschied in die Hand gedrückt hatte, in dem sich die tausend Pfund Trinkgeld befanden. Von der Braut hatte es eine Umarmung gegeben, die einen Rotzfleck auf Jordans Kleid hinterlassen hatte. Und vom Trauzeugen des Bräutigams ein enttäuschtes Seufzen, als ihm bewusst geworden war, dass sein sonst so überzeugendes Lächeln heute nicht den gewünschten Effekt erzielte.

Jordan zuckte erschrocken zusammen, als ein lautes Geräusch auf ihrem Autodach ertönte. Sie drehte den Kopf so schnell in Richtung Fenster, dass es in ihrem Nacken ungesund knackte. Der Schmerz schoss ihr bis hinter die Augen. Karen grinste sie durch das Fenster auf der Beifahrerseite an. Jordan erwiderte das Lächeln ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin reichlich gequält. Karen machte eine kurbelnde Handbewegung, als würde das Auto keine elektrischen Fensterheber besitzen. Was stimmte.

Jordan beugte sich zur Beifahrerseite rüber und verzog das Gesicht, weil sich bei dieser Bewegung ihre Nackenmuskeln noch mehr verkrampften. Dann griff sie nach der Fensterkurbel und drehte diese ein paarmal. Das mechanische Geräusch, das dabei erklang, war wirklich nicht angenehm.

Karen schmunzelte. »Hallo, liebste Mitbewohnerin, die ich seit einer Woche nicht mehr gesehen habe. Eine Frage: Warum sitzt du hier im Auto wie eine Spannerin?«

»Wohl eher Spinnerin als Spannerin.«

Karen lachte. »Klar, Spinnerin, wir reden hier von dir.« Sie legte die beiden Hände auf der halb heruntergelassenen Scheibe ab.

Jordan konnte nur hoffen, dass Karen sich nicht mit ihrem gesamten Gewicht darauf abstützte. Der Capri war ein Stück rollende Autogeschichte und musste dementsprechend pfleglich behandelt werden.

»Warum reibst du dir den Nacken?«

»Weil es da gerade ziemlich geknackst hat.«

Karen neigte den Kopf zur Seite. »Du arbeitest zu viel und bist garantiert total verspannt. Du musst dich entspaaaaaaannen.« Beim letzten Wort ließ Karen genüsslich den Kopf kreisen, als wäre sie noch nie verspannt gewesen. »Hast du heute wieder mal eine reiche Tussi verheiratet?«

»Mission ohne Komplikationen abgeschlossen.« Jordan drehte den Kopf vorsichtig von einer Seite auf die andere, glücklich darüber, dass sie keinen Schmerz mehr verspürte. Unwillkürlich musste sie an Emilys Beinahe-Nervenzusammenbruch vor der Trauung denken. Wie sie die Frau getröstet und ihr versichert hatte, dass ihre Ehe halten würde.

Jordan machte diesen Job eindeutig schon zu lange.

Plattitüden und Lügen kamen ihr mittlerweile so leicht über die Lippen, dass sie nicht einmal mehr darüber nachdenken musste.

»Wenn’s hilft: Du siehst wunderschön in dem Kleid aus.« Ein amüsiertes Lächeln erschien auf Karens Gesicht. »Und mit wunderschön meine ich, dass du einem seltsamen Grünstreifen ähnelst. Was ist das überhaupt für eine Farbe? Flotter Sellerie? Die Blume in deinen Haaren gefällt mir aber echt gut.«

Jordan rupfte sich die Blume vom Kopf. Sie hatte es so eilig gehabt, nach Hause zu fahren, dass sie vergessen hatte, sie herauszunehmen.

»Zieh dich um und komm rüber zum Bucket. Ich geb dir einen aus. Und hey, vielleicht wartet ja heute deine Traumfrau auf dich.«

Ihr letzter Kommentar brachte Jordan zum Lächeln. »Wo doch im Bucket immer so viele hübsche Lesben rumhängen.« Sie warf einen Blick auf die Zeit. Neun Uhr. Sie war heute Morgen um sieben zur Arbeit angetreten. Kein Wunder, dass sie so müde war.

»Du brauchst gar nicht auf die Uhr zu schauen und dir Ausreden einfallen zu lassen. Ich hab dich in den letzten Wochen kaum gesehen, weil du dich um die Hochzeit von Emily und Max gekümmert hast. Jetzt ist der Job vorbei und du musst ein bisschen runterfahren.« Karen richtete sich auf und klopfte zweimal auf das Autodach.

»Hey!«, protestierte Jordan. Sie hatte ihr schon oft genug gesagt, dass sie das lassen sollte.

Karen bückte sich erneut herunter, und stützte sich dabei wieder mit den Händen auf der Scheibe ab.

Jordan gab ihr einen Klaps auf die Finger. »Ein bisschen mehr Respekt für Carrie Capri.«

Karen wich gespielt erschrocken einen Schritt zurück, sah Jordan aber weiterhin an. »Wenn du mich doch nur so lieben könntest wie dein Auto. Tu mir einen Gefallen und hör auf mich. Komm rüber und trink einen mit mir. Du brauchst mal wieder eine Dosis echtes Leben und echte Freunde. Nicht dieses Fake-Getue, das du den Reichen als Brautjungfer immer vorspielst.«

Jordan atmete tief durch. Karen hatte ja recht. »Okay, gib mir 15 Minuten. Geh schon mal vor und bestell mir ein Glas Wein. Das größte, das sie haben.«

Karen lachte. »Geht doch.« Sie klopfte erneut aufs Autodach, bevor sie in Richtung Pub losmarschierte. Nach wenigen Schritten drehte sie sich noch einmal um und zwinkerte ihr zu.

Nachdem Jordan ihr Handy aus der Handtasche geholt hatte, drückte sie auf den seitlichen Knopf, der das Display aufleuchten ließ. Sie hatte eine neue E-Mail. Es wäre vernünftiger, sie erst am nächsten Tag zu lesen. Stattdessen sollte sie lieber in die Wohnung gehen und anschließend in den Pub. Leider schaffte sie es nie, einfach mal abzuschalten. Selbstständig zu sein bedeutete nicht umsonst, selbst und ständig zu arbeiten. Jordan öffnete die E-Mail.

Und starrte wie gebannt auf das Foto, das ihr ganz oben angezeigt wurde. Wer auch immer das war, sie war unglaublich schön.

Jordan überflog die E-Mail, weil sie unbedingt wissen wollte, wer ihr auf dem Bild entgegen lächelte. Abby Porter. 36 Jahre alt. Verlobt mit Marcus Montgomery.

Jordan schaltete die Innenbeleuchtung ein und betrachtete das Foto erneut.

Abby Porter hatte langes, glänzendes, dunkles Haar und haselnussfarbene Augen. Ihre Wangenknochen und die Art, wie sie ihren Kopf zur Kamera neigte, faszinierten Jordan. Sie vermittelte den Eindruck, dass es nicht viel gab, was sie aus dem Konzept bringen konnte. Allerdings sah Abby Porter nicht so aus, als wäre sie überglücklich darüber, Marcus zu heiraten. Jordan wunderte sich, dass er ihr keine private Aufnahme von Abby geschickt hatte – oder eine, die die beiden als Paar zeigte. Das Bild sah eher aus wie ein Bewerbungsfoto für eine Leitungsposition im Marketing. Vielleicht war Abby eine Brand-Managerin oder Abteilungsleiterin. Sie schien eine Frau zu sein, die wusste, was sie wollte und die daran gewöhnt war, ihren Willen für gewöhnlich auch durchzusetzen.

Jordan fragte sich ernsthaft, warum eine Frau wie Abby Porter ihre Unterstützung benötigte.

Was auch immer der Grund war, es war Jordans Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Hochzeit für jede ihrer Kundinnen so reibungslos und angenehm wie möglich über die Bühne ging. In der E-Mail stand, dass Abby sich ihre Unterstützung wünschte und die Details gerne besprechen wollte. Sie bat darum, dass Jordan sich zeitnah bei ihr meldete.

Jordan warf noch einen Blick auf Abbys Bild, das sie auf seltsame Weise faszinierte, und stopfte ihr Handy dann zurück in die Handtasche. Sie würde sich morgen bei ihr melden.

Heute Abend warteten ein Glas Traubensaft für Erwachsene und ihre beste Freundin auf sie, mit der sie viel zu lange keine Zeit mehr verbracht hatte.

Morgen früh würde sie sich Abby Porters Wünschen widmen.

Kapitel 2

Abby Porter umfasste ihr 5er Eisen fester und ließ den Blick über das grelle Grün des Übungsbereichs gleiten. Der Bildschirm zeigte ihr an, dass ihr Golfball weiter geflogen war als jemals zuvor. Das war keine große Überraschung. Heute hatte sich bei ihr mehr als genug Frust angestaut, den es abzuschlagen galt. War das der Fachbegriff dafür? Ab jetzt schon.

Sie brachte sich erneut in Position, holte mit dem Schläger aus und schwang ihn dann mit einer kräftigen Bewegung und einer Drehung ihres Körpers nach vorne, was den Ball in die Luft und die Übungsanlage hinunter beförderte. Vielleicht schoss er sogar über die Begrenzung hinaus. Es würde auf jeden Fall zu der Laune passen, die sie seit dem Abendessen mit Marcus’ Eltern hatte.

Abby ahnte, dass er sie von der kleinen, schwarzen Couch im hinteren Teil der Übungslounge aus beobachtete und versuchen würde, ihre Stimmung abzuschätzen. Und tatsächlich. Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Verlobten, der die Beine bequem übereinandergeschlagen hatte und sie vielsagend angrinste.

Sie hatte eine gute Wahl getroffen, das wusste sie. Marcus war groß, dunkelhaarig und attraktiv. Abby war mit ihren 1,73 Meter selbst nicht gerade klein und ihre gemeinsamen Kinder würden sicherlich hübsch werden.

»Willst du darüber reden, Abs?«

»Nein.« Sie lehnte den Golfschläger gegen die Seitenwand der Bahn, ließ sich dann neben Marcus fallen und rutschte näher an ihn heran.

Er legte einen Arm um Abbys Schultern und drückte einen Kuss auf ihre Schläfe. »Gut. Ich möchte nicht in der Haut dieses Golfballs stecken. Dem hast du mal so richtig gezeigt, wer von euch beiden Chef ist.«

»Wer ist denn bei uns beiden der Chef?«, fragte sie und zog eine Augenbraue neugierig nach oben.

Er schmunzelte. »Du natürlich.« Nach einem sachten Kuss auf ihren Mund erhob er sich, um selbst ein paar Bälle zu schlagen. Zu seiner schwarzen Anzughose trug er ein hellblaues Hemd, das natürlich ordentlich im Bund steckte. Genau so stellte Abby ihn sich als Student vor. Ordentlich und organisiert. Dieses Schicksal erwartete sie, sobald sie nach der Hochzeit zusammenzogen. Abby hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sie sich damit anfreunden konnte. Ordentlichkeit gehörte nicht gerade zu ihren Stärken und vielleicht war die Frage eher, ob Marcus sich mit ihr arrangieren konnte. In ein paar Wochen würden sie heiraten und direkt im Anschluss daran zusammenziehen. Spätestens dann würde sie es wohl herausfinden.

Marcus wandte sich zu ihr um und stützte sich auf seinem Schläger ab. »War der Golfball meine Mutter?« Er wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern holte erneut aus, verfehlte aber. Beim zweiten Anlauf traf er den Ball, der in hohem Bogen durch die Luft segelte. Dann drehte er sich wieder zu Abby um, da er noch keine Antwort erhalten hatte.

Sie schüttelte heftig den Kopf. Nein, so war das nicht – sie würde nie mit einem Golfschläger auf seine Mutter einprügeln. »Ich brauchte nur ein Ventil. Ist das ein Verbrechen?«

»Natürlich nicht.« Marcus schnappte sich einen Ball aus der Schachtel zu seiner Rechten und bückte sich, um ihn auf das recht mitgenommen aussehende Tee zu legen. »Aber sie hat es vorhin ein bisschen übertrieben. Das war ein wenig … anstrengend. Wir können das so machen, wie du willst. Wie wir wollen. Wir brauchen den ganzen Kram mit den Reden und so nicht.«

Abby knetete ihre Finger und versuchte, die erneut aufkeimende Wut zu unterdrücken. Marcus konnte nichts dafür. Er war ganz anders als seine Mutter. Wie aus dieser verklemmten, bigotten Frau ein so ausgeglichener, angenehmer Mann hatte hervorgehen können, war ihr noch immer ein Rätsel. Von Marcus’ Vater konnte das auch nicht kommen. Wenn es stimmte, was man sich erzählte, hatte der gerade drei Geliebte gleichzeitig.

Marcus war trotz seines Elternhauses ein anständiger Mann geworden. Gerade deswegen stieß es ihr so sauer auf, dass seine Familie sich bei den Hochzeitsplänen dermaßen einmischte.

»Ganz so einfach ist das nicht, oder? Laut deiner Mutter gibt es ja im Ablauf genug zu beachten. Das hat Tradition bei den Montgomerys, hat sie schließlich oft genug betont.« Als sie das zum fünften Mal angeführt hatte, hätte Abby ihr am liebsten deutlich zu verstehen gegeben, dass sie es inzwischen verstanden hatte. Aber das wäre wohl kein angemessenes Verhalten gegenüber ihrer Schwiegermutter in spe gewesen. Vor allem nicht, da sie sich erst zum vierten Mal überhaupt getroffen hatten. War Abby in Marjories Augen die passende Frau für ihren Sohn? Wahrscheinlich nicht.

Aber was bedeutete das schon? Den meisten Müttern waren die Frauen, die ihre Söhne heiraten wollten, nicht gut genug – Marjorie hatte diese Abneigung heute zum wiederholten Mal deutlich gezeigt. Die nächsten Wochen würden unglaublich anstrengend werden. Vor allem die Erwartungshaltung der Montgomerys in Bezug auf Abbys Aufgaben als zukünftige Braut entspannte die Situation keineswegs.

Dabei hatte sie sich ja noch nicht einmal entschieden, ob sie bei der Heirat ihren Nachnamen aufgeben wollte. Ihre feministische Grundhaltung sprach sich ganz klar dagegen aus. Doch dieses Thema auch noch anzusprechen, hätte bei Marjorie sicherlich das Fass zum Überlaufen gebracht, also hatte Abby den Mund gehalten. Diese Schlacht konnte auch an einem anderen Tag geschlagen werden. Marjorie hatte schon genug Schwierigkeiten damit, Abbys schottischen Akzent zu verstehen.

Marcus schlenderte wieder zu ihr, ließ aber den Golfschläger auf der Übungsmatte zurück. Er setzte sich neben Abby und griff nach ihrer Hand.

Abby schloss die Augen. Bei Marcus hatte sie sich immer sicher gefühlt. Das war einer der Gründe, warum sie seinen Antrag angenommen hatte. Das und die Tatsache, dass sie vor vier Wochen 36 geworden war und ihre biologische Uhr tickte, wenn sie in diesem Leben noch eine Familie gründen wollte. Was sie, wenn sie ihrem Umfeld Glauben schenkte, dringend wollte. Marcus war so viel reifer als die Männer, mit denen sie vor ihm zusammen gewesen war, dass sich sein Antrag wie ein Sechser im Lotto angefühlt hatte.

Das war jetzt ihr Leben. Golfbälle schlagen mit ihrem zukünftigen Ehemann. Marcus Montgomery. Sie hatte das große Los gezogen. Ab jetzt würde sie glücklich sein.

Ordentlich und organisiert.

Aber glücklich.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Marcus sie aufmerksam beobachtete. Er drückte ihre Hand sanft und seufzte.

»Das ist eigentlich genau das, was ich nicht will. Das ist unsere Hochzeit, die wir hier planen, und du bist an diesem Tag die wichtigste Person.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf sich. »Nicht ich. Ich bin einfach nur froh, dass ich derjenige bin, der dich heiraten darf.« Er war aufrichtig, das war ihm deutlich anzusehen. »Und ja, ich weiß, dass meine Mutter sich da ein bisschen zu sehr reingesteigert hat, aber in einem Punkt hatte sie schon recht: Du brauchst Unterstützung bei der Planung der Hochzeit. Jemand, der sich auf dich konzentriert.« Er zögerte kurz. »Das habe ich schon seit dem letzten Treffen im Hinterkopf und die heutige Auseinandersetzung hat mich nur darin bestätigt. Du bist jetzt schon so genervt und gestresst.« Er richtete sich etwas auf und sein Gesichtsausdruck wurde sehr ernst. »Ich habe mich ein bisschen umgeschaut und ich hab da was gefunden. Klingt vielleicht im ersten Moment ein bisschen unorthodox, aber es könnte die Lösung unserer Probleme sein.«

Abby hatte Mühe ihm zu folgen. »Was heißt unorthodox?«

»Ich habe eine Frau gefunden, die einen Service als professionelle Brautjungfer anbietet. Ihre Firma heißt sogar Professional Bridesmaid. Sie ist so was wie die persönliche Assistentin für Bräute und genau das brauchen wir. Also habe ich mir dir Freiheit genommen, sie zu kontaktieren.«

»Du hast was?« Sie waren noch nicht verheiratet und Marcus entschied schon über ihr Leben? Sofort schrillten Abbys Alarmglocken.

»Wenn es dir ums Geld geht, keine Sorge. Ich übernehme das.«

»Mich stört eher die Tatsache, dass die Montgomerys über mein Leben bestimmen wollen«, entgegnete Abby angefressen. »Du kannst so was nicht einfach hinter meinem Rücken machen. Das passiert gerade am laufenden Band, wenn es um die Hochzeit geht. Manchmal hab ich das Gefühl, als wäre ich eine unbeteiligte Zuschauerin bei der ganzen Sache.«

Doch Marcus schüttelte den Kopf und legte ihr eine Hand aufs Bein. »Das soll dir die Situation nur erleichtern. Ich weiß, dass du unter Zeitdruck stehst. Du arbeitest auf deine Beförderung hin. Du hast viel zu tun. Diese Frau hat gute Referenzen. Sie kann sogar eine deiner Brautjungfern werden, wenn du das willst. Was vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenn man bedenkt, wie sehr Delta neben der Spur ist, seit Nora mit ihr Schluss gemacht hat. Hauptsächlich soll sie aber für dich da sein und dich unterstützen. Auch am Hochzeitstag.«

Abby runzelte die Stirn. Sie konnte es immer noch nicht fassen. »Eine meiner Brautjungfern? Hast du sie noch alle?«

Marcus zuckte unschuldig lächelnd mit den Schultern. »Sie ist deine persönliche Assistentin und Brautjungfer. Nur für dich da. Rund um die Uhr erreichbar.«

Abby schüttelte erneut den Kopf. »Ich habe Brautjungfern, Marcus. Ich brauche keine engagierte. Delta ist meine Trauzeugin, das weißt du. Und zwar genau deswegen. Weil ihre nutzlose Freundin sie gerade verlassen hat und sie Ablenkung braucht. Meine Trauzeugin zu sein ist genau das. Das kann ich ihr nicht wegnehmen, dann bricht sie komplett zusammen.«

Nun bildeten sich auf Marcus’ Stirn Falten. »Ich sag ja gar nicht, dass du Delta die Aufgabe wegnehmen sollst. Nur die Verantwortung, die sie damit hat. Du musst doch zugeben, dass du mit ihr gerade noch mehr Arbeit hast, weil sie dir ständig Fragen zum Junggesellinnenabschied stellt. Und der sollte eigentlich schon längst organisiert sein. Diese Frau könnte genau die Richtige sein, um Delta und meine Mutter in Schach zu halten.«

Da hatte er nicht ganz unrecht. Abby hatte Delta mit der Organisation des Wochenendausflugs für den Junggesellinnenabschied beauftragt, letztendlich aber einen Großteil der Planung selbst übernehmen müssen. Delta hatte versprochen, sich um die Einzelheiten zu kümmern, doch dann war die Trennung dazwischengekommen. Seitdem verkroch sie sich, als würde die Welt untergehen, und schien darüber zu vergessen, dass ihre beste Freundin in ein paar Wochen heiraten würde. Ganz abgesehen von dem Junggesellinnenabschied, der vor der Tür stand.

»Ich weiß nicht so recht«, sagte Abby noch immer skeptisch, aber weniger abgeneigt.

»Doch, eigentlich schon, oder? Wird Delta dir wirklich helfen? Oder deine Cousine Taran? Denk mal darüber nach. Eine Person, der du vertrauen kannst, und die dir alles abnimmt, was dir zu viel wird. Man heiratet nur einmal, Abs. Ich will, dass du deine Hochzeit stressfrei genießen kannst. Und wenn das bedeutet, dass ich jemanden dafür bezahle, dass sie dir die nächsten Wochen das Händchen hält, ist das auch okay.«

»Ich bin eine erwachsene Frau, Marcus. Dafür brauche ich niemanden.« Sie konnte sich bildlich vorstellen, was ihre schottische Mutter zur Beauftragung einer professionellen Brautjungfer sagen würde.

Marcus warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. »Die Frau kann sich während der nächsten Wochen um meine Mutter kümmern. Damit wärst du der Kritik nicht mehr so ausgesetzt.«

Das ließ Abby aufhorchen. »Kann sie deine Mutter komplett übernehmen? Und sich um den Junggesellinnenabschied kümmern?«

»Das und noch mehr.« Er schaute ein wenig schuldbewusst drein. »Wie schon gesagt: Ich habe ihr eine E-Mail geschrieben, um herauszufinden, ob sie freie Kapazitäten hat. Hat sie.« Beschwichtigend hob er die Hände. »Denk einfach darüber nach, okay? Für mich? Triff dich doch wenigstens mit ihr und hör dir an, was sie dir vorschlägt. Ihre Referenzen sind exzellent. Wenn du sie nicht magst, kein Problem, dann lassen wir es sein. Aber wenn sie dir das Leben leichter machen kann, warum nicht?«

Noch immer fiel es Abby schwer, ihre Wut gänzlich abzuschütteln. Was fiel ihm eigentlich ein? Doch das war Marcus, wie sie sich in Erinnerung rief. Er tat das aus Liebe, nicht, weil er sie kontrollieren wollte. Anders als seine Mutter.

Außerdem: Wenn diese Frau ihr Marjorie vom Leib halten konnte, war der Vorschlag vielleicht gar nicht so verrückt.

»Ich bin immer noch sauer, dass du das hinter meinem Rücken angeleiert hast.«

»Du hättest doch sonst nie zugestimmt.« Er schenkte Abby dieses Lächeln, das nur für sie bestimmt war.

»Sie weiß schon Bescheid?«, fragte sie schließlich mit einem lang gezogenen Seufzen.

Er nickte. »Ich habe ihr gestern geschrieben, also wird sie dich wohl anrufen. Sie heißt Jordan.«

»Jordan.« Was war das denn für ein Name?

Kapitel 3

»Warum machen wir das noch mal?« Jordan war so außer Atem, dass sie kaum ein Wort herausbrachte, doch sie blieb tapfer in Bewegung. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie wahrscheinlich nicht weiterlaufen würde, wenn sie jetzt aufhörte. Karen wirkte neben ihr, als würde sie auf Rollschuhen dahingleiten. Offenbar zahlte sich Joggen mehr aus, wenn man es nicht nur einmal im Monat machte.

»Weil schon wieder eine reiche Tussi von dir erwartet, dass du allen die lang verschollene beste Freundin und perfekte Brautjungfer vorspielst. Ganz oben auf der Wunschliste deiner Kundin steht deine gute Figur. Und du musst heiß aussehen. Niemand will eine fette Brautjungfer, oder?«

Sie waren seit 20 Minuten ohne Pause am Laufen, wie konnte Karen da noch so locker plaudern? »Das ist jetzt aber schon ein bisschen diskriminierend«, keuchte Jordan. Zu ihrer Linken wogte das Meer und sah dabei aus, als sei es das größte Wasserbett der Welt. Über ihnen wurde das Grau des Himmels nur von weißen Wolken durchzogen. Der Anblick erinnerte sie an das graue Sweatshirt, auf dem sie einmal versehentlich Bleiche anstatt Fleckentferner verteilt hatte und das sie jetzt nur noch beim Renovieren tragen konnte. Was unterm Strich also nie der Fall war.

»Ich bin nur realistisch. Aber zu schlank und heiß solltest du auch nicht werden, weil jede Braut an ihrem Hochzeitstag im Mittelpunkt stehen will. Da muss man ganz schön aufpassen, oder?«

Darauf antwortete Jordan nicht. Vor allem, weil ihr die Luft dazu fehlte.

Karen warf ihr einen Seitenblick zu. »Jetzt grade bist du nicht besonders verführerisch, so wie du hechelst. Sonst aber schon.« Sie grinste. »Du könntest die Inspiration für viele Bräute sein, wenn du Kate Moss’ Spruch beherzigst: Nichts schmeckt so gut wie dünn zu sein.«

»Vielleicht sollte ich dann einfach mal ein bisschen koksen.«

»Machen deine Kundinnen bestimmt auch.«

Eine scharfe Böe schlug ihnen entgegen und raubte Jordan noch mehr Atem. Laut Kalender war es schon Mai, aber hier an der Südküste bekam man von den verschiedenen Jahreszeiten nicht viel mit. Am Meer schmeckte jeder Tag nach Gischt. Vor ihnen tauchte Walton’s auf, das Café auf halber Strecke ihrer Joggingroute. Hier kehrten sie für gewöhnlich um und liefen wieder nach Hause. Doch heute brauchte Jordan eine Pause. Außerdem lugte die Sonne gerade verlockend durch die nach Regen aussehenden Wolken. Als sie die etwas heruntergekommene, weiß getünchte Holzfassade des Cafés erreichten, schenkte Jordan Karen ihren schönsten Augenaufschlag.

»Können wir uns einen Kaffee holen?« Jordan hielt sich die Seite. »Ich hab Seitenstechen und gestern Nacht echt nicht viel geschlafen. War nach dem Stress im letzten Monat zu aufgekratzt. Was meinst du? Darf ich es langsam angehen lassen?«

Karen warf ihr einen vielsagenden Blick zu, nickte aber. »Solange wir nachher zurückjoggen.«

»Ich schwör’s bei meinem Leben«, antwortete Jordan, kreuzte jedoch die Finger dabei.

Im Café machte Karen einen Abstecher zur Toilette, während Jordan ihnen zwei Cappuccinos holte und sich dann einen Platz am Fenster suchte, damit sie einen Blick auf das Meer hatten. Der Duft nach gebratenem Speck und Würstchen ließ ihren Magen knurren. Aber sie durfte ihren Gelüsten nicht nachgeben. Karen hatte schon recht: Sie musste ein Image aufrechterhalten, das zur Geschichte passte. Als professionelle Brautjungfer fühlte sie sich oft wie eine Schauspielerin, die jeweils für ein paar Wochen für Bühnen- und Veranstaltungsauftritte gebucht wurde. Ihr Wissen über die Aufgaben einer Brautjungfer war demnach unerschöpflich.

Karen ließ sich auf den ihr gegenüberliegenden Stuhl fallen. Mit ihren kurzen, dunklen Haaren, den strahlend blauen Augen und ihrer Frohnatur war sie immer angenehme Gesellschaft.

Sie trank einen Schluck Kaffee. »Wie war eigentlich der Abschluss des letzten Jobs? Wollte ich gestern Abend schon fragen. Ist was Lustiges passiert, während ich damit beschäftigt war, das Land mit Schlüpfern zu versorgen?« Karen arbeitete im Einkauf der Wäscheabteilung von Marks & Spencer. Mit diesem Job gingen ihr nie die Gesprächsthemen aus.

Jordan ließ die letzte Woche noch einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Alles in allem war es ziemlich glatt gelaufen. Und sie hatte schon deutlich schlimmere Kundinnen als Emily gehabt.

»War schon okay.«

»Niemand hat dich wiedererkannt?«

Jordan schüttelte den Kopf. Sie war selbst überrascht, dass das noch nicht passiert war. Immerhin hatten die Leute, die sich ihren Service leisten konnten, viel Geld und verkehrten in ähnlichen Kreisen. Sie war sich sicher, dass sie einige der Gäste schon auf verschiedenen Hochzeiten gesehen hatte. Allerdings hatte Jordan auch über die Jahre hart daran gearbeitet, sich möglichst gut ins Gesamtbild einzufügen. Und wer rechnete schon mit der gleichen Brautjungfer auf verschiedenen Hochzeiten?

»Im Gegenteil. Ich wurde zu zwei anderen Hochzeiten eingeladen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Die Braut hat kalte Füße bekommen, während ich sie geschminkt habe, aber ich hab sie letztendlich vor den Altar gebracht. War schon ein kleines Wunder.«

»Und da sagen die Leute immer, dass es keine Romantik mehr gibt.«

Jordan lachte. »Bei Hochzeiten geht es selten um echte Romantik.«

Karen lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und betrachtete das Meer durch das große Fenster. »Aber du hast jetzt ein bisschen Luft, oder? Weil der nächste Auftrag storniert wurde?«

Kopfschüttelnd nippte Jordan an ihrem Kaffee. »Weiß ich noch nicht. Ich hab schon eine neue potenzielle Kundin, die ich zurückrufen soll, also fällt meine Auszeit vielleicht ins Wasser. Ist halt Hochzeitssaison. Zumindest bis Mitte September sollte ich durcharbeiten.«

Karen zog eine Schnute. »Muss ich mir jetzt schon einen Termin holen, um Zeit mit dir zu verbringen? Ich vermisse dich.«

»Du kennst das doch schon. Und außerdem hast du doch Dave.«

»Dave? Der ist nur mein Partner. Du bist meine beste Freundin.«

Jordan grinste. »Und ich bin im September immer noch deine beste Freundin. Deine schlankere, heißere, reichere beste Freundin, wenn alles gut geht. Ich werde dieses Jahr rausholen, was noch geht. So viele Aufträge hab ich mit 35 nicht mehr. Die Leute wollen vielleicht keine fette Brautjungfer, eine alte aber auch nicht.«

»Die Welt ist ganz schön deprimierend.«

»Nicht, wenn man noch jung und knackig ist. Emily war eine Nervensäge, aber immerhin eine lukrative. Ich hoffe diesen Sommer noch auf ein paar mehr von der Sorte.«

»Menschen mit mehr Geld als Verstand?«

»Wir reden hier von Hochzeiten. Die Leute geben gerne Geld dafür aus, dass andere ihre Probleme lösen. Ich bin eine professionelle Problemlöserin. Wer hätte das gedacht, als wir noch studiert haben?«

Karen lachte leise und lehnte sich etwas nach vorne. »Ich nicht. Wie viel hat dir der letzte Job eingebracht?«

»Genug, um dich nachher zum Essen einzuladen.«

»Großartig.«

»Und was gibt’s Neues im Wäschebusiness? Irgendwelche Fortschritte diese Woche? Hast du das Land schon davon überzeugt, dass alle Frauen neonblaue BHs mit passenden Höschen tragen sollten?«

»Noch nicht, aber das gehört alles zu meinem Masterplan. Sie werden schon auf den Geschmack kommen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«

Kapitel 4

Nach der intensiven Trainingseinheit spürte Abby ihre Arme deutlich, als sie das Fitnessstudio verließ. Doch es war ein guter Schmerz. Die Art von Muskelkater, die irgendwann zu Muskelkraft wurde und ihr Selbstbewusstsein schenken würde, wenn sie zum Traualtar schritt. Und für die Flitterwochen auf den Malediven. Marcus hatte bereits gebucht. Ohne sie zu fragen.

Eigentlich hatte er sie damit überraschen wollen, aber sie hatte es schließlich doch aus ihm herausbekommen. Die meisten Bräute freuten sich mit Sicherheit auf endlose Sandstrände, einsame Höhlen und Fünf-Sterne-Luxus. Abby dagegen sah nur den langen Flug vor sich.

Fliegen gehörte nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.

Okay, sie hasste es zu fliegen, insbesondere Langstrecke. Außerdem konnte sie sich noch nicht wirklich auf die Flitterwochen freuen, dazu lauerte die düstere Wolke der Hochzeit viel zu bedrohlich über ihr.

Auch das war ein Grund für ihren morgendlichen Besuch im Fitnessstudio gewesen: Sie hatte ein bisschen Anspannung loswerden müssen. Zwar war es nicht gerade ihr Lieblingssport, aber sie hatte nur noch einen Monat, um sich auf den Tag der Tage vorzubereiten.

Sollte sie aufgeregter sein bei dem Gedanken an zwei Wochen im Paradies? Ausschlafen und morgens lange im Bett liegen bleiben, Brunch auf der Terrasse, Nachmittage in der Sonne? Vielleicht.

Abby konzentrierte sich auf dieses Bild, fokussierte es vor ihrem inneren Auge, während sie die Straße hinunterging.

Ihre Stimmung änderte sich trotzdem nicht.

Ihr Handy vibrierte in ihrer Jackentasche. Sie schüttelte den Kopf, fischte es heraus und warf einen Blick aufs Display. Eine unbekannte Nummer. Wieder eine dieser Nervensägen? In letzter Zeit riefen sie ständig Firmen an und wollten wissen, ob sie einen Arbeitsunfall gehabt hatte.

Schließlich nahm Abby den Anruf entgegen und drehte das Gesicht zur Sonne, die gerade durch die Wolken lugte.

»Hallo? Spreche ich mit Abby?« Die Stimme klang ruhig und selbstsicher.

»Ja. Wenn Sie mir eine Versicherung oder sonst was verkaufen wollen: kein Interesse.«

»Das habe ich nicht vor. Ich bin Jordan. Marcus hat mir eine E-Mail geschrieben, dass Sie vielleicht Unterstützung gebrauchen könnten. Ich bin die Inhaberin von Professional Bridesmaid.«

Abby blieb stehen und blinzelte ein paarmal. Vor ihr balancierte ein Fensterputzer auf einer wackeligen Leiter an der Fassade eines hohen Reihenhauses. Sollte sie unter der Leiter durchgehen, da dort mehr Platz war? Oder lieber außenherum, wo sie möglicherweise von einem Fahrradkurier über den Haufen gefahren werden konnte? Sie war nicht abergläubisch – nur eine intelligente Frau, die davon überzeugt war, dass alles aus einem bestimmten Grund passierte. Also ging sie unter der Leiter durch, atmete danach jedoch erleichtert auf. Ihr war kein Wassereimer auf den Kopf gefallen. So weit, so gut. Nun musste sie nur noch herausfinden, was das Gespräch mit Jordan für sie bereithielt.

»Ja. Hallo. Er hat es mir gesagt, aber ich will ganz ehrlich sein: Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie wirklich brauche. Marcus will mir die Sache möglichst leicht machen, aber ich habe schon eine Hochzeitsplanerin und eine Trauzeugin. Ich weiß nicht, was es für Sie da noch zu tun gibt.«

Eine kleine Pause entstand, bevor Jordan antwortete: »Diese Antwort höre ich oft, Abby, und ich verstehe vollkommen, dass Sie Vorbehalte haben. Aber Sie werden überrascht sein, wie ich Ihnen helfen kann, damit Sie ihre Hochzeit vollkommen entspannt genießen können. Das funktioniert aber nur, wenn Sie mich dabeihaben wollen.«

»Das weiß ich, ich bin Geschäftsfrau. Ein Geschäft ohne Beziehungen funktioniert nicht.« Sie seufzte. Die Frau klang vernünftig und schien zu wissen, wovon sie sprach. »Aber Marcus hat Sie angeschrieben, ohne mich vorher zu fragen. Ich habe ihm versprochen, dass ich mich mit Ihnen treffe und mir Ihr Angebot anhöre und daran halte ich mich auch. Mehr kann ich Ihnen noch nicht versprechen.«

»So beginnen die meisten meiner Aufträge.«

»Von wo kommen Sie?«

»Ich lebe in Brighton, aber ich kann gerne zu Ihnen fahren. Soweit ich weiß, sind Sie in Balham, das ist nur eine gute Stunde von mir entfernt. Wir können uns gerne dieses Wochenende treffen, wenn Ihnen das passt?«

Abby ging im Kopf ihre Wochenendpläne durch. Am Sonntag war sie bei Freunden zum Grillen eingeladen, ansonsten hatte sie Zeit. »Wie wäre es mit Samstagvormittag?«

Jordan musste offenbar nicht in ihren Kalender schauen, denn sofort antwortete sie: »Sehr gerne. Ich schreibe Ihnen eine WhatsApp-Nachricht mit dem Angebot meines Services, damit wir schon einmal eine Gesprächsgrundlage haben.«

Das klang beinahe professionell und gar nicht mal so sehr nach einer Luftnummer. »Klingt gut.« Abby zögerte kurz. »Für wie viele Bräute haben Sie denn schon die Brautjungfer gespielt?«

»27 bis jetzt. Für die zweite Jahreshälfte bin ich noch bei fünf weiteren gebucht. Sie hatten Glück, dass ich durch eine Absage ein freies Zeitfenster bekommen habe. Aber wie gesagt, es kommt nur darauf an, ob Sie das auch wollen.«

Diese Zahl verblüffte Abby dann doch. »27? Wow. Das ist eine Menge Hilfe für Bräute. Ich wusste gar nicht, dass das so gefragt ist.«

»Sie wären überrascht«, sagte Jordan amüsiert. »Passt Ihnen zehn Uhr? Ich plane immer mindestens zwei Stunden für das Erstgespräch ein, damit wir genug Zeit haben. Stellen Sie sich einfach ein nettes Kaffee-Date mit einer Freundin vor. Wir reden ein bisschen und lernen uns kennen. Danach werden Sie wissen, ob wir miteinander arbeiten können oder nicht. Ist das für Sie in Ordnung?«

»Das klingt ja fast normal.«

Jordan lachte. Ein tiefes, herzliches Lachen, das Abby unwillkürlich lächeln ließ.

»Dann sehen wir uns am Samstag«, sagte Jordan. »Und ich verspreche Ihnen, dass es fast normal sein wird.«

Kapitel 5

Jordan hatte sich mit Abby im Pinkies Up verabredet, einem Café, das erst vor Kurzem auf der Balham High Street eröffnet hatte. Die Empfehlung hatte Sean ausgesprochen, ein Freund aus der Gegend, der das Szenecafé für einen guten Treffpunkt hielt – und es war wirklich keine schlechte Wahl. Die weißen Holztische fügten sich mit ihren passenden Stühlen gut vor den leicht schimmernden, rosafarbenen Wänden ein, an denen Grünpflanzen für eine angenehme Atmosphäre sorgten. Das gefiel Jordan besonders gut, da Pflanzen schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt hatten.

Wie immer war sie zu früh dran. Also suchte sich Jordan einen Platz und ließ den Blick durch den Raum schweifen, während sie an ihrem Milchkaffee nippte. Das Café war gut besucht, hier und da sah sie Eltern mit ihren Kindern, aber auch einige Leute, die an ihren Laptops arbeiteten. Früher hatte Jordan nicht verstanden, warum jemand zum Arbeiten in ein Café ging. Inzwischen war ihr das jedoch klar. Hier hatte man die Gelegenheit, außerhalb der eigenen vier Wände zu arbeiten und dabei ein bisschen menschlichen Kontakt zu bekommen. Meistens war ihr nach Abschluss eines längeren Auftrags erst einmal nach ein paar Tagen Einsamkeit. Bei ihrem Job stand sie schließlich immer in der Öffentlichkeit, was ziemlich anstrengend sein konnte.

Um Punkt zehn Uhr betrat eine Frau den Gastraum und sah sich etwas nervös um. Die Frau aus der E-Mail. Abby.

Jordan setzte sich aufrecht hin. Selbst wenn sie vorher kein Foto von ihr gesehen hätte, hätte sie sie sofort erkannt. Diese Treffen waren für Jordan Alltag. Allerdings waren die Bräute normalerweise weniger zögerlich als Abby, da sie für gewöhnlich gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen konnten. Also würde die Arbeit mit Abby vielleicht sogar eine überdurchschnittliche Herausforderung darstellen.

Jordan hatte Abby im Vorfeld mitgeteilt, dass sie ein gelbes Oberteil tragen würde. Die Farbe harmonierte gut mit ihrer gebräunten Haut; sie bekam immer Komplimente, wenn sie es anhatte. Eine schwarze Hose und weiße Grenson-Sneaker rundeten ihr legeres und trotzdem ordentliches Outfit ab. Businesskleidung machte diese Erstgespräche sehr viel steifer.

Jordan erhob sich und winkte Abby kurz zu, und reichte ihr die Hand, als sie zu ihr gestoßen war. »Danke für Ihr Kommen, Abby. Es ist schön, Sie kennenzulernen.«

Abby hatte einen festen Händedruck und nickte ihr knapp zu, bevor sie sich auf dem gegenüberliegenden Stuhl niederließ. Sie trug dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Top. Ihre manikürten Nägel waren rot lackiert, was Jordan sagte, dass sie auf solche Dinge achtete. Abbys dunkle Haare reichten ihr in lockeren Wellen bis knapp auf die Schultern. Hinzu kamen ihre hohen Wangenknochen. Kein Zweifel, Abby war auch in Realität umwerfend attraktiv. Sie klammerte sich an ihre Coach-Handtasche und musterte Jordan von oben bis unten.

Bestanden Jordans blonde Haare, blaue Augen und ihr gewinnendes Lächeln die Prüfung? Offensichtlich schon, denn Abby entspannte sich sichtlich.

»Ich wäre fast nicht gekommen.« Der weiche, schottische Akzent in ihrer Stimme war unüberhörbar. Sie lehnte sich etwas in ihrem Stuhl zurück. »Aber hier bin ich. Wie lang ich bleibe … Nun, das kommt drauf an.«

»Auf was? Wie gut der Kaffee schmeckt? Bis jetzt ziemlich gut.« Jordan winkte eine Kellnerin heran.

Nachdem Abby ihre Bestellung aufgegeben hatte, hängte sie ihre Handtasche an die Stuhllehne. Sie blieb also. Runde eins ging an Jordan.

»Sie sind ehrlich gesagt ganz anders, als ich Sie mir vorgestellt habe.«

»Oh?« Das hörte Jordan nicht zum ersten Mal. »Was haben Sie denn erwartet?«

»Jemanden in einem Brautjungfernkleid. Bescheuert, ich weiß. Wir sind hier nicht auf einer Hochzeit, warum sollten Sie also eins tragen? Aber Sie sehen aus, als könnten Sie eine meiner Freundinnen sein. Eine Person, die ich kenne. Das habe ich nicht erwartet.«

Jordan lächelte. »Genau das ist das Ziel. Meine Aufgabe ist es, mich in Ihr Leben einzufügen und Sie können dabei bestimmen, wie ich aussehe.« Sie deutete auf ihre schulterlangen Haare. »Das ist fast meine natürliche Farbe, der Friseur hat nur ein bisschen nachgeholfen. Aber ich habe sie auch schon braun, rot und sogar schwarz gefärbt, wenn es nötig war. Ich kann sein, wen immer Sie an Ihrer Seite haben wollen.« Jordan ließ den Blick kurz über Abbys schlanken Körper huschen. Die Frau war noch immer ziemlich angespannt und der Auftrag stand weiterhin auf der Kippe. Sie musste unbedingt dafür sorgen, dass Abby sich wohlfühlte. Wenn sie eins konnte, dann das. »Aber ich bin schon zehn Schritte zu weit.«

Die Kellnerin brachte den Kaffee.

»Möchten Sie etwas essen?« Frühstückte Abby normalerweise? Insgeheim war sich Jordan sicher, dass sie das nicht tat.

Abby schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«

»Okay. Vielleicht sollte ich Ihnen ein bisschen mehr über den Service erzählen, den ich anbiete. Angefangen hat alles, weil ich Bedarf gesehen habe und durch Mund-zu-Mund-Propaganda ist das Ganze stetig gewachsen. Wie hat Marcus von mir erfahren?«

»Auf einer Webseite, glaube ich.« Abby spitzte die Lippen und runzelte die Stirn. »Ist aber schon ein bisschen seltsam, dass er davon wusste.«

»In seiner E-Mail klang es so, als wollte er die Hochzeit so angenehm wie möglich für Sie machen. Das ist mein Job und in dem bin ich gut. Sie können gerne mit den Bräuten sprechen, die mit mir gearbeitet haben, die werden Ihnen das sicher bestätigen.«

»Ich glaube Ihnen das auch so.« Abby probierte ihren Kaffee und nickte anerkennend. »Sie hatten recht, der ist gut. Na schön, worüber redet man bei einem solchen Erstgespräch normalerweise?«

Jordan räusperte sich. »Wir loten aus, wie ich Sie unterstützen kann. Hauptsächlich lernen wir uns einfach kennen und schauen, ob wir miteinander arbeiten können. Wenn wir das durchziehen, werden wir viel Zeit miteinander verbringen. Ich nehme nicht jede potenzielle Kundin an und ich werde auch nicht von jeder beauftragt. Also kein Druck.« Für einen Moment zögerte Jordan. Abby war schwer zu durchschauen. »Fangen wir doch mit etwas Einfachem an. Erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben. Über Ihre Arbeit, Ihre Familie. Und natürlich über Marcus.«

Abby überschlug die Beine und nickte zustimmend. »Okay, ich arbeite in der Führungsebene – als Projektmanagerin bei Investwell. Wenn alles klappt, werde ich demnächst zur Teamleiterin eines Projekts befördert, das ein neues System in unserer Vermögensverwaltung implementiert. Mein Chef ist nett, aber langweilig. Wenn ich irgendwann so werde, muss ich mich leider erschießen. Der Job ist nicht besonders aufregend, aber gut bezahlt. Ich mache meine Arbeit und die Leute wissen das zu schätzen.« Sie musterte Jordan erneut. »Ein bisschen, wie bei Ihnen, oder?«

Sie war klug. »Teilweise schon. Sie könnten mich als ihre persönliche Cheerleaderin betrachten, als rechte Hand und als Schulter zum Ausweinen.« Manchmal verwendete Jordan den Begriff Therapeutin, hatte hier aber das Gefühl, dass es Abby eher abschrecken würde. Die Frau wirkte auf sie sehr unabhängig, und wie jemand, der selten um Hilfe bat. Der Auftrag stand also noch immer in den Sternen.

»Außerdem: Wenn man tagsüber schon Projekte verwaltet, will man das ja nicht auch noch in seiner Freizeit tun.« Jordan hielt kurz inne. »Sind Sie zu Hause sehr ordentlich?«