Was das Herz sich wünscht - Clare Lydon - E-Book + Hörbuch

Was das Herz sich wünscht E-Book und Hörbuch

Clare Lydon

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Beschreibung

Ein Fake-Date, das alles verändert – Funken, Gefühle und vielleicht die große Liebe. Als Erin Stewart sich ein Fake-Date für das Ehejubiläum ihrer Eltern anheuert, bekommt sie deutlich mehr, als sie je zu träumen gewagt hätte. Steph Mitchell ist nicht nur eine professionelle Schauspielerin, sondern auch wahnsinnig attraktiv. Leider macht das die Spannungen innerhalb von Erins Familie nicht unbedingt erträglicher, aber letztendlich müssen sie die Scharade ja nur für fünf Tage aufrechterhalten. Womit Erin jedoch nicht gerechnet hat? Das erregende Kribbeln, das sie bei jedem von Stephs Blicken verspürt, und die Funken, die bei jeder Berührung zwischen ihnen fliegen. Doch sich ernsthaft in Steph zu verlieben, hätte gravierende Konsequenzen für Erin – nur sind diese vielleicht gar nicht so negativ wie gedacht …

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Zeit:8 Std. 50 min

Veröffentlichungsjahr: 2023

Sprecher:Irina Salkow

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Inhaltsverzeichnis

Von Clare Lydon außerdem lieferbar

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Danksagung

Über Clare Lydon

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Von Clare Lydon außerdem lieferbar

Weil es immer noch Liebe ist

Biete Hoffnung, Suche Glück

Das Gefühl von Liebe

Bevor du sagst »Ich will«

Prolog

Zwanzig Jahre zuvor …

Steph schlug die Augen auf. Es dauerte einen Moment, bis sie sich erinnerte, wo sie war. Durch die halb geöffneten staubigen Jalousien fiel Licht auf die gegenüberliegende Wand.

Eine Frau in weißem Kittel stand mit einem Klemmbrett in der Hand an ihrem Bett. Dass sie sich etwas notierte, war jenseits des Piepens der Monitore im Raum kaum hörbar. »Du bist wieder wach.« Ihre Stimme klang dumpf.

Stephs Hirn wollte noch nicht so recht funktionieren, als sie versuchte, sich an den Namen der Ärztin zu erinnern. Teresa? Tracey? Trudi? Sie war sich sicher, dass er mit T anfing, doch seit der Operation konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen.

»Wie geht es dir?«

Steph wollte nicken, doch ihr Kopf regte sich nicht. Ihre Kehle war trocken, und sie schaffte es kaum, zu schlucken. Wie gerne hätte sie sich jetzt die Zähne geputzt.

»Besser«, krächzte sie. Jedenfalls hoffte sie, dass es ihr bald besser gehen würde. Nachdem ihr Leben sechs Jahre lang auf der Kippe gestanden hatte, war das vielleicht endlich ein Neuanfang. Der Beginn eines neuen Lebens. Die Operation war nun zwei Tage her. Sie hatte Schläuche in Mund und Nase, sie war aufgeschlitzt und wieder zusammengeflickt worden, aber sie war am Leben.

Die Ärztin nickte. »Wie gesagt, es wird eine Weile dauern, bis du wieder fit bist. Geh es ruhig an und schon dich. Streng dich nicht zu sehr an. Dafür hast du noch den Rest deines Lebens Zeit. Nichts Schweres tragen, nicht rennen und nicht herumhüpfen.«

Schön wär’s.

Die Ärztin kniff sie sanft in den Arm. »Bis später. Ruh dich aus.« Dann schloss sie leise die Tür.

Steph verlagerte ihr Gewicht. Es fühlte sich an wie tausend Stiche. Ihre Zähne schmerzten, in ihrer Brust zog es und vor ihren Augen flimmerte es. Sie atmete ein und verzog das Gesicht. Sie wollte sich krümmen, sich zu einer winzigen Kugel zusammenrollen. Irgendetwas tun, um den Schmerz zu stillen.

Aber all das würde sich bezahlt machen. Nicht mehr lange, dann wären ihre Tage auf Krankenstationen und in Wartezimmern gezählt. Vielleicht würde sie bald sogar richtig laufen können. Ohne vor jedem Schritt das Risiko einzuschätzen. Steph würde ein Leben führen wie alle anderen, das hatte die Ärztin ihr versprochen. »In den ersten paar Monaten wirst du nur langsam Fortschritte machen. Hab Geduld.«

Mit Geduld kannte sie sich aus.

»Du schaffst das. Du bist meine Kämpferin«, hatte ihre Mutter immer gesagt.

Steph hatte gescherzt, sie würde nächstes Jahr um diese Zeit Fallschirm springen, um ihr einjähriges Operations-Jubiläum zu feiern. Ihre Mutter fand das nicht ganz so witzig wie sie. Gut, dann eben nicht. Sie wollte ihrer Mutter keine Angst machen. Sie würde es langsam angehen und normale Dinge tun. Dinge, die andere für selbstverständlich hielten.

Zum Bus rennen, zum Beispiel. Oder tanzen wie eine Bekloppte. Vielleicht würde sie sogar endlich mal eine Frau küssen. Sie grinste, obwohl ihr die Wangenknochen wehtaten. Das wäre unglaublich. Und vielleicht könnte sie sich ja auch endlich ihren Schauspieltraum erfüllen. Sich an der Schauspielschule zu bewerben, wie sie es sich versprochen hatte. Sie konnte kaum glauben, dass ihr diese Möglichkeit nun offenstand.

Steph hatte eine zweite Chance bekommen und sie würde sie ganz bestimmt nicht verschwenden. Die letzten sechs Jahre ihres Lebens hatte sie wie eine träge Raupe verbracht. Jetzt war sie bereit, aus ihrem Kokon zu schlüpfen und zum Schmetterling zu werden.

Sie konnte es wagen, zu träumen.

Kapitel 1

Heute

»Ich geh da nicht hin.« Erin leerte das breite Glas mit dem Marmelade-Gin-Likör, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

»Wie, du gehst nicht hin? Es ist der vierzigste Hochzeitstag deiner Eltern.« Morag warf ihr einen fassungslosen Blick zu. »Zur Not gehe ich auch ohne dich. Deine Eltern schmeißen die besten Partys. Weißt du noch, der sechzigste Geburtstag deiner Mutter, mit der Vodka-Eisskulptur und dem Live-Band-Karaoke?« Sie machte eine ausschweifende Geste und ihr rosa Pullover verfing sich in der Chipstüte. Sie konnte gerade noch verhindern, dass die Chips dem dankbaren Pub-Hund ins Maul rieselten – dem schokoladenbraunen Labrador Freddo.

Erin hatte die Feier noch gut in Erinnerung. Sie hatte zu viel eisgekühlten Vodka getrunken, sich völlig abgeschossen, und war schließlich mitten während ihrer mitreißenden Performance von Chesney Hawkes’ ›The One And Only‹ von der Bühne gestolpert. Die Blamage hatte sie allerdings gekonnt überspielt, indem sie mit dem Mikrofon durchs Publikum stolziert war und einfach weitergemacht hatte. Verwandte erzählten bis heute von dieser Nacht.

»Ich weiß noch, wie schlimm es damals war, dass ich keine Begleitung hatte.«

Morag fiel die Kinnlade herunter. »Du hattest mich!« Sie verzog die vollen Lippen zu einem Schmollmund. Passenderweise standen ihr die roten Locken wütend zu Berge.

Erin hob die Brauen und tätschelte ihre beste Freundin am Arm. »Ich weiß, und du bist die Beste. Aber damals war ich siebenundzwanzig. Es ist normal, mit Ende zwanzig noch Single zu sein. Aber das ist jetzt zehn Jahre her, und nichts hat sich verändert. Ich kann mir das Gerede meiner Verwandten über mein Liebesleben nicht antun. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Und du kennst ja meine Eltern. Die können es nicht lassen, Kommentare zu machen. Damit bloß nicht der Eindruck entsteht, irgendetwas stimmt nicht mit unserer Familie. Deshalb werde ich verreisen.« Aber wohin? Das entschied sie just in diesem Moment. »Auf die Seychellen. Nur ich, die Sonne und mein einsames Herz. Ich werde nicht zulassen, dass ich mit siebunddreißig immer noch die Außenseiterin auf der Feier meiner Eltern bin.«

Morag warf den Kopf in den Nacken und lachte. The Falcon, ihr Stamm-Pub, war rappelvoll. Zwei etwa fünfzigjährige Frauen in Wanderkleidung am Tisch nebenan drehten sich zu ihnen um, und Morag winkte ihnen zu.

Erin bedeckte beschämt ihr Gesicht. Ständig blamierte Morag sie.

»Soll ich dir noch einen Drink bestellen oder willst du weiter schmollen?« Morag strich sich ein paar Locken hinters rechte Ohr. Sie wartete Erins Antwort nicht ab und stand auf. »Gin Tonic mit extra Bitters für die Drama Queen?«

Erin plusterte die Backen auf und spuckte eine Himbeere aus. »Normaler Gin, bitte. Von dem Marmelade-Gin-Ding habe ich nur Lust auf Toast und Tee bekommen.« Sie ließ die Schultern hängen. »Ich weiß, ich muss hingehen, aber ich will einfach nicht. Warum gehen wir nicht zusammen hin und tun so, als wären wir ein Paar?«

Morag war sichtlich skeptisch. »Patsy und Duncan sollen mich ausschließlich wegen meiner tollen Persönlichkeit einladen, sonst bin ich beleidigt.« Sie machte eine Denkpause. »Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, aber leider kennen deine Freunde und Verwandten mich. Die wissen, dass ich hetero bin. Ich würde doch nicht nach all den Jahren plötzlich auf dich stehen.«

Erin würde sowieso zur Feier gehen. Sie musste nur Frust ablassen, und Morag wusste das. Warum war ihr Beziehungsstatus überhaupt so wichtig? In allen anderen Lebensbereichen war sie erfolgreich, war das denn nicht genug? Nicht für ihre Großmutter. »Mein einziger Wunsch vor dem Tod ist, dass du endlich jemanden findest«, hatte sie ihr bei der letzten Feier gesagt. Wenn Erin wirklich eine Drama Queen war, wie Morag behauptete, dann hatte sie wohl vom Profi gelernt. Denn ihre Großmutter war fit wie ein Turnschuh und vom Sterben noch weit entfernt.

Morag kam mit den Drinks zurück – Gin für Erin und Sauvignon Blanc für sie. Sie hob eine Augenbraue und setzte sich.

Ein ungutes Gefühl machte sich in Erin breit. Dieser Blick verhieß nichts Gutes.

»Weißt du, deine Idee hat mich zum Nachdenken gebracht. Die Idee, eine Beziehung vorzutäuschen.«

Erin blinzelte. »Du machst es doch?«

»Auf keinen Fall. Was würde Tim sagen?«

»Ihr hattet doch erst ein, zwei Dates.«

»Ich werde nicht deine Freundin spielen.«

»Spielverderberin.«

»Nein, ich dachte an diesen einen Podcast, den ich neulich gehört habe. Der über Beziehungen«, fuhr Morag fort. »Da war so ein Typ zu Gast – ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Er hat von einer Agentur erzählt, die er gegründet hat. Für Leute, die Partner oder Dates brauchen.«

»Ich bestelle mir bestimmt keine Nutte für die Feier meiner Eltern.« Erin hatte schließlich Ansprüche, und an denen hielt sie fest. Sie war doch nicht Richard Gere.

»Ich rede doch nicht von Nutten!« Morag nahm einen Schluck. »Und wer nennt die heutzutage noch Nutten? Heute heißen sie Sexarbeiterinnen.« Sie tippte auf den Tisch. »Zurück zum Thema.«

»Zum Thema Nutten bestellen?«

»Nein! Bei der Agentur von diesem Typen kannst du für genau solche Anlässe wie die Feier deiner Eltern eine Schauspielerin buchen, die deine Freundin spielen soll. Ganz unverbindlich. Es ist keine Escort-Agentur. Das sind professionelle Schauspielerinnen, die gerade keinen Auftrag haben und sich die Nebenrollen bei EastEnders sparen wollen. Du musst nicht mit ihr schlafen. Du musst sie nicht mal küssen. Sie kommt einfach zu dir und spielt das ganze Wochenende deine Freundin. Ziemlich praktisch, wenn du mich fragst.«

»Ziemlich verzweifelt, wenn du mich fragst.«

Morag warf ihr einen bösen Blick zu.

Erin blinzelte und hob eine Braue. »Ich bin nicht verzweifelt!«

Wieder drehten sich die Naturfreundinnen vom Nebentisch um. Bildete Erin sich das bloß ein, oder hatten sie sich diesmal sogar vorgelehnt?

Morag schnaubte. »Is’ klar. Wir alle hier glauben dir. Dein Rumgeschrei war sehr überzeugend.«

Erin verdrehte die Augen. »Selbst wenn ich eine Schauspielerin engagiere: Wie könnte ich meinen Eltern jemals etwas vormachen? Wir telefonieren jede Woche.« Sie waren ihr Singledasein gewohnt. Sie konnte nicht plötzlich mit einer Freundin um die Ecke kommen.

»Sag ihnen doch, du hättest sie erst vor einem Monat kennengelernt. Ist ja nicht so, als wärst du ihre Nachbarin. Sie leben in den Highlands. Das letzte Mal, als wir dorthin gefahren sind, haben wir vier Stunden gebraucht. Die haben doch keine Ahnung, ob du jeden Tag eine Neue vögelst oder nicht. Es sei denn, sie haben Kameras in deiner Wohnung installiert.«

Erin ließ sich den Vorschlag noch einmal durch den Kopf gehen. Dann verzog sie das Gesicht. »Auf keinen Fall. Bei uns ist gerade zu viel los, um sich über solche Dinge Gedanken zu machen.« Ihr Renovierungsunternehmen in Edinburgh, Female Flecks, war die nächsten Monate komplett ausgebucht. Hausrenovierungen kamen nie aus der Mode, und ein von Frauen geführtes Renovierungsunternehmen war so besonders, dass ihnen nie die Kunden ausgingen. »Außerdem geht es nicht nur um meine Eltern. Was ist mit Alex? Ihn müsste ich auch anlügen.«

»Na und? Er und Wendy haben so viel mit ihren Drillingen zu tun, die denken bestimmt nicht über dein Liebesleben nach. Wahrscheinlich würde ihnen etwas Ablenkung sogar guttun. Endlich ein Gesprächsthema, das nichts mit Töpfchentraining oder Trotzanfällen zu tun hat.«

Da war etwas dran. Erin hatte schon immer das Gefühl, sie stünde im Schatten ihres Bruders. Er hatte einen anständigen Job als Arzt, und noch dazu eine Familie. Es spielte keine Rolle, dass sie ein eigenes Unternehmen führte. In ihren Augen war Alex immer erfolgreicher.

Und dann war da noch Nadia.

»Sie würden sich sicher für mich freuen. Aber darum ist es für mich nur noch schwerer, sie anzulügen.« Sie stopfte sich ein paar Käse-Zwiebel-Chips in den Mund und ging in Gedanken ihre Optionen durch. »Ich bin immer die Außenseiterin. Mum und Dad, Alex und Wendy. Sogar die Drillinge haben einander.«

»Dann tu etwas dagegen. Was kann schon schiefgehen? Du hast noch nie jemanden mit nach Hause gebracht. Es wird Zeit.«

Erin hatte immer gedacht, sie würde mit Ende dreißig längst vergeben sein. Und ihre Freundin ihrer Familie vorgestellt haben. Aber sonderlich viel Mühe hatte sie sich auch nicht gegeben, die wahre Liebe zu finden. Wäre es wirklich schlimmer, eine Schauspielerin zu engagieren, als allein hinzugehen? Bei solchen Feiern war ihre Familie sowieso immer angespannt. All die totgeschwiegenen Themen … Vielleicht würde jemand Neues ja für Abwechslung sorgen.

»Was hältst du davon, wenn ich mal dort anrufe? Mich mit dem Typ unterhalte, oder mit seinem Team. Und die Einzelheiten erfrage.« Morag legte den Kopf schief. »Ist ja nicht so, als könntest du es dir nicht leisten. Du sagst immer, du weißt nicht, wofür du dein ganzes Geld ausgeben sollst. Sieh’s doch so: Du tust dir damit was Gutes. Manche meditieren, andere gehen ins Spa. Du bestellst dir fürs Wochenende eine hübsche Freundin, damit du entspannt auf die Feier gehen kannst.«

Erin malte es sich aus. Wie sie mit einer Freundin am Arm zur Feier käme, statt allein. Ihre Verzweiflung verschwand allmählich, und Wärme machte sich in ihr breit. Es war eine schöne Vorstellung. Mal was Neues. Und es würde ihre Tante Helena endlich davon abhalten, sie mitleidig am Arm zu tätscheln und ihr vorzusäuseln, es wäre nicht schlimm, Einzelgängerin zu sein. Sie war ja auch eine.

Sie richtete sich auf. Vielleicht war das alles wirklich keine schlechte Idee. Es wären keine Gefühle im Spiel. Die Frau würde einfach machen, was Erin wollte. Erin hätte die Kontrolle. Danach sehnte sie sich schon seit … Nun ja, seit ihr Leben auf den Kopf gestellt worden war.

Außerdem hatte Morag recht. Sie konnte es sich leisten.

»Na gut. Ruf dort an. Aber ich glaube nicht, dass es klappt. Die Frau, die ich buche, müsste queer sein. Oder eine wirklich gute Schauspielerin.«

Ihre beste Freundin runzelte die Stirn. »Du willst eine queere Fake-Freundin? Hast du nicht aufgepasst, als ich gesagt habe, dass es professionelle Schauspielerinnen sind?«

Erin zuckte mit den Schultern. »Ich weiß schon. Aber es wäre nun mal einfacher, wenn die Person queer wäre. Sie würde wissen, wie es ist, von der Familie unter Druck gesetzt zu werden.«

Morag warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Dieser Druck existiert nur in deinem Kopf. Dein Bruder liebt dich. Und deine Eltern auch.« Sie verstummte für einen Augenblick. »Ich weiß, es geht um Nadia, aber …«

»Hör auf.« Erin stand auf. Ihr Herz raste. Nach all den Jahren passierte es immer noch. »Es geht hier um mich und meine Beziehungsunfähigkeit.« Sie sah Morag in die Augen. »Du hast recht. Es wäre schön, eine Begleitung zu haben. Erkundige dich mal und überleg dir was.«

Kapitel 2

»Steph, fang!«

Steph hob gerade rechtzeitig den Kopf, um die goldene Sprühdose Elnett auf sie zufliegen zu sehen. Zum Ausweichen reichte es allerdings nicht, und die Flasche prallte mit einem satten Klatschen gegen ihre Wange.

»Fuck, Jody!« Steph hob die Dose vom verstaubten Garderobenboden auf. »Warum schmeißt du mit Haarspray nach mir?« Sie blickte herab auf ihr Kostüm. Ein quietschgrüner Ganzkörperanzug, ein grünes Seil um die Taille und Plastik-Blätter von Kopf bis Fuß. Nicht gerade ein Outfit, das man zum Feiern anziehen würde.

»Weil du es brauchst, um dein Bohnen-Ensemble abzurunden.« Ensemble – als wären sie gerade auf dem Weg zur Fashion Week in Paris. »Außerdem habe ich die Flasche eher zu dir geworfen als nach dir.« In ihrem Christbaumdekokostüm kam Jody auf sie zu. Ihr 1,83 Meter großer Körper steckte in einer gigantischen, glänzend roten Kugel, und ihr Gesicht und ihre Haare waren golden angemalt. Auf ihrem Kopf blinkte eine Lichterkette. Ehrlich gesagt sah sie ziemlich lächerlich aus.

»Und können wir mal uns darüber unterhalten, dass ich fünf Zentimeter größer bin als du und trotzdem nicht die Rolle als Bohnenranke gekriegt habe?« Die Empörung war Jody ins Gesicht geschrieben.

»Was soll ich sagen? Ich weiß nun mal, wie man sich als Bohnenranke fühlt.«

Jody grinste sie an. »Du brauchst oben noch etwas Grün, bevor du das Haarspray benutzt.«

Steph fasste sich an die Haare. Jody hatte recht. Stephs Schauspielkarriere war an einem merkwürdigen Punkt angelangt. Aktuell trat sie in einer Weihnachtsmusical-Inszenierung von »Jack und die Bohnenranke« für Familien in Croydon auf. Sie spielte drei Rollen: Dorfbewohner, Milchkuh und die weise, sprechende Bohnenranke. Gleich stand der erste Gruppensong des zweiten Aktes bevor: der große Auftritt der Bohnenranke, während Jack darüber sang, wie verloren er war, und dass er nicht wisse, wohin er sich wenden sollte. Steph schaute in den Spiegel. Das kannte sie nur zu gut.

»Kommst du zu meiner Hausparty heute Abend?«

Steph nickte. »Ja. Michael kommt auch. Er meinte, er hätte einen Auftrag für mich.«

Jody zog eine dick geschminkte Augenbraue hoch. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass er die Schauspielerei aufgegeben hat.«

Steph, Michael und Jody hatten sich in der Schauspielschule kennengelernt. Seitdem verliefen Stephs und Jodys Schauspielkarrieren nahezu identisch. Michael jedoch hatte schnell genug von der prekären Auftragslage als Schauspieler gehabt und kurzerhand eine Agentur gegründet, die seine Schauspielfreunde an Menschen vermittelte, die Fake-Dates brauchten. Steph hatte ihn seit Monaten nicht mehr gesehen, aber seinem Instagram-Profil nach zu urteilen, lief sein Geschäft gut. Heute Abend wollte er ihr »ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen konnte«. Mal sehen, ob da was dran war. Er hatte ihr schon mehrfach Aufträge angeboten, aber zeitlich hatte es nie hingehauen. Außerdem sah Steph seine Aufträge sowieso nicht als richtige Schauspieljobs an. Klar, sie hätte auch nicht gedacht, dass sie mit siebenunddreißig bei einem Weihnachtsmusical für Kinder mitspielen würde, aber immerhin stand sie noch auf der Bühne und war Teil des Schauspielerverbandes. War Michaels Unternehmen nicht eher so was wie ein Escortservice? So verzweifelt war sie dann doch wieder nicht.

Lieber auf der Bühne als auf dem Strich.

»Keine Ahnung, was er mir anbieten will, aber er klang sehr überzeugt. Vielleicht hat er ja eine Rolle für mich, die mir zum Durchbruch verhelfen wird. Vielleicht kann ich den Leuten endlich zeigen, was in mir steckt.«

Jody nickte und ihr Kostüm bimmelte dabei. »Aber erst mal zeige ich den Leuten, was auf mir steckt!« Sie drückte einen Knopf auf ihrem Oberschenkel und ihre Lichterketten fingen an, zu blinken.

Steph drehte sich weg. Zum Glück litt sie nicht an Migräne – im Gegensatz zu ihrer Mutter. Die würde es bei so einem Musical nie aushalten.

»Auf die Plätze!«, rief Ron, der Inspizient mit dem dichten Haar. Es war so orange wie der Karottensaft, den Steph so liebte, sich aber nur selten leisten konnte. Außerdem hatte er eine derartig tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, dass er wohl stirnrunzelnd auf die Welt gekommen sein musste. »Das Publikum muss den ersten Akt wohl geliebt haben, so viel Eiscreme wie die da draußen gegessen haben. Schokolade und Vanille sind komplett ausverkauft. Zum ersten Mal in dieser Spielzeit!«

Endlich mal etwas, worauf sie stolz sein konnten.

Ron deutete auf Stephs Kostüm. »Du brauchst mehr Blätter. Hast du im ersten Akt welche verloren?«

Sie nickte. Ron hatte ein furchtbares Gedächtnis. Jeden Tag dasselbe. »Die fallen bei der großen Gruppennummer ab. Zu viel Herumgetanze.«

Seine Stirnfalte zuckte. »Und du brauchst grünere Haare.« Er sah sich um. »Marion! Steph muss so grün sein, dass man sie vom Mars aus sehen kann!«

Marion holte mehr Blätter und tackerte sie ihr routiniert ans Kostüm. Ihre Bewegungen hatten dabei etwas von einem Amateurboxer. Dann nahm sie das Haarspray, bedeckte Stephs Augen und sprühte drauflos. Die Spitze ihrer aufgetürmten Haare sprühte sie besonders dick ein. Dann trat sie einen Schritt zurück, sprühte noch etwas mehr, und grinste Steph schließlich breit an. »Bereit für die Marsmännchen.«

»Du bist die heißeste Bohnenranke, die ich je gesehen habe«, rief Jody, die gerade mit den anderen Christbaumkugeln an ihr vorbeilief. »Denk dran: Später gibt’s Tequila!«

Steph nickte, während zwei menschliche Weihnachtsbäume an ihr vorbeirannten. Dann tauchte Harry, der Jack spielte, neben ihr auf. Er war noch schnell auf der Toilette gewesen und schloss gerade seinen Hosenstall.

Steph schaute weg.

»Noch drei Minuten!«, rief Ron. »Macht euch bereit!« Er zeigte auf Steph, dann auf Harry. »Gut, ihr beide steht nebeneinander. Das bleibt so, verstanden?«

Wieder musste Steph an ihr bevorstehendes Gespräch mit Michael denken. Was auch immer er ihr für einen Auftrag anbieten wollte, er wäre sicherlich spannender, als zum dritten Jahr in Folge die Bohnenranke zu spielen. Ja, sie war 1,78 Meter groß, aber das war noch lange kein Grund, sie auf diese eine Rolle festzulegen.

»Habe ich dir schon mal gesagt, dass Grün meine Lieblingsfarbe ist?«, fragte Harry, während sie in den Kulissen warteten. Der Rest der Truppe war schon auf der Bühne, sang und tanzte sich die Seele aus dem Leib.

»Ja. Jeden Tag seit dreiunddreißig Tagen«, erwiderte Steph. Er war nett, aber anstrengend.

»Jack und Bohnenranke, bereit?«, flüsterte Ron plötzlich von hinten. Erschrocken zuckte Steph zusammen. Ein paar Blätter flatterten zu Boden. Binnen Sekunden war Marion an ihrer Seite und klebte sie in Rekordzeit wieder an.

Ron grinste und gab ihnen einen Daumen nach oben.

Showtime.

* * *

Als Steph auf der Party ankam, entdeckte sie Michael sofort. Der zwei Meter große malaysische Muskelprotz war auch schwer zu übersehen. Seit ihrem letzten Treffen hatte er nicht nur seine Agentur der etwas anderen Art gegründet. Er hatte sich auch ein eigenes Fitnessstudio ins Haus gebaut. Er steckte inzwischen jede freie Minute in sein Work-out, und das sah man ihm an. Die Männer lagen ihm zu Füßen, auch wenn nie etwas Langfristiges aus seinen Affären wurde.

Steph ging zu ihm und umarmte ihn. Nachdem sie heute Abend ausgerutscht und beinahe in den Orchestergraben gefallen war, war es schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Auch wenn es ihr nicht mehr so vertraut war, wie sie es gerne hätte. Das war das Problem, wenn man Theater spielte. Immer, wenn man freihatte, arbeiteten die Freunde, und umgekehrt. Michael kannte das nur zu gut. Bis vor zwei Jahren war es ihm ja genauso ergangen.

»Dich habe ich gesucht!« Michael gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm eine Strähne ihrer eigentlich kastanienbraunen Haare in die Hand. »Deine Haare sind übrigens immer noch grün.«

»Berufsrisiko.«

Er roch nach teurem Parfüm und Rauch. Ihn zu küssen, fühlte sich an, als würde man sich mit Schmirgelpapier einreiben. Steph verstand einfach nicht, wie Leute auf Männer stehen konnten.

»Wie geht’s meiner Lieblingsbohnenstange?«

»Bohnig.« Steph nahm seine Hand und zog ihn in die Küche. Dort begrüßten sie ein paar Bekannte, und Steph nahm zwei Flaschen Sol aus einem Eimer Eis auf der Theke. Dann gingen sie in den Garten. Es war zwar Dezember, aber etwas frische Luft konnte ja nicht schaden. Steph atmete tief ein und blickte zum dunklen Himmel hinauf. Wie gerne hätte sie jetzt auch eine weise, magische Bohnenranke gehabt, die sie nach Rat fragen könnte. Aber immerhin hatte sie Michael. Sie setzten sich an ein Blumenbeet, das mit Eisenbahnschwellen umzäunt war.

»Bitte sag mir, dass es ein Leben nach der Schauspielerei gibt.« Sie öffnete die Flaschen und reichte Michael eine.

Er nahm einen Schluck, bevor er antwortete. »Das sage ich dir jedes Mal, wenn wir uns sehen, aber du willst ja unbedingt an deiner Schauspielkarriere festhalten. Das bewundere ich. Es spricht für dich. Aber man darf den Absprung nicht verpassen. Man muss sich auch mal an Neues heranwagen. Wie meine Agentur.« Er zauberte eine Schachtel Marlboro Gold aus dem Ärmel und steckte sich eine Zigarette an. »Darüber will ich mit dir sprechen.« Dafür, dass er ein Fitness-Junkie war, schien ihm seine Lunge ziemlich egal zu sein.

»Als wir letztens telefoniert haben, hast du ganz schön einen auf geheimnisvoll gemacht.«

»Ich habe eine spezielle Anfrage bekommen. Eine Klientin braucht eine Frau, die für ein langes Wochenende ihre Freundin spielt. Für den Hochzeitstag ihrer Eltern. Sie ist siebenunddreißig, erfolgreiche Unternehmerin. Das Besondere ist: Sie ist lesbisch und hat eine queere Schauspielerin angefragt.« Er leckte sich die Lippen. »Ich kann die Schauspieler in meiner Kartei nicht zwingen, mir ihre sexuelle Orientierung offenzulegen. Und ich werde bestimmt nicht herumtelefonieren und mich über sie erkundigen. Da kamst du mir in den Sinn.«

»Ich bin nicht in deiner Kartei.«

»Ich weiß. Aber du hast ja selbst gesagt, dass man mit Theaterspielen fast nichts verdient. Bei meiner Agentur ist das anders. Ich habe der Frau gesagt, wenn ich eine queere Schauspielerin finde, veranschlage ich einen höheren Preis. Sie hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Sie hat einfach Ja gesagt. Na ja, ihre Freundin, die für sie angerufen hat, hat Ja gesagt.« Er hob die Hand. »Ich weiß, du hast mir schon ein paarmal abgesagt, aber diesmal ist es etwas anderes. Du würdest mir damit einen riesigen Gefallen tun. Und ich würde dich entsprechend bezahlen. Du würdest in fünf Tagen das verdienen, was du am Theater in zwei Monaten machst.«

Steph horchte auf. »Zwei Monate? Kein Wunder, dass sich dein Service in unseren Kreisen herumspricht.«

Michael warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Man muss im Leben auch mal was wagen.«

»Ich weiß ja nicht.« Wollte sie wirklich schon aufgeben? Sie zog es zwar oft in Erwägung, aber Schauspielen war ihr Lebenstraum gewesen. »Ich habe keine Erfahrung in diesem Bereich.«

»Improvisieren kannst du, und mehr brauchst du nicht. Weißt du noch, als du diese Typen beim Impro-Theater an die Wand gespielt hast? Und Stand-up-Comedy hast du doch auch mal versucht, darin warst du auch großartig. Du solltest wieder damit anfangen.«

»Und mir noch mal die Blöße geben? Stand-up ist hart. Vor allem als Frau.«

»Und Schauspielen ist ein Kinderspiel oder was?«

Guter Punkt.

Etwas kitzelte Steph im Nacken. Sie erschrak, gab sich einen Klaps und drehte sich im Kreis, um es abzuschütteln. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

Michael neigte den Kopf und sah ihr amüsiert dabei zu.

»Kannst du vielleicht aufhören zu grinsen und nachschauen, ob mich eine Giftspinne gebissen hat und immer noch auf meinem Rücken herumkrabbelt?« Sie wackelte mit den Schultern und ließ die Hüften kreisen, als würde sie Hula-Hoop tanzen.

Michael stand auf und strich ihr über den Rücken. »Alles gut. Da ist nichts.«

Steph fasste zur Sicherheit noch einmal hin und setzte sich dann wieder.

»Ich würde nicht fragen, wenn ich es dir nicht zutrauen würde.« Michael schenkte ihr seinen besten Hundeblick. »Fünf Tage, in denen du dich als jemand anderes ausgeben musst. Darauf hast du dich dein ganzes Leben vorbereitet. Du hast einen Schauspielabschluss. Du bist lesbisch! Außerdem habe ich ein Foto von der Frau gesehen, und sie sieht echt nicht schlecht aus. Fünf Tage lang ihre Freundin spielen wird für dich kein Problem sein. Sie ansehen, als wolltest du sofort mit ihr ins Bett hüpfen? Ein Kinderspiel.«

Steph runzelte die Stirn. »Aber warum will sie eine lesbische Schauspielerin? Hetero Schauspielerinnen können genauso gut Lesben spielen. Schau dir doch mal Suranne Jones in Gentleman Jack an.« Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Sie erwartet doch nicht etwa, dass ich mit ihr schlafe, oder?«

»Natürlich nicht! Ich sagte doch, es ist nur ein Schauspieljob. Ich glaube, sie will einfach eine Person, die den Druck als Lesbe bei Familientreffen kennt.«

Steph dachte darüber nach. »Aber nur damit das klar ist: Ich werde nicht mit ihr schlafen.« Sie war immer noch skeptisch.

Michael verdrehte die Augen. »Das ist kein Auftrag als Prostituierte, ist das klar? Es ist ein Schauspielauftrag und du bist eine ausgebildete Schauspielerin. Außerdem wissen wir beide, dass du sowieso mit niemandem schlafen kannst, ohne dich sofort Hals über Kopf zu verlieben. Darum muss ich dich bitten: Tu’s nicht, uns allen zuliebe.«

Steph schnaubte. »Ich kann sehr wohl Sex haben, ohne mich zu verlieben!« Sie log, und das wussten sie beide.

Michael brach in Gelächter aus. »Sicher.« Er nahm einen Schluck Bier. »Was steht nach dem Musical eigentlich bei dir an?«

»Im Februar, eine Woche nach der Dernière, spiele ich beim neuen Stück am Old Vic mit. Das läuft bis April. Danach toure ich mit einem Theaterstück durch Schulen, und darauf habe ich absolut keine Lust. Zwei Monate ab dem 10. Mai. Ein Stück für Teenager über sexuell übertragbare Krankheiten. Mir wurde eine überdurchschnittlich hohe Gage angeboten, da habe ich Panik bekommen und zugesagt. Ich versuche, zu verdrängen, dass ich eine Figur namens Chlamydia spielen werde.« Genau dafür war sie jahrelang zur Schauspielschule gegangen. Nicht.

Michael schnaubte. »Ich schätze mal, das ist auch eine Form von ›etwas wagen‹. Manchmal triffst du wirklich witzige Lebensentscheidungen.« Er sah ihr in die Augen. »Der Auftrag ist Anfang Mai. Sieht ganz danach aus, als würde es zum ersten Mal zeitlich hinhauen. Als stünde es in den Sternen geschrieben.« Er stupste sie an. »Ich kann dir versichern, es wird besser als die Chlamydia zu spielen. Willst du wissen, warum? Abgesehen von der grandiosen Bezahlung?«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Der Auftrag ist in den schottischen Highlands.«

Steph schluckte. Michael wusste, was ihr diese Gegend bedeutete. Er kannte ihre Geschichte. »Die Highlands.« Etwas flatterte in ihrem Brustkorb.

Er nickte. »Lochcarron, um genau zu sein. Weißt du noch, als wir dort waren?«

Steph lächelte. »Wie könnte ich es vergessen?« In ihrem zweiten Jahr an der Schauspielschule hatten sie eine Campingtour entlang der Küste gemacht. Sie waren von Mücken zerstochen worden und hatten sich von Essen aus den Fünfzigern ernährt. Stephs Mutter war vor ein paar Jahren ebenfalls hingefahren und hatte ihr versichert, dass das Essen inzwischen um einiges besser und die Landschaft genauso atemberaubend war. Steph hatte immer dorthin zurückfahren wollen, aber die Gelegenheit hatte sich nie ergeben. Jetzt war sie zum Greifen nah.

Sie holte tief Luft. Sie würde fünf Tage schauspielern, dann ein Auto mieten und eine Rundfahrt machen. Den Ort besuchen, der ihr so viel bedeutete. Schließlich war Schottland ein Teil von ihr.

»An Lochcarron erinnere ich mich nicht mehr wirklich. Du? Am Ende konnte ich die Dörfer kaum noch auseinanderhalten. Ich erinnere mich nur noch an Skye und Ullapool, mehr nicht.«

Er schüttelte den Kopf. »Es ist fast zwanzig Jahre her. Aber ich bin mir sicher, wenn du dort bist, kommt alles wieder hoch.«

»Ich habe noch nicht zugesagt.« Doch das würde sie noch, das wusste sie. Michael auch, das sah sie ihm an.

»Du fährst nach Schottland, wirst gut bezahlt und das ganze Wochenende umsonst verpflegt. Was auch immer passiert, es wird wohl kaum so schlimm sein wie das eine Mal, als du Andreas Eltern kennengelernt hast, oder?«

Steph schnürte sich die Kehle zu. Drei Jahre waren seit dem Treffen mit den Eltern ihrer Ex vergangen und ihr Körper reagierte immer noch so heftig. »Du hast recht, so schlimm kann es nicht werden.« Sie biss die Zähne zusammen und traf eine Entscheidung. »Na gut, ich bin dabei. Wo wohnt diese Frau denn?«

Michael schenkte ihr sein triumphierendstes Lächeln, nahm sie in die Arme und wirbelte sie durch die Luft. »Ich wusste doch, du bist nicht ohne Grund meine beste Freundin.« Er ließ sie wieder runter. »Soweit ich weiß, lebt sie in Edinburgh. Ihr werdet gemeinsam anreisen müssen. Aber dann habt ihr wenigstens die Fahrt von Edinburgh nach Lochcarron, um euch eine plausible Geschichte auszudenken. Nicht, dass die Königin des Improtheaters sich groß vorbereiten müsste.«

»Du solltest mich danach da oben abholen. Wir könnten unsere Schottland-Tour wiederholen.«

»Gute Idee. Solange du nicht wieder in einen Loch fällst.«

Steph lachte bei der Erinnerung. Das hatte sie damals eiskalt erwischt. »Stimmt, da war ja was.« Sie rieb sich über die Arme. »Heute Abend wäre ich übrigens fast in den Orchestergraben gefallen.«

»Versprich mir, dass du bei diesem Auftrag nicht stolperst oder irgendwas kaputt machst. Sonst kannst du unseren Trip vergessen.«

»Ich werd’s versuchen.«

»Und können wir diesmal im Hotel übernachten, und nicht im Zelt?«

»Solange du zahlst.«

Er lachte und verbeugte sich. »Es wäre mir eine Ehre, Madam.«

Kapitel 3

Erin ging in die Hocke und rieb wie besessen mit Schleifpapier über die Fußbodenleiste. Sie musste etwas mit den Händen machen, um sich von der drohenden Feier abzulenken. Dieses Wochenende war es so weit. Die Fake-Freundin, die sie gebucht hatte, würde heute Abend in Edinburgh ankommen. Erin und sie waren miteinander zum Abendessen verabredet. Erin hatte sich die letzten vierundzwanzig Stunden den Kopf darüber zerbrochen, was sie anziehen und sagen sollte. Sie musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es kein Date war. Es war eher so was wie ein Geschäftsessen. Und mit Geschäften kannte sie sich aus. Sie führte schließlich ihr eigenes Unternehmen und hatte täglich mit Kunden zu tun. Nur diesmal war sie die Kundin. Vielleicht musste Erin sich einfach vorstellen, dass ihre Fake-Freundin einen ordentlichen Anstrich im Untergeschoss brauchte, alles Handarbeit, versteht sich. Sie lächelte. Ging es nur ihr so oder klang das unanständig?

Als Erin den Namen ihrer Fake-Freundin erfahren hatte, hatte sie sie natürlich sofort gegoogelt und ihre IMDb-Seite aufgerufen. Die besagte Frau, Stephanie Mitchell, hatte schon bei einigen Theater- und Fernsehproduktionen mitgespielt. Ihren großen Durchbruch schien sie noch nicht gehabt zu haben. Aber sie war tatsächlich eine richtige Schauspielerin, die etwas vorzuweisen hatte. Warum hatte sie diesen Auftrag dann überhaupt angenommen? Sie muss wohl keine Wahl gehabt haben. Umso besser für Erin. Und dass sie groß und brünett war und umwerfend aussah, war Erin auch nicht entgangen. Aber das spielte keine Rolle. Sie hatten eine rein geschäftliche Abmachung, die nur einem einzigen Zweck diente: Erins Familie klarzumachen, dass auch Erin die Liebe finden konnte. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Erin pustete sich etwas Schleifstaub vom Arm. Seit ein paar Wochen hatte sie dort einen blauen Fleck, der inzwischen schon gelblich schimmerte. Sie hatte sich einen Kampf mit ihrem Hammer geliefert, und der Hammer hatte gewonnen. Sie fuhr mit dem Finger über die hölzerne Fußbodenleiste. Noch eine Runde Schleifpapier, dann war sie bereit für die Grundierung.

Sie hörte Schritte auf der Treppe und horchte auf. Es war Morag. Wie immer trug sie ein weißes T-Shirt und Blaumann. Sie hatte drei Exemplare dieses Outfits. Damit sparte sie sich den morgendlichen Stress der Outfit-Wahl, behauptete sie immer. Dazu trug sie eine königsblaue NYC-Baseballcap. Die hatte sie vor zwei Jahren auf einer New-York-Reise gekauft. Sie sah damit aus wie eine Statistin bei Glee.

»Tee?« Morag füllte den Teekessel an der Hochdruck-Geschirrbrause auf. Früher gab es solche Wasserhähne nur in Industrieküchen, aber heute hatte jeder zweite ihrer Kunden so ein Teil zu Hause. Es fehlten nur noch ein paar letzte Schliffe, dann war das Haus fertig renoviert und die Familie konnte wieder einziehen. Aber noch war das Haus eine leere Hülle, die Morag und Erin auf Vordermann bringen mussten.

Erin nickte. »Bitte.«

Das leise Brodeln des Wassers füllte die Stille. Morag durchquerte den großen Ess- und Wohnbereich und öffnete die Terrassentüren. Es hatte aufgehört, zu regnen, und es duftete regelrecht.

Morag atmete ein.

»Besser. Sosehr ich den Geruch von Wandfarbe auch mag, nasse Erde und feuchtes Gras riechen um einiges angenehmer.« Sie ging zurück in die Küche und schenkte Tee ein. Dann reichte sie Erin eine knallorange Le-Creuset-Tasse und lehnte sich an die Küchentheke. Erin gesellte sich zu ihr. Die Küchenplatten waren aus italienischem Marmor. Geldsorgen hatte Familie Hayne offenbar keine.

»Na, schon nervös?« Morag grinste verschmitzt.

Erin stellte sich dumm. »Nervös?«

Morag runzelte die Stirn. »Du bist nicht aufgeregt wegen deines Dates?« Ihr Tonfall verriet, dass sie Erin kein Wort glaubte.

»Es ist kein Date.«

Morag grinste, trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse ab. »Ah ja, kein Date.«

»Du hast ihr gesagt, mein Name sei Erin Brown, oder? Ich will nicht, dass sie weiß, wer ich bin. Falls das alles doch nach hinten losgeht.«

Ihre Freundin nickte. »Der Typ von der Agentur hat mir versprochen, dass sie deinen richtigen Namen nicht erfährt. Dieses Wochenende bist du Erin Brown, nicht Erin Stewart.«

Erin atmete durch. Sie wollte nicht, dass man sie vor oder nach der Feier ausfindig machte. Es war schon unangenehm genug, diese fremde Person für kurze Zeit in ihr Leben zu lassen.

»Hast du deinen Eltern schon gesagt, dass du jetzt eine Freundin hast?«

Erin spielte mit einem Knopf an ihrem Overall und nickte. »Ja, vor ein paar Wochen.« Es war furchtbar gewesen, es ihrer Mutter zu sagen, denn normalerweise vertraute sie ihren Eltern solche Dinge nicht an. »Ich habe nicht viel verraten. Nur, dass sie zur Feier kommt. Du hättest hören sollen, wie sehr sie sich gefreut haben. Mum und Dad haben immer gesagt, es wäre ihnen egal, ob ich eine Freundin habe. Ihre Reaktion klang aber so gar nicht danach.«

»Sie wollen nur, dass du glücklich bist.«

»Ich weiß.« Sie nippte an ihrem Tee. »Es gibt sowieso kein Zurück mehr. Ich habe schon den Vorschuss gezahlt. Jetzt noch abzusagen, wäre ziemlich teuer. Außerdem sitzt sie schon im Zug.« Erin rutschte das Herz in die Hose. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus. Was hatte sie sich da bloß eingebrockt? Sie hätte willensstärker sein sollen, als Morag ihr das eingeredet hatte.

»Wie armselig muss man sein, um sich eine Fake-Freundin zu bestellen? Nur, damit du’s weißt: Du bist schuld, wenn das alles schiefgeht.«

Morag stupste sie an. »Und was, wenn es gutgeht? Dann wirst du mir danken. Wer weiß, vielleicht kriegst du ja endlich einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es ist, eine Freundin zu haben. Du hattest seit Michelle keine mehr, und mit der warst du vor über zehn Jahren zusammen. Ja, sie hat dein Herz gebrochen, aber so läuft das nun mal. Du brauchst einen neuen Anstoß. Vielleicht hilft dir die Schauspielerin ja dabei. Wie heißt sie?«

»Steph.« Erin musste schlucken.

»Steph. Ein schöner Name.« Morag schnalzte mit der Zunge. »Steph«, wiederholte sie. »Erin und Steph. Steph und Erin. Geht leicht von der Zunge, findest du nicht auch?«

Erin verdrehte die Augen. »Hauptsache, ich kann ihren Namen einigermaßen aussprechen. Es ist eine geschäftliche Transaktion, mehr nicht.« Erin hielt inne. »In der E-Mail von diesem Agentur-Fuzzi stand, dass sie schon mal in den Highlands war, und sogar in Lochcarron. Wer hätte das gedacht?«

»Ein englisches Mädel mit einem Herz für die Lochs und Glens! Vielleicht wird das ja doch was zwischen euch.«

»Sie wohnt in London und ich in Edinburgh. Außerdem haben wir uns noch nie gesehen. Ich glaube nicht, dass sie deine Rom-Com-Fantasien erfüllen wird.« Doch es war schon schön, dass Steph die Highlands kannte, das musste Erin zugeben. Sie war stolz auf ihre Heimat, auch wenn der Rest von Großbritannien keine Ahnung hatte, wo genau die Highlands eigentlich waren. Die Highlands waren ein Geheimtipp, auch wenn jeder schon mal davon gehört hatte, und Erin wollte, dass es so blieb.

»Wann trefft ihr euch?«

»Um sieben im Malmaison in Leith. Abendessen und ein Gläschen Wein. Oder zwei, wenn sie Eindruck schinden will. Was, wenn sie so drauf ist wie unsere Kundin in Portobello damals? Jedes Mal, wenn sie den Mund aufgemacht hat, hat sie mich an den Rand des Wahnsinns getrieben. Mit so jemandem halte ich es keine fünf Tage aus.«

»Die Frau war völlig durchgeknallt! Aber diesmal bist du die Klientin. Du darfst durchgeknallt sein, und sie muss damit umgehen können.«

»Ich hoffe, sie hat wenigstens Humor.«

»Hast du herausgefunden, wie sie aussieht? Du wolltest sie doch googeln, als dir letzte Woche ihr Name geschickt wurde.«

Erin bemühte sich um eine betont unbeeindruckte Miene. »Sagen wir mal so, abstoßend ist sie nicht.«

Morag hob eine Braue. »Wie gesagt, du brauchst einen Anstoß. Dass Steph nicht abstoßend ist, ist doch schon mal ein guter Anfang.«

* * *

Erin legte ihr blaues T-Shirt in den Koffer. Dann nahm sie fünf Unterhosen aus der Kommode. Und dann zur Sicherheit noch eine sechste. Sie hatte noch nie im Leben eine Extra-Unterhose gebraucht, aber jedes Mal packte sie trotzdem eine ein. Ihr Blick schweifte zu dem Tanga, den sie mal für eine Hochzeit gekauft hatte. Sie hatte bei der Hochzeit eine hautenge Hose getragen, und der Umriss einer Unterhose hätte den Look ruiniert. Doch heute blieb der Tanga in der Schublade.

Während sie die Unterwäsche in die Ecke ihres Koffers stopfte, leuchtete ihr Handy auf. Mum. Hatte sie einen sechsten Sinn für schlechte Zeitpunkte?

»Hey, du!« Patricia Stewart – genannt Patsy – war stets gut gelaunt, und heute war keine Ausnahme. »Wie geht’s meiner Großstadt-Tochter?« Einmal hatte sie sie »Lieblingstochter« genannt und sie beide damit völlig aus dem Konzept gebracht. Seitdem war das nie wieder vorgekommen.

»Mir geht’s gut. Ich packe gerade.«

Sie konnte das Lächeln ihrer Mutter durch die Leitung hören. »Weißt du eigentlich, wie sehr wir uns freuen, dass ihr uns besuchen kommt? Die ganze Familie beisammen, alle meine Kinder an einem Ort.« Das war immerhin die Wahrheit.

»Möglicherweise hast du das das eine oder andere Mal erwähnt.«

»Und dass du jemanden mitbringst! Dein Vater und ich freuen uns so sehr darauf, sie kennenzulernen. Wenn du sie der Familie vorstellen willst, dann muss sie wohl wirklich eine tolle Frau sein.«

Erin zuckte zusammen. Ja, sie wollte ihren Eltern beweisen, dass auch sie eine gesunde Beziehung führen konnte. Doch die Konsequenzen waren ihr durchaus bewusst. Das mit Steph war nichts Langfristiges. Es war bloß eine Übergangslösung, damit ihre Familie nicht dachte, sie würde niemals jemanden finden. Das war ihr wichtig. Abgesehen davon war Steph eine super Ablenkung. Etwas, worauf sich alle konzentrieren konnten, um nicht den Elefanten im Raum ansprechen zu müssen. Sie wollte das ganze Theater einfach hinter sich bringen. Mit den Folgen würde sie sich befassen, wenn es so weit war. Bis dahin würde sie wieder zurück in Edinburgh sein.

»Und sie ist Schauspielerin! Dann ist sie bestimmt keine Idiotin.«

»Idiot sagt man nicht«, korrigierte Erin sie.

»Nichts darf man noch sagen!«

Erin konnte sich vorstellen, wie ihre Mutter gerade am Fenster stand und auf den Garten und den Pool schaute.

»Hauptsache, sie behandelt dich gut. Will sie sich nach Schauspieljobs in deiner Nähe umsehen, wenn ihr Stück in London vorbei ist?«

»Ja, das ist der Plan. Aber genug von mir. Wie läuft es mit den Vorbereitungen für die Feier? Steht das Festzelt schon?«

Die Feier sollte im Garten stattfinden, und ihre Eltern hatten extra dafür einen Pavillon, einen Caterer und eine mobile Bar gebucht. Man konnte sich keine schönere Kulisse wünschen als den Garten ihres Elternhauses mit dem Blick auf das Dorf, den Loch und das Tal dahinter. Erin konnte sich nie daran sattsehen.

Die Highlands waren für sie die freundliche Umarmung der allgegenwärtigen Hügel. Der süße Kaffee mit Blick auf den Loch. Das Knistern von Feuerholz an einem Wintertag. Das Brennen von Islay auf der Zunge, in einer langen Sommernacht. Der Kuss des Meeres an einem Sandstrand. Es würde sie immer wieder dorthin ziehen, egal, was passierte. Es war das einzige bisschen Beständigkeit in ihrem chaotischen Leben.

»Der Pavillon steht, aber er muss natürlich noch dekoriert werden. Wenn du da bist, können wir jede helfende Hand gebrauchen.«

Das letzte Mal, als sie mit ihrem Vater über den Pavillon gesprochen hatte, hatte er von Regenrinnen und einem Abwassersystem erzählt. Wirklich spannend. Erin hatte gehofft, sie könnte sich vor dem Aufbau drücken, aber offenbar rechneten ihre Eltern mit ihrer Hilfe. Freude über Freude.

»Steph kann bestimmt auch helfen. Wie gesagt, wir brauchen jede Hand.« Ihre Mutter holte Luft. »Jetzt, wo ihr zusammen seid, gehört sie zur Familie. Ich bin so froh, dass du endlich jemanden gefunden hast. Das sind wir alle. Ich möchte, dass du glücklich bist.«

Erin hatte einen Kloß im Hals. Verdammt, das passierte jedes Mal, wenn ihre Mutter emotional wurde. Am Telefon fiel es ihr wohl leichter als von Angesicht zu Angesicht.

Ihre Botschaft war angekommen.

Nadia hätte sich bestimmt auch gefreut.

Doch an die Stelle der aufkommenden Zuneigung traten schnell Schuldgefühle. Erin schob sie beiseite. So hatte sie das gelernt. Die nächsten fünf Tage würden sich ausschließlich um Familie und Liebe drehen und darum, beides zu feiern. Ja, sie hatte jemanden engagiert, der sie unterstützte. Aber ihre Eltern hatten das doch auch getan. Bei ihnen waren es Kellner, die den Gästen Essen und Getränke auftischten. Bei Erin war es eine Schauspielerin, die den Gästen ein Lächeln auftischte. Ein warmer Körper, der Erin das ganze Wochenende begleiten würde.

War doch fast dasselbe.

»Also dann, ich muss jetzt auflegen, ich treffe mich mit Steph zum Abendessen. Ihr Zug kommt gleich an.« Erin blinzelte. Es war seltsam, wie schnell sie sich an die Lüge gewöhnt hatte.

»Grüß sie von uns und sag ihr, dass wir uns darauf freuen, sie kennenzulernen.«

Da seid ihr nicht die Einzigen.

Kapitel 4

Auf der Zugfahrt kamen so viele Erinnerungen an ihre Rundreise mit Michael hoch, auch wenn die schon ewig her war. Vor allem, als der Zug in Schottland einfuhr und die grünen Weiden an ihr vorbeizogen, oder als sie der Nordsee näher kamen und das blaue Wasser in der Ferne schimmerte. Steph wäre am liebsten sofort reingesprungen.

Warum war sie seitdem nicht öfter nach Schottland gefahren? Vermutlich aus Geld- und Zeitgründen. In diesem Moment war sie froh, den Auftrag angenommen zu haben, auch wenn ihr das seltsamste Wochenende ihres Lebens bevorstand.

Sie kam etwas zu früh im geräumigen Hotelrestaurant mit den hohen Decken an. Die Abendsonne spiegelte sich in den unzähligen funkelnden Gläsern an der Bar, und an den Backsteinwänden hing moderne Kunst. Es war kurz vor sieben Uhr an einem Mittwochabend im Mai, und das Restaurant war schon rappelvoll. Mehrere Grüppchen leger gekleidete Menschen, vermutlich Freunde, saßen beisammen und lachten miteinander. Es gab aber auch Geschäftsleute in Anzügen, die sich wohl eher gratulierten, dass sie die Hälfte der Arbeitswoche überstanden hatten.

Es roch nach Fisch, was Steph an ihre Mutter erinnerte, die dieses Jahr an ihrem Geburtstag einen ganzen Teller Lachs verputzt hatte. Diese Woche würde sie die Mutter einer anderen Person kennenlernen. Sie unterdrückte ihre aufkommende Panik.

Nervosität war gut. Das gehörte zum Schauspielen dazu. Jetzt war Showtime.

Der Kellner führte Steph an einen Tisch, an dem bereits jemand saß. Ihre Ohren glühten, als sie langsam auf Erin zuging. Ihre Klientin hatte die Nase in der Speisekarte vergraben, doch als der Kellner sich räusperte, hob sie den Kopf.

»Ihr Gast ist da.« Er nickte ihnen zu und ließ sie allein.

Erin stand auf, streckte die Hand aus und lächelte nervös.

Steph war froh, dass sie nicht die einzig Nervöse war. »Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Steph.« Sie krächzte fast. Dann räusperte sie sich und biss die Zähne zusammen.

Erin hatte einen festen Handschlag. Das brachte Steph etwas aus dem Konzept. War das immer so? Oder wollte sie Steph etwas damit sagen? Auf einmal wurde ihr der Ernst der Lage bewusst.

Auf der Bühne hatte sie einen Text, an den sie sich halten konnte, und ein Kostüm, und einen Regisseur. Sie brauchte Ron an ihrer Seite, der sie anspornte und ihr Anweisungen gab. Doch die nächsten Tage war sie auf sich allein gestellt. Niemand würde ihr Worte in den Mund legen und ihr sagen, wie sie sie aussprechen sollte.

Erin war anders, als Steph sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte gedacht, eine Frau, die eine Fake-Freundin für eine Familienfeier engagierte, musste menschlich eine Katastrophe sein. Aber Erin war alles andere als eine Katastrophe. Steph musterte ihre hohen Wangenknochen, ihre etwas krumme Nase. Das Muttermal auf ihrer rechten Wange, das sehr nach Marilyn Monroe aussah.

Steph liebte Marilyn Monroe. Als Teenager war sie wie besessen von ihrem Schönheitsfleck gewesen.

»Erin«, erwiderte ihre Klientin. Sie betrachtete Steph von oben bis unten. »Wow, du bist größer als erwartet.«

Vielleicht war ihre Klientin doch nicht so selbstbewusst. Aber Steph war entzückt von ihrer schottischen Sprachmelodie. Sie hatte schon immer eine Schwäche für Schottisch gehabt.

Erin errötete. »Tut mir leid, das ist mir einfach rausgerutscht.« Sie verzog das Gesicht. »Wie war die Fahrt?«