BGH-Rechtsprechung Strafrecht - Jahrbuch 2018 - Jürgen-Peter Graf - E-Book

BGH-Rechtsprechung Strafrecht - Jahrbuch 2018 E-Book

Jürgen-Peter Graf

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Beschreibung

Die jährlich neu erscheinende Sammlung gibt aus erster Hand einen Gesamtüberblick über die wichtigsten BGH-Entscheidungen zum Strafrecht. Sie enthält unter Einbeziehung von Strafprozessrecht und einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich gezielt aufbereitete Informationen, um aktuelle Entwicklungen und Tendenzen der Rechtsprechung erkennen zu können. Leitentscheidungen in ausgewählten Passagen werden anhand komprimierter Erläuterungen auf den Punkt gebracht. Zahlreiche optisch hervorgehobene Praxishinweise erleichtern die unmittelbare Anwendung im Alltag der Fachanwälte, Staatsanwälte und Richter.

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Vorwort zur Ausgabe 2018

Neue Kleider ändern nichts am Inhalt, schon gar nichts am Charakter, der inneren Einstellung und der Verlässlichkeit.

Dies gilt es vorauszuschicken, nachdem sich die Wege von uns Autoren und einer verlagsseitigen Veröffentlichung in gleichsam gegenläufiger Umorientierung getrennt haben und von dieser Auflage an der Druck und Verkauf dieser jährlichen Rechtsprechungsübersicht im Eigenverlag erfolgt.

In diesem Zusammenhang haben wir unser Konzept überarbeitet, gestrafft und wollen künftig besonders wichtige Entscheidungen noch stärker in den Fokus rücken, Entwicklungen und Tendenzen der aktuellen Rechtsprechung deutlich machen, aber auch – soweit erforderlich – zu kritisierende Ausführungen in Entscheidungen ansprechen. Der Praktiker soll mit einem Blick ins Inhalts- oder Stichwortverzeichnis sofort die zu seiner Suche passenden Entscheidungen erkennen und davon sein Prozessverhalten abhängig machen können. Dementsprechend haben wir nunmehr die Fülle der Entscheidungen, welche die Vorauflagen immer dicker werden ließ, nicht mehr alle abgedruckt, sondern ähnliche und gleichlautende Urteile in den Fußnoten aufgenommen und dadurch erheblichen Druckraum gespart, was dem Nutzer mehr Übersichtlichkeit bringen und natürlich auch den Verkaufspreis wieder etwas günstiger gestalten wird.

Dessen ungeachtet gelten die nachstehenden Ausführungen des Vorworts zur Erstausgabe der Rechtsprechungsübersicht des Bundesgerichtshofs für Straf- und Strafprozessrecht des Jahres 2010 unverändert fort:

Gerade aber die Fülle der auf diesem Weg nunmehr ständig und jederzeit abrufbaren Entscheidungen macht es für den Anwender schwierig, die für seine praktische Arbeit und die jeweiligen Interessen wichtigen Erkenntnisse herauszufinden und dann nachzuvollziehen. Selbst wenn man die erforderliche Zeit hierfür aufwenden kann, gestaltet es sich mehr als freudlos, zahlreiche nur durch das Aktenzeichen und das Datum gekennzeichnete Dateien aufzurufen, um dann möglicherweise erst nach mehreren Minuten des Lesens feststellen zu können, ob die Entscheidung für die eigene Arbeit tatsächlich wichtig ist oder eher nicht.

Auch die Aufarbeitung der Rechtsprechung mittels Fachzeitschriften stellt für sich allein keine geeignete Lösung dar. Zum einen werden viele Urteile und Beschlüsse erst mit einem zeitlichen Abstand von bis zu 18 Monaten publiziert, zum anderen sind zahlreiche Entscheidungen gerade nicht in allen Zeitschriften einer Fachrichtung veröffentlicht, so dass der interessierte Praktiker mindestens drei oder mehr Zeitschriften gleichzeitig lesen müsste. Nicht eingerechnet sind dabei Urteile und Beschlüsse, welche überhaupt nicht abgedruckt werden, sondern nur online verfügbar sind.

Aber auch Studenten und Referendare, welche sich zur Vorbereitung für das jeweilige Examen über die aktuellsten Entscheidungen der letzten Monate informieren wollen, stehen vor einem ähnlichen Problem, zumal in dieser Phase meist ohnehin viel zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um auch nur annähernd gründlich wenigstens einige Fachzeitschriften durchzusehen. Mit der üblichen Ausbildungsliteratur kommt man nicht weiter; denn für Strafrecht und Strafprozessrecht wird regelmäßig nur eine kleine Besprechungsauswahl aktueller Entscheidungen angeboten, und das meistens mit einer durch die Bearbeitung bedingten erheblichen zeitlichen Verzögerung.

Somit lag es nahe, die wesentlichen Entscheidungen im Strafrecht, Nebenstrafrecht und im Strafprozessrecht von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht für den aktuell zurückliegenden Zeitraum zusammenzustellen und mit erklärenden Anmerkungen hinsichtlich einzelner Entscheidung zu versehen.

Ausgangspunkt für die hiermit vorgelegte neue Zusammenstellung 2018 ist das zurückliegende Jahr 2017, wobei einige Entscheidungen zwar noch ein Datum des Jahres 2016 tragen, vielfach dennoch aber erst zum Jahreswechsel oder später veröffentlicht wurden.

Insgesamt haben Dr. Goers und ich erneut mehr als 1.200 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und über 100 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesichtet und darunter etwa 660 Urteile und Beschlüsse ausgewählt, welche uns für die tägliche Praxis und die Fortentwicklung der Rechtsprechung insgesamt als bedeutsam erschienen. Besonders wichtige Entscheidungen, welcher jeder am Straf- und Strafprozessrecht Interessierte unbedingt kennen sollte, wurden zusätzlich als „Topentscheidung“ gekennzeichnet; ein „Muss“ auch für Rechtsreferendare und Examenskandidaten! Grundlegende und wegweisende Entscheidungen wurden außerdem in ihrer konkreten Bedeutung für die Praxis erläutert und teilweise auch mit „Praxistipps“ oder Hinweisen zur „Praxisbedeutung“ versehen.

Um dem Leser ein mühsames Heraussuchen und Nachlesen der zitierten Erkenntnisse zu ersparen, sind wie bereits schon in den vorangegangenen Ausgaben die wesentlichen Ausführungen der Entscheidungen und überwiegend mit den autorisierten Randnummern des Gerichts auszugsweise mitabgedruckt, so dass der Benutzer alle wichtigen Informationen auf einen Blick erhält und die Entscheidungsauszüge zugleich auch zitierfähig sind. Besteht danach zusätzlicher Bedarf, eine Entscheidung in ihrer Gesamtheit zu lesen, sind Datum und Aktenzeichen verzeichnet, so dass eine Recherche über die Webseiten der einzelnen Gerichte (s. o.) ebenso möglich ist wie der Abruf über die verschiedenen Online-Datenbanken der Juristischen Fachverlage oder das Datenbanksystem Juris.

Die systematische Einordnung der Entscheidungen in Tatbestände und Tatbestandsgruppen soll zusätzlich die Möglichkeit geben, sich im Wege einer eigenen Fortbildung in aktuelle Problemfragen bestimmter Tatbestände einzuarbeiten und die daraus resultierenden Lösungen der Rechtsprechung in die tägliche Arbeit als Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt einfließen zu lassen. Die überragende Bedeutung solchen Wissens gerade für Strafverteidiger braucht nicht näher dargelegt zu werden, zumal die Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO darstellt!

Um schließlich auch konkrete Einzelfragen nach aktuellen Rechtsprechungslösungen überprüfen zu können, sind die abgedruckten Entscheidungen auch über ein umfangreiches Stichwortverzeichnis auffindbar.

Ganz herzlich danke ich erneut Herrn Richter am Landgericht Dr. Matthias Goers, der mich auch bei der aktuellen Ausgabe mit großem Einsatz unterstützt und die Bereiche „StGB Allgemeiner Teil“ und „Strafrechtliche Nebengesetze“ und ab dieser Ausgabe zusätzlich auch noch den Bereich „StGB Besonderer Teil“ übernommen hat.

Im Übrigen bitte ich die Nutzer und Leser um Anregungen und Hinweise für künftige Zusammenstellungen.

Karlsruhe, Januar 2018

Jürgen Graf

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Ausgabe 2018

StGB – Allgemeiner Teil

Grundsätzliches

Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB Allgemeiner Teil

Geltungsbereich – §§ 1 ff. StGB

Begehen durch Unterlassen –§ 13 StGB

Vorsatz –§ 15 StGB

Verbotsirrtum –§ 17 StGB

Schuldunfähigkeit, verminderte Schuldfähigkeit – §§ 20, 21 StGB

Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB

Vorbereitungshandlung und Versuch

Beendeter oder unbeendeter Versuch

Versuch der Beteiligung, § 30 StGB

Mittäterschaft –§ 25 StGB

Anstiftung –§ 26 StGB

Beihilfe –§ 27 StGB

Rechtfertigungsgründe

Verhängung der Geldstrafe in Tagessätzen – § 40 StGB

Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB

Strafzumessung im engeren Sinn –§ 46 StGB

Verbot der Doppelverwertung

Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung –§ 46a StGB

Aufklärungshilfe –§ 46b StGB

Besondere gesetzlicher Milderungsgründe – § 49 StGB

Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB

Strafaussetzung zur Bewährung – §§ 56 ff. StGB

Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB

Maßregeln der Besserung und Sicherung

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus –§ 63 StGB

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – § 64 StGB

Reihenfolge der Vollstreckung –§ 67 StGB

Entziehung der Fahrerlaubnis – §§ 69, 69a StGB

Berufsverbot –§ 70 StGB

Einziehung – §§ 73 ff. StGB

Strafantrag –§ 77 StGB

Verjährung, §§ 78 ff. StGB

StGB – Besonderer Teil

Grundsätzliches

Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB Besonderer Teil

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat –§ 89a StGB

Landfriedensbruch –§ 125 StGB

Volksverhetzung –§ 130 StGB

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen – § 174 StGB

Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses –§ 174 c StGB

Sexueller Missbrauch von Kindern – §§ 176, 176a StGB

Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung –§ 177 StGB

Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften –§ 184b StGB

Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen –§ 201a StGB

Straftaten gegen das Leben – §§ 211 ff. StGB

Tötungsvorsatz und Tötungsmotiv bei §§ 211, 212 StGB

Mordmerkmale

aa) Grausamkeit

bb) Gemeingefährliche Mittel

cc) Heimtücke

dd) Verdeckungsabsicht

ee) Niedrige Beweggründe

Minder schwerer Fall des Totschlags – § 213 StGB

Aussetzung –§ 221 StGB

Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB

Vorsätzliche Körperverletzung –§ 223 StGB

Gefährliche Körperverletzung –§ 224 Abs. 1 StGB

Misshandlung von Schutzbefohlenen –§ 225 StGB

Schwere Körperverletzung –§ 226 StGB

Körperverletzung mit Todesfolge –§ 227 StGB

Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB

Entziehung Minderjähriger –§ 235 StGB

Nachstellung –§ 238 StGB

Freiheitsberaubung –§ 239 StGB

Erpresserischer Menschenraub –§ 239a StGB

Geiselnahme –§ 239b StGB

Nötigung/Bedrohung – §§ 240, 241 StGB

Diebstahl und Unterschlagung – §§ 242 ff. StGB

Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB

Waffe, Gefährliches Werkzeug etc. – § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Raub mit Todesfolge –§ 251 StGB

Erpressung / Räuberische Erpressung – §§ 253, 255 StGB

Geldwäsche –§ 261 StGB

Betrug

Vermögensschaden

Gewerbsmäßiger Betrug und Mitglied einer Bande

Computerbetrug –§ 263a StGB

Subventionsbetrug –§ 264 StGB

Untreue –§ 266 StGB

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt – § 266a StGB

Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten – § 266b StGB

Urkundenfälschung –§ 267 StGB

Bankrott –§ 283 StGB

Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels – § 284 StGB

Computersabotage –§ 303 b StGB

Brandstiftung / Schwere Brandstiftung / Besonders schwere Brandstiftung – §§ 306, 306 a, 306 b ff. StGB

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB

Gefährdung des Straßenverkehrs / Trunkenheit im Verkehr –§ 315c, § 316 StGB

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer – § 316a StGB

Vorteilsannahme, Bestechlichkeit – §§ 331 ff. StGB

Rechtsbeugung –§ 339 StGB

Verletzung des Dienstgeheimnisses u. a. – § 353b StGB

Strafrechtliche Nebengesetze

Grundsätzliches

Überblick

Ausblick

Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen

Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

Handeltreiben

Einfuhr

Abgabe

Besitz

Bewertungseinheit oder selbstständige Taten

Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme

Handeltreiben als Bande und mit Waffen

Allgemeine Strafzumessungserwägungen

Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)

Waffengesetz

OWiG

StVG

WpHG

§ 15a InsO

HGB

Urhebergesetz

AufenthG

StAG

Vereinsgesetz

VStGB

AMG

Strafprozessordnung

Grundsätzliches

Überblick

Ausblick

Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des Verfahrensrechts

Verbindung rechtshängiger Sachen, Zuständigkeit – §§ 4 ff. StPO

Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO

Zustellung –§ 36 StPO

Wiedereinsetzung –§ 44 StPO

Zeugnisverweigerungsrecht –§ 52 StPO

Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz technischer Mittel (Gefahr im Verzug/Tatverdacht) – §§ 94 ff. StPO

Verhaftung und vorläufige Festnahme – §§ 112 ff. StPO

Erste richterliche Vernehmung, Vernehmung des Beschuldigten – §§ 133 ff. StPO

Verbotene Vernehmungsmethoden, Beweisverwertungsverbote –§ 136a StPO

Verfahrenseinstellung – §§ 153 ff. StPO

Ermittlungen, Anwesenheitsrechte – §§ 160 ff. StPO

Fassung der Anklage; Eröffnungsbeschluss – §§ 200 ff. StPO

Anklageerhebung

Zwischenverfahren / Eröffnungsbeschluss / Nachtragsanklage

Mitteilungsverpflichtung über das Stattfinden von Erörterungen bzgl. einer Verständigung – § 243 Abs. 4 StPO

Stellung von Beweisanträgen –§ 244 StPO

Entfernung des Angeklagten / Audiovisuelle Vernehmung von Zeugen – §§ 247, 247a StPO

Hinzuziehung von Sachverständigen – §§ 244 Abs. 4, 246a StPO

Urkundenbeweis, Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson – §§ 251, 252 ff. StPO

Beweisverwertungsverbot

Verständigung im Strafverfahren –§ 243 Abs. 4 S. 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a S. 3, § 302 Abs. 1 S. 2 StPO

Schlussvorträge, Letztes Wort –§ 258 StPO

Urteilsabfassung – §§ 261 ff. StPO

Kognitionspflicht –§ 264 StPO

Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts – § 265 StPO

Urteilsgründe –§ 267 StPO

Verweisung nach Beginn der Hauptverhandlung – § 270 StPO

Verhandlungsprotokoll, Beweiskraft des Protokolls – §§ 271 ff. StPO

Rechtsmittel: Einlegung, Beschränkung, Rücknahme und Rechtsmittelverzicht – §§ 296 ff. StPO

Revisionseinlegung

Revisionsrücknahme

Revisionsbegründung

Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen

Verfahrensrügen Allgemein (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO)

Aufklärungsrügen

Revisionsrügen nach § 338 StPO

§ 338 Nr. 1 StPO

§ 338 Nr. 6 StPO

§ 338 Nr. 8 StPO

Verletzung des rechtlichen Gehörs / Anhörungsrüge – § 356a StPO

Verstoß gegen Grundsatz des fairen Verfahrens

Unangemessene Verfahrensdauer – §§ 199, 198 GVG

Adhäsionsverfahren

Nebenklage

Strafvollstreckung – §§ 449 ff. StPO

Nachteilsausgleich bei unangemessener Dauer von Ermittlungs- und Gerichtsverfahren

Prozesskostenhilfe

Sonstige Verfahrensgesetze

Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), Einführungsgesetz zum GVG (EGGVG)

Besetzung des Gerichts / Gesetzlicher Richter

Gesetz über das Bundeskriminalamt – BKAG

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG

Bundeszentralregistergesetz – BZRG

Internationale Rechtshilfe, Internationale Gerichtsbarkeit, Auslieferung, Beweiserhebung

A. StGB – Allgemeiner Teil

I. Grundsätzliches

1. Überblick

Im Betrachtungsjahr 2017 hat der Bundesgerichtshof den Bereich des StGB AT betreffend zwei zentrale Entscheidungen abgesetzt, die die Garantenstellung von Ehegatten untereinander sowie von Kindern gegenüber Eltern betreffen. In beiden Konstellationen ist letztlich die konkrete Ausgestaltung des verwandtschaftlichen Verhältnisses in tatsächlicher Hinsicht entscheidend.1

Zu Fragestellungen die §§ 20 und 21 StGB betreffend verhielt sich der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen zur Bewertung selbstverantwortlichen Sich-Betrinkens.2Erkrankungen im seelischen Bereich waren in diesem Zusammenhang ebenso entscheidungsgegenständlich.3

Den subjektiven „Einschlag“ im Bereich des Versuchs – hier im Kontext des § 30 StGB – hat der 3. Strafsenat insoweit verdeutlicht, als die einzelnen Tatbestandsalternativen und damit verbundene Voraussetzungen einzeln diffizil einer Betrachtung zugeführt worden sind.4

Für die Teilnahmeform der Beihilfe wurde durch zwei Entscheidungen des 1. Strafsenats hervorgehoben, dass als „taugliche“ Hilfeleistungen auch berufstypische Handlungen in Betracht kommen, insbesondere Beratungs- oder Unterstützungshandlungen von Rechtsanwälten.5

Die komplexen Themenfelder der Strafzumessungsentscheidungen nebst der Thematik des Doppelverwertungsverbots bildeten auch 2017 einen Schwerpunkt. Wiederum stand eine Vielzahl von Einzelfallentscheidung im Fokus der Rechtsprechung.6

Im Bereich der freiheitsentziehenden Maßregeln sind einige Entscheidungen zur Unterbringung nach § 63 f. StGB ersichtlich.7 Innerhalb mehrerer Entscheidungen wurde die verlängerte Unterbringungsfrist nach der Novellierung des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB im Zusammenhang mit der Frage der Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB hervorgehoben.8 Grundsätze der Sicherungsverwahrung wurden in einer Entscheidung nach der erfolgten Gesetzesänderung aufgezeigt.9

Im Strafrecht AT haben schließlich auch die nachfolgend genannten Entscheidungskontexte in der ausgewerteten Rechtsprechung Bedeutung erlangt:

Fragen zum

Geltungsbereich

des StGB,

10

Vorsatz

fragen

11

, einschließlich der Problematik des

Verbotsirrtums

,

12

der Bereich der

Rechtfertigungsgründe

,

13

Entscheidungen zur

Geldstrafenverhängung

,

14

Themen aus

§ 46a f. StGB

,

15

Konkurrenz

rechtliche Bewertungen,

16

Strafaussetzungsfragen zur

Bewährung

,

17

eine Entscheidung zur

Verwarnung

mit

Strafvorbehalt

,

18

Nebenentscheidungen

,

19

Übergang des Antragsrechts bei Tod des Verletzten im Zusammenhang mit

Strafanträgen

20

und

Verjährungsthemen

21

wurden insoweit innerhalb dieses Werks eingearbeitet.

2. Ausblick

Ein grundlegender Wandel im Bereich des Strafrechts AT deutete sich im Rahmen der Auswertung der Rechtsprechung mit Schwerpunkt auf das Jahr 2017 nicht an.

Zu erwarten steht jedoch, dass nach den umfassenden Neuregelungen im Bereich der Vermögensabschöpfung die neuen Grundsätze innerhalb des Jahres 2018 Eingang in die obergerichtliche Rechtsprechung finden werden. Hierbei wird sich zeigen, inwieweit die umfassenden Regelungen zur Umsetzung der Geschädigteninteressen in Gänze mit den Beschuldigtenrechten in Einklang zu bringen sind.

Die Reformbestrebungen hinsichtlich der Mord- und Tötungsdelikte sowie des Unternehmensstrafrechts können aktuell für die neue Legislaturperiode des Bundestags nicht eingeschätzt werden. Eine zeitnahe Umsetzung – sofern an den Bestrebungen überhaupt festgehalten werden sollte – bereits im Jahr 2018 erscheint im Ergebnis jedoch unwahrscheinlich.

1 Rn. 13 f.

2 Siehe hierzu insbesondere Rn. 25.

3 Rn. 27 ff.

4 Rn. 43.

5 Rn. 55.

6 Rn. 69 ff.

7 Rn. 175 ff.

8 Rn. 207 f.

9 Rn. 209.

10 Rn. 11 ff.

11 Rn. 16 ff.

12 Rn. 19 f.

13 Rn. 59 ff.

14 Rn. 66 ff.

15 Rn. 124 ff.

16 Rn. 132 ff.

17 Rn. 166 ff.

18 Rn. 174.

19 Rn. 218 ff.

20 Rn. 226.

21 Rn. 227 ff.

II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB Allgemeiner Teil

1. Geltungsbereich – §§ 1 ff. StGB

Gemäß § 2 Abs. 1 StGB findet das sogenannte Tatzeitprinzip Anwendung, wonach sich die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, welches zur Zeit der Tat galt. Abweichend von diesem Tatzeitprinzip kann sich die Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem Meistbegünstigungsprinzip bestimmen.22

a) Gemäß § 2 Abs. 1 StGB findet das sogenannte Tatzeitprinzip Anwendung, wonach sich die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, welches zur Zeit der Tat galt. Im Tatzeitraum galt § 95 Abs. 3 Nr. 2 lit. b AMG. Abweichend von diesem Tatzeitprinzip kann sich die Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem Meistbegünstigungsprinzip bestimmen. Danach ist das mildeste Gesetz anzuwenden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. November 2014 – 5 StR 527/14, wistra 2015, 99 mwN), wenn sich die Gesetzeslage seit der Beendigung der Tat geändert hat. Dem entspricht es, dass der Schutzzweck des Art. 103 Abs. 2 GG insoweit auf die rückwirkende Anwendung neuen materiellen Rechts zuungunsten des Täters beschränkt ist, wobei sowohl die rückwirkende Strafbegründung als auch die rückwirkende Strafverschärfung hiervon erfasst wird (BVerfG, Urteil vom 20. März 2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 Rn. 67 ff.; Kammerbeschluss vom 22. August 1994 – 2 BvR 1884/93, NJW 1995, 315; Beschluss vom 26. Februar 1969 – 2 BvL 15/68 Rn. 72, BVerfGE 25, 269, 284 ff.).

b) Im vorliegenden Fall hat sich das Gesetz seit der Tatbegehung geändert. § 95 Abs. 3 Nr. 2 lit. b i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG ist zum 17. Dezember 2015 außer Kraft getreten. Das dort geregelte Unrecht – Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken – ist jedoch seitdem in § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes gegen Doping im Sport (Anti-Doping-Gesetz) erfasst.

c) Dieses neue Recht erweist sich aber für den Angeklagten im konkreten Einzelfall nicht als günstiger. Denn eine Betrachtung des alten und neuen Gesetzes als jeweils Ganzes ergibt keine Begünstigung des Angeklagten durch das neue Recht. So hat zwar § 95 Abs. 3 Nr. 2 lit. b AMG für die Fälle der gewerbsmäßigen Begehung einen besonders schweren Fall vorgesehen, der einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren eröffnete. Bei Entfallen der Regelwirkung sah der Normalstrafrahmen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Im neuen Gesetz ist für die gewerbsmäßige Begehung allerdings ein Qualifikationstatbestand vorgesehen, der den Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren enthält (§ 4 IV Nr. 2 lit. b Anti-Doping-Gesetz), für den Fall der Annahme eines minder schweren Falls steht ein abgesenkter Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zur Verfügung (§ 4 V Anti-Doping-Gesetz). Damit verbleibt es bei der Anwendbarkeit des zur Tatzeit geltenden Rechts.

Eine Einschränkung des Weltrechtsprinzips für Taten des „Vertriebs von Betäubungsmitteln“ lässt sich § 6 Nr. 5 StGB nicht entnehmen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 6 Nr. 5 StGB kann aus völkerrechtlicher Sicht mit Blick auf den Nichteinmischungsgrundsatz geboten sein.23

1. Eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich allerdings nicht – wie das Landgericht meint – aus § 9 Abs. 2 Satz 1 StGB. Inländische täterschaftliche Tatbeiträge eines früheren Mitangeklagten könnten zwar, wie das Landgericht in seinem im Urteil in Bezug genommenen und von der Revision mitgeteilten Beschluss vom 10. Mai 2012 richtig gesehen hatte, nach §§ 3, 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB zur Anwendung deutschen Strafrechts führen. Solche Tatbeiträge hat das Landgericht aber im Urteil nicht festgestellt; im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird lediglich ausgeführt, dass sich der Angeklagte den in B. erfolgten Tatbeitrag des früheren Mitangeklagten Ba. über § 9 Abs. 2 Satz 1 StGB zurechnen lassen müsse, ohne dass näher dargelegt wird, worin dieser bestehen soll. In der mitgeteilten Prozessgeschichte finden sich zwar Hinweise auf „vorherige Verhandlungen in B. “; diese Ausführungen erfolgten aber lediglich im Rahmen der Wiedergabe des Anklagevorwurfs und können daher ebenso wenig wie die ersichtlich vorläufigen Einschätzungen des Landgerichts im Beschluss vom 10. Mai 2012 konkrete tatbestandsmäßige und täterschaftliche Handlungen des Mitangeklagten Ba. belegen.

2. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich aber aus § 6 Nr. 5 StGB. Danach gilt deutsches Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, für im Ausland begangene Taten des „unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln“.

a) Der Begriff des „Vertriebs“ ist dabei mit dem des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht gleichzusetzen, sondern autonom auszulegen. Im Sinne von § 6 Nr. 5 StGB vertreibt Betäubungsmittel, wer allein oder durch seine Mitwirkung ihren in der Regel entgeltlichen Absatz an andere fördert (BGHSt 34, 1, 2). Gefordert ist eine Tätigkeit, die ein Betäubungsmittel entgeltlich in den Besitz eines anderen bringen soll. Von den zahlreichen Teilakten des Handeltreibens werden durch den Begriff des „Vertriebs“ damit nur solche erfasst, die unmittelbar auf Weitergabe gerichtet sind (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335). In den Tathandlungen des Angeklagten sind diese Voraussetzungen erfüllt. Sie waren unzweifelhaft darauf gerichtet, entgeltlich und unbefugt Betäubungsmittel in den Besitz eines anderen zu bringen. Dass es sich bei beiden Betäubungsmittelankäufen, die der Angeklagte unterstützt hat, um von den Ermittlungsbehörden veranlasste Scheingeschäfte handelte und nie die konkrete Gefahr bestand, dass die Betäubungsmittel weiter dem illegalen Rauschgiftmarkt zur Verfügung stehen, ändert daran nichts. Die Annahme von Vertrieb setzt keinen Absatzerfolg voraus.

b) Die Frage, ob über den Wortlaut der Vorschrift hinaus grundsätzlich ein über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hinausgehender legitimierender Anknüpfungspunkt erforderlich ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nicht abschließend entschieden. Soweit die Frage erörtert worden ist, wurde sie zumeist mit der Erwägung offen gelassen, dass der zugrunde liegende Sachverhalt den erforderlichen Inlandsbezug aufweise (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1991 – 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2; vom 8. April 1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336, und vom 20. Oktober 1976 – 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 33). Der Senat hat in seinem Anfragebeschluss vom 18. März 2015 die Ansicht vertreten, es bedürfe grundsätzlich eines Inlandsbezugs der im Ausland begangenen Vertriebshandlung, aus dem sich ein inländisches Interesse an der Verfolgung dieser Straftat ergeben müsse (so auch große Teile der Literatur vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 6 Rn. 5b; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 6 Rn. 1; MünchKomm-StGB/Ambos, 3. Aufl., § 6 Rn. 4; ders., Internationales Strafrecht, 4. Aufl., § 3 Rn. 100; Weber, BtMG, 4. Aufl., Rn. 11; vgl. auch Werle/Jeßberger in LK, 12. Aufl., § 6 Rn. 35). Dem ist der 1. Strafsenat in seiner Antwort vom 16. Dezember 2015 entgegengetreten. Jedenfalls für die hier zugrunde liegende Fallkonstellation folgt der Senat dieser Ansicht und hält einen besonderen Inlandsbezug der in den Niederlanden begangenen Straftat nicht für erforderlich.

Dies ergibt sich zunächst aus einer umfassenden Auslegung von § 6 Nr. 5 StGB, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Ausdruck des Weltrechtsprinzips ist (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335 mit Anmerkung von Patzak; BGH, Urteil vom 22. September 2009 – 3 StR 383/09, NStZ 2010, 521; Beschluss vom 22. November 1999 – 5 StR 493/99, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 37; Urteile vom 12. November 1991 – 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2; vom 8. April 1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336; vom 22. Januar 1986 – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 2, und vom 20. Oktober 1976 – 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 32). Das Weltrechtsprinzip lässt eine Ausdehnung der Strafgewalt auf Taten gegen Rechtsgüter zu, deren Schutz im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft liegt, um Verfolgungsdefizite im Tatortstaat zu überwinden und im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft einen effektiven strafrechtlichen Schutz dieser Rechtsgüter zu gewährleisten (vgl. nur BVerfG, NJW 2001, 1848, 1852). Eine Einschränkung des Weltrechtsgrundsatzes für Taten des „Vertriebs von Betäubungsmitteln“ lässt sich § 6 Nr. 5 StGB nicht entnehmen (so auch Schiemann, NStZ 2015, 570). aa) Der Wortlaut des § 6 Nr. 5 StGB lässt – anders als in anderen Bereichen des Strafanwendungsrechts, in denen die deutsche Strafgewalt nicht schon bei Vorliegen bestimmter Katalogtaten, sondern erst bei Hinzutreten eines Inlandsbezugs begründet sein soll – keine Einschränkung erkennen. Während es etwa eines solchen Inlandsbezugs für die in § 5 StGB genannten Straftaten (mit Ausnahme der in Nrn. 1, 2 und 4 der Vorschrift aufgeführten Taten) oder auch für § 129b StGB kraft ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers bedarf, lässt sich aus dem Fehlen einer entsprechenden Begrenzung in § 6 Nr. 5 StGB schließen, dass dies hier nicht beabsichtigt war. Dies wird durch den Blick in die Gesetzgebungsmaterialien bestätigt. Ihnen lässt sich nichts für eine vom historischen Gesetzgeber gewünschte Begrenzung des ausdrücklich in Bezug genommenen Weltrechtsprinzips entnehmen (vgl. BT-Drucks. 4/650, S. 109; ferner: BT-Drucks. V/4095, S. 4 f., 7).

bb) Aus dem Sinn und Zweck der Norm lässt sich eine über den Wortlaut hinausgehende Einschränkung nicht ableiten. § 6 Nr. 5 StGB verfolgt den Zweck, dem Betäubungsmittelhandel, der wegen seiner grenzüberschreitenden Gefährlichkeit grundsätzlich auch Inlandsinteressen berührt, durch Anwendung des deutschen Strafrechts auf den Händler entgegenzuwirken, gleich welcher Staatsangehörigkeit er ist und wo er die Tat begangen hat (BGH, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335; Urteil vom 22. Januar 1986 – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 3). Eine Verfolgungsbeschränkung auf Taten mit einem spezifischen Inlandsbezug schränkte die Verfolgung des Schutzzwecks sogar ein.

cc) Die Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 6 Nr. 5 StGB folgt auch nicht aus der notwendigen Beachtung höherrangigen Rechts. Der Senat hält zwar entsprechend seinen Überlegungen im Anfragebeschluss daran fest, dass das Erfordernis eines materiellrechtlich verstandenen Inlandsbezugs eine gleichförmige, der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugängliche Rechtsausübung gewährleistet, die der gerichtlich nicht überprüfbaren Ermessensentscheidung nach § 153c StPO, von der Verfolgung abzusehen, in der Verteilung der begrenzten Strafrechtsressourcen überlegen ist und damit auch dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Postulat nach Rechtssicherheit besser gerecht wird. Er vermag sich aber letztlich dem Argument nicht zu verschließen, dass sich der Gesetzgeber mit dem Willen zur Ressourcenschonung in Fällen von Auslandsberührung mit § 153c StPO für eine prozessuale Lösung entschieden hat (vgl. auch Schiemann, NStZ 2015, 570). Dies bindet die Rechtsprechung, die nicht ihre eigenen Vorstellungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen darf (vgl. BVerfGE 82, 6, 12). Ein Ausnahmefall, in dem die Rechtsprechung über im Gesetz getroffene Wertungen hinaus das Recht fortentwickeln darf (vgl. BVerfGE 126, 286, 306), liegt nicht vor.

dd) Schließlich ist eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 6 Nr. 5 StGB – jedenfalls im vorliegenden Fall – auch nicht aus völkerrechtlicher Sicht geboten. Es mag an dieser Stelle dahin stehen, ob der Vertrieb von Betäubungsmitteln mit Blick auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II, S. 1136 ff.) uneingeschränkt dem Weltrechtsprinzip unterfallen kann (krit. Afshar HRRS 2015, 331, 332 mwN) und damit die nationale Verfolgung im Ausland begangener Straftaten durch einen Ausländer völkerrechtlich in jedem Fall gerechtfertigt ist (zur Völkerrechtskonformität vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1976 – 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 33). Der 1. Strafsenat möchte dies mit Teilen der Literatur (vgl. Böse, NK-StGB, 4. Aufl., § 6 Rn. 13; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 6 Rn.

5) annehmen, weil mit Blick darauf, dass das Übereinkommen von nahezu sämtlichen Staaten ratifiziert worden ist und sich daraus ein grundsätzlicher Konsens über die Strafbarkeit des organisierten Drogenhandels ergeben soll, von einer „kollektiven Verantwortung aller Staaten für die Ausmerzung desselben“ auszugehen ist (vgl. Erwägung 10 der Präambel des Übereinkommens). Daran könnten aber Zweifel aufkommen, weil das Übereinkommen eine Jurisdiktion nach dem Weltrechtsprinzip nicht ausdrücklich anordnet (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336) und zudem in Art. 2 Abs. 2 und 3 den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz betont. Dagegen könnte auch sprechen, dass das Übereinkommen in Art. 4 Abs. 1 und 2 eine Reihe von konkreten Jurisdiktionstiteln aufführt, aus denen sich allein unter den dort im Einzelnen genannten Voraussetzungen die Befugnis zur Verfolgung von im Ausland begangenen Straftaten ergibt (vgl. Werle/Jeßberger, LK, 12. Aufl., § 6 Rn. 82 ff, 85), wiewohl nicht zu übersehen ist, dass in Art. 4 Abs. 3 des Übereinkommens (freilich ohne nähere Erläuterung) die Ausübung einer weitergehenden, nach innerstaatlichem Recht begründeten Strafbarkeit nicht ausgeschlossen wird. Angesichts der Besonderheiten des zugrunde liegenden Falles kann aber – auch wenn man in jedem konkreten Fall des § 6 Nr. 5 StGB eine völkerrechtliche Legitimation für die Verfolgung von Auslandstaten des Vertriebs von Betäubungsmitteln fordern würde – ein möglicher völkerrechtlicher Verstoß gegen den Nichteinmischungsgrundsatz ausgeschlossen werden. Die Niederlande haben der Strafverfolgung des Angeklagten, ihres Staatsangehörigen, in der für eine in ihrem Staatsgebiet begangene Straftat ausdrücklich zugestimmt, als sie ihn aufgrund eines Europäischen Haftbefehls weiter an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert haben. Gemäß Art. 4 Nr. 7a RB-EUHb hätte es ihnen freigestanden, die Vollstreckung des gegen den Angeklagten gerichteten Europäischen Haftbefehls zu verweigern.

2. Begehen durch Unterlassen –§ 13 StGB

TOPENTSCHEIDUNG

Jedenfalls bei bestehender Lebensgemeinschaft sind die Ehegatten einander als Garanten zum Schutz verpflichtet.24 Eine Garantenpflicht kann auch bei und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bestehen.25

b) Das Urteil hält entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts rechtlicher Überprüfung auch stand, soweit die Strafkammer – lediglich im Rahmen der Strafzumessung – auf die „erhebliche Mitverantwortung (der Nebenklägerin) für die Eskalation des Geschehens“ und darauf verweist, dass die Nebenklägerin den Gewichtsverlust „durch unzureichende Nahrungsaufnahme eigenverantwortlich herbeigeführt hat“ (UA S. 22 Mitte). Hierdurch hat sie im Ergebnis zu Recht bejaht, dass die Garantenpflicht des Angeklagten auch und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Nebenklägerin bestand.

aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).

bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch die Nebenklägerin schloss hier jedoch die Garantenpflicht des Angeklagten zur Abwendung der (zumindest) lebensgefährlichen Gesundheitsschädigung der Nebenklägerin nicht aus.

(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht stets schon dann entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).

(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit in einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). In diesen Fällen bleibt zwar die Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten an sich straffrei, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos besteht indes eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung indes nicht notwendig verbunden. Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen daher erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts. Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f. mwN).

ANMERKUNGEN

Die Entscheidung konkretisiert die Garantenpflichtenstellungen – typischerweise etwa von Ehegatten untereinander – dahingehend, dass auch bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers die Garantenpflichten grundsätzlich fortbestehen. Insoweit kann der Garant sich nicht darauf berufen, die eigenverantwortliche Selbstgefährdung habe zu einem Verzicht des Rechtsgutinhabers bezüglich seines Schutzgutes in Gänze geführt. Im Ergebnis ist daher Beurteilungsmaßstab der gemeinhin für den Garanten erkennbare, opferseitig gewollte Umfang der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Bleibt die tatsächliche Situation im Bereich des opferseitig nach außen entäußerten Risikobereichs, so treffen den Garanten keine § 13 Abs. 1 StGB entsprechende Pflichten. „Entgleitet“ dem Opfer jedoch der Geschehensablauf, so kommt für den Garanten eine Strafbarkeit durch Unterlassen in Betracht.

TOPENTSCHEIDUNG

Bei Beurteilung der Frage, ob eine strafrechtliche Garantenpflicht eines Kindes gegenüber einem Elternteil besteht, ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.26

1. Im Ergebnis zutreffend ist die Strafkammer allerdings zunächst davon ausgegangen, dass der Angeklagte in objektiver Hinsicht gegenüber seiner Mutter im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB garantenpflichtig und deshalb am Vortag ihres Todes verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abwendung der bestehenden Lebensgefahr einzuleiten.

a) Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese Vorschrift wurde als Leitlinie für alle Eltern-Kind- Beziehungen ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Obwohl der Gesetzgeber an einen Verstoß keine Rechtsfolgen geknüpft hat, entfaltet die Vorschrift über das bürgerliche Recht – insbesondere das Familienrecht – hinaus als Wertemaßstab auch Wirkung bei der Konkretisierung strafrechtlicher Einstands- bzw. Garantenpflichten. Dies bedeutet, dass bei Prüfung einer Einstandspflicht von Kindern gegenüber Eltern im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB maßgeblich auf § 1618a BGB zurückzugreifen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, NStZ 2017, 401; BeckOK-BGB/Enders, Stand: 15. Juni 2017, § 1618a Rn. 4; Jauernig/Budzikiewicz, BGB, 16. Aufl., § 1618a Rn. 4; Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1618a Rn. 3; Staudinger/Hilbig-Lugani, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1618a Rn. 21; Böhm, Garantenpflichten aus familiären Beziehungen, 2006, S. 205 ff. und S. 218 – ablehnend: NK-StGB/Gaede, 5. Aufl., § 13 Rn. 61; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II, § 32 Rn. 42; Bülte, GA 2013, 391, 398). Im Rahmen des als Wertemaßstab heranzuziehenden § 1618a BGB ist der Gehalt der geschuldeten familiären Solidarität indes nicht einheitlich, sondern anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (BT-Drucks. 8/2788, S. 43; BayObLG FamRZ 2000, 976, 977; BeckOGK/Kienemund, Stand: 1. Juli 2017, § 1618a Rn. 9; MüKo-BGB/v. Sachsen Gessaphe, 7. Aufl., § 1618a Rn. 8; Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, § 1618a Rn. 21). Maßgebliche Bedeutung können in diesem Zusammenhang etwa das Alter, der Gesundheitszustand, die Lebensumstände und das Zusammenleben der betroffenen Personen erlangen (vgl. BayObLG aaO; MüKo-BGB/v. Sachsen Gessaphe, aaO, § 1618a Rn. 8; Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, § 1618a Rn. 21). Dementsprechend können auch mit § 1618a BGB korrespondierende strafrechtliche Einstandspflichten nicht losgelöst von der faktischen Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses bestimmt werden (vgl. hierzu allgemein Schönke/Schröder/Stree/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 13 Rn. 21; SK-StGB/Stein, 9. Aufl., § 13 Rn. 72; vgl. etwa zum Erlöschen der gegenseitigen Schutz- und Garantenpflichten bei Eheleuten nach ernsthaft erfolgter Trennung: BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301 ff.). Vielmehr ist auch bei der Konkretisierung der strafrechtlichen Einstandspflicht und bei Bestimmung des Pflichtenprogramms den Umständen des Einzelfalls und insbesondere solchen Regelungen Rechnung zu tragen, die der betroffene Personenkreis in autonomer Selbstbestimmung getroffen hat (vgl. für die Beistandspflichten unter Eheleuten Roxin, aaO, § 32 Rn. 46; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 289; zur einvernehmlichen Übertragbarkeit persönlicher Schutzpflichten: LK-StGB/Weigend, 12. Aufl., § 13 Rn. 60, Fn. 196).

b) Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bei einer zwischen Elternteil und Kind bestehenden Hausgemeinschaft eine gegenseitige strafrechtliche Einstandspflicht mit der Begründung bejaht, aus der in § 1618a BGB normierten familiären Solidarität folge jedenfalls bei faktischem Zusammenleben eine Schutzpflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, NStZ 2017, 401). Ob sich eine Garantenpflicht – ohne das tatsächliche Vorliegen einer effektiven Familiengemeinschaft – allein aus der formal bestehenden familienrechtlichen Beziehung ergeben kann, hat der 3. Strafsenat ausdrücklich offengelassen (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016, aaO). Letztlich ebenfalls an der konkreten Ausgestaltung des Falles orientiert hat der Senat – allerdings noch vor Einführung des § 1618a BGB durch das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 – jedenfalls bei Lebensgefahren eine strafrechtliche Einstandspflicht des Kindes gegenüber dem Elternteil bejaht, wobei er sich hierbei maßgeblich auf das enge Verwandtschaftsverhältnis als solches (die „durch Blutsbande verbundene Familie“) gestützt hat; innerhalb dieses Personenkreises bestehe eine Rechtspflicht zur Abwendung schwerer Gefahren, und zwar unabhängig von dem Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft, welche im konkreten Fall jedoch zusätzlich vorlag (BGH, Urteil vom 29. November 1963 – 4 StR 390/63, BGHSt 19, 167 ff.; zustimmend Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 46. Aufl., Rn. 1008; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 156; ausdrücklich gegen das Kriterium der „Blutsbande“ Bülte, aaO, 396; eine generelle Einstandspflicht des Kindes ebenfalls ablehnend: MüKo-StGB/Freund, 3. Aufl., § 13 Rn. 177; NK-StGB/Gaede, aaO, § 13 Rn. 61; Kleinherne, Garantenstellung und Notwehrrecht, 2014, S. 450 f.).

c) Auch im vorliegenden Fall ist das Landgericht mit Blick auf die konkreten Umstände zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund einer sich aus der Eltern-Kind-Beziehung herzuleitenden Garantenstellung in objektiver Hinsicht spätestens am Vorabend des Todes seiner Mutter verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abwendung der bei ihr eingetretenen Lebensgefahr einzuleiten. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war das Verhältnis des Angeklagten zu seinen Eltern über die rein formale familiäre Beziehung hinaus sowohl von besonderer räumlicher als auch persönlicher Nähe geprägt. Der Angeklagte lebte im selben Wohnhaus unmittelbar neben seinen Eltern, er besuchte diese mehrmals in der Woche, und es gab keine Anzeichen einer Zerrüttung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern. Im Hinblick auf die geschuldete familiäre Solidarität löst diese enge innerfamiliäre Beziehung – jedenfalls bei dem vorliegend festgestellten Eintritt einer Lebensgefahr, der denkbar schwersten Rechtsgutsgefährdung – eine Einstandspflicht aus. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte aufgrund seiner Vorerkrankung in objektiver Hinsicht nicht in der Lage war, dieser Erfolgsabwendungspflicht nachzukommen, ergeben die Urteilsgründe nicht.

Eine Erfolgsabwendungspflicht des Angeklagten bestand – jedenfalls am Vorabend ihres Todes – trotz der festgestellten innerfamiliären Rollenverteilung bei der Pflege seiner Mutter. Zwar folgt hieraus, dass die Einstandspflicht des Angeklagten grundsätzlich im Verhältnis zu seinem Vater nachrangig war. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte von den gesundheitlichen Problemen und der Pflege seiner Mutter bewusst ferngehalten; die faktische Verantwortung für ihre Pflege und Versorgung oblag aufgrund der in autonomer Selbstbestimmung zwischen G. R. und ihrem Ehemann getroffenen Vereinbarung allein dem – als in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehemann seinerseits garantenpflichtigen – Mitangeklagten. Die aus der klaren Rollenverteilung folgende vordringliche Verantwortlichkeit des Mitangeklagten führte aber nicht zu einer gänzlichen Befreiung des Angeklagten von seinen Schutzpflichten. Vielmehr traf ihn aufgrund des dargelegten und fortbestehenden Näheverhältnisses zu seinen Eltern eine uneingeschränkte Erfolgsabwendungspflicht, als der Mitangeklagte aufgrund seiner demenziellen Erkrankung nicht mehr in der Lage war, auf den lebensbedrohlichen Zustand seiner Ehefrau angemessen zu reagieren und somit als (vorrangiger) Garant ausfiel..

ANMERKUNGEN

Die vorgestellte Entscheidung ist als zweite maßgebliche Entscheidung zur Frage der Garantenpflichtenstellungen im Berichtszeitraum zu sehen. Anders als die vorangehend dargestellte Entscheidung wird innerhalb des vorgestellten Beschlusses das Verhältnis eines Kindes als Garant gegenüber seinen Eltern näher beleuchtet. Im Ergebnis ist hierbei eine Einzelfallbeurteilung unter Betrachtung der im Beschluss angeführten Erwägungen, insbesondere der innerfamiliären Rollenverteilung, entscheidungserheblich.

Nach der beim unechten Unterlassungsdelikt erforderlichen sog. Quasi-Kausalität ist ein Unterlassen nur dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung zu setzen, wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.27

3. Vorsatz –§ 15 StGB

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet.28

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement), weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen.29

Gemäß § 16 Abs. 1 StGB muss der Tatvorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Ein der Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos.30

1. Gemäß § 16 Abs. 1 StGB muss der Tatvorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Ein der Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 4a). Daher tritt eine Strafbarkeit wegen vollendeter Vorsatztat nur ein, wenn die vom Vorsatz getragene Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 1983 – 4 StR 298/83, NStZ 1983, 452 mwN).

Gegen diesen Grundsatz verstößt das Landgericht, indem es die nach seiner Würdigung mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommene (postmortale) Penisamputation und den für den Tod ursächlichen Schlag auf die Lippe des Geschädigten miteinander verknüpft.

2. Eine solche Verknüpfung wird auch nicht durch eine Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufs zulässig (BGH aaO). Die vom Landgericht angenommene Abweichung des vorgestellten vom tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf setzt voraus, dass der Täter vor seiner zum Erfolg führenden Handlung – hier dem Faustschlag auf die Lippe – bereits zur Tötung des Geschädigten entschlossen war; an entsprechenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der Wirkungen des Schlages fehlt es hier jedoch gerade.

Die Annahme des Landgerichts, nach der Vorstellung des Angeklagten habe ein einheitliches, von vornherein auf eine mit bedingtem Tötungsvorsatz durchgeführte „Brandmarkung“ des Geschädigten gerichtetes Tatgeschehen vorgelegen, bei dem der objektiv todesursächliche Faustschlag ohne wesentliche Zwischenschritte in die Amputation des Penis einmünden sollte, ist nicht tragfähig begründet. Für die Frage, ob der Angeklagte schon im Zeitpunkt des Schlages zu der späteren Amputation entschlossen war, kommt – anders als vom Landgericht angenommen – den Spontanäußerungen des Angeklagten keine nennenswerte Beweisbedeutung zu. Ein solcher Schluss liegt auch im Hinblick auf das objektive Tatgeschehen keineswegs auf der Hand. Denn danach lag zwischen dem Faustschlag und der Amputationshandlung eine Zeitspanne von zumindest „wenigen Minuten“, in welcher der Geschädigte liegend erstickte, ohne dass währenddessen weitere Tathandlungen des Angeklagten festgestellt sind. Mit dieser Lücke im Geschehensablauf, die die Annahme eines von Beginn an auf die Amputation gerichteten Vorsatzes in Frage stellen konnte, setzt das Landgericht sich nicht auseinander.

4. Verbotsirrtum –§ 17 StGB

Einem Verbotsirrtum unterliegt gemäß § 17 Satz 1 StGB, wem bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun.31

(1) Einem Verbotsirrtum unterliegt gemäß § 17 Satz 1 StGB, wem bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Dies war bei dem Angeklagten nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts der Fall.

(2) Die vom Landgericht angenommene Unvermeidbarkeit dieses Verbotsirrtums wird ebenfalls durch die Feststellungen belegt.

Der rechtliche Maßstab hierzu lautet wie folgt (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461): Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.

Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte „Gefälligkeitsgutachten“ scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat.32

aa) Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei Auskunftspersonen ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461; vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 253/16 – juris Rn. 58 f.).

Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. So können etwa Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, den Täter nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH aaO).

5. Schuldunfähigkeit, verminderte Schuldfähigkeit – §§ 20, 21 StGB

Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig.33

a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung jeweils auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146).

Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so ist seine Schuld gleichwohl nicht gemindert und § 21 StGB nicht anwendbar, wenn er das Unrecht seines Tuns im Tatzeitpunkt dennoch einsah; das Tatgericht hat vielmehr darüber zu befinden, ob die Einschränkung der Einsichtsfähigkeit auch tatsächlich zum Fehlen der Unrechtseinsicht führte und dem Täter dies vorzuwerfen ist; nur wenn beides zu bejahen ist, greift § 21 StGB. Eine aufgehobene oder erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ist grundsätzlich erst zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat einsah oder zumindest einsehen konnte.34

Verschuldete Trunkenheit ist für sich allein kein Versagungsgrund für eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB.35

Ob bei Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eine Strafrahmenmilderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, aaO); seine Wertung ist vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen, wenn sie erkennbar auf einer vollständigen Tatsachengrundlage beruht (Senat, Urteil vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40 mwN). Eine schematische Behandlung der Frage einer fakultativen Strafrahmenmilderung allein wegen Vorliegens eines selbst zu verantwortenden Alkoholrausches hält der Senat daher nicht für angebracht; vielmehr ist eine differenzierte, auf eine Verschuldensprüfung im Einzelfall abstellende Lösung vorzuziehen.

Danach spricht es bei selbst zu verantwortender Trunkenheit des Täters in der Regel zwar gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls infolge der Alkoholisierung das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht hat. Umgekehrt rechtfertigt aber der Umstand, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, für sich allein die Versagung einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB nicht. Diese Erwägungen gelten nach Auffassung des Senats gleichermaßen im Rahmen der Prüfung eines unbenannten minder schweren Falls nach § 213 StGB.

Der Tatrichter hat über die vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung auf Grund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte zu entscheiden, wobei ihm bei der Bewertung der für die Feststellung einer vorwerfbaren Vorhersehbarkeit relevanten objektiven und subjektiven Umstände ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Schuldgehalt der Tat bei einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit in aller Regel vermindert ist (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15; Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15). Zwar kann die Minderung der Tatschuld durch schulderhöhende Umstände kompensiert werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn der Täter die Begehung von Straftaten vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können, weil er aus früheren Erfahrungen weiß, dass er unter Alkohol- oder Drogenkonsum zur Begehung von Straftaten neigt (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, NStZ-RR 2016, 74) oder sich für ihn aus anderen Umständen ergibt, dass es bei Alkoholisierung zu Straftaten kommen könnte (Senat, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40 und vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15).

Die Ansicht des anfragenden 3. Strafsenats, es liege kein Ermessensfehler darin, dass das Tatgericht dem Angeklagten die fakultative Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB allein deswegen versagt hat, weil dieser sich schuldhaft durch Alkoholgenuss in den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit versetzt hat, berücksichtigt nicht, dass das Tatgericht auf Grund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte zu entscheiden hat. Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat daher, wie eine "Gesamtwürdigung" aller relevanten Gesichtspunkte - wie in der dem Anfragebeschluss zugrunde liegenden Entscheidung - ermessensfehlerfrei vorgenommen worden sein sollte, wenn der Tatrichter die Versagung der Strafrahmenmilderung allein (ausschließlich) auf einen Umstand gestützt hat.

Die der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats zugrunde liegende Rechtsauffassung greift mit Blick auf den Schuldgrundsatz zu kurz (vgl. LK/Schöch, 12. Aufl., § 21 Rn. 56; Lackner/Kühl, 28. Aufl., § 21 Rn. 4a mwN), insbesondere lässt sie unberücksichtigt, dass jede Schulderhöhung wenigstens (einfache) Fahrlässigkeit als geringste Schuldform voraussetzt. Aus diesem Grund ist für eine Versagung der Strafrahmenmilderung zumindest Fahrlässigkeit des Täters, also Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit bezüglich eines rechtswidrigen Ereignisses in objektiver und subjektiver Hinsicht erforderlich, etwa Vorerfahrungen mit vergleichbaren Straftaten oder die Alkoholisierung in einer Umgebung, in der sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalles das Risiko der Begehung von Straftaten erhöht hat (BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239, 242). Das allgemeinkundige Wissen, dass eine alkoholische Berauschung generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligen und aggressiven Verhalten zu senken pflegt, reicht insoweit nicht (vgl. Senat, Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15).

Damit kann eine Strafrahmenmilderung wegen eigenverantwortlich herbeigeführter Trunkenheit nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB nur dann abgelehnt bzw. ein unbenannter minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB verneint werden, wenn im Rahmen der Ermessensentscheidung geprüft und berücksichtigt wurde, ob sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hat. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des 5. Strafsenats in der genannten Entscheidung an.

Die Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kann dann erfolgen, wenn die Herabsetzung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auf selbst zu verantwortender, verschuldeter Trunkenheit beruht, nicht jedoch wenn der Täter alkoholkrank ist.36

(…)

Zwar können Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist, insbesondere wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist nur dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt.

(…)

TOPENTSCHEIDUNG

Allein das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat stellt einen schulderhöhenden Umstand dar.37

a) Dass bereits allein das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat einen schulderhöhenden Umstand darstellt, schließt der Senat aus Folgendem:

Eine alkoholische Berauschung erhöht generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte. Dieser Erfahrungssatz ist allgemeinkundig (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242; Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96, NStZ-RR 1997, 163, 165). Durch den Alkoholmissbrauch versetzt sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung (vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, Rn. 24 [Senkung der Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten]), Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Mit der Herabsetzung der geistigen und körperlichen Kräfte geht ein trügerisches Gefühl erhaltener oder gar gesteigerter Leistungsfähigkeit einher. Dieser Zustand bedingt eine erhöhte Gefährlichkeit des Berauschten, der sich gegenüber seiner Umwelt häufig in unerwarteter, ihm sonst wesensfremder sozialschädlicher - auch strafbarer - Weise verhält (vgl. BGH, Urteile vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31).

Zwar trifft es zu, dass es trotz verbreiteten hohen Alkoholkonsums "nur in einem Bruchteil der Fälle erheblicher Alkoholisierung zu einer rechtswidrigen Tat" kommt (BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242). Eine zuverlässige Prognose darüber, wie sich ein Mensch im Alkoholrausch verhalten wird, lässt sich jedoch nicht stellen; die Wirkungen starken Alkoholgenusses lassen sich niemals sicher vorausberechnen (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 126; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Ob der Rausch zu deliktischem Verhalten führt, hängt nicht allein von der Person des Täters, namentlich dessen Neigungen, sondern weit überwiegend von gleichsam zufälligen äußeren Bedingungen ab (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, JR 1958, 28; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.). Etwaige vom Täter getroffene Vorkehrungen erweisen sich dabei häufig als ungenügend; so kann sich auch derjenige, der sich in Nachtkleidung allein vor seinem Fernsehgerät "volllaufen" lässt, um anschließend seinen Rausch auszuschlafen, mit für ihn überraschenden Ereignissen (etwa dem Erscheinen des getrennt lebenden Ehegatten oder der Beschädigung seines vor dem Haus geparkten Pkw) konfrontiert sehen, die ihm - in diesem Zustand - Anlass zu strafbaren Handlungen geben (vgl. Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001, S. 1, 84 f.).

Das so beschriebene, dem Alkoholrausch selbst innewohnende Risiko zählt zum Allgemeinwissen. Es ist selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251). Jedermann weiß oder kann zumindest wissen, dass er mit seiner Trunkenheit "das Tor für unbestimmtes rechtliches Versagen (vor allem) gegenüber unerwartet auftretenden Anforderungen öffnet" (Lackner aaO, S. 220; ebenso Schnarr aaO, S. 83).

Der Alkoholrausch stellt somit erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Berauschte eine rechtswidrige Tat begeht, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder Rechtsgutsverletzung realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Insoweit hat das selbstverantwortliche Sich-Betrinken Einfluss auf die Tatschuld. Die Ansicht, dass die Schuldrelevanz davon abhängig sei, inwieweit der Täter infolge persönlicher Vorerfahrungen oder situativer Umstände einen - zusätzlichen - Anhalt für die Gefahr eigenen deliktischen Verhaltens hat, vermag der Senat infolgedessen nicht zu teilen.

b) Dass es sich bei dem selbstverantwortlichen Sich-Betrinken um ein tatschuldrelevantes Merkmal handelt, entspricht den Regelungen der §§ 323a StGB, 122 OWiG und des § 7 WStG zugrundeliegenden Wertungen. Die Vorschriften lassen Rückschlüsse auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Beurteilung zu, dass es sich bei dem schuldhaft herbeigeführten Rausch nicht um eine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung handelt, sondern dass ihm als offenkundigem Gefahrenherd ein Unwert anhaftet, der geeignet ist, das Ob und das Wie strafrechtlicher Sanktionen zu bestimmen:

aa) Im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des Berauschten hat der Gesetzgeber das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen in § 323a StGB und § 122 OWiG als ein selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht tatbestandlich normiert. Er hat lediglich die Ahndung des schuldhaften Sich-Berauschens durch die Einfügung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Bußgeldbewehrung dahin eingeschränkt, dass ein "folgenloser" Rausch keine Sanktion nach sich ziehen soll, während derjenige, der in diesem Zustand eine rechtswidrige Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, für die er nicht bestraft oder mit Geldbuße belegt werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat oder dies zumindest nicht auszuschließen ist, wegen der Berauschung mit Strafe oder Geldbuße sanktioniert wird (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125 f.; vom 1. Juni 1962 - 4 StR 88/62, BGHSt 17, 333, 334; vom 26. Oktober1965 - 1 StR 394/65, BGHSt 20, 284, 285; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 f.; Beschlüsse vom 18. August 1983 - 4 StR 142/83, BGHSt 32, 48, 55 f.; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; KK-OWiG/Rengier, 4. Aufl., § 122 Rn. 8 mwN).

Vor diesem Hintergrund erklärt sich zwanglos, warum das Sich-Berauschen in dem einen Fall als Straftat, in dem anderen lediglich als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird (aA Fischer, StGB, 64. Aufl., § 323a Rn. 17; MüKoStGB/Geisler, 2. Aufl., § 323a Rn. 4 mwN). Dies beruht darauf, dass der Gesetzgeber es im Grundsatz als strafwürdiges Unrecht bewertet, die Strafbarkeit indes je danach ausgeschlossen oder zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft hat, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Straftat oder Ordnungswidrigkeit niedergeschlagen hat.