Bin gleich zurück - Stephan Pörtner - E-Book

Bin gleich zurück E-Book

Stephan Pörtner

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Beschreibung

Der Schweizer Kabarettist und Schauspieler Beat Schlatter erzählt, was er auf und neben der Bühne erlebte, wem er dabei begegnete und was er daraus lernte. Was wahr ist und was erfunden, dokumentieren hundert Fotos aus seinem Privatarchiv. Beat Schlatter hat stets die Augen offen. Als scharfer Beobachter beschreibt er seine Umwelt temporeich und amüsant. Denn witzige Geschichten sind sein Kapital, absurd-komische Ideen sein Lebenselixier. Über fünfzig Erlebnisse sind nun im Buch erstmals nachzulesen. Wir erfahren, wie Schlatter aufgrund einer Hauswart-Hitparade einen Bombenalarm auslöste; warum der Komiker daran schuld ist, dass Alt-Bundesrat Samuel Schmid seinen Bart mit einer Nagelschere pflegt; zu welchen Tricks Schlatter als Punker griff, um dem Militärdienst zu entkommen, und weshalb sein Bingospiel-Gewinner nicht mit der Mannschaft des FC Zürich duschen durfte. Und natürlich erfahren wir auch viel über die Schweizer Prominenz aus Film, Kunst, Comedy, Sport und Politik.

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STEPHAN PÖRTNER

Bingleichzurück

KOMISCHESAUS DEM LEBEN VONBEAT SCHLATTER

© 2012 ORELL FÜSSLI VERLAG AG, ZÜRICH WWW.OFV.CH RECHTE VORBEHALTEN

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbesondere der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, Vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig.

KONZEPT UND RECHERCHE: IRIS MUHL, ZÜRICH

REDAKTION UND KOORDINATION: MIRJAM FISCHER, ZÜRICH

LEKTORAT: MARION ELMER, ZÜRICH

KORREKTORAT: BEAT ZAUGG

UMSCHLAGILLUSTRATION (BEAT SCHLATTER): MARKUS ROOST, WINTERTHUR

UMSCHLAGGESTALTUNG, LAYOUT, SATZ: TRIX WETTER, ZÜRICH

BILDBEARBEITUNG: DANIELE KAEHR

E-BOOK: MBASSADOR GMBH, LUZERN

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Oscar Alessio, S. 117 | Elvira Angstmann, S. 32, 65 | Eric Bachmann, S. 119 | Malu Barben, S. 69 u., 124/125 | Fabienne Bühler, S. 224 | Peter Fischli, S. 66 | Michel Gilgen, S. 222/223 I Christian Grund (13 Photo), S. 181 | Gitta Gsell, S. 30 | Thomas Heuberger, S. 120 | Jumbo, S. 123 | Filipa Peixeiro, (Umschlag) | Bruno Torricelli, S. 126 | Beat Schlatter, S. 150/151, 152/153 | Barbara Stauss, S. 68 o. | Andreas Stocker, S. 223 | Vega Film, S. 6 | Sabine Wunderlin, S. 68 u. | Nachlass Andreas Züst/Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek, S. 28, 116, 240 |

Repros: Daniele Kaehr, S. 3, 27, 64, 118, 128/129, 184, 185, 228/229, 230/231, 232/233

Der Verlag und Autor haben alles unternommen, um die Fotografen der hier abgebildeten Fotos und deren Copyrights ausfindig zu machen. Leider ist dies nicht in allen Fällen gelungen. Wir bitten um Verständnis und möchten alle betroffenen Personen auffordern, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen, damit die fehlenden Informationen bei einer zweiten Auflage nachgetragen werden können.

HERZLICHEN DANK AN MIRJAM FISCHER. OHNE IHREN PROFESSIONELLEN ELAN UND IHRE MOTIVIERENDE BEGEISTERUNG WÄRE DIESES BUCH WOHL ERST 2048 ERSCHIENEN.

ISBN 978-3-280-05469-7eISBN 978-3-280-03712-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

FÜR ALLE MÜTTER VON SCHWIERIGEN KINDERN.

VORWORT

MEIN ERSTER AUFTRITT ALS ROCKMUSIKER

HAUSWART-HIT PARADE

DER ZWÖLFTE MANN

DER SCHNAUZ VON BUNDESRAT SCHMID

MEINE MUTTER

CHRIESI

EIN FRISIERTER TRAUM

AM CHEMINEEFEUER

WIE ICH MIT 15 EINE WELTMARKE SCHUF

AUF DEM SEE

MARSEILLE

RATTANPOLSTERGRUPPE IM SWIMMINGPOOL

HABEN SIE BEZIEHUNGENZU GLEICHGESCHLECHTLICHEN?

DIE PUPPE IM AUTO

DER KAFIRAHMDECKELI-SKANDAL

HAT DER TAG BEI IHNEN HEUTEAUCH DÜSTERANGEFANGEN?

ICH MAG KEINE FRAUEN, DIE

NEXT STOPP COMO

MAGISCHE PILZE

MAGISCHE PILZE ZWEITER VERSUCHODER NACH NEW YORK RENNEN

EINEN SCHWULEN BEEINDRUCKENODER DAS GEHEIMNIS BLAUER BETTWÄSCHE

OLYMPIADE DER BESTEN FLUCHER

HOHER BESUCH

EIN PÖSTLER HAT DURST

IN ZÜRICH AM CENTRAL DEN VERKEHR REGELN

DER BELEIBTE BRUDER

DER TAMILE AUF MEINEM SOFA

EINE ROLLE ZUM KOTZEN

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DUZIS MIT DEM BUNDESRAT ODER WIE AUSEINER DRITTEN SÄULE EINE STANGE WURDE

SCHMUSENDE POLIZISTEN

KANNST DU AM SAMSTAG EIN BINGO MODERIEREN?

WANN KOMMT DIE POLIZEI?

DUSCHEN MIT DEM FCZ

DER GEHEIMSTE GEHEIMSCHALTER VON BASEL

BRUSTVERGRÖSSERUNG

EIN PREIS FÜRS LEBEN

DIE PAAR BRÖSMELI HÄND MI NIE GSTÖRT

WELCHES IST DIE SCHLECHTESTE BEIZ VON LUZERN?

DIE BESTEN WITZE

CHRISTIAN GROSS IM TREPPENHAUS

IHR SIND IM FALL GANZ PRIMITIVI WIIBER!

POLTERABEND

EIN BLINDER, EIN LAHMER UND

WO SCHLAFEN SIE EIGENTLICH?

DER WAHRE KÖNIG VON ENGLAND IST EIN BÜNDNER

DER HUNDESCHWINDEL

DIE GEFÜLLTE KALBSBRUST

OCHSENTOUR

BÜHNENTAUSCH

BEAT SCHLATTER AN UDO-JÜRGENS-KONZERT VERHAFTET

DIE LAUTEN BUMSER VON ZÜRICH

MONSIEUR CABALON

WEINFLECKEN AUF DEM TISCHTUCH

KATZENLIEBE

IN DIE BÄCKEREI JOGGEN

HOSELUPF

ZWEI TEDDYBÄREN IN JAPAN

GLOBI AUF DEM SOFA

BIN GLEICH ZURÜCK

BIOGRAFIE

WAS ICH MAG

WAS ICH NICHT MAG

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VORWORT

Irgendwo habe ich einmal gelesen,

dass Komiker privat überhaupt nicht lustig sind und am liebsten über ernste, schwere Themen sprechen. Weil es gut klingt, hab ich es geglaubt. Bis ich Beat Schlatter getroffen habe. Zwar kenne ich viele eifrige Raconteure und begnadete Geschichtenerzähler, aber keinen, der so viele lustige Sachen erlebt hat. Das liegt auch daran, dass Beat Schlatter das komische Potenzial alltäglicher Situationen messerscharf erkennt und keinen Aufwand scheut, diesem Potenzial zur Entfaltung zu verhelfen. Aus einem Teil dieser Situationen sind Sketche, Theaterstücke, Filme und Shows entstanden. Über andere lachte man im kleinen Kreis, wenn Beat sie erzählte. Mit diesem Buch wird dieser Kreis erweitert. All diese Geschichten, Erinnerungen und Anekdoten sind nicht nur lustig, sie fügen sich auch zu Beat Schlatters Lebensgeschichte zusammen, der so viele Leute zum Lachen bringt und selber so gern lacht ... und zwischendurch auch über ernste Themen redet.

Ich hoffe, Ihnen bereiten diese Geschichten beim Lesen ebenso viel Vergnügen wie mir beim (Auf-)Schreiben.

STEPHAN PÖRTNER

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MEIN ERSTER AUFTRITTALS ROCKMUSIKER

Es gibt Ereignisse, die das ganze Leben verändern. Eines dieser Ereignisse war für mich das Konzert der Berner Mundart-Rockgruppe Rumpelstilz im Kirchgemeindehaus des Nachbardorfes Thalwil. Mir tat sich an diesem Abend eine neue Welt auf. Ich sah diese fünf Musiker auf der Bühne und wusste: Das ist es. Ich hatte meine Bestimmung im Leben gefunden: Rockmusiker. Von dem Moment an waren die wie üblich vor Abschluss der obligatorischen Schulzeit anberaumten Sitzungen beim Berufsberater reine Zeitverschwendung. Nun musste nur noch eine Band her. In meinen Schulkollegen Roger Deuber und Adrian Richterich fand ich gleichgesinnte Mitstreiter. Weil ich als Tambour in der Jugendmusik gespielt hatte, wurde ich Schlagzeuger. Natürlich wäre ich lieber Gitarrist geworden, aber spätestens jetzt rächte sich mein häufiges Fehlen im Gitarrenunterricht wegen nächtlichen Herumtreibens.

Bei der Namensgebung hielten wir uns eng an unsere grossen Vorbilder und nannten uns Rotchäppli. Wenn Sie noch nie von Rotchäppli gehört haben, so mag das daran liegen, dass wir schon nach dem ersten Auftritt gezwungen waren, unseren Namen zu ändern. Dieser Auftritt fand am Schulsilvester im Singsaal unseres Schulhauses statt. Die Gemeinde Rüschlikon organisierte jedes Jahr eine Party, um die Kinder von den traditionellen frühmorgendlichen Schulsilvester-Aktivitäten wie Briefkästen mit Knallkörpern füllen, Gartentore aushängen oder Türklingeln mit scharfem Senf verschmieren abzuhalten. Den Spass liessen wir uns natürlich nicht nehmen und erledigten all diese Dinge auf dem Weg zur Party.

Heute ist der Schulsilvester im Kanton Zürich abgeschafft. Eine Gelegenheit weniger für Kinder, ein paar Streiche zu spielen. Für die da-

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malige Party betrieben Schulpflege und Lehrerschaft einen regelrechten Aufwand: Der Saal wurde mit Girlanden und Lampions geschmückt, selbstgebackene Kuchen wurden auf langen Tischen bereitgestellt. An diesem Morgen versuchten selbst die strengsten Lehrer – mit einem Plastikbecher alkoholfreier Sangría in der Hand – wie Menschen zu wirken, die auch einmal ganz locker sein können.

An der Silvesterparty wurde üblicherweise getanzt. Dieses Jahr jedoch sollte etwas noch nie Dagewesenes stattfinden. Ein wahrhaftes Rockkonzert. Mit dem Headliner Rotchäppli. Es waren zähe Verhandlungen gewesen, aber irgendwie hatten wir es geschafft, den Gig zu bekommen. Es ist inzwischen kein Geheimnis mehr, warum junge Burschen Rockmusiker werden wollen. Weil man dadurch an Mädchen herankommt, bei denen man sonst keine Chancen hätte. So war es auch bei Rotchäppli. Dieser Auftritt war unsere Chance, und wir wollten, wie man unter Rockmusikern sagt, »dä Hammer anehänke«. Euphorisch begannen wir, im Übungskeller zu proben. Natürlich wollten wir nur eigene Songs spielen, das war Ehrensache. Wir begannen, mit Elan zu komponieren. Die Melodien waren relativ schnell gefunden, nur für den Text wollte niemand richtig zuständig sein. Also fügte der Gitarrist bei jedem Song ein etwa zwanzigminütiges Solo ein. Wer schon mal ein Gitarrensolo gehört hat, weiss, dass eins vom anderen nicht zu unterscheiden ist. Damit der Bassist und ich wussten, wann das Solo fertig war und wir wieder mitmachen durften, betätigte der Solist mit dem Fuss einen Schalter, der eine rote Glühbirne aktivierte.

Der grosse Auftritt rollte unaufhaltsam heran. Wie eine Lokomotive. Und genau von so einer handelte der einzige Liedtext, den wir bis dahin zustande gebracht hatten. Eine Lokomotive, die nicht mehr auf dem ewig gleichen Gleis fahren wollte. Was für ein Bild, was für eine Metapher! Genialer hätte man unseren täglichen Frust über den

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festgefahrenen Schulalltag nicht umschreiben können. Wir erkannten sogleich das Hitpotenzial dieses Songs, der die Gefühle einer ganzen Schülergeneration ausdrückte.

Zu einem Hit, das wussten wir von unserem einzigen je besuchten Rockkonzert, gehörte eine zünftige Bühnenshow, und die bestand damals meist aus Trockeneisnebel. Eine Lokomotive und Rauch, das passte perfekt zusammen. Wir waren begeistert von der Idee. Doch wo kriegt man Trockeneis her? Wir gingen dorthin, wo man hinging, wenn man etwas Verbotenes oder Gefährliches erwerben wollte: hinter die Turnhalle. Wir wandten uns an einen Mitschüler, der auch Hasch verkaufte und damit ein Experte für Räucherwaren war. Er versprach, seinen grossen Bruder zu fragen, wie das mit dem Trockeneis lief.

Am nächsten Tag informierte er uns: »Es gibt Trockeneismaschinen, die man mieten kann, die sind aber sauteuer. Doch ihr habt Glück: Mein Bruder weiss die perfekte Lösung für euch. Er hat in der Rekrutenschule so Büchsen mitlaufen lassen, mit denen man Rauch erzeugen kann.« Er zog eine militärgrüne Blechdose aus der Jacke.«Ich mach euch einen guten Preis dafür. Für zehn Stutz könnt ihr sie haben.«

Wir handelten Bedenkzeit aus. Bei der letzten Probe im Übungsraum besprachen wir die Sache und einigten uns nach langem Hin und Her darauf, es mit der Rauchbüchse zu versuchen. Wir legten also unsere Ersparnisse zusammen und kauften dem besagten Mitschüler eine Büchse ab. Im Metallabfall auf dem Fabrikareal der Linth & Sprüngli fanden wir ein grosses Stahlrohr. Dieses wollten wir auf der Bühne über die Büchse stülpen und so beim Publikum die Illusion einer rauchenden Dampflokomotive erzeugen. Es brauchte dazu ja nur ein wenig Fantasie. In unserer Vorstellung sah die Sache wunderbar aus. Leider konnten wir die Show nicht proben, da unser Budget nur für eine dieser Büchsen reichte.

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Endlich war der grosse Tag da. Morgens um sechs begann unser grosser Auftritt. Alles war perfekt, das Publikum schaute gebannt, als wir mit unserer ersten Nummer abrockten, die hauptsächlich aus oben erwähntem Solo bestand. Als zweite Nummer war schon der Hit an der Reihe. Mit dem Anzählen des Stückes glimmte wie geplant die Zündschnur. Wir legten los. Es sah fantastisch aus. Der Rauch quoll aus dem Rohr, ganz wie bei einer Lokomotive. Es war richtig schöner, dichter Rauch. Viel schöner, dichter Rauch. Verdammt viel schöner, dichter Rauch. Wir spürten erste Beschwerden, ein Brennen im Hals und ein Stechen in der Lunge.

Aber wir waren harte Jungs und liessen uns nichts anmerken. Tapfer kämpften wir uns mit unseren Instrumenten durch den Song. Abbrechen wollten wir auf keinen Fall, auch wenn das mit dem Singen überhaupt nicht mehr ging. Wir nahmen an, dass es für das Publikum wahnsinnig gut aussah. Doch das sah schon lange nichts mehr. Der beissende Rauch füllte den ganzen Singsaal. Eine mittlere Panik brach aus, alle Fenster, Türen und Notausgänge wurden aufgerissen. »Aufhören, sofort aufhören. Hört endlich auf!«, schrien die Lehrer. Wir taten so, als hörten wir nichts. Ich sah, wie der Mathelehrer heldenhaft das Stahlrohr wegriss und versuchte, die Rauchbombe unschädlich zu machen. Dabei verbrannte er sich an der heissen Büchse die Finger und fluchte fürchterlich.

Der Geografielehrer übernahm schliesslich das Kommando. Die Schüler mussten den Saal unverzüglich, jedoch ruhig und geordnet verlassen. So stand morgens um Viertel nach sechs Uhr die gesamte Schüler- und Lehrerschaft draussen vor dem Schulhaus in der Kälte.

Da fing es auch noch an zu regnen.

Nach unserem Konzert wäre wie üblich die Disco losgegangen. Gera-de die Mädchen hatten sich darauf gefreut. Es war die Gelegenheit, mit dem Jungen, den  sie heimlich  anhimmelten, endlich einmal im

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schummrigen, ultravioletten Licht geschlossen zu tanzen. Das Jahr über gaben sich die Jungs obercool und desinteressiert, und wenn es an einem Fez ums Tanzen ging, erstarrten die meisten zur Salzsäule. An Schulsilvester aber tauten sie auf. Dieses Jahr jedoch wurde nichts daraus. Alle Schüler wurden heimgeschickt. Nur wir von der Band mussten dableiben, und der Schulhausabwart zeigte uns auf der Bühne den grossen schwarzen Krater, den die heiss gewordene Büchse in den versiegelten Parkettboden gebrannt hatte.

Die Band Rotchäppli war nun bei Abwarten, Schulpflegern, Lehrern, Schülern und – am allerschlimmsten – bei den Mädchen verhasst. Doch wir dachten gar nicht daran, den Bettel hinzuschmeissen. Wir nannten uns einfach um. Von nun an hiessen wir »Helga Schock«.

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HAUSWART–HITPARADE

Eines Tages fragte mich Christoph Rohner, Leiter vom Radio Z, wie der Sender damals hiess, ob ich eine Idee für ein Sendeprogramm hätte.

Ich schlug ihm eine Art umgekehrte Hauswart-Hitparade vor. »Welches Haus oder welche Siedlung hat den grössten Trottel von einem Hauswart?« sollte die Sendung heissen. Zu meinem grossen Erstaunen kam der Vorschlag durch. Die Sache war ganz einfach: Die Radiohörer konnten beim Sender anrufen, von ihren Sorgen oder ihrem Ärger mit dem Hauswart berichten und ihn damit ins Rennen schicken. Mir war schon klar gewesen, dass die Leute sich nicht unbedingt den Geburtstag ihres Hauswarts merken, um ihn mit einem netten Geschenk zu überraschen. Aber dass so viele Leute im Grossraum Zürich das Bedürfnis hatten, sich über die schlechte Arbeitsmoral und die allgemeine Unzulänglichkeit ihres Hauswarts öffentlich auszulassen, hätte ich mir nie träumen lassen.

Pro Aufruf, für unsere Sendung Kandidaten zu nominieren, schlugen uns Radiohörer Donnerstag für Donnerstag etwa dreissig Hauswarte vor, die ihrer Ansicht nach den Titel »grösster Trottel« verdient hatten. Ursprünglich hatte ich eine Jury aus Mitgliedern des Hauseigentümerverbands zusammenstellen wollen. Der Verband winkte aber energisch ab und distanzierte sich explizit von der Sendung. Er drohte sogar mit einer Klage.

Die Mieterinnen und Mieter hingegen wählten sich die Finger wund, um eine freie Leitung zu ergattern und sich über ihren Hauswart zu beschweren. Sie nannten ihren eigenen Namen und ihre Wohnadres-se. Aus rechtlichen Gründen erwähnte aber nie jemand den Namen des Hauswarts. Doch die Betroffenen wussten natürlich sofort, wer

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gemeint war. Die Anrufe der Mieter wurden aufgenommen und dann zu einer Art »Best of«-Hauswartsärger zusammengeschnitten.

An einem typischen Donnerstagmorgen um sieben war dann auf dem Sender etwa Folgendes zu hören: »Heute auf Platz drei der Hauswart der Stampfenbachstrasse 12, ins Rennen schickt ihn Frau Beatrice Müller.« Originalton Frau Müller: »Es ist furchtbar, ja grauenhaft, jedes Mal, wenn ich in den Keller gehe, liegt da unser Hauswart. Schon am frühen Nachmittag, wenn ich meine Wäsche aufhängen will, liegt der besoffen auf einer alten Matratze im Keller. Das ist doch die Höhe!«

Ich ordnete die Klage ein: »Ja, wirklich bedenklich, der Hauswart an der Stampenbachstrasse 12. Er schafft es aber in dieser Woche nur auf Platz drei. Wenn er in Zukunft schon morgens besoffen auf der Matratze liegt, schafft er es bestimmt bald auf Platz eins.« Die Sendung war ein voller Erfolg.

Acht Leitungen standen mir zur Verfügung, und dauernd leuchteten alle acht Lämpchen auf. Da äusserte sich zum Beispiel ein erzürnter Mieter über seine Hauswartin. In der betreffenden Siedlung hatte es zwei graue Abfall- und einen grünen Gartencontainer. Vor dem Grüncontainer lagen immer wieder mal Orangen- und Bananenschalen, die den Leuten beim Leeren ihres Kompostkübels unbemerkt heruntergefallen waren. Anstatt die Abfälle selbst aufzuheben und zu entsorgen, installierte die Hauswartin auf ihrem Balkon eine Überwachungskamera. Das Objektiv richtete sie direkt auf die drei Container und somit auf die Mieter. Soweit ich mich erinnere, endete die Sache vor dem Friedensrichter in Kloten.

Die Hälfte der Telefonleitungen war allerdings durch Anrufe von empörten Hauswarten besetzt, die mir höchstpersönlich und mit einem auffallend beschränkten, sich wiederholenden Wortschatz die Meinung geigen wollten: »Schlatter, du huere verdammte Schafseckel, du nimsch mich sofort us dere Schiss-Hitparade use!« Wenn ein Haus-

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wart mehrere Wochen in den Charts blieb, lernte ich ihn oft am Telefon ein wenig besser kennen. Manche verfluchten mich derart und drohten mir so eindringlich, dass ich nachts sogar von ihnen träumte. In der zwölften Woche rief mich der Redaktor Gerry Reinhard morgens um sechs zu Hause auf meine Geheimnummer an. Ich kam gerade aus der Dusche. Gerry warnte mich: »Ich denke, es ist besser, wenn du heute durch den Hintereingang ins Radio kommst. Vor dem Studio steht seit einer Stunde ein Mann, der aussieht wie ein Hauswart. Wie ein hässiger Hauswart. Wahrscheinlich wartet er auf dich.«

Ich befolgte den Tipp und schlich mich unbemerkt und unbehelligt ins Studio. Vier Wochen später ging beim Sender eine anonyme Bombendrohung ein. Alle Mitarbeiter mussten die Räumlichkeiten verlassen und sich auf die Strasse begeben. Eine Spezialeinheit der Polizei rückte aus und durchsuchte das Studio und die angrenzenden Büros nach einem Sprengkörper. Zum Glück fanden sie nichts. Die Bombendrohung wurde aus Angst vor Nachahmungstätern nie öffentlich bekannt gemacht.

Schliesslich wurde mir die Sache aber zu viel, und die Sendung lief nach einem Dreivierteljahr aus. Seither habe ich auch ein paar sehr nette Hauswarte kennengelernt.

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DER ZWÖLFTE MANN

Das Kabarett Götterspass war kein Politkabarett, aber wir hatten immer eine politische und sozialkritische Haltung. Die Protagonisten rekrutierten sich aus der Punk- und Künstlerszene, die eng mit der Zürcher Jugendbewegung verbunden war. Einen unserer ersten Auftritte hatten wir in der Roten Fabrik.

Dieser Ruf eilte uns voraus, als wir erstmals auf eine kleine Tournee gingen. Entsprechend aufgeregt waren wir vor unserem ersten Auftritt auf Basler Boden. Kabarett Götterspass spielt in Basel! Für uns war das ein Grossereignis der ganz besonderen Art. Zum einen glaubten wir, dies sei ein erstes Zeichen für den schweizweiten Durchbruch, zum anderen versprachen wir uns dadurch Folgeauftritte auf Basler Territorium. Unser Auftritt fand an einem Samstagabend im alternativen Sommerkasino in Liestal statt. Wir waren überzeugt, dass die Alternativszene nichts mit der bürgerlichen Städterivalität Zürich–Basel am Hut hatte. So jung und naiv waren wir damals. Wir glaubten tatsächlich, ein Auftritt in einem Lokal der Alternativszene in der Region Basel würde zu einem Heimspiel.

Zu unserem Ensemble gehörte damals ein Typ namens Franky. Er entsprach genau dem Klischee der »Zürischnurre«. Er hatte eine grosse Klappe und hielt sie nur ungern. Wir hatten ihm aufgetragen, einen Provinz-Conférencier zu spielen. Tatsächlich war er auf der Bühne aber einfach sich selbst. Franky musste vor und zwischen den Kabarettnummern das Publikum unterhalten, während wir uns für den nächsten Sketch umzogen.

Als wir während der ersten kurzen Eröffnungsnummer in die Zuschauerränge schielten, zählten wir gerade mal zwölf Nasen. Ausverkauft war anders.

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Patrick Frey hatte damals eine spezielle Art entwickelt, sich zu schminken. Sogar zwischen den Nummern musste er diese Schminke jeweils erneuern, und das dauerte ewig. Es war Patricks ganz eigene Art, mit seiner Nervosität umzugehen. Jeder hat da seinen Tick. Da sass er also, zupfte und kämmte sich in aller Seelenruhe die Augenbrauen. »Bist du endlich fertig?«, fragte ich genervt.

Der Conférencier war auf der Bühne längst dabei, den Kasper zu machen. Doch keiner seiner sonst todsicheren Scherze kam an, und so drohten ihm die Ideen auszugehen. Schliesslich ging Franky dazu über, Erich Kästner vorzulesen.

Wir arbeiteten damals noch nicht mit Stichworten, die die Szenewechsel exakt definierten. Der Conférencier hatte vorne zu reden, bis wir die Bühne wieder betraten. Hinter der Bühne keifte ich mit Patrick, der mittlerweile, und ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen, sein Gesicht puderte. Franky schwitzte auf den Brettern, warf Erich Kästner in eine Ecke. Er begann Hans Rosenthal, einen beliebten deutschen Showmaster, zu imitieren. Vor allem in den 1970er-Jahren, als es noch etwas galt, wenn man den zweiten deutschen Sender empfangen konnte, war dessen Sendung Dalli Dalli ein Strassenfeger gewesen.

Für das Alternativpublikum galt das Fernsehen als staatlich verordnete Volksverdummung, was sich am Beispiel von Quizsendungen wie Dalli Dalli leicht nachweisen liess. Niemand hätte zugegeben, dass er die Sendung schaute. Auch wenn der eine oder die andere es heimlich vielleicht tat.

Hans »Hänschen« Rosenthals Markenzeichen war ein mit erhobenem Zeigefinger ausgeführter Halbschraubsprung, den er vollbrachte, wenn ein Kandidat das Punktemaximum erreichte. Hans Rosenthal ging leicht in die Knie und rief dann: »Wir sind der Meinung, das war ...?!«, und das Publikum sprang mit ihm auf und rief: »Spitze!«

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Franky erklärte dem Publikum aus der Alternativszene also, dass es an diesem Abend genauso laufen würde. Die Show beginne, sobald es diesen Satz rufe.

Backstage liefen die Dinge langsam aus dem Ruder. Ich wurde verbal ausfällig, und während Patrick noch immer stoisch vor dem Schminkspiegel arbeitete, erwürgte ich ihn vor meinem geistigen Auge.

Wenn man auf der Bühne steht, ist das Publikum wegen des Scheinwerferlichts schwer zu erkennen. Franky sprang mit einem »Das war ...?!« auf die Bühne, zwei Zuschauer in der ersten Reihe riefen lauwarm «Spitze!« und erhoben sich dabei halbherzig und wenig motiviert. Franky war nicht zu bremsen. Als er zum siebten Mal mit übertriebenem Enthusiasmus auf die Bühne kam und angestrengt »Das war ...?!« rief, konnten wir aus sicherer Entfernung beobachten, wie einer der gelangweilten Zuschauer bereits in der Woz las, ein anderer sich einen Joint drehte. Franky aber liess nicht locker. Im Gegenteil: Sein Ehrgeiz war nun angestachelt. In der Hoffnung, dem unwürdigen Treiben ein Ende zu setzen und endlich das angekündigte Kabarettprogramm erleben zu können, stand mittlerweile die Hälfte des spärlich angereisten Publikums auf und rief Schlaff Rosenthals Slogan zur Bühne hin.

Wir hätten dem Elend ein Ende bereiten und auf die Bühne stürzen sollen. Aber Patrick puderte noch immer.

»Wir fangen mit dem Programm erst an, wenn alle stehen und auf meine Frage ›Das war ...?!‹ laut ›Spitze!‹ rufen.« Weil nicht einmal der Zeitungsleser und der Kiffer schuld sein wollten, dass man den halben Abend mit diesem dummen Spiel verbringen musste, standen schliesslich alle artig auf. Bis auf einen. Der zwölfte Mann im Publikum blieb eisern sitzen.

Franky machte weiter, obwohl Patrick und ich inzwischen für unser-e nächste Nummer bereit waren. Nun ging es um seine Ehre. Da sass

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noch einer! Franky wollte zeigen, dass er das Publikum im Griff hatte. Zum zehnten Mal schrie er mit heiserer Stimme: «Ich will ALLE stehen sehen! Auch du da hinten, los. Achtung: ›Das war ...?‹« – »Spitze!« Elf standen, der zwölfte Mann blieb sitzen. Die Stimmung war nun spürbar gekippt. Die Leute schüttelten den Kopf und begannen zu murren. Franky, der an den Bühnenrand und aus dem gleissenden Scheinwerferlicht getreten war, um sich den Verweigerer genauer anzuschauen, bemerkte entsetzt, dass dieser im Rollstuhl sass.

Das Kabarett Götterspass trat lange Zeit nicht mehr im Raum Basel auf.

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DER SCHNAUZVON BUNDESRAT SCHMID

Im August 2005 wurde Engelberg von einem Unwetter heimgesucht. Der Ort stand unter Wasser, und die Lebensmittel mussten per Helikopter eingeflogen werden. Ein Jahr später wurde ein Fest als Dankeschön für alle Helferinnen und Helfer organisiert. Prominente, die dem Kurort eng verbunden waren, darunter auch ich, der ich einen Teil meiner Jugend in unserer Ferienwohnung in Engelberg verbracht hatte, wurden angefragt, einen Abend lang für die einheimischen Helfer Bratwürste zu grillieren. Ich sagte zu. Zu jener Zeit hatte ich stets ein Aufnahmegerät dabei. Ich bat bekannte Persönlichkeiten, denen ich begegnete, mir ihren Lieblingswitz zu erzählen. Daraus entstanden nach und nach drei CDs. Sogar Roger Federer hat mir einen Witz erzählt. Doch dazu später.

In Engelberg lernte ich auch den damaligen Bundesrat Samuel Schmid kennen. Wir sassen zusammen mit anderen Gästen an einem Festtisch und unterhielten uns prächtig. Samuel Schmid ist ein Mensch mit Humor. Jeden Witz, den ich erzählte, parierte er seinerseits mit einer Pointe. Ich mochte den Mann und bat ihn deshalb, mir einen Witz auf Tonband zu sprechen. Er lehnte ab, weil er fürchtete, man könnte es eines Bundesrats unwürdig erachten, öffentlich Witze zu erzählen. Ich hatte Verständnis dafür, und unsere Begegnung in Engelberg blieb mir in bester Erinnerung.

Drei Wochen später bekam ich einen Anruf von einer Journalistin aus Basel. Sie hatte einen Job bei der Coop-Zeitung ergattert und wollte mich für eine Weihnachts-Werbeaktion engagieren. Dabei war gera-de erst September! Die Idee war Folgende: Bekannte Persönlichkeiten sollten 2000 Schweizer Franken erhalten, um im Coop für ihre Freun-de Geschenke einzukaufen. Meine Freunde, denen ich davon erzählte,

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waren natürlich begeistert und stellten mir sofort eine Wunschliste zusammen: Sie reichte vom Wäschetrockner bis zum neuen Duvet. Da sie schon fest mit den Geschenken rechneten, musste ich bei der Aktion mitmachen.

Zur Auswahl der Geschenke traf ich mich mit der Basler Journalistin im St. Annahof in Zürich. Gleich beim Eingang des Geschäfts entdeckte ich ein edles Rasier- und Bartpflegeset in einem weissen Kalbslederetui, dazu passend einen Rasierpinsel aus Dachshaar. Spontan kam mir der Schnauzträger Samuel Schmid in den Sinn. Der würde sich doch bestimmt über so ein schönes und zweckmässiges Set freuen, dachte ich. Wenn ich es ihm schenkte, würde er sich jeden Morgen beim Rasieren und Trimmen seiner Schnauzhaare an unsere heitere Begegnung in Engelberg erinnern und gut gelaunt in den Tag starten. Da gut gelaunte Magistraten für das Schicksal des Landes entscheidend sind, war es meine staatsbürgerliche Pflicht, ihm das Set zu schenken. Also wurde es von meinem Geschenkbudget erworben. Ich schärfte der Journalistin ein, dass Bundesrat Samuel Schmid das Geschenk unbedingt rechtzeitig erhalten müsse. Ich wollte auf keinen Fall, dass er von diesem Geschenk aus der Coop-Zeitung