Blood - A Vampire Tale - Sandra Busch - E-Book

Blood - A Vampire Tale E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Far Baxter jagt als SEED-Officer erfolgreich Unterweltler. Doch eines Tages wirft ihn ein Vampir völlig aus der Bahn. Songlian Walker hat nämlich etwas an sich, dem er sich trotz seines Starrsinns nicht entziehen kann. Doch kaum hat er sich seiner Gefühle zu dem Vampir eingestanden, stören dessen Brüder die traute Zweisamkeit. Lorcan will Songlian am liebsten tot sehen und Bhreac entwickelt ein überraschendes Interesse an Far. In Paris artet der Krieg zwischen den Walker-Brüder schließlich aus. Der Sammelband enthält die Storys Blood in mind / So bloody Far / Song of Blood sowie die Outtakes: The Tsar of Moscow und Song of Christmas

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Seitenzahl: 1094

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sandra Busch

BLOOD – A Vampire Tale

Gesamtausgabe

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2025

http://www.deadsoft.de

Für alle Angelegenheiten rund um den Verlag:

dead soft verlag

[email protected]

Querenbergstr. 26

D-49497 Mettingen

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Dieses Buch enthält

Blood in mind

So bloody Far

Song of Blood

The Tsar of Moscow

Song of Christmas

Gesamtausgabe

1. Auflage 2025

ISBN 978-3-96089-763-7

Inhalt:

Far Baxter jagt als SEED-Officer erfolgreich Unterweltler. Doch eines Tages wirft ihn ein Vampir völlig aus der Bahn. Songlian Walker hat nämlich etwas an sich, dem er sich trotz seines Starrsinns nicht entziehen kann. Doch kaum hat er sich seiner Gefühle zu dem Vampir eingestanden, stören dessen Brüder die traute Zweisamkeit. Lorcan will Songlian am liebsten tot sehen und Bhreac entwickelt ein überraschendes Interesse an Far. In Paris artet der Krieg zwischen den Walker-Brüder schließlich aus.

Der Sammelband enthält die Storys

Blood in mind / So bloody Far / Song of Blood

sowie die Outtakes:

The Tsar of Moscow und Song of Christmas

Blood in mind

Vollidiot!, dachte Far Baxter.

Ich bin so ein Vollidiot! Wie ein naiver Anfänger hatte er sich in die Falle locken lassen. Als er den Hinterhalt erkannte, war es für einen Rückzug bereits zu spät gewesen. Die Zeit hatte gerade noch für das Absetzen eines Notrufs ausgereicht und nun lieferte er sich einen bizarren Tanz mit einer Handvoll Dämonen. Sollte Far überleben, dann würde man ihn ewig wegen seiner Blödheit aufziehen. Seine DV8 lag leergeschossen in der Nähe seines Privatwagens, sodass er sich mit seinem schmalen Dolch verteidigen musste. Dank dessen Speziallegierung verpuffte wieder ein animalisch knurrender Angreifer zu einem flockigen Aschewölkchen. Ein Krallenhieb zerfetzte Fars Hemd, und er fuhr mit einem erschrockenen Aufschrei herum, wobei der Dolch einen silbernen Bogen beschrieb. Das schuppige Monster wich der Klinge jedoch wendig aus. Jetzt – endlich – waren die Sirenen der herannahenden Verstärkung zu hören. Far tauchte unter einer weiteren Klaue hindurch und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er unerwartete Hilfe erhalten hatte. In seinem Rücken vernichtete ein Fremder in einem hellen Hemd einen weiteren Dämon. Far erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf blauschwarzes Haar. Dann musste er sich wieder darauf konzentrieren, die restlichen drei Dämonen auf Abstand zu halten. Endlich tauchten die Kollegen mit zwei Streifenwagen in der Sackgasse auf. Far nutzte das Zögern der Dämonen beim Anblick seiner Kollegen aus und rammte seinen Dolch zwischen die graubraunen Schuppen des ihm am nächsten stehenden Gegners. Erneut rieselte Asche zu Boden.

Als die Kollegen aus dem Wagen sprangen, schufen die letzten beiden Dämonen rasch ein Portal und verschwanden spurlos. Genauso spurlos wie Fars überraschende Hilfe. Suchend schaute er sich nach seinem Helfer um und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse. Wohin war der Kerl bloß verschwunden? Wohl kaum die glatten Wände der Hausmauern hinauf. Irgendetwas hatte Far bei seinem kurzen Blick auf den Fremden gestört, aber ihm fiel einfach nicht ein, was es gewesen sein könnte.

„Alles okay mir dir?“, wurde er von William Butler gefragt.

Far seufzte. Musste es ausgerechnet dieses Team sein, das ihm zu Hilfe kam? Sie alle waren Officer des New Yorker Police Departments und gehörten der SEED, der Sondereinheit zur Eliminierung von Dämonen an. Doch das setzte nicht voraus, dass sie alle dicke Freunde waren.

„Habt ihr eben diesen Typen gesehen?“

„Typen? Was für einen Typen denn?“, wollte William wissen.

„Er muss euch entgegengekommen sein. Hatte ein helles Hemd an.“

„Uns ist niemand entgegengekommen“, warf Williams Partner Jacob McKenzie ein und reichte Far die DV8, die er beiseite geworfen hatte, als sie nutzlos wurde. Far nickte dankend und begann die Waffe gewohnheitsmäßig nachzuladen.

„So schnell kann der Kerl doch nicht verschwunden sein“, brummte er dabei und schob die Waffe in das Holster zurück. Den Blick, den seine Kollegen einander zuwarfen, ignorierte er.

„Wer weiß, was du gesehen haben willst. Ist deine Nachtschicht nicht ohnehin längst beendet? Fahr nach Hause und schlaf dich bloß aus, ehe du der nächsten Fata Morgana begegnest“, schlug ihm der Dritte des Vierergespanns vor. Seinem Tonfall nach hätte Far auch besoffen Ausschau nach einem rosa Elefanten halten können. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Far, ob er dem unverschämt grinsenden, rothaarigen Klotz eine passende Antwort erteilen sollte. Da er bei seinem Chief allerdings bereits genügend Minuspunkte wegen seiner Temperamentsausbrüche gesammelt hatte, zog er es vor sich zu zügeln. Das Grinsen des Kollegen wurde breiter.

„Leck mich, Scott.“ Far drehte sich um und stapfte zu seinem schräg auf der Straße stehenden Dodge Charger. Ethan Landon, der noch nicht einmal aus dem Streifenwagen ausgestiegen war, hob mit einem spöttischen Winken die Hand.

„Ärsche! Alle miteinander.“ Far schlug die Tür seines Wagens heftiger als nötig zu. Die vier hatten ihn schon von seinem ersten Diensttag an nicht ausstehen können, was vermutlich einzig und allein daran lag, dass er bei einer der gefürchtetsten Straßengangs New Yorks, den Nachtwölfen, aufgewachsen war. Dort hatten sich Jayden und Harry um ihn gekümmert. Die beiden Gangmitglieder waren die einzige Familie, die Far noch hatte. Er atmete einmal tief durch, startete den Motor und gab Gas. Die Nacht war wirklich lang gewesen. Beim ersten Einsatz hatten er und sein Team mit den Dämonen über Stunden Versteckspielen müssen. Ein zweiter Einsatz hatte sich zum Glück als Falschmeldung erwiesen. Wenigstens war es bis zum frühen Morgen ruhig geblieben. Aber dann musste er auf dem Heimweg den Dämonen in diese verflixte Falle tappen. Fars Finger tasteten zu dem langen Riss in seinem dunkelblauen Diensthemd. Er seufzte. Es wurde wohl wirklich Zeit, dass er ins Bett kam.

Eine halbe Stunde später lenkte Far den metallicgrünen Dodge auf seinen angemieteten Parkplatz in der Tiefgarage seines Wohnblocks. Mit dem Hemdsärmel wischte er noch ein imaginäres Staubkörnchen von dem polierten Lack des liebevoll aufgearbeiteten Wagens und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Er stand bereits in der Kabine, als ihm einfiel, dass sein Wohnungsschlüssel noch im Handschuhfach lag. Mit einem leisen Fluch kehrte er um. Zu dieser frühen Morgenstunde war es in der Tiefgarage totenstill. Selbst seine Doc Martens verursachten beim Laufen keinen Laut. Müde fuhr sich Far über das Gesicht, fühlte unter seinen Fingern deutliche Stoppeln und wischte sich dann eine hellbraune Haarsträhne aus den Augen. Im nächsten Augenblick hielt er verblüfft mitten im Gehen inne. Wie von Zauberhand klappte der Kofferraumdeckel seines Wagens auf und sein geheimnisvoller Helfer schwang sich heraus. Ohne Far zu bemerken, der jetzt seine DV8 zog und auf ihn anlegte, klopfte der Fremde seine Kleidung aus.

„Der Kofferraum war frisch gereinigt.“

Der Kopf des Fremden fuhr ruckartig in die Höhe, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein Gesicht verzog sich zu einem gewinnenden Lächeln.

„Dafür bin ich dir auch sehr dankbar.“ Seine Stimme hatte ein anziehendes, warmes Timbre. Auffallend bernsteingelbe Augen richteten sich abschätzend auf die Waffe in seiner Hand.

„Jetzt frage ich mich nur noch, was du in meinem Kofferraum gesucht hast. Vielleicht hättest du ja die Güte und klärst mich auf?“ Far merkte, dass er sich momentan an der Schwelle der Beherrschung befand. Erst die Dämonen, dann dieser Blödarsch Scott Wilburn mit seinem verflixten Team und nun auch noch ein blinder Passagier.

„Ich hatte die Wahl zwischen deinem Kofferraum und einer Auseinandersetzung mit deinen Kollegen“, antwortete der Fremde.

„Wenn ich mich nicht irre, dann hast du mir vorhin doch geholfen. Mit aller Wahrscheinlichkeit hätte dich ein Dank erwartet, oder etwa nicht?“

Statt einer Entgegnung entblößte sein Gegenüber spitze, weiße Fangzähne. Unwillkürlich wich Far einen Schritt zurück. Jetzt wusste er auch, was ihn vorhin an dem Fremden gestört hatte: Es waren die fließenden Bewegungen gewesen. Bewegungen, die viel zu geschmeidig für einen Menschen waren.

„Du bist ein verdammter Blutsauger?“ Far hob seine Waffe höher. „Bist du verrückt, einfach in den Kofferraum eines Officers zu steigen?“

„Eigentlich bin ich in den Kofferraum eines Far Baxters gestiegen. Eines Dämonenkillers, der jetzt hoffentlich ein Auge zudrückt.“

„Wie bitte?“ Far glaubte, sich verhört zu haben.

„Nun ja, schließlich teilen wir die Leidenschaft für das Töten von Dämonen.“

„Und woher kennst du meinen Namen?“, wollte Far jetzt wissen.

„Du und dein Team seid mir bei der Dämonenjagd bereits öfters über den Weg gelaufen. Und weil du mich interessiert hast, habe ich dich eine Weile beobachtet und herausgefunden, warum du bei den Dämonen so unbeliebt bist. Du bist verdammt gut in deinem Job.“

Far schnaubte belustigt und schaltete auf das zweite Magazin seiner DV8 um.

„Komplimente von einem Reißzahn? Was willst du damit bezwecken? Nein, beweg dich lieber nicht!“

Der Vampir hob beschwichtigend die Hände.

„Ich wollte dich kennenlernen, Baxter. Vielleicht nicht gerade auf diese Art und Weise, aber früher oder später hätte ich dich schon noch angesprochen. Du gefällst mir nämlich.“ Er trat nun einen Schritt auf Far zu. Der schoss gnadenlos und ohne mit der Wimper zu zucken. Drei sicher gezielte Geschosse schlugen in den Körper des überraschten Blutsaugers ein. Mit einem dumpfen Laut brach der zusammen.

„Ich sagte doch, du sollst dich nicht bewegen“, brummte Far und legte seine Waffe beiseite. Ein wenig wunderte es ihn, dass er den unerwünschten Mitfahrer nicht einfach abgeknallt hatte. Was für eine bodenlose Frechheit, seinen Dodge als Taxi zu missbrauchen! Da er keine Ahnung hatte, wie lange die Selbstheilungskräfte eines Vampirs benötigten, um die Betäubungsgeschosse zu neutralisieren, suchte er eilig nach seinem Handy. Flink gab er eine Kurzwahl ein und suchte ungeduldig nach seinem Wohnungsschlüssel, bis endlich jemand auf seinen Anruf reagierte.

„Coop, ich bin’s. Es gibt Probleme. Kannst du mit Joey kommen? – Ja, jetzt sofort. – Natürlich weiß ich, wie spät es ist. Im Gegensatz zu meinem Problem besitze ich eine Uhr. – Aye, ich bin in meiner Wohnung.“ Ohne eine weitere Erklärung unterbrach Far das Gespräch. Dann nahm er dem reglosen Vampir als Erstes eine Walther P99 und einen Dolch ab, der dem seinen sehr ähnlich war. Die Waffen warf er in den Kofferraum seines Dodge, den er dann abschloss. Nun musste er nur noch den Vampir aus der Tiefgarage bekommen. Mühsam wuchtete er sich den schlaffen Körper über die Schulter und trug ihn zum Fahrstuhl. Wenigstens brauchte er seinen ungewollten Gast nicht noch die Treppen hinauf zu schleppen. In der vierten Etage angekommen, spähte er erst nach rechts und links, ehe er den Fahrstuhl verließ und zu seiner Wohnungstür eilte. Hastig öffnete er und ließ die Tür mit einem erleichterten Seufzer hinter sich ins Schloss fallen. Neugierige Nachbarn hätte er jetzt nicht auch noch ertragen. Aber wohin nun mit dem Vampir?

Da ihm nichts Besseres einfiel, brachte ihn Far in sein Schlafzimmer. Dort ließ er ihn auf sein Bett plumpsen und kettete ihm die Hände mit seinen Handschellen an einem Bettpfosten fest. Endlich hatte Far die Gelegenheit seinen ungewöhnlichen Gefangenen in aller Ruhe zu mustern. Sein Alter schien irgendwo bei Mitte zwanzig stehen geblieben zu sein. Hohe Wangenknochen und schmale Lippen ließen sein Gesicht ein wenig aristokratisch wirken. Zerzaustes, nackenlanges, blauschwarzes Haar umrahmte das Gesicht und verlieh ihm einen jugendlichen Touch. Far konnte sich an die durchdringenden bernsteingelben Augen erinnern, die ihm irgendwie wölfisch vorgekommen waren. Alles in allem ein äußerst hübscher Kerl mit einem geschmeidigen Körper.

Wieso also hatte der Blutsauger nicht seine immense Schnelligkeit ausgenutzt, war hinter dem Dodge in Deckung gegangen und hatte auf ihn geschossen?

„Verdammt, du hattest eine reelle Chance und hast sie nicht genutzt.“ Das bereitete Far doch tatsächlich Kopfzerbrechen. Ebenso wie die Tatsache, dass der Vampir ihn offensichtlich schon einige Zeit beobachtet hatte, ohne dass es Far aufgefallen wäre. Und was sollte der Spruch, er würde ihm gefallen? Far verspürte nicht gerade das Verlangen einem Vampir gefallen zu wollen.

Endlich klingelte es an der Tür. Mit einem erleichterten Seufzer ging er öffnen. Wie erwartet standen Cooper Dayton und Joey Fisher im Treppenhaus und sahen ihn neugierig, wenn auch leicht verschlafen an. Wenigstens sein Team war so vernünftig gewesen, den Feierabend nach dem Nachtdienst pünktlich anzutreten. Sicherlich hatte Far sie mit seinem Anruf aus dem Bett geklingelt.

„Lässt du uns rein oder müssen wir draußen bleiben?“, fragte Joey, weil Far noch in der Tür stand. Dunkelblondes Haar ragte wirr in alle Himmelsrichtungen und eine Knitterfalte von seinem Kissen zierte noch Joeys Gesicht. Eigentlich war er die Frohnatur ihres Teams, das untereinander in Freundschaft verbunden war. Zu dieser frühen Stunde zog Joey allerdings eine ungewohnt mürrische Miene.

Far trat einen Schritt beiseite, damit die beiden Freunde in die Wohnung konnten.

„Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, warum ich jetzt nicht schlafen darf.“ Cooper klang eher neugierig als ungehalten.

„Aye, den gibt es. Die große Überraschung befindet sich in meinem Schlafzimmer.“

Far folgte Joey und Cooper, die gespannt durch seine Wohnung eilten.

„Ach du Scheiße! Den Kerl kenne ich doch“, entfuhr es Joey beim Anblick des Gefangenen.

„Nette Überraschung“, lautete Coopers trockener Kommentar. Er versuchte dabei ein Gähnen zu unterdrücken. Als Teamleiter ihres Quartetts, das aus drei Officers und einem IT-Freak namens Jonathan Goodman bestand, wollte er wohl wenigstens einen halbwegs wachen Eindruck vermitteln.

„Ihr kennt den Kerl?“ Verblüfft sah Far von einem zum anderen.

„Du solltest mal ab und an einen Blick in die Karteien der SEED werfen, anstatt nur auf Dämonen zu ballern. Dort ist sein Gesicht unter der Rubrik Vampir zu finden. Er ist einer der drei Walker-Brüder. Frag mich aber nicht, welcher von denen“, erklärte Cooper.

Joeys Miene hellte sich auf. „Richtig. Daher kenne ich ihn. Und wie kommt der nun hierher?“

Far begann ihnen von seinem außerplanmäßigen Kampf zu erzählen und nahm ergeben Coopers stillschweigenden Tadel wegen des Alleingangs hin.

„Er hat nicht versucht abzuhauen oder dich anzugreifen?“ Joey klang verwundert und warf dem betäubten Vampir einen entsprechenden Blick zu.

„Nein. Vielmehr gab er zu, mich beobachtet zu haben und das finde ich nicht wirklich erfrischend. Außerdem will er mich kennenlernen. Wie verrückt ist das denn? Ein Vampir will einen Officer der SEED kennenlernen. Und dann? Trinken wir Tee miteinander und spielen Monopoly?“

Joey grinste.

„Ich versuche mir gerade Far und einen Blutsauger vor einem Monopolybrett vorzustellen“, sagte er zu Cooper.

„So ungeduldig, wie Far immer ist, wird er wohl als Erstes mit Hotelklötzchen werfen. Und spätestens nach zwanzig Minuten hätten sich die beiden dann auf der Schlossallee erwürgt.“

Cooper fuhr sich durch seinen pflegeleichten, braunen Stoppelschnitt, musste dann aber schmunzeln. Far dagegen war jetzt richtig angesäuert.

„Ich finde das überhaupt nicht komisch, Joey. Verdammt, ich habe erst gar nicht geschaltet, dass es sich um einen Blutsauger handelt. Dafür kutschiere ich ihn ungewollt durch halb Manhattan und erfahre dann, dass er mich kennenlernen möchte. Und ihr reißt bloß blöde Witze.“

„Reg dich wieder ab, Far. Ich bin ja schon wieder ruhig. Was stellen wir jetzt mit Walker-wer-auch-immer an?“ Joey bemerkte, dass er sein Hemd falsch zugeknöpft hatte, und begann das Malheur zu korrigieren.

Far zuckte derweil ratlos mit den Schultern. Cooper kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Wieso hast du ihn eigentlich nicht ausgelöscht? Sonst fackelst du ja auch nicht lange.“

„Coop, er hat mir in dieser Seitenstraße den Rücken freigehalten. Da kann ich ihn doch nicht einfach so abknallen. Immerhin hätte er mir ja ebenfalls eine 9mm in den Kopf jagen können. Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz anders …“

Far warf hilflos die Arme in die Höhe.

„Aaah, du bist ihm also dankbar.“ Joey versuchte nun mit den Fingern sein ungekämmtes, dunkelblondes Haar zu glätten.

Langsam wurde es Far zu bunt.

„Ich freue mich durchaus, dass ich noch am Leben bin“, schnappte er und sandte Joey einen bösen Blick.

Cooper ließ sich jetzt auf dem Fußboden nieder und schlug die Beine übereinander.

„Bring uns einen Kaffee, Far, und dann sollten wir uns in aller Ruhe anhören, was dieser Vampir von dir will.“

Es dauerte eine knappe Stunde, bis sich der Gefangene regte. In Gedanken überschlug Far die Zeit, die der Vampir benötigt hatte, um nach drei gezielten Betäubungsgeschossen wieder zu sich zu kommen. Einen Menschen hätte er bei der Menge Narkotikum für mindestens zwölf Stunden außer Gefecht gesetzt.

Beeindruckend, fand er dann und verfolgte die Bemühungen des Blutsaugers, sich in eine sitzende Position zu ziehen. Inzwischen glitten die bernsteingelben Augen seines Gefangenen über Cooper und Joey, die dem Vampir geduldig etwas Zeit ließen, um sich zu sammeln. Far beobachtete, wie ein leises Lächeln über das sinnliche Gesicht seines ungewöhnlichen Gastes glitt.

„Musste es gleich dein Bett sein?“, fragte er mit einem gespielt unschuldigen Blick in Fars Richtung. Als der empört auffahren wollte, wurde er von Coopers Hand gebremst und am Arm festgehalten.

„Du bist wohl zum Scherzen aufgelegt, Blutsauger. Erklär uns lieber, wieso du Far beobachtest und weshalb du ihm so großzügig bei seinem Einsatz geholfen hast.“

Der durchdringende Blick des Vampirs richtete sich wieder auf Cooper.

„Joey Fisher und Cooper Dayton“, sagte er dann leise.

„Ist Jonathan ebenfalls hier?“

Joey begann jetzt unruhig mit seiner Waffe zu spielen. Es behagte ihm gar nicht, dass der Vampir ihre Namen und die Zusammensetzung ihres Quartetts kannte.

„Mit wem haben wir es denn bitteschön zu tun?“ Cooper zeigte sich nach außen hin vollkommen unbeeindruckt.

„Eigentlich wollte ich erst einmal nur mit Baxter auf Tuchfühlung gehen“, entgegnete der Vampir kühl. Er warf Far einen enttäuschten Blick zu. „Brauchtest du wirklich die Hilfe deiner Kollegen?“

„Er ist …“ Far setzte zu einer Rechtfertigung an, wurde aber von dem Vampir unterbrochen:

„Ja, ja, ich weiß. Dayton ist euer Anführer.“

Cooper erhob sich und stellte seine Kaffeetasse auf einem Sideboard ab.

„Knall ihn ab, Joey“, sagte er ruhig und wandte sich zur Tür.

Hinter dem Ohr des Vampirs klickte die Sicherung einer Waffe.

„Songlian Walker“, rief der nun hastig.

Ein weiteres Klicken ertönte, als die Waffe wieder gesichert wurde. Der Vampir begegnete gelassen Coopers Blick. Der nickte lediglich, als würde sich ein Verdacht bestätigen. Joey dagegen stieß einen leisen Pfiff aus.

„Verpasse ich gerade den Anschluss?“, erkundigte sich Far. Vielleicht hätte er wirklich mal die Nase in die Vampirkartei stecken sollen. Andererseits war er aber erst vor zwei Jahren auf eine etwas unkonventionelle Weise in die Sondereinheit gerutscht. Im Gegensatz zu Joey und Cooper, die sich gleich nach ihrer Ausbildung beim New Yorker Police Department zur SEED hatten versetzen lassen.

„Der Sohn von Arawn Walker?“, fragte Cooper derweilen nach, ohne auf seinen Freund einzugehen.

Arawn Walker war Far allerdings ein Begriff. Er war einer der höheren Anführer der Vampirgesellschaft gewesen, bis ein Blutsauger aus seinen eigenen Reihen ihn vernichtet hatte. Songlian nickte zustimmend.

„Der Bastard“, fügte er mit einem seltsamen Unterton hinzu.

„Arawn hatte drei Söhne und herrschte über einen riesigen Vampirbezirk, bis sein Bastardsohn ihn umbrachte“, erklärte Joey, dem Fars Verwirrung nicht entgangen war.

„Dafür wurde er von seinem Bruder Lorcan, der der Nachfolger ihres Vaters wurde, nach einem Ehrenkampf aus der Sippe ausgestoßen. Richtig, Blutsauger?“

Songlian verzog angewidert das Gesicht und nickte kurz.

„Wieso Bastard?“, fragte Far nach. Der Vampir seufzte.

„Im Laufe der Jahrhunderte nahm es mein Vater mit der Treue wohl nicht so genau. Ich habe eine andere Mutter als meine Brüder, Baxter. Dies und einiges andere führte zu … Zwistigkeiten mit meinem Vater.“ Er rüttelte mit leicht verstimmter Miene an den Handschellen, ließ es dann nach einem Blick in Coopers Gesicht rasch bleiben.

„Und was willst du nun von mir?“ Wieder fühlte sich Far von den bernsteingelben Augen gemustert.

„Auf keinen Fall etwas Böses. Ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass du mir gefällst. Alles Weitere wäre ein Vier-Augen-Gespräch, Baxter.“

Far sah das Zucken um Joeys Mundwinkel. Aber es war Cooper, der sich feixend an ihn wandte und Songlians Worte wiederholte:

„Du gefällst ihm, Far.“

„Danke. Das habe ich durchaus verstanden.“ Wütend funkelte Far den Vampir an, der mit einer Unschuldsmiene zu ihm aufsah.

„Dir ist klar, dass wir dich nicht wieder laufen lassen können?“, fragte er boshaft.

„Nein? Und was habt ihr dann mit mir vor? Wollt ihr mich jetzt tatsächlich auslöschen? Einen völlig Wehrlosen umbringen?“

Far entdeckte tatsächlich einen gewissen Spott in Songlians Raubtieraugen.

„Soll ich dazu die Augen schließen oder zieht ihr mir einen Sack über den Kopf, bevor ich hingerichtet werde?“

Far drehte sich hilflos zu Cooper um. Der zuckte mit den Schultern.

„Hast du denn einen Sack?“

„Wir könnten einen Kissenbezug nehmen“, schlug Far vor.

„Mir kommt da gerade eine Idee“, mischte sich Joey ein.

Sowohl Far als auch Cooper verdrehten die Augen. Joeys Ideen waren oftmals jenseits von Gut und Böse.

„Warum rekrutieren wir den Blutsauger nicht? Es ist bekannt, dass Walker Dämonen und Vampire tötet. Und genau das ist ja die Aufgabe der SEED. Mit seinen Fähigkeiten wäre er auf jeden Fall ein Gewinn für die Einheit.“

Far wollte schon lachen, aber Cooper schien Joeys Vorschlag tatsächlich ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

„Nichts da, Coop. Das ist nicht euer Ernst. Ich hole jetzt einen Kissenbezug und dann den Staubsauger, um die Asche aus dem Bett zu entfernen, okay?“

„Ich finde die Idee gar nicht schlecht“, meldete sich der Vampir zu Wort.

„Du würdest doch alles sagen, um deinen verdammten Arsch zu retten. Cooper, sag ihm, dass das nicht geht.“

„Warte mal, Baxter. Heute früh haben wir noch gemeinsam Dämonen vernichtet. Ich habe das Alleinsein ohnehin satt und könnte dein Partner werden. Bislang ziehst du ja immer auf eigene Faust los.“

Far schnappte nach Luft, so ungeheuerlich stieß ihm der Vorschlag auf.

„Wie kannst du Monster es wagen, ausgerechnet mir …“

Jetzt wurde er von Joey zurückgehalten, ehe er eine Dummheit begehen konnte.

„Es waren Dämonen, die deine Familie auslöschten, keine Vampire“, fauchte Songlian.

Das bremste Far genauso wirksam aus, als wäre er gegen eine Betonwand gelaufen. Nur mühsam beherrschte er sich.

„Du hast dich ja prima über mich informiert.“

„Er killt seinesgleichen, Far.“ Cooper sah seinen Partner nachdenklich an.

„Er macht eigentlich unsere Arbeit. Wie Joey vorhin sagte, er tötet Dämonen und Vampire gleichermaßen.“

Songlian nickte bestätigend. Far starrte ihn bloß wütend an.

„Lasst mich ein Mitglied eures Teams werden, Baxter. Ich würde endlich einmal irgendwo dazugehören. Und du hättest einen Partner. Unsere Methoden ähneln sich auch, daher würden wir bestimmt gut zusammenarbeiten …“

„Der spinnt doch, Coop.“ Far sah seinen Teamleiter in der Hoffnung auf Unterstützung an. „Der kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich mit einem Blutsauger …“

Cooper ließ ihn gar nicht ausreden:

„Soweit bekannt ist, hat Songlian noch nie einen Menschen aus Blutdurst umgebracht.“

„Soweit bekannt ist?“, wiederholte Far ungläubig.

„Erkläre mir bitte mal, was das jetzt genau bedeutet.“

„Ich ernähre mich ausschließlich von synthetischem Blut, das mir eine verlässliche Quelle liefert. Du brauchst keine Angst haben von mir gebissen zu werden. Das ist ohnehin unästhetisch. Manche waschen sich nicht mal den Hals …“

Coopers warnender Blick brachte Songlian zum Schweigen.

„Dem Chief stößt es schon seit Langem auf, dass du ohne einen Partner auf Streife gehst“, sagte er dann zu Far.

„Und aus Mangel an freiwilligem Personal willst du mir jetzt einen Vampir aufdrücken?“

„Er könnte uns wirklich von Nutzen sein.“

Songlian nickte eifrig.

„Aber das kann nur der Chief entscheiden“, fuhr Cooper fort und zückte sein Handy.

„Kann ich einmal dein Wohnzimmer als Telefonzelle benutzen?“

„Bitte. Nur zu.“

Cooper ging hinaus, um ungestört Chief Morlay anzurufen. Nach zehn Minuten unbehaglichen Schweigens im Schlafzimmer kehrte er wieder zurück.

„Du sollst Walker heute um fünfzehn Uhr ins Revier bringen.“

„Und in der Zwischenzeit?“, fragte Far ungehalten.

„In der Zwischenzeit darfst du hier auf ihn aufpassen.“

Als Far leise fluchte, lächelte Cooper lediglich freundlich und gab Joey einen Wink.

„Komm, Joey, wir haben noch Schlaf nachzuholen.“

„Coop, warte! Was ist mit seinen PSI-Kräften?“ Far wagte einen letzten verzweifelten Einwand.

„Sieh ihm lieber nicht zu tief in die Augen, wenn du ihm einen Gute-Nacht-Kuss gibst.“

„Und ich dachte, Joey wäre der Spaßvogel.“

Cooper drehte sich an der Tür um.

„Hör mal, wenn dir das zu viel wird, dann wirst du eben das Kissen und den Staubsauger bemühen müssen. Schlaf gut, Far.“ Sprach’s und verschwand zusammen mit Joey.

Langsam drehte sich Far zu Songlian um und musterte ihn finster. Die bernsteingelben Augen sahen ihn spöttisch an.

„Bitte nicht den Staubsauger …“

Mit einem Ruck wandte sich Far ab und ließ den Vampir allein im Schlafzimmer zurück. Cooper als Komiker reichte ihm.

Einige Zeit verbrachte Far im Wohnzimmer, wo er aus dem Fenster starrte, um sich wenigstens ein bisschen zu sammeln. Joey und seine ungeheuerlichen Vorschläge! Eine Berührung an seinen Beinen erregte schließlich seine Aufmerksamkeit. Far bückte sich und hob einen orangefarbenen Kater auf seine Arme. In einem Augenblick der Sentimentalität hatte er den Streuner bei sich aufgenommen und wurde dafür mit endloser Hingabe belohnt.

„Vielleicht kriege ich ja heute noch eine Mütze voll Schlaf. Was meinst du, Mister X?“

Der Kater schnurrte kurz und strampelte dann. Far setzte ihn wieder ab und Mister X lief schnurstracks in die Küche, wo er seinen Futternapf wusste.

Far hingegen kehrte ins Schlafzimmer zurück. Songlian sah ihm seltsam erleichtert an.

„Was? Was ist jetzt wieder los?“

„Ich dachte schon, du wärst ebenfalls gegangen.“

„Fürchtest du dich etwa alleine?“ Far drehte seinem Gefangenen den Rücken zu und begann seine Dienstkleidung auszuziehen. Die Doc Martens trat er unter das Bett, das zerrissene Hemd landete in einer Ecke. Hinter ihm blieb es überraschend still.

„Warum musstest du Joey unbedingt zustimmen?“, fragte Far mit gereizter Stimme.

„Zum wiederholten Male: Du gefällst mir.“

„Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst mich nicht einmal. Außerdem töte ich deinesgleichen“, erklärte Far missmutig.

Songlian lachte leise.

„Ich habe doch bereits gesagt, dass ich dich eine Weile beobachtet habe, Baxter. Und vergiss nicht, dass ich ebenfalls …“ Er verstummte, als sich Far inzwischen seiner Hosen entledigte und in seinem Schrank nun nach einem Pyjama suchte, von dem er genau wusste, dass er ihn nicht besaß. Weil Songlian nicht weitersprach, drehte er sich zu ihm um. Der Vampir musterte Fars nackten Körper mit einer für die momentane Situation unpassend anerkennenden Miene. Far starrte Songlian entgeistert an, stieß dann einen Fluch aus und schnappte sich die Bettdecke, um sich darin einzuwickeln. Der Blick des Blutsaugers war jetzt eindeutig belustigt. Far war irritiert. Diese ganze Situation kam ihm inzwischen ziemlich bizarr vor.

„… ebenfalls Vampire töte“, brachte Songlian den Satz endlich zu Ende.

„Wieso starrst du mich so an?“

„Weil deine Haut von einigen Schlachten erzählt“, antwortete Songlian.

Im Laufe seines kurzen Lebens hatte Far bereits einige Schuss- und Stichverletzungen hinnehmen müssen.

„Das Leben ist eben nicht immer Zuckerbrot, Reißzahn.“

Einen Moment lang sahen sie einander lediglich an.

„Ich schlafe auf dem Sofa. Keine Tricks, Blutsauger.“

Songlian ruckte demonstrativ an den Handschellen.

„Keine Sorge. Wie denn auch?“, fragte er.

„Du würdest es sicherlich hören, wenn ich mich mitsamt deinem Bett vom Balkon stürze.“

Gegen seinen Willen musste Far nun doch grinsen. Der Bursche da hatte so etwas an sich, das ihn trotz allem irgendwie anzog. Etwas umständlich streckte sich Songlian auf dem Bett aus und schloss friedlich die Augen. Far raffte die Bettdecke um sich zusammen und wanderte auf nackten Sohlen ins Wohnzimmer zurück, wo er sich auf das Sofa warf. Seine DV8 schob er unter ein Kissen, um sie griffbereit zu haben. Wenig später fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Es war bereits kurz nach dreizehn Uhr, als Far aufwachte. Er streckte sich und tappte gähnend in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. Hinterher sah er nach seinem Gefangenen. Songlian schlief noch und zu Fars größter Verwunderung lag Mister X schnurrend wie eine Kettensäge neben dem Vampir gekuschelt auf dem Bett.

„Ich hielt dich für einen Menschenkenner. Auf Vampire trifft das scheinbar nicht zu, du Verräter“, flüsterte Far und hob den Kater auf den Fußboden. Dabei stieg ihm der Geruch von Sandelholz und Zimt in die Nase. Der Vampir sah nicht nur verflixt gut aus, er roch sogar angenehm. Far zuckte zurück, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden. Er schnappte sich eine Jeans aus dem Schrank und zog sie rasch an. Schließlich schob er die Balkontür auf, um ins Freie zu treten. Auf das Geländer gestützt schaute er sich um. Der Himmel versprach einen sonnigen Nachmittag, es war nicht eine Wolke am Himmel. Dafür wehte ein leichter Wind. Wie friedlich New York wirken konnte.

Far versuchte sich eine Zeit ohne Dämonen und ohne das Chaos, das sie verursachen konnten, vorzustellen. Es wollte ihm allerdings nicht so recht gelingen.

„Die Hölle ist ihnen zu eng geworden. Seitdem kreuzen sie in unserer Welt auf“, hatte der Chief einmal zu ihm gesagt. Die Dämonen tauchten wie Quälgeister in kleinen Gruppen aus den Portalen auf und fanden Vergnügen am sinnlosen Morden und Zerstören. Nichts wie tödliche Plagegeister. Dagegen waren diejenigen mit besonderer Vorsicht zu genießen, die über Intelligenz verfügten und denen es gelang, unerkannt in dieser Welt zu leben. Sie bedienten sich menschlicher Hüllen und ließen sich von wirklichen Menschen nicht unterscheiden. Über ihre Ziele konnte man nur Vermutungen anstellen.

Far empfand es als eine besondere Herausforderung, die Straßen von diesen Geschöpfen zu säubern. Er hatte sogar ein persönliches Interesse daran … Doch jetzt stand zu befürchten, dass er diese Jagd zusammen mit einem Vampir vornehmen sollte. Was wohl der Chief zu diesem Blutsauger und Joeys blödem Vorschlag sagen würde?

Hinter ihm erwachte Songlian, was der in Gedanken versunkene Far gar nicht bemerkte. Entzückt ließ der Vampir seinen Blick über Fars wohlproportionierten Körper, die breiten Schultern und die schmalen Hüften gleiten. In diesem Augenblick fuhr der Wind durch den wirren Schopf und spielte mit den halblangen, hellbraunen Strähnen, die in der Sonne einen goldenen Schimmer annahmen. Songlian dachte ein wenig verträumt an die stahlgrauen Augen und das schön geschnittene Gesicht des Officers. Tatsächlich war es nicht nur Fars Kampfstil gewesen, was den Vampir angezogen hatte. Es war weitaus mehr … Als er sich nun räusperte, fuhr sein unwilliger Wächter herum.

„Ausgeschlafen?“ Songlian wirkte direkt fröhlich.

Far fluchte nur, stapfte an ihm vorbei und begann in der Küche zu hantieren. Mit zwei Teetassen und einem Tablett voller Sandwiches kehrte er kurz darauf mit Mister X im Schlepptau zurück. Er knallte das Tablett lieblos auf einen Stuhl, ignorierte den überschwappenden Tee und schob den Stuhl bis an das Bett. Ein wenig zögernd zog er den Schlüssel zu den Handschellen sowie seine DV8 hervor.

„Dieses Mal ist sie nicht auf Betäubung geschaltet“, erklärte Far warnend und presste ihm die Mündung an die Schläfe. Songlian lächelte nur, rührte sich aber nicht. Far befreite ihm eine Hand und wich wachsam zurück.

Langsam richtete sich der Vampir auf und begrüßte Mister X, der auf das Bett gesprungen kam und sich gerne das Fell zerzausen ließ. Der Kater riss erneut die Kettensäge an und rollte sich zufrieden auf dem Laken zusammen. Da Far lediglich dastand und ihm und dem Kater misstrauisch zuschaute, nickte ihm Songlian auffordernd zu.

„Was?“ knurrte Far.

„Nun setz dich. Ich kann es nur wiederholen: Ich beiße nicht.“

Mit einem Seufzer steckte Far die DV8 in seinen Hosenbund und hockte sich an das Fußende des Bettes. Songlian rüttelte lächelnd an der Handschelle.

„Ich bin immer noch gefesselt, Baxter. Keine Gefahr. Entspann dich endlich mal.“

„In meinem Bett liegt ein Vampir und ich soll mich einfach entspannen“, brummte Far und angelte nach einer Teetasse.

„Greif zu“, bot er Songlian an.

„Leider habe ich keine Blutkonserve im Kühlschrank“, fügte er spitz hinzu.

„Sehr freundlich.“ Der Vampir grinste und schnupperte genießerisch am Tee.

„Deine Spezialmischung aus dem Laden um die Ecke?“, erkundigte sich Songlian arglos.

Beinahe hätte sich Far verschluckt.

„Seit wann spionierst du mir eigentlich hinterher?“, fragte er.

„Ein, zwei Monate waren es schon“, gestand Songlian und biss in eines der Eiersandwiches. Fast hätte er gespuckt.

„Igitt! Ist da Ketchup drauf?“

„So gut kennst du mich wohl doch nicht. Ich mache auf alles Ketchup“, brummte Far mit einem schadenfrohen Grinsen.

„Kulinarischer Sittenstrolch“, erklärte Songlian, aß das Sandwich aber trotzdem auf.

Während sie schweigend frühstückten, schaute Far immer öfter auf die Uhr. Sicherlich wollte er sich zu ihrem Termin bei seinem Vorgesetzten nicht verspäten. Als sein Handy klingelte, sprang er beinahe erleichtert auf.

„Aye“, meldete er sich. Eine Weile lauschte er stumm. Endlich sagte er: „Ist nicht nötig. – Nein, das bekomme ich hin.“ Er wandte sich zu Songlian um, der ihn aufmerksam beobachtete und aus seiner Miene zu lesen versuchte.

„Keine Sorge. Notfalls lege ich ihn um. – Bis später.“

Während Songlian grinste, ließ Far das Handy in der Hosentasche verschwinden.

„Iss auf. Ich bin gleich zurück.“ Er ließ ihn mit Mister X allein im Schlafzimmer, und Songlian konnte wenig später hören, wie die Dusche zu laufen begann. Für einen kurzen Moment erlaubte er sich die äußerst reizvolle Vorstellung eines nackten Fars unter der Dusche, dann aß er rasch ein weiteres Sandwich und trank seinen Tee aus. Er vertrug menschliche Nahrung zwar auch, aber sein Körper zog daraus keinerlei Nutzen. Vielleicht aber half es Far etwas über sein Unbehagen hinweg, wenn er sich nicht ganz wie ein Vampir benahm. Mister Xs Pfote tatschte nach Songlians weitem Hemdsärmel und wollte damit spielen.

„Hast du kein Wollknäuel?“, erkundigte sich Songlian sanft.

Der Kater schnurrte bloß und rollte sich auf den Rücken, damit ihm Songlian den Bauch kraulte.

„Lass das Pelzgesicht zufrieden. Es geht los.“ Far eilte mit einem Handtuch um die Hüften an Songlian vorbei und suchte sich aus dem Schrank ein sauberes Shirt und frische Socken hervor. Die straffen Muskeln seines Oberkörpers veranlassten Songlian eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen, doch er setzte rasch eine neutrale Miene auf, als sich Far umdrehte. Der Officer schnappte sich das letzte Sandwich und verschwand kauend mit der Kleidung erneut im Bad. Als er zurückkehrte, hatte er sich bereits eine Lederjacke übergezogen.

„Keine Dienstkleidung?“

„Nein. Eigentlich wäre das heute mein freier Tag.“ Fars Miene zeigte deutlich, was er davon hielt, diesen Tag Songlian opfern zu müssen.

„Keine …“, fing er an.

„… Tricks. Ich weiß, ich weiß“, murmelte Songlian.

Far schloss die zweite Handschelle auf, während er mit der DV8 auf Songlian zielte. Im nächsten Moment flog die Waffe auf das Bett und Far erhielt einen heftigen Stoß vor die Brust. Er stolperte über den Stuhl und krachte unsanft zu Boden. Sofort hatte er seinen Dolch aus dem Gürtel gezogen und sprang auf die Füße. Als wäre nichts geschehen, stand Songlian mit dem Rücken zu ihm neben dem Bett. Seine Hände warteten darauf, erneut gefesselt zu werden.

„Was sollte das!“, brüllte Far wütend und brachte seine DV8 rasch an sich. Natürlich war er sauer, dass Songlian ihn überrumpelt hatte.

„Deine Waffe imponiert mir gar nicht“, erklärte Songlian jetzt ziemlich kühl über die Schulter hinweg.

„Ich habe versprochen, dich nicht anzugreifen. Könntest du mir nicht wenigstens ein bisschen vertrauen?“

„Du tickst ja wohl nicht richtig? Nach der Aktion eben soll ich dir vertrauen? Vertrauen ist etwas, was man sich verdienen muss, Blutsauger. Das verschenkt man nicht so einfach an ungewollte Besucher.“

Verärgert drehte sich Songlian zu ihm um.

„Ich habe einen Namen, Far Baxter“, sagte er mühsam beherrscht, da er direkt in die Mündung der DV8 blickte. Eine Weile starrten sie einander nur an.

„Wir müssen endlich losfahren“, erklärte Far mit einem Knurren in der Stimme. Artig drehte ihm Songlian erneut den Rücken zu und hielt ihm die Hände hin. Dieses Mal schlossen sich die Handschellen um seine Gelenke.

Auf dem Weg zur Tiefgarage schwiegen sie. Far grollte Songlian noch immer. Hätte der Vampir tatsächlich feindliche Absichten gehegt, wäre er jetzt zweifellos tot gewesen. Seitdem dieser Songlian aufgetaucht war, ging irgendwie alles drunter und drüber. Kurz vor der Tiefgarage blieb er plötzlich stehen. Sein Rücken schien zu kribbeln und er fühlte sich auf einmal unwohl in seiner Haut. Auch Songlians Augen hatten sich merklich verengt, und er ließ seinen bernsteingelben Blick aufmerksam durch das Treppenhaus und dem Eingang zur Tiefgarage gleiten.

„Hier stimmt etwas nicht“, murmelte der Vampir. Seine Muskeln waren reaktionsbereit gespannt.

„Wir werden beobachtet“, stimmte ihm Far zu. Offensichtlich funktionierten seine Fähigkeiten doch noch. Sein Gefangener spitzte die Ohren und schaute sich weiter unbehaglich um.

„Dämonen“, stellte er fest.

„Ich kann hören, wie sich ihre Schuppen aneinander reiben. Hast du jemanden verärgert, Baxter, oder warum wartet hier ein Empfangskomitee auf dich?“

Auch Far hatte nun einige verstohlene Bewegungen in ihrer Nähe bemerkt. Unauffällig entsicherte er seine DV8, ohne auf Songlians Frage einzugehen.

„Mach mich los“, forderte Songlian unvermittelt. Far starrte ihn an, als hätte er einen Irren vor sich.

„Wenn du mich schon mit in eine Auseinandersetzung hineinziehst, will ich von den Kerlen wenigstens nicht wehrlos abgeschlachtet werden, Baxter“, zischte der Vampir.

„Du hast diesen Empfang also nicht organisiert?“, wollte Far misstrauisch wissen.

„Beim Blut! Vampire und Dämonen hassen sich. Schon vergessen? Ich jage diese Schweine selber.“ Angesichts dieser Unterstellung schien sich Songlian wirklich zu ärgern.

Abschätzend musterte Far seinen Gefangenen für die Dauer eines Herzschlags, bevor er ihm ohne einen weiteren Kommentar die Handschellen aufschloss. Zu Songlians größter Verwunderung reichte ihm Far auch einen seiner Dolche. Eine zweite Klinge lockerte Far in seinem Gürtel, ließ sie aber erst einmal stecken, um die Dämonen nicht gleich mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie auf einen Angriff vorbereitet waren.

„Auf ins Vergnügen.“ Mit einem Lächeln betrat der Vampir als Erster die stille Tiefgarage. Dunkelheit und Kühle empfing sie. Aufmerksam lauschend gingen sie langsam und auf einen Angriff wartend an einer Reihe geparkter Wagen vorbei. Far konnte hinter sich ein leises Scharren von Krallen auf Beton hören, als ihnen die Dämonen nachschlichen. Seine Nackenhärchen stellten sich auf. Die Bewegung bemerkte er aus den Augenwinkeln und er fuhr herum, um der Attacke zu begegnen. Mit einer fließenden Bewegung hatte er die DV8 gezogen und sofort geschossen. Zwei Dämonen verwandelten sich in schmierige Asche. Auch Songlian reagierte augenblicklich. Er stand nur einen Schritt von Far entfernt und deckte dessen Rücken. Die Dämonen griffen nun von allen Seiten an, konnten aber den schnellen Bewegungen des Vampirs kaum folgen. Der führte die scharfe Dolchklinge gekonnt und äußerst wirksam, sodass sie rasch drei Gegner weniger hatten. Far schoss ein weiteres Mal und löschte damit einen der Angreifer aus. Dann jedoch wurde Far die Waffe aus der Hand geschlagen. Sie fiel genau zwischen seine Füße, aber er bekam keine Gelegenheit, um sich danach zu bücken. Also musste er auf seinen zweiten Dolch zurückgreifen. Zu seiner Überraschung passte sich Songlian seinem Kampfstil flüssig an und harmonierte derartig gut mit Far, dass die Dämonen einfach nicht durchbrechen konnten. Nun musste er sich gleich zweier Angreifer erwehren und es gelang einem der Unterweltler, ihm einen heftigen Hieb gegen den Kopf zu verpassen. Far taumelte gegen Songlians Rücken, fing sich aber gleich wieder und rammte den Dolch tief in die Brust des Dämons. Er verfehlte das Herz der Kreatur und sie spuckte ihm hasserfüllt schleimigen Speichel entgegen, der Far mitten ins Gesicht traf.

„Einen schönen Gruß von Ooghi“, fauchte der Dämon hämisch.

Far schrie auf. Sein Kopf schien vor Schmerz zu explodieren und für einen Moment war er völlig blind. Er fühlte Stahl an seinem Gesicht vorbeisausen, als Songlians Waffe seine beiden Gegner erledigte, und roch den stinkenden Ascheregen, als sich die Dämonen auflösten. Auf einmal herrschte Stille. Far hob vorsichtig den Arm zu seinen Augen empor, die er immer noch fest zusammenkniff.

„Warte!“ Songlians Hand hielt ihn auf.

„Nicht wischen“, warnte er und kramte ein Tuch aus seiner Hosentasche. Behutsam entfernte er den Speichel aus Fars Gesicht. Der hielt folgsam still und bewegte nicht einen Muskel. Zum ersten Mal in seinem Leben berührte ihn ein Vampir in einer völlig hilflosen Lage. Inständig hoffte er, dass Songlian seine plötzliche innere Anspannung nicht spürte.

„Kannst du sehen?“, fragte der Vampir und zog das Tuch fort.

Blinzelnd öffnete Far die Augen. Songlians Gesicht befand sich unerwartet dicht an seinem, und Far zuckte jäh zurück. Der Vampir grinste spöttisch und ging ein wenig auf Abstand.

„Ich hatte wohl Glück und es ist nichts in die Augen geraten“, sagte Far erleichtert. Er berührte seine brennende Stirn. Als er die Finger fortzog, klebte Blut daran. Auch Songlians Blick hatte sich auf das rote Nass gerichtet, aber seine Miene ließ nicht erkennen, ob ihn das Blut antörnte oder nicht. Far holte ein Papiertaschentuch hervor und presste es gegen die Wunde. Ihm war schwindlig und der Kopf schmerzte. Auf einmal verzog sich Songlians Gesicht zu einem wilden Fauchen und mit gebleckten Zähnen schoss er auf Far zu. Der hob noch mit erschrockener Miene abwehrend den Arm, als der Dolch auf ihn zu und dann an ihm vorbeischoss. Schon war er in eine Wolke schwarzer Asche eingehüllt, die sich nur langsam verzog. Als Far wieder etwas erkennen konnte, stand Songlian gelassen neben ihm und reichte ihm die Waffe zurück.

„Ein Nachzügler“, erklärte der Vampir freundlich.

Far stellte fest, dass er weiche Knie bekommen hatte.

„Geht es?“, erkundigte sich Songlian mit sanfter Stimme, die im krassen Kontrast zu dem wilden Gesicht vorher stand.

„Mein Schädel zerspringt, aber ich bin in Ordnung.“ Far bemerkte, dass er den Vampir anstarrte, und stieß ein tiefes Seufzen aus.

„Danke“, sagte er etwas verspätet.

Songlian nickte nur und hielt ihm die Hände entgegen.

„Was?“ Far war fühlte sich völlig verwirrt.

„Die Handschellen, Baxter“, erinnerte ihn Songlian amüsiert.

„Leck mich am Arsch“, knurrte Far grob und wandte sich schroff ab. Das Taschentuch noch immer gegen die Stirn gepresst ging er dem Vampir voran zu seinem Dodge. Er öffnete die Türen und setzte sich hinter das Steuer. Songlian nahm neben ihm Platz und gurtete sich mit ruhiger Hand an, während Far bereits den Motor startete und den Wagen aus seiner Parklücke heraus manövrierte. Als er auf das Gaspedal trat, schoss der Dodge mit hoher Geschwindigkeit vorwärts.

„Willst du nun vollenden, was die Dämonen eben nicht geschafft haben?“, erkundigte sich Songlian neugierig, als er in den Sitz gepresst wurde, woraufhin Far die Geschwindigkeit allerdings nur minimal drosselte.

„Ich meinte das ernst“, erklärte Far nach einer Weile.

„Was?“

„Dass ich dir danke.“

Songlians Mundwinkel zuckte.

„Ein toter Partner nützt mir nichts“, sagte er bloß.

„Ich bin nicht dein Partner“, fuhr Far wieder auf. Er fühlte sich gereizt und seine Kopfschmerzen verstärkten sich von Minute zu Minute.

„Ich fände es aber ganz gut, wenn wir es würden“, sagte Songlian leise. Er sah Far dabei nicht an, sondern schaute aus dem Fenster. Der steuerte seinen Wagen geschickt durch den dichten Verkehr, und obwohl er noch immer mit hoher Geschwindigkeit fuhr, achtete er auf seine Umgebung. Sie überholten einen LKW, bogen dann an einer Kreuzung auf der Überholspur ab und näherten sich dem Revier. An einer Schranke zeigte Far seinen Ausweis vor und wurde von dem Kollegen mit einem knappen Gruß durchgewunken. Nun suchten sie sich einen Parkplatz und stiegen aus dem Dodge.

Einen Moment lang lehnte sich Far gegen das Fahrzeug. Irgendwie fühlte er sich etwas wacklig auf den Füßen. Nur weil er Songlians besorgten Blick auf sich ruhen fühlte, riss er sich zusammen. Es wäre ja gelacht, wenn er vor dem Vampir Schwäche zeigen würde. Der schien sich ohnehin schon die ganze Zeit königlich über ihn zu amüsieren.

„Da rein.“ Er nickte zum Eingang hinüber, wo er bereits Joey auf sie warten und winken sah. Der Kollege blickte ihnen interessiert entgegen, registrierte sofort, dass Songlian nicht mehr in Handschellen steckte, und musterte rasch Fars Verletzung. Ehe Far etwas erklären konnte, hatte Joey bereits sein Handy gezückt und orderte einen Arzt, während er mit der freien Hand Songlian und Far bedeutete, ihm zu folgen.

„Gab wohl Ärger“, stellte Joey schließlich fest.

„Hmm“, war alles, was Far dazu sagte. Sein Kollege führte sie eilig in einen Vernehmungsraum.

„Setz dich, Walker“, kommandierte er und deutete auf einen der unbequemen Stühle. Folgsam nahm der Vampir Platz, während sich Far neben der Tür gegen die Wand lehnte. Der Vampir wirkte nervös, was keinen der beiden Officer verwunderte. Immerhin befand er sich im Herzen eines Polizeireviers, dessen Mitarbeiter ihn auf offener Straße unverzüglich getötet hätten. Lange mussten sie nicht warten, bis auch Cooper, Jonathan und der Arzt eintrafen. Ihnen folgte der Chief, ein kleiner Mann mit Halbglatze und Brille. Er musterte Songlian kurz durch seine dicken Brillengläser.

„Ich bin Justus Morlay“, stellte er sich Songlian vor und wandte sich gleich darauf an Far:

„Sind Sie in Ordnung, Baxter?“

„Nur eine Schramme, Chief, und ein wenig Kopfweh“, murmelte Far beruhigend.

Der Arzt hatte inzwischen seine Tasche aufgeklappt und schob ihn zu einem freien Stuhl, auf den er Far niederdrückte. Gründlich begann er den Kratzer zu säubern, desinfizierte die Wundränder, klammerte sie und klebte ein riesiges Pflaster darüber. Zum Schluss drückte er Far eine Packung Tabletten in die Hand.

„Gegen die Kopfschmerzen, Baxter. Es sieht nicht tragisch aus, aber schonen Sie sich trotzdem ein wenig.“

„Danke, Doc“, brummte Far und stellte fest, dass jeder im Raum ihn fixierte, einschließlich des Vampirs.

„Hey, Leute, ich bin am Leben“, schnappte er.

„Der da ist das Problem.“ Er deutete auf Songlian, der bislang unbeachtet auf seinem Stuhl gesessen hatte.

Jonathan war der Erste, der reagierte. Er streckte Songlian vollkommen unbefangen die Hand mit seinen nikotinfleckigen Fingern entgegen.

„Hi, ich bin Jonathan Goodman.“ Jonathan fiel wegen seinem lockigen Blondhaar und den dunkelblauen Augen auf. Sein Gesicht war allerdings dank des Kettenrauchens von einer ungesunden Farbe und wies erste Falten auf, die mit siebenunddreißig Jahren eigentlich nicht hätten sein müssen. Dankbar für die freundliche Geste ergriff Songlian die dargebotene Hand und schüttelte sie.

„Songlian Walker“, erwiderte er und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Chief, der den ungewöhnlichen Gast des Reviers prüfend ansah. Doch anstatt sich mit Songlian zu befassen, wandte sich Morlay an Far:

„Was ist passiert, Baxter?“

Ganz sachlich lieferte Far einen knappen, aber detaillierten Bericht über den Dämonenangriff in der Tiefgarage und endete mit den Worten:

„Es war ein verfluchter Hinterhalt, Chief. Ohne diesen Blutsauger da würde ich jetzt wohl nicht hier sitzen.“ Dies erklärte auch, warum Songlian keine Fesseln mehr trug.

„Wir haben bereits den Tag über Diskussionen geführt, ob es sinnvoll ist, einen Vampir bei der SEED aufzunehmen, Walker. Uns ist natürlich Ihr Ruf hinsichtlich der Vernichtung von Dämonen und auch Ihre Form der Nahrungsaufnahme bekannt. Aber finden Sie die Vorstellung, ein Officer der SEED zu werden nicht auch ein wenig … sagen wir mal ungewöhnlich? Diese Einheit löscht nicht nur Dämonen, sondern auch Angehörige Ihres Volkes aus. “

Far bekam den Eindruck, als würde Songlian auf seinem Stuhl schrumpfen.

„Ich wurde aus meiner Sippe verstoßen“, brach es auf einmal ziemlich verloren aus dem Vampir hervor. „Und die gesellschaftlichen Regeln unter den Vampiren sind nicht nur sehr alt, sondern auch sehr streng. Ein Sippenloser hat in meinem Volk keinen Wert. Vielleicht wird es Zeit, dass ich wieder irgendwo dazugehöre. Zweihundert Jahre Einsamkeit zehren auch an den Nerven eines Vampirs. Zudem verfolgen wir doch dieselben Ziele. Warum sollten wir also nicht meine Fähigkeiten in Ihre Einheit eingliedern? Sie könnten einen guten Kämpfer für Ihr Team gewinnen. Und Sie wissen, dass ich gut bin. Ich dagegen beanspruche lediglich einen Platz in einer Gemeinschaft.“

„Hier wird Sie niemand mit offenen Armen aufnehmen, Walker“, stellte Morlay sachlich fest. „Sie müssen mit Misstrauen und sogar Feindseligkeit rechnen.“

„Es liegt natürlich an mir, das entsprechendes Vertrauen zu verdienen“, antwortete Songlian und warf Far einen bedeutsamen Blick zu. Der aber wich den bittenden bernsteingelben Augen aus.

„Sie haben es sich offenbar gut überlegt, Walker“, meinte Morlay und sah ihn abschätzend an.

„Ich habe in den letzten Stunden gründlich darüber nachgedacht, Sir.“

Der Chief kratzte sich die Halbglatze. „Tja, also … wenn Ihr Entschluss feststeht und Sie wirklich ins Team wollen …“

Walker nickte nachdrücklich.

„Warten Sie hier und haben Sie etwas Geduld. Diese Angelegenheit wird der Boss entscheiden. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis. Nicht jeder Mitarbeiter wird sich freuen, wenn ein Vampir über unsere Flure schleicht.“

„Natürlich, Mr. Morlay. Ich bin schon dankbar dafür, dass Sie sich die Zeit nehmen und über den Vorschlag nachdenken.“ Songlian lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Der Chief nickte und winkte das Team nach draußen auf den Flur.

„Jetzt will ich eure Meinung hören, Jungs“, forderte er das Quartett auf.

„Was er sagt, ist nicht so ganz unrichtig. Als Mitglied unserer Einheit wäre er tatsächlich eine Bereicherung“, stellte Cooper sachlich fest.

„Die Frage ist, ob wir ihm trauen dürfen.“

Jonathan nickte langsam dazu und stimmte Cooper damit bei.

„Ich kann ihn nicht ausstehen“, knurrte Far dagegen und verschränkte übellaunig die Arme vor der Brust.

„Doch nur, weil er dir so unverhofft über den Weg gelaufen ist“, behauptete Cooper ganz richtig.

„Ich finde ihn eigentlich ganz nett“, mischte sich Joey ein.

„Außerdem ist es eine ungeschriebene Tatsache, dass er die Dämonen genauso gnadenlos jagt wie wir. Und Vampire ebenfalls. Der Unterschied zu uns besteht lediglich darin, dass er mit Fangzähnen geboren wurde. Dafür kann er meiner Meinung nach nichts.“

Morlay nickte dazu.

„Habt ihr Jungs den Eindruck, dass er einen von uns angreifen würde?“, fragte er weiter. Die vier zögerten. Schließlich war es Far, der seufzend zugab: „Er hat mir das Leben gerettet, Chief. Der Blutsauger hätte mich in der Tiefgarage auch sterben lassen können. Immerhin waren die Dämonen in der Überzahl. Ich denke schon, dass er es ehrlich meint.“

Überrascht zog Cooper eine Augenbraue in die Höhe, da Far den Vampir erst offen ablehnte und jetzt doch Fürsprache leistete. Far warf ihm einen warnenden Blick zu, und Cooper hielt den Mund.

„Also rauf zum Boss.“ Morlay scheuchte sie in einen Fahrstuhl und wählte das Obergeschoss an. Sanft setzte sich der Lift in Bewegung. Bislang war Far nur einmal auf den Boss getroffen und das war nach seiner Einstellung bei der SEED gewesen. Zu seiner Überraschung war der gefürchtete Boss eine kleine, schlanke Frau Anfang vierzig, die sich ihm als Anabelle Wilcox vorgestellt hatte. Und sie war eine knallharte Person, wie Far sehr schnell herausgefunden hatte.

Der Boss saß an seinem Schreibtisch, als das Team eintrat, und sah sich eine Aufnahme an. Far stellte fest, dass es sich dabei um die Überwachungsaufzeichnung aus der Tiefgarage handelte. Wilcox ließ sich von ihnen nicht ablenken, sondern verfolgte aufmerksam das Geschehen auf dem Bildschirm. Ihr Kugelschreiber tippte dabei immer wieder gegen ihre volle Unterlippe.

„Wacker geschlagen“, sagte sie am Ende des Bandes zu Far und fügte mit einem Nicken auf das Pflaster hinzu:

„Und? Hält Ihr Dickkopf, Baxter?“

Der nickte nur kurz und versuchte aus ihrer Miene eine Entscheidung abzulesen. Wilcox wechselte einen Blick mit Morlay, tippte zur Abwechslung einen Moment lang nachdenklich mit dem Kugelschreiber gegen die Tischkante und erklärte endlich:

„Okay, er kann erst einmal zur Probe bleiben. Ich muss eine mögliche Aufnahme in die SEED ohnehin erst mit dem Polizeichef diskutieren. Informieren Sie alle Mitarbeiter entsprechend, Morlay, damit ihm niemand auf dem Flur eine Kugel verpasst. Goodman, Sie stellen ihm einen vorläufigen Ausweis aus. Falls er Waffen benötigt, soll er damit ausgestattet werden.“

Jonathan nickte beflissen.

„Baxter, Sie bilden ein Team mit ihm.“

Far stöhnte und wollte schon Protest erheben, doch Wilcox warf ihm einen strengen Blick zu.

„Sie sind der Einzige in dieser Einheit ohne Partner und das hat mir von Anfang an nicht gepasst. Wo wären Sie heute, wenn Walker nicht bei Ihnen gewesen wäre?“ Sie deutete auf den Monitor, wo eben gerade die Aufzeichnung gelaufen war. Far klappte den Mund wieder zu und resignierte. Seine mangelnde Begeisterung übersehend, fuhr der Boss fort:

„Die Frage ist nur, wo bringen wir den Vampir unter? Ich möchte ihn schon ein wenig unter Beobachtung haben. Und das Wohnheim der Einheit halte ich für gar keine gute Idee. Unsere Leute müssen sich erst einmal daran gewöhnen, dass ein Vampir in ihre Reihen eingegliedert wird. Hat jemand eine Idee?“ Wilcox sah die Männer der Reihe nach an.

„Verdammt“, fluchte Far und warf hilflos die Hände in die Höhe. „Aye, er kann mein Gästezimmer beziehen.“

„Fluchen Sie nicht in meiner Gegenwart, Baxter. Aber Ihr freundliches Angebot wird mit Dank angenommen. Geben Sie Walker eine Chance, meine Herren. Aber bleiben Sie trotzdem wachsam. Das war alles.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sich Wilcox ihrem Computer zu. Das Team durfte gehen.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Joey und grinste, als sie wieder auf dem Flur standen.

„Jetzt hast du endlich einen Partner. Und was für einen.“

„Du kannst mich mal, Joey. Du und deine dämlichen Vorschläge“, brummte Far unhöflich und fasste sich an den schmerzenden Kopf.

„Hey, alles okay?“, fragte Cooper sogleich und legte ihm eine Hand auf den Arm. Auch Jonathan runzelte besorgt die Stirn. Sein Blick wanderte zu dem Pflaster auf Fars Stirn.

„Nur Kopfweh“, antwortete Far ehrlich.

„Nehmen Sie die Tabletten des Doc ein, Baxter, und dann fahren Sie nach Hause. Kümmern Sie sich um Walker“, befahl Morlay, gab ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter und entließ seine Truppe.

Während sich Far in der Kantine einen scheußlich schmeckenden Kaffee zog, versorgte Jonathan den Vampir mit den benötigten Ausweisen und Informationen. Songlian ließ sich eine DV8 aushändigen, erklärte aber, keine weiteren Waffen zu benötigen, da er seine eigenen bevorzugte. Wenig später wurde er von Far abgeholt.

„Du bist ziemlich blass. Hast du schon die Tabletten eingenommen?“, erkundigte sich Songlian im mütterlichen Tonfall.

„Aye“, knurrte Far bloß kurz angebunden. Dass die fürchterlichen Kopfschmerzen nicht nachließen, brauchte er Songlian ja nicht auf die Nase binden. Sie gingen gemeinsam zum Parkplatz und stiegen in Fars Wagen.

„Jonathan sagte, ich würde nun bei dir wohnen“, sagte Songlian leise ohne Far anzusehen, der den Wagen aus der Parkbox steuerte.

„Aye.“

„Warum, wenn du mich doch nicht leiden kannst?“

„Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht leiden kann“, murmelte Far abwesend.

Songlian wurde ärgerlich. „Doch, hast du. Ich hab’s gehört.“

Überrascht schaute Far den Vampir an.

„Du hast das gehört? Durch die Tür hindurch?“ Er hielt den Dodge wieder an und drehte sich zu seinem neuen Partner um.

„Vampire haben ein besseres Gehör als Menschen“, erklärte Songlian. „Schon vergessen, Baxter?“

Das hatte er für den Moment wirklich. Ob das an seinem schmerzenden Schädel lag?

„Sollte ich noch etwas über dich wissen, außer dass du Gespräche mithörst, die du nicht hören sollst?“, erkundigte sich Far schnippisch, biss mit seiner groben Art bei dem Vampir jedoch auf Granit.

„Ich mag die alten Edgar-Wallace-Filme und esse gerne Süßes“, sagte Songlian im Plauderton.

Doch Far hörte seine spöttische Antwort gar nicht richtig, da ihm gerade ein anderer Gedanke kam. Einer, der ihm überhaupt nicht gefiel.

„Was ist eigentlich mit deinen PSI-Kräften?“, wollte er mit einem finsteren Blick wissen.

„Die habe ich natürlich wie jeder Vampir. Meine Brüder beherrschen sie zwar besser, aber sie sind ja auch älter.“ Songlian sah ihn unsicher an. „Wieso schaust du mich so an?“

„Aber du bist ebenfalls telepathisch veranlagt, richtig? Und du könntest jemanden Dinge tun lassen, die derjenige eigentlich nicht wirklich tun würde, aye?“, hakte Far nach.

Songlian wich seinem Blick aus. „Das könnte ich schon …“

„Hast du das an mir ausprobiert, Walker? Habe ich daher zugestimmt, dass du bei mir wohnst?“ Fars Stimme war lauter und wütender geworden.

Songlian schüttelte heftig den Kopf.

„Das würde ich nie wagen. So eine bodenlose Unterstellung!“, fauchte er. „Aber ich kann auch gerne in meiner derzeitigen Behausung bleiben, wenn dir die Vorstellung so gar nicht zusagt.“

Far starrte ihn noch einen Moment lang an. In seinem Gesicht arbeitete es.

„Der Boss will es so“, murmelte er, seufzte und startete den Dodge wieder.

„Können wir wenigstens ein paar von meinen Sachen holen?“, bat Songlian und gab Far eine Adresse. Eine Weile fuhren sie schweigend durch die Straßen.

„Jonathan ist ein netter Kerl“, stellte Songlian fest, als das Schweigen ungemütlich zu werden begann. „Er scheint mir gegenüber gar keine Vorbehalte zu haben.“

„Genau deswegen sitzt er im Büro. Jon würde einem Dämon sofort die Hand reichen, wenn der nur lächelt. Er ist sehr vertrauensselig. Aber du hast recht. Er ist ein netter Kerl. Sag mal, sind wir hier wirklich richtig?“ Sie hielten vor einem Appartementhaus. Far schaute ein wenig überrascht an der schmutzigen Fassade empor. Irgendwie hatte er sich Songlians Heim etwas stilvoller vorgestellt.

„Hast du gedacht, ich nächtige in einem Sarg, der mitten in einer Friedhofsgruft steht?“

Far zuckte mit den Schultern.

„Zuerst habe ich ja wirklich mit dieser nostalgischen Wohnidee geliebäugelt. Aber wenn man erst einmal den Kühlschrank mit den Blutkonserven im Sarg stehen hat, bekommt man den Deckel so schlecht zu“, erklärte Songlian mit einem völlig ernsten Gesicht.

„Jetzt bekomme ich auch noch einen Komiker zum Partner. Sag mir lieber, wo ich hier parken kann, ohne dass in fünf Minuten ein Freak seinen Joint auf meiner Motorhaube raucht.“

„Um die Ecke sind meistens ein paar Parkplätze frei.“

Damit hatte Songlian recht und wenig später folgte ihm Far durch eine massive Tür in ein muffig riechendes Treppenhaus.

„Den Fahrstuhl meide ich immer. Der Geruch da drinnen ist wirklich widerlich. Ich glaube, da pinkelt regelmäßig jemand rein. Aber wir müssen ja bloß in die zweite Etage“, erklärte Songlian. Er stieg Far voran die Stufen hinauf und steuerte dann zielstrebig auf ein Appartement zu. Kurz darauf standen sie in einem einfach eingerichteten Wohnzimmer.

„Hier wohnst du?“

„Hier und an einigen anderen Orten. Manche sind sogar erheblich wohnlicher. Man muss flexibel sein, wenn man von Menschen, Dämonen und Vampiren gejagt wird“, entgegnete Songlian pikiert.

„Nun reg dich nicht gleich auf, nur weil ich dich frage. Schließlich war ich bislang nie in der Bude eines Vampirs.“ Far schaute sich rasch um. In zwei Bücherregalen hatten DVDs und etliche CDs ihren Platz gefunden. Dazwischen hatte jemand wahllos einige Kataloge über Kunst und Antiquitäten, Aktenordner und historische Bildbände gestopft. Ein billiges Sofa, ein niedriger Tisch und ein Fernseher nahmen den Rest des Raumes ein. Eine weitere Tür, durch die Songlian gerade verschwand, führte in das Schlafzimmer. Neugierig folgte ihm Far. Der Vampir kniete vor einer zerschrammten Truhe, klappte sie auf und begann etwas in dem Durcheinander zu suchen.

„Wo warst du so lange?“, ertönte eine nörgelnde Stimme von der Tür her. Mit der DV8 in der Hand fuhr Far erschrocken herum.

„Lass gut sein. Das ist nur mein Mitbewohner“, brummelte Songlian ohne sich umzudrehen und wühlte weiter in seinen Sachen herum. Endlich zog er einen schmalen, blauen Ordner aus einem Versteck in den Tiefen der Truhe hervor, den er hastig in eine Tasche stopfte.

„Bringst du neuerdings deine Mahlzeiten mit hierher?“ Ein junger, hübscher Mann trat auf sie zu und sah Far abschätzend an. Braunes Haar fiel ihm in weichen Locken über die Ohren. Große, grüne Augen beherrschten ein fein geschnittenes Gesicht.

„Rede keinen Unsinn, Phil“, tadelte ihn Songlian, der mittlerweile Kleidungsstücke in seine Tasche stopfte.

„Keine Mahlzeit? Ist das dann dein neuer Lover?“

Far sah einen irritierten Moment lang zu Songlian hinüber und starrte schließlich verärgert den jungen, patzigen Mann an, der langsam weiter auf ihn zutrat. Unwillkürlich wich Far einen Schritt zurück und hob die DV8, die er schon gesenkt hatte, wieder an. Der Fremde erkannte die Waffe, die nur Mitglieder der Einheit trugen.

„Oh Himmel! Du bringst einen von der SEED hierher? Songlian, was soll das denn?“

Der Vampir hatte inzwischen seine Tasche fertig gepackt und öffnete nun die quietschenden Türen eines Schrankes, in dem verschiedene Waffen hingen.

„Das ist mein neuer Partner, Phillip. Ich ziehe bei ihm ein. Du kannst hier bleiben …“

„Was? Was denn für ein Partner? Willst du mir etwa weismachen, du wärst jetzt bei der SEED? Und du ziehst auch noch sofort aus?“ Songlians Mitbewohner sah den Vampir fassungslos an.

„Mach jetzt keine Szene, Phil“, fauchte der.

„Ist das etwa dieser Baxter, von dem du dauernd geredet hast?“

Songlian nickte nur. Phillips Blicke in Fars Richtung waren nun eindeutig feindselig. Der steckte die DV8 wieder ein und sah zwischen Mensch und Vampir hin und her. Eine dumpfe Ahnung beschlich ihn. Dieser Blutsauger und sein Mitbewohner waren doch nicht etwa … Sein Blick fiel auf das breite, sauber bezogene Bett, ehe er wieder diesen Phillip musterte. Der verfolgte inzwischen mit sichtlich beleidigter Miene, wie sich Songlian einen Dolch in den Stiefel steckte, mehrere Wurfdolche in seinen Gürtel schob und in eine Waffenscheide schlüpfte, die ihm auf dem Rücken hing. Dort hinein schob er zwei schlichte Krummsäbel. Gleich darauf schien er etwas in dem Schrank zu suchen. Auf einmal wurde es Far schwindlig. Er schwankte.

„Hey, Songlian. Deine Mahlzeit scheint ja total besoffen zu sein“, hörte er wie aus einem dicken Nebel die Stimme von Songlians Mitbewohner. Er stützte sich an der Wand ab.

„Mir tut nur der Kopf weh“, knurrte er und kämpfte gegen den Schwindel an. Auf einmal war der Vampir an seiner Seite und packte ihn unter der Achsel.

„Du bist ganz blass, Baxter“, bemerkte er.

„Helfen die Tabletten nicht?“

„Toller neuer Partner“, spottete Phillip.

Far ignorierte ihn, presste eine leicht zitternde Hand gegen die juckende Stirn und stöhnte leise.

„Baxter?“, hörte er Songlians Stimme dicht an seinem Ohr.

Far atmete einmal tief durch, lehnte sich aber mit dem Rücken gegen eine Wand. Ihm war schlagartig kalt geworden. Bernsteingelbe Augen musterten ihn ernst.

„Was willst du von diesem Kerl? Bist du verrückt, So-lian?“