Bo - Rainer Merkel - E-Book

Bo E-Book

Rainer Merkel

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Beschreibung

Ein Roman wie ein Abenteuer. Ein Buch fürs Leben. Eigentlich sollte Benjamin von seinem Vater abgeholt werden. Aber stattdessen steht der 12-Jährige mitten in der Nacht allein am Flughafen von Monrovia. Ohne Pass und Gepäck, aber mit einem fremden Mantel, in dessen Taschen dicke Geldbündel stecken. Auf dem Weg in die Stadt kann er einigen zwielichtigen Gestalten gerade noch entkommen und steht plötzlich vor dem gleichaltrigen Bo und der verwöhnten Brilliant. Haben die ihn schon erwartet? Rainer Merkel, dessen letzter Roman auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, erzählt uns mit waghalsiger Leichtigkeit eine Reise durch die afrikanische Welt und das Erwachsenwerden. Auf der Suche nach seinem Vater erlebt Benjamin ein mitreißendes Abenteuer fürs Leben.

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Seitenzahl: 915

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Rainer Merkel

Bo

Roman

Fischer e-books

Für meine Mutter

I.Tausch

1.

Jetzt konnte Benjamin nicht länger warten. Er musste noch ein Stück weiterkriechen. Ein kleines Stück nur, er konnte den Zipfel der Tüte schon sehen. Direkt unter den Füßen der alten Frau. Einer ihrer Füße steckte in den blauen Woll-socken, die die Fluggesellschaft den Reisenden zur Verfügung gestellt hatte. Ihr blauer Fuß hielt die blaue Papiertüte fest, in der sich der Abschiedsbrief seiner Mutter und der hässliche khakifarbene Sommerhut befanden, den seine Mutter ihm am Flughafen in Frankfurt in letzter Sekunde gekauft hatte. Er musste also nur an der Tüte ziehen. Er musste nur noch ein kleines Stück weiterkriechen. Niemand sah ihm zu. Die Reisenden schliefen. Er kroch auf der Suche nach seiner Tüte zwischen den Stuhlreihen herum. Er hatte erst unter den hinteren Sitzreihen gesucht, dort, wo eigentlich niemand saß. Irgendwo musste die Tüte ja sein. Es war typisch für seine Mutter, dass er mit einer Papiertüte reisen musste. Seinen Rucksack hatten sie zu Hause vergessen, aber einen neuen wollte sie ihm nicht kaufen. Sie hatte ihm einfach die blaue Papiertüte gegeben, in der sich ein Pullover befand, den sie sich gekauft hatte, und in aller Eile seine Sachen, seinen Sonnenhut und den Abschiedsbrief hineingestopft. Benjamin war eingeschlafen. Als er aufwachte, war die Tüte weg. »Was steht in dem Abschiedsbrief drin?«, hatte er seine Mutter gefragt.

»Frag deinen Vater«, hatte sie gesagt. »Er ist für ihn, nicht für dich.«

Sein Vater würde ihn abholen. Er würde seinen Vater in wenigen Stunden am Flughafen in Monrovia begrüßen, und dann sollte er ihm einen Brief geben, in dem seine Mutter Auf Wiedersehen sagte.

»Ich sage Auf Wiedersehen zu ihm«, hatte seine Mutter erklärt. »Aber du wirst bestimmt eine schöne Zeit dort haben. Sollen wir wetten?«

 

Die Tüte war weg. Es war eine blau glänzende, eigentlich sehr elegante Tüte, auf der in großer, goldener Schrift ZARA stand. Benjamin lief zuerst durch den schmalen Gang zwischen den Sitzreihen zum hinteren Ende des Flugzeugs. Es dröhnte und summte in seinen Ohren. Durch die kleinen, ovalen Fenster konnte man nichts sehen. Es war schwärzeste Nacht. Als er auf den Sitzen nichts gefunden hatte, durchsuchte er die Gepäckfächer. Das war nicht einfach. Er musste auf die Sitze steigen, um die Klappen zu öffnen. Auch die Stewardessen schienen zu schlafen, jedenfalls war keine von ihnen zu sehen. Hatte irgendjemand seine Tüte in einem der Gepäckfächer verstaut? Die Gepäckfächer sahen wie Mäuler aus. Große Mäuler von Tieren, die ins Flugzeug hineingekrochen waren und jetzt um einen leckeren Happen bettelten. Und all diese Mäuler waren leer. Er öffnete nacheinander alle Gepäckfächer im hinteren Teil des Flugzeugs, sie waren alle leer.

»Und warum willst du ihm Auf Wiedersehen sagen?«, hatte er seine Mutter gefragt.

»Weil ich genug von ihm habe«, hatte sie ihm geantwortet und ihm über die Haare gestrichen, als wollte sie sich bei ihm dafür entschuldigen, dass sie seinem Vater Auf Wiedersehen sagen musste. Jetzt aber war der Abschiedsbrief nicht mehr da. Benjamin suchte unter den Sitzen weiter. Er kroch den schmalen Gang zwischen den Sitzen entlang und tastete den Boden ab. Er war jetzt auch ein Tier, wenn auch ein kleines und stummes, das von niemandem gesehen werden durfte. Zum ersten Mal in seinem Leben flog er allein mit dem Flugzeug. Und auch in Afrika war er noch nie gewesen.

 

»Warum ist denn deine Mutter nicht mitgekommen?«, hatte die alte Frau gefragt, die neben ihm saß. Benjamin wusste nicht, was er antworten sollte. Er wollte irgendetwas sagen, er wollte sie anlügen und eine Geschichte erzählen, damit sie ihn in Ruhe ließe, aber ihm fiel keine Geschichte ein.

»Sie sagt eben Auf Wiedersehen.«

»Wer?«

»Meine Mutter. Sie hat mich geschickt, um ihm einen Brief zu geben.«

Die alte Frau schüttelte den Kopf. Sie war so alt, dass sie schon Enkelkinder haben musste, und bevor sie eingeschlafen war, hatte sie den alten, grauen Mantel mit dem Fischgrätenmuster auf ihren Beinen ausgebreitet, und dann waren nur noch ein paar komische Geräusche aus ihrem Mund gekommen. Benjamin hatte sie ganz fasziniert angestarrt, bis auch er eingeschlafen war. Aber warum hatte sie nur eine Socke an? Sie hatte die Schuhe ausgezogen und umständlich und langsam die Socken angezogen, die ihnen die Stewardessen in kleinen Plastiksäckchen überreicht hatten. Benjamin hatte auch Socken bekommen, sie aber in die Papiertüte gesteckt. Jetzt bekam er kalte Füße. Seine Schuhe standen unter seinem Sitz, er kroch langsam auf den blauen, wollenen Fuß der alten Frau zu. Der andere Fuß steckte noch in ihrem Schuh. Sie hatte also nur eine Socke angezogen, und mit dieser Socke stand sie jetzt auf seiner ZARA-Tüte, dem Sonnenhut, der furchtbar hässlich war, dem Pullover, den seine Mutter wieder umtauschen wollte, aber samt Quittung in der Tüte vergessen hatte, der herabgesetzt und trotzdem, wie seine Mutter fand, viel zu teuer gewesen war, und dem Abschiedsbrief, auf dem in krakeliger Schrift »Dr. Franz Pingel« stand, mit einem verwischten und eigentlich unleserlichen »Ping«. Denn seine Mutter hatte sich in der Eile seinen Füllfederhalter ausgeliehen und vergessen, dass die Tinte erst trocknen musste.

»Hast du einen … Tintentod?«, hatte ihn seine Mutter gefragt.

»Einen … Was?«, fragte Benjamin.

»Verstehst du nicht? Einen Tintenkiller?«

Er sah sie verständnislos an, und während er durch die Sicherheitsschleuse ging und sich nach seiner Mutter umdrehte, sah er, wie sie sich mit großen, aufgerissenen Augen an die Schultern fasste und mit ihrem Mund das Wort »Pullover« formte. Benjamin rechnete damit, dass sie ihm hinterherlaufen und ihn dazu zwingen würde, ihr den Pullover und die Quittung zuzuwerfen, während Hunderte von ungeduldigen Reisenden auf ihre Abfertigung warteten. Aber er schüttelte schnell den Kopf und formte mit seinem Mund die Worte »Ich weiß«, und dann: »Ich bringe ihn wieder mit.« Seine Mutter, er war sich darüber nicht ganz sicher, formte die Worte: »Aber die Quittung« oder »Vergiss die Quittung nicht!« Im Lippenlesen hatten er und seine Mutter eine große Meisterschaft entwickelt. Angefangen hatte es, als sich seine Mutter und sein Vater, wann immer sie sich sahen, und das war selten genug, nur noch anschrien, weswegen seine Mutter ihm zwischendurch zuflüsterte, dass er keine Angst haben oder besser gehen solle. Oft formte sie mit den Lippen dann nur noch die Worte »Geh jetzt besser«, und dann verließ Benjamin den Raum. Wie an Weihnachten vor zwei Jahren, das sie an der Ostsee verbracht hatten, als sein Vater seiner Mutter erklärt hatte, dass sie das Haus verkaufen müssten, weil seine Mutter so viele Schulden gemacht habe. »Vergiss die Quittung nicht«, formte ihr Mund, und sie griff sich immer wieder an die Schultern und faltete dann die Arme frierend zusammen, als wollte sie ihm noch einmal klarmachen, dass er jetzt drauf und dran war, einen zwar herabgesetzten, doch noch viel zu teuren Kaschmirpullover von ZARA mit nach Afrika zu nehmen, wo es, wie sein Vater gesagt hatte, so heiß war, dass man am besten nackt rumlaufe.

»Ich möchte mir einmal was Gutes tun«, hatte seine Mutter gesagt, als sie auf dem Weg zum Flughafen den Pullover kaufte. »Jetzt, wo ich von dir Abschied nehmen muss.«

»Aber ich komm doch zurück«, hatte er gesagt.

»Natürlich kommst du zurück«, hatte sie gesagt und ihn schnell umarmt. Aber irgendetwas stimmte nicht. Und es musste mit dem Brief und der Tüte zu tun haben. Benjamin hielt jetzt einen Moment inne, während er auf dem Teppichboden des Flugzeugs herumkroch wie ein Hund, der einen Knochen sucht. Er richtete sich auf. Vielleicht war es besser, wenn er den Brief und die Tüte nicht fand. Vielleicht war es ganz gut, wenn er sie überhaupt nicht mitnehmen würde nach Afrika, mit in die Sommerferien, die er mit seinem Vater in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, verbringen sollte, um endlich zu sehen, was sein Vater den ganzen Tag machte und wie er so lebte. Aber dann fielen ihm die hundert Dollar ein. Sie waren auch in der Tüte, und auf die hundert Dollar konnte er nicht verzichten.

 

»Ich hole dich ab«, hatte sein Vater am Telefon gesagt. »Wenn irgendwas schiefgeht, hast du die hundert Dollar.« Sein Vater hatte sie ihm schon an Weihnachten gegeben und ihm eingeschärft, seiner Mutter nichts davon zu sagen: »Es sind deine hundert Dollar, und du brauchst sie, wenn du mich besuchst. Wenn irgendwas schiefgeht.« Benjamin hatte die fünf Zwanzig-Dollar-Noten so zusammengerollt, dass sie wie eine Zigarette aussahen, dann ein Gummi darumgewickelt und sie in sein Federmäppchen gesteckt, das auch in der Tüte war. Im Federmäppchen waren sein Füllfederhalter und zwei Ersatzpatronen, um die seine Mutter auch Gummibänder gewickelt hatte, obwohl Benjamin das nicht leiden konnte und Gummibänder eigentlich hasste, und vor allem die seiner Mutter. Bevor sein Vater ihm ein ledernes Federmäppchen von seiner letzten Arbeitsstelle im Kongo mitgebracht hatte, hatte seine Mutter ihn eine Zeitlang davon zu überzeugen versucht, dass es ausreichte, wenn er seine Stifte für die Schule mit Gummis zusammenband und einfach in die Schultasche steckte, damit sie das Geld für ein neues Federmäppchen sparen konnten. So war seine Mutter. Sie kaufte Kaschmirpullover und vergaß sie in Papiertüten, in die sie Sonnenhüte und Sonnenmilch stopfte, weil sie Angst hatte, er könnte sich in der heißen afrikanischen Sonne verbrennen. Das Federmäppchen war auch in der Tüte. Also war der Füllfederhalter auch weg, und die Ersatzpatronen ebenfalls. Benjamin kroch weiter. Die blaue Socke der alten Frau thronte auf der Tüte wie ein blauer Elefant. Benjamin tastete sich vorwärts. Er streckte seine Hand aus. Der blaue Elefantenfuß zuckte ein bisschen. Benjamin zog an der Tüte, doch dann hatte er bloß die Folie, in der die Schlafdecken eingewickelt waren, in der Hand. Die alte Frau schreckte auf. Benjamin zog die Hand zurück. Er knüllte die Plastikfolie zusammen und kroch behände wie eine Katze zurück in die Reihe hinter seinem Sitz. Die alte Frau hustete.

 

»Was machst du denn da unten?«, fragte sie. Benjamin hustete auch. Husten, das war jetzt vielleicht das Beste, was man tun konnte.

»Nichts«, sagte er. Aber das war keine gute Antwort. Er hatte sich geirrt. Sie hatte die Tüte nicht. Vielleicht könnte er sie aber fragen, ob sie sie gesehen hatte. Die alte Frau stützte sich auf den Armlehnen auf, er konnte ihre alten, knochigen Hände sehen, wie sie bei ihrem Versuch, sich aufzurichten, zitterten. Als sie sich zu ihm drehte, sah er für einen Moment ihre wirren, weißen Haare im Schein der kleinen Leselampe. Sie sah aus wie eine Hexe. Nicht wie ein Elefant. Und er selbst war keine Katze, sondern von allen guten Geistern verlassen, wie sein Vater manchmal sagte, wenn er eine Erklärung dafür suchte, warum seine Frau zwanzig verschiedene Kaschmirpullover besaß, die sie nie anzog, damit die Pullover nicht kaputtgingen, während sie auf dem Bankkonto ein fettes Minus hatte, oder, wie sein Vater sagte, ein großes schwarzes Loch.

»Sie ist von allen guten Geistern verlassen«, hatte sein Vater am Telefon gesagt, »aber ich liebe sie. Warum kommt sie nicht mit? Sie hat mir versprochen, dass sie mitkommt.«

»Ich überrede sie«, hatte Benjamin gesagt.

»Versprochen?«

»Ja, versprochen«, hatte er gesagt, aber es hatte nicht geklappt. Stattdessen hatte sie ihm einen Abschiedsbrief mitgegeben. Und der war jetzt hier irgendwo in diesem Flugzeug, mit dem er nach Liberia flog, mitten in der Nacht.

Die großen, grauen Augen der alten Frau schauten ihn skeptisch an.

»Hast du geschlafen?«, fragte sie. Benjamin schüttelte den Kopf. Vielleicht sollte er ihr von der Tüte erzählen, ihr erklären, wie wertvoll die Tüte war oder das, was sich in ihr befand. Vielleicht hatte sie sie ja versehentlich eingesteckt. Aber dann traute er sich nicht. Und wozu auch? Außerdem schämte er sich, dass er, wie seine Mutter, ständig alles verlor.

»Komm, setz dich zu mir«, sagte die alte Frau mit ihrer eigenartigen mädchenhaften Stimme. Sie stopfte sich einen Keks in den Mund. Ihre knochige Hand winkte ihm zu. »Komm.« Sie duldete keinen Widerspruch. Benjamin zwängte sich an ihr vorbei und setzte sich auf seinen Platz neben dem Fenster.

»Wo waren wir stehengeblieben?«, fragte sie. Sie hatte ihm schon ihr ganzes Leben erzählt, schon in den ersten zwei oder drei Stunden nach dem Start. Und da hatte die Tüte noch zwischen seinen Füßen gelegen. Sie hatte ihm alles erzählt. Ihr Mann war Botschafter von Liberia gewesen, und sie hatte zwei Söhne, die aber beide tot waren. Ihr Mann war auch tot, eigentlich waren alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, gestorben.

»Die Leute reden mich immer noch mit Frau Botschafterin an«, sagte sie. »Aber wenn ich in Deutschland bin, kennt mich niemand. Weißt du, dass ich dort niemanden habe?« Sie beugte sich zu ihm herunter und grinste. Er verstand nicht, warum sie grinste. Sie deckte sich mit ihrem Mantel die Beine zu, aber dann wurde es ihr wieder zu warm, sie nahm den Mantel und legte ihn auf den Boden zu ihren Füßen. »Was hast du denn in der Tüte?«, hatte sie ihn gleich am Anfang gefragt. Sie hatte in ihrer kleinen, silbernen Handtasche nach ihrem Kamm gesucht, um sich die Haare zu kämmen. »Hilfst du mir, meinen Kamm zu suchen?«, fragte sie und gab ihm die silberne Handtasche. Sie hatte zwar eine Brille auf, aber sie sah nichts mehr. »Eigentlich bin ich blind«, erklärte sie, und dann grinste sie ihn wieder an. Benjamin nahm die Tasche und suchte nach dem Kamm. Es dauerte eine Weile, bis er ihn gefunden hatte. Es war ein großer Metallkamm. Er gab ihn ihr, und dann hatte sie sich die Haare gekämmt.

»Wo waren wir stehengeblieben?«, fragte sie jetzt wieder, während sie auf ihrem Sitz herumtastete, um die zweite blaue Socke zu suchen. »Habe ich dir schon von meinen Enkelkindern erzählt?« Benjamin schüttelte den Kopf. Er sah die blaue Socke. Sie steckte in der Gepäcktasche direkt vor ihm. Er griff nach ihr, und auf einmal hatte er eine Idee, wo die Tüte mit dem Abschiedsbrief sein konnte. Es war eine Idee, die ihn beruhigte und gleichzeitig beunruhigte.

»Kann ich kurz aufstehen?«, fragte er.

»Du willst aufstehen?«, fragte die Botschafterin. Sie legte ihre knochige Hand auf seinen Unterarm. Die Hand war auf einmal so schwer wie ein Stein.

»Ja, ich wollte nur … Ich suche meine Tüte. Ich glaube, ich habe sie auf der Toilette vergessen.«

»Nein, das geht jetzt nicht.« Sie schüttelte ihren Kopf. Ihre schlohweißen, strubbeligen Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie muss sie wieder kämmen, dachte Benjamin. »Du bleibst schön hier. Du lässt mich jetzt doch nicht allein.« Benjamin nickte. Er drehte sich um. Er würde die Tüte später holen, dachte er, solange sie noch in der Luft waren, konnte ja nichts passieren. Er versuchte sich zu beruhigen.

»Soll ich dir sagen, wie sie heißen?«

»Wer?«

»Meine Enkelkinder … Weißt du, dass eines meiner Enkelkinder Brilliant heißt?« Sie kicherte. »Und das andere heißt Sternchen. Und dann habe ich noch eins … ja … das heißt Gemütlich.« Sie lachte. »Natürlich auf Englisch.«

Benjamin nickte.

»Kannst du Englisch?«

»Ja«, sagte Benjamin. Er sprach sehr gut Englisch, das lag an seiner Mutter. Seine Eltern hatten sich immer darüber gestritten, ob sie zu Hause Englisch oder Deutsch sprechen sollten, als er noch in Donnybrook, im Süden Dublins, auf die Schule gegangen war. Sein Vater war für Deutsch, seine Mutter war für Englisch.

»Das ist ja toll«, sagte die Botschafterin, die aus Wuppertal kam, aber die meiste Zeit ihres Lebens in Liberia gelebt hatte, »dann sprechen wir von jetzt an auf Englisch weiter.«

Benjamin dachte an seine Tüte. Er dachte auf einmal: Wenn ich sie finde, dann nehme ich den Brief und mache ihn auf. Er schaute die alte Frau an. Sie fuhr sich selbstverloren mit den knochigen Fingern durch die langen, weißen Haare. Es sah so aus, als bildeten ihre Finger einen Kamm. Sie erzählte von ihren Enkelkindern, ihren komischen Namen und wie sie alle im Haus ihrer Schwiegertochter auf dem Boden liegen und schlafen würden, denn die afrikanischen Kinder schliefen überall da, wo es ihnen gerade gefiel.

»Aber ich schimpfe dann immer mit ihnen. Sie liegen einfach auf dem Steinboden, und das ist doch viel zu kalt. Ich hab schon gedacht, dass du auch ein afrikanisches Kind bist, als ich dich da eben auf dem Fußboden gesehen habe.«

»Ich hab nicht auf dem Fußboden gelegen«, protestierte Benjamin.

»Wie alt bist du denn?«, fragte sie.

»Vierzehn«, sagte er schnell, aber das war gelogen, und er wunderte sich, wie er auf einmal ganz leicht und ohne Anstrengung lügen konnte.

»Und dann darfst du schon ganz allein reisen?«

»Ab zwölf darf man das schon«, erklärte er ihr feierlich. Seine Mutter hatte sich eigens erkundigt. Mit zwölf war es erlaubt, und schließlich war er vor ein paar Monaten dreizehn geworden.

»Und dann lassen sie dich ganz allein nach Liberia fliegen?«

»Ganz allein«, erwiderte er stolz.

»Und du bist wirklich schon vierzehn?«, fragte sie. Sie sah ihn von der Seite an.

»Ich bin gerade vierzehn geworden«, sagte er und überlegte, ob er nicht doch besser die Wahrheit sagen sollte. Irgendetwas veränderte sich. Irgendetwas fühlte sich ganz komisch an.

 

Und dann fiel ihm sein Pass ein. Sein Pass war auch in der Tüte. Sein Reisepass. Ausgestellt auf den Namen Benjamin Pingel-Greenhammer. Ein Name, den man auf den Schulhöfen dieser Welt besser nicht zum Besten gab. Jetzt bekam er es auf einmal mit der Angst zu tun. Ohne Pass würde er ja gar nicht in das Land hineinkommen. Ohne Pass würden sie ihn gleich wieder zurückschicken. Er musste aufstehen, er musste zur Stewardess.

»Ich muss jetzt wirklich …«, sagte er. »Ich muss meine Tüte holen.«

»Wie kann man denn so ungeduldig sein«, beklagte sich die alte Frau. »Wir Deutschen sind einfach zu ungeduldig. Du bist ja auch schon so. Wir unterhalten uns doch gerade.«

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

»Du kannst deine Tüte auch später holen«, sagte sie.

Er war schon halb aufgestanden. Jetzt setzte er sich wieder hin. Er hörte ihr zu. Er hörte die Stimme der alten Frau, wie sie von ihrem erstgeborenen Sohn erzählte und wie der damals, als ihr Mann noch gelebt hatte, im Auftrag des liberianischen Präsidenten nach Amerika geflogen war, um ein Flugzeug zu kaufen.

»So war das damals«, sagte sie und kämmte sich mit ihren langen Fingern die Haare. Im Licht der Leselampe konnte Benjamin die bräunlichen Altersflecken auf ihrer Hand sehen. Er starrte die Hand an. Er dachte an seine Tüte, den Abschiedsbrief, den Pass, das Geld und den Sonnenhut. Wenn man genau hinschaute, sahen die braunen Flecken so aus, als würde im Inneren der Hand ein Käfer hocken, der mit seinem trompetenartigen Rüssel das Blut aufsaugte und dann wieder ausspuckte, so dass auf der Hautoberfläche überall, wo er hingespuckt hatte, braune Flecken waren. Benjamin starrte auf die Hand der alten Frau. Er ekelte sich ein bisschen.

»Der Präsident hatte damals kein eigenes Flugzeug«, erklärte die alte Frau. »Und mein Sohn sollte eins kaufen.«

Benjamin drehte sich um. Er musste die Tüte finden, bevor das Flugzeug zur Landung ansetzte. Jeden Moment konnte die Ansage kommen, dass sie sich anschnallen mussten, und dann durfte man nicht mehr aufstehen.

»Und was macht mein Sohn? Er setzt sich ins Flugzeug, fliegt nach Amerika und kauft die Maschine.« Sie breitete ihre Hände aus, als wären sie Tragflächen.

»Und jetzt ist er tot?«, fragte Benjamin.

»Er ist bei einem Verkehrsunfall gestorben«, sagte sie beinahe etwas stolz. »Aber nicht in Liberia, sondern in Deutschland.« Sie schüttelte den Kopf. »In Liberia kann man nicht sterben.«

»Wieso?«

»Wieso?« Sie lachte. »Na, weil man in Liberia nicht sterben kann. Wusstest du das nicht? Sieh mich doch an, warum, glaubst du, fliege ich immer wieder zurück? Warum lebe ich noch immer in diesem heißen, schrecklichen Land?« Sie beugte sich zu ihm herunter. Er bemerkte einen etwas komischen Geruch. Sie roch wie ein Schrank, wie ein alter Schrank, in dem viele Kleider hingen, die niemand mehr tragen wollte.

»Wirklich?«, fragte Benjamin.

»Ganz bestimmt«, sagte sie. »Es ist unmöglich. Solange du weiß bist.« Sie strich sich eine Haarsträhne zurück. »Weiß musst du schon sein.« Sie grinste und schaute ihn an. »Du bist doch weiß, oder?« Das Licht fiel auf ihre magere Nase, die so aussah, als könnte sie jederzeit abbrechen und ihr aus dem Gesicht fallen.

»Du bist sehr weiß«, flüsterte sie, hob ihre rechte Hand und fuhr ihm vorsichtig über die Schläfe. »Du siehst aus wie mein erstgeborener Sohn.« Benjamin schauderte es.

»Ich hab ein Geschenk.« Sie beugte sich vor. »Wo ist meine Tasche?« Sie griff nach ihrer Reisetasche, die sie auf den freien Sitz neben sich gestellt hatte. Benjamin glaubte auf einmal seine Tüte zu sehen, aber das konnte unmöglich sein, sie würde sie doch nicht so einfach in ihre Tasche stecken. Wahrscheinlich täuschte er sich. Er sollte vielleicht lieber schlafen, wenn er so müde war.

»Ich zeige es dir.« Sie kramte in ihrer Tasche herum und holte einen Gummiball heraus. »Hier«, sagte sie, »probier mal aus.«

Benjamin nahm den Gummiball und betrachtete ihn.

»Du musst aufstehen. Los!«

Er stand auf und ging auf den Gang.

»Und jetzt«, sagte sie, »lass ihn fallen und mach die Augen zu.« Sie war ganz aufgeregt, ihre Augen leuchteten, ihr ganzes Gesicht vibrierte. Und als Benjamin den Ball fallen gelassen hatte und die Augen wieder öffnete, sah er, was sie gemeint hatte. Der Gummiball tänzelte vor seinen Augen durch den Gang im Halbdunkel des Flugzeugbauches, und jedes Mal, wenn er den Boden berührte, leuchtete er in zahllosen Farben auf und erstrahlte wie eine große magische Kugel. Er leuchtete violett, grün und rot und orange. Die Farben zuckten und tanzten vor ihm, als würden Hunderte von Sonnen auf- und untergehen, und Benjamin beobachtete, wie der Ball durch den Flugzeugbauch sprang und sich immer mehr entfernte. Die Maschine neigte sich etwas. Mit Schrecken dachte Benjamin, dass sie in Kürze landen würden. Er hörte ein Knistern in den Lautsprechern und schaute gebannt dem leuch-tenden Ball hinterher, wie er auf- und abspringend durch den Gang tanzte.

»Los«, flüsterte die alte Frau, »hinterher. Bring ihn mir zurück.«

2.

Der Ball verschwand, er schlug mehrmals auf, machte einen gewaltigen, unerwarteten Sprung und rollte dann, ohne dass die Botschafterin oder Benjamin ihn noch einmal zu Gesicht bekamen, unter den Sitzen entlang weiter durch das Flugzeug, an allen Sitzreihen vorbei bis in die erste Klasse hinein, wo er durch die Beine der Stewardess, die gerade einem Mann mit einer goldenen Brille Tomatensaft servierte, weiter bis zum Sitz mit der Nummer 21c rollte und dort schließlich liegen blieb. Über Lautsprecher wurden die Reisenden aufgefordert, ihre Sitzplätze einzunehmen und sich anzugurten, da die Landung in Monrovia kurz bevorstand. Das Mädchen in Sitz Nummer 21c drehte sich um. Brilliant Hope Gweni-gale-Johnson, sie hätte eine der Enkeltöchter der Botschafterin sein können, sah den Ball, sah ihn, wie er erloschen, grau, aber noch geheimnisvoll neben ihr auf dem Boden lag. Sie überlegte einen Moment, dann löste sie ihren Gurt, sprang auf und schnappte sich den Ball. Sie stopfte ihn ganz schnell in ihr kleines, samtenes Kopfkissen hinein. Es war ein silbernes Kopfkissen, das Brilliant Hope Gwenigale-Johnson immer mit sich herumtrug und dessen Bezug jeden Tag gewaschen werden musste, damit das Kissen immer wieder aufs Neue nach Zimt und Oleander roch, denn damit sprühte ihre Großmutter das Kissen ein, bevor Brilliant ihr Köpfchen auf ihm betten konnte. Es hatte einen Reißverschluss, und der Ball verschwand in ihm, als hätte er nie existiert.

 

Brilliant machte sich keine Gedanken, woher der Ball kam. Es war eben ein Gummiball, ein Geschenk von irgendwoher, etwas, das sich jemand für sie ausgedacht hatte, denn sie bekam viele Geschenke, und es wunderte sie deswegen nicht, dass ihr ein Geschenk einfach so vor die Füße rollte und sie noch nicht einmal Danke schön zu sagen brauchte. Sie hatte eine Reihe ganz für sich allein, sie saß nicht gerne neben ihrem Onkel, und am allerwenigsten mochte sie es, wenn ihr Onkel schnarchte. Das tat er mehr oder weniger immer, wenn sie im Flugzeug saßen. Brilliant Hope Gwenigale-Johnson. Hope, das hieß Hoffnung. Gwenigale, das hätte man auch übersetzen können, aber Brilliant hatte die Bedeutung des Namens vergessen. Sie lebte in Amerika, ihre Familie hatte das Land wegen des Bürgerkriegs schon vor vielen Jahren verlassen, und ihr Onkel, der in Liberia geblieben war, besuchte sie ab und zu. Jetzt, da ihr fünfzehnter Geburtstag bevorstand, sollte sie endlich das Geburtsland ihrer Mutter kennenlernen, und dafür war ihr Onkel eigens nach Amerika geflogen, um sie abzuholen. Es spielte keine Rolle, wie viel das kostete. Es war so, wie wenn andere Leute einen Bus nahmen oder sich ein Taxi riefen, so stieg ihr Onkel ins Flugzeug und flog über den Atlantischen Ozean, um sie zu holen. Der Ball bildete einen kleinen Knubbel in ihrem Kopfkissen. Sie würde es schnell in ihren Rucksack stecken, der auch silbern war und dem sie einen Namen gegeben hatte, wie sie überhaupt allen Dingen, die ihr gehörten, Namen gab. Auch Dingen, die ihr nicht gehörten, gab sie manchmal Namen. Sie tat dies, weil sie sich langweilte und weil sie, wenn sie Dingen einen Namen gab, sie in etwas anderes verwandelte. Und so hieß ihr Kissen Justin Timberlake, und ihre Schuhe hießen Kanye West, jedenfalls ihre Wanderschuhe, die schweren kamelfarbenen Wildlederschuhe, die sie jetzt trug, weil man ihr gesagt hatte, Liberia sei sehr dreckig, voller Scherben und spitzer Steine, gefährlicher Löcher, und überhaupt dürfe man auf keinen Fall barfuß laufen, schon gar nicht nachts. Aber Brilliant würde sicherlich nicht viel herumlaufen. Die meiste Zeit würde ihr ein Fahrer zur Verfügung stehen, und sie würde letztendlich, wie ihr Onkel ihren Großeltern, die sich um sie kümmerten, versichert hatte, das Haus möglichst überhaupt nicht verlassen, weil es viel zu gefährlich war.

 

»Du siehst zwar aus wie eine Liberianerin«, hatte ihr Onkel gesagt, »aber du bist eigentlich keine. Schließlich bist du unsere Prinzessin, und wenn dir irgendetwas auf der Straße passiert, und sei es nur, dass dich irgendein doofer Hund anbellt, bricht es deinen Großeltern das Herz.« Dann war er wieder eingeschlafen. Brilliant schaute Filme mit einem kleinen tragbaren DVD-Player oder stocherte mit einer Nadel in ihrem silbernen Kissen herum, was eigentlich nicht sehr sinnvoll war. Aber Brilliant tat das manchmal. Sie machte die Sachen, die ihr gehörten, einfach kaputt, aber warum sie das tat, das wusste sie selbst auch nicht so genau.

»Ist da nicht gerade ein Ball durch die Luft geflogen?«, hörte sie ihren Onkel hinter sich. Er schlürfte seinen Tomatensaft.

»Was für ein Ball?«, fragte sie.

»Na ein Ball, mein Kind.« Er räusperte sich.

»Weiß ich doch nicht. Wann landen wir eigentlich?«

»Gleich, mein Liebes.«

»Soll ich jetzt Kanye West anziehen?«

»Wie bitte?«, fragte der Onkel.

»Meine Schuhe, du Schlauberger. Wir landen doch gleich.«

Ihr Onkel schüttelte den Kopf. »Ich trage dich, mein Liebes. Du tust keinen Schritt mehr. Es ist mitten in der Nacht. Ich trag dich zum Wagen, und morgen früh wachst du dann im Coconut Jungle auf.« So hieß das Strandhaus ihres Onkels. Aber auf dem Foto, das sie in ihrem Telefon gespeichert hatte, sah es wie eine Hütte im Wald aus. Sie hatte es nur »die Bretterbude« genannt und ihren Onkel gefragt, ob er denn von dort Füchse und Bären schießen wolle, sonst würde sie lieber zu Hause bleiben. Überhaupt war sie schlechter Laune, weil sie gehört hatte, in Liberia würde es die ganze Zeit regnen, und wenn sie eins nicht leiden konnte, dann war es Regen. Davon gab es nicht besonders viel in Kalifornien, und es half auch nichts, dass ihr Onkel ihr einen riesigen, rosafarbenen Regenschirm gekauft hatte, den sie Rosa Riese nannte und in den sie mit einer Nagelschere kleine Schäfchenwolken hineingeschnitten hatte, so dass ein paar Tage später Rosa Riese II vor ihrem Zimmer stand. Rosa Riese II lag jetzt in Folie eingepackt in dem Gepäckfach über ihr, aber sie war entschlossen, ihn einfach im Flugzeug liegen zu lassen. Denn er gefiel ihr nicht mehr, genauso wenig wie ihr durchlöchertes Kissen mit der komischen Beule. Und schon im nächsten Moment, als die Maschine sich mit einem Dröhnen nach unten senkte und dann einen Ruck nach vorne machte, weil sie in irgendeinem Luftloch gelandet war, schleuderte sie es neben sich auf den Boden, so dass ein kurzes, blitzartiges Zucken durch das Kissen ging, als entzündete sich in seinem Inneren ein Feuer. Brilliant erschrak. Ihr Onkel schnarchte, und die Stewardess, die vorbeikam, hob das Kissen auf und legte es ihr in den Schoß.

»Du bist nicht angegurtet. Möchtest du, dass du durch die Luft fliegst?« Brilliant kniff die Augen zusammen. So eine Unverschämtheit, dachte sie, wie spricht die denn mit mir? Prinzessin Brilliant Hope Gwenigale-Johnson schüttelte erbost den Kopf. Die Stewardess griff nach dem Gurt und zog ihn an Brilliants Bauch fest. Das Kissen lag auf dem freien Sitz neben ihr. Sie schaute es an. Irgendetwas war faul an der Sache. Irgendetwas war mit Justin Timberlake passiert. Sie überlegte, ob sie eine Operation vornehmen und ihn in Stücke schneiden sollte. Den Ball würde sie behalten, aber das weiche, flauschige Innenleben von Justin war ihr auf einmal zuwider. Die kleine Nadel hatte sie an Bord geschmuggelt. Sie hatte immer eine kleine Nadel dabei, und diese hatte sie unter einem Pflaster auf ihrem Handrücken versteckt. Sie hieß Miss Marple 21. Oder Miss Marple 22. Es hatte ein bisschen gepiepst bei der Kontrolle am Flughafen, doch Brilliant hatte den Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes mit funkelnden Augen drohend angesehen und war dann einfach weitergegangen. Sie zog vorsichtig das Pflaster von ihrem Handrücken, um Miss Marple freizulassen. Sie sollte sich auf das Kissen, auf Justin Timberlake stürzen.

»Zerhack ihn«, flüsterte Brilliant, obwohl das eine schwierige Aufgabe für eine so kleine Nadel war. Brilliant schaute das Kissen an.

»Na und«, sagte sie zu Justin, »das ist mir doch egal.«

Sie konnte sehen, wie Justin vor Angst den Bauch einzog, denn darauf hatte es Miss Marple zuerst abgesehen. Brilliant schüttelte den Kopf. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Justin war die Reise nicht bekommen, und sie dachte, sie sollte ihm besser eine Lektion erteilen und ihn zusammen mit dem Rosa Riesen im Flugzeug zurücklassen. Sie war jetzt alt genug, sie brauchte kein Kissen mehr. Sie schaute ihn noch einmal an. Er war ihr nicht geheuer, er hatte geblitzt und geleuchtet, als wäre ein magisches Wesen in ihm.

»Bist du schwanger? Justin!« Sie beugte sich zu ihm hinunter. Sie wollte schon mit ihrer Nadel der Sache auf den Grund gehen, da sah sie auf einmal ein Gesicht. Es war direkt vor ihr. Es war das Gesicht eines weißen Jungen. Er hatte Sommersprossen, rötliche Haare und große, etwas ängstliche Augen. Seine Hand tastete an dem Sitz hoch und griff nach ihrem Kissen. Sie traute ihren Augen nicht.

»Entschuldige«, sagte Benjamin, »aber das muss ich wieder zurückbringen.« Dann nahm er das Kissen, und noch bevor sie mit ihrer Nadel zustechen konnte, war er verschwunden. Sie löste ihren Gurt und wollte ihm hinterher. Der Vorhang, der die erste von der zweiten Klasse trennte, bewegte sich noch leicht hin und her. Er war also aus der zweiten Klasse einfach zu ihr nach vorne gekommen, um ihr Justin wegzunehmen. Sie drehte sich nach der Stewardess um.

»Was hast du denn?«, fragte ihr Onkel. Hier sind Diebe und Verbrecher an Bord, dachte sie. Sie überlegte, ob sie schreien oder heulen sollte, oder ob es nicht möglich wäre, beides auf einmal zu tun. Sie überlegte noch, wie sie das zustande bringen könnte, da sagte ihr Onkel: »Aber du hast doch nicht etwa Angst, mein Liebes?« Seine große Hand tätschelte sie. »Das ganze Land wird dir zu Füßen liegen.« Er wollte ihr über den Kopf streicheln, aber dann war auf einmal die freche Stewardess bei ihr, packte sie und setzte sie, als wäre sie ein strampelndes Baby, zurück auf ihren Platz und schnallte sie fest. Na, die kann was erleben, dachte Brilliant wütend. Sie spürte auf einmal einen stechenden Schmerz im Bein. Es war Miss Marple. Jetzt wusste sie immerhin, dass sie doch besser heulen und nicht schreien musste. Aber dann tat sie es doch nicht. Sie biss die Zähne aufeinander. Denn obwohl Brilliant Hope Gwenigale-Johnson sehr schwierig und kompliziert sein konnte, eines war sie auf jeden Fall nicht: dumm. Und wenn jemand Miss Marple in ihrem Bein fand, würde es nur neuen Ärger geben. Jetzt musste sie nur Justin wiederfinden, und diesem komischen weißen Jungen würde sie eine richtige Lektion erteilen. »Aber erst«, flüsterte sie vor sich hin, »gebe ich ihm einen Namen.« Und ihr Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

3.

Die Botschafterin hielt das Kissen in den Händen, als wäre es zerbrechlich. Sie betrachtete es von allen Seiten, und dann sagte sie: »Es ist ein wunderschönes Kissen. Ich glaube, ich behalte es.«

»Aber wir müssen es zurückgeben«, protestierte Benjamin.

»Das hast du gut gemacht«, sagte die alte Frau. »Es gefällt mir.«

»Es gehört mir doch nicht«, widersprach ihr Benjamin. »Ich muss es zurückbringen. Wir müssen nur irgendwie den Gummiball herausbekommen.«

»Hol jetzt lieber deine Tüte«, sagte die alte Frau und lächelte vor sich hin. Genau in diesem Moment kam durch die Lautsprecher die Ansage, dass sich alle anschnallen mussten. Bald würden sie landen. Eine Stewardess kam auf Benjamin zu und zeigte auf seinen Sitz.

»Willst du dich nicht lieber hinsetzen?«, fragte sie.

Die alte Frau schaute auf das Kissen. »Herausbekommen …«, murmelte sie und wiegte das Kissen hin und her. Der Lärm der Motoren wurde jetzt immer stärker, und mit einem großen Gepolter wurde das Fahrwerk ausgefahren. Benjamin dachte an die Tüte und dass er sie bald aus der Toilette holen musste, wenn er sie dort wirklich vergessen hatte. In wenigen Minuten würden sie landen.

»Ich hatte mal so ein Kissen«, sagte die Botschafterin. »Ich musste nur meinen Kopf darauflegen, und schon hatte ich schöne Träume.« Benjamin dachte an das Mädchen, und er fragte sich, ob wohl alle Mädchen in Liberia so aussehen würden wie sie. Sie hatte sehr schöne Haare. Sie waren zu einem Kranz geflochten, der auf ihrem Kopf lag wie ein Schneckenhaus aus schwarzem Samt. Sie hatte ihn angelächelt. Allerdings war es ein Lächeln, bei dem einem das Blut in den Adern gefror.

»Ich vergesse meine Träume immer gleich wieder«, sagte er.

»Wie bitte?«, fragte die alte Frau und hob das Kissen hoch.

»Der Ball ist da drin«, erklärte Benjamin. Er zeigte auf die Beule in dem Kissen, aber die Botschafterin interessierte sich nicht dafür. »Sie müssen das Kissen nur irgendwie aufmachen …«

 

Dann setzte die Maschine auf. Es war eine sanfte Landung. Die Botschafterin schaute ihn an und lächelte. Benjamin vermutete, sie sei vielleicht verrückt, überhaupt waren sehr viele komische Menschen an Bord.

»In einem Traum stand ich einmal an einem Wasserfall«, erzählte sie, »ein großer Schmetterling kam, und ich hab mich einfach an ihm festgehalten … und flutsch, war ich weg. Ich flog davon.« Sie kramte in ihrer Tasche herum, um den Kamm zu suchen. Während sie suchte, hielt Benjamin ihren Mantel. Sie hatte ihm den Mantel einfach wortlos über die Beine gelegt, und Benjamin hatte auf einmal den Eindruck, sie behandele ihn wie einen Dienstboten.

»Kannst du mich kämmen?«, fragte sie und hielt ihm den schweren Kamm entgegen. »Meine Hände zittern so.« Das Kissen fiel zu Boden. Ein kurzes Blau-Grün-Rot glomm in seinem Inneren auf. Benjamin tastete mit den Füßen nach dem Kissen. Er wollte es dem Mädchen wieder zurückgeben. Es saß in der ersten Klasse, und auf dem Weg nach draußen würde er unweigerlich an ihr vorbeikommen. Außerdem war sie bestimmt nicht allein. Sie hatte einen Beschützer, und während Benjamin den Metallkamm in der Hand hielt und überlegte, ob er der Botschafterin die Haare kämmen sollte, dachte er an seinen Vater. Und auf einmal freute er sich. Benjamin freute sich, ihn wiederzusehen, er hatte ihn ein halbes Jahr nicht gesehen. Sein Vater arbeitete für die GTZ, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, aber das verstand niemand, und wann immer Benjamin zu erklären versuchte, was er dort machte, verhaspelte er sich. Sein Vater erklärte es ihm auch nicht, er war zu faul zum Schreiben, und wenn er in Deutschland war, um Benjamin zu besuchen, sprach er über alles Mögliche, nur nicht über seine Arbeit.

»Mein Vater baut Brücken. Er hat bestimmt auch schon mal eine über einen Wasserfall gebaut.« Die alte Frau lächelte und nickte. Benjamin dachte, sie sei womöglich wirklich verrückt oder schon sehr alt. Er kämmte vorsichtig ihre Haare, wie er es bei den Puppen seiner Cousine schon einmal getan hatte. Er dachte an das Mädchen mit der Schneckenhaus-Frisur. Er kämmte langsam von ganz oben, von der Kopfmitte her-unter bis zur Schulter. Die Haare waren sehr dünn, er hatte Angst, dass er sie alle herausreißen würde, wenn er zu stark kämmte. Mit seinem Fuß tastete er nach dem Ball, der im Kissen steckte. Irgendwie musste er da hineingekommen sein. Doch wie nur? Vielleicht, dachte er, hatte das Kissen einen Reißverschluss.

»Was wirst du denn in Monrovia machen?«, fragte die alte Frau.

»Wir fahren aufs Land, und dann gleich weiter in den Dschun-gel. Mein Vater hat da ein Haus. Er wohnt nicht in Mon-rovia.« Da die Maschine immer langsamer wurde, kämmte er etwas schneller.

»Du fährst in den Dschungel?« Der Blick der alten Frau verfinsterte sich.

»Ja«, sagte Benjamin leichthin, als hätte er das schon oft gemacht und als wäre nichts Besonderes dabei. Der Kamm blieb plötzlich in einer Haarsträhne stecken. Es gab einen Ruck. Die Maschine kam zum Stillstand.

»Na endlich«, murmelte die alte Frau und stand auf.

»Moment!«, rief Benjamin. Der Kamm hing in ihren Haaren. Aber auf einmal war alles in Bewegung. Alle sprangen auf und öffneten die Gepäckfächer, um ihre Koffer und Taschen herauszuholen. Benjamin ließ das Kissen, die alte Frau und den Kamm in ihren Haaren zurück und lief zur Toilette. Es war die hintere Toilette, und da dort auf den Plätzen niemand mehr saß, konnte er sicher sein, dass die Tüte noch immer neben dem Waschbecken auf der Ablage stünde und dass Zahnbürste und die Zahnpasta noch immer am Waschbeckenrand liegen würden. Denn Zahnpasta und Zahnbürste, das war seiner Mutter in letzter Sekunde eingefallen, hatten sie auch vergessen. Eigentlich hatten sie mehr oder weniger alles vergessen. Nur das Anti-Insekten-Spray nicht. Seine Mutter hatte fünf große Flaschen davon gekauft. Vier waren in seinem Koffer und eine war in der Tüte. Am Telefon hatte sein Vater gesagt: »Das Letzte, was du machst, bevor du das Flugzeug verlässt, du gehst auf die Toilette und sprühst dich mit Anti-Insekten-Spray ein. Hörst du? Vergiss das nicht.« Draußen warteten die Moskitos. Man konnte sie nicht sehen und eigentlich auch nicht hören. Das war der Unterschied. Die deutschen Moskitos, die Mücken hießen, hörte man, und manchmal konnte man sie auch sehen. »Das ist eigentlich das Wichtigste«, hatte sein Vater gesagt. »Und deinen Pass. Den darfst du natürlich auch nicht vergessen.« Es ist alles in der Tüte und die ist in der Toilette, beruhigte sich Benjamin. Er drehte sich noch einmal um. Die Maschine stand jetzt. Die alte Frau lief ohne ihren Mantel Richtung Ausgang. »Wie kann man so vergesslich sein«, murmelte Benjamin vor sich hin und zog voller Erwartung die Toilettentür auf. Er sah den Kamm in ihrem Haar stecken und ihre langen, knochigen Finger, mit denen sie sich an den Kopfstützen der Sitze entlanghangelte, um zum Ausgang zu kommen. Dann gab es einen eigentümlichen Sog, einen Luftzug. Eine der Türen der Maschine wurde geöffnet, und mit einem Mal strömten alle nach draußen. Benjamin zwängte sich durch die Tür in die Toilettenkabine.

4.

Das Kissen war also fort. Brilliant war nicht besonders traurig. Traurig zu sein, damit gab sie sich nicht ab. Sie konnte wütend sein, sie konnte sauer sein. Stinksauer. Aber nicht traurig. Sie hatte zu Hause in ihrem kleinen Garten eines Morgens ihre beiden Schildkröten gefunden, die, auf dem Rücken liegend, die ganze Nacht nicht mehr von der Stelle gekommen waren. Sie war zu ihnen gegangen und hatte eine Portion Cornflakes um sie herum verteilt, dass es so aussah, als hätten die beiden Schildkröten einen Heiligenschein. Ihre kurzen, stummeligen Eidechsenfüße kreisten langsam in der Luft. Sie lagen noch im Schatten. Brilliant goss ein wenig Milch über die Cornflakes, und dann ließ sie sich von ihrer Großmutter zur Schule bringen. Sie war gespannt, wie die Schildkröten, die Cornflakes und die Milch wohl den Tag in der heißen Sonne überstehen würden. Als sie aber aus der Schule zurückkam, war sie viel zu müde, um in den Garten zu gehen, sie kehrte erst drei Tage später zu ihrer Forschungsstätte zurück. Die Milch war verschwunden, und die Sonne hatte aus den Cornflakes verschrumpelte, komisch knisternde Krümel gemacht, die man einfach so zertreten konnte. Die Schildkröten waren tot. Brilliant hatte sich vor ihnen aufgebaut und gesagt: »Ihr dummen Viecher, ihr seid ja zu überhaupt nichts nutze!« Der Tod der Schildkröten hatte sie wütend gemacht. Sie ärgerte sich, dass sie einfach, ohne sie zu fragen, gestorben waren. Und als sie das Kissen im Flugzeug der königlich-niederländischen Fluggesellschaft zurücklassen musste, dachte sie nur: Justin Timberlake wollte sowieso nicht nach Afrika, weil Justin sonst Sonnenbrand bekommen hätte, und dann dachte sie schon wieder an ihre bevorstehende Schiffsreise. Ihr Onkel hatte ihr von seiner neuen Yacht erzählt, und dass sie am Sonntag eine kleine Bootstour unternehmen würden.

 

Als auf einmal Benjamin in der Eingangshalle des Flughafens auftauchte, hätte sie ihn gar nicht erkannt, wenn er nicht das Kissen in der Hand gehabt hätte. Er sprach mit ihrem Onkel, er hielt ihm das Kissen hin. Dann fiel ihr noch etwas auf. Er trug einen sonderbaren Mantel, der ihm viel zu groß war. Es war ein schwerer, grauer Mantel. Er reichte ihm bis zu den Knien. Er hatte ihn zugeknöpft und den Mantelkragen hochgestellt, und mit dem silbernen Samtkissen sah er auf einmal, fand Brilliant, gar nicht so uninteressant aus.

»Und dein Pass ist auch in der Tüte?«, fragte ihr Onkel.

Benjamin nickte. »Alles«, jammerte er, »auch der Brief. Von meiner Mutter.«

»Mmh. Von deiner Mutter.« Brilliants Onkel schaute besorgt. Er war sehr gutmütig, das mochte Brilliant nicht besonders an ihm. Es sei denn, seine Gutmütigkeit kam ihr zugute. Aber wenn er anderen Menschen half, war sie schnell gelangweilt und wurde ungeduldig.

»Was können wir denn da machen?«, überlegte er und winkte ihr zu. »Das ist Brilliant. Meine Nichte.« Brilliant ging auf Benjamin zu und wollte ihm die Hand geben, aber Benjamins Hände steckten so tief in den Ärmeln des riesigen Mantels, dass sich ihre Hände nicht fanden und Brilliants Onkel zu lachen anfing.

»Wer ist denn hier jetzt zuständig für dich?«, fragte der Onkel. Nicht weit von ihnen entfernt stand ein Beamter der Einwanderungsbehörde, der Benjamin argwöhnisch beobachtete. Brilliants Onkel dachte einen Moment nach. Brilliant war es schon jetzt langweilig, aber dann dachte sie, so ein komischer Junge mit einem Mantel und ohne Pass, das könnte schon lustig werden, und sie stellte sich vor, wie sie ihn während der Ferien herumscheuchen würde und er alles für sie tun müsste.

»Wir nehmen ihn mit«, sagte sie und legte den Kopf schief. Er war ungefähr so groß wie sie. Im Grunde hatte es ihr gefallen, dass er ihr einfach das Kissen weggenommen hatte. Er hielt es immer noch in der Hand. Ihr Onkel hatte die Hände voll mit Taschen und Tüten, mit all den Geschenken, die er seiner Familie mitgebracht hatte. Brilliants Onkel schaute zu dem Beamten der Einwanderungsbehörde und dachte nach.

»Ich hab sie gesehen«, sagte Benjamin, noch immer atemlos, »die alte Frau. Sie ist die Frau des Botschafters, aber der ist ja tot.«

»Ja klar«, sagte Brilliant gelangweilt.

»Sie muss die Tüte haben, ich bin ganz sicher … Sie hat sie bestimmt in die Tasche gesteckt.«

 

Und tatsächlich hatte er sie gesehen, als er als Letzter die Maschine verlassen hatte und auf der steil nach unten führenden Gangway stand, von der schwülen Hitze wie von einem Würgegriff erfasst und damit beschäftigt, den Mantel zuzuknöpfen, die Worte seines Vaters in den Ohren: »Das ist wirklich das Schlimmste, was passieren kann. Malaria, schon in der ersten Woche.« Und wie seine Mutter am Telefon gesagt hatte: »Wenn er Malaria bekommt, lass ich mich scheiden. Dar-auf kannst du Gift nehmen.« Er durfte keines von diesen gefährlichen Tieren an sich heranlassen, deshalb knöpfte er sorgfältig den Mantel zu und stellte den Kragen hoch, obwohl schon jetzt der Schweiß in Strömen an ihm herunterlief. Er hatte sie noch gesehen. Ihre schlohweißen Haare, das elfenbeinfarbene, dünne Kleid und ihre linke, knochige Hand, mit der sie ihre große, lederne Tasche festgehalten hatte. In dieser Tasche musste die Tüte sein. Die schwarze ZARA-Tüte, mit dem Abschiedsbrief seiner Mutter, dem Anti-Insekten-Spray, den hundert Dollar und den ganzen anderen Dingen, an die er gar nicht denken wollte. Sie ging sehr schnell, eigentlich lief sie, und er dachte noch, das ist die Frau des Botschafters, eine ganz gemeine Diebin, und er rief: »Das geht doch nicht! Das ist meine Tüte.« Aber in der Eile hatte er Deutsch gesprochen, und ohnehin war niemand da, um ihn zu hören. Die Stewardessen waren hinter ihm in der Maschine gewesen, und die anderen Reisenden hatten längst das merkwürdig niedrige Haus erreicht, das offensichtlich das Empfangsgebäude war. Wo war sein Vater? Würde sein Vater ihn nicht hören? Aber er erinnerte sich, dass er erst seinen Pass vorzeigen und auf sein Gepäck warten musste, das war überall auf der Welt so. Selbst in Liberia. Vor ihm lag ein großes, schwarzes Stück feuchten, etwas buckeligen Asphalts. Er musste also zu Fuß gehen. Es gab keinen Bus, keine Rolltreppe und erst recht kein Laufband, so wie er es in anderen Flughäfen schon gesehen hatte. Es gab gar nichts. Nur die stickige Luft und das Gefühl, als sei er in eine heiße Badewanne gesprungen. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Das Mädchen mit der schneckenförmigen Frisur grinste ihn an. Langsam kam der Beamte der Einwanderungsbehörde auf ihn zu.

 

»Und zu wem gehörst du?«, fragte der Beamte mit einem gefährlichen Unterton. Der freundliche Mann, mit dem Benjamin gesprochen hatte, stand jetzt etwas abseits und telefonierte. Er schaute das Mädchen an.

»Also eigentlich …«, überlegte Brilliant und zupfte an ihrem rosafarbenen Schirm herum, auf den sie sich stützte. Sie sah wirklich aus wie eine Prinzessin. An den Handgelenken trug sie goldene Armreife, und an beiden Ohren baumelten Ohrringe, die so groß waren, dass sie gegen ihre Schultern stießen. »Eigentlich ist er ein Dieb. Ja! Er hat mein Kissen gestohlen.«

»Es ist hier«, rief Benjamin und hielt das Kissen dem Beamten unter die Nase. »Ich habe es nicht gestohlen. Es ist nur wegen diesem Gummiball. Den muss ich wieder zurückgeben. Es ist so ein Ding für kleine Kinder … Und er leuchtet, wenn man ihn gegen die Wand wirft.«

Der Beamte sah ihn an.

»Ja«, wiederholte Brilliant, »eigentlich ist er wirklich ein ganz kleiner, fieser Dieb.« Sie lächelte erst formvollendet und grinste ihn dann so an, dass er ganz verwirrt wurde. Und er war beinahe noch mehr verwirrt, als dass er Angst hatte. Was hatte dieses komische Mädchen denn bloß vor? Er hielt nach seinem Vater Ausschau. Aber das Einzige, was er sehen konnte, waren die kleinen Polizistenhäuschen, in denen die Beamten saßen und die Pässe kontrollierten. An der Decke hing eine Glühbirne, um die Hunderte von Insekten herumflogen. Der grüne Linoleumboden hatte einige Risse und Löcher. Außer Brilliant und ihrem Onkel waren nur noch wenige Reisende übrig geblieben. Es waren ohnehin nur ein Dutzend an Bord gewesen. Eine Frau und ein Mann zeigten gerade ihre Pässe vor. »Willkommen in Liberia«, hörte Benjamin eine dunkle, fröhliche Stimme. Die alte Frau war längst weg. Benjamin wusste von seinem Vater, dass Diplomaten immer sehr schnell durch solche Kontrollen hindurchkamen, wahrscheinlich hatte sie sogar den Flughafen schon verlassen.

»Was hat er denn gestohlen?«, fragte der Beamte und grinste.

»Na, dieses Kissen hier.« Brilliant zeigte auf das Samtkissen, das Benjamin in der Hand hielt.

»Mmh«, meinte der Beamte und nickte.

»Und den Mantel da.« Sie zeigte auf Benjamins Mantel mit einem Ausdruck der Begeisterung, als habe sie auf einmal etwas ganz Ausgezeichnetes und Wunderbares entdeckt. »Den hat er auch geklaut. Ja, ganz bestimmt.« Sie drehte sich zu ihrem Onkel. »Onkel«, rief sie. »Du musst eine Zeugenaussage machen.« Sie zupfte ihn an seinem Hemd. Aber ihr Onkel ließ sich nicht beirren und telefonierte weiter. Es schien ein wichtiges Gespräch zu sein, er schaute noch nicht einmal auf, während Brilliant jetzt mit ihrem riesigen, noch in Folie verpackten, rosafarbenen Schirm auf das Bein des Polizisten zielte.

»Also«, sagte sie, »wird er jetzt verhaftet?«

Der Beamte dachte nach. Er schaute Benjamin an, betrachtete den Mantel, dann schaute er zu dem Onkel des Mädchens.

»Ich bitte darum«, sagte Brilliant und grinste ihn an. Dann schaute sie zu Benjamin, plötzlich unschlüssig, wie sie ihn anschauen, ob sie ihn anlächeln oder ob sie ganz finster und ernst schauen sollte. Tatsächlich hatte sie ihre Meinung nicht geändert. Sie wollte alles nur ein bisschen komplizierter machen. Das war überhaupt der größte Spaß. Dinge kompliziert machen. Und zwar so kompliziert, dass den Erwachsenen graue Haare wuchsen. Ihr Onkel hatte schon einige. Aber die hatte er im Krieg bekommen, wie er immer wieder erzählte. Der Krieg, der jahrelang in Liberia getobt hatte, und der letztlich auch der Grund dafür war, dass Brilliant Hope Gweni-gale-Johnson in Amerika groß geworden war. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, dann wärst du jetzt ein richtiges liberianisches Mädchen, sagten sie bei ihr zu Hause. Das klang immer ein bisschen bedrohlich, so dass selbst Brilliant nervös wurde, wenn sie daran dachte, wie es denn nun sein würde, wenn sie wirklich ein liberianisches Mädchen wäre.

»Haben Sie kein Kindergefängnis?«, fragte sie jetzt. Es würde einen Heidenspaß machen, ihn aus dem Gefängnis wieder herauszubekommen, und teuer würde es auch werden. Richtig teuer.

»Ich meine für eine Nacht.«

»Ein Kindergefängnis?«, fragte der Beamte.

»Ja, wir haben so etwas in Los Angeles.« Sie nickte. Los Angeles, es klang, als wäre das eine Stadt aus einem Märchen und als müsste sie jeden einzelnen Buchstaben ganz genau aussprechen, damit der Zauber dieser Stadt sich nur ja auch richtig entfalten könnte. »In der Wüste. Da sind die Kindergefängnisse. Hast du noch nie davon gehört? Es gibt nämlich verschieden große Löcher in der Wüste, je nachdem, ob ein Kind zwei Jahre alt ist, dann ist das Loch natürlich kleiner, oder zehn, dann ist es größer.« Sie machte mit ihren Armen ausholende Bewegungen, um dem Beamten eine Vorstellung von der Größe der Kindergefängniszellen zu geben.

»Da kommen sie rein, und dann kommt der Deckel drauf.« Sie überlegte kurz. »Der Deckel ist natürlich überall gleich groß.« Sie schaute ihn an. Benjamin wurde etwas unbehaglich zumute. Nicht, dass er ihr auch nur ein einziges Wort glaubte, aber so langsam leerte sich die Empfangshalle, und die Polizistenhäuschen standen bedrohlich vor ihm. Die Beamten saßen dort gelangweilt hinter den Plexiglas-Fenstern und schauten zu ihm herüber. Irgendetwas Unangenehmes würde passieren, dachte Benjamin. Im Gegensatz zu Brilliant hatte er keine große Freude an Dingen, die kompliziert waren. Kompliziert, das war seine Mutter, und kompliziert war sein Leben schon genug.

»Oder«, schlug Brilliant vor, »Sie hängen ihn in einen Baum. Denn …«, sie schabte mit der Schirmspitze auf dem zerkratzten Linoleumboden herum. »Denn eine Wüste haben Sie hier ja nicht, oder?«

»Nein, Entschuldigung«, sagte der Beamte. Er wirkte leicht verwirrt. Immer wieder schaute er zu dem Onkel des Mädchens, und Benjamin sagte sich, dass dieser Onkel offensichtlich eine bedeutende Persönlichkeit sein musste, wenn Bril-liant es sich erlauben konnte, so mit einem Polizisten zu reden. Der Onkel hatte ein paar Schritte in Richtung eines der Polizeihäuschen gemacht und wedelte mit seinem Pass her-um. Offensichtlich hatte er Benjamin vollkommen vergessen. Dem Mädchen gab er jetzt ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie machte einen Knicks, lächelte Benjamin zu, und für einen Moment flammte wieder Hoffnung in Benjamin auf. Beinahe schien es, als sei sie traurig, aber schon im nächsten Moment hellten sich ihre Gesichtszüge wieder auf.

»Hier«, sagte sie, »den kannst du gebrauchen, wenn du aus dem Gefängnis wieder rauskommst. Hier regnet es nämlich ganz schön viel. Richtig ekelhaft ist das.« Sie schüttelte sich und überreichte ihm den Schirm.

»Das Kissen«, sagte der Beamte. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und lief zu ihrem Onkel. Sie drehte sich noch einmal nach Benjamin um. Lächelte ihm zu. Ihr Lächeln war, wie Benjamin jetzt dachte, wirklich bezaubernd, aber schon im nächsten Moment hatte sie zu lächeln aufgehört und streckte ihm die Zunge heraus. Der Beamte sah ihn voller Mitleid an.

»Mein Vater wartet draußen«, sagte Benjamin schnell. Er hatte eigentlich keine Angst. Er wusste, dass sich alles aufklären würde, wenn sein Vater ins Spiel kam. Sein Vater war gut darin, Sachen aufzuklären und Probleme zu lösen, solange nicht seine Mutter beteiligt war.

»Aha«, sagte der Beamte. »Dein Vater wartet draußen. Wie sieht er denn aus?«

»Er hat einen Bart«, sagte Benjamin. Er hielt das Kopfkissen und den rosafarbenen Regenschirm in der Hand und dachte, auf einen Außenstehenden müsse das sicher einen komischen Eindruck machen. Und dann der Mantel, der alte, graue Mantel mit dem Fischgrätenmuster. Er roch nicht besonders gut. Er roch, wenn man es genau nahm, nicht nach einem Kleiderschrank, in dem alte Kleider hingen, sondern nach einem Keller. Er roch nach einem uralten, dreckigen Kartoffelkeller, so wie sie ihn zu Hause in Lichtenberg in Berlin hatten. Ein alter Kartoffelkeller, in dem es keine Kartoffeln mehr gab, sondern Kohle. Und immer musste er die Kohle nach oben tragen, damit sie im Winter den Ofen heizen konnten. Danach roch der Mantel. Nach Winter, nach Kartoffelkeller und nach Berlin.

»Er hat ganz viele Sommersprossen«, sagte Benjamin. »Er arbeitet bei der GTZ. Gesellschaft …«, aber weiter kam er nicht. Der Beamte schüttelte nur entschieden den Kopf.

»Draußen wartet niemand, der so aussieht, mein Lieber«, sagte der Beamte auf einmal ganz streng und packte ihn am Arm. »Das weiß ich genau. So jemand habe ich den ganzen Tag hier noch nicht gesehen. Russell!«, rief er. »Russell!« Ein düster aussehender Beamter in Uniform, der am Ende des Raums neben einem der Polizistenhäuschen stand, nickte bedächtig mit dem Kopf.

»Russell, wir haben hier ein Problem.« Der Griff des Beamten verstärkte sich. Auf einmal bekam es Benjamin mit der Angst zu tun. Russell, der angesprochene Beamte, war so groß wie ein Baum. Er machte einen außerordentlich unangenehmen Eindruck. Reglos stand er unter einer Deckenlampe, von einem Schwarm Insekten umgeben, als wäre er der König von Liberia, dem alle Tiere, die fliegen konnten, jetzt die Ehre erwiesen. Während er langsam auf ihn zugeschritten kam, mit der finstersten Miene, die man sich denken konnte, und mit der linken Hand, die in einem schmuddeligen weißen Handschuh steckte, die Moskitos vertreibend, wusste Benjamin, dass er sich etwas einfallen lassen musste, und zwar schnell.

»Vielleicht hast du ja ein paar Dollar«, hörte er die flüsternde Stimme des Beamten neben ihm, dessen Griff sich jetzt etwas lockerte. »So jemand wie du, ein Junge aus Amerika … Du hast bestimmt einen Dollar dabei, was?«, flüsterte er. Der Schweiß lief in Strömen an Benjamin herunter. »Du brauchst keine Angst zu haben«, flüsterte der Beamte jetzt wieder. »Wir hängen dich nicht in einen Baum. Wenn du ein paar Dollar hast … So jemand wie du wird doch nicht in einen Baum gehängt.« Er gab ein komisches wieherndes Lachen von sich, während der große, düster dreinblickende Uniformierte Benjamin fast erreicht hatte. »Keine Angst«, flüsterte der Beamte. »Willkommen in Liberia.«

5.

Brilliant und ihr Onkel hatten Benjamin schon fast wieder vergessen, als sie in ihrem bequem gepolsterten, klimatisierten Jeep saßen, um von ihrem Fahrer in die Stadt gebracht zu werden. Die Stadt war eine Stunde entfernt. Hier draußen wirkte der Flughafen wie ein kleiner Schuppen, ein Gebäude in der heißen tropischen Nacht, aus dem man am besten mit festem Schritt hinaustrat, seinen Koffer im Wagen verstaute und sich auf den Heimweg machte. Brilliant war schrecklich müde. Sie gähnte. Es war ihr gefürchtetes Raubtiergähnen, bei dem sie ihren schönen Mund weit aufriss, um ihn dann ganz schnell wieder zuschnappen zu lassen und mit ihren kleinen Augen nach einem neuen Opfer Ausschau zu halten.

»Warum kann er den Wagen nicht schieben?«, fragte sie, als sie immer noch nicht von der Stelle gekommen waren. »Wir bleiben sitzen und er schiebt, schließlich bezahlst du ihn doch. Oder? Oder etwa nicht?«

»Aber mein Liebes«, sagte ihr Onkel ruhig. »Er kann ihn doch nicht schieben. Er muss doch zuerst den Reifen wechseln.« Ihr Onkel hatte sein Jackett ausgezogen und seine Ärmel hochgekrempelt. Er hatte beschlossen, dem Fahrer zu helfen. Es würde so schneller gehen, von einem kaputten Reifen wollte er sich seine Laune jedenfalls nicht verderben lassen.

»Er kann mich doch tragen«, rief Brilliant. »Er soll mich Huckepack nehmen, und dann gehen wir eben zu Fuß.« Sie klopfte von innen gegen das Fenster. Das freundliche Gesicht ihres Onkels verschwand, er bückte sich, um mit anzupacken. Brilliants Gesicht verfinsterte sich. Das war der Moment, in dem ihr Benjamin wieder einfiel. Sie schaute zum Flughafengebäude zurück. Er musste dort noch irgendwo sein. Ob sie wohl aussteigen und das Gebäude erforschen sollte?

 

Ihr Onkel war einer der reichsten Männer Liberias, er besaß mehrere Häuser und Grundstücke, über die ganze Stadt verteilt, und nebenbei war er auch noch Chef der größten Petroleum-Firma des Landes. All die schicken roten TOTAL-Tankstellen, die es in der Hauptstadt gab, unterstanden seinem Befehl. Und mit dem Flughafen würde es ja wohl kaum anders sein, dachte sie sich. Ohne dass ihr Onkel es bemerkte, stieg sie aus und machte sich auf den Weg. Der Fahrer lag irgendwo unter dem Wagen und versuchte, den Wagenheber anzubringen, während ihr Onkel vor dem kaputten Reifen kniete und ihn mit strenger Miene musterte. Sie hatte noch keine Idee, wie sie Benjamin finden sollte, aber eigentlich wollte sie ihn auch nicht suchen, sie stellte sich eher vor, einem der Beamten zu sagen, er solle ihn zu ihr bringen, am liebsten, ohne dass sie auch nur einen Finger krümmen musste. Ein kleiner, hinkender Mann mit einer knallroten Baseballmütze und einer beeindruckenden Zahnlücke lächelte sie an, als sie an ihm vorüberlief.

»Hallo, meine Süße«, säuselte er, als sie schon fast an ihm vorbei war. »Wohin so eilig?« Sie drehte sich nach ihm um. Er sah nicht gerade wie ein Polizeibeamter aus, aber er war auch kein Kofferträger oder Taxifahrer. Sie ging auf ihn zu und betrachtete ihn.

»Wer bist denn du?«, fragte sie.

Darauf hatte Harris gewartet. Er wusste, wer sie war. Er kannte ihren Onkel, und er kannte den Jeep und den linken hinteren Reifen, in dem ein zeigefingergroßer, rostiger Nagel steckte. Nur seinen Namen hatte er vergessen. Er wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. Er hatte schon einen halben Tag auf diesen Moment gewartet. Er war seit Mittag am Flughafen, jetzt war es schon Mitternacht. Einmal hatte er einen Nagel in den Reifen eines Autos gesteckt und es war gar nichts passiert. Der Wagen stand immer noch da, dann hatte er einen weiteren Nagel in einen Reifen gesteckt, und dieser Wagen war davongefahren, wie durch ein Wunder ohne jeden Schaden. Er hatte drei Nägel mitgenommen. Das reichte in der Regel aus. Er wollte es nicht übertreiben. Sein Freund, der Milchmann, wartete auf seinem Motorrad in der Nähe, und ein anderer Freund, der Gummiquetscher, wartete einen Kilometer entfernt in einem kleinen Dorf und schlief bestimmt schon. Das kleine Mädchen kam ihm gerade recht, denn die Kunst bestand darin, alles ganz unauffällig und ganz nebenbei zu erledigen. Das Gute und das Böse. Das kleine Mädchen hob den Kopf und kniff die Augen zusammen.

»Wer ich bin?«, fragte er und grinste. »Hoppla, du bist aber neugierig.«

»Und? Wer bist du?«

»Ich bin ein Engel.« Er nickte und machte ein ganz feierliches Gesicht. Brilliant schaute zum Wagen ihres Onkels zurück. Vielleicht, dachte Harris, war ihr die Sache nicht ganz geheuer.

»Heute«, sagte Harris leise, »hat meine Wolke einen Platten, und da musste ich hier herabsteigen.« Er drehte sich um, als schaute er, ob er seine Wolke irgendwo im Dunkeln sehen konnte. »Sie ist da vorne irgendwo. Ich glaube, dort über dem Wald. Sie hat sich bestimmt auf den Baumwipfeln abgestützt. Faules Biest.«

Brilliant schaute ihn an. Sie zeigte keine Reaktion. Sie war sehr schlau. Sie spürte, dass mit Harris etwas nicht stimmte und dass man ihm nicht über den Weg trauen durfte.

»Du Witzbold«, sagte sie und wollte sich gerade von ihm abwenden und weiter nach Benjamin suchen, da packte sie Harris am Arm. Harris konnte das gut. Er konnte blitzschnell von einer außerordentlichen Boshaftigkeit sein, er packte sie an ihrem Ellbogen und zog sie zu sich heran, dass ihre Füße in der Luft hingen und ihr ein Schrei in der Kehle steckenblieb.